Autor Thema: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")  (Gelesen 52873 mal)

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Offline Bad Horse

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Juhu, ein Sommerritter.  ;D
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Jahaaa. *hmpfgrmpf*

Mal sehen, für wie lange diesmal. :P
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Bad Horse

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Eigentlich ist das ja keine Position für Temps. ;)

...außer in Miami. Wenn das mit dir nix wird, könnte sich Pan ja auch so ein kleines Rittergeschwader vorstellen... die Schönen Frauen oder so. ;D
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Hehe. Das fände Pan bestimmt toll, ja.

Die von euch oben angemerkten Korrekturen habe ich übrigens eingearbeitet.

Und anbei der letzte Teil von "Proven Guilty"!
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: Proven Guilty 5

Tja, und da bin ich jetzt also. Wieder zuhause. Einigermaßen ausgeschlafen und ein bisschen erholt. Der Kopf dröhnt mir noch immer, wenn auch nicht mehr ganz so schlimm wie direkt nach dem Kampf.

Und wenn ich mir das so betrachte, war die ganze Aktion ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Und zwar nicht nur ein Fehlschlag, sondern auch rundum unsere eigene Schuld.

Durch unsere Verlegung des Prozesses und die Anwesenheit so vieler Leute auf der Insel haben wir diese noch mehr geschwächt, und geschwächt wurde sie natürlich auch durch die ganzen Kämpfe und Zerstörungen dort. Wenn wir den Prozess nicht dorthin verlegt hätten, hätte Colin auch nicht gewusst, wie man hinkommt. Er hätte weder Adlene den Weg verraten können, noch wäre er selbst dorthin gelangt und hätte das Wasser des Lebens stehlen können. Was erstens die Insel noch viel, viel stärker geschwächt hat als alles andere – Maries einer Schluck damals hatte schon deutliche Auswirkungen; was machen da erst zwei. Verdammte. Kanister?! – und außerdem: Welchen Schaden kann Colin mit dem Inhalt von zwei Kanistern Lebenswasser anrichten? Das bedeutet Jugend und Leben für viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende entweder für sich selbst oder auch für zahllose Menschen! Und ich schätze Colin für skrupellos genug ein, dass er sich einen Dreck um die moralischen Bedenken schert. Solche Fragen wie die Kleinigkeit, welchen Bösewichten er das Wasser überlässt.

Joseph Adlene ist schon mal einer davon, wie sich heute gezeigt hat – als ob wir noch einen weiteren Beweis dafür gebraucht hätten, nachdem Colin ja bereits mit dem Nekromanten weggesegelt war. In der Zeitung fand sich ein Nachruf auf Joseph Morris Adlene, der betrauert werde von seinem einzigen lebenden Verwandten, seinem Neffen Jonathan Adlene. Das Foto dieses „Jonathan“ war eindeutig Adlene selbst, Mitte 20, fit und munter, aber dennoch nicht sonderlich glücklich aussehend. Schlauer Trick, sich selbst zu seinem eigenen Erben zu machen... und ein weiterer Fehlschlag unsererseits. Jetzt ist er wieder jung und gesund, und er weiß, dass wir uns offen gegen ihn gestellt haben.

Und Lady Fire ist zwar jetzt eine Ausgestoßene, aber dreimal dürft ihr raten, Römer und Patrioten, wen sie für dieses Ausgestoßensein wohl verantwortlich machen wird. Und als ob eine einzelne, ausgestoßene, mächtige Sommerfee nicht genug wäre, werde ich irgendwie den Verdacht nicht los, dass die ihres Amtes enthobenen Ritter sich nun um sie scharen werden. Denn mit denen war die Lady ja schon während des Turniers ein Herz und eine Seele.

Immerhin haben wir Jugend gerettet. Wir mussten Adlene dafür gehen lassen, und Edward hat die Aufmerksamkeit dieser Dämonin auf sich gezogen, und jede Hoffnung, die ich jemals darauf hatte, Lady Fire doch noch zu versöhnen, kann ich mir jetzt wohl ein für alle Mal abschminken, aber wir haben Jugend gerettet. Der immerhin sowas wie Edwards Bruder ist, wenn man sich es recht überlegt. Und wir haben Antoine freigesprochen bekommen. Aber trotzdem.

---

Eben hat Yolanda angerufen. Sie will sich im Dora's mit mir treffen. Sie klang, als sei es wichtig.

---

Gut, dass das Dora's der Treffpunkt war. Auf Yolandas Neuigkeiten brauchte ich nämlich erstmal einen Kaffee. Einen starken Kaffee.

Dreimal dürft ihr raten, wen Titania zu ihrer neuen Richterin gemacht hat. Aaaaaaaah!

'Landa nimmt das Ganze erstaunlich gelassen, dem Himmel sei Dank. Aber gut, sie hat ja schon damals bei der Sache mit dem cabrón Kontakt mit dem Übernatürlichen gehabt, auch wenn sie die ganze Episode danach völlig verdrängt hatte. Aber heute Nacht hatte sie einen Traum, in dem Titania sie mit dem Richteramt betraute, und beim Aufwachen fand sie die Halskette des Sommerrichters auf ihrem Nachttisch.

Kein Wunder, dass sie verwirrt war. Aber glücklicherweise erinnerte sie sich nach etwas Anstubsen doch wieder an ihre erste Begegnung mit der Sommerkönigin und nahm das neue Amt dann sogar mit amüsierter Neugier an. Nicht dass sie es hätte ändern können, sie hat den Job jetzt, und so leicht rauskommen wie Roberto wird sie da vermutlich nicht. Mierda! Meine kleine Schwester ist die Letzte, von der ich gewollt hätte, dass sie in den ganzen Feenmist mit reingezogen wird! Nicht, weil ich es ihr nicht zutraue, im Gegenteil, aber an meinen eigenen Erfahrungen der letzten Jahre gemessen, hätte ich ihr das verdammt nochmal lieber erspart.

Aber es half ja alles nichts. Sie hat den Job jetzt, also erklärte ich ihr in groben Grundzügen, was es damit auf sich hat und was für eine mierda gerade am Dampfen ist.

Anschließend rief ich Edward und Ms. Snow an, weil ich fand, 'Landa müsse die beiden anderen Richter auch so bald wie möglich kennenlernen. Die kamen also auch noch ins Dora's, und wir hielten Kriegsrat.
Ich wollte mich gerade höflich zurückziehen, weil ich ja nicht zu den Richtern gehöre, da klingelte mein Handy. Es war die Nymphe, Saltanda, die mir fröhlich erklärte, Pan habe gesagt, sie solle mir ausrichten, ich solle jetzt der Verteidiger sein.

Wirklich überrascht war ich nicht, denn ich hätte ja damit rechnen können; Colin war es ja zuvor auch schon gewesen. Überrascht also nicht, aber etwas überrumpelt, also dachte ich nicht nach, und es geschah völlig aus Reflex, dass ich Saltanda für die Nachricht dankte.
Und dann, beim Auflegen, hörte, wie Saltanda fröhlich zwitscherte: „Yay! Er hat Danke gesagt! Dann war es also ein Gefallen!“

Mierda! Wann lernst du es endlich, Alcazár! Ich knirschte mit den Zähnen, gab einen frustrierten Aufschrei von mir und hieb mit der flachen Hand auf die Tischplatte, ehe ich aufsprang und mehrmals mit dem Kopf gegen die Wand hinter unserer Sitznische hämmerte. Nicht so fest, dass ich mir wehgetan hätte, ganz so neben mir war ich dann doch nicht. Aber es war Ausraster genug, dass meine drei Gesprächspartner mich ziemlich entgeistert anstarrten, als ich mich mit einem verlegenen Räusperer wieder hinsetzte. Und bemerkte, dass meine Handfläche auf dem Tisch einen leicht angesengten Umriss hinterlassen hatte, ungefähr so wie ein Bügeleisen, das zu lange mit der heißen Platte auf der Unterlage gestanden hat.

Ich murmelte eine Entschuldigung und versuchte den Ansatz einer Erklärung, gab es aber ziemlich bald auf, weil alles, was ich sagen konnte, einfach nur albern geklungen hätte. Vor allem gegenüber meiner Schwester und der mir ja beinahe völlig fremden Winterrichterin. Irgendwann in einer ruhigen Minute muss ich aber dringend nochmal mit Edward reden. Ich bin es nicht gewohnt, so... so wütend zu werden. Zumindest nicht, ohne beeinflusst worden zu sein, so wie letztes Jahr am Crater Lake. Wobei... oh mierda. Vielleicht war es ja auch diesmal eine Art Einfluss. Das Amt des Ersten Ritters macht irgendwas mit mir. Nicht mal unbedingt auf magischem Wege, auch wenn ich mir das durchaus vorstellen könnte. Aber allein die Tatsache, dass ich diesen Job jetzt habe und mit mir darüber ins Reine kommen muss. Denn in der Hitze des Gefechts auf der Insel habe ich diesmal völlig vergessen, mein Ritteramt zeitlich zu begrenzen. Ich habe Pan gegenüber zugesagt, das Schwert anzunehmen, und zwar ohne Wenn und ohne Aber und ohne Bedingung. AAAAH! Mierda! Doppelte und dreifache mierda!

Dort im Dora's jedenfalls muss ich wohl ziemlich bedröppelt dreingeschaut haben, als ich mich wieder hinsetzte, oder mein Ausbruch erschreckender gewesen sein, als ich dachte, denn mit einem Mal stellte Dora unaufgefordert und mit den Worten „hier, auf's Haus“ einen Cupcake vor mich hin.
Es war letzteres, musste ich dann feststellen, denn etwa zwanzig Minuten später kreuzte Roberto auf, den Dora – die uns inzwischen ja alle kennt und seit unserer Spende zum Wiederaufbau des Lokals auch unsere Nummern hat – angerufen hatte, weil einer seiner Freunde sich so komisch benehme und beruhigt werden müsse. Roberto dachte natürlich erst mal, Edward sei gemeint, und war etwas überrascht, dass der Ausraster auf meine Kappe ging. Mehr Peinlichkeit. Grrrr.

Zum Glück lenkte Edward uns mit der schlauen Idee ab, dass wir Hurricane doch auch noch zu dem Treffen dazu holen könnten, wenn wir schon mal alle hier wären. Zusammen mit dem Ankläger sprachen wir den Fall durch. Dummerweise lag die Beweislage ziemlich eindeutig gegen Sergeant Book, daran konnte ich als Verteidiger so ziemlich gar nichts ändern, auch wenn ich diverse mildernde Umstände anführen konnte. Hurricane machte deutlich, dass ihm vor allem wichtig sei, dass der Kobold nicht völlig unbehelligt davonkomme, und so kamen wir schließlich zu einer Einigung.

Die Verhandlung selbst soll – ein Vorschlag von Yolanda – morgen Abend in einem der Hörsäle an der Uni stattfinden.

---

Eben heimgekommen. So richtig müde bin ich noch nicht, außerdem gibt es Dinge zu berichten.

Die Verhandlung ging exakt so aus, wie wir das bei unserem Treffen im Dora's bereits ausgemacht hatten: Der Fall wurde für die neue Richterin des Sommers noch einmal dargelegt. Hurricane führte die belastenden Fakten an, ich nannte die mildernden Umstände. Zeugen wurden keine groß aufgerufen. Die Richter gingen und berieten sich und befanden Sergeant Book in ihrem Urteil dann für schuldig. Daher verhängten sie das Strafmaß, dass der Wyldfae seine Kraft an die Insel der Jugend binden müsse, um diese zu stärken und die erlittene Schwächung wenigstens zum Teil wieder auzugleichen. Außerdem wurde er verpflichtet, von nun an höchstselbst und in Person auf der Insel über diese zu wachen.

Sergeant Book blickte ernst, aber gefasst drein und quittierte das Urteil mit den Worten „das ist fair.“ Dann nahm er, ehe er von je zwei Vertretern des Sommers, des Winters und des Wyld aus dem Saal geführt wurde, noch einmal Edward beiseite. Er erklärte unseren Freund zu seinem Nachfolger als Leiter des SID Miami und deutete auf eine Gruppe von Gnomen, die uns bereits aufgefallen war, weil wir die hier in der Stadt noch nie gesehen hatten und keine Ahnung hatten, wo die plötzlich herkamen und warum sie heute abend hier bei der Gerichtsverhandlung aufgetaucht waren.

Das seien Winterfeen, erklärte Sergeant Book, Frostgnome, und Edward solle bloß ein Auge auf die haben, die klauten wie die Raben. Warum die jetzt plötzlich hier seien? Naja, der Sommer habe in Miami durch die ganze Sache jetzt eine empfindliche Schwächung erlitten, da sei es eigentlich kein Wunder, dass Elemente des Winters sich jetzt hier einnisteten. „Na ganz toll“, knurrte Edward, aber so richtig von Herzen kam sein Gebrumm nicht. Ich glaube, er war etwas überwältigt von der Tatsache, dass Book ihn gerade zu seinem Nachfolger gemacht hatte.

Als die Verhandlung offiziell geschlossen war, klatschte Pan in die Hände: „Zeit für eine Party!“
Roberto kam nicht mit. Der hatte offensichtlich das Bedürfnis, sich nach seiner Entscheidung für Oshun etwas vom Sommerhof fernzuhalten. Was ich ihm absolut nicht verdenken kann. Ich wünschte, ich hätte mich auch absetzen können.

Aber das ging natürlich nicht. Denn da war ja noch die Formalität des Rittereides, den es abzulegen galt, was ich mit ziemlichen Bauchschmerzen hinter mich brachte. Aber immerhin gelang es mir, Pan in diesem Zusammenhang halbwegs ernsthaft und nüchtern zu erwischen und nochmal in Ruhe mit ihm zu reden.

Er freute sich sichtlich, nach all seinem Pech mit den letzten drei Rittern „endlich mal einen kompetenten“ gefunden zu haben, was mir die Sache natürlich nicht gerade leichter machte. Ich nannte ihm aber meine Bedenken, und wir einigten uns darauf, dass ich das Ritteramt so lange nach bestem Wissen und Gewissen ausführen werde, bis ich einen würdigen Ersatz gefunden habe, der dafür mindestens ebenso gut, wenn nicht besser, geeignet ist als ich. Denn so jemanden wie Colin will ich Pan keinesfalls nochmals aufdrücken – mir ist nur allzu bewusst, dass ich schuld daran bin, dass der Sommerherzog wegen meines Wunsches, bloß schnell wieder aus dem Job rauszukommen, einen derart ungeeigneten Ritter bekommen hat. Glaubt nur nicht, dass ich das nicht weiß, Römer und Patrioten!

Langer Rede kurzer Sinn: Bis auf Weiteres habe ich den verdammten Job. Ich will ihn eigentlich nicht haben, aber jetzt, wo ich ihn habe, werde ich auch mein Bestes tun, ihn gut auszufüllen. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf: Irgendwo muss einfach jemand existieren, der für die Aufgabe ideal geeignet ist.

In dem Gespräch mit Pan führte ich auch an, dass der Sommerhof von Miami ja nun außer Sir Anders über keinerlei Feenritter mehr verfüge, dass der Winter diese Schwächung als Chance für einen Versuch ansehen könnte, mehr Einfluss in der Stadt zu gewinnen, und dass es vielleicht angeraten wäre, sich mit neuen Rittern zu verstärken. Ausgezeichnete Idee, erwiderte Pan, kümmere dich darum! Haha. A-hahaha! Sagte ich bereits, dass ich diesen Job nicht haben will?

Meine Gefallensschulden bei Saltanda habe ich übrigens auch noch bezahlt. Indem ich mit ihr tanzte, wohlgemerkt, ehe hier falsche Ideen aufkommen! Das arme Mädchen war sichtlich enttäuscht und schien sich zu fragen, was mit ihr nicht stimmt, dass ich nicht noch ein paar unkomplizierte Stunden mit ihr verbringen wollte. Aber genau das ist es ja gerade. Ich weiß, für sie wäre es vollkommen unkompliziert und der absolute Inbegriff von „no strings attached“, aber für mich hängt zu viel daran. Zu viel Erinnerung an diesen einen Fehler. Von dem ich ja sogar weiß, dass er natürlich nur der direkte Auslöser, nicht die eigentliche Ursache war. Aber trotzdem. Es ging einfach nicht.

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Die Neuigkeit des Tages: Edwards Beförderung ist durch!

Sergeant Book hatte wohl offensichtlich schon damit gerechnet, dass das Verfahren nicht mit einem Freispruch für ihn enden würde, denn er hatte bei der Polizei ein Schreiben hinterlassen, mit dem er seinen Posten dort unter Angabe von Burnout als Grund für den Rücktritt offiziell niederlegte. In dem Schreiben empfahl er Edward als seinen Nachfolger, und angesichts von Books Verdiensten um das Department in den letzten Jahren konnte man sich weiter oben dieser Empfehlung wohl nicht widersetzen.

Also ist Edward seit heute offiziell Leiter des SID Miami, was mit einer kräftigen Gehaltserhöhung und einer Beförderung zum Lieutenant einhergeht. (Book hätte der Rang des Lieutenant wohl ebenfalls zugestanden, aber der alte Kobold hat sich anscheinend immer geweigert. Und die Stadt hat sich natürlich gehütet, ihn zu etwas zu zwingen, was höhere Ausgaben im städtischen Haushalt bedeutet hätte.)

Oh, und ich habe Eileen Fabray kontaktiert. Die ehemalige Erste Ritterin hatte ich ja damals bei der Sache mit dem cabrón schon kennengelernt, und gestern habe ich einfach mal bei ihr angerufen. Von ihr weiß ich immerhin, dass sie etliche Jahre lang eine gute Ritterin war, und ich habe sie unumwunden um Rat und Hilfe gebeten. Am Wochenende wollen wir uns treffen.

---

Aaaaah! Sagte ich schon, dass ich diesen elenden Job nicht haben will?

Das Treffen mit Eileen war sehr nett und die alte Dame echt hilfreich. Wir haben uns lange unterhalten, über die Ritterpflichten und -aufgaben und wie man Pan im Zaum hält (Eileens guter Tip: ein für alle Mal klarstellen, dass man nicht mit ihm schlafen wird, sonst kommt er garantiert auf die Idee, das gehöre zum Stellenprofil. Nicht, dass das für mich ein großes Problem werden wird, ich fühle mich für gewöhnlich nur von Frauen angezogen, aber gut zu wissen.)

Eileen hat mich auch dahingehend beruhigt, dass man als Erster Ritter nicht ständig um Pan herumscharwenzeln und sich dauernd in seinem Palast aufhalten muss, sondern durchaus sein eigenes Leben führen kann. Natürlich gibt es bestimmte Tage und Zeiten – der Spring Break zum Beispiel –, an denen man als Ritter definitiv für den Sommer unterwegs sein wird und sich nicht um seine Familie kümmern kann... aber das war ja in den letzten vier Jahren ohne das Ritteramt auch nicht groß anders.

Außerdem hat Eileen sich bereiterklärt, mir ein wenig Unterricht im Schwertkampf zu geben. Ja, sie ist Mitte sechzig und nicht mehr so schnell auf den Füßen, wie sie es zu ihren Ritterzeiten war, aber um mir Kacknoob, um mal in Gamersprache zu reden, die Grundlagen beizubringen, wird es schon noch reichen. Die erste Stunde jedenfalls war schon mal sehr nützlich – wenn auch anstrengend. Ich halte mich ja eigentlich nicht für vollkommen unsportlich, aber das war doch nochmal was ganz anderes. Aber es hat auch Spaß gemacht, und ich freue mich schon auf die nächste Lektion.

Aber – und das ist der Grund für den frustrierten Aufschrei im ersten Satz – Eileen hat mich auch an etwas erinnert, an das ich eigentlich von selbst hätte denken müssen, das ich aber bislang erfolgreich verdrängt hatte.

Padre en el cielo, ayudame, zur Sommersonnenwende ist ja wieder das Ritual fällig, mit dem die jährlichen Opfer an das Coral Castle gebunden werden. Und natürlich ist der Erste Ritter dafür verantwortlich, die Opfer zu beschaffen. Nein, verdammt! Ich werde nicht, wiederhole nicht!, Teil eines solchen geplanten Mordes werden, auch wenn Eileen sagte, dass es ganz, ganz üble Konsequenzen habe, wenn das Ritual ausfalle. Sie habe sich nämlich anfangs auch geweigert, und das Ergebnis sei... sie wollte nicht aussprechen, was genau das Ergebnis war. Aber egal. Nein. Nein, nein, nein!

Ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht darin, dass Eileen erklärte, wenn man Freiwillige fände, die sich in vollem Wissen und Bewusstsein auf dieses Schicksal einließen, dann „halte“ das Ritual für die nächsten sieben Jahre, und nicht nur für ein Jahr, wie das bei unfreiwilligen Opfern der Fall ist. Bitte, bitte, bitte, santísima Madre, hilf mir dabei, Freiwillige zu finden. Sonst... sonst muss ich irgendwie aus diesem Amt raus, ehe ich es wirklich angetreten habe. Aaaaaaaaah!
« Letzte Änderung: 2.11.2015 | 20:53 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
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Jahaa. :D Ein gewöhnliches "Mierda" schien mir in diesem Falle einfach etwas unter-angemessen. :P
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Hier erstmal ein wenig "Zwischengeplänkel", ehe es mit dem eigentlichen "Side Job" losgeht.

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Ricardos Tagebuch: Something Borrowed 1

07. April. Das war ein grüblerisches Ostern diesmal.

Ich bin zu den Jungs mit dem Problem. Natürlich bin ich zu den Jungs mit dem Problem; alleine schaffe ich das nicht. Und, bless them, sie haben versprochen, dass sie darüber nachdenken werden, ob sie nicht vielleicht den einen oder anderen passenden Kandidaten kennen, den man mal vorsichtig ansprechen könnte.

Außerdem war ich beim Coral Castle – wohlweislich ohne Totilas – und sprach mit den Guardians. Die gepanzerten Geister versicherten mir, dass es durchaus über die Jahrhunderte etliche Freiwillige in ihren Reihen gegeben habe und dass ein solches freiwilliges Opfer die Wirksamkeit des Rituals tatsächlich auf 7 Jahre ausdehnte. Nicht, dass ich Eileen nicht geglaubt hätte, aber das von den Guardians selbst zu hören, war mir doch auch enorm wichtig.

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09. April

Mir ist jemand eingefallen, cielo perdoname.

Ich stehe seit einiger Zeit in lockerem Kontakt mit einem jungen Mann. Wobei der so jung eigentlich gar nicht mehr ist, wenn man es genau nimmt. Anfang, Mitte Dreißig vielleicht, so ungefähr mein eigenes Alter. Ein bisschen älter.
Kennengelernt habe ich ihn über ein Forum, wo er unter dem Nickname „Megafan37“ postete und sich tatsächlich als überaus interessiert an und sachkundig in bezug auf meine Bücher herausstellte. Irgendwann, nachdem er mitbekommen hatte, dass der Autor der Eric-Albarn-Romane selbst in dem Forum mitpostete, kamen wir ins Gespräch – erst in den Threads selbst, dann per privater Nachricht. Und so pflegen wir seit einer ganzen Weile eine lockere, freundliche Korrespondenz, inzwischen auch per echter Briefpost.

Duane heißt dieser Brieffreund, und der arme Kerl hat es im Leben ziemlich übel getroffen. Ich will jetzt nicht sagen, dass meine Bücher das einzige sind, das ihn aufrecht erhält, das wäre gar zu pathetisch, aber er ist schwer krank und Lesen ganz allgemein eine der wenigen Vergnügungen, die er hat. Dass die Eric-Albarn-Reihe zu seinen absoluten Lieblingsbüchern gehört, war mir anfangs beinahe ein wenig peinlich, freut mich aber natürlich sehr.

Jedenfalls. Duane. Ich traue mich kaum, den Gedanken zuende zu denken, denn auch wenn er schon öfter gesagt hat, dass er eigentlich nicht mehr leben möchte, dass er sogar schon erste Erkundigungen eingezogen hat, wie das in Belgien oder der Schweiz mit entsprechenden Programmen zum begleiteten Sterben aussieht, wäre es doch etwas ganz anderes, wenn so ein Vorschlag von mir kommt.

Ich meine, auch wenn Duane in unserer Korrespondenz trotz seines Forums-Nickname jetzt nicht gerade den Eindruck des durchgeknallten Fans à la Misery auf mich macht, kann ich doch nicht ganz ausschließen, dass er nicht in einem Anfall von für-meinen-Lieblingsautor-würde-ich-alles-tun eine Schnellschussentscheidung treffen würde.

Oh, Madre. Ich werde ihn ansprechen, natürlich werde ich das, er ist – cielo, wie das klingt – im Prinzip ein idealer Kandidat, aber... puh.

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10. April

Ich werde Duane treffen. Wir haben vorhin telefoniert. Er selbst kann nur schwer reisen, aber dann fahre ich eben zu ihm nach Virginia. Das ist nichts, was man einfach mal so schnell über das Internet – oder auch über einen geschriebenen Brief – klärt. Und auch nichts, was man einfach mal so über das Knie bricht. Bis Mittsommer ist, dem Himmel sei Dank, ja noch über zwei Monate Zeit.

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13. April

Puh. Ich weiß echt nicht, was ich ohne die Jungs machen würde. Die haben nämlich auch passende Kandidaten gefunden.

Alex kennt einen traumatisierten Veteranen des Irak-Kriegs, der nach eigener Aussage glaubt, nicht mehr lange durchhalten zu können, bis er austickt und Amok läuft oder „Suicide by Cop“ begeht, wie Steve McNeill es damals vorhatte. Alex hat den Mann angesprochen, und der klang geradezu dankbar dafür, seinem Land noch einen letzten Dienst erweisen zu können.

Eine alte Dame aus Robertos Bekanntschaft, die nie verheiratet war, keine Kinder hat und der im Leben nicht mehr viel geblieben ist, außer im Seniorenzentrum an den wöchentlichen Bingo-Abenden teilzunehmen, äußerte sich ganz ähnlich, wenn auch nicht in ganz so patriotischer Ausdrucksweise.

Und Totilas weiß um eine junge Frau, die dem White Court seit einigen Jahren als Futter dient. Sie ist noch im Besitz ihrer geistigen Kräfte, ist noch nicht so willenlos, dass ihr völlig egal ist, was mit ihr passiert, aber sie weiß, dass es irgendwann soweit kommen wird. Vor einiger Zeit hatte sie die Entourage der Raith‘ mal für eine Weile verlassen, sich selbst auf Entzug gesetzt, sozusagen, aber auch wenn Gerald Raith niemanden zwingt, kam sie doch von selbst zurück, weil sie es ohne die Zuwendungen des White Court nicht aushielt. Und hasst sich selbst dafür und für ihre Schwäche.

Mit dieser Jenny werde aber ich selbst sprechen, nicht Totilas. Es hätte zu sehr den Geschmack von White Court-Überredung, wenn der Anstoß von einem Raith käme.

---

19. April

Ich bin aus Virginia zurück. Ich bin zu geschlaucht für einen langen Eintrag; nur so viel: Duane hat sich einverstanden erklärt. Er wird seine Angelegenheiten regeln und einige Tage vor Mittsommer nach Miami kommen. Vielleicht fahre ich auch nochmal hin und hole ihn ab, damit er Gesellschaft hat.

---

22. Juni. 03:43 Uhr.

Es ist getan.
Und dass ich jetzt 30 Jahre alt bin, ist mir um Mitternacht zwar kurz durch den Kopf geflogen, war mir aber da – und ist es mir immer noch – gerade mal sowas von vollkommen egal.

Natürlich musste ich als Pans Erster Ritter beim Ritual der Elemente anwesend sein. Es gibt nicht viel, das ich weniger gern getan hätte, aber ich war es nicht nur meiner Ritterspflicht, sondern vor allem mir selbst schuldig. Wie hätte ich je wieder in den Spiegel schauen können, wenn ich diese vier Menschen, die sich auf meine Bitte hin freien Willens in den Tod begeben, nicht auf eben diesem Weg begleitet hätte?

Es war – vielleicht, weil es sich diesmal um Freiwillige handelte und nicht um Mordopfer – erstaunlich würdevoll. Das machte das Ganze nicht viel besser, aber ein klein wenig wohl doch, zumindest, wenn ich mir überlege, wie das die letzten Jahre ausgesehen haben muss. Was ich nach Kräften vermeide. Darüber nachdenken, wie es die letzten Jahre ausgesehen haben muss, meine ich.

Bin ich ein Weichei, wenn ich gestehe, dass ich einen Kloß im Hals hatte und die Sicht vor meinen Augen verdächtig verschwamm? Vermutlich. Aber auch das ist mir gerade ziemlich egal.

Das einzig Gute an der ganzen Sache ist, dass alle vier fest in ihrem Entschluss blieben und das Opfer tatsächlich vollkommen freiwillig erbrachten. Und das wiederum heißt, dass das Coral Castle jetzt tatsächlich für die nächsten sieben Jahre keine weiteren Guardians benötigen wird. Zumindest nicht vom Sommer. Was den Winter angeht…  Oh, Dios, perdoname. Auf Seiten des Winters wird die Praxis mit den Zwangsopfern vermutlich unverändert so weitergehen. Es sei denn… es sei denn, es gelingt mir, die Winterritterin zu kontaktieren und sie dazu zu bringen, dass sie für das Winterritual ebenfalls  Freiwillige sucht.

Ich habe das dringende Bedürfnis, zur Beichte zu gehen. Denn Freiwillige hin oder her, ich habe Menschen in den Tod geschickt, und das lastet auf mir. Aber ich weiß nicht so recht, zu wem. Vor dem Spring Break hätte ich sofort gesagt, Pater Donovan, aber seit wir den Verdacht haben, dass er vielleicht der Mittelsmann zwischen Colin und dem Red Court gewesen sein könnte, und seit Jeff sagte, dass er den Pater von irgendwoher kennt und er ihm unheimlich ist, bin ich dem Priester über nicht mehr so unvoreingenommen eingestellt, wie ich das vorher war.

Vielleicht tue ich ihm unrecht. Ich hoffe sehr, ich irre mich. Vielleicht sollte ich einfach wirklich die Gelegenheit ergreifen, mal mit ihm zu reden. Oder tatsächlich zu beichten. Dass das Sommerritual stattgefunden hat, dürfte er mit seinen Kontakten zum Paranormalen so oder so wissen, und selbst wenn er nicht zu den Guten gehören sollte, kann ich ihm damit eigentlich nichts Wesentliches verraten. Dieses Misstrauen tut mir in der Seele weh. Er ist ein Priester, ein Mann des HErrn; ihm gegenüber misstrauisch zu sein, fühlt sich einfach so falsch an.

---

22. Juni, abends.

Die Jungs waren da, um mir zu gratulieren. Und sie haben mich schon vorgewarnt, dass ich zu meinem Dreißigsten nicht ohne Party davonkommen werde. Ich hingegen habe zurückgewarnt, dass ich zwar momentan gerade nicht in Feierstimmung bin, dass sich das bis nächsten Samstag aber hoffentlich geändert haben wird – solange sie nicht auf die Idee kommen, mich in irgendwelche Szeneclubs schleppen zu wollen, jedenfalls. Auf Paparazzi oder ähnliche Begegnungen dieser Art kann ich nämlich herzlich gerne verzichten.

---

27. Juni

Keine Szeneclubs, keine Paparazzi. Stattdessen haben wir bei mir zuhause gefeiert. Und das war einfach rundum nett und harmonisch und vollkommen harmlos – vielleicht, weil Mittsommer jetzt doch schon wieder einige Tage her ist. Die Jungs waren da. Alejandra und Yolanda, Mamá und Papá. Jack White Eagle. Ximena. Ximena brachte Monica mit, weil die ja auch Alejandras beste Freundin ist, und da deren Mutter ihr Töchterchen verständlicherweise nicht unbegleitet auf eine Erwachsenenfeier  lassen wollte, war diese ebenfalls eingeladen. Was bitteschön kein Date mit Mrs Salcedo darstellte, wohlgemerkt. Selbst wenn ich ein derart gelagertes Interesse an Lidia hätte, was ich nicht tue: Es war schon seltsam genug, bei der Gelegenheit Dee wiederzutreffen, die Roberto als sein Date mitgebracht hatte. Das gab mir nämlich, bei aller Geburtstags- und Feierlaune, dann irgendwie doch einen gehörigen Stich.

Ansonsten zu erwähnen wäre da allerdings vielleicht noch der kleine Zwischenfall mit den Kerzen auf der Geburtstagstorte, ähem.  Mamá und Papá hatten sich schon verabschiedet, und alle anderen Anwesenden wollten uuunbedingt, dass ich die zuvor bereits ausgeblasenen Kerzen jetzt mit meinen neuen Sommerkräften nochmal entzündete. Seufz. Na gut. Die sind zwar eigentlich nicht zum Spaß da, und eigentlich setze ich sie auch so wenig wie möglich – sprich im Alltag gar nicht – ein, aber, naja, es war an dem Abend schon ein wenig Bier geflossen. Ähem, ja.  Ximena, Alejandra und Monica fanden es jedenfalls toll, wie die Flammen auf einmal emporschossen.

Ich selbst ja nun weniger, aber da die Wohnung nicht abbrannte und alles schnell gelöscht war, sehe ich das jetzt einfach als etwas Lehrgeld in Sachen „nicht mit der Sommer-Power herumspielen, Alcazár“.

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30. Juni

Heute ist mir bei unserem wöchentlichen Spielabend etwas Seltsames untergekommen. Cole aus unserer Runde hatte ein neues Regelwerk dabei, das er sich vor ein paar Tagen gekauft hat, und von dem er sehr angetan ist. Es ist eines von diesen „Indie-Spielen“ aus kleinen, unabhängigen Verlagen und mit wenig oder alternativen Regeln im Vergleich mit den Schwergewichten wie Arcanos, das wir sonst immer spielen.

Faurelia“ hieß das Buch, das Cole dabeihatte, in der zweiten und verbesserten Edition, wie er sagte: Erweiterte Hintergrundbeschreibung, neue Nichtspielercharaktere, neues und hübscheres Artwork.

