Autor Thema: Die Zuschauerrolle des Spielers  (Gelesen 5171 mal)

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Offline Kriegsklinge

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Re: Die Zuschauerrolle des Spielers
« Antwort #25 am: 9.11.2011 | 11:23 »
Ha, ich habe gerade in einem ganz anderen Zusammenhang etwas gepostet, das mir auch zu diesem Thema zu passen scheint, nämlich hier:

http://www.indie-rpgs.com/forge/index.php?topic=32392.msg289303#msg289303

Kurz gesagt geht es um die Frage, ob der SL für das "Pacing" verantwortlich sei, also das Überblenden zu Szenen und Spielinhalten, die das meiste Spannungspotential haben. Der Threadersteller im oben verlinkten Beitrag empfindet es als Entlastung, dies nicht mehr tun zu müssen, ich halte verwundert dagegen, dass es doch gerade für mich als SL langweilig sei, wenn die Spieler zwar ihrem freien Willen folgen, aber nur total öde Sachen machen. Als Beispiel nenne ich Einkaufen oder nicht-handlungstragende Reisen.

Obwohl es keine großartige Erkenntnis ist, habe ich beim Schreiben dieses Beitrags zum ersten Mal gemerkt, dass dieses Merkmal meiner Spielleitung ganz direkt mit der Zuschauerrolle zu tun hat. Ich möchte am liebsten was zum Spiel beitragen, Inhalte einbringen, die von anderen aufgenommen und weiterverarbeitet werden. Am zweitliebsten möchte ich aber als SL den Spielern wenigstens bei interessanten Sachen zugucken und nicht bei total ödem Kram. Ich habe mir da immer ein bisschen selbst in die Tasche gelogen und behauptet, dass ich das nur für die Spieler tue, damit die auch mal was Interessantes machen, die Armen. Ehrlicherweise hat das aber mehr mit mir zu tun: Ich will an Stellen, wo die Spieler mich gut unterhalten können. Nun gibt es aber eine ganze Reihe Sachen, die für Spieler durchaus unterhaltsam sein können, mich als SL aber super langweilen.

Beispiel Planung: Spieler können endlos und anscheinend auch ganz angeregt darüber debattieren, welche Strategie sie beim Einbruch, bei der Verhandlung, bei einem Kampf vielleicht möglicherweise verfolgen könnten. Und ich sitze dann immer da und denke: Boooring. Am liebsten möchte ich dann sagen: Macht doch einfach mal. Auch wenn es total schief geht, es ist immer noch spannender, als hier rumzusitzen.

Möglicherweise ist es aber nur für mich spannender. Denn wenn die Spieler nicht bereden, was sie eventuell machen könnten, fallen sie wieder in die Charakterrollle und performen ordentlich für mich. Außerdem ist es ungeplanter, ich bin als SL beim Zuschauen aufmerksamer, beteiligter, weil ich weiß, dass ich gleich reagieren muss. Wenn die Spieler hingegen schon im Vorhinein alles durchplanen, weiß ich als SL ja schon, was ungefähr läuft, bevor wir die Szene angefangen haben.

Dieser Wunsch, als SL gut unterhalten zu werden und als Zuschauer gepackt zu werden, weil ich weiß, dass ich auf das Dargebotene spontan reagieren muss, beeinflusst mein Rollenspiel viel, viel stärker, als ich bisher gedacht hätte:

Ich wähle keine Settings, die viel Planung provozieren (Shadowrun! D&D mit der TPK-Option!)
Ich vermeide Regeln, die aufwendige Charaktererschaffung betreiben (denn dann werden die Spieler die mühsam gebauten Tschars nicht in Gefahr bringen wollen und wieder viel planen) und/oder jede (Kampf-)handlung mit aufwendiger Ressourcenabwägung über viele miteinander gekoppelte Skills verbinden (Planung, Planung, Planung).
Ich setzte SL-Techniken ein, die direktes, spontanes Handeln der Spieler in der Charakterrolle ermutigen. Dazu zählt die Vermeidung von Railroading auf der eine Seite, auf der anderen Seite aber auch die Gewalt über das Scene Framing und das Pacing für mich zu beanspruchen.

Die für mich interessante Beobachtung ist a) dass die Zuschauerrolle für mich nur dann spannend ist, wenn sie die aktive Rolle antizipiert (es ist interessant, was die Anderen machen, weil ich gleich darauf reagieren muss) b) dass die Lust an gut anzuschauenden Inhalten mein Rollenspiel bis hin zur Spielwahl bestimmt (bloß nicht Shadowrun, da sitze ich als SL ja die ganze Zeit nur rum und hab nix zu gucken) vor allem aber c) dass ich das Spiel so zurechtbiege, dass möglichst viel für mich Interessantes dabei ist. Und dabei dachte ich immer, ich bin ein so selbstloser SL, dem es nur um die Spannung für die armen Spieler geht! Ts!

