Autor Thema: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee  (Gelesen 11339 mal)

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Offline Lord Verminaard

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Angeregt durch diesen Post von Grimnir, musste ich an meine allererste Berührung mit Rollenspiel im weitesten Sinne denken: Das Fantasy-Spielbuch „Die Höhlen der Schneehexe“ von Ian Livingstone. Da mag ich vielleicht 11 oder 12 gewesen sein. Bereits die ersten paar Sätze schlugen mich in ihren Bann, obwohl sie denkbar unspektakulär waren:

   „Die Winter im Norden Allansias sind streng. Schnee und der eisige Wind lassen jeden zum Eiszapfen werden.
   Seit einigen Wochen arbeitest du für den Kaufmann Big Jim Sun und begleitest seine Handelskarawanen auf ihrem langen Weg nach Norden zu den eingeschneiten Vorposten, um sie vor Überfällen zu schützen. (...)
   Zur Zeit führst du einen Zug von sechs Karren über einen gefrorenen See. In der Ferne ragen die schneebedeckten Spitzen der Eisfingerberge aus einer tiefhängenden Wolke. (...) Es schneit, aber nicht allzu heftig. Du hältst an, um mit dem Schwert zu prüfen, ob das Eis die Wagen tragen kann. Plötzlich durchbricht der weit hallende Klang eines Jagdhorns die Stille.“


Es war das Gefühl, in eine lebendige Welt einzutauchen. Die Kälte, dein kondensierender Atem, die schroffen Berge am Horizont und der Geruch von frischem Schnee in deiner Nase. Ein Pelzhändler namens Big Jim Sun redet mit dir, ein großer Kerl mit einem dicken Vollbart und einer Pfeife, hey, ein richtiger Erwachsener. Du bist nur Kerl mit einem Schwert, kein Auserwählter, kein übernatürliches Wesen, kein Arschtreter vor dem Herrn. Selbstbewusst genug, dass du 50 Goldstücke dafür forderst, eine Bestie zur Strecke zu bringen, die sechs Männer getötet hat. Aber auch vorsichtig genug, um dir zweimal zu überlegen, ob du dich auf eine vereiste Brücke wagst. Und als du im Schneetreiben das Heulen von Wölfen hörst und kurz darauf zwei dich anfallen, kämpfst du um dein Leben.

Klar kann man sich auch vorstellen, ein Typ wie eine Figur aus Soul Calibur zu sein, mit krassen, optisch spektakulären Kampfmoves. Dann sieht es in deiner Vorstellung eben aus wie eine 3D-Animation auf der X-Box. Aber dann wird dieses Plastische, dieses Reale wegfallen, du wirst dich nicht so in die fiktive Umgebung hinein versetzen, sie nicht als so real empfinden, dich nicht so mit deiner Spielfigur identifizieren. Ob man damit die Kids eher von der X-Box weglockt? Oder ob nicht, was damals für uns alle den Reiz ausmachte, auch heute noch besser funktionieren würde?

Sind wirklich Action, Action, Action und Badassery das Patentrezept, wie es so oft proklamiert wird? Oder sind es vielmehr die kleinen Details, die einem das Gefühl geben, man selbst könnte dort sein, selber dieses phantastische Abenteuer erleben? Was wird deinen Herzschlag mehr beschleunigen: Dir vorzustellen, als eine Art Fantasy-Superheld spektakuläre Action-Kämpfe gegen riesige Drachen und Dämonen auszutragen? Oder als ein einfacher Bursche mit einem Schwert in der Faust gegen einen Schneewolf anzutreten, an einer verschneiten Bergflanke, während ein eisiger Wind dir Tränen in die Augen treibt, und zu hoffen, dass du nicht ausrutscht und das Schwert nicht deinen tauben Fingern entgleitet? Ich kann nur für mich sprechen, aber die Antwort ist eindeutig, damals wie heute. Es sind die stimmigen „Color“-Details, die den Unterschied machen.

Klar, irgendwann, wenn man eine Weile dabei gewesen ist, dann ist diese anfängliche Faszination alleine nicht mehr ausreichend, dann fängt man an, sich stärker zu orientieren, ein darüber hinausgehendes Spielziel, eine Richtung zu suchen. Dann mag man über Sachen wie Story oder Herausforderung nachdenken. Aber bei allem, was ich in den letzten zehn Jahren so Neues ausprobiert habe, kann ich heute im Rückblick mit Sicherheit sagen, dass das „Color is overrated“-Postulat eines gewissen Elches für mich ein Irrweg war. Wenn keiner mehr wissen will, ob die Luft nach frischem Schnee riecht, dann ist für mich ein ganz wesentlicher Reiz flöten. In diesem Sinne: Color does matter!
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El God

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #1 am: 18.01.2012 | 22:40 »
Full Ack. Mit der Bemerkung: Color soll auch bitte Color bleiben und nicht auf Krampf im Regelwerk abgebildet werden.