Bei dem Namen „Faurelia“ klingelten bei mir schon mal gleich sämtliche Glocken, und ich bat darum, mir das Buch etwas genauer ansehen zu dürfen. Und tatsächlich: Es handelt sich um genau das „Faurelia“, von dem ich damals geträumt habe und dessen Bewohnern wir im März erst im Nevernever begegnet sind. Und was das Aller-Interessanteste war: Eines der Bilder zeigte ein uns nur allzu bekanntes Segelschiff, und ein NSC in dem Buch hörte auf den Namen „Fritz von Wille“.

Ich glaube, jetzt wissen wir, wohin Vandermeers erster Maat sich damals abgesetzt hat… Die „Titania“ ist mit den Luftschiffen der Faurelier zurück in deren Traumwelt, und jetzt scheint er permanent dort festzusitzen. Was das für unseren holländischen Freund jetzt genau heißt, vermag ich nicht zu sagen.  Vielleicht ist der ja sogar froh darum, wenn er es erfährt – denn bescheid sagen will und werde ich ihm.

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02. Juli

Ich kann es ja nicht lassen. Ich bin heute tatsächlich hingegangen und habe mir so ein „Faurelia“-Regelwerk gekauft. Einmal, um es Hans zu zeigen, und einmal, weil es irgendwie ein schräges Andenken an die ganze Jugend-Geschichte ist.

Und ich habe in dem Forum, das der Autor hinten bei den „Inspirationen“ erwähnt hat, mal Kontakt mit dem Autor aufgenommen. Ich bin doch neugierig.

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06. Juli

Habe in dem Forum ein paar IMs mit dem Autor von „Faurelia“ ausgetauscht. Natürlich wollte bzw. konnte er nicht mehr sagen, wo genau er die Idee für das Spiel herhatte, aber als ich dann ein wenig nachhakte, kam doch heraus, dass unterem auch ein Traum die Basis für seine Ideen war – vor der ersten Edition bereits, und jetzt, kurz vor der Herausgabe der zweiten Edition, wieder. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte, aber nochmal diese Bestätigung zu bekommen, ist schon nicht schlecht.
« Letzte Änderung: 5.11.2015 | 17:53 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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Anbei das Ende des Zwischengeplänkels und der Anfang des echten Side Jobs.

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Ricardos Tagebuch: Something Borrowed 2

9. Juli

Heh. Edward hat ein Aufklärungsgespräch mit mir geführt. Nicht über die Bienchen und die Blümchen, logischerweise, sondern über die Gesetze der Magie. Nicht dass ich nicht schon mitbekommen hätte, worum es dabei geht, nachdem Edward sich darüber informiert hatte, aber jetzt, wo ich selbst plötzlich mit Magie um mich werfen kann, fand er es doch wichtig, mir nochmal ganz genau und eindrücklich klar zu machen, was die Gesetze der Magie sind und was ich um Himmels willen keinesfalls tun darf. Nicht nur, weil die Todesstrafe darauf steht. Sondern auch weil, wie ich ja am Crater Lake schmerzlich lernen musste, das Brechen der Gesetze einen selbst verändert und langsam aber sicher zu einem Monstrum werden lässt.

  • Einen Menschen mit Magie töten.
  • Die Gestalt eines anderen Wesens verändern.
  • Den Geist eines anderen Menschen beeinflussen. (Schüttel. Oh ja.)
  • Einem anderen Menschen seinen Willen aufzwingen.
  • Nekromantie an nicht-willigen Geistern praktizieren. (Hörst du das, Joseph Adlene?)
  • Gegen den Strom der Zeit schwimmen. (Was auch immer das genau heißen mag. Zeitreisen, denke ich mal, falls das überhaupt geht. Und das Vorhersagen der Zukunft, solange es nicht sehr allgemein bleibt, erklärte Edward noch.)
  • Das Erforschen von oder Eingehen eines Handels mit Wesen von jenseits der Äußeren Grenzen. (Hörst du auch das, Joseph Adlene? Ich meine, die Ober-Oneirophaga kam ja vom äußeren Rand des Nevernever, aber sie gehörte wenigstens noch zu unserer Welt, so fremdartig sie auch gewesen sein mag. Aber diese Lady der Verschlingenden Wege und der böse Jack, mit denen Adlene sich eingelassen hat... Brrrrrr.)

Wie dem auch sei. Edward konnte es gar nicht ernst genug darstellen, und ich glaube ihm jedes einzelne Wort. Ich weiß, wie wichtig das ist, und der Himmel stehe mir bei, dass ich nie eines dieser Gesetze breche, solange ich diese Magie in mir habe.

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10. Juli

Ich war bei Hurricane, nach Tanits Erster Ritterin fragen. Der gab sich ziemlich einsilbig, wollte mir nicht mal sagen, wie die Dame heißt. Immerhin versprach er mir, er werde ihr ausrichten, dass ich nach ihr gefragt habe, wenn er sie mal wieder sehen sollte. Wann auch immer das ist. Mierda.

An Pans Hof wussten sie naturgemäß auch nicht viel über mein Pendant auf Winterseiten. Der Herzog selbst fand die Ritterin vollkommen uninteressant – sie hatte offensichtlich nicht mit ihm feiern wollen –, aber Sir Anders wusste immerhin mal ihren Namen. Yahaira Montero. Schon mal etwas.

Puh. Jetzt heißt es warten und hoffen, dass Ms. Montero Hurricane irgendwann in nächster Zeit über den Weg läuft.
Das, oder... Hm. Ich könnte ihr auch schreiben. Genau. Das mache ich.

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11. Juli

Ich habe Hurricane nochmal kontaktiert und ihm den Brief an Ms. Montero übergeben. Er sagte, er werde ihn ihr zukommen lassen. Mehr kann ich nicht verlangen. Mal sehen, wann sie sich meldet.

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28. Juli

Ich bin mit Totem Rise ein gutes Stück weitergekommen. Nicht nur habe ich mich endlich auf den Titel festgelegt, sondern ich habe in letzter Zeit etliche Kapitel geschafft. Wenn es in dem Tempo weitergeht, dann steht bald die erste Rohfassung, und ich kann ans Überarbeiten gehen.

Alejandra ist auch schon ganz aufgeregt. Ein Monat noch, dann kommt sie in die Schule! Da muss ich auch noch diverse Vorbereitungen tr--

Es klopft. Am Fenster? Ich wohne im dritten Stock!

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Es war unser missgelaunter Freund, der Sturmvogel von der Insel. Wenn ich Yahaira sprechen wolle, solle ich meinen müden Arsch, äh, meine müden Knochen bewegen und mitkommen. Bitte. Na das ließ ich mir doch nicht zweimal sagen.

Der Vogel führte mich zu einer Bushaltestelle in der Nähe, wo eine eher kleine, aber sehr kompakte, Latina von Anfang bis Mitte Vierzig auf mich wartete. Was denn so dringend sei. Ich schlug vor, das vielleicht irgendwo im Sitzen zu besprechen, aber das wollte sie nicht. Also gut. Dann halt direkt dort.

Zuerst stellte ich mich mal vor, auch wenn ich das in dem Brief schon getan hatte. Höflich ist höflich. Dann erklärte ich, dass es um das Ritual der Elemente gehe. Dass ich den Job ja erst seit ganz kurzer Zeit innehabe und erfahren hätte, dass Freiwillige das Ritual wirksamer machten. Dass ich wisse, dass es im Sommer zumindest unter meinen letzten beiden Vorgängern, vielleicht auch noch länger, nicht mit Freiwilligen durchgeführt worden sei. Und dass ich – hier drückte ich mich so vorsichtig und diplomatisch aus, wie ich nur überhaupt konnte – anregen wollte, dass der Winter eventuell vielleicht auch an Freiwillige denken könne... falls das im Winter nicht ohnehin schon längst gängige Praxis sei.

Dummerweise brachte die vorsichtige Ausdrucksweise nicht sonderlich viel. Ms. Montero bügelte mich sehr brüsk und sehr ungeduldig ab, dass der Winter sich schon um sein Ritual kümmere. Das „herzlichen Dank“ musste sie nicht dazusagen, das wurde auch so deutlich. Ebenso wie klar erkennbare Unterton: Halt dich da raus, Sommertrottel. Sommertrottel, der noch völlig grün hinter den Ohren ist, dazu.

Oha. Mit Skepsis hatte ich ja gerechnet, aber, wenn ich ehrlich bin, nicht mit ganz so viel offener Verachtung. Mierda.

Irgendwie gelang es mir dann aber doch, sie ein wenig milder zu stimmen. Das brachte sie dann dazu, dass sie mir etwas freundlicher erklärte, dass sie nicht aus dem Winter-Nähkästchen plaudern könne und wolle, was irgendwelche Rituale angehe, weil, naja. Sie Winter. Ich Sommer. Verfeindete Höfe und so.

Gegen diese Argumentation konnte ich natürlich nichts einwenden – außer eben, diesen ganzen Ritterblödsinn mal beiseite zu lassen. Dass mir nichts ferner liege, als dem Winter aufdrücken zu wollen, wie er seine Rituale durchzuführen habe. Aber dass mir, Ricardo, dem Menschen, nicht dem Sommerritter, die ganze Sache ziemlich am Herzen liege und ziemlich an mir nage.

Das brachte sie zum Nachdenken. Allerdings hatte ich das Gefühl, sie muss erst einmal überlegen, was ich überhaupt damit meine. Dann tätschelte sie mir aufmunternd den Oberarm und meinte, ich werde mich schon noch daran gewöhnen. Aber dass ich mir so als Mensch keine Sorgen machen müsse. Was auch immer sie genau damit meinte.

Als ich sie das fragte, zuckte Ms. Montero nur mit den Schultern und sagte nichts weiter. Ich konnte mich nur irgendwie des Gefühls nicht erwehren, dass sie in mir irgendwie etwas sah, das sie an sich selbst erinnerte, wie sie früher war. Dass sie mich – und sich selbst – vor etwas schützen wollte. Und mich in bezug auf meine Sorge beruhigen.

Es blieb mir in dem Moment nicht viel anderes übrig, als höflich zu nicken, ihr für das Gespräch zu danken und es ansonsten dabei zu belassen. Und ich fügte noch hinzu, dass es mich gefreut habe, sie kennenzulernen, Feinde oder nicht.

Ms. Montero nickte höflich zurück und erklärte kühl, dass sie hoffe, wir würden uns so schnell nicht wieder begegnen. Aber immerhin, setzte sie nach kurzem Zögern dann noch hinzu, besser ich als der andere. Woraufhin ich mir dann doch die Frage nicht verkneifen konnte, ob sie mit meinem Vorgänger, meinen Vorgängern, viel zu tun gehabt habe.

Das würdigte sie aber keiner expliziten Antwort. Sie schnaubte nur verächtlich, sprang auf den Rücken des Sturmvogels  (¿Como demonios? Der war doch bis zu dem Moment noch klein genug gewesen, um auf ihrer Schulter zu sitzen!) und flog mit ihm davon.

Und ich konnte ihr nur nachdenklich hinterhersehen, ehe ich schließlich wieder nach Hause ging, um das alles aufzuschreiben. Und nachzudenken.

Mierda. Elendes Fehlen von Klartext! Ich will ja gern glauben, dass Ms. Montero mir auf ihre Weise zu verstehen geben wollte, dass der Winter schon längst Freiwillige für das Ritual rekrutiert. Aber kann ich das? Oder ist das nur wieder Alcazár'sche Naivität?

Ich habe da ja noch diesen Gefallen bei Tanit offen, ist mir eingefallen. Den könnte ich einfordern.

Aber Tatsache ist, ich mochte Yahaira irgendwie, Winter hin oder her. Ich würde ungern... naja. Ungern hinten rum an Tanit gehen und Ms Montero über die Herzogin etwas aufzwingen. Zu weich, Alcazár? Vielleicht. Aber der Gedanke widerstrebt mir wirklich. Und Yahaira hat versucht, mich zu beruhigen, so gut sie konnte, ohne irgendwelche Interna auszuplaudern.

Ah, Mierda. Vielleicht werde ich einfach mal mit den Jungs über das Dilemma reden.

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20. August

Heute haben wir uns im Dora's zum Brunch getroffen, wie wir das gerne mal machen. Oder besser, wir hatten es vor.

Glücklicherweise waren wir schon so gut wie fertig mit dem Essen und saßen nur noch bei Kaffee zusammen, als Alex einen Anruf von Oliver Feinstein aus dem Behind the Cover bekam. Der Troll, der damals – hach ja. Damals. Damals, als alles überhaupt erst anfing, als Ricardo Esteban Alcazár noch fast überhaupt keine Verbindungen zum Paranormalen hatte, von irgendwelchen Ritterjobs ganz zu schweigen – der damals also mit dem Jungen das Buch gestohlen habe, dieser Troll jedenfalls sei eben wieder in den Laden gekommen, habe sich erneut ein Buch geschnappt, diesmal aber Oliver zugerufen, er müsse sich das mal ausleihen, ehe er, offensichtlich in Eile, wieder zur Tür hinausstürmte. Wir hätten den doch damals auch ausfindig gemacht. Ob wir uns da nicht mal drum kümmern könnten?

Heh. Na das würde diesmal leichter sein als bei unserem ersten Fall, da wir ja inzwischen näheren Kontakt zu Bob haben.

Ein Anruf in der Kommune brachte uns ein Telefonat mit einer ziemlich zerstreut klingenden jungen Dame ein, die uns sagte, Bob sei unterwegs, die Sachen für die Hochzeit besorgen. Die Hochzeit? Welche Hochzeit? Was für Sachen?

Na Bobs Hochzeit mit Joelle, war ihre fröhliche Antwort. Ob denn die Einladungen nicht angekommen seien? Sie hätte Umschläge mit unseren Namen darauf gesehen... Nein? Oh. Das war dann wohl das Nusseis.

Ach ja. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass wir das Mädchen tatsächlich flüchtig kennen. Sie ist das Wereichhörnchen, das wir bereits bei unserem allerersten Besuch in der Kommune damals trafen und das auf den Spitznamen 'Scarlet' hört. Genau. Scarlet wie das Eichhornmädchen in diesem genialen Webcomic von diesem britischen Zeichner. Denn sie ist ähnlich verpeilt wie die Scarlet aus den Comics.

Statt den kleinen Wirrkopf zu fragen, was sie damit genau meinte, ließen wir sie lieber Jack ans Telefon holen. Der bestätigte uns, dass Bob tatsächlich in vier Tagen heiraten will und losgezogen sei, um ein paar Dinge zu besorgen.

Autsch. Das erklärte den Anruf aus dem Buchladen. Und das erklärte die anderen drei Anrufe, die wir in kurzer Reihenfolge noch erhielten:

Hilary Elfenbein bei Totilas. Da sei so ein großer Kerl ins Fontainebleu gestürmt gekommen, habe sich eine Topfpflanze von der Deko geschnappt, dabei Vin Raith in den Pool geworfen, und sei wieder verschwunden.
Macaria Grijalva bei Roberto. Ein grobschlächtiger Typ habe einfach einen Tisch aus dem Coral Castle weggeschleppt.
Und schließlich ein sehr kleinlauter Bob bei Edward. „Die haben gesagt, ich hätte einen Anruf frei. Da hab' ich gedacht, ich rufe bei dir an.“

Na yay.

Mit einem Umweg über das Behind the Cover, um Oliver das Buch, das Bob „ausgeliehen“ hatte, regulär abzukaufen, holten wir, oder besser, holte Edward, also unseren Trollfreund gegen Kaution aus dem Gefängnis.
Er habe auf's Gericht gewollt, erzählte Bob dann, um die Heiratserlaubnis zu besorgen. Sein Pass – ein norwegischer übrigens – war aber abgelaufen, und dann hätten sie gesagt, er brauche eine „Green Card“. Na gut, wenn sie partout eine sehen wollten, hatte er eben eine grüne Uno-Karte besorgt. Worauf die Leute beim Gericht etwas ärgerlich geworden seien, ob er sie veräppeln wolle, worauf hin er etwas ärgerlich geworden sei, denn die hätten doch diese grüne Karte verlangt, und dann, ähm ja. Dann sei er auf der Polizeistation gelandet.

Was um Himmels willen das gesollt habe, wollten wir wissen. Na er habe diesem Menschenbrauch folgen wollen, weil Joelle ja ein Mensch sei. Also habe er sich etwas ausgeliehen und etwas Altes, etwas Neues und etwas Blaues besorgt.

Wir erklärten Bob also erstmal die Menschenregeln etwas genauer – dass man nämlich nicht einfach so in einen Laden marschieren kann und dann sagen, man leihe sich etwas aus, das sei nämlich genauso Diebstahl wie alles andere. Und überhaupt geht es bei diesem Hochzeitsbrauch darum, dass die Braut die Dinge anhat, wie ein Strumpfband oder einen BH oder was auch immer! Und wolle Bob etwa, dass Joelle am Altar einen tonnenschweren Tisch mit sich herumschleppe?

Nein, druckste Bob, aber vielleicht könne der Tisch ja der Altar sein? Und überhaupt, er habe doch nur Joelle glücklich machen wollen; es sei doch seine Pflicht, Joelle glücklich zu machen! Ja, verdammt, aber das könne er nun mal nicht, wenn er in einem Menschengefängnis hinter Gittern sitze, hinter Gittern aus ekelhaftem Eisen, wohlgemerkt!

Okay. Das sah der Troll dann widerstrebend ein.

Naja. Dass die Topfpflanze das Blaue und der Tisch aus dem Coral Castle das Alte sein sollten, das hatten wir uns ja schon denken können. Aber was denn das Neue sei, das er sich beschafft habe? Ein Ei, erklärte Bob. Aus dem Nevernever. Da würde ein Pferd rauskommen. Joelle möge Pferde.

Das ließ uns wieder stutzen. Ein Pferd aus einem Ei? Wer habe ihm das denn gesagt? Na der alte Wegelagerer, der im Nevernever immer am Weg lagere und den man alles fragen könne. Aaaah. Ja klar.

Indessen waren wir an dem alten Lieferwagen der Kommune angekommen, mit dem Bob auf seine Besorgungstour gegangen war. Der Van hing hinten ziemlich herunter, eben wegen des schweren Steintischs aus dem Coral Castle. Auf dem Beifahrersitz fanden wir dann auch das Buch, die Pflanze und das angesprochene Ei. Das war grün, mit beige- und erdfarbenen und bläulichen Sprenkeln, und etwa so groß wie eine Mango. Es fühlte sich nass an, wenn man es berührte, das war es aber gar nicht. Bob habe es aus einem Nest im Sumpf, sagte er. Da hätten insgesamt drei Eier dringelegen, aber er habe ja nur eines gebraucht.

Jetzt, wo wir den Tisch im Auto sahen, wurde nur umso deutlicher, dass der nicht als „das Alte“ herhalten konnte. Der musste dringend zurück ins Coral Castle. Bob war schwer enttäuscht, sah es dann aber ein. „Vielleicht bringt meine Mama ja was mit“, meinte er hoffnungsvoll.

Warte. Seine Mama?!

Ja, seine Mama aus Norwegen, freute sich Bob. Die komme morgen mit dem Flugzeug an. Joelle wolle sie abholen fahren, habe sie versprochen. Ob Joelle denn Norwegisch könne? Nein, aber das werde schon irgendwie gehen. Ja klar. Alex erklärte sich also bereit, Bobs Verlobte zum Flughafen zu begleiten. Der kann zwar auch kein Norwegisch, aber bei dem lässt sich das wenigstens kurzfristig ändern.

Während Alex also loszog, um irgendwo den Geist eines Norwegers aufzutreiben, den er morgen zwecks Sprachkenntnissen mitnehmen kann, gingen Edward, Bob und ich los, um den Tisch ins Coral Castle zurückzubringen. Das Ding war echt schwer zu schleppen, auch für einen Troll, und wir konnten Bob schließlich davon überzeugen, dass – nein! – das „Alte“ nichts vom Coral Castle sein könne. Dass man nicht einfach etwas wegnehmen könne, sondern dass man es schon kaufen müsse.

Na gut, Bob hatte $50, also gingen wir für die $50 einen „authentischen alten Stein aus Norwegen“ kaufen. Mit Echtheitszertifikat. Für das „aus Norwegen“ will ich meine Hand nicht ins Feuer legen, aber alt ist so ein Stein mal bestimmt; außerdem war Bob glücklich, der Ladenbesitzer war glücklich, und so waren das doch gut angelegte $50.

Totilas brachte indessen die blaue Blume ins Hotel Fontainebleu zurück und redete bei der Gelegenheit gleich mit seinem Cousin Vin wegen eines falschen Ausweises für Bob. (Was unter anderem auch der Grund war, warum Edward da nicht mitkommen wollte – je weniger er über Vins Aktivitäten in dieser Richtung weiß, um so besser.) Vin, der sich über die Herausforderung eines norwegischen Passes sogar freute, erklärte sich bereit, Bob einen neuen Ausweis und ein Visum zu basteln, meinte aber, es könne eine Weile dauern, und er werde sich melden.

Roberto recherchierte indessen nach Informationen über dieses Ei und fand heraus, dass es sich um ein Kelpie-Ei handeln könnte. Kelpies sind Wassergeister: fleischfressende Wyldfae, die meist in Pferdegestalt erscheinen und versuchen, unwissende Opfer auf ihren Rücken zu locken, um sie dann im nächstgelegenen See zu ertränken und aufzufressen.

Und sowas will Bob seiner Frau zur Hochzeit schenken? Na yay.

Als wir unseren Trollfreund zur Kommune zurückbrachten und uns bei der Gelegenheit alle dort wieder trafen, fanden wir Joelle in heller Aufregung vor. Sie hatte soeben herausgefunden, dass bislang keine ihrer Einladungen angekommen war, und Scarlet gab zu, dass es vielleicht sein konnte, dass sie in ihrer Begeisterung über den Eiswagen und das Nusseis nicht so richtig darauf geachtet hatte, in welchen Briefkasten sie die ganzen Umschläge geworfen habe. Es hätte vielleicht statt eines U.S. Mail-Briefkastens auch was anderes sein können...

Joelle raufte die Haare und schickte das Wereichhörnchen los, sie solle gefälligst nachsehen gehen, ehe sie uns alle dann erst einmal formlos mündlich zu der Hochzeit einlud. Wir sollten aber bitte niemanden verhaften oder anknabbern, setzte sie dann noch mit einem Grinsen in Richtung Edward und Totilas hinzu.

Ich bin mal gespannt, ob Scarlet die Hochzeitspost wiederfindet. Falls nicht, wird Joelle die zweite Ladung Briefe per Eilsendung rausschicken müssen, fürchte ich.
« Letzte Änderung: 20.11.2015 | 12:03 von Timberwere »
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Ricardos Tagebuch: Something Borrowed 3

21. August

Heute ist nicht viel passiert. Alex hat tatsächlich einen norwegischen Geist gefunden, einen jungen Bergsteiger namens Ole, der sich bereiterklärte, Alex seine Sprachkenntnisse zu leihen und ihn an den Flughafen zu begleiten. Dort warteten Alex, Ole und Joelle auf Bobs Mutter, Mrs Trinsdatter, die als letzte aus dem Flugzeug ausstieg und beim Anblick von Joelles Schild heftig winkte. Ihr Menschen-Glamour war der einer sehr alten, aber noch immer sehr rüstigen und fidelen Dame, und glücklicherweise stellte sie sich als alles andere als so, hm, langsam heraus wie ihr Sprößling.

Wir trafen uns alle in der Kommune, wo Joelle eifrig am Kartenschreiben war und Mrs Trinsdatter erzählte, dass Bob damals seine Heimat aufgrund von „Problemen mit einem Schießgewehr“ verlassen habe. Als Alex den Troll darauf ansprach, wurde der verlegen. Das sei lange her, das sei gewesen, ehe seine Aura gereinigt wurde, und heute würde sowas ja nicht mehr vorkommen.

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21. 22. August, nachts.

Eben hat Edward angerufen. Irgendwas mit Bob und der Kommune. Joelle ist entführt worden? Muss hin.

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Joelle ist tatsächlich entführt worden. Bob war völlig außer sich, als er es entdeckte, aber seine Mutter blieb vergleichsweise ruhig. Das sei ein Menschending, und es gälten Menschenregeln, also solle er nach den Menschenregeln die Polizei rufen. Sprich Edward.

In der Kommune fanden wir ein Forderungsschreiben vor. Handschriftlich, in großen, kräftigen Blockbuchstaben: „Wir wollen einen fetten Wohnwagen voller Gold und mit einer mächtigen Klimaanlage. Yo, Bitches!“ In einer anderen Schrift die Ergänzung: „Sonst machen wir die Frau kalt Kühlschrank!“ Das Wort „Kühlschrank“ war in der ersten Handschrift über das durchgestrichene Wort „kalt“ gekritzelt worden. „Übergabe übermorgen am Eiswagen in der Aventura Mall!“

Hmmm. Die Schreibe und vor allem die ganzen Hinweise auf Kälte legen irgendwie den Gedanken nahe, bei den Entführern könnte es sich um die Frostgnome handeln, die wir bei der Verhandlung gesehen haben. Winter und so.

Der arme Bob ist jedenfalls ziemlich neben der Spur. „Meine arme Joelle! Ihr müsst sie wiederfinden!“
Aber ja. Wir werden tun, was wir können. Edward hat Bob jetzt erstmal gebeten, ihm ein Haar oder sowas von Joelle zu besorgen.

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22. August. Morgens.

Mit der Unterstützung von Roberto zog Edward ein Ritual durch, um sie zu finden. Die Spur führte zu einem alten, angeblich leerstehenden Kühlhaus am Hafen, das aber anscheinend doch nicht so unbenutzt war, wenn man nach dem blauen Licht ging, das daraus hervorschimmerte. Und an der Kälte, die aus dem Gebäude waberte – offensichtlich liefen die alten Kühlaggregate drinnen auf vollen Touren.

Mit einem Schweißbrenner dichtete Alex die Seitentüren ab, während Totilas auf das Dach hinaufkletterte. Unglücklicherweise merkte unser White Court-Freund nicht, dass das Dach entweder von sich aus instabil war oder es jemand zu genau diesem Zweck angesägt hatte – so oder so jedenfalls krachte er mit einem Mal in die Tiefe. Von drinnen hörten wir es poltern und dann Totilas' Stimme: „Einmal Stracciatella und einmal Malaga, bitte.“

Als Totilas sich aufrappelte, sah er sich – das erzählte er uns hinterher – einem ziemlich skurrilen Anblick gegenüber. Und zwar standen vor ihm tatsächlich ein paar Frostgnome, allerdings in Rapperaufmachung, Goldketten und alles. Einer davon hatte etwas blau Leuchtendes in der Hand, einen Zauberstab oder dergleichen. Ein anderer Gnom hielt eine Schleuder, zwei weitere waren mit Knüppeln bewaffnet.
Totilas, nicht auf den Mund gefallen, begrüßte die kleinen Kerle mit „Yo, Mann“, was der Wortführer mit „Yo, du bist unsere Geisel, Mann!“ quittierte.

Edward riss indessen die Schiebetür auf. Etwas machte „Klick“, und ehe er ausweichen konnte, wurde er von der Schrotflintenladung getroffen, die beim Öffnen der Tür auslöste.
Während Edward, der glücklicherweise nicht sonderlich schwer verletzt schien, wieder auf die Beine kam, warnte Alex die für uns in dem Moment noch unsichtbaren Gegner, dies sei ihre letzte Chance und sie sollten herauskommen.

Die Antwort von drinnen war höhnisches Gnomenlachen. Und dieses Gelächter löste irgendetwas in mir aus. Das waren Frostgnome, die uns auslachten, Frostgnome hier! Ich war mir selbst gar nicht bewusst, was ich rufen würde, bis ich den Mund aufmachte und die Worte herauskamen. „Ihr befindet euch auf Sommergebiet und habt die hier geltenden Regeln verletzt! Im Namen von Herzog Pan, kommt heraus oder erleidet die Konsequenzen!“

Mierda. Was für ein Geschwafel! Das hätte Sir Anders auch nicht pompöser hinbekommen. So oder so aber wurde als Reaktion darauf das Lachen von drinnen nur noch lauter. Grrr!

Roberto war es schließlich, der die richtigen Knöpfe bei den Gnomen drückte. „Weiß eigentlich Hurricane davon, was ihr hier treibt?“ Das saß. Schlagartig brach das Gelächter ab.

Während wir uns nun vorsichtig in das Lagerhaus hineinbewegten, warf Totilas drinnen den Anführer der Geiselnehmer durch die Gegend, woraufhin zwei der verbliebenen Gnome davonrannten, die beiden letzten ihn aber angriffen. Bei uns kam das in der leicht bläulichen Dunkelheit nur als Geräuschkulisse an, wirklich zu sehen war nichts. In dem schlechten Licht konnten wir es vergessen, uns in irgendeiner Form sinnvoll fortzubewegen – wir konnten nur Schemen sehen, aber es wurde deutlich, dass hier überall Kram herumstand, und zwar gefährlich wackelig aufgetürmt. Keine Chance.

Mir fiel der Feen-Zauber wieder ein, die ich auf der Insel der Jugend gegen die Untoten gewirkt hatte. Ich horchte nach innen und rief die Magie nach oben, und einen Moment später wurde die Lagerhalle von hellem Sonnenschein erfüllt. Damit hatten Totilas' Gegner offensichtlich nicht gerechnet, denn es ertönten Schmerzensrufe und eilige Schritte, als die Winterfeen sich in die Schatten zurückzogen.

Jetzt, wo der Raum hell erleuchtet war, konnten wir sehen, mit was wir es zu tun hatten: mit einem Labyrinth aus zu wackeligen Türmen aufgebautem Kram aller Art. Mit ziemlicher Sicherheit voller Fallen. In einiger Höhe lief oben um die gesamte Wand herum eine Galerie, auf der wir einzelne Gestalten herumhuschen sahen. Die Gnome. Außerdem befand sich oben auf der Galerie in einer Ecke ein Kabuff. Das könnte doch der Ort sein, an dem sie Joelle festhielten...

Totilas sahen wir im Moment nicht, aber wir hörten seine Stimme. Irgendwas von wegen Stracciatella und Malaga. Oh Mann.

Roberto begann, an einem der Kistentürme zu der Galerie hochzuklettern. Er bewegte sich erstaunlich sicher und geschickt – um einiges geschickter als ich jedenfalls. Denn ich erwischte genau den aufgetürmten Einkaufswagen, dem Roberto ausgewichen war, brachte ihn natürlich ins Rutschen, wie die Erbauer das geplant hatten, und landete prompt wieder auf dem Boden. Natürlich auf dem Steißbein. Au. Aber wenigstens war nichts geprellt oder gar gebrochen.

Totilas ließ indessen seine Augen silbern aufleuchten. „Du siehst aus wie Stracciatella!“, sagte er zu dem einen Gnom, der trotz des Sonnenlichts einigermaßen in seiner Nähe geblieben war und ihn weiterhin als Geisel zu bedrohen versuchte. Der Frostgnom bekam es mit der Angst zu tun und huschte davon.

Nun, wo Roberto oben angekommen war, warf Edward ihm ein Seil zu. Nachdem Roberto es – mit Hilfe von Alex, der ihm mit seiner Erfahrung genau sagen konnte, welche Stelle stabil aussah – befestigt hatte, kletterten wir dann auch endlich alle hinauf. Alle bis auf Totilas, versteht sich, der war ja noch immer irgendwo in dem Labyrinth aus Kisten verschwunden.

Unser White Court hatte zwar im Moment keine Gnome direkt bei sich, aber die befanden sich noch immer, wenn auch in einigermaßen sicherer Entfernung, in seiner Nähe. Einer davon – nicht der, der ihn eben noch bedroht hatte – ergriff jetzt das Wort. Friedlich sei doch immer besser, wenn einem die Chakren gereinigt worden seien, und vielleicht könne man ja verhandeln: Die Gnome wollten einen Wohnwagen mit viel Gold und mit einer Klimaanlage.

Aus den Schatten heraus ertönte Gemurmel. Warum denn verhandeln, wenn man die Galerie einstürzen lassen könne?

Auf besagter Galerie waren wir allerdings in dem Moment unterwegs zu dem Bretterschuppen. Alex war es, natürlich, der bemerkte, dass unten einer der Gnome einen Hebel umlegte, woraufhin die ganze Galerie abzustürzen begann. Da Alex rechtzeitig darauf aufmerksam geworden war, gelang es uns, unversehrt auf einem der Türme zu landen und sogar diese eine grüne Kiste zu vermeiden, die laut Alex garantiert eine Falle barg.

In Totilas' Nähe kletterten wir hinunter. Dabei löste Roberto dann allerdings doch noch die Falle in der grünen Kiste aus, was dazu führte, dass etliche Metallkugeln herausrollten, die immer größer und eisiger wurden und beim Auftreffen empfindliche Unterkühlungsspuren hinterließen, was aber eher unangenehm war als gefährlich. Vielleicht, wenn uns mehr von den Dingern getroffen hätten, aber glücklicherweise rollten die Kugeln zum größten Teil von uns weg.

Dann jedenfalls hatten wir unseren Vampirfreund erreicht und sahen uns nun alle den Frostgnomen gegenüber. Und wieder meinte der Wortführer von eben, man solle doch friedlich verhandeln. Die Gnome brauchten den Wohnwagen, um hier zu wohnen, sagte er. Warum sie denn überhaupt hier wohnen wollten, war unsere Gegenfrage. Na zuhause gebe es diese fiesen, hungrigen Wölfe, deswegen seien sie hergekommen, aber hier in Miami sei es viel zu warm. Daher der Bedarf an einer Klimaanlage.

„Friedlich“ schien aber dem Anführer der Gruppe überhaupt nicht zu passen. Das war der Gnom, der noch am allermeisten wie ein Rapper aussah, über und über mit Glitzer behängt. Der baute sich provozierend vor uns auf und begann, uns anzurappen. Die Jungs sahen einander verwirrt an; sichtlich aus dem Konzept gebracht. Aber hey, der wollte eine Rap-Battle? Konnte er haben!

Irgendwie fiel es mir überhaupt nicht schwer, auf jeden der etwas bemühten Reime des Frostgnoms eine passende Erwiderung zu finden, während mein Gegenüber sich zunehmend schwertat und es immer deutlicher wurde, dass er keinerlei Erfahrung mit so etwas hatte. Irgendwann gab er es dann auch auf.