In einer größeren Perspektive scheint mir, dass im traditionellen Rollenspiel mit SL und Spielern Pacing und Scene Framing wahrscheinlich sehr oft Instrumente sind, um in der SL-Rolle als Mitspieler auf seine Kosten zu kommen. Und dass umgekehrt Dinge wie Ressourcenaufteilung und die damit verbundene Planung eine Art Pacing/Scence-Framing-Tool für die Spieler sind, denn der SL hat ja keine Charakterressourcen, und ist also bei diesen Spielanteilen an den Rand gedrängt.

Vielleicht ist das auch ein Grund für dysfunktionales oder wenig befriedigendes Spiel: Die Macht darüber, was man als Zuschauer erleben möchte, ist SL und Spielern in traditionellen Rollenspielen auf unterschiedlichen (und zwar auch nicht-gleichwertigen) Ebenen gegeben, der Macht, Handlungsrahmen zu geben, also die Interaktion der Spieler über die Charaktere mit der Spielwelt zu determinieren auf Seiten des SL, und der Macht, als Spieler mit den Ressourcen des eigenen Charakters und als Gruppe mit den geteilten Ressourcen umzugehen auf Seiten der Spieler. Vielleicht ist manches, was da nicht funktioniert, im Grunde ein unausgesprochenes Gerangel darum, wer wie und in welcher Rolle gesehen werden will/darf.

Keine ganz neue Erkenntnis, aber für mich interessant, das noch mal aus dem gedanklichen Ansatz der Zuschauerrolle aufzuziehen.
Und ihr musstet jetzt nur mitlesen, während ich mich produziert habe, ha  ;D

Offline Teylen

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Re: Die Zuschauerrolle des Spielers
« Antwort #26 am: 9.11.2011 | 11:44 »
Ich habe den Eindruck das die Zuschauerrolle auf dem Rueckzug ist.
Anstelle einfach da zu sitzen und das Spiel zu verfolgen, kann der Eindruck entstehen, das die Spieler ungluecklich werden wenn es keine NSCs zum uebernehmen gibt, nicht gleich eine zweite, parallele Session gemacht wird oder es zumindest moeglich ist kurz raus zugehen um zu rauchen oder zu quatschen.
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Re: Die Zuschauerrolle des Spielers
« Antwort #27 am: 9.11.2011 | 12:04 »
Ein Zeichen der kurzweiligen, schnellen, unkomplizierten und unselbstständigen Beschallungsgesellschaft?

Offline Gaukelmeister

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Re: Die Zuschauerrolle des Spielers
« Antwort #28 am: 9.11.2011 | 13:50 »
@ Kriegsklinge
Vielen Dank für deine ausführlichen Beobachtungen. Lass mich mal ein paar Sachen aufnehmen.

Die für mich interessante Beobachtung ist a) dass die Zuschauerrolle für mich nur dann spannend ist, wenn sie die aktive Rolle antizipiert (es ist interessant, was die Anderen machen, weil ich gleich darauf reagieren muss) b) dass die Lust an gut anzuschauenden Inhalten mein Rollenspiel bis hin zur Spielwahl bestimmt (bloß nicht Shadowrun, da sitze ich als SL ja die ganze Zeit nur rum und hab nix zu gucken) vor allem aber c) dass ich das Spiel so zurechtbiege, dass möglichst viel für mich Interessantes dabei ist. Und dabei dachte ich immer, ich bin ein so selbstloser SL, dem es nur um die Spannung für die armen Spieler geht! Ts!

Zu a) haben wir ja jetzt schon ein paar Sachen gehört. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die antizipierte Aktivität nicht alles ist, was das Zuschauen spannend macht (auch wenn das für dich so sein mag). Manche Spieler bleiben lieber passiv und lassen sich bespaßen. In solch einer Konstellation ist dann besonders wichtig, dass andere Spieler (meist der SL) gute Erzähler und/oder Performer sind. Je weniger wichtig mir das eigene Gestalten beim Rollenspiel ist, desto wichtiger ist es, von den anderen gut unterhalten zu werden. In solch einer Situation werden dann Kriterien für gute Unterhaltung wichtiger, die man bei ähnlichen Medien wie Film, Roman oder Theater anlegt. - Aber ich habe mich ja selbst auch schon geoutet: mir geht's in großem Maße auch immer um die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. (Dazu unten noch mehr.)


b) finde ich einen sehr wichtigen Punkt: man erhöht enorm seinen Spaßfaktor, wenn man weiß, was man sehen will und was nicht - und dementsprechend seine Runden auswählt.


Dass du dir, wie du unter c) angibst, das Spiel so zurechtbiegst, dass du unterhalten wirst, ist mMn eine äußerst gesunde Einstellung. In einer funktionierenden Runde führt das letztlich zu mehr Spielspaß für alle. In einer dysfuntionalen Runde, sollte man sowieso nicht spielen  :)

Vielleicht ist das auch ein Grund für dysfunktionales oder wenig befriedigendes Spiel: Die Macht darüber, was man als Zuschauer erleben möchte, ist SL und Spielern in traditionellen Rollenspielen auf unterschiedlichen (und zwar auch nicht-gleichwertigen) Ebenen gegeben, der Macht, Handlungsrahmen zu geben, also die Interaktion der Spieler über die Charaktere mit der Spielwelt zu determinieren auf Seiten des SL, und der Macht, als Spieler mit den Ressourcen des eigenen Charakters und als Gruppe mit den geteilten Ressourcen umzugehen auf Seiten der Spieler. Vielleicht ist manches, was da nicht funktioniert, im Grunde ein unausgesprochenes Gerangel darum, wer wie und in welcher Rolle gesehen werden will/darf.

