Rekapitulation: Wir kennen die Basisregeln (Proben, vergleichende Proben, Probenketten, Attribute, die Steigerungsmechanik, Überzeugungen, Instinkte, Eigenheiten [Traits], und Artha). An dieser Stelle empfiehlt der Autor, sich Charaktere zu bauen und loszuspielen.
Ein Nachtrag: Die Steigerungsregeln bieten auch noch die Möglichkeit, sich die fehlenden Proben die man zur Steigerung braucht durch Training dazuzuverdienen. Das ist eine nette Variante die es erlaubt, längere Auszeiten sinnvoll zu füllen und das Gefühl von Fortschritt zu vermitteln.
Also greife ich mir den Character Burner und fange an zu lesen. Die ca. 35 Seiten Beschreibung der Charaktererschaffung setzen einen Trend, dem wir später wieder begegnen werden (ich habe schon ein bißchen vorgelesen, um *etwas* Kontext zu haben): Hinter einer zunächst einfach und flüssig erscheinenden Methode verbirgt sich ein Haufen kleiner Details, die den gesamten Ablauf der Charaktererschaffung zu einem organischen, durchaus komplexen Gebilde machen. Im Buch selbst steht, dass es sich im Grunde um ein Point-Buy System handelt, aber das ist nicht durchgängig so: Für die Bestimmung einiger Werte, z.B. Gesundheit [Health], muss man auch Fragen zur Vergangenheit beantworten können (zum Beispiel
Lebt der Charakter in Armut und Dreck? oder
Ist der Charakter körperlich aktiv oder sportlich?. Diese Fragen sind aber gerade nicht alle frei zu beantworten, sondern hängen zum Teil von den gewählten Lebensabschnitten ab; in anderen Fällen ist der Wert in anderen Attributen ausschlaggebend dafür ob die Antwort einen Bonus oder Abzug gibt … es gibt also einen Haufen interner Abhängigkeiten, die schon schwer zu überblicken sind. Wer mit allzu genauen Vorstellungen zu seinem Charakter an die Erschaffung geht, wird womöglich enttäuscht werden.
Dass die 12 Schritte der Charaktererschaffung
✝ damit abgerundet werden, dass man den Spielern nahelegt, das
Charaktererschaffungs-Arbeitsblatt zu verwenden, spricht wieder für die Menge Crunch, der man begegnet. Der Autor verspricht seinen Lesern, dass die Charaktere bereits zu Beginn des Spiels Ecken und Kanten (oder Narben und Blessuren) haben, die sie interessant machen. Ich bin eher ein Fan davon, dass Charaktere sich im Spiel ihr Profil erarbeiten, aber ehrlicherweise muss ich einräumen, dass Burning Wheel hier über die Anzahl der abgeleisteten Lebensabschnitte eine Stellschraube zur Verfügung stellt, die ewiger Bastelei und Durchoptimiererei einen Riegel vorschiebt. Die Einschätzung, dass man beim ersten Mal 45min bis eine Stunde für die Charaktererschaffung braucht, scheint mir aber doch sehr optimistisch.
Die Life Path-Erschaffung ist in "Stock" (Dwarves, Elves, Man, Orc) und jeweilige Settings untergliedert. Diese sind in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt, was dann doch etwas konsterniert, wenn bei den Menschen steht, dass sie quasi die Vergleichslinie darstellen sollen. Solche Fehler im Aufbau eines Gebrauchstextes ärgern mich immer ein bißchen, weil ich eben
auch in der Lage sein möchte, ihn von vorne bis hinten durchzulesen, ohne mich zu wundern, was diese seltsame Abkürzung bedeuten soll, oder mich zu fragen, was ein bestimmter Wert denn nun bedeutet. Hier wäre bei einer kompletten Neuüberarbeitung des Character Burners noch was rauszuholen.
Die Lebensabschnitte sind in
Settings und
Subsettings gegliedert. Settings sind solche, in die man geboren werden kann, z.B.
Zwergischer Adel bei den Zwergen oder
Seefahrer bei den Menschen. Für jeden einzelnen Abschnitt bekommt man Punkte für Eigenheiten und Fertigkeiten, von denen einige für Pflicht-Eigenheiten und -Fertigkeiten ausgegeben werden müssen. Man kann Abschnitte (mit stetig minderem Nutzen wiederholen) und in seinem Setting frei andere Abschnitte einschlagen. Bestimmte Abschnitte erlauben es, in ein anderes (Sub)-Setting zu wechseln, zum Beispiel von der Zwergen-Armee in den Adel oder in die Verbannung. Andere Abschnitte haben Vorbedingungen die erfüllt werden müssen (man kann z.B. nicht im zweiten Abschnitt Bischof werden, sondern muss eine Kirchenkarriere durchlaufen).
Auch hier wieder: Ein im Grunde einfaches System (such Dir Lebensabschnitte aus, zähl die Punkte zusammen und gib sie aus) wird durch Vorbedingungen und Nachbedingungen (Hier nur hin, wenn X erfüllt ist, nur von hier geht es weiter zu Y,Z) angereichert und aus einer im Grunde schlichten und eleganten Idee wird ein etwas kantiger Mechanismus, mit dem man sich beschäftigen muss, vor allem wenn man ein klares Konzept im Kopf hat.
Natürlich kann man sich auch von den Listen der Lebensabschnitte und ihren Namen inspirieren lassen und einfach drauf los
burnen. Gerade für Leute, die das System erst kennenlernen, ist das wahrscheinlich die beste Variante, um zu sehen, wie das System funktioniert; und später kann man dann entweder neue Charaktere bauen oder warten, bis mal einer länger ausscheidet (was wegen der Verwundungsmechanik durchaus passieren kann … doch ich greife voraus).