Der friedfertige Gnom grinste seinen Boss an. „Du solltest mal deine Chakren reinigen lassen. Dann ginge das besser.“
Der Rappergnom warf die Arme in die Luft. „Ich kann das Wort ‚Chakren’ nicht mehr hören!“
Und das wiederum war natürlich für uns das perfekte Stichwort. „Dann nehmen wir die Dame mit, und ihr seid sie los!“

Joelle war ein wenig verfroren, aber ansonsten wohlauf und ganz gelassen. Sie hatte die Gnome ja offensichtlich schon die ganze Zeit über belabert, und auch jetzt erzählte sie ihnen von Kräutern und Kristallen für das seelische Wohlbefinden. Sie ließ sich sogar von Roberto eine der Geschäftskarten seiner Bótanica geben und steckte sie den Gnomen mit den Worten zu: „Hier, der hat, was ihr braucht.“

Alex unterhielt sich indessen mit dem Gnom, der die ganzen elektrischen Fallen hier aufgebaut hatte. MC Current nannte der Stromgnom sich, und offensichtlich hatte er in Alex eine verwandte Seele gefunden. Von MC Current erfuhr Alex auch, wie die Gnome überhaupt auf die Idee gekommen waren, Joelle zu entführen. Bei einerm ihrer Diebestouren Streifzüge hatten sie eine Menge weggeworfene goldglitzernde Briefumschläge gefunden und aus den Einladungen entnommen, das da wohl jemand sehr Reiches heiraten musste. Also dachten sie, für seine Braut würde der Bräutigam bestimmt ein lohnendes Lösegeld zahlen.

Super.

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23. August

Zurück von der Hochzeit. Mierda. Mierda y Cólera.

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Ich musste erstmal den Kopf freibekommen und bin laufen gegangen. Eigentlich wollte ich erst einige der Übungen machen, die Eileen mir gezeigt hat, aber... nein. Laufen war besser.

Ja, die Hochzeit hat stattgefunden. Ja, die meisten Gäste hatten trotz der kurzfristigen Einladung noch Zeit. Ja, Joelle ist jetzt Mrs. Bob. Und natürlich ging das mit dem Kelpie-Ei nicht gut. Natürlich hatten wir irgendwann eine wütende Kelpie-Stute auf der Matte stehen. Das ist aber alles nebensächlich.

Nicht nebensächlich ist, was hinterher passierte. Da habe ich mich alles andere als mit Ruhm bekleckert. Und ich muss sehr eingehend darüber nachdenken, was da genau passiert ist, und vor allem, warum.

Nach der Hochzeitsfeier und nachdem wir die Kelpie-Stute samt Ei glücklich wieder losgeworden waren, zeigte Bob uns nämlich den Wohnwagen, den unser Trollfreund und die Leute aus der Kommune bereits für die Frostgnome umzubauen begonnen hatten. Warum auch immer sie das taten; Joelle war doch längst wieder frei.

Edward jedenfalls war überhaupt nicht amüsiert. „Belohnen wir die Kerle jetzt etwa schon für eine Straftat?!“, wetterte er. „Das sind Entführer, und sie klauen wie die Raben!“
Und auch ich sah es überhaupt nicht ein, warum wir der diebischen Bande erlauben sollten, in der Stadt zu bleiben. Nichts als Ärger, jede Wette!

„Ach, lass sie doch“, hielt Roberto Edward entgegen, „die sind doch nicht so schlimm.“
„Das sind Entführer und Diebe!“
„Das sind die Santo Shango auch.“
Und nun kam es zu einem richtig, richtig heftigen Streit zwischen den beiden. Die schlimmsten Spannungen auf der Fahrt nach Oregon waren ein laues Lüftchen dagegen.
Edward tobte los, dass er die Schnauze voll habe. Dass er verdammt nochmal jetzt auch aufhören werde, sich zu kümmern, weil es ja offensichtlich jedem außer ihm völlig egal sei, ob diese Stadt den Bach runterging.
Roberto schrie zurück, dass Edward ja ein schöner Ritter sei, wenn er einfach so die Flinte ins Korn werfe. Die beiden schenkten sich nichts, minutenlang – und Totilas, Alex und ich waren so baff, dass keiner von uns eingriff. Nicht einmal – und dafür schäme ich mich zutiefst – als Edward schließlich ausholte, Roberto einen heftigen Fausthieb mitten ins Gesicht versetzte und dann wütend davonstürmte.

Und dann... dann bekamen auch Roberto und ich uns in die Haare.

Eigentlich wollte ich... nein. Keine Ausreden, Alcazár.

Ich war eben drauf und dran zu schreiben, dass ich eigentlich nur vermitteln wollte. Aber das ist völliger Quatsch, denn Edward war ja schon fort. Und wo bitteschön ist es vermittelnd, Roberto den Vorwurf zu machen, dass er doch wisse, wie Edward drauf sei, und dass er ihn nicht noch hätte provozieren müssen? Warum ich Roberto das an den Kopf warf, weiß ich selbst nicht recht. Aber jedenfalls ging Roberto nun mich an. Dass ich immer nur Edwards Partei ergreifen würde. Woraufhin ich zurückblaffte, mit dem würde ich schon reden, und ich würde dafür sorgen, dass er sich entschuldige. Das müsse er nicht, schnappte Roberto. Das werde er aber, verdammt noch mal, knurrte ich.

Dann gingen wir auseinander, verstimmt und aufgewühlt, alle vier.

Und ich sitze jetzt hier und habe keinerlei Ahnung, was zum Geier in mich gefahren ist. Mierda.

---

24. August.

Ich habe mit Edward geredet. Auch wenn der sichtlich wenig Lust auf das Thema hatte.
Er sei mein bester Freund, und ich würde potentiell und grundsätzlich schon immer eher ihm beispringen, wie Roberto mir das ja auch vorgeworfen hat. Aber mit der Aktion gestern sei er deutlich zu weit gegangen. Woraufhin Edward nickte und versuchte zu erklären, dass da irgendetwas in ihm durchgebrannt sei, als Roberto das Verhalten der Gnome als „nicht so schlimm“ bezeichnete.
„Wir haben keine Handhabe gegen sie“, erwiderte ich. „Joelle erstattet keine Anzeige.“
Edward warf die Hände in die Luft und legte den Finger auf das eigentliche Problem.
„Ich kann einfach nicht mit Roberto. Es geht nicht. Er macht mich so unglaublich wütend. Ich muss mich von ihm fernhalten, sonst bringe ich ihn irgendwann um.“
Und dann: „Ich glaube, ich muss raus aus Miami. Mir anderswo einen Job suchen.“

Das erschreckte mich beinahe noch mehr als alles andere. So egoistisch das auch sein mag, der Gedanke, meinen besten Freund zu verlieren, machte mir Angst.
„Ich bin nicht mal sicher, ob das überhaupt geht“, wandte ich ein. „Wir hängen doch alle in diesem Kram mit drin. Wir haben unsere Wurzeln hier in der Stadt – und diese Stadt hat ihre Wurzeln in uns. Und ich könnte mir vorstellen, dass, wenn einer von uns weggeht, irgendwas passiert, das ihn wieder zurückbringt.“
Und außerdem... „Und außerdem brauche ich euch. Euch beide, dich ebenso wie Roberto. Diesen Ritterjob schaffe ich nicht alleine."

Wir redeten dann noch eine ganze Weile weiter, aber so richtig zufriedenstellend war das alles nicht. Seufz.

Vor allem, weil ich irgendwie im Hinterkopf auch mit der Frage beschäftigt war, warum ich so negativ auf Roberto reagiert habe. Und jetzt, wo ich wieder zuhause bin und weiterhin darüber nachgrübele - das Ganze will mir einfach nicht aus dem Kopf, was mich aber auch wenig wundert - stelle ich fest, dass da anscheinend ein ganzes Konglomerat an Dingen zusammenkam.

Irgendwo fuchst mich sicherlich noch immer die Sache mit Dee. Und ja, ich weiß, dass Roberto da nichts für kann. Mir ist bewusst, dass ich selbst zu zögerlich war, dass sich da so ein platonisches Bruder-Schwester-Schulter-zum-Ausheulen-Ding entwickelt hat, zumindest auf Dees Seite, auch wenn ich das nicht merkte oder nicht wahrhaben wollte. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass meine Einstellung Roberto gegenüber momentan etwas ... angespannt ist.
Vielleicht spielt unterbewusst auch die Geschichte vom Crater Lake noch weiter mit hinein. Von Elenas Fremdbeeinflussung bin ich zwar längst befreit, aber vielleicht ist von der Abscheu, die ich empfand, als Roberto Elena tötete, ja doch etwas hängen geblieben, auch wenn ich eigentlich ja inzwischen weiß, dass er es tun musste. Ich habe keine Ahnung.
Dass die Gnome tatsächlich eine Bande von Dieben und Entführern sind und wir in dieser Stadt wahrlich schon genug kriminelle Elemente haben, stimmt sicherlich auch. Im Vergleich zu den Santo Shango und den Latin Raiders und den Latin Kings - oder auch im Vergleich zu Gerald Raith' White Court-Operationen, wenn ich ehrlich bin - sind die Gnome aber wirklich eher kleine Fische.

Aber - und das ist der Unterschied, und das macht mir gerade so viel Sorgen - es sind Frostgnome. Bis zu dem Tag auf der Insel hätte ich die Kerlchen vermutlich eher amüsant gefunden. Und eigentlich, verdammt nochmal, sind mir bislang die Vertreter des Winters, denen ich so begegnet bin, teilweise echt sympathischer als die Sommerfeen, mit denen ich so zu tun hatte und habe. Ich mag Hurricane. Ich mag Tanit. Ich mag Catalina Snow. Ich mag sogar irgendwie, glaube ich, Yahaira Montero. Zugegeben, ich kenne keinen von denen wirklich gut, und ich habe keine Ahnung, wie die alle drauf sind, wenn sie mal nicht nett drauf sind, aber Tatsache ist, bisher hatte ich keine Probleme mit Winter, und ich hätte eigentlich auf die Gnomenbande nicht so heftig reagieren sollen. Wenn nicht, ja wenn nicht, mein Sommerrittermantel mir Dinge eingeflüstert hat. Dass Winter keinen Platz in der Stadt hat, als das eine. Und dass Roberto ein Verräter an ihrer Majestät, Königin Titania, ist und dass es ihm nur recht geschieht, wenn ihm jemand die Fresse poliert, als das andere.

Während des Streits gestern war mir nicht bewusst, dass ich den Gedanken hatte. Das ist mir erst jetzt beim Nachdenken so richtig klar geworden, und das erschreckt mich. Denn dieser Gedanke kommt nicht von mir. Dieser Gedanke kommt von dem Ritterjob. Und wenn der Ritterjob meine Gedanken derart beeinflusst, dann ist er nicht besser als Elena.

Ich muss dringend mit Roberto reden und mich entschuldigen. Wieder einmal.

Und ich muss auf der Hut sein vor dem, was der Rittermantel mit meinem Kopf anzustellen versucht. Und darf so etwas nicht wieder zulassen.
« Letzte Änderung: 20.11.2015 | 12:29 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
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Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Sehr schön. :)

* Bad Horse wirft Timberwere einen Fatepunkt für den erfolgreich gereizten Ritteraspekt zu.  >;D
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Hehe. Den schreibe ich mir auf und behalte ihn mir für die nächste Sitzung! :D
Zitat von: Dark_Tigger
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So war das auch gedacht. Ich finde es sehr cool, wie du Cardos Aktionen interpretiert hast!  :d
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Ricardos Tagebuch: Something Borrowed (Nachklapp)

27. August

Roberto hat meine Entschuldigung angenommen, auch wenn er sich sichtlich kühl gab. Was ich ihm nicht mal verdenken kann. Ich versuchte jedenfalls, ihm zu erklären, was da alles in meinem Kopf vorgegangen war – naja, das meiste jedenfalls. Das mit Elena ließ ich wohlweislich weg; ich musste nicht noch mehr alte Wunden aufreißen. Das Zucken, das über Robertos Gesicht ging, als ich seine Aufgabe des Richteramtes erwähnte, war schon Hinweis genug, dass ihm das Ganze auch alles nicht in den Kleidern stecken bleibt. Aber dass ich befürchte, dass der Ritterjob mehr Einfluss auf mich hat, als gut ist, das sagte ich ihm sehr wohl.

Ich bat ihn, mir ein bisschen beim Aufpassen zu helfen. Und Roberto sagte dann noch etwas, das mich innehalten ließ. „Du musst so schnell wie möglich einen Nachfolger finden“, erklärte er überzeugt. „Denn momentan bist du ein Ritter, der kein Ritter sein will. Und ein Ritter, der keiner sein will, nützt niemandem was.“

Da hat er nicht ganz unrecht. Das Problem wird es nur sein, den besagten Nachfolger zu finden. Also einen, der a) geeignet und b) willens ist, das Amt zu übernehmen. Keinen zweiten Schnellschuss wie Colin, herzlichen Dank. Also werde ich den Job noch eine Weile weiter machen müssen, fürchte ich. Und ich muss dabei die richtige Balance finden: Akzeptieren einerseits, mich auf die Sache einlassen, mich nicht dagegen wehren, aber andererseits nicht zulassen, dass das Amt mich zu Dingen beeinflusst, hinter denen ich nicht stehe. Oh Freude.

---

30. August

Alejandra ist endlich im Bett. Was war sie aufgekratzt. Kein Wunder; ich weiß noch ganz genau, wie ich mich auf meinen ersten Schultag gefreut habe. Um sie ein bisschen runterzubringen, haben wir uns gemeinsam Harry Potter and the Sorcerer's Stone angesehen, frei nach dem Motto: wenn Harry sich an einer Magierschule zurechtfinden muss und kann, dann wird die Grundschule für Jandra ja wohl ein Klacks.
 
Den Film mit ihr zu schauen, war vielleicht nicht so meine allerbeste Idee, weil Jandra danach natürlich gleich wissen wollte, ob Monica da hin käme, wo sie doch zaubern kann, und als ich das verneinte, wollte sie wissen, ob sie das dann hier in der Schule lernen würden, woraufhin ich auch wieder verneinen musste und erklärte, dass Monica das weiterhin von Ximena beigebracht bekäme. Und dass Alejandra in der Schule doch, wenn es geht, Monicas Fähigkeiten bitte nicht ganz so laut herausposaunen möge. Schauen wir mal, ob die Mahnung was hilft. Ansonsten, naja, Tochter eines Schriftstellers, blühende Fantasie und so.

---

31. August

Alejandras erster Schultag! Sie und Monica waren stolz wie die Schneeköniginnen. Aber natürlich auch ein bisschen nervös. Und Alex hat vor ein paar Tagen seine Kontakte spielen lassen und sich um eine Sprinkleranlage in der Schule gekümmert. Monica lernt zwar schnell, aber sicher ist sicher.

Jedenfalls war es ein schöner, ein denkwürdiger Tag. Einige Fotos gab es natürlich auch; mal sehen, ob ich dazu komme, eines hier einzukleben.

Eigentlich hatte Edward Schneeball bei uns lassen wollen, weil er (also Edward, nicht Schneeball) nämlich einen Weiterbildungskurs besucht irgendwo. Eigentlich wäre das Sergeant Books Weiterbildungskurs gewesen, aber der ist ja nun im Ruhestand, und der Kurs stand an und war bereits bezahlt. Was lag also näher, als Books Nachfolger an dessen Stelle hinzuschicken? Wen kümmert's, dass die Fortbildung sich um das Thema „Diversity Awareness“ dreht und Edward daher vielleicht nicht ganz die richtige Zielgruppe dafür ist? Egal, der Kurs war gebucht. Und Schneeball musste irgendwo hin.

Im Endeffekt wurde aus „irgendwo“ dann „bei Ximena“, weil ich den ganzen Tag lang unterwegs war. Erst mit Alejandra in der Schule selbst zur Begrüßungsfeier und, sobald die Kinder in der Klasse waren, einem Kennenlern-Empfang für die Eltern, und hinterher gingen wir zur Feier des Tages mit der Familie essen, waren tatsächlich bis abends dort. Ohne Enrique, versteht sich. Dem müssen wir beim nächsten Besuch dann die Bilder zeigen. Mamá und Papá waren jedenfalls gehörig stolz auf ihre große Enkelin. Was sie allerdings mit einem betonten Seitenblick auf Yolanda und mich auch zum Ausdruck brachten, war die Enttäuschung darüber, erst ein Enkelkind zu haben. Und das ausgerechnet von dem einen Sprössling, der im Gefängnis sitzt. Naja. Es ist ja nun nicht so, als wäre das Absicht.

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2. September. Abends.

Edward war gestern schon wieder zurück von seinem Seminar. Es gab da wohl den einen oder anderen kleinen, ähm, Zwischenfall - kein Wunder, wenn die Zielgruppe für die Schulung lauter weiße Cops waren, bei denen es schon einen Grund gab, warum sie hingeschickt wurden, und wenn noch dazu auch noch gerade Vollmond ist. Verletzte gab es wohl nicht, aber anscheinend eine Prügelei, die sich gewaschen hatte, also haben sie Edward heimgeschickt. Um Disziplinarmaßnahmen wird er wohl herumkommen, was einzig und allein seiner Hautfarbe geschuldet sein dürfte.

Nach dem Streit bei der Hochzeit hat Alex ihm gehörig ins Gewissen geredet, hat Edward mir heute erzählt, und er – das vertraute er mir unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit an – hat beschlossen, tatsächlich zu Hilary Elfenbein in Therapie zu gehen. Zumindest fürs Erste. Auf lange Sicht, sagte er beinahe sehnsüchtig, würde er gern eine Lösung finden, um seinen Wutdämon ein für alle Mal loszuwerden. Wünschen würde ich es ihm ja; er wirkt oft so unglücklich in seiner eigenen Haut. Und wenn ich es irgendwie kann, werde ich ihm dabei helfen, gar keine Frage. Falls es denn überhaupt irgendwie geht.

5. September

Schneeball hat mit Ximena anscheinend ein richtiges Abenteuer erlebt, als Edward auf seinem Seminar war. Der Kleine war völlig aufgekratzt, als er zu Edward zurückkam, und erzählte was von bösen Leuten, einem Drachen und lauter Wesen, die sie gerettet hätten. Edward wusste selbst nicht so recht, was er davon halten sollte, nahm die Kapriolen seines Hundes aber gelassen hin. Vermutlich hat der Kleine fürchterlich übertrieben, aber irgendwas wird da schon gewesen sein. Das ist bei Ximena ja jetzt auch nicht so unwahrscheinlich.
« Letzte Änderung: 19.01.2016 | 09:01 von Timber Dréan »
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Offline Timberwere

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Ricardos Tagebuch: White Night 1

5. Oktober

Gerald Raith geht es nicht sonderlich gut. Okay, der ist ja seit einer ganzen Weile schon meist in unterschiedlichen Stadien der Trunkenheit anzutreffen, wie wir schon mitbekommen haben, aber seit er dieses – ich will gar nicht wissen, was für eins, legal ist es nicht – Geschäft an den Red Court verloren hat, scheint es schlimmer geworden zu sein.
Aus Loyalität seinem Großvater gegenüber redet Totilas nicht groß davon, aber zumindest hat er erwähnt, dass Marshall Raith versucht habe, Gerald zu motivieren; der habe sich nur nicht so recht motivieren lassen.

Apropos Marshall Raith. Erst höre ich den Namen ewig nicht (seit letztem Día de los Muertos, genauer gesagt, wo Totilas ihm begegnete, als er für das Binderitual Camerones Ehering besorgen musste), und auf einmal kommt er mir ständig unter.
Yolanda, die mit dem Erwerb ihrer Anwaltszulassung und dem Sommerrichterjob und all dem momentan so richtig beschäftigt ist, erzählte nämlich freudestrahlend, sie hätte über Mr Raith einen Praktikumsplatz bei Baker & McKenzie erhalten, einer renommierten Wirtschaftskanzlei. Eigentlich will sie ja Strafverteidigerin werden, wie sie immer erklärt, aber so ein Praktikum mache sich gut im Lebenslauf, meinte sie.

Meine Ohren hatten sich allerdings bei etwas anderem aufgestellt. Was für ein Mr Raith, wollte ich wissen. Na Marshall Raith, erwiderte Landa. Totilas' Cousin. Der sei sowas wie ihr Mentor. Oh. Oh-hoh.

Sagen konnte ich in dem Moment nichts groß, weil das beim monatlichen Familienessen bei den Eltern war, aber bei nächster Gelegenheit fragte ich Totilas nach diesem Marshall. So richtig viel über ihn wusste Totilas allerdings nicht. Er findet ihn langweilig, gar nicht wie einen Raith. Marshall hatte ja damals, als er vor einem Jahr in die Stadt kam, behauptet, er sei übergelaufen, habe den Hof des Weißen Königs verlassen, weil er keine Lust mehr gehabt habe, für Lord Raith immer den Deppen zu geben. Aber ob das auch stimme? Hmmm. Schwer zu sagen, fand Totilas. Er sei ein Langweiler, aber er sei immer noch ein Raith, also dürfe man ihn nicht unterschätzen.

Das war nicht so richtig das, was ich hatte hören wollen. Andererseits, was hätte ich den hören wollen? Am liebsten, dass Marshall zwar Raith heiße, aber kein White Court-Vampir sei, wenn ich ehrlich bin. Aber gut, das war nicht zu erwarten gewesen, also warnte ich als nächstes Yolanda vor Marshall und vor den Raiths im allgemeinen, inklusive wahrheitsgemäßer Begründung, wohlgemerkt.

Ob Yolanda die Warnung allerdings so hundertprozentig ernst nahm, weiß ich nicht. Sie reagierte nämlich mit einem zackigen Salut und der Erwiderung: „Ich werde mich nicht von einem Lustvampir aussaugen lassen, aye, aye!“ Hmpf. Aber gut, das wird wohl fürs erste reichen müssen. Und gnade dem Kerl, wenn er meiner Schwester etwas antut!

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22. Oktober

Totilas kennt Star Wars nicht. Totilas kennt Star Wars nicht!

Ich weiß gar nicht mehr, wie genau wir darauf kamen. Irgendein klassisches Zitat, logischerweise. Aber welches genau, und in welchem Zusammenhang, weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass Totilas völlig verständnislos reagierte und dann seine Unkenntnis der Filme gestand. Also wirklich. Eine Bildungslücke vor dem Herrn!

Die Einladung zur Raith'schen Halloweenfeier haben wir übrigens inzwischen auch erhalten. Diesmal müssen noch nicht mal wir die Botenjungen spielen, hurra. Ich bin mal gespannt, was das gibt. Bei unserem Glück garantiert nichts Gutes, wenn man sich die Ereignisse der letzten paar Jahre mal zum Vergleich heranzieht. Diesmal wird die Party jedenfalls mit der feierlichen Einweihung von Raith Manor verknüpft. Denn ja, das neue Anwesen ist fertiggestellt, Römer und Patrioten, man mag es kaum glauben.

Organisiert wird die ganze Sache jedenfalls wieder von Adalind, der Partyplanerin der Raiths, allerdings diesmal in Zusammenarbeit mit – Überraschung – Cousin Marshall.

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25. Oktober

Okay. Irgendwas ist los. Irgendwas hat der Red Court vor.

Wir saßen gestern im Behind the Cover zusammen, als mit einem Mal Angel Ortega reingestürzt kam. Er bewegte sich steif und hatte eine blutige Wunde, und er hielt etwas im Arm, das sich bei näherem Hinsehen als kleine, ängstliche Fee mit verknautschten Flügeln herausstellte. Die Red Courts hatten Christabella die Flügel ausreißen wollen, berichtete Angel auf unsere Frage hin.

Kaum hatte er das gesagt, ging die Tür auf, und zwei Latinos in Anzügen kamen in den Buchladen. Sie bemerkten Angel, nickten einander zu und suchten sich einen Platz halbwegs in unserer Nähe, wo sie sich hinsetzten und anfingen zu telefonieren. Dabei machten sie wenig Anstalten, ihr Interesse an unserem Bekannten und seiner kleinen Begleiterin zu verbergen.

Die arme Blumenfee tat mir wirklich leid, also fragte ich sie, ob ich mir ihre Flügel einmal ansehen dürfe. Ich durfte. Die filigranen Gebilde hingen ihr ganz schief vom Rücken, und Christabella konnte sie sichtlich gar nicht mehr in Bewegung versetzen. Also strich ich mit den Fingerspitzen sachte darüber und leitete etwas von der Sommermagie hinein, die ja nie weit weg ist, deren Anwesenheit ich unterschwellig eigentlich immer spüren kann, es sei denn, ich bin gerade sehr abgelenkt. Ich frage mich, ob ich mich an dieses summende Kribbeln in mir jemals vollständig werde gewöhnen können oder es irgendwann nicht mehr bemerke. Oder ob ich vielleicht den Job loswerde, ehe das passiert.
Wie dem auch sei, die Sommermagie für diesen speziellen Zweck nach oben zu rufen, war einerseits leicht – es ging immerhin um eine Sommerfee in Nöten, und es fühlte sich beinahe so an, als wolle die Magie herauskommen, um ihr zu helfen – andererseits wiederum hatte ich bis dahin noch nie so etwas wie einen Heilzauber versucht, und so war die Sache eben doch gar nicht so ohne. Ich wollte Christabellas Flügel ja nur richten, sie nicht in meinem Überschwang gleich vergrößern oder bunt schillern lassen oder so. Die Anstrengung, genau die richtige Dosierung der Magie zu finden, brachte mir dann doch einen Anflug von Kopfschmerzen ein.

Aber es klappte. Es flogen ein paar harmlose, glitzernde Funken, dann glätteten sich die zarten Gebilde zusehends, bis sie schließlich zu vibrieren begannnen. Die kleine Fee lächelte mich an. „Was möchtest du zur Gegenleistung?“ „Hmm? Gar nichts“, entfuhr es mir erst, aber dann fiel mir ein, wie ungern Feen in der Schuld anderer stehen. „Ähm, ich meine, Euer Dank wäre mir Gegenleistung genug, werte Christabella.“ „Willst du wirklich nur meinen Dank?“ hakte sie nochmals nach, und das ließ mich kurz innehalten und überlegen. Ich könnte einen Gefallen von ihr verlangen, aber... nein. „Ich will wirklich nur deinen Dank“, bekräftigte ich, und sie strahlte förmlich auf. „Danke!!“ Dann begannen ihre Flügel kräftiger zu surren, und sie setzte sich durch ein offenes Oberlicht ab, während die Vampire – oder besser ihre Lakaien, es war ja noch heller Tag – der kleinen Gestalt wütend hinterherstarrten. Und wir uns anschließend aus einem Nebenraum heraus lieber durch das Nevernever absetzten, weil wir uns lebhaft vorstellen konnten, dass die Red Court-Leute nun auch auf uns nicht allzu gut zu sprechen sein würden. Angel Ortega schloss sich uns allerdings nicht an, sondern meinte, er käme schon zurecht.

Oliver Feinstein begleitete uns noch in den Nebenraum, von dem aus Alex sein Tor öffnete. Aber ehe er das tat, hatte Oliver noch ein paar Informationen für uns. „Der Red Court spinnt in letzter Zeit völlig“, erzählte er. Erst hätten sie nach magischer Essenz gesucht. Dann nach magischen Kreaturen. Und schließlich sei jemand aufgetaucht und habe sich subtil, haha, nach den Büchern und Gegenständen von Lafayette duMorne erkundigt.

Der Name sagte mir auf Anhieb nichts. Bei Totilas hingegen klingelte ein Glöckchen, und was das für ein Glöckchen war, erzählte er uns, als wir aus dem Nevernever zurück in der richtigen Welt waren. Und zwar war Lafayette duMorne ein Magier des White Council gewesen, der im Winter 1927 vom White Court ermordet wurde. Nach duMornes Tod griffen die  aufgebrachten Zauberer die Vampire an, und viele von Camerone Raiths Anhängern starben in jener Nacht, aber auch viele Magier. (Was übrigens auch der Grund ist, warum es nur noch so wenige Ratsmagier in der Stadt gibt, anscheinend.) Für seine herausragenden Leistungen in dieser Auseinandersetzung wurde Spencer Declan hinterher zum Warden ernannt, und Gerald Raith gelang es, seine Mutter Camerone als Herrin des White Court der Stadt abzulösen. Interessanterweise war Richard Raith, zu dem Zeitpunkt noch kein Vampir, Lafayette duMornes Lehrling gewesen.
Das ganze Ereignis bekam übrigens den klangvollen Namen „White Night“ verliehen. Wenig verwunderlich, war 1927 doch ein Winter, in dem in Miami Schnee lag. Dazu ein heftiger Konflikt zwischen White Court und White Council, und der Name ergab sich fast schon zwingend.

Hmmm. Spencer Declan wurde zum Warden ernannt. Gerald Raith übernahm den White Court von Miami. Sollten die beiden bei der Gelegenheit vielleicht irgendwie zusammengearbeitet haben?

Totilas zog jedenfalls erst mal los, um sich bei seinen Verwandten unauffällig nach deren Meinung über Marshall Raith zu erkundigen. Als er wiederkam, erzählte er uns, dass so ziemlich alle aus seiner Familie schon gemerkt hätten, dass es Gerald gerade nicht so gut geht, dass sie Marshall so gut wie alle nicht trauten und dass sie ihn hilfesuchend angesehen hätten.

Warum er eigentlich seine Leute nach Marshall ausgefragt habe, wollten wir wissen. Totilas antwortete bereitwillig, aber seine Antwort ließ mir die Kinnlade herunterklappen. Weil er habe herausfinden wollen, ob und inwieweit Marshall als Nachfolger für Gerald in Frage käme, lautete die nämlich. Äh, hallo?!  Hatte unser Freund seinen Großvater doch tatsächlich schon abgeschrieben!
Wir überredeten ihn dann allerdings, dass er doch vielleicht besser mal mit Gerald reden sollte und sehen, ob er ihm irgendwie helfen kann, statt einfach so an- und hinzunehmen, dass ihm nicht mehr zu helfen ist.

Echt jetzt.

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SMS von Totilas. Treffen im Dora's.

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Ooookay. Als ich im Dora's ankam, saßen Totilas und Alex schon da. Totilas sah ziemlich fertig aus. Unausgeschlafen, aber vor allem beinahe, wage ich es zu sagen, verheult? Totilas, der kalte Fisch? Hossa.

Er hat gestern abend noch mit seinem Großvater geredet. Und das lief nicht so übermäßig gut, wie es scheint. Im Gegenteil, es klingt fast so, als habe Gerald sich selbst bereits aufgegeben. Totilas fand Gerald leicht betrunken und in melancholischer Stimmung vor. Auf Totilas' Eröffnung, er habe ein Problem, erwiderte der ältere White Court lediglich: „Du wirst es erledigen.“ Und als unser Freund darauf mit: „Du bist mein Problem“ konterte, erhielt er prompt die Antwort: „Auch das wirst du erledigen.“
Marshall erwähnte Totilas auch. Dass er den Eindruck habe, der wolle Geralds Job. „Ja“, bestätigte Gerald, „das will er. Aber ich bin sicher, du wirst das erledigen.“ Und dass er, Gerald, alles unter Kontrolle habe.
Und dann habe Gerald etwas gesagt, dass sämtliche Alarmglocken bei Totilas klingeln ließ. Und bei uns auch, als er uns das erzählte. „Wenn du deinen Vater siehst, sag ihm, ich hätte ihn geliebt. Und dich auch. Und hör auf deine Freunde. Versprich mir, dass du auf die hörst.“

Das klingt verdammt danach, als habe Gerald vor, sich umzubringen. Oder als rechne er damit, dass er bald von jemand anderem umgebracht werden wird. Wie nannte Edward das so schön? Suicide by third party. Mierda.

Wir theoretisierten eine Weile herum, und Totilas erklärte, er habe beschlossen, Gerald besser zu unterstützen, sich mehr für dessen Geschäfte zu interessieren. Marshall Raith besser kennenzulernen und im Auge behalten zu wollen. Am liebsten würde er seinen Großvater rund um die Uhr überwachen, damit der keinen Blödsinn anstelle, aber da gebe es irgendwie niemanden, dem er diese Aufgabe anvertrauen würde. Cherie? Vin? Alle nicht so wirklich geeignet.

Nach Lafayette duMorne hat Totilas Gerald übrigens auch gefragt. Den habe Spencer Declan umgebracht, habe Gerald erklärt. Mit Magie. Aber Totilas' anschließende Frage, ob er bei der Aktion mit Declan zusammengearbeitet habe, um sich Camerones Posten anzueignen, habe sein Großvater strikt und vehement verneint. Mit diesem Mistkerl? Niemals! Lafayette sei ein guter Mann gewesen und die ganze Sache Camerones Schuld. Und es habe alles irgendwie mit Totilas' Vater zu tun gehabt.

Die Information, dass Declan du Morne mittels Magie getötet habe, ist natürlich eine Bombe. Mit der müssen wir extrem vorsichtig umgehen. Wenn Declan mitbekommt, dass diese Anschuldigung in der Gegend herumfliegt... nicht gut. Gar nicht gut. Ob das vielleicht Geralds Weg sein könnte, sich umzubringen, rätselte Totilas, also eben dafür zu sorgen, dass Declan von seiner Anschuldigung hört, damit der dann zu entsprechenden Maßnahmen greift? Nicht unmöglich, aber doch nicht sonderlich wahrscheinlich, befanden wir bei näherem Nachdenken darüber.

Roberto hatte auch Neuigkeiten. Seine Red Court-Bekannte Lucia sei gestern noch in der Botánica vorbeigekommen, erzählte er, und habe nach magischer Essenz für ein Ritual gefragt. Was für ein Ritual, wollte sie nicht sagen oder wusste es vielleicht selbst nicht so genau, aber die Essenz müsse hochkonzentriert sein, meinte sie. Außerdem habe sie sich dafür interessiert, wer damals die Schriften von Lafayette duMorne eingesammelt habe, und wenn Roberto irgendetwas darüber höre, solle er bescheid sagen.