Samael

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #2 am: 18.01.2012 | 23:18 »
Man kann beides haben, four-color Arschtreter-Rollenspiel, und immersive Erkundung der fiktiven Welt. Sind Spielstile, die beide ihre Berechtigung haben. Sie schließen sich nicht unbedingt aus, aber wie du sagstest wird Immersion schwerer, umso videospielhafter und "abgefahrener" das Spielgeschehen ist.

Und regeltechnische Komplexität führt außerdem zu einer Ablenkung von immersiven Spielinhalten. Ich merke das gerade stark bei mittel- bis hochstufigem 3E D&D /Pathfinder.

Offline Waldviech

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #3 am: 18.01.2012 | 23:31 »
Zitat
Color does matter!
Und wie !!! Wobei die "Color" von Genre zu Genre natürlich auch wechseln kann. Aber das wäre ein anderes Thema.
Im Übrigen würde ich Dir widersprechen, wenn Du sagtest, dass es dem oben geposteten (gut geschriebenen) Schneewolf-Kampf an "Badassery" fehlt. Im Grunde enthält er weeeeesentlich mehr davon als jeder RTL2-Anime-Kampf (schlicht, weil der Charakter dabei tatsächlich elendig krepieren kann!)

(Nebenbei bemerkt: Trotz seiner Oberflächlichkeit möchte ich "superheldiges" Action-RPG dann und wann trotzdem nicht missen. Ist irgendwo auch eine Frage dessen, was man grade spielt. Grade bei Mittelalterfantasy reizt mich "Superheldiges" eigentlich weniger. Bei Pulp oder darauf abgestimmten Settings wie Exalted schaut das anders aus...)
« Letzte Änderung: 18.01.2012 | 23:34 von Waldviech »
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Offline Lord Verminaard

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #4 am: 18.01.2012 | 23:36 »
Man kann beides haben, four-color Arschtreter-Rollenspiel, und immersive Erkundung der fiktiven Welt. Sind Spielstile, die beide ihre Berechtigung haben.

Naja, was heißt "immersiv". Es geht ja nicht um das komplette Einswerden mit dem Charakter oder sowas, sondern einfach darum, sich die Spielsituation plastisch vorzustellen. Nicht als eigentliches Spielziel, sondern als Ausgangspunkt.
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Offline Lord Verminaard

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #5 am: 18.01.2012 | 23:40 »
Trotz seiner Oberflächlichkeit möchte ich "superheldiges" Action-RPG dann und wann trotzdem nicht missen.

Klar, es hat seine Daseinsberechtigung, aber ob es besser geeignet ist, einem guten Videospiel Konkurrenz zu machen, als die Variante mit Color und lebendiger Spielwelt? Ich glaube nein.
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Nin

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #6 am: 18.01.2012 | 23:43 »
Sind wirklich Action, Action, Action und Badassery das Patentrezept, wie es so oft proklamiert wird? Oder sind es vielmehr die kleinen Details, die einem das Gefühl geben, man selbst könnte dort sein, selber dieses phantastische Abenteuer erleben? Was wird deinen Herzschlag mehr beschleunigen: Dir vorzustellen, als eine Art Fantasy-Superheld spektakuläre Action-Kämpfe gegen riesige Drachen und Dämonen auszutragen? Oder als ein einfacher Bursche mit einem Schwert in der Faust gegen einen Schneewolf anzutreten, an einer verschneiten Bergflanke, während ein eisiger Wind dir Tränen in die Augen treibt, und zu hoffen, dass du nicht ausrutscht und das Schwert nicht deinen tauben Fingern entgleitet? Ich kann nur für mich sprechen, aber die Antwort ist eindeutig, damals wie heute. Es sind die stimmigen „Color“-Details, die den Unterschied machen.

Das kann ich ganz einfach beantworten, es zieht mich das in den Bann mit dem ich mich identifizieren kann, was mir trotz Fremdartigkeit trotzdem auch irgendwie bekannt vorkommt.
Aber ich bin eh ein Freund der leisen und subtilen Töne.

Offline Waldviech

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #7 am: 18.01.2012 | 23:45 »
Zitat
Es geht ja nicht um das komplette Einswerden mit dem Charakter oder sowas, sondern einfach darum, sich die Spielsituation plastisch vorzustellen.

Käme wahrscheinlich drauf an, was man unter "Plastisch" versteht und was "Plastisch" im Kontext wäre. Im oben beschriebenen Beispiel "Jack-London meets Fantasy" wäre "plastisch" wohl, sich tatsächlich "fotorealistisch" die pelztragenden Gestalten mit ihren Bartstoppeln, ihren von Entbehrung gezeichneten, wettergegerbten Gesichtern, das Knarren des Schnees, etc.pp. vorzustellen. In einem Marvel-Comic-RPG wäre es hingegen "plastisch", sich die Szenen in Zeichentrickform vorzustellen - was Setting und Spielgefühl des entsprechenden RPGs wesentlich eher entgegen käme.

