Autor Thema: [Fiasco] 55 Gallonen Heizöl - Coen Brothers meets Bollywood  (Gelesen 1735 mal)

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Offline Fredi der Elch

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Das Jahr der Techniken schreitet voran und es wird endlich Zeit für mich, mein erstes Actual Play in diesem Rahmen zu beschreiben. Und da alle Fiasco spielen und darüber reden, wollte ich mir das auch nicht nehmen lassen. ;D

Wir haben in unserer neuen Indy-Testrunde über TeamSpeak gespielt. Mit dabei waren neben mir das Bad Horse und der Tele-Chinese. Ich hoffe, die beiden melden sich, wenn ich unser Fiasco nicht mehr richtig zusammenkriege...

Ausgangssituation

Die Erschaffung der Charaktere und der Ausgangssituation mit dem Playset Suburbia lief sehr flüssig und machte allen echt Spaß. Zur Unterstützung verwendeten wir MapTool, um eine visuelle Spielfläche zu haben, auf der alle die verbleibenden Würfel und die bereits entstandenen Beziehungen sehen konnten. So entstand ein Dreieck von einer indischen Frauenärztin, die ihren Patientinnen unter der Hand lecker Prozac verkauft, ihrem Cousin, der mit geklautem Heizöl reich werden will und dem Liebhaber der Cousins, der für die Ärztin an der Schule Pilen vertickt. Das Ganovenpaar hatte schon seit längerem den Plan, mit dem Drogengeld der Ärztin abzuhauen und so reich zu werden.

Mir persönlich hat der Erschaffungs-Teil von Fiasco sehr viel Spaß gemacht - um ehrlich zu sein sogar mehr als der Spiel-Teil später. Die Tatsache, dass man nicht immer alle Optionen auswählen kann, lässt einen nachdenken und mit den anderen Spielern darüber grübeln, wie die Beziehungen aussehen könnten. Man tauscht sich aus und bleibt nicht so oft irgendwo im kreativen Prozess hängen, da die Würfel ja gewisse Möglichkeiten vorgeben bzw. ausschließen. Auch die Idee, dass man eine Beziehung nie alleine definieren kann, sondern (fast) immer zwei Spieler daran beteiligt sind, macht die Erschaffung etwas dynamischer und stellt sicher, dass jeder Spieler  gleicheraßen involviert ist. Insgesamt ein wunderbares System, das dieser Erschaffungsphase kreativen Input und eine gewisse Struktur gibt, die bei vielen anderen Spielen fehlen. Es hat mir so gut gefallen, dass ich fast schon am überlegen bin, wie man so etwas für PtA umsetzen könnte...

Akt eins und zwei

In den beiden Akten wurde die Ärztin von Drogengangstern unter Druck gesetzt, Kokain zu verkaufen, der Cousin versuchte sein Heizöl loszuwerden, der Liebhaber wollte das Geld stehlen, ein Nachbar kam hinter dieMachenschaften, der Cousin wurde übel zugerichtet, der Liebhaber zu einem seelischen Wrack und die Ärztin verbrannte in ihrer Praxis, nachdem sie die Drogenmafia nicht bezahlen konnte und diese das frisch erworbene Heizöl als Brandbeschleuniger einsetzte. Insgesamt ein schönes Fiasco. ;D

Insgesamt hatten wir mit dem "Ausspielen" der Ausgangssituation viel Spaß. Aber obwohl es Nörgeln auf hohem Niveau ist, hatte ich dennoch so meine Probleme mit der Umsetzung. Mir fehlte es etwas an Struktur im Spielablauf, der doch eher freeformig angelegt ist. Denn die Mechanik unterstützt einen beim Spiel eigentlich gar nicht. Auch die Charaktere blieben auf Grund schwammiger Motivation und der kurzen Spielzeit eher flach und eindimensional. Mir war die ganze Sache teilweise etwas unklar und ich hatte das Gefühl zu "schwimmen".

Dennoch (und das ist das tolle) weiß man immer so in etwa, in welche Richtung es weitergeht und das liegt (denke ich) an der Tatsache, dass jeder das Genre ziemlich gut kennt. Und im Zweifelsfall heißt das: eskalieren! >;D

Was mir auch nicht so gut gefallen hat, ist die Aftermath-Mechanik. Irgendwie fühlte es sich hölzern an, die Würfel zu nehmen und immer so einen komischen Satz dazu zu sagen. Hier wäre es schöner gewesen, wenn jeder Spieler kurz das Ende seines Charakter hätte erzählen können.