Naja, dass der Red Court sich für duMorne interessiert, das wussten wir ja schon von Oliver. Und wie es aussieht, sollten wir uns auch für den guten Mann interessieren, und sei es nur, um herauszubekommen, was genau der Red Court da plant. Aus Gerald war vermutlich erstmal nicht sonderlich viel mehr herauszubekommen, als Totilas schon von ihm erfahren hatte. Aber was war mit Camerone? Die war ja damals auch ganz direkt beteiligt gewesen. Die könnten wir ja mal vorsichtig fragen gehen.

Diese Idee fand Totilas gar nicht gut. Wir sollten Camerone nicht unterschätzen, warnte er, sie werde uns nichts sagen, aber von uns alle Informationen aufsaugen, die sie kriegen könne, sogar Dinge, die wir ihr eigentlich gar nicht sagen wollten, aus unseren Fragen entnehmen. Aber das war ein Risiko, das wir wohl eingehen mussten.

Am Coral Castle wurde unser White Court-Freund natürlich erst einmal von den Coral Guardians angehalten, auch wenn sie sich nicht mehr ganz so feindselig verhielten, jetzt wo Natalya nicht mehr der neueste Neuzugang bei ihnen ist und deren gemeinsames Bewusstsein nicht mehr dominiert. Als ich den geisterhaften Wächtern erklärte, dass ich für Totilas bürgen würde – und ich ihm ein „Benimm dich!“ mitgegeben hatte –, ließen sie ihn passieren.

Camerone Raith gab sich entzückt. „Familienbesuch! Schön, dass du da bist, Totilas!“ Und in dieser schleimigen Tonart ging es eine ganze Weile weiter. Subtil. Haha. Schließlich brachten wir das Gespräch aber – unauffällig, wie wir hofften – auf Lafayette duMorne. Oh, der sei ein entzückender alter Herr gewesen, säuselte sie. Irgendsoein Zauberer. Der Red Court zeige gerade ein ziemliches Interesse an duMorne, informierten wir sie.
Camerones Antwort war nichts weniger als eine Meisterleistung im süffisanten Themawechsel. „Der Red Court? Wie niedlich. – Wusstest du, dass deine Mutter wieder in der Stadt ist, Totilas? Wenn dein Vater jetzt auch noch käme, dann könnten wir eine nette kleine Familienzusammenführung feiern!“
Mehr wollte sie nicht dazu sagen, auch nicht zur White Night. „Warum fragt ihr nicht Gerald? Der ist dafür doch die beste Quelle?“
„Der hat zu tun“, erwiderte Totilas knapp.
Camerones Lächeln war lieblich an der Oberfläche und boshaft-wissend darunter. „Ach.“

Wie Lafayette denn so gewesen sei, brachten wir das Gespräch wieder in die richtige Richtung. Die Antwort allerdings überraschte uns etwas, denn Camerone beschrieb den Magier nun nicht als Menschen, sondern erklärte, sie glaube, es sei ihm peinlich gewesen, dass er schwarz gewesen sei. Na gut, was hätten wir von Camerone auch anderes erwarten sollen als eine unerwartete Wendung. Oh, und Richard sei sein Lehrling gewesen, setzte sie noch hinzu, als sei das ebenfalls eine Aussage über Lafayettes Wesensart.
„Aber Richard hat ihn jetzt nicht umgebracht, oder?“, kam Totilas plötzlich die Idee.
Camerone lächelte süß.
„Ich weiß nicht, dein Vater ist ja nun nihct so der mörderische Typ. Aber irgendwen wird er schon umgebracht haben, um zum White Court zu werden.“
„Ach das war damals?“
Wieder dieses Lächeln von Camerone. „So ungefähr zu der Zeit, ja.“

Das war dann der Moment, wo wir uns verabschiedeten. Ganz ehrlich, die Frau ist aalglatt. Vor allem jetzt als Geist, wo ihr der Alkohol nicht mehr das Gehirn vernebelt.

Dann trennten wir uns, weil Roberto Macaria Grijalva besuchen wollte, Totilas sagte, er wolle sich mal mit Jack White Eagle in Verbindung setzen, und ich zu Pan in den Palast fuhr, um mal mit dem zu reden.

Pan wusste aber leider nicht sonderlich viel über Lafayette duMorne. Der sei kein Typ zum Feiern gewesen. Sein Sohn Justin schon eher, aber den habe Pan schon lange nicht mehr gesehen, sagte er. Sir Anders kannte Lafayette gar nicht, der war damals noch nicht hier am Hof. Cólera. Den Weg hätte ich mir auch sparen können.

Roberto und Totilas war es bei Macaria und Jack allerdings nicht viel besser gegangen, erfuhr ich, als wir uns allesamt in Olivers Laden wieder trafen. Macaria hatte Roberto auch nur sagen können, dass Lafayette ein mächtiger Magier gewesen sei, der ermordet wurde. White Eagle kannte sogar nur den Namen, wusste aber immerhin, dass Spencer Declan einen Lehrling namens Cleo duMorne hat. Ob „Cleo“ in diesem Fall ein Männer- oder Frauenname war, wusste keiner von uns so genau, auch wenn wir generell gegen weiblich tendierten. Oliver informierte uns dann, dass es sich bei dieser speziellen Cleo um eine Frau handelt. Cleo duMorne sei Lafayettes Enkelin, sagte er, und lebe äußerst zurückgezogen. Vor irgendwas habe sie anscheinend große Angst und wolle anonym bleiben. Aber Oliver habe vage Möglichkeiten, sie zu kontaktieren – oder ihr zumindest über diverse Umwege eine Nachricht zukommen zu lassen –, und so baten wir ihn, ihr auf diesem Wege mitzuteilen, dass wir gerne mal mit ihr reden würden.

Wohin nach dessen Tod Lafayettes gesammelte Unterlagen gekommen waren, konnte Oliver allerdings auch nicht sagen. Ein Teil habe vermutlich Richard Raith – der ungefähr zu der Zeit zum Vampir geworden sei – an sich genommen, denn ein Teil seiner Forschungen habe wohl auf Lafayettes Studien beruht. Huh. Was Oliver alles weiß.

Als nächstes kontaktierten wir Lila und Danny, weil Jeff ja in Kontakt mit Richard gewesen war. Wobei wir auf deren Antwort auch selbst hätten kommen können, wir Genies: Wir sollten doch Jeff einfach selbst fragen, der sei doch noch da. Ja klar!
« Letzte Änderung: 11.02.2016 | 15:41 von Timberwere »
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Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
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Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: White Night 2

Alex zog also los, um Jeff zu suchen. Und während wir warteten, hatte Totilas noch eine andere Theorie. Seine Mutter hatte ja nie ein Monster sein wollen; vielleicht will sie die Unterlagen für sich selbst? Wenn Richards Ritual, mit dem er damals seinen Dämon aus sich entfernt hatte, auf Lafayettes Studien beruhte, will Sancia vielleicht anhand der Dokumente für sich ein ähnliches Ritual wirken, um sich von ihrem Red Court-Sein zu befreien? Falls das denn möglich ist. Aber wer weiß, vielleicht ist es das ja wirklich? Bei Richard Raith hat es ja immerhin geklappt. Und einige der Red Courts hier in Miami, allen voran Orféa Baez, Sancia Canché und Robertos Freundin Lucia, sind noch erstaunlich sie selbst, als hätten sie irgendwelche Möglichkeiten, ihre Persönlichkeit zu bewahren.

Nach den Ereignissen an Halloween vor drei Jahren hatte Sancia Richard ja entführt, bis er irgendwann verschwunden war. Konnte er da fliehen, oder hat sie ihn freigelassen? Roberto äußerte die Vermutung, dass Sancia und Richard vielleicht zusammenarbeiteten, um Sancia wieder zum Menschen zu machen. Immerhin wollte sie ihren eigenen Sohn lieber tot denn als Monster sehen.

Edward rief indessen Vanessa Gruber an, unsere White Council-Bekannte vom Crater Lake. Der Name Lafayette duMorne sagte Ms Gruber zwar nichts, aber zu dem Nachnamen fiel ihr Justin duMorne ein. Der sei ein Ratsmagier gewesen, der sich mit einem Outsider eingelassen habe und von seinem Lehrling in Selbstverteidigung getötet worden sei, einem gewissen Harry Dresden, der nach dem Ausbruch des Kriegs gegen den Red Court – den er wohl anscheinend selbst ausgelöst hatte – zum Warden ernannt worden war.

Harry Dresden? Das war doch dieser Typ in Chicago, mit dem Edward dieses kurze und unerfreuliche Telefonat geführt hat. Und der ist Warden? Na super.

Irgendwann kam dann auch Alex mit Jeff im Schlepptau zurück. Über Alex erzählte der junge Geist uns folgendes: Er hatte Richard Raith in einem Internetforum kennengelernt, einer geschlossenen Community, wo man nur über Einladung reinkommt. Dort hatten Richard und er einige private Nachrichten ausgetauscht, über Magie und Rituale und Jeffs geistige Blockade. Richard hatte geantwortet, darin sei er nicht so der größte Experte, aber er werde sich einmal umhören und schlau machen.

Jeff gab Alex seine Login-Daten für das Forum, damit wir nachsehen konnten, ob Richard sich gemeldet hatte. Er hatte tatsächlich, unter dem Nickname „Widening Gyre“: eine alte PM, die Jeff seines Todes wegen nicht mehr gefunden hatte, in der Richard aber schrieb, dass es für ihn schwierig sei, sich mit Jeff zu treffen, dass Jeff sich aber mit schönen Grüßen von Richard an Totilas Raith wenden solle, einen Verwandten von ihm, der vielleicht Leute kennen würde.

Na gut, das hatte sich ja inzwischen erledigt. Aber immerhin lud Jeff, wo er schon mal eingeloggt war, uns alle auch gleich in dieses Forum ein, damit wir uns selbst einen Zugang erstellen konnten. Das Forum nennt sich „Beyond the Pale“ und hat einen gewissen Goth-Anstrich, aber die Tatsache, dass es auf dem Einladungsprinzip basiert, bedeutet, dass die ganz üblen Spinner größtenteils ausbleiben.

Roberto hatte seinen Forumsnickname schnell gefunden: Theoneandonlyroberto003. Haha. Für Totilas' Nickname witzelten wir ein bisschen herum, mit Vorschlägen wie „Pferdegeist“ und dergleichen, aber er entschied sich schließlich für „Troja“ mit dem Avatar eines Pferdes. Ich selbst grübelte eine Weile herum, ehe ich mich schließlich auf „Endymion“ einschoss. Was Richard Raith kann, kann ich auch. Wobei in meinem Fall die Namenswahl weniger daran lag, dass ich auf ein bekanntes europäisches Gedicht anspielen wollte, sondern eher daran, dass ich gerade Dan Simmons' Hyperion-Romane lese und mir der Name vermutlich deswegen in den Kopf sprang.

Was Edward und Alex für Namen wählten, weiß ich gerade gar nicht, aber Alex hat ja irgendwann extra einen wassergekühlten Rechner in einem Aquarium gebaut, damit auch Edward nicht ganz von den modernen Errungenschaften der IT abgeschnitten ist. Angemeldet hat er sich also.

---

31. Oktober – nein, 01. November, früh morgens

Oh Mann. Das muss ich aufschreiben, ehe ich ins Bett gehe. Ich bin gerade von der Halloweenfeier zurück. Es ist nichts abgebrannt, und es gab keine Toten, aber es war, sagen wir mal ... spannend.

Weil es eine Halloween-Feier war, mussten wir uns natürlich verkleiden. Ich hatte mir ein „Horatio Hornblower“-Kostüm besorgt, sprich die Uniform eines englischen Marineoffiziers aus dem 18. Jahrhundert, Edward ging als mittelalterlicher Ritter, Alex als Mafioso aus der Prohibitionszeit und Totilas als Pantomime mit schwarzen Hosen, gestreiftem Hemd, Hosenträgern und weiß geschminktem Gesicht. Roberto hingegen hatte sich mit Dee in ein Partnerkostüm geworfen: er als Indianerin (in pinkfarbenem Lederkleid) und Dee als Cowboy. Oh Mann. Ich will es ihm ja gönnen, wirklich, aber... grrrr.

Yolanda als Sommerrichterin war ebenfalls anwesend; Ximena hatte auch eine Einladung erhalten, kam aber nicht auf die Party, genausowenig wie Joseph – entschuldigung, Jonathan, der „Neffe“ – Adlene. Wobei ich nicht glaube, dass der überhaupt eingeladen war. Spencer Declan hingegen war es: Wie schon die letzten Male, sollte er auch dieses Jahr wieder für magischen Schutz sorgen. Marshall Raith fand das zu teuer, konnten wir hören, aber wie Totilas sagte, findet der alles teuer. Er trug das Kostüm eines Gründervaters: Gehrock, Kniebundhosen, gepuderte Perücke. Cherie Raith hatte sich ausstaffiert wie Marvels Black Widow: rote Haare, hautenger schwarzer Lederanzug.

Raith Manor sieht nach dem Wiederaufbau richtig gut aus. Es war ja früher ein eher klassischer Bau, und Teile davon sind auch noch erhalten, aber größtenteils macht das Gebäude jetzt einen wesentlich modernen Eindruck. Viel Glas, ziemlich kühl, Sonnenpaneele auf dem Dach, aber immer noch ziemlich verwinkelt. Der Partysaal an prominenter Stelle, natürlich: groß und opulent, aber mit zahlreichen kleinen, intimen Nischen.

Eigentlich fing alles ganz harmlos an. Die Band spielte, die Leute unterhielten sich, es wurde getanzt, und es sah nicht so aus, als würden die Nischen für raithsche Vampirspielchen benutzt. Aber irgendwann schob sich jemand neben Gerald Raith. Eine White Court offensichtlich, die Totilas uns als 'Anabel Raith' ausdeutete, in einem Kostüm der Herzkönigin aus Alice im Wunderland. Sie hatte die ganze Zeit schon nicht sonderlich begeistert dreingeschaut, sondern eher frostig, was für Raiths in einer sozialen Situation tatsächlich ja wohl eher ungewöhnlich ist. Jetzt nahm sie Gerald beim Arm, hakte sich bei ihm unter und begann zu sprechen. Sie brüllte nicht herum, aber sie flüsterte auch nicht, sondern war durchaus von den Umstehenden zu verstehen. Der Weiße König habe sie geschickt, denn der White Court sei alles andere als glücklich. Entweder Gerald hole sich bis Weihnachten die Marihuanafelder von den Santo-Shango zurück oder das Kokain-Geschäft vom Red Court, sonst müsste hier in der Stadt jemand anderes die Zügel in die Hand nehmen. Entweder es gebe ein Free-for-All, vielleicht auch nicht, aber auf jeden Fall müsse dann eine andere Lösung her.

Gerald klang sichtlich angetrunken, als er antwortete. Oder vielleicht auch nicht antwortete, denn eigentlich klang es wie ein klassisches Non Sequitur. Dass der Weiße König ihm mit Marshall ein Kuckucksei ins Nest gesetzt habe, dass Marshall nichts weiter sei als ein Spion für den König, und dass er genug habe. „Und weißt du was?“, fuhr er dann mit alkoholgeschwängerter Stimme fort, „Ich fordere dich zum Duell, Marshall, zum Duell auf Leben und Tod, unter den Unseelie Accords. Und weißt du was? Dich, Anabel, fordere ich gleich mit!“

In die Stille, die sich nach dieser Bombe im Saal ausbreitete, fiel kurz darauf Orféa Baez' Stimme. „Ich möchte nur zu Protokoll geben, dass der Rote Hof von Miami sein Geld mit Immobilien und Investmentgeschäften verdient, nicht mit Drogen.“
Anabel lachte hell auf. „Ach, das war natürlich nur ein Partyspiel, alles nur ein Scherz, haha“, säuselte sie und ging ab. Wie von einer Bühne, im wahrsten Sinne.
„Kein Scherz“, rief Gerald ihr hinterher. „Duell in zehn Tagen, hier im Garten am Duellkreis!“

Nachdem Totilas geistesgegenwärtig Adalind beiseite gezogen und die Partyplanerin beauftragt hatte, den ganzen Vorfall  wenn möglich tatsächlich irgendwie wie eine Show aussehen zu lassen, klärte unser White Court-Freund uns schnell über die Gebräuchlichkeit von Duellen in den Vampirhöfen auf. Ja, es gibt sie noch, und ja, auch Duelle auf Leben und Tod sind durchaus gebräuchlich. Aber auch ein Duell auf Leben und Tod muss nicht unbedingt mit dem Tod eines der Teilnehmer enden, denn der Sieger hat zwar das uneingeschränkte Recht, den Verlierer zu töten, aber der Verlierer darf dem Sieger etwas anbieten, um sein Leben doch noch zu retten. Etwa, sich dem Sieger auf alle Ewigkeit zu unterwerfen, oder so etwas. Außerdem müssen die Duellanten nicht selbst kämpfen, sondern haben beide das Recht, jeweils einen Champion für sich zu bestimmen.

Roberto zog dann los, um Lucia zu suchen. Eine Weile später sah ich sie miteinander tanzen, was ich schon irgendwie seltsam fand. Ich meine, Dee ist jetzt deine Freundin, Roberto, also benimm dich gefälligst auch so, verdammt!  Dee wiederum nahm indessen Edward beiseite. „Sag mal, ist der Frau klar, dass ich ein U.S. Marshal bin und du ein Polizist?“ „Das ist ihr völlig egal“, knurrte Edward. „Die wollte einfach nur Gerald in die Scheiße reiten.“

Yolanda stand mit Marshall da und unterhielt sich mit ihm. Oder besser, Marshall redete auf Yolanda ein. Er sah ziemlich gestresst aus, oder er tat zumindest so, und Yolandas Gesicht verfinsterte sich zusehends. Dann trennten die beiden sich, und Marshall Raith machte sich auf in Richtung Cousine Anabel, die von einem ziemlich auffälligen Leibwächter von ungefähr 2,10 m begleitet wurde. Totilas warf mir einen Blick zu und setzte sich ebenfalls in Bewegung – er hatte anscheinend vor, das Gespräch zu belauschen.

Alex ließ die Augen überall herumschweifen, sah ich, daher ging ich erstmal zu Yolanda hinüber. Die war ganz aufgebracht. "Der arme Marshall! Vorspiegelung falscher Tatsachen war das! 'Hier kannst du in Frieden leben, hier gibt es keine Intrigen' - und jetzt? Jetzt fordert der, der ihm das vorgespiegelt hat, ihn selbst zum Duell!" Sie war ernsthaft empört, und nichts, was ich sagte, konnte sie in irgendeiner Form beruhigen, nicht einmal, dass Duelle auf Leben und Tod nicht unbedingt im Tod enden müssen. Ob man Duelle zurücknehmen könne, wollte Landa wissen. Nicht ohne Gesichtsverlust, erwiderte ich, jedenfalls soweit ich wisse. Es müsse jedenfalls der Grundsatz 'in dubio pro reo' gelten, befand meine Schwester, auch für einen White Court-Vampir! "Und überhaupt - hat die Tante gerade wirklich von Drogen geredet? Mit einem Cop und einer U.S. Marshal im Raum? Wie korrupt ist das denn?!"
Da wiederum konnte ich ihr nur zustimmen.

Die erwähnte U.S. Marshal machte auch ein ziemlich unglückliches Gesicht, und ich kannte sie gut genug, um zu wissen, was in ihr vorging. Sie hätte eigentlich auf die Drogengeschichte reagieren müssen, und auch liebend gerne wollen, aber die von Anabel Raith aufgeworfenen Vorwürfe waren so schwammig und nichtssagend gewesen, dass Dee eigentlich gar nichts so wirklich tun konnte. Also biss sie die Zähne zusammen und schwieg - und ging stattdessen mit Roberto tanzen. Das hatte ich zwar gerade vorhin noch angemeckert, aber: grrrrr. Hat keiner behauptet, dass ich in dieser Angelegenheit rational denke. Das war dann jedenfalls der Moment, in dem ich mir lieber etwas zu trinken holen ging.

Später trafen wir uns alle wieder und tauschten Informationen aus.

Totilas hatte tatsächlich Marshall und Anabel Raith bei ihrem Gespräch belauscht. Anabel machte sich offensichtlich wegen der Duellforderung keine großen Sorgen. Es gebe wohl ein paar Kandidaten für Geralds Champion, wie den brutalen Cop zum Beispiel. Sie selbst habe einen Champion, ob Marshall auch schon einen hätte? Marshall hatte offensichtlich noch keinen, denn er erklärte, er könne Hilfe dabei brauchen, einen zu finden, aber das überhörte Anabel geflissentlich. Oder besser, sie weigerte sich rundheraus, ihm zu helfen, weil Marshall ihr nichts im Gegenzug anzubieten hatte.

Etwa in diesem Moment hätten die beiden Totilas dann bemerkt, sagte er. Marshall habe sich verzogen, aber Anabel habe sich schleimig-freundlich gegeben. Totilas habe sie gefragt, ob sie einen guten Champion habe, und sie habe das bestätigt – und ihn dann gefragt, ob er sich anbieten wolle, ehe sie ihn habe stehen lassen. Totilas machte ein etwas seltsames Gesicht, als er das erzählte. Irgendwas war offensichtlich zwischen den beiden noch vorgefallen, das er uns nicht weitergab.

Nach dem Gespräch mit Anabel hatte sich Totilas doch noch mit Marshall unterhalten. Der war erst wenig geneigt, mit seinem Cousin alleine zu sein, aber dann redete er doch. Er habe erklärt, er sei kein Spion. Er habe lediglich versucht, Gerald klarzumachen, dass die Dinge so nicht so laufen könnten, wie Gerald das gerade versuche, aber der habe ja nicht auf ihn hören wollen. Er habe hier in Miami wirklich nur seine Ruhe haben wollen, aber nun habe er das Gefühl, Gerald habe ihn verschaukelt. Und Marshall habe sogar ehrlich gewirkt, als er das sagte.

Alex sagte, angesichts der Neuigkeiten von dem Duell habe Orféa Baez sehr zufrieden dreingeschaut, Spencer Declan ebenso. Der größte Teil des White Court habe ziemlich aufgescheucht gewirkt, während Cherie Anabel beobachtete, als  sei diese der ganz klar definierte Feind.

Mit Cherie hatte Edward dann auch gesprochen: Sie werde Gerald Champion geben. Marshall halte sie nicht für eine Bedrohung. Die wahre Gefahr sei Anabel. Sie hätte dann noch versucht, sein Gewissen reinzuhalten, indem sie meinte, das ganze Gerede sei nur Code für „Kuchen“.

Anschließend hatte Edward eigentlich mit Gerald reden wollen, aber das ging gerade nicht. Der Gute war nämlich gerade dabei, sich zu ernähren. Ähm, ja.

Danach passierte jedenfalls nicht mehr so richtig viel. Ist ja auch nicht so, als wäre die eine Bombe nicht genug gewesen.

---

01. November

Wir haben uns auf dem Schiff getroffen. Das kam uns bei den ganzen Neuigkeiten und Dingen, die es zu besprechen gibt, sicherer vor als das Dora's.

Schneeball sei noch nicht wieder zuhause, erzählte Edward. Den hatte er für die Party bei Ximena gelassen, aber bisher hat sie ihn noch nicht zurückgebracht.

Totilas hat heute morgen über das „Beyond the Pale“-Forum eine Nachricht an seinen Vater geschickt. Er habe keine Klarnamen verwendet und alle Informationen verschlüsselt, versicherte er uns. So habe er erwähnt, dass seine Mutter in der Stadt sei und nach den Unterlagen des alten Mathelehrers von Widening Gyre suche. Außerdem habe er um ein Treffen gebeten, es sei wichtig. Sich selbst identifiziert habe er sich mit einem alten Kinderspitznamen, damit Richard auch wisse, das die Nachricht wirklich von Totilas sei.

Dann erzählte Roberto uns, dass er gestern abend tatsächlich mit Lucia gesprochen habe. Ach. Gesprochen also auch, nicht nur getanzt. Von der erfuhr er, dass die ganze Sache mit dem Ritual Sancias Baby sei. Und soweit sie, Lucia, wisse, solle das Ritual auch keinen Angriff auf irgendwen darstellen, sondern Sancia wolle es für sich selbst.

Dann trugen wir nochmal all die Dinge, die wir gestern abend schon kurz besprochen haben, zusammen. Und fingen an zu theoretisieren.
Ob Gerald die ganze Sache mit dem Duell vielleicht geplant haben könnte, war ein Gedanke. Das sehe seiner Meinung nach tatsächlich so aus, fand Roberto. „Ich glaube, Gerald versucht, Totilas in seine Position zu hieven.“
Daraufhin fragte Alex, ob Totilas sich für den Job disqualifizieren wolle – mit Sancias Ritual müsste es ja möglich sein, ihn zu ent-vampirisieren. „Sancia will mich umbringen!“, erwiderte Totilas entgeistert. Ach, da könne er mal vorfühlen, hielt Roberto ihm entgegen.

„Ich kann Gerald nicht im Stich lassen“, sagte Totilas nachdenklich, „aber ich bin auch ein Ritter von Miami. Für Miami wäre es besser, wenn ich dieses Ritual durchzöge.“ „Warum?“ wollte Alex sofort wissen. „Ich weiß nicht...“, kam Totilas' Antwort. „Weil ich dann keine Drogengeschäfte machen müsste.“ „Das musst du ja nicht“, schoss Alex zurück. „Der Weiße König will nur sein Geld. Ob du das legal oder illegal verdienst, ist dem völlig egal.“

Er habe Gerald nie verstanden, fuhr Totilas fort. Der stelle Ansprüche an ihn, sage aber nicht, was für welche.
„Gerald ist eigentlich ziemlich simpel gestrickt“, warf Edward ein. „Geh einfach mit ihm reden.“
„Das habe ich ja versucht“, seufzte Totilas.
Das war natürlich das richtige Stichwort. „Nicht versuchen“, hielt Alex unserem White Court-Kumpel sofort entgegen. „Do or do not, there is no try.“
Da musste ich ihn aber leider enttäuschen. „Vergiss es, Alex, der kennt kein Star Wars!“

Ähm. Ja. Und deswegen machen wir jetzt einen Videoabend. Ich habe Totilas mehr oder weniger am Schlafittchen gepackt und zu mir nach Hause geschleppt; Roberto kam auch mit. Duell hin oder her, Red Court-Rituale hin oder her, den einen Abend kann das jetzt auch noch warten. Totilas' Bildungslücke schließen ist wichtiger, habe ich beschlossen. Alex ist heute abend, am Día de los Muertos, ohnehin damit beschäftigt, sich um die Geister zu kümmern, und Edward bekam auch einen Anruf aus dem Precinct, dass seine Anwesenheit vonnöten sei. Da können wir anderen auch Film schauen.
« Letzte Änderung: 16.02.2016 | 08:36 von Timberwere »
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Ricardos Tagebuch: White Night 3

02. November

Der Día de los Muertos ist wohl vergleichsweise ruhig verlaufen, sagte Alex. Außer dass bei diesem Zombie Walk beinahe Dinge schiefgegangen wären, als er gerade woanders nach dem Rechten sah. Es sei aber gerade nochmal alles gut gegangen. Aber wer zum Geier veranstaltet auch einen Zombie Walk am Día de los Muertos?

Aber immerhin hat Richard schon auf Totilas' PM geantwortet. Dummerweise bestand sie aus nicht viel mehr als einem Fluch und einem knappen „bin unterwegs, müssen reden“, aber immerhin, er hat geantwortet. Und immerhin, er ist unterwegs.

Roberto hatte deutlich beunruhigendere Neuigkeiten, die er sofort auf uns losließ, nachdem Alex und Totilas ihre Informationen abgeworfen hatten. Kurz vor Sonnenaufgang rief nämlich Lucia bei ihm an. Sie habe ihm nur sagen wollen, dass das Ritual ein bisschen schiefgegangen sei und nun ein Maya-Eiterdämon frei in der Stadt herumlaufe. Einer der Herren von Xibalba, der Unterwelt der Maya. Ääääh. ¿Como demonios? Im wahrsten Sinne.
Auf Robertos Nachfragen habe Lucia dann noch erzählt, dass der Dämon Ahalphu heiße, in den Everglades beschworen worden sei und Krankheiten verteile.
„Wir sollten uns umbenennen von 'Ritter' in 'Kammerjäger'“, knurrte Edward, als er das hörte. Gute Idee. Mierda.

Als erstes riefen wir in der Waystation an, um Selva Elder zu warnen, dass ein Krankheitsdämon in den Glades herumstreunt. Dann durchsuchten wir das Internet nach Informationen über das Pantheon der Maya. Wir fanden heraus, dass laut den Überlieferungen der Maya deren Götter die Dämonen in einem Ballspiel besiegt und daraufhin in deren Unterwelt verbannt hatten. Genauer gesagt, Roberto, Totilas und ich suchten. Edward hielt sich lieber fern, weil nicht sein wassergekühlter Spezialrechner, und Alex war in eine Art Trance verfallen. Wir beobachteten das erst mit ein wenig Sorge, aber er atmete ganz normal, also hofften wir mal, dass er schon irgendwann wieder zu sich kommen würde.

Das tat er dann nach ein paar Minuten auch. In seiner Trance war Eleggua ihm erschienen und hatte ungewöhnlich ernsthaft mit Alex geredet. Dieser Ahalphu sei eine Totengottheit der Maya, einer von der Sorte 'guckt dich an, und du fällst um', und wir seien völlig unvorbereitet auf eine Bedrohung von diesem Kaliber. Und der Dämon müsse wieder zurück in die Unterwelt gebracht werden, dringend, der gehöre keinesfalls in die Welt der Lebenden. Körperlich gegen ihn zu kämpfen wäre theoretisch möglich, dazu würde Eleggua aber nicht raten, dazu sei der Kerl zu mächtig.

Super. Einfach grandios. Und das, wo die Grenzen zum Nevernever wegen des Día de los Muertos ohnehin gerade schwach sind. Oder vielleicht eben deswegen.

Wie dem auch sei, wir überlegten natürlich des Langen und des Breiten, was wir nun tun konnten. Wir könnten ein Ritual durchführen, um den Kerl zu orten. Und wir könnten ein Ritual durchführen, das vor Krankheiten schützen würde. Aber wir brauchten Hilfe, soviel war klar.

Wir beschlossen, so ziemlich jeden unserer übernatürlichen Kontakte zu informieren, damit die wenigstens gewarnt wären und vielleicht im besten Falle schlaue Ideen hätten. Jack White Eagle. Pan. Das Coral Castle. Macaria Grijalva. Die Santo Shango. Sogar Spencer Declan. Immerhin ist der der Warden der Stadt und sollte zumindest informiert sein, wenn er es schon nicht für nötig halten würde, einzugreifen. Wobei, vielleicht würde er uns ja überraschen und doch etwas tun. Zeichen und Wunder soll es ja bekanntlich immer mal wieder geben.

Macaria Grijalva klang sehr beunruhigt bei der Nachricht, vor allem aufgrund der Tatsache, dass Eleggua höchstselbst es für nötig gehalten hatte, sich einzumischen.
Jack White Eagle sagte, er werde die übrigen Elders informieren und schauen, ob er irgendwelche Maya-Nachfahren in der Stadt finden könne.
Spencer Declan war nicht zu erreichen, dem hinterließ Roberto eine harmlos klingende Mitteilung über dessen Telefondienst.
Cicerón Linares wiederum erklärte, die Santo Shango hätten ja noch immer die Yansa-Maske, falls diese gebraucht werde. Stimmt. Gut zu wissen.

Ich rief dann bei Yolanda an, um sie zu warnen und auch, damit sie vielleicht Alejandra und die Eltern aus der Stadt bringen könnte, aber ich erreichte sie nicht in Miami, sondern mitten in einem Richterauftrag, irgendwo in Connecticut. Mierda!

Na gut. Ich rief also bei Lidia an, immerhin wollten Alejandra und Monica heute nachmittag zusammen spielen, aber die Mädels seien noch in der Schule, sagte sie. Und Lidia selbst sei noch bei der Arbeit und könne nicht einfach so frei nehmen oder die Mädchen aus der Schule holen, selbst dann nicht, wenn ein Terrorist unterwegs sei. Seufz. Wenigstens nahm ich ihr das Versprechen ab, vorsichtig zu sein und größere Menschenansammlungen zu vermeiden, wenn sie die Mädels nachher von der Schule abholen gehe.

Während ich telefonierte, hatte Roberto ein kleines Ritual begonnen, um den Eiterdämon zu lokalisieren. Für uns sah das vor allem so aus, als habe er eine Statue seiner Orisha vor sich hingestellt und Kräuter drumherum gestreut, aber als er zu sich kam, erklärte er, er habe von Erinle, der Orisha der Heilung, erfahren, wo dieser Ahalphu sei: An einem Ort voller Wasser und Palmen. Das Bild, das ihm vor Augen trat, erkannte Roberto als Coral Gables, einer edlen Luxusgegend, wo auch der Red Court residiert.

Lucia konnte Roberto nicht erreichen, weil es ja inzwischen Tag war, aber er rief nochmal bei Macaria an, um ihr die neue Lage in Sachen Coral Gables mitzuteilen und sie zu bitten, zum Anwesen des Red Court zu kommen. Aber die Santería-Älteste meinte, als Orunmila könnten sie nicht viel tun, und verwies an Eleggua.

Alex bat Edward, der solle Suki Sasamoto beauftragen, die Eleggua-Maske für ihn hochzutauchen (die hat Alex ja zur Sicherheit sehr, sehr tief unten im Meer versenkt).
Als Edward dann mit seiner Kollegin telefonierte, berichtete die, nahe Coral Gables sei ein Mann aus unerfindlichen Gründen zusammengebrochen und liege jetzt in kritischem Zustand im Krankenhaus. Mierda.

Kurz überlegten wir, ob Edward vielleicht in der Gegend eine Durchsage wie „es ist ein Gasleck aufgetreten, bitte halten Sie Türen und Fenster geschlossen“ veranlassen könnte, aber den Gedanken mussten wir leider ziemlich sofort wieder verwerfen. Es gab einfach keine Beweise in der Richtung; eine solche Warnung wäre einfach nicht plausibel und würde die guten Bewohner von Coral Gables (reich und von ihren Rechten überzeugt allesamt) nicht sonderlich lange in ihren vier Wänden halten, selbst wenn man das Umweltamt irgendwie davon überzeugen könnte, sie auszugeben.