Zitat
Klar, es hat seine Daseinsberechtigung, aber ob es besser geeignet ist, einem guten Videospiel Konkurrenz zu machen, als die Variante mit Color und lebendiger Spielwelt? Ich glaube nein.
Die Frage habe ich mir, ehrlich gesagt noch nicht gestellt. Ich denke ohnehin, die Konkurenz zwischen P&P und Videospielen ist die selbe wie zwischen Schach und Fußball....
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Ranor

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #8 am: 19.01.2012 | 00:01 »
Klar, es hat seine Daseinsberechtigung, aber ob es besser geeignet ist, einem guten Videospiel Konkurrenz zu machen, als die Variante mit Color und lebendiger Spielwelt? Ich glaube nein.
Der Videospiel-Vergleich ist ziemlich einseitiger Käse.

Offline Grimnir

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #9 am: 19.01.2012 | 00:44 »
Ich finde den Videospielvergleich gar nicht schlecht. Dass gerade Wizards of the Coast, Paizo und andere größere Anbieter versuchen, durch die Videospieloptik in der Gamer-Subkultur für Rollenspiel zu werben, ist meines Erachtens offensichtlich. Dass sie die als tendentiell jünger als ihre Stammspieler begreifen ebenso. Und dass sie deren Interessen eher in Action als in Color sehen auch, sowohl im bildlichen wie im inhaltlichen Bereich.

Ich glaube aber auch, dass hier von Designerseite ein Fehlschluss vorliegt und ein Subkulturen- oder Generationenkonflikt herbeifabuliert wird, wo keiner ist. Ich glaube kaum, dass Rollenspielehersteller bei der Gewichtung Action oder Color intensive Marktforschung betrieben haben, denn dafür ist der Markt zu klein. Vermutlich haben sie einfach die Ergebnisse der Videospielforschung übernommen im Irrglauben, Videospieloptik bräuchte auch das Rollenspiel.

Das glaube ich nicht. Ich sehe keinen Widerspruch darin, dass sich dieselbe Person mittags an der X-Box an einem bombastischen Actionspektakel erfreut, abends beim Rollenspiel aber durch einen düsteren Wald voller knarrender Bäume schleicht, mit der Hand die Spinnweben aus dem Gesicht streicht und das Stechen der Kiefernnadeln an den nackten Füßen ignoriert, während er versucht, den einsamen, alten Wolf zu stellen.

Dazu kommt außerdem, dass Videospiele sich ohnehin durch viel mehr Color auszeichnen, als man vielleicht annehmen kann. Das liegt am Medium, sie schaffen es einfach en passant, nicht explizit, sondern ohne dass die actionbetonteren Spielinhalte dadurch zu kurz kommen. Sie arbeiten beispielsweise einfach mit der Landschaft, die man durchwandert und die nicht einen Gegensatz zu den Actionelementen darstellt, sondern mit ihnen weitgehend harmoniert. Dadurch habe ich das Gefühl der Weite, der Bedrohung oder was auch immer, was ich im P&P erst  mühsam darstellen muss. Betont man in P&P-Rollenspielen allein den Bereich Action, kommen die Color-Aspekte deutlich kürzer als im Computerspiel.

Color ist für mich sehr wichtig. Es gibt nichts schlimmeres als eine sterile Situation, Welt, Umgebung. Lebendig wird sie durch Details oder durch die richtige Beschreibung an der richtigen Stelle. Das sollte kein ellenlanges Geschwurbel sein, aber ein wohlplatziertes "Während er spricht, schlägt Dir sein fauliger Atem ins Gesicht" oder "Im Bodennebel kannst Du Deine eigenen Füße nicht erkennen" oder "An den Ufern des im Sonnenlicht glitzernden Flusses siehst Du Bauern die Ernte einbringen" schafft bei mir direkt einen intensive Vorstellung der Situation, die ich nicht missen will.
« Letzte Änderung: 19.01.2012 | 00:49 von Grimnir »
Selber Regelwerke schreiben zeugt IMHO von einer reaktionär-defaitistischen Haltung [...]

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Offline WeeMad

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #10 am: 19.01.2012 | 01:30 »
Momentan bin ich grad dem WHFRP 3 verfallen und hier erinnert mich das Spielmaterial eher an ein Trading Card Game.

Naja und auch mir ist Color sehr wichtig - von daher color does matter!