Ich glaube zumindest, dass das ein wesentlicher Grund ist. Wenn bespielsweise eine SL eine bestimmte Handlung durchdrückt, weil sie bestimmte Dinge unbedingt sehen will (wie sich ihr schöner Plot entfaltet), dann nutzt sie ihre Macht, um die eigenen Zuschauerbedürfnisse zu befriedigen. Das kann dann auf Kosten der anderen Spieler geschehen, die gern etwas anderes sehen würden, aber keine Möglichkeit haben, das einzubringen. Als Spieler bin ich jedenfalls frustiert, wenn ich nicht mitentscheiden kann, welchen Gang die Fiktion nimmt. Im klassischen Spiel ist die Gefahr dafür besonders groß.


Noch einmal zum Punkt Zuschauen und Gestalten: wir haben jetzt einige Mal hervorgehoben, dass das Zuschauen beim Rollenspiel eine besondere Qualität dadurch bekommt, dass man das was man sieht als Anker fürs eigene Gestalten verstehen kann. Gleichzeitig kann ich durchs eigene Gestalten dafür sorgen, dass Dinge, die ich sehen will, auf die Bühne kommen. Eine Sache, die beim Rollenspiel besonders cool ist, ist, dass diese beiden Richtungen (vom Zuschauen zum Gestalten und vom Gestalten zum Zuschauen) dynamisch miteinander verschränkt sind: ich gestalte Dinge so, wie ich sie sehen will, um später weitere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben; und ich antizipiere beim Zuschauen meine Gestaltungsmöglichkeiten, die ich wiederum unter dem Gesichtspunkt bewerten kann, was ich zukünftig sehen möchte. - Ist schon ein cooles Hobby.
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Offline Foul Ole Ron

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Re: Die Zuschauerrolle des Spielers
« Antwort #29 am: 9.11.2011 | 15:41 »
Noch einmal zum Punkt Zuschauen und Gestalten: wir haben jetzt einige Mal hervorgehoben, dass das Zuschauen beim Rollenspiel eine besondere Qualität dadurch bekommt, dass man das was man sieht als Anker fürs eigene Gestalten verstehen kann. Gleichzeitig kann ich durchs eigene Gestalten dafür sorgen, dass Dinge, die ich sehen will, auf die Bühne kommen. Eine Sache, die beim Rollenspiel besonders cool ist, ist, dass diese beiden Richtungen (vom Zuschauen zum Gestalten und vom Gestalten zum Zuschauen) dynamisch miteinander verschränkt sind: ich gestalte Dinge so, wie ich sie sehen will, um später weitere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben; und ich antizipiere beim Zuschauen meine Gestaltungsmöglichkeiten, die ich wiederum unter dem Gesichtspunkt bewerten kann, was ich zukünftig sehen möchte. - Ist schon ein cooles Hobby.
Zusätzlich kann ich auch aktiv an den Zuschauerwünschen der anderen Spieler mitarbeiten. Durch das Zuschauen kann ich nicht nur eigene Gestaltungsmöglichkeiten antizipieren, sondern auch die Zuschauerwünsche der Mitspieler, und kann entsprechend darauf eingehen (oder auch nicht...). Stichworte "Mitspieler anspielen", "sich gegenseitig Bälle zuspielen" und "Spotlight für Personen oder Plots / Subplots verteilen". Damit verschränkt sich das Ganze noch mehr - nämlich innerhalb der gesamten Gruppe. Das schwingt in dem zitierten Abschnitt irgendwie mit, verdient aber mMn besondere Erwähnung.
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Re: Die Zuschauerrolle des Spielers
« Antwort #30 am: 9.11.2011 | 15:48 »
Zitat
@ Jörg
Ich bin mir unsicher, ob du nur betonen wolltest, was dir an der Zuschauerrolle besonders wichtig ist oder ob du darüber hinaus auch glaubst, ich würde das anders sehen. Letzteres wäre ein Missverständnis. Das Mitfiebern beim Würfelwurf gehört für mich zum Zuschauererlebnis dazu. Da stimme ich dir zu.

Ich glaube dich als Spieler ein wenig zu kennen und habe auch gesehen wie du mitfieberst. Also war ich schon der Meinung, dass du den Würfelwurf zum Zuschauererlebnis dazu zählst.

Ich wollte es bloß noch mal erwähnen, weil ich den Faktor nicht in deiner Einführung gesehen habe und mir der Punkt als Spieler unglaublich wichtig ist.
Wer schweigt stimmt nicht immer zu.
Er hat nur manchmal keine Lust mit Idioten zu diskutieren.