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MIDGARD: Unentschlossen, aber nicht unrettbar verloren

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Belchion:
Gerade erst habe ich wieder im MIDGARD-Forum die sarkastische Forderung gelesen, MIDGARD müsse durch Savage Worlds oder Fate ersetzt werden, wenn man etwas verbessern will. Ich habe da teilweise das Gefühl, die Schreiber haben Angst davor, sich den Fehlern in ihrem Regelwerk zu stellen, weil sie nicht glauben, dass diese behoben werden könnten.

Dabei hat das Regelwerk von MIDGARD deutliche Schwächen, GURPS, Fate oder Savage Worlds sind tatsächlich deutlich besser. Das ist sehr schade, denn die Frankes hängen sich wirklich in das Spiel rein und schreiben die mit Abstand besten Einsteigerprodukte, die in Deutschland verfügbar sind – Runenklingen und Das Abenteuer beginnt sind in dieser Hinsicht wirklich exzellent.

Dabei ist MIDGARD an sich keinesfalls schlecht, sondern weiß einfach nicht, was es will. Während Savage Worlds ein Sportflitzer ist, GURPS ein Transporter und Fate ein Cadillac, macht MIDGARD auf mich immer den Eindruck eines Oldtimers, an den planlos Heckspoiler, Kufen, ein Propeller und ein Amphibienmodul angebaut wurden.

So werden in Quellenbüchern ständig obskure regionale Fertigkeiten hinzugefügt; differenzierte Fertigkeiten für typische Situationen im Dungeon (Fallen entdecken, Fallenmechanik, Geheimmechanismen öffnen) stehen so neben spezialisierten kulturellen Fertigkeiten wie „Brettspiele“, „Schlittenfahren“ oder „Teezeremonie“. Hier sieht man deutlich, dass das Spiel einmal damit begann, durch Dungeons zu krauchen, später aber seinen Fokus verlor. Gleichzeitig werden auf diese Weise allgemeine Fertigkeiten wie Landeskunde oder Überleben beständig weiter entleert.

Auch ansonsten gibt es viele Fertigkeiten, die sich nur selten einsetzen lassen, so ist etwa der berittene Kampf in vier oder fünf Fertigkeiten aufgespalten (für unterschiedliche Reittiere und jeweils Nah- und Fernkampf), Reiten muss natürlich pro Tier extra gelernt werden, es gibt Schießen vom Streitwagen, Kampf vom Streitwagen, Streitwagen lenken und Wagen lenken, Kampftaktik, Katapult bedienen, Kampf in Schlachtreihe, Kampf in Vollrüstung. Für ein militärisches Rollenspiel wäre das sicher wichtige Fertigkeiten, aber MIDGARD ist nicht auf militärisches Rollenspiel ausgelegt. Es gibt auch dutzende von Fertigkeiten für unbewaffneten Kampf, vom Allerweltstalent Raufen über den Waffenlosen Kampf bis hin zu den pseudo-magischen KiDo-Techniken.

Gleichzeitig gibt es eine Klasseninflation, wobei sich die Klassen oftmals nur in Details unterscheiden. So sind Söldner, Krieger und Ritter abgesehen von den Lernkosten für ein oder zwei Fertigkeiten identisch.  (Von den regionalen Zauberer- und Zauberkämpfer-Typen will ich gar nicht anfangen). Die Klasseninflation ist auch wieder der Unentschlossenheit MIDGARDs geschuldet: Einerseits will es ein generisches System sein, gleichzeitig aber auch perfekt auf die midgardischen Kulturen abgestimmte Klassen bieten. Dabei wäre es aufgrund des Fertigkeitenkaufsystems eigentlich problemlos möglich, eine SpF innerhalb eines breiteren Abenteurertypus einer Kultur anzupassen.

Das derzeitige Erschaffungssystem ist aber auch in sich widersprüchlich: So stehen extrem zufällige Elemente (Auswürfeln der Eigenschaftswerte, der Händigkeit und der Lernpunkte) neben Wahlmöglichkeiten (Kauf der Startfertigkeiten), die zur Optimierung einladen.

Da Eigenschaften und Fertigkeiten zu allem Überfluss noch unterschiedlichen Skalen verwenden (W100 und W20), was Vergleiche zwischen Prüfwürfen (auf Eigenschaften) und Widerstands- oder Erfolgswürfen (auf Fertigkeiten) erschwert.

Ich glaube, MIDGARD könnte wirklich ein tolles Spiel sein, wenn es sich entscheidet, was es sein möchte. Meines Erachtens nach ist das vorrangige Zielt von MIDGARD, SpF zu erschaffen, die gut in eine Kultur eingebettet sind, aber dennoch auf Abenteuer ausziehen. Entsprechend sollte die Charaktererschaffung überarbeitet werden, der Zufallsfaktor sollte bleiben, aber weniger Einfluss auf die Stärke und Möglichkeiten der SpF haben – möglich wäre z.B. ein Lebenslauf-System, wie die alten RuneQuest-Versionen es boten.

