Wesentlich negativer als die mangelnde Tiefe bei einer hohen Sterblichkeit ist doch ein stetig wachsender Pessimismus und eine lähmende Paranoia.
Und zwar nicht der Charaktere (denen steht Paranoia ggf. ganz gut) sondern der Spieler.
Irgendwann glauben die stetig, nicht genug Informationen für Entscheidungen oder Pläne zu haben.
Es kommt das "wenn wir mit den aus der bisherigen Beinarbeit erwirtschafteten Informationen einen Plan schmieden und den umsetzen, gehen wir alle drauf" Feeling auf. Und das sogar mit Recht, denn es gehen ja andauernd die Charaktere drauf.
Das führt dazu, dass irgendwann gar nicht mehr losgelegt wird, sondern krampfhaft geschaut wird, ob man nicht irgendwo noch ein paar Hinweise sammeln und einige Eventualitäten einbeziehen kann.
Und das lähmt das gesamte Spiel.
Dann entsteht weder eine spannende erlebte "Story" und die Taktiker erleben auch keine interressante Situation, an der sie meinen knobeln zu können.
Davon abgesehen verleitet das stetige Versagen die Spieler dazu, ihre Charaktere zu Teflon-Billies zu gestalten, also Charaktere ohne Ecken und Kanten, aalglatte aber konturlose Rollen, damit einem der Spielleiter bloß keinen Strick aus ihrgendeinem Wesenszug drehen kann.
Denn logischerweise enden die Stricke dann oft tödlich und darauf hat kein Spieler Lust.
Um es mit Homer zu sagen: "LAAAAAAANGWEILIG!!!!"
Die Grundvoraussetzung für ein Shadowrun-Abenteuer, dass die Gruppe zufrieden zurücklässt, ist ein gesunder Optimismus bei den Spielern.
Die müssen das Gefühl haben, dass die den Run mit guter Wahrscheinlichkeit überleben und mit einiger Wahrscheinlichkeit auch erfolgreich abschliessen können.
Die Charaktere sind die Mover & Shaker.
Es geht nicht darum, dass die Charaktere gar nicht sterben können. Absolut nicht!
Es geht darum, dass die Spieler nicht das Gefühl bekommen, dass die präsentierte Opposition ihnen in der Regel Niederlagen bereitet, dass sie ständig als "die Looser" dastehen und ewig aufs Maul bekommen, egal, was sie machen. Und dabei auch ständig das Personal wechseln müssen.
Wenn ein Charakter verreckt, dann muss ein "Au, scheisse!" Gefühl entstehen und kein "naja, halt wieder mal". Dann muss echt was schiefgegangen sein, die Würfel voll daneben liegen oder eben jemand voll in den Drek gegriffen haben.
"Charaktertod an der Tagesordnung" macht jedenfalls kein gutes Shadowrunspiel aus.
Nur "Scheisse fressen" demotiviert doch!
Und es ist auch nicht wirklich plausibel, dass Runner immer wieder Jobs annehmen, wenn sie sich ausrechnen können, dass sie wahrscheinlich in Kürze tot sein werden.
Zu diesem Punkt kommt als Kombination ein Wahrnehmungsfehler seitens der Spieler.
Die nehmen die Gegner immer (!!!) als stärker wahr, als sie es überhaupt sind.
Ein adäquater Gegner wird als starker Gegener wahrgenommen, ein starker als tödlicher...
Die logische Schlussfolgerung dessen ist, dass man als Spielleiter die Opposition ruhig etwas abrüsten kann, OHNE, dass es für die Spieler uninteressant wird.
Das sollte man nicht bei wirklich entscheidenden Gefechten machen, aber es gibt genug Situationen, wo dieses Hilfsmittel ("Lass den Wookie gewinnen.") greift.
'nough said!