Die Benutzung einer Karte beim Spiel oder eines Regelelements bringt mir erst vollen Spaß, wenn damit Color verbunden ist. Wenn sich beides gegenseitig befruchtet - schöne Colorbeschreibung hat Einfluss auf Regelseitiges und umgekehrt inspirieren die Regeln zu feinen Beschreibungen. (Aber das soll nicht heißen, dass ich immer alles verregelt haben muss, genauso wenig, wie ich bei einem Kampf zu jedem Angriff oder zu jeder Taverne/Landschaft eine vollfarbige Beschreibung brauche.)

Offline Arkam

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #11 am: 19.01.2012 | 06:42 »
Hallo zusammen,

ja auch mir ist Color im Spiel wichtig. Das fällt mir bei den Baukastensystemen auf in denen ich nur die rein spieltechnischen Dinge beschrieben bekomme aber den Color selbst hinzu addieren muss. Da fehlt mir etwas.

Allerdings kann ich auch die Gegenrichtung verstehen.
Denn wenn alle Mitspieler auf den Endkampf warten, die Nerven angespannt sind, die Taktiken greifen sollten und alle nur noch auf Initiative und los warten kann Colour eben auch stören.
Color kann man auch dazu verwenden um Regelunkenntnis oder noch schlimmer Unkenntnis über den Fortgang des Abenteuers zu kaschieren. Da wird dann der Spielabend durch genügend Color gestreckt damit man sich dann beim nächsten Mal ordentlich vorbereiten kann.

Von da aus ist Color ein wichtiges Element um sich in das Spiel hinein ziehen zu lassen aber im Spiel sollte man Color vorsichtig dosieren.

Gruß Jochen
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Offline Oberkampf

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #12 am: 19.01.2012 | 07:40 »

Sind wirklich Action, Action, Action und Badassery das Patentrezept, wie es so oft proklamiert wird? Oder sind es vielmehr die kleinen Details, die einem das Gefühl geben, man selbst könnte dort sein, selber dieses phantastische Abenteuer erleben? Was wird deinen Herzschlag mehr beschleunigen: Dir vorzustellen, als eine Art Fantasy-Superheld spektakuläre Action-Kämpfe gegen riesige Drachen und Dämonen auszutragen? Oder als ein einfacher Bursche mit einem Schwert in der Faust gegen einen Schneewolf anzutreten, an einer verschneiten Bergflanke, während ein eisiger Wind dir Tränen in die Augen treibt, und zu hoffen, dass du nicht ausrutscht und das Schwert nicht deinen tauben Fingern entgleitet? Ich kann nur für mich sprechen, aber die Antwort ist eindeutig, damals wie heute. Es sind die stimmigen „Color“-Details, die den Unterschied machen.


Aus meiner Sicht beschreibst du hier zwei verschiedene Colourierungen, von denen dir eine gefällt (gefallen hat) und eine nicht. Aber Colour ist in beiden dabei. Ich habe als Jugendlicher gern Superheldencomics gelesen (tue ich heute auch noch), und für mich hat es genausoviel Colour, mir einen Superhelden-Badass mit spektakulären Fähigkeiten und Kampfstilen vorzustellen, wie einen selbstbewussten Schwertschwinger im ewigen Eis.

Dass Action Colour braucht, will ich damit nicht bestreiten. Nur sollte bedacht werden, dass einigen Leuten dieser Farbanstrich gefällt, anderen Leuten jener. Manche mögen Zombies, für andere sind Zombies das Ende des wohlcolourierten Rollenspiels. Bei ein paar Farben/Anstrichen kriege ich persönlich das große Speien, während für andere denn erst das "niveauvolle" Rollenspiel beginnt.
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LöwenHerz

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #13 am: 19.01.2012 | 08:08 »
Batman beats Superman  ~;D

Das vorweg, denn ich mag eher den normalen Menschen mit gewissen Extras, denn Wesen mit Widernatürlichen Superkräften (und das ist keine Diskriminierung  >;D ).

Mir geht es genauso, wie Vermi. An sich eine sehr treffende Beschreibung dessen, was seit einiger Zeit -unformuliert- in meinem Köpfchen herumschwirrt. Danke Dir dafür!

In der Tat gebe ich vor allem Samael recht, der meine herbe Ernüchterung beim Leiten meiner letzten (und letzten!) Pathfinderkampagne auf den Punkt bringt.
Ab einem gewissen Punkt funktioniert das Eintauchen in Welt und Charakter nicht mehr. Das Spiel findet auf den Charakterbögen statt. Es wird immer technischer, mechanischer und uninspirierter, weil das Spiel in diesen Bereichen eben so viele Regeln erfordert.


Also eine Frage an die werte Spielleiterschaft:

schafft Ihr es denn stetig neue und atmosphärische Beschreibungen zu bringen? Arbeitet Ihr an der Dichte der Situation, der Welt und dem Abenteuer? Und wie macht Ihr das so?