Auch haben wir die "taktische" Komponente Würfel einer Farbe zu sammeln, diesmal (im Gegensatz zu meiner ersten Runde) völlig ignoriert. Und das war auch gut so, denn das Spiel lief viel lockerer und mehr an der Fiktion orientiert und nicht so sehr am "gewinnen" wollen. Hier sollte der Regeltext den kompetitiven Subtext streichen und gleich klarer machen, dass das kein günstiges Vorgehen ist. Auch die Verknüpfung des Aftermath mit den gesammelten Würfeln hatte für mich keinen positiven Efekt auf das Spielerlebnis - hier würde es ein völlig zufälliges Aftermath auch tun (und genauso ins Genre passen).

Fazit

Fiasco tut, was es tun soll: es simuliert das Genre der "Fiascofilme", ist schnell, lustig, unterhaltsam, geht wunderbar als Oneshot in wenigen Stunden. Was anderes will es nicht und kann es (würde ich sagen) auch nicht. Es hat ein paar kleine Macken, die sich aber entweder schnell hausregeln lassen oder aber gar nicht so sehr ins Gewicht fallen. Insgesamt ein nettes Spiel, in dem sich der "Diamant" der Erschaffungsregeln und Playsets versteckt.

Edit h ;) ;D
« Letzte Änderung: 24.01.2011 | 22:35 von Fredi der Elch »
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Offline Bad Horse

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Ja, das war eine witzige Runde. Und wie Fredi sagt - das Erschaffen des Setups hat mehr Spaß gemacht als das Ausspielen.

Wobei das - meiner Meinung nach - weniger am System liegt. Es war mein drittes Fiasco, und in den beiden anderen Runden (immer mit vier Spielern) hatten wir mehr Zeit in den einzelnen Szenen, um die Charaktere kennen zu lernen. Es wurde nicht so sehr auf das Ende der Szene zugespielt, als vielmehr geschaut, wie sich die Szene entwickelt.

Klar, irgendwann muss man mal zum Ende drängen, sonst zieht sich das, aber ich glaube, wir haben zu viel Zeit auf der Metaebene verbracht und zu wenig damit, die Charaktere tatsächlich zu spielen. Wenn ich ein Alices großartiges Heulkonzert bei unserem Weihnachtsfiasco denke, oder an die fiese Predigt des Weihnachtsmanns über Weltfrieden, als ich ihn erschießen wollte, dann hat bei dieser Runde eindeutig das Charakterspiel gefehlt. Das liegt aber wohl weniger am System.

Alles in allem hatten wir entweder zu wenig (wir waren nur drei Spieler) oder zu kurze Szenen (wir waren in ca. 1,5h fertig).
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Offline Gorbag

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Schöner Bericht, ist mal eine Vergleichsmöglichkeit mit meiner einzigen Runde Fiasco.

Wenn ihr 1,5 Stunden gebraucht habt, wart ihr wirklich ziemlich fix, zumindestens gemessen an der einen Fiasco Runde die ich erleben durfte. Da haben wir etwas über 3 Stunden mit 4 Systemeinsteigern gespielt und mussten gegen Ende schon hetzen. Ich hatte auch bei uns nicht das Gefühl das die Charaktere zu flach wirkten, wobei wir bei unseren Eskalationen eigentlich sehr oft auf der emotionalen Ebene der Charaktere eskaliert haben. Vielleicht liegt es daran. Ich würde jedenfalls sagen das wir so 60-70% der Konflikte mit deutlich emotionaler Komponente hatten.

Strategisches Würfelsammeln hat sich bei uns auch nicht bewährt. Eigentlich kann man auch einfach si 3W6 auf ner Tabelle werfen auf der steht wies ausgeht. Den Unterschied würde man denke ich nicht merken. Sie liefert eigentlich nur noch den letzten Aufhhänger für das Autro des Charakters.

Aus Zeitmangel haben wir auch nicht jeden Würfel einzeln aufgelöst, sondern jeder hat eine kleine Geschichte erzählt, wie es mit seinem Chara zu ende geht. War eigentlich relativ stimmig.

Offline Bad Horse

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Okay, 1,5h war reine Spielzeit ohne das Set-up.  :) Aber mit Geblubber.
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Offline Gorbag

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Ich denke bei uns ging eine Stunde ab für Erklärungen und Setup daruf. Von daher sind wir dann doch ziemlich ähnlich in der Gesamtzeit.

Offline Fredi der Elch

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Wobei das - meiner Meinung nach - weniger am System liegt. Es war mein drittes Fiasco, und in den beiden anderen Runden (immer mit vier Spielern) hatten wir mehr Zeit in den einzelnen Szenen, um die Charaktere kennen zu lernen.
Natürlich hat bei unserer Runde auch das Medium eine Rolle gespielt: Online-Spiel animiert nicht besonders zu großem Ausspielen der Charaktere. Insofern könnte das auch etwas damit zu tun gehabt haben.