Die verschiedenen Settings und Lebensabschnitte zeichnen ein grobes Bild der Kulturen und Gesellschaften, die in einer typischen Burning-Wheel-Welt vorkommen. Die Inspiration ist deutlich Tolkien's Mittelerde und Ursula K. Le Guins Erdsee. Erfrischend finde ich, dass explizit nicht auf Balance geachtet wird, sondern auf die Emulation des Genres. Elfen sind mit den gleichen Lebensabschnitten mächtiger und fähiger als Menschen oder Zwerge, und das wird auch gutgeheissen. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass die klassische Rollenspielgruppe mit einem Elfen, einem Zwerg und zwei Menschen, die zur Hälfte aus Magiern bestehen, nicht unbedingt die Beste Zusammensetzung ist (was aber durch Spielerfahrung, also bessere Regelkenntnis auszugleichen wäre).
Die Settings und Subsettings sind dementsprechend wenig überraschend sondern entsprechen im Allgemeinen den bekannten Clichés zu Zwergen, Elfen, Menschen und Orks. Was hier noch bemerkenswert ist: Zwerge und Elfen kennen keine
Spruchmagier, dafür haben sie bestimmte Fertigkeiten die wie
natürliche Magie zu verstehen sind – diese Fertigkeiten werden etwas anders gewürfelt und ermöglichen hin und wieder erstaunliche Ergebnisse. Was die Klischees der verschiedenen Rassen noch unterstreicht, sind die
emotional attributes, die ihnen zugeordnet werden: Gier, Trauer, Glaube und Hass für Zwerge, Elfen, Menschen und Orks.
Was kann man mit diesen Attributen machen? Ohne zuviel zu verraten: Zum einen muss man auf diese Attribute unter bestimmten Bedingungen Proben ablegen, was dazu führen kann, dass der Wert des Attributs steigt. Beispielsweise müssen Elfen würfeln, wenn sie belogen werden; Zwerge wenn sie etwas Schönes sehen; Orks bei allen möglichen Gewalttaten. Menschen hingegen setzen ihren Glauben immer bewußt ein — ich bin mir noch nicht sicher, ob ich diese Dichotomie schätze, aber ein bißchen scheint mir da doch der Balancing-Gedanke reinzuspielen.
Diese
Grundthemen geben nochmals einen Ansatz für das Spiel mit, um und gegen Clichés zu spielen, aber sie stecken auch handfeste Grenzen – Zwerge, deren Greed (zu gleichen Teilen Gier und Geiz) zu stark wird schliessen sich in ihren Zitadellen ein, Elfen die von ihrer Trauer überwältigt werden ziehen gen Westen oder siechen dahin, Menschen gehen in das Paradies ihres Gottes ein und Orks sterben in einer Orgie der Gewalt oder werden katatonisch.
Auch hier wieder eine kleine Anmerkung zum Aufbau: Während die emotionalen Attribute der Elfen, Zwerge und Orks im Character Burner beschrieben werden, wird auf Faith im Regelwerk im Abschnitt mit den ganzen Subsystemen eingegangen. Ich hab mich zuerst gewundert, dass Faith gar nicht so beschrieben wird wie die anderen emotional attributes, aber dann doch nochmal die Inhaltsverzeichnisse bemüht. Dafür beinhaltet der Character Burner die
natürliche Magie der Elfen und Zwerge, sowie die Zaubersprüche der Menschen und die Rituale der Orks – so ganz konsequent scheint mir die Aufteilung nicht zu sein, insbesondere weil man die Regeln für Zauberei wieder als optionale Regel im Regelbuch findet und bei den Orks auf Regeln verwiesen wird, die man auf der Burning runterladen können soll — allerdings sind sie heute im Magic Burner enthalten, und das
Abstraction PDF ist nicht mehr erhältlich. Ähnliches gilt für die Regeln zum Beschwören – das 60seitige PDF findet man per Google noch auf der Burning Wheel Seite, aber eigentlich steht die aktuelle Fassung im Magic Burner. Dass andere Teile des Magic Burners, die nicht im Character Burner referenziert werden, weiterhin als PDF erhältlich sind, wundert mich dann doch.
✝✝
Bevor ich mich den weiteren Subsystemen im Regelwerk zuwende, werde ich diese Reihe mit zwei oder drei Beispielcharakteren fortsetzen, um der werten Leserschaft mehr als nur meine Ausführungen zu präsentieren. Ich werde die Uhr stellen und schauen, wie lange ich brauche. Wenn jemand eine Idee zu einem Charakterkonzept hat (Standard-Fantasy, EDO, alles ist erlaubt, bitte nicht mehr als 15 Worte), kann ich das ja versuchen umzusetzen.
✝: Konzept; Lebensabschnitte; Alter [bestimmt die Punkte, die man auf Stats verteilen darf], Stats; Attribute [von den Stats und den Fragenkatalogen abgeleitete Werte]; Fertigkeiten; Eigenschaften; Kontakte, Ausrüstung und Magie; Ressourcen; körperliche Widerstandskraft; Überzeugungen und Instinkte
✝✝: Luke Crane ist standfest in seiner Haltung, dass es keine PDFs geben wird, solange die Druckfassung von Burning Wheel erhältlich ist. Ich persönlich finde das äusserst ärgerlich, da die Reihe von einer volltextindizierten digitalen Ausgabe sehr profitieren würde.