Chrischie

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #14 am: 19.01.2012 | 08:23 »
Color ist wirklich sehr wichtig, wie ich am Dienstag wieder feststellen musste. Nach Jahren haben wir mal wieder das Storytelling System (nWoD) angefasst habe. Spiele die zu mechanisch sind ( Battlemap etc) können auch schnell Color aus dem Spiel nehmen da kann ich mich Luxferre anschließen.

Offline Oberkampf

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #15 am: 19.01.2012 | 08:31 »

Das vorweg, denn ich mag eher den normalen Menschen mit gewissen Extras, denn Wesen mit Widernatürlichen Superkräften (und das ist keine Diskriminierung  >;D ).

Meine These ist, dass dies eine weit verbreitete Vorliebe ist, weil Deutschland eben nicht die Superhelden-Comics-Tradition der USA hat. Das deutsche DSA ist war auch (zumindest anfangs) kleiner, heimeliger als die D&D-Spielwelten, die einen gewissen Hang zum Gonzohaften hatten. So jedenfalls mein Eindruck, trotz der rührselig-romatischen Bilder, die gerade im D&D Subforum gepostet werden. Deswegen sind wir Uralt-Rollenspieler auch leichter für "irdischeren" Fluff zu begeistern als für abgedrehten. Deswegen laufen in Deutschland Superheldenrollenspiele eher schleppend.

(Meine Aussagen jetzt bitte nicht als kulturalistisches, nationalistisches, pro- oder antiamerikanisches, deterministisches oder sonstwie politisch-ideologisches Dogma verstehen. Natürlich bleiben individuelle Präferenzen individuell!)
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Offline Arldwulf

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #16 am: 19.01.2012 | 08:36 »
Mein Problem bei dieser Frage fängt schon damit an dass ich in der zweiten beschriebenen Situation (Kämpfer in der eisigen Schneelandschaft kämpft gegen den Schneewolf) nicht weniger Action erwarte als in der anderen.

Es fällt mir sogar schwer sie mir ohne Action vorzustellen. Sie mir als: "da haut er dann halt einfach zu, achja und der Wolf beisst halt" vorzustellen.

Thematisch finde ich das viel besser als den Kampf zwischen Superhelden. Aber das bedeutet eben nicht dass sie keine Action hätte. Diese Frage "Colour oder Action" zielt aus meiner Sicht einfach völlig in die falsche Richtung.

Offline Jiba

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #17 am: 19.01.2012 | 08:37 »
Ich glaube, dass die Bemerkung vom Lord prinzipiell aber stimmt: Wenn wir Immersion als das Eintauchen in eine Welt beschreiben, die wir "so erleben als sei sie real und wir mittendrin" und sie entsprechend real(istisch) vorstellen, dann kann ich mir schon vorstellen, dass uns ganz abgedrehte Spiele vor Schwierigkeiten stellen, nach dem Motto: Ich kann mir etwas nicht in der Textur unserer Welt vorstellen, weil es in unserer Welt etwas, was so ist, nicht gibt - vgl. wir dazu Lovecraft mit seinen nicht-euklidischen Bauwerken. Und ja, ich neige auch dazu mir krasse Over-the-Top-Action zeichentrickmäßig vorzustellen – obwohl ich glaube, dass modernes CGI da eine ganz schöne Toleranzgrenze ermöglicht hat: Für mich ist klassisches Superheldenrollenspiel daher auch in realistischer Textur von "X-Men: First Class" und "Batman Beginns" möglich. Allerdings wird die Welt natürlich immer noch weniger plastisch sein, weil ich eben nicht weiß, wie sich bestimmte Gegebenheit der Welt nun genau erleben lassen. Das große Aber, was ich habe, ist, dass ein Mangel an Immersion im obengenannten Sinne nicht gleichzeitig ein Weniger an Identifikation im Sinne eines bewussten Miterleben und Mitleiden mit dem Charakter zur Folge hat. Besonders, wenn innere Zustände wie Gedanken, Gefühle oder Schmerzen beschrieben werden, wird die Colour (zumindest bei mir) plötzlich zweitrangig. Es ist egal, ob meinen Charakter ein Feuerball oder ein Schwerthieb trifft, ob das Schwert dabei leuchtet oder nicht und ob ich einen Elfe oder einen Zwerg zur Spielfigur – wenn mir ein Spielbuch oder ein Meister erzählt, dass der Charakter verletzt ist, dann bin ich unabhängig von der Colour geneigt, mich in die Schmerzen hineinzufühlen, egal ob der Anstrich des Settings over-the-top oder bodenständig ist. Ich glaube, dass da eben der große Trugschluss liegt: Mein Eintauchen in die Spielwelt im Sinne sensualer Wahrnehmung berührt meine Identifikation im Sinne eines Mitfühlens mit meinem Charakter nicht. Kann sein, dass sich das gegenseitig unterstützen kann, aber es ist unabhängig voneinander.