Inzwischen traten immer weitere Krankheitsfälle auf, überall da, wo sich üblicherweise viele Leute aufhalten: South Beach, Lincoln Street, und so weiter. Unser Eiterdämon bewegte sich offensichtlich recht zügig in der Gegend herum.

Henry Smith, den Edward damit beauftragte, die Situation im Auge zu behalten, meldete sich irgendwann mit der Nachricht zurück, in der Nähe einer der Erkrankten sei ein auffälliger Typ gesehen und fotografiert worden. Das Bild schickte er uns. Es war ein wenig verwackelt, aber darauf war ein älterer Indio mit zerfurchtem Gesicht und mittellangem Haar zu sehen.

Wir sahen uns die Liste der bisherigen Krankheitsfälle an, um festzustellen, ob sich vielleicht ein erkennbares Muster ergab. Aber wenn dem so war, dann konnten wir es nicht finden. Aber es gab bisher auch noch gar nicht so viele Fälle, dass es irgendwie relevant gewesen wäre.

---

Gegen Abend klingelte Totilas' Telefon. Richard war dran, gerade in der Stadt angekommen. Totilas wollte seinen Vater gleich vor dem Eiterdämon warnen, aber der meinte, Totilas – gerne auch mit seinen Freunden – solle vorbeikommen und es ihm von Angesicht zu Angesicht erzählen. Oh, und er solle sich nicht wundern: Richard sei der Typ im Zylinder.

Richard trug tatsächlich einen Zylinder, stellten wir im Dora's fest. Das, und ein Goth-Outfit. Begleitet wurde er von einer ganz ähnlich gekleideten Dame, ebenfalls im Zylinder, die er als Hayley vorstellte. Der ältere Raith umarmte seinen Sohn zwar, löste sich dann aber sehr schnell. Ich erinnerte mich daran, dass er ja von Sancia infiziert worden war. Vermutlich war das der Grund, warum er körperliche Nähe zu vermeiden suchte.

Wir erzählten den beiden, was wir von Lucia erfahren hatten. Dass durch das Ritual der Red Courts wohl anscheinend ein Tor in die Unterwelt geöffnet werden sollte, da aber etwas gründlich schiefgegangen sei. Und dass der Eiterdämon dringend zurück nach Xibalba müsse.

Richard hörte zu, nickte verstehend und meinte dann, er könne sich ungefähr vorstellen, was Sancia geplant habe. Mit den Red Courts sei das so, erklärte er: Man werde ja nicht als Red Court geboren, sondern infiziert. Und wenn ein Infizierter dann zum Vampir werde, übernehme dessen Dämon die ehemalige Person vollständig. Deren Seele müsse bei der Übernahme ja irgendwohin verschwinden, und zwar vermutlich eben ins Totenreich, in einen ganz bestimmten Teil des Totenreichs. Diese Seele könne man aber eben nicht so einfach zurückbeschwören. Ergo das komplizierte Ritual, das aber fehlgeschlagen war. Ja klar, das klang plausibel!

Bei der Linie der Canchés sei es jedenfalls schon immer so gewesen, dass deren Dämonen schwächer seien, dass auch nach der Übernahme ein wenig mehr Geist, mehr Seele, in der Person übrig bliebe.
Während seiner Gefangenschaft habe er mit einiger Mühe Sancia davon überzeugen können, dass es doch gut sei, ihre Seele oder wenigstens einen größere Teil ihrer Seele wiederzubekommen. Das würde sie zwar schwächen, aber diese Schwächung könnte sie mit anderen Vorteilen kompensieren.

Richards Langzeitplan sei es gewesen, Sancias Dämon ganz loszuwerden. Das habe er aber natürlich nicht laut gesagt. Jedenfalls hätten seine Frau und er lange geforscht und wüssten nun, in welcher Ecke des Totenreichs die Seelen genau zu finden seien. Nur sie zurückzuholen sei eben schwer.

Nach Lafayettes Unterlagen fragten wir Richard natürlich auch. Die seien bei ... in Sicherheit, erwiderte er. Er wisse, wo sie seien, aber er habe sie nicht.

Dann ließen wir die Bomben platzen. Nummer eins: Camerone Raith sei jetzt der Geist des Coral Castle. Der Lette sei verschwunden, vernichtet worden von Cicerón Linares. Diese Nachricht schockte Richard schon gehörig.
Als Totilas dann herumzudrucksen begann, fragte Alex: „Soll ich dir eine schöne Überleitung geben, oder schaffst du's alleine?“
Totilas sah zu Hayley. „Ist sie vertrauenswürdig?“
Richard erklärte, er vertraue ihr so halbwegs, während Hayley protestierte. „Hey, ich bin total vertrauenswürdig!“
„Es geht um Familienangelegenheiten“, zögerte Totilas weiter, und er wolle nicht, dass das allzuweite Kreise ziehe, und...
„Nun fang endlich an!“

Also erzählte Totilas von der Halloween-Feier, von Gerald und seiner Duellforderung, seiner Aussage, er „hätte Richard und Totilas geliebt“ und der daraus hergeleiteten Befürchtung, er könne Selbstmord begehen wollen.
„Was sagt er denn?“ fragte Richard.
„Er redet ja eben nicht mit mir“, seufzte Totilas.
„Er redet schon mit dir“, hielt Richard ihm prompt entgegen, „du verstehst ihn nur nicht.“

Und dann zog Richard los, um sich selbst mal mit seinem Vater zu unterhalten. Aber vorher theoretisierte er noch, dass Cherie zwar sein Champion sein möge, dass er aber bestimmt einen zweiten Champion als Ersatz in der Hinterhand habe. Oder dass, falls er sich wirklich umbringen wolle, selbst in das Duell gehen könnte, das sei sogar nicht mal so unwahrscheinlich. Der Sieger eines Duells auf Leben und Tod müsse dem Verlierer die Option lassen aufzugeben, aber wenn der Verlierer dies nicht tue, dann müsse der Sieger den Todesstoß setzen.
Und er gab Totilas seine Telefonnummer. Er hat so ein Einweg-Prepaid-Ding, weil Sancia ja noch immer nach ihm sucht. Die beiden sind ja auch tatsächlich noch immer verheiratet, haben sich nie scheiden lassen.

Nachdem Richard gegangen war, blieb Hayley noch im Dora's und gab uns einige weitere Informationen.
Xibalba sei eine der Domänen im Nevernever, die Unterwelt der Maya. Dort sei heute nicht mehr allzuviel los, weil es eben kaum noch Leute gibt, die der Maya-Religion angehören. Es gebe zwölf Herren von Xibalba, zwei oberste und zehn untere, zu denen Ahalphu gehöre, die eben irgendwann besiegt und in diese Unterwelt verbannt wurden.
Die Unterwelt der Maya bestehe aus neun Stufen, wo man sich in Kämpfen und Prüfungen beweisen müsse – mit der Ausnahme von Selbstmördern, Opfern und im Kindbett Gestorbenen, die würden sofort in den Maya-Pantheon aufgenommen. Aber auch alle anderen Seelen müssten sich nicht auf ewig in Xibalba aufhalten, sondern müssten eben die diversen Prüfungen bestehen, wonach sie auch in den Pantheon aufgenommen würden.

Die Eingänge nach Xibalba befänden sich traditionell in Höhlen, und ja, theoretisch könnte man dort auch als Lebender herumlaufen, wenn man den Weg finde. Man brauche aber Affinität zur Kultur der Maya, sonst käme man einfach anderswo hin, wenn man es versuche.

Ahalphu grundsätzlich loszuwerden, sei eigentlich ganz einfach, befand Hayley: „Tor auf, Ahalphu rein, Tor zu.“
Das Tor zu öffnen, sei nun nicht so das Problem. Das Problem sei eher, Ahalphu dahin zu bringen, wo das Tor sei, und eben, das Tor genau am richtigen Ort zu öffnen. Oh, und den Eiterdämon hindurchzubugsieren. Denn der werde sich vermutlich wehren.

Dann wandte Hayley sich direkt an Alex. „Dein Boss ist ein Scherzkeks. Sag' dem bloß, ich will ihn nicht bei mir haben!“
Was auch immer sie damit meinte. Aber Alex erklärte uns später, als sie weg war, er habe an ihr irgendwas gespürt, eine Art Verwandtschaft zu sich selbst, aber mit einem anderen Schirmherrn, und wir sollten ein bisschen vorsichtig sein. Sprich mit irgendeiner anderen Totengottheit als Patron? Oh Freude. So richtig wie ein Mensch ist sie Alex auch nicht vorgekommen. Doppelfreude.

Als wir uns dann trennten, stöberte ich zuhause noch ein bisschen in den Tiefen des Internets. Aber außer, dass es jetzt schon wieder halb drei Uhr morgens ist und mir die Augen brennen, habe ich nicht sonderlich viel herausgefunden. Zahllose Verweise auf Bücher, Artikel, Professoren, sonstigen Maya-Experten. Nichts, was sich nachts weiter verfolgen ließe. Oh, und die Idee, dass Eric es im nächsten oder übernächsten Band vielleicht irgendwie mit den Maya zu tun bekommen könnte, falls sich das einigermaßen gescheit einbauen lässt.

Viel Zeit für Schlaf ist heute nacht jedenfalls nicht mehr. Mierda.

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03. November

Über Nacht sind es mehr Opfer geworden. Es ist noch keine Epidemie, aber der Anstieg an Kranken macht sich inzwischen deutlich bemerkbar. Es gab auch bereits den ersten Todesfall. Das CDC ist auch schon in der Stadt, das war ja zu erwarten. Edward hat Kontakt mit denen und ist daher über deren Stand der Anstrengungen informiert. Dem CDC ist noch nicht so klar, was das überhaupt für eine Krankheit ist, die sich da gerade ausbreitet. Aber immerhin ist es wirklich nur eine Krankheit, nicht mehrere. Die Inkubationszeit muss relativ hoch sein, denken die Experten. Bezüglich des Übertragungsvektors sind sie sich unsicher, aber es könnte sich um Luftübertragung handeln. Die Betroffenen fallen mitten in Menschenansammlungen um – das heißt, entweder, viele Leute sind immun oder sie sind Überträger oder die Inkubationszeit ist tatsächlich richtig hoch, und alle sind schon angesteckt, aber die Krankheit ist einfach noch nicht ausgebrochen. Und das wäre natürlich der absolute GAU.
Aber eine Sache ließ uns aufhorchen. Alle bisherigen Opfer sind Leute, die hervorstechen, auffallen, irgendwie interessant wirken.

Roberto kam gar nicht zu dem Treffen am Vormittag; er hinterließ uns aber eine Nachricht, dass er den Orunmila helfe, die einen Schutzkreis gegen die Seuche um Little Havana ziehen wollten. Gut so. Das beruhigt mich, auch und gerade in bezug auf Mamá und Papá.

Suki Sasamoto schlug kurz bei uns auf und lieferte die Maske bei Alex ab, und kurze Zeit später stieß Richard Raith zu uns. Sein Gespräch mit Gerald gab er folgendermaßen wieder:

Zwischen den Zeilen gelesen, habe Gerald extrem urlaubsreif, wenn nicht gar lebensmüde auf ihn gewirkt. Er wirke, als sei er am Ende seiner Kräfte, und alle, die er liebt, stürben, litten, gerieten in Schwierigkeiten. Aber um Hilfe bitten könne er ja auch niemanden. Nichts davon habe Gerald, wie erwähnt, laut gesagt, aber das sei der Eindruck, den Richard von ihm gewonnen habe.
Seiner Meinung nach sei Gerald auch aufrichtig davon überzeugt, dass Marshall Raith ein Verräter sei.
Cherie werde Geralds erster Champion gegen Marshall sein; gegen Anabel habe er auch einen Champion, habe er erklärt, aber nicht sagen wollen, wer das sei. Das klinge beinahe, als wolle er es selbst machen, sage Richard, und ja, irgendwie tut es das. Richard war sich allerdings nicht ganz sicher, ob Gerald ihm nicht nur eine grandiose Show geliefert habe, um ihn zu täuschen.

Hmmm. Falls es wirklich ein Täuschungsmanöver sein sollte, überlegten wir gemeinsam, dann hätte Gerald Miami mit einem Sieg über Anabel eine Menge Luft verschafft, und wenn er dann wollte, könnte er die Leitung des White Court in der Stadt immer noch an Totilas abgeben.

Wir wüssten zu wenig über Marshall, befand ich. Wenn wir uns sicher sein könnten, dass er unschuldig sei, wäre es vielleicht einfacher, einen Weg zu finden, wie er unbeschadet aus der Duellsache rauskommt. Und wenn er wirklich unschuldig ist, dann verdient er auch einen guten Champion.
Totilas erwähnte nochmal das Gespräch zwischen Anabel und Marshall, das er belauscht hatte, wo Marshall seine Cousine förmlich um Hilfe angefleht, diese ihn aber am ausgestreckten Arm hatte verhungern lassen.
Es könnte ja auch sein, dass Marshall es tatsächlich ehrlich meint, dass er aber trotzdem benutzt wird, weil man – sprich  der Weiße König oder sonstige Raiths vom Weißen Hof – einfach weiß, welche Knöpfe man bei ihm drücken muss.

„Biete du dich ihm doch als Champion an“, schlug Alex Totilas trocken vor. „Damit würde zumindest mal niemand rechnen.“
Da schüttelte unser White Court-Kumpel aber sehr schnell. „Das kann ich Gerald nicht antun. Über die Kante schubse ich ihn nicht.“
Sein unglücklicher Gesichtsausdruck, während er das sagte, ließ aber durchscheinen, dass Totilas den Eindruck hatte, das habe er bereits getan.

Ich könnte Yolanda mal fragen, ob sie seit der Party nochmal mit Marshall über das Duell und seinen Champion gesprochen habe, fiel mir ein.
Als ich ihren Namen erwähnte, horchte Totilas auf. „Vielleicht wäre Yolanda als Richterin ja geeignet.“
Ich sah ihn entgeistert an. Als Champion? In einem Duell auf Leben und Tod? Meine Schwester? Keine Chance, Junge!

Dann rief ich auch nochmal bei meinen Eltern an, um sie vor der grassierenden Krankheit zu warnen. Dass sie für ein paar Tage vielleicht möglichst wenig aus dem Haus gehen sollten. Und dass ich Alejandra, die ja ohnehin gerade bei ihnen war, vermutlich über Nacht bei ihnen lassen würde. Lidia warnte ich dann ebenfalls.
Am liebsten hätte ich auch auch Dee angerufen, hatte sogar die ersten Ziffern ihrer Nummer schon gewählt, aber dann legte ich auf. Das wäre vermutlich nicht so gut gekommen. Stattdessen bat ich Alex, seine Schwester zu warnen. Das tat er auch, wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn Dee war mit Roberto in Little Havana und half bei dem Ritual. Hätte ich mir ja denken können, immerhin ist sie Spezialistin für Schutzzauber. Sie war da natürlich schwer eingespannt, aber sie versprach Alex noch, dass sie Edward Zugang zu dem Netzwerk der Task Force verschaffen werde.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
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Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: White Night 4

Richard Raith saß ja auch noch bei uns. Dem sagte Edward rundheraus, er interessiere sich für seine Forschungsergebnisse und dafür, wie er damals seinen Dämon losgeworden sei. Und warum er meine, dass dieselbe Vorgehensweise auch auf einen Red Court-Dämon Wirkung zeigen könne. Und vor allem, warum er glaube, dass Sancia ebenfalls ein Interesse daran habe, ihren Dämon loszuwerden.

Als voller Red Court-Vampir könne Sancia nicht mehr lieben, erklärte Richard. Sie wisse aber, dass ihr etwas fehle, und sie vermisse es und wolle es gerne zurückhaben. Und ja, er glaube ihr schon, dass sie darunter leide. Sancia ihre Seele zurückzugeben, würde den Red Court-Dämon nicht sofort vollständig aus ihr vertreiben, fuhr Richard dann fort, sondern sie eher wieder mehr wie zu einer Infected werden lassen.

Ursprünglich hatte Sancia ihren Mann ja gefangengenommen und ihn tatsächlich auch gefoltert, wie Richard jetzt in knappen Worten erzählte. Er habe sie aber überreden, oder überzeugen, oder beides, können, dass es anders besser sei, und so habe sie ihn freigelassen. Die Idee, ihr die Seele wiederzugeben, habe er nach seinen eigenen Erfahrungen mehr oder weniger improvisiert. Und ja, er hätte Sancia tatsächlich gerne wieder, seine Frau, wie sie früher gewesen war.

Nun gab Richard auch zu, wo seine Aufzeichnungen versteckt seien. Die bewahre nämlich Cleo duMorne zusammen mit Lafayettes eigenen Unterlagen auf. Und Cleo sei gut im Verstecken - sei ihr ganzes Leben lang schon auf der Flucht, mehr oder weniger. Ihr Vater habe sie anscheinend nur gezeugt, weil er irgendwelche magischen Experimente mit ihr habe anstellen wollen oder so etwas in der Art, und ihre Mutter sei dann mit dem Mädchen geflohen.

Ob Richard Spencer Declan kenne, wollte Alex dann wissen. Da wurde sein Gesicht grimmig. "Oh ja."
"Was müssen wir über ihn wissen?"
"Er ist ein Arsch."
"Das wissen wir. Was noch?"
Ich wurde genauer. "Wir haben gehört, Declan könne die Gesetze der Magie ungestraft brechen."
Richard schüttelte den Kopf. "Das geht nicht. Es ist ein kosmisches Gesetz, dass das nicht geht."
"Man hat uns aber davor gewarnt", hakte ich nach.
Das brachte Richard zum Überlegen, und er erzählte uns, dass es im White Council Gerüchten zufolge jemanden gebe, der das könne. Zumindest habe der Magierrat vor einer Weile einen ganzen Satelliten auf eine Ansiedlung des Red Court niedergehen lassen, was garantiert mit Magie erfolgt sein müsse, und dabei ebenso garantiert auch Menschen getötet worden seien.

Beunruhigend, aber es brachte uns im Moment nicht weiter, vor allem nicht in bezug auf unser aktuell drängendstes Problem. Also stellten wir diese Frage fürs Erste hinten an und befassten uns mit dem Seuchendämon aus Xibalba. Die Eingänge in die Maya-Unterwelt befinden sich traditionell in Höhlen. Okay. Wo gibt es Höhlen in Miami?
Alex wusste da ein paar. Etliche unterseeisch - da würden wir Ahalphu vermutlich nur schwer hinlotsen können. Der Camp Owaissa Bauer-Campingplatz hat eine Höhle, aber ein Campingplatz klang uns zu belebt. Dann noch das Salt Cave Medical Spa - vermutlich auch zu belebt - und die Lost Lake Caverns, ein Felsloch in einem See. Alles nicht so wirklich vielversprechend. Zumal letztere vor einer Weile gesprengt wurden und man wohl gar nicht mehr reinkommt. Mierda.

Aber gut. Angenommen, wir nehmen eine der beiden belebten Höhlen für unser Tor zurück nach Xibalba. Wie können wir Ahalphu besiegen? Was ist seine Schwachstelle? Was will er? Er sucht Anhänger, will angebetet werden, waren wir uns alle einig.
"Wir könnten ihm Anhänger versprechen", schlug Totilas vor. "Eine Sekte für ihn gründen."
Ich bin mir nicht sicher, wie ernst er das wirklich meinte, aber ich fürchte fast, ziemlich. Aber auch wenn es ein Scherz gewesen sein sollte, konnte ich das nicht witzig finden. Dass irgendwelche alten Wesen, die früher als Gottheiten angebetet wurden, überhaupt existieren, fällt mir schwer genug zu akzeptieren. Aber die auch noch aktiv zu unterstützen? Da mache ich nicht mit, und das sagte ich den Jungs auch.
"Schön, keine Sekte", knurrte Edward. "Aber können wir bitte irgendwas tun?! Es sterben uns Menschen weg hier!"

Wir beschlossen also, Ahalphu erstmal zu finden und mit ihm zu reden. Vielleicht wollte er ja, E.T.-Style, einfach nur nach Hause und würde anstandslos durch das Tor gehen? Immerhin wurde er gegen seinen Willen hergerufen. Okay, nicht sonderlich wahrscheinlich, aber versuchen mussten wir es.

Die Spur, die sich für Edward nach seinem üblichen Finderitual auftat, führte nach South Beach. Dort saß auf einer Bank ein älterer Mann, Typ südamerikanischer Ureinwohner, einen Gehstock neben sich und eine Pfeife in der Hand, der sich völlig entspannt und zufrieden die Gegend und vor allem die vorübergehenden Menschen anschaute. Zum Baden war es etwas zu kühl, aber es herrschte doch reichlich Leben am Strand. Der Pfeifenrauch rieche seltsam, befand Edward, ziemlich ungesund, deswegen hielten er und ich uns sorgfältig abseits davon und in sicherer Entfernung, aber in Hörweite, während Alex und Totilas auf den Eiterdämon zugingen. Die beiden sind einfach seuchenresistenter als Edward und ich.

Als sie vor ihm anhielten, sah der alte Indio zu ihnen und betrachtete beide interessiert.
„Schönen Tag“, grüßte Alex.
„Es ist wirklich ein schöner Tag, das stimmt“, erwiderte Ahalphu. Er hatte einen undefinierbaren Akzent, sprach ansonsten aber einwandfreies Englisch.
„Sie sind nicht von hier“, sagte Alex ihm auf den Kopf zu.
„Ich bin ... gereist. Ein Tourist.“
„Und?“
„Es gefällt mir gut hier. Sehr gut sogar.“
„Was denn besonders?“, griff nun auch Totilas in das Gespräch ein.
„So viel Leben“, war Ahalphus Antwort. „So viele kleine Leben. So wirklich. Kleine Leben, jedes ein Funken. So viele Funken. Die kann man alle einfangen. Sie laden einen dazu ein, sie einzufangen, so hell sind sie. Na gut, dann sind sie weg, aber das macht ja nichts. Es sind noch andere da. So viele andere.“
Und mit diesen Worten breitete der alte Mann die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umarmen.
„Was genau wollt Ihr denn hier?“, fragte Alex.
Der Seuchendämon winkte ab. „Ach, dass ich hier bin, war gar nicht geplant. Aber es ist schön hier. Und jetzt lasse ich mir die Sonne auf den Bauch scheinen und genieße die Funken. Es gibt so viele Menschen und andere Wesen hier, da falle ich gar nicht ins Gewicht. Ich glaube, ich bleibe eine Weile hier.“
„Ein Tourist reist aber weiter“, gab Totilas zu bedenken.
„Das stimmt“, lächelte der Dämon ihn überrascht an, als sei das ein völlig neuer Gedanke. „Die Welt ist ja eigentlich ziemlich groß, nicht wahr? Ich habe viel von New York gehört, da soll ziemlich viel Leben herrschen.“

Er sei doch eine Gottheit, warf Totilas ein, und Ahalphu nickte gemessen. Wie sei es denn dann mit Anhängern, fragte Totilas weiter. Das komme schon noch, winkte der Maya ab. Wenn die Leute die Wahl hätten, ihn anzubeten oder krank zu werden, dann würden sie ihn schon anbeten. Aber ganz ehrlich, immer dieses Anbeten, das sei doch auch anstrengend. Und rein optional.
„Du könntest mich anbeten!“, schlug er Totilas dann vor. Ahalphus Stimme klang dabei ganz beiläufig, plaudernd, aber Totilas stutzte und sah tatsächlich so aus, als denke er ernsthaft darüber nach.
„Was bietest du deinen Anhängern denn?“ wollte er wissen.
„Na dass sie nicht krank werden eben“, kam die Antwort.
„Das ist ganz schön schwach“, erwiderte Totilas.
Ahalphu lächelte. „Ach wirklich? Gib mir doch mal die Hand, Junge.“
Das wollte Totilas dann aber doch nicht. „Okay, vielleicht ist es doch nicht so schwach.“

Dort, in Xibalba, sei alles so anstrengend, klagte der Dämon. Immer diese Prüfungen. Das ewige Ballspiel. Hier scheine die Sonne. Und dann und wann... dann und wann sehe er jemanden an... nehme er jemandes Funken... und lasse ihn wieder los.
Bei diesen Worten blickte er zu einer jungen Frau, die am Strand Volleyball spielte. Hübsch, aktiv... vital. Sie schnaufte plötzlich durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Mierda.

Ob es gebe, das ihn davon überzeugen könnte, wieder nach Hause zu gehen, fragte Alex. Ahalphu überlegte einen Moment, legte dann den Kopf schief. Neue Leute in Xibalba. Getränke mit Schirmchen drin. Wenn Xibalba generell mehr wie hier wäre. Neue Spiele.
Da hakte Totilas ein. Wenn Ahalphu ein neues Spiel mit nach Xibalba brächte, wäre er dort der Held, erklärte er überzeugt.
Das ließ den Dämon tatsächlich einen Moment lang stutzen, aber dann schüttelte er den Kopf. Es gebe so viele interessante Spiele hier, die müsse er erst mal alle kennenlernen.

Alex bot an, er könne ihm Material nach Xibalba bringen und helfen, dort ein Sportzentrum aufzubauen. Er würde gerne anschließend wieder nach Hause, aber er wäre bereit, so lange dort zu bleiben, wie der Bau des Sportzentrums eben dauern würde.

„Ich mache euch einen Vorschlag“, sagte Ahalphu gutgelaunt. „Ihr zeigt mir Spiele. Und wenn mich eines davon überzeugt, dann machen wir das so.“
„Und solange nimmst du keine Funken?“ fragte Totilas.
„Wenn du solange auch keine nimmst?“, schoss der Seuchendämon zurück. „Ich werde nicht hungern und darben.“
Darauf erwiderte unser White Court-Kumpel nichts, aber es war klar, dass Ahalphu bei ihm einen Nerv getroffen hatte. Hungern und darben würde Totilas seinen eigenen Dämon wohl auch nicht lassen.

Das war der Moment, in dem die Volleyballspielerin zusammenbrach. Aufregung, Krankenwagen, das CDC kam auch. Dann wurde die Frau abtransportiert, und am Strand wurde es wieder einigermaßen ruhig. Oder eben so ruhig, wie es vorher gewesen war.

Während all dem hatte Ahalphu ruhig auf seiner Bank gesessen und das Schauspiel interessiert beobachtet. Nun klopfte er seine Pfeife aus, griff nach seinem Spazierstock und lächelte uns alle vier an. Ihm sei nach einem kleinen Spaziergang. Ob wir mitkommen wollten?

Was blieb uns anderes übrig?

Alex suchte uns eine Sportbar, die so früh am Nachmittag noch geschlossen hatte, deren Besitzer er aber kannte (natürlich!), deutete Ahalphu einen der Sitzplätze in guter Sichtweite eines der Bildschirme an der Wand aus und fing dann an, für den Dämon durch die Kanäle zu zappen.

Ahalphu mochte Snooker. Und Baseball. Eishockey schien ihn auch ziemlich zu faszinieren – aber dann schaltete Alex zur Formel 1, und davon geriet der Seuchendämon völlig aus dem Häuschen. Wettrennen! Rasende, pferdelose Kuschen, die im Kreis fahren! Er klatschte in die Hände und starrte auf den Fernsehschirm wie ein Kind bei seiner Lieblings-Zeichentrickserie, ehe er erklärte, das müsse er in echt sehen.

Und dann war Ahalphu mit einem Mal verschwunden, und als die Kamera über die Zuschauertribünen an der Rennstrecke schwenkte, war dort die unverkennbare Gestalt des alten Dämons zu sehen.
Cólera. Aber tun konnten wir erst einmal nichts deswegen.

Kurz darauf rief mich Yolanda zurück. Die war immer noch nicht wieder in der Stadt; ihr Richterjob hatte sie aufgehalten. Aber Marshall habe mit ihr gesprochen wegen des Duells, und sie hätte ihm Sir Anders als Champion besorgt. Ähm. Ah. Ahja.
Ich warnte sie dann noch vor dem Eiterdämon, ehe ich nachdenklich auflegte. Sir Anders. Cólera.

Während ich mit Landa telefonierte, hatte Edward mit dem CDC gesprochen. Die eingelieferten Kranken seien mit Entzündungshemmern und Gabe von viel Flüssigkeit einigermaßen gut zu behandeln, hatte er erfahren. Die Lage der meisten Patienten sei kritisch, aber größtenteils stabil, und es sei durchaus möglich, dass sie überleben würden, der modernen Medizin sei Dank. Es ist wohl auch tatsächlich nur eine einzige Krankheit, die Ahalphu da verbreitet, nicht mehrere und unterschiedliche.
Das war doch immerhin schon mal ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Als nächstes ließ ich mir von Totilas Marshall Raiths Nummer geben und bat den um ein Treffen. Er stimmte zu, und wir trafen uns in einem Café in der Nähe seiner Kanzlei.

Anfangs war Marshall zwar ziemlich angespannt, dann aber taute er allmählich doch auf und sprach erstaunlich offen über seine Beweggründe – oder zumindest tat er so. Das weiß man bei den Raiths ja nie so genau.

Jedenfalls erzählte er, er habe früher für Lord Raith und seine älteste Tochter Lara gearbeitet, habe dann aber seine Stellung dort – sein ganzes Leben, eigentlich – aufgegeben und sei nach Miami übergesiedelt, weil er hier neu anfangen wollte. Vor einem Jahr, als er herkam, sei es Gerald auch schon nicht so gut gegangen, also habe Marshall nach besten Kräften versucht, ihn zu unterstützen. Vielleicht sei er dabei nicht immer so diplomatisch gewesen, aber Geralds ganzer Hof habe immer so formlos gewirkt, da habe Marshall gedacht, sein Input sei willkommen. Er habe gedacht, vielleicht könne er die Stadt ein wenig mitgestalten, und der Gedanke habe ihm gefallen. Aber nicht, um an Geralds Stuhl zu sägen, sondern weil er einfach die Möglichkeit, ein wenig gestaltend mitzuarbeiten, als eine interessante Herausforderung empfunden hätte.
Er könne aber verstehen, dass Gerald glaube, Marshall wolle ihn im Auftrag des Weißen Königs absetzen. Das sei ja nur zu erwarten, immerhin sei der Ruf der Raiths ja bekannt.

Bei diesem ganzen Sermon klang Marshall völlig aufrichtig. Das Problem ist nur, aufrichtig oder lügend würde er genau dasselbe erzählen. Und zwar in genau diesem Tonfall. Immerhin machte er einen durchaus freundlichen Eindruck, und als er Yolanda erwähnte, hatte ich das Gefühl, dass ihm ihr Wohlergehen ernsthaft am Herzen lag. Er klang ihr auch aufrichtig dankbar, dass sie sich bei Sir Anders für ihn verwendet hatte.

Apopos Duell. Sollte das nicht zugunsten Geralds ausgehen, sei Marshall bereit, alles mögliche von Gerald zu akzeptieren, auch eine reine Geldsumme zum Beispiel, irgendetwas, das den Anführer des White Court von Miami nicht das Gesicht verlieren lassen würde. Er habe wirklich keine Absichten, die Führung hier zu übernehmen, und das sollte Gerald möglichst erfahren. Das konnte ich ihm zwar nicht versprechen, aber ich sagte, ich werde sehen, was sich tun ließe.

Er habe auch gar keine Veranlassung, sich einen Machtwechsel zu wünschen, erklärte der Anwalt noch. Denn ein Machtwechsel würde bedeuten, dass Anabel Raith die Zügel in die Hand nähme, und das wiederum würde eine Rückkehr zu genau den Machenschaften bedeuten, denen Marshall habe entkommen wollen.

Wer Anabel Raith eigentlich genau sei, fragte ich daraufhin. Was sie seiner Meinung nach wolle. Das sei eine der Töchter von Lord Raith, antwortete Marshall, die der Weiße König bislang an der sehr kurzen Leine gehalten habe. Eine eigene Stadt habe sie bislang nicht geführt, weil das ja bedeutet hätte, unter der Fuchtel ihres Vaters wegzukommen, und das habe der nie zugelassen. Lord Raith sei – bedeutungsschwere Pause – beeindruckend. Sehr beeindruckend. Und er habe seine Töchter gerne in seiner Nähe. Zum Glück sei der Lord strikt auf Frauen geeicht, fuhr Marshall trocken fort, und ich muss gestehen, dass das eine Information war, auf die ich gerne hätte verzichten können. Denn wenn das stimmt, was Marshall da andeutete – brrrr.

Jedenfalls, beendete Marshall seinen vorigen Gedanken, scheine Anabel wohl zu glauben, dass Lord Raith ihr die Stadt lassen werde, wenn sie Gerald stürzen könne. Ob sie damit recht habe und sich nicht selbst nur etwas vormache, bezweifle er allerdings – vermutlich werde der Weiße König stattdessen Anabel zurückbeordern und jemand anderen in Miami als Anführer einsetzen: ihn selbst, Marshall, vielleicht, oder Lord Raiths Sohn. Aber, betonte Marshall noch einmal, er selbst habe keinerlei Interesse an dem Posten, und es wäre ihm wesentlich lieber, der Status Quo bleibe bestehen.

Nach dem Gespräch ging ich dann erstmal heim, denn ehrlich gesagt bin ich nach der kurzen Nacht gestern ziemlich fertig. So früh ist es inzwischen auch schon nicht mehr, und deswegen gehe ich jetzt auch schlafen. Alles andere hat bis morgen Zeit. Nacht.

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04. November

Während ich gestern mit Marshall geredet habe, war Totilas übrigens bei Gerald. Auf die Details ist er nicht eingegangen, aber er hat es wohl tatsächlich geschafft, ein paar nette Stunden mit seinem Großvater zu verbringen. Als er hinkam, saß Gerald anscheinend in einem komplett leeren Zimmer auf einer Kiste und starrte ins Leere: ein ziemlich klares Zeichen von Burnout. Totilas hatte ein Lego Architecture-Set mitgebracht, und während sie das aufbauten, konnten sie sich ein bisschen unterhalten. Irgendwann habe Gerald seinen Enkel dann einen Auftrag gegeben. Nur zur Sicherheit, falls es mit dem Deal schiefgehen solle, solle Totilas Orféa Baez an den Deal erinnern. Was für einen Deal, wollte Totilas daraufhin natürlich sofort wissen. Das werde Orféa - äh, das werde er, Gerald - ihm dann sagen. Aber falls etwas schiefgehen sollte, solle Totilas sich unbedingt vor Lord Raith hüten. Der habe sich lange genug nicht für Miami interessiert, aber das habe sich jetzt geändert.