Dennoch ging es mir auch bei meiner face-to-face Runde so, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich so richtig in den Charakter hineinzufinden. Man weiß am Anfang doch recht wenig über den Charakter und bevor man sich richtig eingedacht hat, ist es schon wieder vorbei. ;) Vielleicht bin ich auch einfach zu "Method Actor" dafür, aber ich wusste einfach nicht, wer mein Charakter ist und was er will (und vor allem warum). Was ist meine Motivation?!?!? *Arme in die Höhe reiß* *seufz* Ich kann so nicht arbeiten! ;D

Ob man das nun als ein Problem des Systems bezeichnen kann oder ob ich nur ein Problem mit dem System habe, sei mal dahingestellt. Aber natürlich ist das System schuld. ;D

Ich denke, was man sagen kann, ist, dass der Fokus bei Fiasco auf dem namensgebenden Fiasco liegt und nicht so sehr auf den tiefer liegenden Motivationen und der Entwicklung der Charaktere. Das kann alles im Rahmen der Geschichte passieren, man muss es aber selber (im Freeformbereich) machen. Das läuft eben bei PtA anders, wo der Fokus einen  über die Issue fast schon zur Entwicklung zwingt und die Motivation klarer ist - man dafür aber Action und Screwball selber machen muss.

Das war so meine Zielrichtung: Fiasco macht Fiascos gut, aber  es wird jetzt nicht mein Lieblingsspiel, wenn es um Charakter-Drama geht. Und da ich Drama irgendwie sehr gerne mag, bleibt Fiasco für mich eher was für Zwischendurch.
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Offline Jiba

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Das läuft eben bei PtA anders, wo der Fokus einen  über die Issue fast schon zur Entwicklung zwingt und die Motivation klarer ist - man dafür aber Action und Screwball selber machen muss.

Das war so meine Zielrichtung: Fiasco macht Fiascos gut, aber  es wird jetzt nicht mein Lieblingsspiel, wenn es um Charakter-Drama geht. Und da ich Drama irgendwie sehr gerne mag, bleibt Fiasco für mich eher was für Zwischendurch.

Hättest du denn einen Vorschlag, wie man das Verbinden kann? Ich hatte bei Fiasco auch den Eindruck, dass die Einfühlung in die Charaktere oberflächlich bleibt... ich frage mich, ob es vielleicht sinnvoll ist, dass jede Beziehung einen Need kriegt (damit jedem klar ist, wer was will) und dann Objekte und Lokationen dazukommen, aber wahrscheinlich überlädt das das Spiel und schränkt die Kreativität ein. Ich glaube das wirklich Gute an Fiasco ist die Struktur mit Tilt, Setup, Aftermath, etc... und es wäre interessant zu überlegen, ob es bei PtA was bringt, eine Folge vorzustrukturieren und dann die Szenen reihum zu spielen. So hätte jede Folge auch dieselbe Anzahl an Szenen, also auch in etwa dieselbe Länge, was ja die Fernsehserienimmersion unterstützt. Für ein PtA-Setup am Anfang könnte ich mir vorstellen, dass man möglicherweise Genrelisten oder Standartsituationslisten aus Fernsehserien hat, die dann kombinierbar sind... das müsste man mal ausprobieren. Das Setup für eine neue Folge könnte man tatsächlich nach der Spielsitzung VOR der Vorschau machen und so die Vorschau auf Basis des Setups erzählen. Nur ein paar ungeordnete Gedanken dazu.
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline Fredi der Elch

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Hättest du denn einen Vorschlag, wie man das Verbinden kann?
So wirklich weiß ich das auch nicht. Ich weiß auch gar nicht, ob allzu große Charakter"tiefe" bei Fiasco wirklich gewollt und wünschenswert ist. Schließlich lebt das Genre ja auch in erster Linie von den irren Situationen, den skurrilen Wendungen usw. und nicht so sehr vom Tiefgang der Charaktere. Es ist eben kein klassisches Drama - will es ja aber auch nicht sein.

Zitat
Ich glaube das wirklich Gute an Fiasco ist die Struktur mit Tilt, Setup, Aftermath, etc...
Denke ich auch. Ich werde dazu demnächst mal einen Theorie-Thread aufmachen. Wenn ich dazu komme. ;)

Zitat
Für ein PtA-Setup am Anfang könnte ich mir vorstellen, dass man möglicherweise Genrelisten oder Standartsituationslisten aus Fernsehserien hat, die dann kombinierbar sind...
Irgendwas mit Playsets könnte ich mir auch vorstellen. Einen konkreten Vorschlag habe ich im Moment aber auch nicht. Es müssten ja Personen, aber auch Beziehubgen vorkommen. Und was ist mit den Issues? *grübel*

Eine ganz feste Szenenstruktur würde, glaube ich, nicht so gut passen. Aber ein Tilt nachdem den Producer die Hälfte seines Budgets aufgebraucht hat oder sowas - das klingt irgendweie spannend. :)

Mal sehen, vielleicht probiere ich sowas mal aus, wenn ich das nächste Mal PtA spiele. :)
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Zitat von: 1of3
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