Den Grund sehe ich da vor allem darin, dass das Innenleben von Charakteren grundsätzlich in allen Rollenspielen gleich ist, egal wie das Setting aussieht. Uns bekannte Konzepte wie Liebe und Hass existieren und sind Motoren und Motivatoren der Charaktere. Da ich rückblickend bei Over-the-top-Runden genau solche "emotionale Immersion" hatte (häufig sogar in stärkerem Maße als in bodenständigen Settings), glaube ich, dass die Colour vom bewussten Mitfühlen unabhängig ist. Das macht Vermis Idee natürlich nicht weniger korrekt, im Bereich der Wahrnehmung einer Welt als realistisch und eines "Da-Seins" in dieser Welt, aber Mitfühlen kann ich auch mit einer Trickfigur... ich kann mich vielleicht nur nicht in dem Maße "Als-sie-Fühlen" – obwohl das beim Rollenspiel noch besser ginge als in Videospielen. Ich gebe zu, das hier ist etwas unstrukturiert und vielleicht für die Ausgangsfrage gar nicht wichtig. Aber so richtig durchdrungen habe ich es auch noch nicht.

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“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #18 am: 19.01.2012 | 08:50 »
Sind wirklich Action, Action, Action und Badassery das Patentrezept, wie es so oft proklamiert wird? Oder sind es vielmehr die kleinen Details, die einem das Gefühl geben, man selbst könnte dort sein, selber dieses phantastische Abenteuer erleben? Was wird deinen Herzschlag mehr beschleunigen: Dir vorzustellen, als eine Art Fantasy-Superheld spektakuläre Action-Kämpfe gegen riesige Drachen und Dämonen auszutragen? Oder als ein einfacher Bursche mit einem Schwert in der Faust gegen einen Schneewolf anzutreten, an einer verschneiten Bergflanke, während ein eisiger Wind dir Tränen in die Augen treibt, und zu hoffen, dass du nicht ausrutscht und das Schwert nicht deinen tauben Fingern entgleitet? Ich kann nur für mich sprechen, aber die Antwort ist eindeutig, damals wie heute. Es sind die stimmigen „Color“-Details, die den Unterschied machen.

Ich gestehe, das Szenario mit dem Schneewolf klingt interessanter. Ich weiß aber nicht, ob das nun daran liegt, wie viele Details beschrieben werden, sondern eher an der Situation: Ein relativ normaler Typ hat ein aus meiner Sicht fieses Problem statt ein echt krasser Typ hat aus seiner Sicht relativ normale Probleme.

Das ist etwa das, was Tümpelritter sagte: Das Problem ist nicht die Kolorierung bzw. ihre Abwesenheit. Das Problem ist, dass dich (und zu einem gewissen Grad auch mich) eine bestimmte Colorierung sehr reizt.

Und was Superhelden angeht, haben die ja häufig auch andere Probleme als nun die pösen Jungs zu verhauen. Das ist ja gleichsam der Trick. Die Vermöbelungsfähigkeit löst die wirklich interessanten Probleme bei Superhelden eher selten.


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Offline Teylen

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #19 am: 19.01.2012 | 09:37 »
Ich sehe nicht wieso man sich für die Color vorstellen muß ein mäßig begabter Bauerntölpel zu sein und jeder der sich vorstellt das der eigene Charakter wirklich was drauf hat ein superheldiger, anspruchsloser, actiongeiler Konsolen(Ha nun haben wir es denen aber gegeben!)Spieler ist.

Vermutlich fällt es bei den Vorurteilen nicht so auf, aber neben Bayonetta, wonach man das Gefühl hat das Tarantino Filme nüchtern erzählt und farblos sind gibt es doch auch sowas wie Limbo. Nun, oder wenn man im Action Bereich bleibt, Castlevania, das durchaus ansprechend kalte Szenerien hat. Oder sowas wie Nier.
Nun und es gibt Spiele wie Fallout die durchaus mit von der Color leben.
Nun oder wenn man sich die Beschreibung durchliest wie die Szene mit der Freundin in The Darkness aufgenommen wird.

Insofern, ein Vorteil den Xbox-Spiele haben ist das sie den Spieler nicht schief anmachen wenn er mal badassery will.
(Man kann bei Fallout NV sich mit Wasserverlust, essen und Patronen Gewicht quälen, muß aber nicht. Man kann in Castlevania die Landschaft goutieren, muß es aber nicht.)