Nachdem wir von unseren jeweiligen Gesprächen erzählt hatten, überlegten wir, dass sowohl Sir Anders als auch Cherie wissen sollten, gegen wen sie jeweils anzutreten haben. Und vor allem Sir Anders sollte erfahren, dass "Leben und Tod" eben doch Verhandlungssache ist. Ein Duell zu verlieren, ist als solches übrigens erst einmal kein Gesichtsverlust, sagte Totilas. Dem Duell komplett auszuweichen, wäre hingegen schon einer.

Wir waren übrigens nur zu zweit heute vormittag. Roberto war noch mit seinem Ritual beschäftigt - oder vermutlich eher am Ausschlafen nach den Anstrengungen -, Edward arbeitete, und Alex war, kaum dass wir uns getroffen hatten, von Hayley angerufen worden, die meinte, sie hätte einen Ort für das Tor nach Xibalba gefunden, und Alex und Eleggua sollten doch möglichst mal vorbeikommen. Das ließ unser Kumpel sich natürlich nicht zweimal sagen. Ich hoffe ja sehr, der Ort taugt was.

Nach unserem gegenseitigen auf-Stand-bringen trennten Totilas und ich uns, weil er mit Cherie reden gehen wollte und ich mit Sir Anders. Der versuchte sein Entsetzen zu verbergen, wurde aber dennoch bleich, als ihm klar wurde, dass seine Gegnerin im Kampf Eisen einsetzen kann. Aber er habe sein Versprechen gegeben, jetzt einen Rückzieher zu machen, stehe völlig außer Frage. Und das Konzept "aufgeben" kennt er überhaupt nicht. Mierda. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich Anders in meiner Funktion als Sommerritter befehlen sollte, nicht an dem Duell teilzunehmen, aber das schlug ich mir ganz schnell aus dem Kopf. Dann hätte er den Befehl zwar von mir und könnte sich nicht widersetzen, aber sein Gesicht hätte er trotzdem verloren, weil er ja dennoch sein Versprechen brechen müsste. Und damit wäre er dann doppelt gestraft. Memo an mich: Marshall muss Anders dringend dahingehend instruieren, dass der als sein Champion nicht bis zum Letzten kämpfen soll.

---

Habe gerade wieder mit Totilas gesprochen. Cherie war die über die Info, gegen einen Fae antreten zu dürfen, ziemlich erfreut. Eisen und so.

Mit Gerald hat Totilas auch nochmal geredet. Der glaube immer noch nicht, dass Marshall hier wirklich nur seine Ruhe wolle. Immerhin sei er am Hof des Weißen Königs eine Art interner Cop gewesen, und das sei ja nun nicht so unwichtig. Der sei schon gut in seinem Job, und Lord Raith werde sicherlich nicht Anabel über Miami setzen, sondern Marshal. Der sei ja schon eine ganze Weile hier und kenne die internen Strukturen.

Totilas habe dann gefragt, wie er Gerald am besten unterstützen könne, woraufhin er zur Antwort bekam, er solle auf sich aufpassen und auf der Hut sein, vor allem vor den Verwandten. Trotz dieser Worte hatte Totilas aber dennoch das Gefühl, dass Gerald irgendeinen Plan habe. Immerhin passiere in Sachen White Court nichts in der Stadt, was Gerald nicht geplant hat. Na, es hilft ja alles nichts. Wir können wohl nur abwarten, fürchte ich.
Zitat von: Dark_Tigger
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Ricardos Tagebuch: White Night 5

05. November. Soll ich wirklich anfangen, einen Countdown zu setzen bis zum Duell? Oder einen Count-Up? Dann wären wir bei Tag 4.

Mamá hat angerufen. Die hatten am Wochenende eine kleine spontane Fiesta im Viertel, nachdem die Orunmila einen Schutzkreis darum gezogen hatten. Schön, freut mich ja für sie. Aber Mamá wollte natürlich gleich wissen, was los sei, sie hätte bei der Feier meinen Freund Roberto mit meiner Freundin Dee gesehen? Ob er mir etwa die Freundin ausgespannt hätte? Aaaarg. Sie war nie meine Freundin. Jedenfalls nie richtig. Genau das war ja das Problem. Das mit dem Ausspannen habe ich schon ganz alleine geschafft, vielen herzlichen Dank. Danke auch für die Erinnerung, Mamá. Und ja, ich bin jetzt dreißig. Ja, du hättest gern einen weiteren Enkel. Ich weiß. Einen Schritt nach dem anderen, okay?

Wie dem auch sei. Es gibt auch ein paar gute Nachrichten, oder wenigstens für den Fall relevante. Haley hat sich gemeldet, sie habe einen Ort gefunden, von dem aus man Ahalphu gut nach Hause schicken könnte. Und Richard Raith hat sich gemeldet. Der würde sich gerne mit uns treffen. Alles klar, heute nachmittag im Behind the Cover.

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Kurz ein paar Notizen, während wir bei Oliver ein Sandwich essen. Richard hatte eine Idee für Gerald. Man könnte mit ihm dasselbe Ritual vollführen, das er, Richard, selbst damals an sich durchgeführt hat, um seinen Hungerdämon loszuwerden. Dann wäre Gerald wieder ein normaler Mensch und könnte neu anfangen, ohne die ganze White Court-Bürde.

Die Frage wäre nur, was mit dem herausgetrennten Dämon passieren würde – den müsste man sofort verbannen, damit der nicht frei herumstreift und ein Massaker anrichtet. Und natürlich können wir Gerald nicht dazu zwingen. Sowas müsste rein freiwillig passieren, und da ist dann die Frage, ob er das überhaupt will. Und falls er es will, wo man ein solches Ritual am besten abhält. Die White Court-Dämonen kamen ja ursprünglich aus Schottland, erzählte Richard, vielleicht müsste man das tatsächlich dort in Schottland machen. Und Gerald könnte dann gar nicht erst mehr mit zurückkommen, der müsste verschwunden bleiben, eben des kompletten Neuanfangs wegen.

Wir saßen noch mit Richard zusammen, da tauchte eine ziemlich unsicher wirkende junge Frau auf. Sehr nett und freundlich, aber scheu wie ein Reh. Und vor allem sehr auf Richard bezogen. Sie freute sich riesig, ihn zu sehen. Dass der ihr Mentor und Ratgeber war und sie sich in allen Dingen an seine Führung hielt, war unverkennbar. Wie ich mir schon fast gedacht hatte, war das Cleo duMorne. Wir hätten sie sprechen wollen, hier sei sie. Was es denn gebe?

Wir fragten sie nach Lafayettes Aufzeichnungen, erzählten, dass Sancía die suche und an sich bringen wolle. Sofort blickte Cleo fragend zu Richard, der den Kopf schüttelte: Nein, Sancía solle die Aufzeichnungen nicht in die Hände bekommen. Aber darum ging es ja auch gar nicht. Wir sind sind diejenigen, die uns die Texte mal anschauen wollen, ob wir Informationen über dieses Dämonenentfernungsritual finden können. Und vor allem den Namen dieses Lochs in Schottland, wo das am besten stattfinden sollte.

Cleo fragte jedenfalls, ob sie die Bücher mal holen solle, und wir baten sie darum – wirklich los ging sie aber erst, als auch Richard zustimmend nickte. Ich dachte, sie müsse jetzt sonstwo hin, aber sie verschwand direkt hier im Laden hinter einem Regal und brachte gleich darauf aus einer verborgenen – sehr gut verborgenen, da muss ein magischer Schleier drauf liegen, denn ich wäre im Leben nicht darauf gekommen, dass hinter dem Regal überhaupt noch irgendwie Platz für irgendwas sein könnte – Ecke eine Kiste zurück.

Ehe wir uns dran machen, die Sachen durchzuschauen, essen wir aber erstmal unsere Sandwiches fertig. Nicht dass die Bücher noch Flecken bekommen.

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Okay. Das ist nicht gut. Wir haben die Bücher durchgesucht – das hat ziemlich gedauert (ich habe mich von Lafayette duMornes Tagebuchaufzeichnungen ablenken lassen, seine Beschreibungen des Lebens in den 1920ern sind unglaublich faszinierend; aber Edward war auch nicht besser, der hat ein Ritualbuch gefunden, das ihn fesselte, natürlich), wir haben dann aber doch gefunden, was wir suchten. Totilas brach auf, um mit Gerald reden zu gehen, kam aber keine Minute später wieder rein. Draußen steht ein Auto, dessen Insassen den Buchladen im Blick haben und ziemlich eindeutig auf etwas lauern. Im Zweifel auf uns. Raubtier-Aura, sagt Totilas. Eine schwarze Limousine. Klar. Es ist inzwischen dunkel draußen. Das ist der Red Court. Mierda.

Totilas ist gerade wieder raus, der wollte nur so tun, als habe er etwas vergessen. Cleo bringt eben noch die Bücher zurück in ihr Versteck – das mit den Ritualen hat Richard aber Edward mitgegeben – und dann raus hier. Cleo sagte, sie kann Richard unter einen Schleier packen, damit die beiden unbemerkt wegkommen.

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Später. Eben heimgekommen, nach kleinem Umweg über den Arzt. Wie heißt es so schön? Bloody and battered, but alive? Irgendwie so. Padre en el cielo, ich danke dir. Das hätte viel, viel schlimmer ausgehen können. Zum Glück ist Jandra nicht aufgewacht, als ich eben reingewankt bin. In einer Dreiviertelstunde ist Aufstehenszeit. Solange noch durchzuhalten, sollte ich hinbekommen.

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06. November

So. Wieder einigermaßen kohärent. Sobald Jandra Richtung Schule losgezogen war – meine ganzen Blessuren hat sie beim Frühstück zum Glück nicht bemerkt – habe ich mich endlich hingelegt und ein paar Stunden geschlafen. Jetzt fühle ich mich erst so richtig steif. Au. Mierda. Aber alles in allem bleibe ich bei dem, was ich sagte: Das hätte viel, viel schlimmer ausgehen können. Memo an mich, dringend: Nicht. Mit. Acht. Red. Courts. Gleichzeitig. Anlegen.

Cleo und Richard verschwanden unter Cleos Schleier. Wir rechneten damit, dass die schwarze Limousine weiter auf uns warten würde, aber die fuhren los, sobald sie den Laden verlassen hatten. Die mussten irgendeine Möglichkeit haben, den beiden zu folgen. Mierda!
Natürlich hängten wir uns an sie.
Nach ziemlich kurzer Zeit schon hielt die Limousine an, und vier Red Court-Vampire stiegen aus und rannten in eine Seitengasse. Edward sprang aus dem Auto und folgte ihnen, während Alex sein Auto eilig um die Ecke fuhr, wir dann von der anderen Seite in die Gasse liefen.
Die vier Vampire rannten geradewegs auf etwas zu – vermutlich Richard und Cleo, noch immer verschleiert. Es sah so aus, als würden weder Edward noch Alex rechtzeitig bei ihnen sein, und wenn die Roten ihre Opfer trotz Unsichtbarkeit so leicht finden konnten...
Ich war zwar ziemlich weit weg, aber vielleicht konnte ich trotzdem etwas tun. Ich rief die Rittermagie nach oben und formte sie zu dem einen Zauber, der erstens so einfach ist, dass ich ihn inzwischen beinahe instinktiv hinbekomme und sich zweitens nun schon mehrfach bewährt hat. Sonnenlicht durchflutete die Gasse, und die vier Red Courts kamen nicht schnell genug aus dem hellen Bereich weg. Ein vage angekokelter Geruch stieg von ihnen auf, und sie sahen zu, dass sie abhauten. Hossa. Das hatte ja besser geklappt, als ich mir zu träumen gewagt hätte!

Dummerweise half das nur nicht viel, denn von draußen war Reifenquietschen zu hören, dann kamen vier neue Vampire in die Seitengasse gerannt. Und vom anderen Ende der Gasse gleich nochmal vier. Acht?! Was zum?
Aber okay. Es hatte ja eben schon so gut funktioniert, also gleich nochmal. Und wenn mein Sonnenlicht vier Red Courts vertreiben konnte, warum nicht auch acht? Da war nur das klitzekleine Problem, dass die acht Angreifer aus zwei unterschiedlichen Richtungen auf uns zugerannt kamen. Hinter der zweiten Gruppe folgte Totilas, konnte ich sehen. Also konzentrierte ich mich auf die erste Gruppe, die uns schon näher war, und sammelte wieder die Magie in mir, ließ sie in dem patentierten Sonnenlichtzauber aus mir herausfließen. Aber woran es auch liegen mochte – an der Eile vielleicht, mit der ich die Magie versuchte, oder daran, dass es mein zweiter Zauber innerhalb weniger Sekunden war – diesmal kam der Effekt ein wenig anders, als ich ihn geplant hatte: kein langanhaltender Lichtkegel, sondern ein kurzer, greller Blitz, der sofort wieder verschwand. Und dem die Vampire mühelos ausweichen konnten. Mierda.
Schon horchte ich in mich hinein, um den Zauber ein drittes Mal zu rufen, da waren sie auch schon bei mir mit ihrer unmenschlichen Schnelligkeit. Alle vier auf einmal. Und die zweite Gruppe gleich mit. Denn ich befand mich zwar hinter den anderen, aber offensichtlich empfanden die Roten mich als die größte Bedrohung. Okay, ich war ja auch der Typ, der gerade tödliches Sonnenlicht gerufen hatte...

Jedenfalls.
Ehe ich irgendwas machen konnte, ehe die Jungs irgendwie eingreifen konnten, waren die Red Courts bei mir. Es waren wohl nur wenige Sekunden, in denen sie mit voller Wucht auf mich einprügelten, aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Ich war beinahe dankbar, als die Lichter endlich ausgingen, auch wenn mein letzter Gedanke ein Stoßgebet war und die Gewissheit, dass ich nicht mehr aufwachen würde. Das, und im Moment des Untergehens ein ganz seltsamer, sinnlich-lüsterner Schauder, der irgendwie von meiner Kehle auszugehen und meinen ganzen Körper zu durchdringen schien. Wenn das der Tod war, dann war der Tod vielleicht nicht so schlecht.

Ich wachte natürlich doch wieder auf. Offensichtlich, duh. Es war noch nicht mal sonderlich viel Zeit vergangen. Ich befand mich noch immer in dieser Gasse, und alles tat mir weh. Der Geschmack von Blut in meinem Mund. Roberto gerade dabei, mich notdürftig zu verbinden. Und immer noch diese merkwürdige Erregung. Hatte ich mir die also nicht nur eingebildet. Über der ganzen Szenerie blitzten bunt-schillernde Farben auf: eine magische Ablenkung seitens Cleo. Totilas und Edward in einen heftigen Kampf mit den Vampiren verwickelt. Alex war nirgendwo zu sehen, aber eine Sekunde später dröhnte draußen vor der Gasse laut eine Hupe los, ehe wieder etwas später Alex' Van mit quietschenden Reifen und bereits offener Seitentür um die Ecke bog. Edward und Totilas deckten uns den Rücken, bis Richard und Cleo eingestiegen waren und Roberto mir ins Auto geholfen hatte, dann sprangen auch sie in den Innenraum. Nur weg hier!

Aber wohin? Zur Waystation draußen in den Glades, fiel uns ein, das ist neutraler Boden. Das eine ihrer Autos hatte Alex sabotiert, aber in dem anderen folgten uns die Vampire bis zu unserem Ziel. Dank der Fahrkünste unseres Freundes hatten wir gerade genug Vorsprung, dass wir unbehelligt in die Waystation hineinkamen, auch wenn die Jungs mich stützen mussten und ich sie ganz entschieden verlangsamte.

Wie gesagt, viel Vorsprung hatten wir nicht. Kaum hatten wir drinnen einen Tisch besetzt, hielt draußen auch die Limousine der Vampire. Die kamen ebenfalls herein, starrten uns herausfordernd an und ließen sich dann auch an einem Tisch nieder. Die würden uns natürlich jetzt nicht mehr aus den Augen lassen. War ja klar. Aber das waren nur Handlanger. Einer von ihnen zückte sein Telefon und tätigte einen Anruf – der sagte garantiert Sancía Canché bescheid, wo sie hinkommen sollte. Also gut. Dann würden wir eben warten.

Während wir warteten, ging Roberto, frech wie Oskar, zu dem Tisch der Red Courts hinüber, spendierte ihnen ein Bier und flirtete etwas mit deren Anführer. Irgendwann tauchte dann tatsächlich Sancia auf, als Roberto noch drüben am Red Court-Tisch stand. Dem warf Selva Elder einen missmutigen Blick zu – sie erinnerte sich nur zu gut daran, was bei Sancías letztem Besuch hier passiert war – aber diesmal blieb Totilas' Mutter friedlich. Sie wolle Richard und sie wolle Lafayettes Unterlagen, erklärte sie. Roberto nickte und bat sie um einen Moment, kam dann wieder zu uns an den Tisch, damit wir beratschlagen konnten. Irgendeinen Kompromiss mussten wir finden, irgendwas mussten wir ihr geben, nur was? Irgendwas, das sie erstmal soweit zufriedenstellt, das ihr aber auch nicht zu viel weiterhilft. Denn, bekräftigte Richard, Sancía sei so ungeduldig (als ob wir das nicht gewusst hätten) und das Ritual noch nicht fertig. Wenn sie jetzt auf eigene Faust damit experimentierte, würde sie das mit gar nicht so geringer Wahrscheinlichkeit umbringen.

Mit Alex und Roberto ging ich hinüber an Sancías Tisch. Totilas war noch blasser um die Nase als sonst und schüttelte nur stumm den Kopf, als wir aufstanden, und auch Edward wollte den roten Vampiren lieber nicht zu nahe kommen. Ich hätte vielleicht auch besser nicht mitgehen sollen, denn der Anführer des Schlägertrupps – Pablo, wie Roberto ihn nannte – warf mir einen hungrigen Blick zu und leckte sich aufreizend langsam über die Lippen. Klar, fiel mir dummerweise erst in genau diesem Moment ein: angeschlagen und blutig geprügelt, wie ich war, musste ich ja für einen Vampir geradezu nach Festmahl riechen. Schlau, Alcazar. Echt schlau. Aber da war noch etwas anderes. Dieses seltsame, beinahe wollüstige Erschauern, das sich während der Autofahrt zum Glück wieder gelegt hatte, durchfuhr mich bei Pablos Blick von neuem, und ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn der Vampir seine Fänge in mich schlüge, und ich stellte mir vor, wie unglaublich gut es sich anfühlen würde, langsam und genüsslich von ihm ausgesaugt zu werden, mich ihm ganz und gar hinzuge --- waah! Einfach nur jetzt daran zu denken, bringt dieses verdammte Gefühl schon wieder hoch. Das ist doch nicht normal!

Okay. Tief durchatmen. Denk an was anderes, Alcazar. Kaffee, genau. Kaffee ist gut jetzt.

Jedenfalls ließ ich also größtenteils Roberto reden, warf nur hier und da einen Kommentar ein, um ihn ein bisschen zu unterstützen. Und am Ende hatten wir uns tatsächlich mit Sancía auf einen Kompromiss geeinigt. Richard hatte uns ja gesagt, welche Unterlagen seine Frau gefahrlos bekommen bzw. um welchen Teil des Rituals sie sich kümmern könnte.

Alex warf als Teil des Handels noch ein, Sancía solle den an ihre Leute ausgegebenen Dauerbefehl zur Jagd nach Richard aufheben oder zumindest aussetzen, aber dazu war sie nicht bereit. Zumindest nicht sofort. Wir sollen ihn heute abend mit in den Buchladen bringen, damit sie mit ihm reden und von uns die Bücher bekommen kann – und wenn wir nicht kämen, dann wisse sie ja auch, woran sie sei. Aber wir sollten uns keine falschen Hoffnungen machen, sie wisse schon, wo sie uns finde. Und sie sich keine Sorgen, schoss Roberto zurück, wir hätten nicht vor, die Stadt zu verlassen.

Dann war das Treffen vorüber, und nachdem die Vampire abgezogen waren, gingen Edward und ich erstmal zum Arzt. Edward hatte es bei dem Kampf in der Gasse nämlich auch etwas gebeutelt, während er und Totilas uns anderen den Rückzug deckten. Und dank der Anwesenheit von Lieutenant Parsen musste ich nicht mal irgendwelche unangenehmen Fragen zur Herkunft meiner Verwundungen beantworten. Hurra.

Und jetzt, wo ich wieder einigermaßen wach bin, muss ich dringend mit Marshall Raith reden, dass der Sir Anders die Anweisung gibt, sich im Duell nicht umbringen zu lassen.

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Seufz. Marshall und ich waren gemeinsam bei Sir Anders, und es wurde genauso schwierig, wie ich das befürchtet hatte. Der gute Anders ist nun mal ein Feenritter, und die kenne ich inzwischen einfach ein kleines bisschen. Der kapierte erst einfach nicht, was wir da von ihm wollten, denn in der Feenwelt gibt es klare Regeln, und ein Duell auf Leben und Tod ist ja nun wohl ganz eindeutig ein Duell auf Leben und Tod.
Erst mit einiger Mühe bekamen wir ihn dazu, einzugestehen, dass auch eine schwere Verletzung generell unter gewissen Umständen ein akzeptabler Ausgang für ein Duell auf Leben und Tod sein könne; dann nämlich, wenn der Verlierer in ein Koma falle und seine wahre Liebe ihn dann wachküsse. Also gut, gestand er uns dann zu, er werde zusehen, dass er die junge Dame nur in ein Koma schlage, der wahren Liebe wegen. Aber immerhin freute er sich, dass ich mir solche Sorgen um sein Wohlergehen machte. Wie gesagt: Seufz. Nicht so ganz das, was ich erhofft hatte, aber vermutlich das beste Ergebnis, das ich kriegen konnte.

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Im Buchladen. Bis zum Treffen mit Sancía ist noch ein bisschen Zeit. Genug, um kurz zusammenzufassen, was im Laufe des Nachmittags so passiert ist.

Totilas hat in der Zwischenzeit seinen Großvater besucht und war erfolgreicher, als er selbst gedacht hätte, wie er sagte. Er sieht auch tatsächlich deutlich gelöster aus als die ganze Zeit vorher.
Unser White Court-Freund hat es anscheinend wirklich geschafft, Gerald neuen Mut zu machen und ihn von Richards Idee zu überzeugen, zumal Gerald selbst wohl nie zum Vampir werden wollte. Nachdem Totilas Geralds Bedenken in Sachen Gefährlichkeit und Dämon-unter-Kontrolle-halten-sobald-er-freigesetzt-ist etwas zerstreuen konnte, erklärte der ältere White Court, Marshall solle beweisen, dass er es ernst meint, indem er für das Duell einen Aufschub verlange. Am besten zwei bis drei Monate gleich, aber das werde sich wohl kaum durchsetzen lassen, aber dann wenigstens so zwei Wochen vielleicht. Und er müsse unbedingt auf dem Recht des ersten Duells beharren, so dass auch Anabel von dem Aufschub betroffen wäre. Wenn er das tue, dann sei Gerald bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Marshall vielleicht doch nicht für den Weißen König arbeite.

Alles klar. Dazu sollten wir Marshall ja wohl problemlos kriegen können. Also ging ich gleich nochmal mit Marshall reden. Der klang dankbar und erleichtert und war sofort bereit, auf Geralds Bedingungen einzugehen. Eine plausible Ausrede, die er zur Begründung angeben könnt, fiel ihm auch gleich ein; diese ganze Aufregung um die Panama Papers bedeutet nämlich, dass er als Anwalt für Steuerrecht gerade alle Hände voll zu tun hat. Eine Gegenbedingung stellte er auch: Das Hansen-Konto, was auch immer das ist, müsse unbedingt geschlossen werden. Damit klinge es so, als sei Marshall nur für eine Gegenleistung bereit, auf Geralds Forderung einzugehen, aber in Wahrheit sei die Schließung des Kontos sogar ein Gefallen für Gerald, auch wenn der nichts davon wisse.

Marshalls Gegenforderung gab ich nach dem Gespräch an Totilas weiter, der wiederum sagte, er werde Gerald entsprechend informieren. Na dann hoffen wir mal.

Die anderen haben in der Zeit ihr Google-Fu bemüht und im Netz nach Auftritten oder Spuren von Ahalphu gesucht. Es gab einige Krankheitsfälle in Monaco, aber nichts Definitives. Alles in allem scheint der Eiterdämon von Autorennen zu Autorennen gehüpft zu sein.

Cleo und Richard sind inzwischen auch zu uns gestoßen, haben die Unterlagen für Sancía mitgebracht, und Totilas erzählte seinem Vater auch nochmal, was er bei Gerald erreicht hat. Richard brachte erstmal seinen Stolz auf seinen Sprössling zum Ausdruck („Ich wusste doch, dass du das hinbekommst!“, woraufhin Totilas prompt antwortete „Ich wusste das nicht, aber gut“), hat aber eben auch eine sehr interessante Frage in den Raum gestellt, nämlich ob wir schon wüssten, wer den White Court führen werde, wenn Gerald erstmal wieder ein normaler Mensch sei.

Oho. Red Court im Anmarsch. Nachher mehr.
« Letzte Änderung: 22.05.2016 | 02:52 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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Na das lief doch ganz gut. Aber genau für sowas gibt es ja neutralen Boden. Sancía und Richard waren beide fürchterlich nervös und froh über die Anwesenheit einiger Unparteiischer, sprich uns. Sancía merkte nicht mal, dass es bei der Begrüßung beinahe zu Handgreiflichkeiten zwischen Roberto und einem der Red Courts gekommen wäre, so angespannt war sie. Roberto und der Anführer des Schlägertrupps, Pablo, lächelten einander nämlich an, worauf ein weiterer Vampir Roberto finster anstarrte. Dann schenkte unser Kumpel diesem Red Court ein besonders freundliches Lächeln, woraufhin dieser zischte und beinahe auf Roberto losgegangen wäre, wenn Pablo ihn nicht festgehalten hätte. Und mir ging prompt wieder dieser fiese Schauer durch Mark und Bein, nicht um einen Deut abgeschwächt. Irgendwas stimmt da ganz und gar nicht.
Aber wie gesagt: Sancía bekam von all dem gar nichts mit vor lauter Nervosität, und auch Totilas war zur Salzsäule erstarrt, sobald seine Mutter den Buchladen betreten hatte.

Es wurde ein steifes, sehr formelles Gespräch. Richard hätte es fast geschafft, dass seine Frau die Beherrschung verlor, weil er anfing, ihr zu erklären, was sie in Sachen Ritual alles nicht tun dürfe, aber Totilas stellte gerade noch rechtzeitig eine Frage, die Richard aus seinem Redefluss riss.
Es kristallisierte sich dann heraus, dass dieses eine Treffen nicht reichen würde, dass es irgendwann ein weiteres geben muss. Am besten wieder hier im Buchladen, immerhin ist der neutraler Boden. Kontaktieren kann Sancía Richard über uns, wenn nötig, und wir sie über Orféa Baez. Ach nein, besser über Pablo. War ja klar. Der redete übrigens gerade mit Oliver. Daraus, wie der Vampir immer mal zu uns rüber sah und vermeintlich unauffällig deutete, war klar ersichtlich, dass es um uns ging. Na super.

Jedenfalls ging sie dann, nachdem sie uns noch grummelnd zugestanden hatte, den Dauerbefehl gegen Richard erst einmal auszusetzen. Beim Gehen warfen sie und ihr Mann sich einen tiefen Blick zu, der von all den Komplikationen zwischen ihnen sprach.
„Gut, dass es hier keine unsichtbaren Geigenspieler gibt“, murmelte Edward, was ihm einen bösen Blick von Richard einbrachte. „Das wäre jetzt so ein Moment gewesen.“ Diesmal kam der strafende Blick von Roberto. „Edward!“ „Was denn?“

Das Sancía-Problem ist also mal für's Erste soweit gelöst, jedenfalls bis Richard etwas Konkretes vorweisen kann und es an das eigentliche Ritual geht. Vorausgesetzt, Ms. Canché hält sich an den Deal, versteht sich.

Ahalphu ist eine offene Baustelle – aber da konnten wir gerade noch nichts machen, oder besser, eine andere Baustelle schien uns drängender. Da stand nämlich ja immer noch die Frage im Raum, wer Geralds Nachfolge antreten solle. Marshall oder Totilas, eine andere Möglichkeit sahen wir nicht.
Totilas schaute zweifelnd drein. Er wisse nicht, ob er die Kompetenzen habe, den White Court einer Stadt zu führen, und Marshall müsste man auf den Zahn fühlen. Aber wie ich Marshall einschätzte, bleibe der ohnehin lieber der Ratgeber im Hintergrund, gab ich noch zu bedenken. Und Totilas würde ja nicht alleine dastehen, machten wir unserem Freund Mut.

Ideal wäre es, wenn wir Anabel Raith noch irgendwas anhängen könnten, damit sie die Stadt verlässt und Totilas sich nicht länger mit ihr herumschlagen muss. Nur wie, ist die Frage.
Okay... Was will Anabel Raith? Vor allem will sie unter der Fuchtel ihres Vaters weg, und hier in Miami sieht sie eine Chance dazu. Nur hilft uns dieses Wissen dabei, ihr etwas anzuhängen?
Gäbe es in den Panama Papers, mit denen Marshall sich gerade beschäftigt, vielleicht einen Hebel?
Ähm, nein. Da war sehr schnell klar, dass wir mit einem Hebel aus den Panama Papers nicht Anabel Raith, sondern dem Weißen König höchstselbst ans Bein pinkeln würden, und das wollte keiner von uns.

Totilas hatte dann die Idee, Miami für Anabel zu verderben, es ihr zu verleiden und unschmackhaft zu machen. Aber auch hier wieder die Frage: Wie? Denn Miami ist nun mal eine attraktive Stadt, da wird das mit dem Verleiden gar nicht so leicht. Ihr vielleicht die ganzen Probleme zeigen, die wir hier haben?, schlug Alex vor, aber die Idee gefiel Totilas gar nicht. Damit würden wir ihr Schwachstellen aufzeigen, an denen sie ansetzen könnte, und damit hatte unser White Court-Kumpel natürlich nicht unrecht. Ganz abgesehen davon, dass Totilas sich dazu erstmal bei Anabel einschmeicheln müsste, um überhaupt in der Lage zu sein, ihr Dinge zu erzählen.

Edward überlegte, ob es einen Grund gebe, Anabel zu verhaften, aber dummerweise fiel weder ihm noch uns so richtig einer ein. Das mit den Drogen an der Feier war ja nur im Scherz gesagt, haha.

Wir könnten Spencer Declan gegen sie aufbringen, warf Roberto in den Raum, und das war eine Idee, die bei uns allen Anklang fand. Auch und vor allem bei Richard, der meinte, Declan wolle ohnehin keinen anderen White Court, der hier in der Stadt das Sagen habe, denn Gerald kenne seine Geheimnisse, aber mit Gerald habe Declan seit der White Night damals einen Deal. Sie lassen einander in Frieden, und die weißen Vampire verraten dem Magierrat nicht, wie diplomatisch ihr hiesiger Warden mit dem Red Court umgeht.

Totilas überlegte, dass er zu Declan gehen könne und bei dem auf gut Wetter machen, andeuten, dass er an Geralds Stuhl säge, aber nicht vorhabe, es sich mit dem Ratsmagier zu verscherzen. Das wäre doch schon mal ein Ansatz.
Aber, hmmm... vielleicht hätte Gerald selbst ja noch eine Idee, wie man Anabel anschwärzen oder Declan gegen Anabel aufbringen könnte?

Also statteten wir Gerald einen Besuch ab. Richard ging nicht mit, der wollte nach Haley sehen bzw. sich um Cleo kümmern gehen. Als wir in Raith Manor ankamen, empörte dessen Herr sich am Telefon gerade künstlich, aber höchst überzeugend, über den Aufschub, den er Mashall Raith wegen des Duells gewähren müsse. Sobald er aufgelegt hatte, führte er uns in ein Privatzimmer, wo wir ungestört reden konnten.
„Ihr wollt also Anabel an den Karren fahren.“

Edward wurde von Gerald erst einmal aus dem Zimmer komplimentiert, eine rauchen gehen – Edward raucht gar nicht, aber trotzdem, eine rauchen gehen – oder sich die Beine vertreten oder so. Was Gerald zu erzählen hatte, war nämlich nicht für seine Polizistenohren bestimmt. Okay, ich hätte das jetzt auch nicht so dringend hören müssen – ja, ja, ja, ich weiß. Naiv, Alcazár. Es ist ja nun nicht so, als ob ich nicht gewusst hätte, dass Miamis Vampire in Drogen unterwegs sind – aber ich bin wenigstens nicht dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen. Denn Gerald erzählte uns, was es mit diesem Deal zwischen ihm selbst und Orféa Baez auf sich hat, der schon mal erwähnt wurde. Das war nichts weiter als ein Tausch, eigentlich, aber ein für beide Seiten profitabler.
Das Geschäft mit dem Ecstasy für die Touristen hatte Raith im Zuge dieses Deals jedenfalls an den Red Court abgegeben, während die Drogen in der Pornobranche an den White Court gingen.
Gerald habe gewusst, dass der White King kommen bzw. jemanden schicken würde, sagte er, und dann habe er in der Lage sein wollen, etwas vorzuweisen, das dem Weißen Hof einen Vorteil brächte. Was das genau für ein Vorteil sei, darauf ging er nicht näher ein.

Ob und inwieweit das Wissen um dieses Geschäft uns jetzt dabei hilft, Anabel Miami zu verleiden oder nicht, bin ich mir noch nicht ganz sicher. Aber es ist vielleicht schon mal gut, es zu haben. Als Edward aber dann wieder im Raum war, wandten wir uns weiteren Möglichkeiten zu, die junge Dame aus der Stadt zu ekeln.
Unsere Idee, Spencer Declan auf sie anzusetzen, fand der ältere Raith gar nicht übel. Der Warden sollte vielleicht von Geralds designiertem Nachfolger, sprich Totilas, erfahren, dass Anabel in dieser Stadt eine ganz schlechte Idee wäre.