Sowohl Fertigkeiten als auch Klassen sollten entschlackt werden, bestimmte Fertigkeiten sollten zu Spezialisierungen umgewandelt werden, die lediglich einen Bonus auf die allgemeinere Fertigkeit gewähren, z.B. Skifahren und Schlittenfahren als Spezialisierung für Überleben (Schnee) oder Kampf in Dunkelheit als Ausgleich für einen Malus durch schlechte Sicht anstatt als eigenständige Fertigkeit.

Die derzeitigen extremen Abhängigkeiten sollten verringert werden, damit Einsteiger nicht das komplette Regelwerk durchdringen müssen, bevor sie losspielen können. MIDGARD bietet sich vom Aufbau her ja eigentlich für einen modularen Aufbau an, der eine schrittweise eingeführte Regeltiefe erlaubt. (Im Grunde wird mit Runenklingen ja genau das versucht, aber beim Umstieg auf DFR hapert es derzeit noch).

Dirk Remmecke:
Als langjähriger (und mit der 4. Edition abgesprungener) Midgard-SL kann ich nur sagen:

Volle Zustimmung, in allen Punkten.

Ich befürchte aber, dass Midgard unrettbar verloren ist, denn Dungeonslayers füllt in der Zwischenzeit die Nische perfekt aus, die einst von Midgard (besonders 2. Edition) gefüllt wurde: ein kompaktes Ein-Buch-System mit eingängigen Regeln, die eine vernünftige Mischung aus Klassen und Skills bieten und für abenteuerliche pseudo-Tolkien/pseudo-Artus-Ritterfilm-Fantasy ausgelegt sind.
Das einzige, worin Midgard immer glänzend und besser war, sind in der Tat die Einsteigerboxen gewesen, und hier die von Klee noch mehr als die von Pegasus. (Zu Runenklingen habe ich noch keine abschließende Meinung.)

Aber auch zu dem Thema wird Dungeonslayers noch seine Stimme erheben...

Und das einzige, was Dungeonslayers mittelfristig im Weg steht, ist sein gar zu parodistischer Titel.

Boba Fett:

--- Zitat von: Belchion am 23.02.2011 | 15:18 ---Ich habe da teilweise das Gefühl, die Schreiber haben Angst davor, sich den Fehlern in ihrem Regelwerk zu stellen, weil sie nicht glauben, dass diese behoben werden könnten.
--- Ende Zitat ---

Die Einarbeitung in ein Regelwerk bedeutet "Arbeit".
Die Einarbeitung in ein unintuitives Regelwerk, dessen Kompliziertheit keinen Mehrwert im Spiel mit sich bringt, ist "mühselig".

Letztendlich hält das alle potentiell interessierten Rollenspieler ab, sich mit Midgard zu beschäftigen.
Die Abenteuer und die liebevoll gepflegte Spielwelt sind in ihrer Qualität unbestritten.

Aber auch bei der Spielwelt zeigt sich in der Tatsache, dass es eigentlich kein wirkliches zentrales Werk als "Settingbeschreibung" gibt, dass eines leider nicht wirklich die Stärke der Frankes ist: Struktur
Und das ist auch das Problem mit dem Regelwerk...


--- Zitat ---Dabei hat das Regelwerk von MIDGARD deutliche Schwächen, GURPS, Fate oder Savage Worlds sind tatsächlich deutlich besser.
Das ist sehr schade, denn die Frankes hängen sich wirklich in das Spiel rein und schreiben die mit Abstand besten Einsteigerprodukte, die in Deutschland verfügbar sind...

Dabei ist MIDGARD an sich keinesfalls schlecht, sondern weiß einfach nicht, was es will.
...
Ich glaube, MIDGARD könnte wirklich ein tolles Spiel sein, wenn es sich entscheidet, was es sein möchte.
Meines Erachtens nach ist das vorrangige Zielt von MIDGARD, SpF zu erschaffen, die gut in eine Kultur eingebettet sind, aber dennoch auf Abenteuer ausziehen. Entsprechend sollte ...

--- Ende Zitat ---
Kurz gesagt:
Das Regelwerk müsste verschlankt, entschlackt und in eine gute und intuitive Struktur gebracht werden.
Ausserdem müsste man es zielorientiert für eine bestimmte Aufgabe designen.
Wenn es dann noch eine gute Weltbeschreibung - ebenfalls in gut strukturierter Form gäbe, wäre Midgard sicherlich eine Option für sehr sehr viele Spieler.

Leider scheint es von Seiten der Frankes kein Interesse in diese Richtung zu geben.
Die werkeln weiter, basteln am Spoiler oder an den Zierleisten und merken gar nicht, dass nur noch sehr wenige Liebhaber begeistert hinschauen, während die meisten keinen Zugang zu ihrem Schatz mehr finden...

Jiba:
Was ist den mit dem Setting... darüber hat noch niemand an dieser Stelle gesprochen. Oder taugt das auch nichts?  wtf?

evil bibu:
die settings (kan thai pan, waeland usw.) sind in ordnung, wobei sie an sich statisch sind. es also keinen plot oder so gibt. ich habe es mal so im kopf.

ansonsten stimme ich dirk remmeke vorbehaltlos zu.

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