Jetzt nehme ich mir einfach mal die Zeit und schreibe ein bisschen was (na gut, eine ganze Menge) zu meinen Erfahrungen nach drei Jahren Rollenspielleiten auf der
„Animagic“. Ganz kurz: Die
„Animagic“ ist eine Großveranstaltung für Anime- und Manga-Kultur und fand von 1999-2005 in Koblenz und von 2006 an in Bonn statt. Ich weiß nicht, ob es immer noch die größte Veranstaltung dieser Art in Deutschland ist, oder ob die
„Connichi“ in Kassel sie inzwischen überholt hat. Jedenfalls war ich bis 2005 jedes Jahr als Gast dabei, ab 2007 habe ich dann einen Platz im RPG-Bereich des Cons ergattert. Die Organisation des Rollenspielbereichs übernimmt dabei traditionell die
„Zunft der Lahnsteiner Rollenspieler e.V.“, in der ich Mitglied bin – allerdings muss man kein Mitglied sein, um Rollenspielleiter auf der
"Animagic" zu werden.
Unterschiede zu RPG-ConsZunächst ein bisschen was Allgemeines. Mir ist aufgefallen, dass Rollenspielleiten auf der "Ani“ im Prinzip dasselbe ist wie auf anderen Cons auch, aber es schon ein paar fundamentale Unterschiede im Vergleich zu reinen RPG-Conventions gibt:
1. Das Zeitfenster: Die durchschnittliche Rollenspielrunde auf der Ani dauert so zwischen 2 und 4 Stunden – länger als 3-Stunden wird aber eigentlich nur abends gespielt. Bei Interesse werden Samstag auch
Open-End-Runden angeboten (spielen, bis man von der Hallenaufsicht rausgekehrt wird), finden aber in den letzten Jahren leider seltener statt. Wegen der engmaschigen Planung des Rundenangebots ist Überziehen in der Regel nicht drin – der Tisch muss für die nächste Runde freigemacht werden.
2. Das Umfeld: Im Rollenspielraum spielen bis zu vier Runden parallel und auf die großzügige Tischverteilung vieler Rollenspiel-Cons wird hier verzichtet. Die Geräuschkulisse kann also unter Umständen bedeutend höher sein als auf vergleichbaren Cons.
3. Die Thematik: Wir spielen in der Regel keine Settings, die man so aus Rollenspielbüchern kennt: Kein Cthulhu-Mytos, kein Shadowrun-Seattle, kein Aventurien – sämtliche Settings müssen Settings aus Animes, Mangas oder zumindest Videospielen oder bekannten Popkultur-Größen sein. Je populärer diese sind, desto besser ist es meist. Viele der Rollenspielleiter greifen dabei auf vereinfachte Versionen von Regelsystemen aus „normalen“ Rollenspielen zurück, auf die sie dann die entsprechenden Settings umsetzen – so wird aus Shadowrun
„Ghost in the Shell“ oder aus D&D
„Record of Lodoss War“. Manche schreiben auch eigene Rollenspielsysteme extra für ihre Settings.
Ob das eine oder das andere: Die Regelsysteme sollten jedenfalls leicht verständlich sein.
In der Regel sind unsere Spielrunden auch comedy- und/oder actionorientiert – Dramarunden mit bedeutungsvollen, moralischen Entscheidungen kommen nur selten zustande und sind auch nicht wirklich gewünscht.
4. Das Publikum: Ist eigentlich relativ durchmischt. In der Regel kommen die Con-Besucher zu uns, die mit Rollenspiel auf jeden Fall was anfangen können und es zumindest schon einmal betrieben haben – wovon allerdings die Wenigsten regelmässig spielen. Aber es sind auch die obligatorischen Rollenspielanfänger dabei, die in unseren Bereich kommen, um das Spielen kennen zu lernen. Mir persönlich macht es am meisten Spaß genau diese Gruppe von Con-Besuchern ins Hobby einzuführen. Auch kann man einen Spieler, der einem nicht passt, nicht einfach rausschmeißen – wir leiten für jeden.