Ergänzung:
Die Optik im Original Thread würde ich, nur um es anzumerken, weniger auf die XBox zurückführen.
Sondern auf Anime sowie Manga.
Die wiederum auch von Okami über Immortal bis Berserk, Bastard!, Rourounin Kenshin, Samourai Champaloo etc. eine weite Spannbreite an unterschiedlicher Action bieten und imho allesamt für die Liebhaber der Geschichten recht immersiv sind.
« Letzte Änderung: 19.01.2012 | 09:52 von Teylen »
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Offline Lord Verminaard

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #20 am: 19.01.2012 | 09:54 »
Okay, dann will ich mal die „Frühschicht“ aufarbeiten. ;)

Allgemein: Es geht mir gar nicht um eine Dichotomie zwischen Action und Color, die existiert ja auch gar nicht, wie ihr richtig angemerkt habt. Wenn ihr eine Dichotomie wollt, dann ist es die zwischen comichaft überzeichneten Charakteren und Welten, einerseits, und eher „bodenständigen“ Charakteren und Welten andererseits. Bei letzteren ist meine persönliche Erfahrung, dass sich kleine Details und Color zu einer plastischen Spielwelt verdichten, da sie auf den persönlichen Erfahrungshorizont des Spielers zurückgreifen können.

Diese relative Nähe zu eigenen Erfahrungshorizonten ermöglicht ein müheloses Hineinversetzen, dazu braucht es dann keine endlos ausgewalzten Color-Beschreibungen. So ist in meinem Beispiel aus „Die Höhlen der Schneehexe“ oben ja dieser ominöse Geruch von frischem Schnee überhaupt nicht wörtlich erwähnt. Aber die Assoziation ist sofort da. Ich saß da ja nicht und habe stundelang über verschneite Berge meditiert, sondern ich habe weitergelesen, so schnell ich konnte, und gegen Schneewölfe gekämpft. Aber ich hatte eben dabei sofort ein Bild vor Augen, und nicht nur vor Augen, sondern vor allen Sinnen. Das war es, was für mich die ursprüngliche Faszination von Rollenspiel ausmachte, diese reiche Vorstellungswelt eines Romans, kombiniert mit der Interaktivität des Spiels (und durch das Spiel mit SL kam dann noch die absolute Handlungsfreiheit hinzu).

In der „bodenständigen“ Welt fällt es dann im Gruppenspiel auch viel leichter, Ereignisse anhand von Plausibilität zu verhandeln, da man eben auf realweltliche Erfahrungen zurückgreifen kann. Ob hingegen mein comichaft überzeichneter Charakter, der ein lächerlich großes Schwert schwingt, über eine 3 m hohe Mauer einfach drüber springen kann? Dafür muss man sich dann entweder den Spielregeln zuwenden, die dann jedes Detail regeln müssen, oder man macht sich erst gar keine Gedanken mehr darüber und beschränkt sich gleich aufs Kämpfen. (Das hat jetzt weniger mit Color zu tun, als mit Vorhersehbarkeit, die aber beide Voraussetzung sind, um mit der spielweltlichen Umgebung vielschichtig zu interagieren.)

Zitat von: Arkam
Denn wenn alle Mitspieler auf den Endkampf warten, die Nerven angespannt sind, die Taktiken greifen sollten und alle nur noch auf Initiative und los warten kann Colour eben auch stören.
Color kann man auch dazu verwenden um Regelunkenntnis oder noch schlimmer Unkenntnis über den Fortgang des Abenteuers zu kaschieren. Da wird dann der Spielabend durch genügend Color gestreckt damit man sich dann beim nächsten Mal ordentlich vorbereiten kann.

Was du hier mit „Colour“ bezeichnest, würde ich eher mit „Geschwafel“ bezeichnen, und das ist leider einer der zweifelhafteren Verdienste des Elches, dass er genau diese Gleichsetzung hier im Forum in den Köpfen verankert hat. Aber es ist schon so, dass ich meinen Endkampf nicht vor einem Bluescreen ausfechten will. Ich will wissen, wo ich bin, wie es da aussieht, ob es heiß oder kalt ist usw. Sonst ist es nur der halbe Spaß.
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Offline Lord Verminaard

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #21 am: 19.01.2012 | 10:05 »
Ich gestehe, das Szenario mit dem Schneewolf klingt interessanter. Ich weiß aber nicht, ob das nun daran liegt, wie viele Details beschrieben werden, sondern eher an der Situation: Ein relativ normaler Typ hat ein aus meiner Sicht fieses Problem statt ein echt krasser Typ hat aus seiner Sicht relativ normale Probleme.

Und ändert sich das, wenn nach den Spielregeln die Chancen auf Sieg oder Tod identisch sind?
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Offline Jiba

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #22 am: 19.01.2012 | 10:34 »
In der „bodenständigen“ Welt fällt es dann im Gruppenspiel auch viel leichter, Ereignisse anhand von Plausibilität zu verhandeln, da man eben auf realweltliche Erfahrungen zurückgreifen kann. Ob hingegen mein comichaft überzeichneter Charakter, der ein lächerlich großes Schwert schwingt, über eine 3 m hohe Mauer einfach drüber springen kann? Dafür muss man sich dann entweder den Spielregeln zuwenden, die dann jedes Detail regeln müssen, oder man macht sich erst gar keine Gedanken mehr darüber und beschränkt sich gleich aufs Kämpfen. (Das hat jetzt weniger mit Color zu tun, als mit Vorhersehbarkeit, die aber beide Voraussetzung sind, um mit der spielweltlichen Umgebung vielschichtig zu interagieren.)