Totilas' Großvater wusste außerdem, dass Anabel mit Cicerón Linares gesprochen hat. Ohooo. Und die Erwähnung von Linares brachte mich auf einen Gedanken. Dass es interessant wäre zu wissen, ob Anabel am Coral Castle mit Camerone gesprochen hat, nämlich.
Unwahrscheinlich, befand Gerald, oder wenn, dann vermutlich nicht sonderlich erfolgreich. Camerones Ziel im Leben wie im Geistertum sei es, ihm selbst das Leben schwer zu machen, aber für Totilas habe sie schon immer eine kleine Schwäche gehabt. Den würde sie vermutlich sogar gegen Anabel unterstützen, wenn er sie darum bäte, Geister schicken, um Anabel Steine in den Weg zu legen und dergleichen.
Ob es wirklich so schlau ist, bzw. wieviel es schaden kann, wenn Totilas sich bei seiner Urgroßmutter wirklich auf diese Weise in Schuld bringt, das ließen wir mal dahingestellt.

Wann sollte es eigentlich bekannt werden, dass es im White Court von Miami einen Führungswechsel gegeben hat, überlegten wir dann. Spätestens, wenn das Duell nicht stattfindet, weil Gerald verschwunden ist, passiert das ganz von selbst. Wobei das Duell vielleicht doch stattfindet, weil die Champions ja erscheinen werden und ihre Kämpfe auch in Abwesenheit des Hauptbeteiligten austragen können. Aber vielleicht können wir Cherie ja auch davon überzeugen, eben nicht anwesend zu sein. Das darf dann aber nur ganz kurz vorher passieren, sonst stellt die noch eine Dummheit an. Wie Anabel erschießen zu wollen, zum Beispiel.

Ich weiß gar nicht mehr, wie es genau kam, aber plötzlich waren wir beim Herrn der Ringe. Ich glaube, wir hatten es gerade nochmal von Spencer Declan und dem White Council, und mit einem Mal fing Gerald an, laut darüber nachzugrübeln, ob der Weiße Rat im Herrn der Ringe oder der Magierrat in Edinburgh zuerst da gewesen sei. Ach was, korrigierte er sich sofort, den Rat der Magier gebe es ja schon seit Jahrhunderten. Aber vielleicht hatte J.R.R. Tolkien Verbindungen zu einem Ratsmagier, warf ich ein, und kam auf diese Weise an die Inspiration für den Namen?

Vom Weißen Rat und Tolkien landeten wir bei Gandalf, der erst der Graue war, ehe er zum Weißen wurde. Ob White Court-Virgins dann erst als „grau“ zählen, ehe sie zu echten White Courts werden? Hey, warte, ging es von da aus weiter. Dann wäre ja unser Versuch, Gerald wieder zum Menschen zu machen, eine Art 'Operation Gandalf'? Nein, das passte nicht so recht. Gandalf wurde ja erst zum Weißen. Lieber 'Operation Saruman'. Der wurde vom Weißen zum Nichts.

Okay, dann wäre die Sache mit Anabel vielleicht 'Operation Gollum'?, schlug Totilas vor. Dem (zumindest innen) hässlichen Gegenspieler etwas abjagen/verweigern, das dieser haben möchte? Und Ahalphu zurück nach Xibalba zu schicken, könnte man 'Operation Valinor' nennen, fiel uns ziemlich schnell ein. Ein nicht-menschliches Wesen nachhause bringen und so. Nur was wäre dann die Aktion mit dem Ritual für Sancía? 'Operation Kankra', warf Totilas in den Raum, aber da war ich nicht so überzeugt von. Klar, man könnte sagen, Sancía hat ihre Finger im Red Court wie ein Spinne im Netz, aber... hmmm. Nein. Nicht so richtig.

Gerald hörte sich unser Gefrotzel eine Weile mit zunehmender Belustigung an, bis er schließlich in gespielter Verzweiflung den Kopf schüttelte. „Ihr seid so schlimme Nerds!“
Hey, ich bin Schriftsteller! Ich schreibe Fantasy-Romane! Was erwartet er? Ganz abgesehen davon, dass Gerald selbst lustig – und durchaus sachbewandert – mitmischte, so ist es ja nun nicht.
Das Nerd-Spielchen setzten wir dann noch ein bisschen fort, indem wir über Ringe der Macht philosophierten, bis Gerald genug davon hatte, seufzte und mit Anabel reden ging.

Während wir auf Gerald warteten, stellten wir auch fest, dass Roberto den Herrn der Ringe noch gar nicht kennt. Edward grinste und meinte, er hätte nie gedacht, dass er das mal sagen würde, aber vielleicht sollten wir Roberto zum Geburtstag das Buch schenken? Hmmm, brummelte Roberto, dann doch lieber eine lange Filmnacht. Aber erst, wenn unsere derzeitigen akuten Baustellen einigermaßen geklärt sind. Alles klar, kann er haben - Totilas' Bildungslücke in Sachen Star Wars haben wir ja auch gestopft!

Im Zusammenhang mit unseren diversen Baustellen brachte unser White Court-Kumpel dann noch eine andere Idee ins Spiel. Wir wollen doch im Red Court von Miami in nächster Zeit grundlegend etwas verändern - wäre das vielleicht ein Argument, um Anabel die Stadt zu verleiden? Hmmm. Mal ein ganz anderer Gedanke, aber keiner, mit dem wir anderen uns so recht anfreunden konnten, aus mehreren Gründen. Erstens: Das ist ein sehr langfristiger Plan; Richard wird bestimmt nicht morgen oder auch nächste Woche mit seinen Forschungen erfolgreich sein. Zweitens: Der Plan ist streng geheim. Wenn bekannt würde, dass man aus Vampiren einfach so ihre Dämonen herausholen - oder es zumindest versuchen - kann, dann könnte das Konsequenzen haben, die wir jetzt so noch gar nicht in ihrer vollen Tragweite absehen können. Machtkämpfe, die darüber ausgetragen werden, dass man dem Gegner gewaltsam den Dämon entfernt... aber, nein, das ginge schonmal nicht, denn den Dämonen herausholen kann man ja anscheinend nur, wenn das Versuchsobjekt auch willig mitmacht. Aber trotzdem. Das ist garantiert nichts, von dem ich wollte, dass Anabel Raith - und somit auch der Weiße König - es erfährt. Und der Weiße König würde das mit ziemlicher Sicherheit als Gefährdung ansehen und Schritte unternehmen. Ähm... nein.

Irgendwann kam Gerald wieder, erstaunlich guter Laune und ein Grinsen unterdrückend. "Sie hatte genug von mir", erzählte er amüsiert, ehe sich sein Grinsen doch Bahn brach. "Sie wird keinerlei Ahnung haben, was ihr von ihr wollt - und das wird sie wahnsinnig machen!"

Mehr konnten wir dann erstmal nicht tun, also trennten wir uns; es war ja auch schon ziemlich spät. Totilas kontaktierte noch Declans Telefondienst, dass er gerne mit ihm sprechen wolle. Wir haben keine Ahnung, wie lange der Warden brauchen wird, um sich zurückzumelden, also haben wir beschlossen, morgen erst einmal Operation Valinor anzugehen. Für mich ist es jetzt auch langsam Zeit ins Bett zu gehen, es war ja doch ein langer Tag.

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Ha! Hahaa! Wir wollen dafür sorgen, dass Sancía ihre Seele wiederbekommt - ist doch klar, wie die Sache heißen muss. Operation Théoden, ganz eindeutig!
So, jetzt aber. Gute Nacht!

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07. November

Römer und Patrioten, ich berichte voller Stolz: Operation Valinor ist geglückt!

Als wir uns heute vormittag trafen, gingen wir ernsthaft das Problem an, was wir mit Ahalphu denn nun genau tun sollten, welcher Sport ihn wohl dazu verleiten würde, nach Hause zurückzukehren. Alex schlug vor, eine mechanische Rennbahn zu bauen. Mechanisch deswegen, weil es in Xibalba ja keinerlei Technik gibt, sogar Dampftechnologie sollte schon zu modern sein. Aber Kettcars zum Beispiel werden ja nur von Muskelkraft angetrieben, und die zu besorgen, sollte kein Problem sein.

Irgendwer (Roberto?) hatte noch den Gedanken, ob man Ahalphu vielleicht diverse Kartenspiele beibringen sollte, aber der Gedanke an Skelette mit Karten in den Knochenhänden ließ uns von dieser Idee dann doch Abstand nehmen. Also Kettcar-Rennbahn, alles klar.

Ich stiftete ein bisschen Kapital, Alex ließ seine Kontakte spielen, und so dauerte es gar nicht lange, bis wir einen überaus ansehnlichen Haufen an Rennbahnmaterial zusammen hatten. Fehlten nur noch die Ritualzutaten, um Ahalphu auch zu uns zu rufen. Die waren ziemlich ekelhaft, wenn ich das mal so sagen darf, immerhin reden wir hier von einem Seuchendämon.
Irgendwelche garstigen Bilder, die ich mir gar nicht genau anschauen wollte, von rotten.com. Das Geräusch eines Otto-Motors. Verdorbenes Hundefutter für das Schmecken und medizinische Abfälle zum Riechen - und ja, beides ist so widerlich, wie es klingt. Roberto brachte noch etwas esoterisches Räucherwerk für die Seeele und die kleine Statue eines Maya-Dämons zum Berühren, und ein alter Maya-Text war für den Geist.

Mit all diesen Sachen fuhren wir hinaus zu der Grotte, die Haley entdeckt hatte. Sie war auch schon dort, zusammen mit Eleggua. Der sah gerade sehr jung und vital aus und erklärte, sie würden eigentlich bestimmt auch zu zweit mit so einem Eiterdämon fertig, aber besser, sie müssten es nicht. Nein, setzte Haley noch hinzu, das wäre nicht so gut. Denn lauter Totengötter, die sich da prügelten, das täte der Landschaft sicherlich nicht so gut.

Ääääähm. Das war dann wieder mal so ein Moment, wo dem imaginären Comic-Cardo die Kinnlade runtergeklappt wäre. Also eigentlich hätte ich es mir ja denken können. Dass Haley kein normaler Mensch ist, war mir ja klar. Aber ich hatte eben so in Richtung Emissary gedacht, so wie Alex etwa, nur halt... ich weiß nicht. Übernatürlicher. Aber irgendwie machte es da jetzt erst 'klick'. Haley, Hel, natürlich! Totengötter. Seufz.

Es war also besser, dass wir auch da waren, um mit Ahalphu fertig zu werden. Aber erst einmal mussten wir ihn überhaupt herbekommen.
Das Ritual war gar nicht so leicht. Beinahe wäre es Edward entglitten, hatte ich den Eindruck, aber mit Robertos Unterstützung bekam er es dann doch unter Kontrolle.
Irgendwann erschien der Eiterdämon, aber er ließ sich Zeit, damit es bloß nicht so aussähe, als springe er sofort, wenn man nach ihm pfeife, schaute vermutlich erst sein Autorennen zuende oder so. Sonderlich begeistert war er nicht, dass wir ihn gerufen hatten, aber doch einigermaßen höflich. Was wir denn von ihm wollten?

Alex erklärte ihm unsere Idee von den Rennen mit den mechanischen Kettcars. Ach nein, befand der alte Maya, das sei ja langweilig, wenn alles nur an den Kämpfern selbst hinge und die gar keine Hilfsmittel zur Verfügung hätten! Aber gerade das mache es doch gerade so spannend, erwiderte Alex: Es komme eben ganz allein auf die Wettkämpfer an, auf deren Muskelkraft und deren Ausdauer und deren Durchhaltewillen! Und Hilfsmittel hätten sie ja in den Tretautos, nur eben keine so schnellen wie in der Formel 1.

Tatsächlich ließ Ahalphu sich überzeugen. Er fing sogar leicht an zu grinsen, als Alex von ‚nicht so schnell‘ sprach. In Xibalba gebe es so viel Magie, da ließe sich schon was machen.
„Ihr habt mich beeindruckt“, sagte er schließlich. „Ihr habt mir einen Gefallen getan, und das passiert nicht allzu oft. Wenn ihr je mal einen alten Eiterdämon brauchen solltet…“ Und mit diesen Worten überreichte er Alex einen Ring. Dann steckte er die ganzen Materialien in die Jackentasche – und ja, ich weiß, dass ich das gerade geschrieben habe. Er steckte die ganzen Materialien, Kettcars, Holz, Nägel, Werkzeuge, das ganze Programm, in seine Jackentasche. Fragt mich einfach nicht, wie – und sah uns erwartungsvoll an.

Haley und Eleggua legten ihr menschliches Aussehen ab. Beide wurden größer, präsenter, beeindruckender, Eleggua tiefschwarz und Haley – Hel – knochenbleich, ehe sie ein vollkommen präzises Tor öffneten. Ahalphu ging hindurch, das Tor schloss sich, die beiden Totengötter nahmen ihre Menschengestalt wieder an, und damit war Operation Valinor beendet.

Bis auf die Frotzeleien, die unweigerlich folgten. Bei uns folgen immer Frotzeleien. Ich glaube, wir haben sogar in Ruiz‘ Kerker damals blöde Witze gemacht. Wobei, nein. Da vielleicht nicht.
Aber diesmal jedenfalls fingen wir an, zu sinnieren, dass, wenn die Tretautos in Xibalba ein Erfolg werden, vielleicht irgendwann alle Unterwelten welche haben wollen. „Martin's Kettcars – We take you (N)Everywhere!” Nur im Hades wäre das mit den Kettcars vermutlich etwas schwierig. Aber hey, Tretboote für den Styx!

Haley fragte dann sogar durchaus ernsthaft, ob Alex ihr sowas für Helheim bauen würde, und unser Kumpel versprach ihr, sich darum kümmern zu wollen. Aus Konkursmassen von Sportgeschäften und ähnlichem sollten sich ja wohl genug Tretautos auftreiben lassen, um das hinzubekommen!

Oh, und von meinen komischen Wallungen, wenn ich diesen Pablo sehe oder nur an ihn denke, habe ich den Jungs auch erzählt. Die wussten, dass es wohl irgendwas mit dem Speichel der Rotvampire auf sich hat. Brrrr. Gut zu wissen. Aber irgendwann habe ich das Zeug ja dann hoffentlich auch mal wieder aus mir raus.
« Letzte Änderung: 2.06.2016 | 00:12 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Falls sich übrigens jemand fragt, wie dieser ominöse Comic-Cardo so aussehen könnte, der gelegentlich erwähnt wird: Ich konnte es nicht lassen. Nachdem mir der Gedanke jahrelang im Kopf rumging, habe ich eine sehr nette und sehr talentierte Zeichnerin gefunden (Vielen Dank an Nocturama für den Tip!). Das Ergebnis ihrer Anstrengungen findet sich im Anhang. :D

[gelöscht durch Administrator]
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
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Zitat von: Shield Warden
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Das Folgende ist ein Experiment. Im Juli konnte ich an einer Miami-Runde nicht teilnehmen, also haben Bad Horse und ich als Ersatz ein kleines Soloabenteuer für Cardo in Schriftform verfasst. Da wir das eben wie gesagt nicht am Tisch spielten, sondern abschnittweise in Schriftform festhielten, ist der Schreibstil ein klein wenig anders als das, was man in den Diaries hier normalerweise findet. (Den allerletzten Teil, der in der Sommerhalle selbst angesiedelt ist, haben wir dann bei unserer letzten Session doch wieder richtig ausgespielt, mit den anderen Gruppenmitgliedern als NSCs. Wenn also ab der Sommerhalle ein Bruch im Schreibstil festzustellen ist, liegt es daran.)

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Ricardos Tagebuch: Side Job - Heorot

Es war früher Morgen, als das Telefon klingelte. Sehr früher Morgen - die Sonne war gerade erst aufgegangen.
“Kannst du kommen?”, fragte Geralds Stimme aus dem Hörer, sobald ich abgenommen und mich gemeldet hatte. “Ich würde gern kurz mit dir - mit dem Sommerritter - sprechen.”

‘Sommerritter’. Mierda. Ich hätte eigentlich mit sowas rechnen können, wenn nicht vermutlich sogar müssen, aber irgendwie traf mich Geralds Formulierung trotzdem wie aus heiterem Himmel. Um die Uhrzeit denke ich einfach von mir noch nicht als Feenritter gleich welcher Couleur. Aber gut. Ich bin es nun mal, also sollte ich mich wohl besser auch daran gewöhnen, dass Hinweise darauf zu jeder möglichen und unmöglichen Tages- und Nachtzeit passieren können.
Ich hatte auch grundsätzlich kein Problem damit, dass Gerald so früh anrief - nur Jandra musste ich trotzdem erst wecken und in die Schule schicken. So lange musste der gute Mr Raith noch warten.

Raith Manor sah spektakulär aus im Morgenlicht: Der weiße Stein golden angehaucht, die Herbstblumen wie überzogen von einem Lichtschleier. Eine Gruppe aus drei Personen, die im Garten schweigend Tai Chi oder Yoga praktizierten, und noch ein Hauch nächtlicher Kühle in der warmen Luft. Obwohl es schon nach Halloween war, sah man an diesem Tag nicht, dass der Sommer starb - aber das tat er in Miami ohnehin nur sehr langsam, wenn überhaupt.

Gerald stand in einem weiten, weißen Gewand an dem großen Panoramafenster, ein Glas Whisky in der Hand. Als er sich zu mir umdrehte, waren seine sonst so dunklen Augen grau, fast silbrig. Offenbar hatte er länger gefastet.

Nach einer kurzen Begrüßung kam er sofort zur Sache. “Es geht um das Ritual”, fing er an. “In Schottland. Am Lochan Dubh nan Geodh, zwischen Altnabreac und Westerdale, mitten in den Highlands.” Gerald nahm einen Schluck aus seinem Glas. “Das ist der Ort, an dem wir das am besten durchführen sollten - das ist aber leider auch ein Ort, der vom Weißen Rat bewacht wird. Wir können da nicht einfach auftauchen und starke Magie wirken, ohne das vorher abzuklären. Nur - ich kann da nicht als Vertreter des Weißen Hofs um Erlaubnis bitten. Schon gar nicht für das, was wir beabsichtigen.” Er schüttelte den Kopf. “Richard hatte damals einen Kontakt, aber der - die - ist im Krieg gefallen.” Jetzt schaute er mich direkt an. “Ich brauche deine Hilfe, Sommerritter. Ein Abgesandter des Sommers, der dort ein Ritual machen möchte… ich könnte mir vorstellen, dass der Rat damit weniger Probleme hat.” Ohne eine Antwort abzuwarten, deutete er auf den Tisch. “Ich habe ein Flugticket für dich nach Edinburgh gebucht. Dort kannst du im Old Cauldron nach David Hawkins fragen. Das Old Cauldron ist neutraler Boden, eine Wegbeschreibung liegt bei. Auf einer Karte findest du das nicht.” Er zuckte die Schultern. “Neutraler Boden hin oder her, du findest im Pub hauptsächlich Ratsmagier. Aber als Sommerritter solltest du ja keine Probleme haben. Erzähl nur nicht zu viel über Miami und unsere… Angewohnheiten.”

Gerald atmete tief durch. “Falls du überhaupt bereit bist, das zu tun, solltest du besser allein gehen… Totilas wird hier gebraucht, und weder ein Santero noch ein Abgesandter eines Trickstergottes werden da sehr hilfreich sein. Ein Lykanthrop schon gar nicht - das sind alles Gruppierungen, mit denen die Ratsmagier eher weniger anfangen können.”

Cólera. Das kam plötzlich. Und in irgendwelchen magischen Angelegenheiten ohne die Jungs losziehen zu sollen, fühlte sich auch seltsam an, gelinde gesagt. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, gab mir das ein nicht unbeträchtliches mulmiges Gefühl in der Magengrube. Aber trotzdem bestand kein Zweifel daran, dass ich Geralds Bitte erfüllen würde. Immerhin wollten wir ja alle dieses Ritual durchziehen. Und ja, ich bin der Sommerritter, verdammt nochmal, und mit dieser Autorität im Rücken würde ich ja wohl nach Europa fliegen und diesen Ratsmagiern die Erlaubnis für das Ritual aus den Rippen leiern können!

Also nickte ich Gerald zu. “Ich mache das. Solange der Flug nicht sofort in zwei Stunden geht - ich muss ein paar Sachen klären, ehe es losgeht. Meine Tochter bei meinen Eltern abliefern, zum Beispiel.” Und ein paar Sachen musste ich noch von Gerald in Erfahrung bringen. “Dieser David Hawkins ist Ratsmagier? Und das Old Cauldron liegt in Edinburgh selbst?” Hmmm. “Hast du Erfahrung mit dem Rat, Gerald? Wie genau werden die wissen wollen, was wir bei dem Ritual alles vorhaben? Und wie genau können sie verfolgen, was wir da tatsächlich abziehen? Ich würde sie ungern anlügen, aber falls sich das nicht umgehen lässt, wäre es unangenehm, wenn sie mit dem ersten Wort des Zauberspruchs durchschauen würden, das was nicht stimmt, und vor allem, was.”

“Okay, ‘Flugticket’ war vielleicht irreführend.” Gerald konnte ein Grinsen nicht verbergen. “Ich habe eine Maschine gechartert. Es geht los, sobald du bereit bist.”
Er schenkte sich aus einer halb leeren Flasche nach, ehe er mir auch einen Drink anbot - den ich allerdings höflich ablehnte. Keinen Whiskey um acht Uhr morgens, herzlichen Dank.
“David Hawkins ist ein ziemlich hohes Tier im Rat”, erklärte Gerald dann. “Warden, natürlich. Meinen Informationen nach ist er derjenige, der sich um die Sicherheit in Schottland kümmert, also muss er einigermaßen mächtig sein. Vermutlich auch einigermaßen beschäftigt, aber angeblich trifft man ihn trotzdem jeden Abend im Old Cauldron an. Der liegt in der Altstadt von Edinburgh, mitten drin. Wegbeschreibung hast du ja.”
Er nahm einen langsamen Schluck von seinem Drink. “Der Rat, hm? So viele Erfahrungen habe ich nicht mit denen, von Declan und DuMorne mal abgesehen… lustigerweise klingt das gälische ‘Dubh Mor’ - groß schwarz - ganz ähnlich wie DuMorne. Das fand Lafayette aber nicht so witzig.” Gerald schnaubte und verzog das Gesicht. So ganz nüchtern war er offensichtlich nicht mehr. Aber wenn er die ganze Nacht hindurch wach gewesen war und während dieser Zeit natürlich auch getrunken hatte, und so kam es mir beinahe vor, war das ja auch kein Wunder. “Ansonsten weiß ich so viel wie du - ‘Misch dich nicht in die Angelegenheiten von Zauberern ein, denn sie sind empfindlich und leicht zu verärgern.’” Er zwinkerte mir zu, und einen Moment lang konnte ich das silbrige Licht in seinen Augen aufblitzen sehen. “Ich kann dir nicht sagen, was die wissen wollen. Soviel wie möglich, schätze ich. Andererseits sind sie es wahrscheinlich gewöhnt, dass Feen ihnen nicht alles erzählen. Was die Magie angeht: Soweit ich weiß, basiert Edwards Magie ja auch ähnlichen Prinzipien wie ihre eigene, oder? Kann mir nicht vorstellen, dass sie Einwände haben. Ansonsten: Schick eine Sommerfee mit, die das Ritual mit einem Glamour belegt, damit es aussieht wie Sommermagie.” Er zuckte die Schultern. “Keine Ahnung, ob das funktioniert, aber das sollte doch möglich sein. Oder erzähl Hawkins eine hübsche Geschichte davon, wie du, der edle Sommerritter, eine verlorene Seele von ihrem Fluch erlösen willst. Ist ja auch fast wahr.” Sein Lächeln wurde breiter, die Augen noch heller, und er kam einen Schritt auf mich zu. Er war schon ein sehr attraktiver --
Nein, verdammt. Aus, Alcazár! Dieser komische Speichel von den Red Courts letztens war schon schlimm genug, da musste ich mich nicht auch noch von den Pheromonen eines White Court einfangen lassen.

Und auch Gerald schien zu merken, dass er seine White-Court-Pheromone da nicht mehr ganz unter Kontrolle gehabt hatte, denn er drehte sich abrupt um. “Ich glaube, ich habe einen dringenden Termin”, sagte er zu der Panoramascheibe, und die Anspannung in seinen Schultern war nicht zu übersehen. “Wenn du noch etwas brauchst - irgendetwas - sag Bescheid.”
Ich nickte. “Mach ich. Und ich melde mich, ehe ich losfahre, in Ordnung?”

So richtig viel war eigentlich gar nicht zu erledigen. Nach der Schule Jandra zu Máma und Pápa bringen, die sich riesig dafür interessierten, dass ich nach Europa musste. Den Grund hielt ich eher allgemein. Eine Lesereise. Ja klar würde ich ihnen etwas aus Schottland mitbringen. Echt schottischen Whisky vielleicht? Und Jandra natürlich auch. Die hätte am liebsten eine Nessie, meinte sie. Jahaa. Das konnte ich ihr gerade noch ausreden mit der Begründung, dass Nessie ein Wassertier sei und unsere Badewanne dann doch ein bisschen zu klein.

Den Jungs bescheid geben. Die waren nicht so richtig begeistert, dass ich alleine losziehen würde, hatte ich den Eindruck, aber Gerald hatte mit seiner Einschätzung schon recht gehabt. Das war eine Aufgabe, wo sie tatsächlich vermutlich eher hinderlich als hilfreich wären. Aber ich musste versprechen, regelmäßig in Kontakt zu bleiben, Zeitverschiebung hin oder her. Richtig, die Zeitverschiebung. Fünf Stunden weiter. Merken.

Für ein paar Tage packen. Das stellte kein Problem dar, und die Tatsache, dass ich mit einer Chartermaschine unterwegs sein würde, nicht mit einem Linienflug, hieß, dass ich auch Jade problemlos mitnehmen konnte, ohne allzu anstrengende Sicherheitsprozeduren über mich ergehen lassen zu müssen.
Mierda. Mir ist immer noch nicht ganz klar, wann mein Ritterschwert anfing, einen eigenen Namen zu haben. Vor allem nicht, weil ich nie darüber nachdachte, ob ich ihm einen Namen geben wollte und wie der lauten sollte. Sondern weil ich einfach eines Tages wusste, und zwar völlig selbstverständlich wusste, als hätte ich es schon immer gewusst, die Klinge heißt ‘Jade’. Und sie ist eine ‘sie’.
Jedenfalls. Dank des Charterflugs konnte ich Jade leichter mitnehmen, als das sonst möglich gewesen wäre. Zwar genausowenig im Handgepäck, aber das hätte ich ohnehin nicht gewollt.

Abends gegen 20 Uhr saß ich dann endlich im Flieger. Schriftsteller oder nicht, Lesereisen oder nicht, einen Privatjet hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Das war schon ziemlich edel. Zehn Stunden Flug, genug Zeit, um ein bisschen an Totem Rise weiterzuarbeiten, einen Film zu schauen und ein paar Stunden zu schlafen, gerade genug, dass ich einigermaßen ausgeruht in Edinburgh ankam. Mittags nach Ortszeit. Perfekt.

Ein Zimmer im Sheraton Hotel hatte Gerald ebenfalls für mich reservieren lassen. Das lag schön zentral in der Nähe der Altstadt, und mein Zimmer hatte zwar keine Aussicht auf das Schloss, aber dafür ansonsten alle Annehmlichkeiten, die man sich in einem Hotel so vorstellen kann. Dort warf ich meine Sachen ab und machte einen kleinen Spaziergang durch die Stadt - wenn ich schon mal hier war, konnte ich auch ein bisschen den Touristen geben, Souvenirs kaufen inklusive - ehe ich mich im Hotel noch ein, zwei Stunden auf’s Ohr legte, bis es an der Zeit war, diesen ‘Old Cauldron’ suchen zu gehen.

Ohne die Wegbeschreibung wäre ich tatsächlich völlig aufgeschmissen gewesen. Der Pub lag nämlich in einer eigentlich unbenamsten Gasse, in die man nur durch einen Durchgang kam, der auf den ersten Blick wie eine private Toreinfahrt wirkte. Und ja, ich habe Harry Potter gelesen. Natürlich habe ich <Em>Harry Potter gelesen. ‘Leaky Cauldron’, ‘Old Cauldron’ - es hätte mich gewundert, wenn die Ratsmagier auf ihren neutralen Boden nicht eine Art Schleier gelegt hätten, damit die Muggles den nicht so leicht finden.

Beim Eintreten in die dämmrige Kneipe hatte ich tatsächlich die erste Beschreibung des Leaky Cauldron aus dem Sorcerer’s Stone im Kopf und rechnete beinahe mit Dedalus Diggle, Doris Crockford und Professor Quirrell in seinem Turban. Die waren natürlich nicht da, und ob der Wirt Tom hieß oder nicht, das konnte ich so auf den ersten Blick nicht beurteilen.

Der Rest der Klientel sah auf den ersten Blick enttäuschend normal aus - aber es war eine sehr gemischte Truppe, die hier herumsaß: Eine Frau im Business-Kostüm am Tisch mit einem Punk und einem alten Mann, der aussah wie das Vorbild für Waldorf aus der Muppets Show, ein blasser Gruft vertieft im Gespräch mit einer unauffälligen Frau mittleren Alters und einem knallbunt gekleideten Schwarzen mit Rastas, eine Gruppe Inder, die sich unglaublich ähnlich sahen, aber ganz unterschiedlich gekleidet waren, und die sich anscheinend ein Getränk teilten.

Der Wirt hingegen entsprach weitgehend meinen Erwartungen: Beleibt, rot im Gesicht, abgehetzt, aber freundlich. Vielleicht war das eher Gerstenmann Butterblume als Tom? Immerhin kannte er David Hawkins, als ich nach dem fragte, und wies mir den Weg zu einem kleinen Tisch in der Ecke.
An dem Tisch saß ein Mann in den Fünfzigern, kräftig gebaut, mit buschigen Brauen und einem gewaltigen Schnurrbart. Im Näherkommen konnte ich sehen, dass sein dunkelbrauner Anzug gar nicht so gewöhnlich war, wie er mir zunächst geschienen hatte: Der Stoff war mit Runen und Glyphen durchwirkt, die schwach golden schimmerten. Die Manschettenknöpfe in Form von zwei Greifen wirkten auch nur auf den ersten Blick normal - bewegten sich die Tiere nicht schwach? Genauso wie der bronzene Raubvogel, der den Knauf eines altmodischen Spazierstocks zierte?
Genau wie Gandalf rauchte Hawkins eine Pfeife, und genau wie Gandalf hatte er einen stechenden, wachen Blick. Barsch nickte er Tom? Butterblume? dem Wirt zu und bedeutete mir, sich an den Tisch zu setzen.

“Hmm”, machte er. “Sie sehen aus wie ein Spanier. Kommen Sie aus Cordoba?”

Ich ließ mich auf der Bank dem Ratsmagier gegenüber nieder und neigte höflich den Kopf. “Nicht ganz Spanier, aber beinahe. Mein Name ist Ricardo Alcazár, und ich komme aus den Vereinigten Staaten. Ich bin der Erste Ritter des Herzogs vom Sommerhof der Fae aus Miami, Florida.”
Mit diesen Worten streckte ich Hawkins die Hand hin. Ich hatte wenig Ahnung, wie es Angehörige des Weißen Rates mit Handschlägen halten mochten, aber die Geste schien mir angebracht.
“Ich hatte gehofft, Sie hier zu finden, Mr. ... Warden Hawkins. Ich brauche Ihre Hilfe.”

Bei dem Wort ‘Sommerhof’ merkte Hawkins auf. Kurz sah ich fast so etwas wie Erleichterung in seinen Augen, und ich konnte beinahe mit ansehen, wie sich die Rädchen im Kopf des Magiers drehten.
Als ich erwähnte, dass ich Hilfe brauchte, lehnte sich Hawkins zurück und unterdrückte ein erfreutes Lächeln. Statt dessen klopfte er umständlich seine Pfeife aus.
“Pfff”, schnaubte der alte Mann bärbeißig. “Hier in Europa tragen die Ritter ja noch richtige Titel… Sir Ricardo. Nur nehme ich an, bei Ihnen heißt das dann ‘Abgeordneter’ oder so ein Unfug. Bah!” Er schüttelte seinen Kopf, um zu zeigen, was er von derlei Unfug hielt.
“Hilfe, hm? Na, dann mal raus mit der Sprache, junger… Sir Ricardo. Wie Sie sicher wissen, sind wir im Krieg! Aber für unsere Freunde vom Sommerhof… da lässt sich unter Umständen etwas machen.” Sein Gesichtsausdruck war allerdings skeptisch.

Bei der Amerika-kritischen Bärbeißigkeit des britischen Magiers musste ich schmunzeln, gab mir aber Mühe, ein höflich-verstehendes Lächeln daraus zu machen. “Oh, auch bei uns werden Ritter der Höfe mit Sir angesprochen, Warden. Ich denke, da dürften sich die Fae zu beiden Seiten des Atlantiks relativ ähnlich sein.”

Hawkins’ kalkulierender Gesichtsausdruck, als ich von ‘Hilfe’ sprach, war mir allerdings auch nicht entgangen. Ganz schlau hast du das gemacht, Alcazár. Bring Pan doch gleich in die Schuld des Weißen Rats. Okay. Mierda. Mal sehen, ob ich den Fuß wieder einigermaßen aus dem Fettnapf raus bekam.