Weitere BeobachtungenWährend der Jahre hat sich mein Leitstil sehr stark gewandelt. Die Jahre vor 2006 habe ich als Besucher den Rollenspielbereich häufig frequentiert, aber als „Kosument“ erschließt sich einem ein ganz anderes Bild – man kommt, verbringt einige vergnügliche Stunden und geht dann wieder. Dass das Ganze ziemlicher organisatorischer Aufwand ist, Runden geplant werden und sich SLs auch mal in den Haaren haben, kriegt man so nicht mit. Die erste Lektion, die ich lernen musste, war, dass man als SL auf der
"Animagic" sich präzise an Spielzeiten und Koordination halten muss. Und wenn nur ein einzelner Spieler am Tisch auftaucht, man heiser ist oder einem partout Nichts einfallen will: Theoretisch kein Grund, dass eine Runde nicht stattfindet. Klar werden Kritiker hier am Board jetzt vielleicht bemängeln, dass die Qualität der Runden wohl unter diesen Umständen leiden dürfte. Und tatsächlich muss ich zugeben, dass die ein oder andere Runde, die ich auf der Ani über die Jahre angeboten hatte eher unteres Mittelmaß war, was an verschiedenen Faktoren lag (dafür gab es aber auch Runden, die so geil waren, dass sie alles weggerockt haben, was die
"Animagic" sonst zu bieten hatte).
1. Vorbereitung ist das A und OAusgedruckte Charakterbögen (die ich persönlich gerne in Farbe, mit Charakterportraits und wenig Text, denn sie sollen was für's Auge sein) sind selbstredend ein Muss. Für mich hat sich aber auch gut ausgearbeitetes Abenteuer auf Papier bewährt –
Bass-Playing lässt sich bei der kurzen Zeitspanne und einem Klientel, von dem die Hälfte nicht weiß, was sie vom Rollenspiel eigentlich zu erwarten haben, nur schwer umsetzen. Ich habe nicht die Möglichkeit, meine Spieler vorher groß kennenzulernen und tendiere daher auf der
"Animagic" zu recht linearen (≠ gerailroadeten) Abenteuern. Ich habe gemerkt, dass ich hier noch etwas nachbessern muss, was die Action angeht und etwas mehr würfeln lassen könnte – außerdem sind die Visuals sehr wichtig und im nächsten Jahr werde ich, wie es der Jens, ein anderer unserer SLs, dessen
„Naruto“-Runden permanent ausgebucht sind, vorgemacht hat, mit Karten und NSC-Portraits aufwarten. Kommt sicher gut.
2. Vertrauter Protagonist VS EigenkreationCharaktere werden in der Regel nicht am Tisch geschrieben, sondern bereits ausgefüllt vorgelegt – es gibt aber Runden, bei denen selbst erstellt wird. Hier wäre Jack_Blues' (unsere Nummer 1 im RPG-Bereich – danke für die tolle Arbeit!)
„Anime Crossover“ oder meine
„Final Fantasy ∞“-Runde zu nennen, bei denen die Spieler ihre jeweiligen Lieblingscharaktere spielen und sie ad hoc dann auch mit Werten versehen. Interessanterweise scheiden sich hierbei die Geister der SLs in unserem Team mitunter gewaltig: Die einen zum Beispiel (ich gehöre dazu) bevorzugen es, die Spieler Charaktere spielen zu lassen, die sie aus den jeweiligen Animesettings bereits kennen, sprich, die Protagonisten der Serien. Wenn ich also
„Avatar“ anbiete, spielen meine Spieler Aang, Katara oder Toph, bei
„Sailor Moon“ Moon, Mars und Merkur. Andere SLs lassen die Spieler lieber eigene oder neue Charaktere im Setting übernehmen, wie zum Beispiel eine Bande anderer Bounty Hunter bei
„Cowboy Bebop“ oder eine typische Fantasy-Heldengruppe bei
„Lodoss War“. Die Patentlösung gibt es dabei nicht, denn Beides hat Vor- und Nachteile.
Die erste Variante bietet die Vorteile Wiedererkennungswert (man weiß, was man spielt und findet schnell ins Setting bzw. erkennt es einwandfrei wieder), bessere Gruppendynamik (die Spielercharaktere finden aus dem Kontext des Settings sofort zusammen) und gezieltere Vorbereitung (man kann ein Abenteuer für die Charaktere maßschneidern). Nachteil ist sicherlich die geringere Flexibilität und kreative Mitgestaltung durch die Spieler, da sie ja im Grunde nur eine vorgegebene Rolle interpretieren. Bei eigenen Charakteren besteht aber zusätzlich die Gefahr, wie ich früher als Spieler schon feststellen musste, dass häufiger auch mal der Bezug zum Setting, das Pate stand, nur schwer zu erkennen ist – wenn ich zum Beispiel
„Record of Lodoss War“ spiele, dann erwarte ich auch Lodoss als Setting: Ich will mit NSCs aus der Serie interagieren, die politischen Entwicklungen gezeigt bekommen und überhaupt den ganzen Anstrich haben. Ich habe zum Beispiel bei meinen
„Final Fantasy“-Runden gemerkt, dass ich das nicht immer zur Gänze erfüllen konnte und so der
„Das ist Final Fantasy!“-Faktor gelitten hat. Außerdem geht Charaktererschaffung zusätzlich von der knappen Spielzeit ab. Aber ich will hier keine Grundsatzdiskussion führen, denn bei obskureren Settings wie
„Serial Experiments Lain“ oder
„Jin-Roh“ (bei denen es ja strenggenommen nur einen Protagonisten gibt) kommt man nicht drumherum, eigene Charaktere, die „nur“ in diesem Setting zu Hause sind, zu entwerfen.
