Naja, es geht aber nunmal nicht nur um so Firlefanz wie Bauer in Stirland oder andere volkstümliche Backhäuser. Das Warhammer 3rd Team hat bis dato nichts vergleichbares zu Tome of Salvation/Corrupion/Realms of Sorcery geleistet, und im Vergleich dazu stinkt das Hintergrundmaterial in Signs of Faith/Winds of Magic nicht nur quantitativ ab.
Ich habe mir Realms of Sorcery (für die 2nd, das zur 1st besitze ich nicht) noch einmal angesehen, und nun muss auch ich gegenfragen: Wo ist hier das Material, von dem der Spieltisch unmittelbar profitiert? Oder sagen wir: Mehr profitiert als von dem Material der Dritten. Ich sehe einige Regelkomplexe, die (bis jetzt) in der 3rd nicht oder nur ansatzweise enthalten sind: Rituale, Tränke, Artefakte und Vertraute.
Aber mir geht es vor allem um Fluff. Und da sehe ich fast nichts, was in der 3rd nicht auch, nur kürzer drin wäre. So richtig anregend fürs Szenarienbasteln finde ich eigentlich nur die Beschreibungen der Artefakte. Ansonsten ist das Meiste entweder auch in der 3rd zu finden oder einigermaßen unrelevant für den Spieltisch, wenn auch womöglich, wenn man die Zeit hat, angenehm und unterhaltend zu lesen. Aber symptomatisch ist ein (für mich) unnützer Komplettismus und eine Rückwärtsgewandtheit. So hat der sehr ausführliche Geschichtsabriss vor allem Atmo- und Unterhaltungswert, bringt mir aber auf die Schnelle kaum Ideen. Betonung liegt bei: auf die Schnelle. Natürlich kann ich aus des frommen Magnussens Gewissensnöten von Anno Dummerjan ein sophisticated Abenteuer mit Geschichtsbezug machen. Aber das ist sehr aufwendig und womöglich gar nicht so ersprießlich.
Dann die Beschreibungen der Orden: Das ist ab einer gewissen Detailfülle doch nur noch interessant, wenn man einen Magier aus einem solchen Orden spielt. Und selbst dann: Das Abenteuerleben findet zuallermeist außerhalb der Ordensmauern statt, von daher sind auch hier wahnsinnig viele Infos uninteressant oder bräuchten nicht so ausführlich dargestellt werden. Zwei stichprobenartige Beispiele: Der Patriarch des Goldordens Balthasar Gelt bekommt eine ganze zweispaltige Seite Text. Nun ist der Großteil dessen, was da steht, wunderbar ausgedacht, aber über die Hälfte davon ist eine Nacherzählung seiner kuriosen Lebensgeschichte. Mag sein, dass man eine Abenteurergruppe auf einen Plot ansetzt, in dem sie aufklären müssen, was vor zehn, fünzehn oder fünf Jahren mit dem guten Gelt passiert ist. Aber derartige Nachforschungen gestalten sich oft dröge. Und was soll's? Daran lässt sich auch von Abenteurern ziemlich sicher nichts mehr ändern.
Dazu kommt, dass viel Text auf eine Figur verschwendet wird, die in Regionen schwebt, mit denen die meisten Warhammer-Chars nicht in Berührung kommen. Und selbst wenn sie Gelt mal bei einer Audienz oder einem Hofball treffen: Muss der SL dann wissen, dass dem Gelt vor ein paar Jahren mal ein Experiment misslungen ist und dass er als Jugendlicher mit Katzengold bezahlt hat?
Ein anderes Beispiel ist der Patriarch des Amethystordens. Schön und gut, wie hier im längsten Absatz des Eintrags romanhaft der Moment ausgeschmückt wird, in dem der Mann zum Magier wurde (vor über sechzig Jahren). Das kann man vielleicht als Vorlesetext nutzen, wenn ein Spieler sich beim Karrierewechsel für Zauberlehrling entscheidet. Aber sonst? Und das alles für einen NPC, von dem es heißt, dass er sich nur selten öffentlich zeigt und dass er seine Kontemplation nur dann unterbricht, wenn er den Kaiser beraten muss. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass SCs ihm einmal über den Weg laufen, irrsinnig hoch.
All diese Infos und Details haben weniger Spielwert, als sie Platz rauben. Wenn ich nicht gerade eine Kampagne basteln will, in der es ganz gezielt um Ordenspolitik und Intrigen geht. Und für eine solche Kampagne bräuchte man ein ganz spezielles SC-Personal. Nicht das, was einem die Warhammerwelt eigentlich als Abenteuergruppe suggeriert.
Aus diesen Gründen begrüße ich es sogar meistens, dass der 3rd-Fluff gegenüber dem Vorgänger "abstinkt". Ich muss nicht noch mehr über Hintergründe, Schlüsselerlebnisse von NPCs und Geschichte, Geschichte, Geschichte wissen. Im Gegenteil, mich entmutigen und langweilen die Textwüsten meistens. Allein die Geschichte der Magie nimmt in RoS 15 Seiten ein. Was habe ich am Spieltisch von diesen 15 Seiten gewonnen?
@Armeebücher:
Da haben wir eben auch genau das: Hintergrund. Der ist schön und gut und spaßig, aber ich stelle immer wieder fest, dass es beim Spiel mehr um den Vordergrund geht, und das sind Abenteuer. Inspiration dazu bieten die Armeebücher eben auch nicht so wahnsinnig. Ich finde es auch bezeichnend, dass sich unter den unzähligen Fan-Abenteuern im Netz und anderswo kaum Szenarien finden, die in Lustrias, Araby (Kemri), der Ogerkönigreichen, Ulthuan oder Naggaroth spielen. Ja, noch nicht einmal Abenteuer, die sich mit Waldelfen befassen. Weil der Hintergrund eben auch im Hintergrund bleibt.
In irgendeinem 3rd-Buch steht auch ganz explizit drin, dass man sich bei den Armeebüchern Infos holen kann. Ob es nun die Absicht ist, Redundanzen zu vermeiden, ob es bewusste Designabsicht oder die unterstellte Unfähigkeit ist, dass WFRP3rd weniger Fluff liefert und anders damit umgeht, ist mir wie gesagt ziemlich egal. Ich finde es nicht verkehrt.