1.) Auf allen Ebenen der einigermaßen gebildeten Schichten, die uns in den Schriftquellen begegnen. Daraus folgend auch mit ziemlicher Sicherheit: Wenn die nicht gebildeten illiteraten Schichten irgend eine Vorstellung von der Welt hatten, dann die der Kugel. Denn die Annahme, dass bei denen ein in den Quellen nicht nachweisbares, dem unter Gebildeten - zu denen man ja auch mit dem Volk in Kontakt stehende Priester zählen darf - verbreiteten diametral entgegengesetztes Weltbild vorherrschte, ist doch recht unglaubwürdig.
Genau das ist mein Problem. Zum ersten Teil gehören die gebildeten Schichten, was nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmacht, über dessen Lebens- und Gedankenwelt wir natürlich auch die besten Quellen haben. Dass dort nicht zwangsläufig die Überzeugung herrschte, die Erde sei flach, sondern dass diese Behauptung wahrscheinlich auf die "Propaganda" der Renaissance zurück geht, glaube ich gerne. Allerdings ist (aufgrund der noch nicht weit vollzogenen funktionalen Aufspaltung der Gesellschaft) unter den Gebildeten auch ein großer Teil mathematisch bewandert, darum habe ich das mal so verkürzt als "kleiner Kreis Mathematiker" wiedergegeben. Klar gab es auch Gebildete und Elitenvertreter (was nicht identisch ist), an denen Mathe vorbeiging, aber die hinterließen wahrscheinlich wenig Quellen zur Frage nach der Erdform. Händler dagegen beispielsweise, die sich aufgrund der Reisewege dafür interessierten, waren sehr wahrscheinlich wegen der Buchführung in der Mathematik ihrer Zeit bewandert.
Zum Zweiten gibt es eben die illiteraten Schichten, die nicht (in unserem heutigen Verständnis) gebildeten Schichten. Und über die gibt es eben wenig Quellen, und die Quellen, die es gibt, stammen von den Gebildeten. Darum kann man da wenig aussagen. Darum würde ich nicht einfach vom Elitenwissen aufs Weltbild des "einfachen Volkes" Rückschlüsse ziehen. Die priesterliche Ausbildung ist übrigens nochmal ein Thema für sich.
Der Reichsapfel? Naja, Apfel ist eben ein Symbol für Fülle - daraus die Kugelform der Erde abzuleiten (und anzunehmen, dass Hinz und Kunz vom Dorf dieses Symbol so lesen) halte ich für... tapfer (dass es einen Professoren gibt, der das glaubt, kaufe ich aber gerne ab, schließlich findet man in den Geisteswissenschaften immer einen Gelehrten, der irgendwas glaubt.)
Aber selbst wenn dieses Beispiel falsch ist (obwohl ich die Kugelgestalt der Erde für intuitiv weniger "glaubwürdig" halte als die flache Form) blieben im Astronomischen noch andere Beispiele, in denen die Glaubwürdigkeit der Realität wiederspricht. Beispielsweise die Erdrotation. Ich weiß nicht, wie man da vor 800 Jahren drüber dachte, aber ich halte es nicht für intuitiv glaubwürdig, dass die Erde so um sich selbst flitzt.
Worauf ich hinaus will: was jemand für glaubwürdig hält, hängt stark von seinem kulturellen Umfeld ab (und dem damit verbundenen Stand naturwissenschaftlicher Forschung). Deswegen das Beispiel mit der Newtonschen Physik (gleichmäßige Zeit) im Gegensatz zur Relativitätstheorie, deswegen das Beispiel mit der runden Erde. Genauso wie die Evolutionstheorie, die ja selbst heutzutage von vielen nicht als glaubwürdig angesehen wird (kein Missverständnis bitte, ich bin
kein Anhänger des "Intelligent Design" aka "Talking Snake Theory").