3. Kenne dein SettingEs ist bemerkenswert, wie sich Trends und Geschmäcker unserer Besucher bei der AnimagiC verändern. 2002 rissen sich die RPG-Freunde auf der Ani noch um begehrte Plätze in
„Record of Lodoss War“ oder
„Ranma ½“... heute schlagen diese Settings nicht mehr so richtig ein. Die Animeszene wandelt sich und mit ihr muss sich das Angebot unseres Bereiches neuen Gegebenheiten anpassen. Dies macht es schwer für uns, denn es gilt eine Gradwanderung zwischen
„Ist neu auf dem Markt“ und
„Hat eine breite Fanbasis“ zu bewältigen. Und dann muss man aus den neuen, beliebten, trendigen Serien immer noch die heraussuchen, die sich als Rollenspiel eignen (bei
„Canaan“bin ich da ziemlich auf die Nase gefallen). Eigeninteresse ist dabei aber auch wichtig, denn nur in eine Serie, die ich selbst mag, kann ich tief genug einsteigen, um ein Rollenspiel draus zu machen. Glücklicherweise sind die Medien Anime, Manga und Videogame breit genug, dass für jeden etwas dabei ist – andererseits kostet der Einstieg in neue Werke Zeit und die hat nicht jeder. Im Zweifelsfall heißt es also den inneren Schweinehund bekämpfen und einfach zwischendurch mal die neusten Trends in der Szene checken – und dann hoffentlich an einer bekannten hängen bleiben, die auf der Ani läuft. Denn auch die Beliebtheit einer Serie ist nicht alles – grade Serien, die viel gecosplayt und heiß diskutiert werden, wie etwa
„Death Note“ oder mein geliebtes
„Kingdom Hearts“, haben nicht unbedingt viele potentielle Rollenspieler in ihren Reihen. So hinterlässt auch der neuste Hit-Anime manchmal leere Tische. In den letzten Jahren haben wir auch verstärkt darauf gebaut, durch gezielte und aggressive extrovertierte Werbung Ani-Besucher auf unseren Bereich aufmerksam zu machen – unter anderem auch, weil viele Stammbesucher nach dem Umzug der
"Animagic" weggebrochen sind.
Es ist sehr wichtig, das eigene Setting genau zu kennen, denn man spielt auf der Ani mit Fans... und die haben, wie oben schon erwähnt, Erwartungen bezüglich ihrer Lieblingsanimes. Besonders Foreshadowing oder Vergangenheitsbewältigung wird erwartet, je nachdem, zu welchem In-Setting-Zeitpunkt man eine Runde ansetzt – subtile Verweise auf zukünftige Ereignisse zu legen oder Geschehnisse oder NSCs aus vergangenen Episoden einer Serie einzuarbeiten ruft meiner Erfahrung nach positive Reaktionen hervor und lädt zum Diskutieren des Vorlagenstoffes ein. Ich versuche mit meinen Runden einer abgeschlossenen Serie immer noch ein bisschen was zu geben, schmeiße auf der anderen Seite aber keine ethablierten Grundstrukturen eines Settings komplett um – ich strebe eine nette kleine Füllepisode an. Und das gelingt auch meistens. Bei NSCs gilt
„Kenne dein Setting“ besonders: Hier muss man sich bei der Darstellung richtig ins Zeug legen – NSC-Portraits helfen ungemein. Und wer was leiten will, was er noch nicht ganz kennt: Naja, die Bereitschaft sich selbst zuzuspoilern muss man schon irgendwo mitbringen.
Danke an die, die bis hierher gelesen haben. Ich hoffe auch, dass einige Punkte fragwürdig genug sind, um diskutiert zu werden.
Ich fahre fort mit Einzelbeobachtungen zu meinen Runden auf einzelnen
Animagics!