Naja, das würde ich so aber nicht stehen lassen. Ich glaube der relevante Punkt an deinem Eingangsbeispiel ist, dass es ein Erstkontakt mit der Materie "Interaktive Fantasygeschichte" war. Und dadurch, dass diese sehr bodenständig ausfiel und du daher vieles der realen Erfahrungswelt aufs Spiel übertragen konntest, scheint dir das jetzt näher zu liegen als Videospielsozialisierung in anderen Spielen. Ich finde, dass man das so pauschal aber nicht sagen kann, denn verhandelt werden muss nur, was unklar ist: Hier spielen Genres und Mediensozialisation eine Rolle. Die meisten älteren Semester von uns sind beispielsweise mit Märchen aufgewachsen, und werden in entsprechenden Spielsituationen auch nicht fragen müssen, warum der Wolf da redet oder ob es möglich ist über eine Bohnenranke in ein Fenster zu klettern - wenn das Setting sich entsprechend über die Colour als märchenhaftes Setting präsentiert. Ähnliches gilt für dein Mauerbeispiel - wenn die RTL2-Generation ein Spiel spielt, dessen Colour animemäßig rüberkommt, wird diese Frage ob man über die Mauer springen kann, nicht bestehen – die gemeinsame Kenntnis der Tropen dieses Genres determiniert den gemeinsamen Vorstellungsraum. Klar können da Einzelfragen immer noch verhandelt werden müssen, aber das müssen sie bei nun wirklich jedem Setting, egal wie bodenständig es auch sein mag ("Was, in Aventurien sind Frauen gleichberechtigt? Also das stört massiv meine Immersion einer mittelalterlichen Welt!").

Ich gebe dir Recht, dass bodenständige Settings beim Erstkontakt diverse Vorteile haben, aber gleichzeitig darauf zu schließen, dass das Gruppenspiel eingeschränkter wäre, wenn ein Setting over-the-top ist, deckt sich keinesfalls mit meinen Erfahrungen.

Ich schätze nur, dass es spätestens auf Seite 4 zum Spielstilbashing kommt, wo die bodenständigen Spieler ihren Spielstil gegen die Asskicker verteidigen und umgekehrt.  :-\
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

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ErikErikson

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #23 am: 19.01.2012 | 10:35 »
Naja, diese relative Nähe zum eigenen Erfahrungshorizont sehe ich nicht.

Wenn ich eine solche Nähe hätte, dann würde ich mich bei der Beschreibung der Schneelandschaft daran erinnern, wie unangenehm Kälte wirklich ist, und mein SC würde heimgehen, so schnell wie möglich. Gegen Schneewölfe hab ich auch noch nicht so oft gekämpft. Eigentlich hab ich noch gar nie mit dem Schwert um mein leben gekämpft.

Wenn ich mir vorstelle, wie ich persönlich im Schnee hocken würde und gegen Schneewölfe kämpfe, dann muss ich vielleicht lachen, aber plausibler wird daurch nix. Wenn ich auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen würde dann würd ich fragen: "hab ich gute handschuhe dabei? Wie nass sind die? Wieviel Stunden bin ich schon hier draussen? Wie hoch ist die Luftfeuchtigkeit?"

Alles keine Sachen, die ich mich im RPG fragen will. Im RPG orientiere ich mich an dem letzten Film, wo ich Conan den Barbar oder sonstwen im Eis hab rumkraxeln sehen.  

Und um welche Computerspiele geht es genau? Die sind recht unterschiedlich. Drakensang z.B. ist recht bodenständig. Mount and Blade oder fallout New Vegas ebenso. 
« Letzte Änderung: 19.01.2012 | 10:37 von Sauron »

Offline Arldwulf

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Re: Color does matter oder der Geruch von frischem Schnee
« Antwort #24 am: 19.01.2012 | 10:37 »
Du hast natürlich völlig recht wenn du sagst das das hineinfinden in eine Situation leichter ist wenn die Charaktere bodenständig sind.

Allerdings verändert sich dies im Laufe des Spiels. Je mehr Abenteuer die Charaktere erleben umso mehr verändert sich auch ihre Positionierung im Kontext der Spielwelt. Sie sind dann einfach nicht mehr die bodenständigen Typen.

Solange diese Vorgeschichte bespielt wird oder zumindest in der Vorstellung der Charaktere vorhanden ist kann man sich auch weiterhin problemlos in sie hineinversetzen, sehr wahrscheinlich besser als zu dem früherem Zeitpunkt als das Abenteuer begann und man noch der unbekannte Bauerssohn war der mit einem verrostetem Schwert den Hof gegen die Goblins verteidigte.