“Ich muss meine Bitte ein wenig relativieren, Warden Hawkins. Ich bin nicht im Auftrag des Herzogs von Miami hier, auch wenn das eingangs vielleicht so geklungen haben mag. Sondern es geht um eine Aufgabe - eine Queste, wenn man so will - die ich mir selbst gestellt habe. Ein, nun, guter Freund unterliegt einem Fluch, und um diesen Fluch von ihm zu nehmen, wollen wir - genauer gesagt mein bester Freund, der auf derartige Magie spezialisiert ist - ein Ritual wirken. Ich komme deswegen damit zu Ihnen, weil der beste Ort für dieses Ritual offenbar der Lochan Dubh nan Geodh ist” - vermutlich sprach ich das ziemlich falsch aus, auch wenn ich natürlich gehört hatte, wie Gerald den Namen sagte, aber damit musste der Warden jetzt leben - “und wir selbstverständlich nicht einfach auf dem Gebiet des Weißen Rates ein Ritual abhalten können, wollen und werden, ohne die Erlaubnis dafür eingeholt zu haben.”
So gewinnend und vertrauenswürdig ich nur konnte, sah ich den Briten an.

Hawkins’ Gesicht verdüsterte sich bei der Erwähnung des Ortes. “Ein Ritual”, sagte er mit gerunzelter Stirn. “Am Lochan Dubh nan Geogh. Um einen Fluch zu lösen. Junger… Sir Ricardo, wenn ihr einen Fluch lösen wollt, dann ist das kein guter Ort dafür. Jemanden verfluchen? Das könnte ich mir eher vorstellen. Würde ich aber nicht zulassen.” Er kaute kurz auf seiner Pfeife herum. “Der Lochan Dubh nan Geogh ist einer der dunkelsten Orte Schottlands. Dort ein Ritual durchzuführen… dein Spezialist ist kein Ratsmagier, nehme ich an, sonst würde der mit mir reden.” Er wartete mein Nicken kaum ab, sondern fiel mir direkt ins Wort, als ich dazu noch etwas ergänzen wollte. “Also ein Dilettant. Gut, das könnte mir ziemlich egal sein - wahrscheinlich bringt er hauptsächlich sich und den Rest deiner Freunde in Gefahr. Er wird nicht wecken können, was da im See liegt. Falls das sein Plan sein sollte. Kannst du ihm gern bestellen.” In seinem Gesicht arbeitete es.

“Zu schade, dass du nicht als Vertreter des Sommerhofs hier bist”, fügte er schließlich hinzu. “Einem Sommerritter hätte ich vielleicht vertraut… ein Sommerritter hätte etwas für mich tun können. Aber irgendein Kerl aus Miami, dessen Freunde am Lochan Dubh herumhexen wollen? Ich denke zwar nicht, dass ihr da großen Schaden anrichten könntet, aber ich müsste den Dreck hinterher aufräumen. Warum sollte das die Mühe für mich wert sein?” Fast lauernd blickte er mich unter seinen buschigen Augenbrauen an.

Seufz. Dass die Ratsmagier auf die ‘Dilettanten’ herabsehen, das war uns ja schon vorher bewusst. Das war eine der Prämissen, unter denen ich hergekommen war. Aber das so unverblümt von dem Warden zu hören, versetzte mir dennoch einen Stich. Und dass er unvermittelt vom ‘Sie’ zum ‘Du’ übergegangen war, das war mir genausowenig entgangen.
Ganz ruhig. Lass ihn Edward unterschätzen. Und lass dich vor allem nicht von ihm provozieren. Du bist als Diplomat hier. Sei diplomatisch.
« Letzte Änderung: 15.11.2023 | 09:20 von Timberwere »
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Offline Timberwere

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Ich schenkte ihm einen möglichst verbindlich-freundlichen Blick. “Wir haben nicht vor, irgendwelchen Dreck zu hinterlassen, den Sie aufräumen müssten”, erklärte ich milde. “Hatten Sie da etwas Spezielles im Sinn?”
Das war jetzt mit ziemlicher Sicherheit nicht das, was er hören wollte. Der wollte eindeutig ein Quid pro Quo. Und vermutlich würde eine signierte Ausgabe meiner Bücher in der Beziehung nicht reichen. Na gut. Mal sehen.
“Und was das andere angeht... Ich weiß nicht, ob Sie jemals in den Staaten zu tun haben, Warden Hawkins. Aber es wäre Ihnen zumindest meine persönliche Dankbarkeit sicher. Und ich würde mich selbstverständlich erkenntlich zeigen, wenn es etwas gäbe, dass ich in meiner Funktion als Privatperson für Sie oder für den Weißen Rat tun könnte - so es denn mit meinen Pflichten als Ritter des Sommerhofs und meinen privaten Überzeugungen in Einklang zu bringen wäre und dessen Erfüllung in meiner Macht stünde. Davon abgesehen kann ich in dieser Angelegenheit zwar weder für meinen Herzog sprechen noch Verpflichtungen für ihn eingehen, da ich rein privat hier bin, auch kann ich ihm selbstverständlich nicht meine Sicht der Dinge aufdrängen oder ihn zu bestimmten Handlungsweisen zwingen, aber er schätzt mich als Ratgeber.”

So. Das sollte hoffentlich Andeutung genug sein. Entweder das, oder...
“Gäbe es denn etwas, das ich in meiner Funktion als Privatperson für Sie oder den Weißen Rat tun könnte?”

Bei diesen Worten lachte Hawkins auf. “An Arroganz fehlt es dir schon mal nicht!”, sagte er amüsiert. Dann wurde er wieder ernst. “Du weisst nicht, was im Lochan schläft. Oder?” Ich zögerte - Gerald hatte etwas vom ‘Ursprung der Weißen Dämonen’ gesagt, wenn ich mich recht erinnerte. Irgendwas in der Art. Hawkins jedoch interpretierte mein Zögern falsch. “Natürlich weißt du das nicht. Wenn du es wüsstest, müsste ich dich umbringen.” War das ein Scherz? Nein, so sah Hawkins nicht aus. Der meinte das bitterernst.
Mit dem Daumen wies ich auf die Plakette, die über der Bar hing. “Ist das hier nicht neutraler Boden?”, fragte ich ruhig.

Hawkins grinste unfreundlich. “Neutraler Boden gilt zwischen einem Angehörigen des Sommerhofs und einem Angehörigen des Weißen Rats… du hast gerade sehr deutlich gesagt, dass du als ‘Privatperson’ hier bist.” Sein Grinsen wurde noch etwas breiter, und er spielte kurz mit der Greifenmanschette, die sich aufrichtete und mich drohend anzischte.
Aber dann wurde er wieder ernst. “Pass auf”, sagte er. “Ich habe den Eindruck, du hast nicht viel Erfahrung mit solchen Verhandlungen. Das erweckt nicht allzu viel Vertrauen in deine Freunde und ihr Ritual. Und ganz ehrlich: Ich habe keine Verwendung für eine Privatperson. Oder kannst du ohne die Kraft des Sommers ins Nimmernie gehen? Kannst du ohne die Kraft des Sommers den Respekt der Einwohner des Nimmernies gewinnen? Gelangst du ohne die Kraft des Sommers in die Sommerhalle der Einherjar? Kannst du ein Haar der Sonne anfassen, ohne dir die Hand wegzubrennen, wenn du die Kraft des Sommers nicht benutzt? Ich glaube nicht, Ricardo.” Er lehnte sich vor. “Ich will keinen Gefallen deines Herzogs, junger… ach, junger Mann. Ich - der Rat - will einen Gefallen von dir, dem Sommerritter, nicht von dir, dem…” Er sah mich abschätzend an. “...dem Playboy, oder dem Miami Vice Detective, oder was auch immer so eine Privatperson eben ist.”

Jetzt konnte ich mir die Spitze doch nicht verkneifen. “Schriftsteller”, sagte ich trocken. “Vielleicht haben Sie schon mal das eine oder andere Buch von mir im Laden stehen sehen. Ich könnte Ihnen eine signierte Erstausgabe meiner gesammelten Werke anbieten, falls das hilft.”
Ich grinste ihn an, um ihm zu zeigen, dass das ein Scherz gewesen war, dann wurde ich wieder ernst und suchte offen den Blick des Magiers.
“Aber Sie haben ganz recht. Ich weiß nicht, was im Lochan schläft. Und viel Erfahrung mit derlei Verhandlungen wie dieser hier habe ich bislang tatsächlich noch nicht. Aber das ist meiner Unerfahrenheit geschuldet, nicht der meiner Freunde. Vielleicht habe ich mich auch falsch ausgedrückt, als ich so auf das ‘privat’ pochte. Ich hätte besser ‘persönlich’ sagen sollen. Was ich damit klar machen wollte, war, dass ich meinen Herzog in diese Sache nicht hineinziehen werde. Aber einen Gefallen, den ich persönlich - Schriftsteller oder Sommerritter oder was auch immer - Ihnen und dem Rat tun kann... und der weder meiner eigenen Ehre noch der Ehre des Sommerhofs oder meinen eigenen Überzeugungen widerspricht... darüber können wir reden.”

Hawkins verdrehte die Augen, als ich von meinen Büchern sprach. “Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, keine Werke von Schriftstellern zu lesen, die nicht mindestens seit zehn Jahren tot sind”, erklärte er kategorisch. “Und ich bin damit immer sehr gut gefahren, dankeschön.”
Umständlich stopfte er seine Pfeife und zündete sie dann mit einem Fingerschnippen an. Einen Moment lang dachte ich, dass Hawkins mich mit der Geste vielleicht beeindrucken wollte, aber vermutlich war es tatsächlich nur ein Reflex, eine vollkommen gewohnte Handlung, derer er sich gar nicht mehr bewusst war.
“Na gut”, sagte der Ratsmagier schließlich. “Ich will mal nicht so sein. Hab ja ein Herz für seltsame Gestalten.” Das ließ mich schmunzeln, auch wenn ich gar nicht so genau sagen konnte, warum. Hawkins dachte vermutlich, es sei Dankbarkeit für sein Einlenken.
“Also gut”, fuhr er dann fort. “Vor einiger Zeit - Feenzeit, wann auch immer das nun war - hat Loki oder einer seiner Nachfahren der Sonne drei Haare gestohlen. Die hat er dann beim Kartenspiel mit einem Einherjar verloren. Heißt es.” Er räusperte sich. “Die Einherjar wohnen ja traditionell in Walhalla, wo sie den ganzen Tag saufen. Dann gehen sie kämpfen, torkeln nach dem Kampf wieder in die große Halle und saufen weiter. Ein bisschen wie Fussballfans in Manchester.” Er winkte den Wirt heran und bestellte zwei Bier. Dann runzelte er nachdenklich die Stirn. “Eigentlich genau wie Fussballfans in Manchester. Scheußliche Stadt. Fahren Sie lieber nicht dahin.” Ein paar Minuten schwieg er, und ich schwieg höflich mit ihm, ließ mir das Gesagte durch den Kopf gehen. Von europäischem Fußball habe ich nicht viel Ahnung, aber bei dem Vergleich konnte ich mir schon ungefähr vorstellen, was er meinte. Dann kam das Bier, zwei große Krüge. Beinahe schon Pitcher-Größe, wie ich sie von zuhause kannte. Hawkins nahm einen und erhob ihn, um mit mir anzustoßen. Ich nahm einen Schluck. Huh. Lecker. Aber starkes Zeug. Da würde ich aufpassen müssen, dass ich mir nicht das klare Denken vernebelte.

“Na gut, Walhalla ist ein Prügel-Pub”, fuhr Hawkins fort, als hätten nicht mehrere Minuten Pause zwischen seinem letzten und diesem neuen Satz gelegen. “Jetzt gibt es viele Einherjar, die das toll finden, aber nicht alle. Die haben sich schon vor langer Zeit nach Heorot zurückgezogen, in Beowulfs Halle, wo sie außer saufen und prügeln auch mal reden, ein Lied anhören oder philosophieren können. Ich war noch nicht da, aber ist wohl eher ein Gentleman’s Club. Mit Walküren, nehme ich an. Falls die Zutritt haben.” Sein Gesichtsausdruck zeigte Zweifel - entweder, weil er den Einherjar eine so fortschrittliche Einstellung nicht zutraute, oder weil er selbst kein großer Freund von weiblichen Gästen in einem Club war.
“Jedenfalls soll sich der Einherjar, der die Haare gewonnen hat - Sigthor Oddson - hauptsächlich in Heorot aufhalten. Sie nennen den Ort auch ‘Sommerhalle der Einherjar’; ich vermute, im Winter müssen auch die weniger rauflustigen Krieger gegen die Jötunn antreten. Wie dem auch sei, ich glaube nicht, dass sie die Haare der Sonne da dringend brauchen, die Halle stand ja auch schon lange vorher - wir vom Weißen Rat jedoch liegen im Krieg mit den Rotvampiren, und ich nehme an, dass du weißt, wie schlecht diese Mistviecher auf Sonnenlicht reagieren. Deswegen wäre es sehr hilfreich, wenn du uns diese Haare bringen könntest.” Er lächelte zufrieden und trank noch einen Schluck des starken Gebräus. Dann fiel ihm etwas ein.
“Hmpf”, machte er. “Kannst du die Zeit in den Reichen beeinflussen? Gah, vermutlich nicht, niemand kann das.” Hawkins schüttelte ungeduldig den Kopf. “Also gut, Bursche… Ritter, Schriftsteller, was auch immer, gib mir dein Wort, dass du wirklich versuchst, an die Haare der Sonne zu kommen, und ich lasse deine Freunde ihr Ritual versuchen. Einverstanden?”

Ich musste nicht lange überlegen. Was wollte ich auch tun? Genau das war der Grund, warum ich hier war, quid pro quo, und Hawkins sah mir nicht so aus, als würde er sich umstimmen lassen. Immerhin hatte er gesagt ‘wirklich versuchen’ und nicht ‘unter allen Umständen bringen’.
“Einverstanden”, erwiderte ich. “Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um diese Haare der Sonne zu beschaffen dafür, dass Sie uns die Erlaubnis für das Ritual am Lochan Dubh nan Geogh geben. Ich hoffe allerdings, ich bekomme noch ein paar Informationen von Ihnen.”

Heorot. Beowulfs Halle. Natürlich hatte ich davon gehört, ich hatte mich immerhin während meines Studiums ziemlich eingehend mit dem Epos beschäftigt. “Ich nehme nicht an, dass Sie die Ruinen des Langhauses in Lejre in Dänemark meinen, wenn Sie von ‘Heorot’ sprechen”, mutmaßte ich. “Vor allem, da Sie ‘die Reiche’ erwähnen. Ich vermute mal, das ist ein britisches Synonym für das Nimmernie?” Ich überlegte kurz. Ins Nevernever bringen sollte auch George mich können, siehe die diversen Gelegenheiten, wo er das schon früher getan hatte, da musste ich Hawkins nicht danach fragen und mich noch inkompententer aussehen lassen, als er mich ohnehin schon einschätzte. “Kann man ungefähr sagen, wo im Nevernever die Halle liegt? Und weiß man irgendetwas über diesen Sigthor Oddson, außer dass er kein Anhänger von Manchester ist?”

Hawkins lehnte sich zurück und betrachtete mich nachdenklich. “Du bist wirklich sehr neu als Ritter, was?”, sagte er langsam. “Es ist eine Sommerhalle. Sie liegt im Nimmernie. Ich nehme an, sie liegt irgendwo im Sommer - die Richtung sollte dir ja vertraut sein. Wenn ich ganz genau wüsste, wo sie ist und wie man hinkommt, bräuchte ich keinen Sommerritter, der sich in dieser Gegend hoffentlich frei bewegen kann, ohne alle fünf Minuten von irgendwelchen Viechern belästigt zu werden.” Er fing wieder an, mit seiner Pfeife zu spielen, aber bedächtiger als vorher. “Die Reiche - die Feenwelten - sind ein Teil des Nimmernies, aber nicht genau dasselbe. Ich würde dir raten, nicht über die Summerhall zu gehen, es sei denn, du willst die Grüne Herrin unbedingt treffen. Die ist zwar relativ freundlich, aber auch sehr neugierig und besitzergreifend, wenn jemand auch nur einen Hauch künstlerisches Talent besitzt. Geh über den Brighton Park in der Nähe vom Portobello Beach, da sollten noch ein paar Sonnenblumen stehen.”
Er runzelte die Stirn. “Über Sigthor Oddson kann ich dir wenig sagen. Scheint gern Karten zu spielen, und nicht einmal schlecht, wenn er Loki besiegen konnte. Falls die Geschichte überhaupt stimmt und Sigthor sie nicht nur erfunden hat. Keine Ahnung, ob die in Heorot Fußball spielen, das würde ich dir überlassen.” Hawkins lehnte sich zurück. “Bist du sicher, dass du der Sache gewachsen bist? Könnte gefährlich sein, und ich will ehrlich sein: Ich habe keine Ahnung, wie weit du mit Diplomatie kommst. Aber wenn du das wirklich machen willst, fein. Gib deinen Freunden die Adresse vom Old Cauldron. Ich würde sie gern treffen, bevor sie zum Lochan Dubh Nan Geogh gehen.”
Er legte seine Pfeife auf den Tisch und trank den letzten Schluck Bier. “Um das ganz klar zu sagen: Wenn ich das Gefühl habe, dass sie sich und andere mit ihrem Gezaubere nur in Gefahr bringen, dann werde ich nicht zulassen, dass sie an einem der dunkelsten und gefährlichsten Orte Schottlands ein Ritual durchführen. Um mal deine Worte zu verwenden: Ich setze meine Ehre für diese Sache genauso wenig aufs Spiel wie du deine.”

‘Summerhall’. ‘Grüne Herrin’. Mierda. Ich hatte tatsächlich keinerlei Ahnung, wovon er da redete, aber ich würde den Teufel tun und das zugeben. Stattdessen hob ich auf seine Worte hin die Schultern. “Ob ich der Sache gewachsen bin oder nicht, das werde ich dann wohl sehen, wenn es soweit ist. Aber ich habe zugesagt, dass ich es nach besten Kräften versuche, also werde ich genau das tun.” Ich nickte dem Ratsmagier zu. “Und ich werde meinen Freunden bescheid geben, dass Sie mit ihnen sprechen möchten. Edward Parsen, damit Sie den Namen schon mal gehört haben.”

Während wir unser Bier austranken, fingen die Rädchen in meinem Kopf schon an, sich zu drehen, und noch viel mehr, nachdem ich mich von dem alten Zauberer verabschiedet hatte und zurück im Hotel war. Ehe ich loszog, musste ich einige Vorbereitungen treffen.

Ich rief bei den Jungs an und gab die neuesten Entwicklungen weiter. Vor allem das mit dem ‘dunkelsten Ort in Schottland’ und dass im Lochan irgendwas Fieses schlief. Und die Wegbeschreibung zum ‘Old Cauldron’. Ich rief bei Eileen Fabray an zwecks Informationen über diese ‘Summerhall’ und die ‘Grüne Herrin’ - bei meiner Mentorin in Sachen Sommerritterei hatte ich, ganz anders als bei dem ach so von sich eingenommenen Warden, keinerlei Hemmungen bezüglich meiner Unwissenheit.

Eileen nahm nach kurzem Klingeln ab. Offenbar war sie noch wach - aber zuhause war es zum Glück ja auch erst früher Abend. “Puh”, machte sie nachdenklich, als sie meine Frage hörte. “Von europäischen Fae habe ich leider nicht so viel Ahnung… Summerhall, Summerhall, das sagt mir etwas... Ist das nicht ein Kunstmuseum oder so etwas in Edinburgh? Ich glaube, ich habe mal einen schottischen Ritter getroffen, der mir davon vorgeschwärmt hat. Wer die Grüne Herrin ist, kann ich dir nicht sagen. Klingt nach einer Feenherrscherin - die sind auf den britischen Inseln  etwas weniger freizügig mit Namen und verwenden eher Bezeichnungen wie ‘Friedliche Herrin’ oder ‘Ritter von der Roten Hand’ oder so. Könnte die Herrin des Sommerhofs in Edinburgh sein… Wenn du ein echter Feenritter wärst, müsstest du ihr deine Aufwartung machen, aber so - ich würde dir davon abraten. Die meisten Feenhöfe sind wesentlich intriganter als Pans, Pan ist kein Sidhe, sondern ein Faun, und dann auch noch aus Amerika? Du kannst dir auch eine Zielscheibe auf dein T-Shirt malen.” Sie lachte. “Gut, das ist alles Sommerhof, aber trotzdem. Würde ich an deiner Stelle vermeiden, wenn es geht.” Ich nickte, auch wenn Eileen das am Telefon gar nicht sehen konnte. “Davon hat Warden Hawkins mir auch abgeraten”, erklärte ich dann. “Er meinte etwas von wegen, die Grüne Herrin könne ziemlich besitzergreifend sein. Von daher muss ich das nicht so dringend haben, glaube ich.” Eileen lachte leise ins Telefon, ehe ihre Stimme wieder sachlich wurde. “Hab ich dir eigentlich schon gezeigt, wie du auch außerhalb eines Feenhofs ins Nimmernie kommst? Nein? Oh. Ist aber nicht weiter schwierig, zumindest nicht, wenn du in Richtung Sommer willst - geh einfach an einen Ort, der irgendwie nach Sommer aussieht, schließ die Augen, konzentriere dich auf den Sommer, geh los und lass deiner Macht freien Lauf. Das haben wir ja schon mal geübt.” Nach ein paar Tipps, wie man im herbstlichen Edinburgh einen Sommerbezug finden könnte - Treibhäuser, Blumenläden, Saunas - beendete Eileen das Gespräch mit den Worten: “Du wirst das schon schaffen. Denk daran, dass du Pans Ritter bist - was auch immer du tust, eine Fee kann dir das ansehen. Pan ist bei vielen Sidhe nicht sehr gut angesehen, aber das ist nicht immer nur ein Nachteil: Du kommst wahrscheinlich mit sehr viel mehr durch als andere.” Irgendwo im Hintergrund piepte ein technisches Gerät. “Meine Muffins! Ich muss los. Viel Glück, Cardo!”

Okay. Das war ja immerhin schon mal etwas. Zusammen mit Hawkins’ Hinweis auf die Sonnenblumen am Portobello Beach würde sich da ja wohl hoffentlich was machen lassen.

Als nächstes versuchte ich, Haley zu erreichen - wenn mir jemand etwas über Einherjaren sagen konnte, dann sie, hoffte ich. Aber dummerweise kam ich unter der Nummer, die wir letztens in Miami benutzt hatten, um mit ihr in Kontakt zu bleiben, nicht durch. Mierda. Naja, da konnte ich wohl nichts machen. Also tätigte ich einen Gute-Nacht-Anruf bei Jandra und vertrieb ich mir noch ein bisschen mit meinem Laptop und dem schottischen Fernsehen die Zeit, ehe ich schlafen ging. Und zwar mit dem festen Vorsatz, im Traum mit George zu reden - meinen kleinen Wyldfae-Kumpel würde ich drüben im Nevernever mit Sicherheit brauchen können.

Gerade, als ich mich hingelegt hatte, klingelte das Telefon. Aus dem Hörer kam zunächst ein schrilles Pfeifen, dann ein schwaches “Hallo? Hallo?”, viel elektronisches Gekrächze, schließlich “Halloooo?”, ganz laut und klar. Eine Frauenstimme. Haley.
“Geht das jetzt so?”, fragte sie genervt, wenn auch vermutlich - hoffentlich - nicht von mir. “Ich hab nicht viel Zeit, Sigbjörn kann nicht lange so stehen… was gibt es denn?”
Als ich sie nach den Einherjar fragte, lachte sie laut auf. “Schätzchen, dass sind die, die nicht zu mir kommen, weißt du? Die hocken in Walhalla und saufen und raufen - ‘bezwingen das bauchige Bierfass baldig’ und so weiter.”

Auf meine nächste Frage, die nach Heorot nämlich, reagierte sie mit einem unfreundlichen Schnauben. Kurz krächzte die Leitung wieder. “Mist”, sagte sie. “Das ist echt nicht so einfach hier… höher, Sigbjörn, höher! Okay, Heorot… Blödes Ding, früher - als es nur Walhalla gab - sind ab und zu Einherjar in Helheim aufgetaucht, weil ihnen das ständige Saufen, Kämpfen, Poppen auf die Nerven ging. Jetzt gehen sie nach Heorot, wo sie Stabreime aufsagen, Schach spielen und sich über Bücher unterhalten können. Gut, das könnten sie in Helheim auch, aber hier scheint halt nie die Sonne und das Dekor ist ein bisschen trist. Dafür haben wir demnächst Kabelfernsehen… vielleicht. Willst du dahin? Vermutlich nicht auf die gute alte Art und Weise, bei der du in der Schlacht stirbst, was?”

Jetzt war ich dran mit dem Schnauben. “Ich will nicht dahin, aber ich muss, fürchte ich. Ist eine Aufgabe im Zusammenhang mit der Sache von letztens noch. Und richtig, ich würde ganz gerne lebendig von dort zurückkommen. Ohne vorher gestorben zu sein, wenn es geht. Sagt dir ein Sigthor Oddson etwas? Den soll - muss - ich dort treffen.”

“Sigthor Oddson?” Hayley lachte. “Ja, der sagt mir was. Er hat meinen Vater im Kartenspiel besiegt, sagt er. Ich habe eine andere Geschichte gehört, was er da mit meinem Vater gemacht hat… sollte ich wohl nicht erzählen, so als getreue Tochter und so.” Man konnte ihr Grinsen förmlich durchs Telefon hören. “Aber ich kann dir versprechen: Bodenturnen war es nicht.” Die Leitung rauschte einen Moment ganz fürchterlich.
“Tut mir leid”, erklang ihre Stimme dann wieder, diesmal deutlich lauter. “Sigbjörn musste lachen. Dann mal viel Spaß in Heorot. Soll ganz lustig dort sein, und nicht sehr gefährlich, eigentlich. Die Einherjar da sind angeblich eher friedfertig, aber halt alles Veteranen. Mit denen legt sich vor Ragnarök so schnell keiner an. Eh, wenn du wissen willst, wie du dahin kommst: Folge den Stabreimen. Die sind ein untrügliches Zeichen für Einherjar. Sie nennen es auch ‘gebetteter Drachentraum’ oder ‘Klingenherd’, und die Straße nach Heorot heißt ‘Weg der Sonnendolde’. Keine Ahnung, was das heißt. Aber mach dir nichts draus, im Nimmernie laufen lauter Gestalten herum, die du fragen kannst. Lass dich nicht fressen, und wenn etwas kichert, dann trau ihm nicht.” Sie kicherte. “Wenn du willst, schicke ich dir eins meiner Geschwister vorbei, damit es dir hilft!”

Ich fing an, ihr etwas zu antworten, aber aus der Leitung kam nur ein Rauschen. Dann hörte ich doch wieder etwas.  “...klar. Sigbjörn… Reise… bald… meinem Vater.”
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

Offline Timberwere

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Mierda. Dann musste ich wohl darauf verzichten, herauszufinden, welches ihrer Geschwister Haley mir hätte zur Seite stellen wollen - auch wenn es vermutlich besser so war. Fenriswolf oder Midgardschlange, wenn mich mein Wissen über die nordische Mythologie nicht im Stich ließ; da war keines von beiden eine sonderlich angenehme Alternative, was mich betraf.

Na gut. Mehr würde ich wohl nicht herausfinden können, ehe ich mich nicht selbst auf die Reise begab. Ich musste nur noch entscheiden, wo. Der Wetterbericht sagte für den nächsten Tag zwar einigermaßen trockenes Wetter voraus, aber wie Herbst oder gar wie Sommer wirkte das hier so gar nicht. Deswegen würde ich auch nicht über diesen komischen Brighton Park gehen, den Hawkins erwähnt hatte. Dass da im November noch Sonnenblumen stehen sollten, das glaubte ich dem Ratsmagier nicht so recht, und vor allem, was würden mir halb verfrorene Sonnenblumen an einem ansonsten winterlich trüben Strand helfen?

Nein. Das Tropenhaus der Royal Botanic Gardens war von 10:00 bis 15:00 Uhr geöffnet, wie mir das Internet verriet, und da musste es sich ja wohl zwischen den ganzen Palmen irgendwo eine versteckte Ecke finden lassen, wo ich unauffällig ins Nevernever hinüberwechseln konnte.

Mit diesem Vorsatz ging ich jetzt endgültig schlafen und bat George, mich am nächsten Tag zu treffen, sobald ich das Nimmernie betrat. Bis mir allerdings die Augen zufielen, grübelte ich über etwas nach, das Haley gesagt hatte. Was zum Geier meinte sie mit “folge den Stabreimen”? Sicher, was Stabreime waren, wusste ich; die waren fester Bestandteil des Kurses “Lyrik im Wandel der Zeiten” gewesen. Und außerdem gefiel mir bei Tolkien der Schlachtruf der Rohirrim immer besonders gut. Aber wie konnte man Reimen folgen? Doch eher den Leuten, die sie aussprächen? Oder meinte Haley damit, die Reime wären irgendwo aufgeschrieben? Naja, wenn ich dem ersten begegnete, würde ich hoffentlich merken, was sie gemeint hatte.

Ich weiß nicht mehr viel von dem, was ich träumte - vermutlich tat George sich in Vorbereitung auf eventuelle Strapazen gütlich daran. Oder ich erinnerte mich am nächsten Morgen einfach nicht, das kann ja auch mal sein. So oder so jedenfalls frühstückte ich ausgiebig, ehe ich mich auf dem Weg in den botanischen Garten machte. Ein Taxi brachte mich in einer Viertelstunde an mein Ziel, und dann stand ich im Zentrum des alterwürdigen Palmenhauses vor der ältesten Palme Schottlands. Schon 1834, als sie hierher verpflanzt wurde, war die Sabal Bermudana ausgewachsen, informierte mich eine Tafel neben dem Baum, auf der auch ein Bild aus eben jener Zeit zu sehen war. Schon beeindruckend - und irgendwie genau richtig für das, was ich vorhatte.

Ich trat also hinter die Palme, als wolle ich sie von allen Seiten bewundern, und so aus der Sicht eventueller anderer Besucher. Dann holte ich Jade aus der lederverstärkten Corduratasche, die ich vor einer Weile extra für diesen Zweck angeschafft hatte, und gürtete die Klinge um, ehe ich mich auf das besann, was Eileen am Telefon zu mir gesagt hatte. ‘Schließ die Augen, konzentriere dich auf den Sommer, geh los und lass deiner Macht freien Lauf.’ Na gut. Wenn ich dabei mit irgendeinem Besucher zusammenstieß, würde ich sehr albern aussehen, aber ich war sehr früh dran und außer mir kaum jemand hier. Das würde schon gehen.

Wie Eileen es mir erklärt hatte, schloss ich die Augen und rief die Magie des Sommers in mir nach oben. Als ich die ersten Schritte machte, legte ich zusätzlich noch die Hand an Jades Griff, und das Heft schien sich unter meinen Händen zu erwärmen, je weiter ich ging. Oder kam mir das nur so vor? Nein, denn die Wärme der Sommermagie breitete sich auch in mir selbst aus, verwob sich mit dem feuchtwarmen Klima des Tropenhauses -- und dann wurde die Luft mit jedem Schritt weniger feucht, und dann veränderte sich mit einem Mal die Qualität des Lichts, das durch meine geschlossenen Augen drang, und auch die Geräusche wandelten sich. Und als ich die Augen wieder öffnete, war ich an einem anderen Ort.

Ich stand auf einer Sommerwiese - einer europäischen Sommerwiese, soweit ich das beurteilen konnte. Neben mir stand ein hellgraues Pferd, gesattelt, aber ohne Zügel. George natürlich, der die Umgebung aufmerksam beäugte und dann anfing, skeptisch an einem Grashalm zu knabbern.

Sehenswert war die Umgebung allemal: Die Wiese lag unter strahlend blauem Himmel auf einem Hochplateau. Einige Schritte vor mir lag die Kante einer steilen Klippe, und darunter rauschten die hohen Wellen eines graublauen Ozeans. Ich glaubte sogar, in der Ferne den grünen Hügel einer Insel zu erkennen. Zu meiner Rechten stand ein wilder Sommerwald voll knorriger Bäume mit ausladenden Ästen, darunter beerenbehangene Büsche und malerisches Moos. Oben, in den Wipfeln, bewegte sich etwas, und ab und zu meinte ich, rotpüschelige Schwänze sehen zu können. Eichhörnchen? Falls ja, mussten die relativ groß sein.
Hinter mir lag ein spektakulärer Sonnenuntergang,  zu hell, um viel zu erkennen. Die Wiese schien sich noch lang zu strecken und in ein welliges Hügelland überzugehen, soweit ich das in der hitzeflirrenden Luft erkennen konnte. Ein warmer Wind wehte aus dieser Richtung, und in der Entfernung konnte ich einige Reiter in rostroten Roben sehen, die gemächlich auf die Sonne zuritten.
Auf der linken Seite schließlich lag ein kurioser Karneval: Zahlreiche Zelte zierten eine ausgedehnte Aue, abenteuerliche Artisten arbeiteten andauernd an allerlei Albernheiten, und mutige Maiden machten munteren Müßiggang.

...wie bitte? War das jetzt mein eigenes Hirn, das mich ständig mit Stabreimen stichelte? Oder gab mir die laue Luft gar gefährliche Gaukelreime… Was. Zum. Geier?

Warte. Wie hatte Haley gesagt? ‘Folge den Stabreimen’. Zu der Steilküste hin hatte ich nicht in Alliterationen gedacht, auch nicht in Richtung des Waldes - oder zumindest nur ansatzweise. Aber zu dem vielgestaltigen Varieté mit seinen protzigen Pavillons und seinen bewegtbunten Buden zogen mich die zahlreichen Zeilen mit alliterierenden Anfängen hin wie ein Seeman sein Schiff an einem soliden Seil.

Okay. Das war ein zweifelloses Zeichen, schien es mir sicher. Also machte ich mich wagemutig auf den Weg.
¡Mierda! ¡Esto tenía que parar!
Ich biss die Zähne zusammen, und mit Mühe machte ich mich - Cólera noch eins! - auf den Weg zu dem jauchzenden Jahrmarkt, Georges graue Gestalt an meiner Seite.

Schon von fern dünstete der Duft liebreizender Lammkeulen und deftiger Delikatessen. Gebratene Gänse gackerten… Moment, was? Gackerten? Doch, tatsächlich, die kopflosen Tiere über den Flammen gackerten laut und deutlich. “Labe dich, Liebling!” Huch.

Unschlüssig schritt ich über den begrasten Boden, sah eine taumelnde Tänzerin, einen jungen Jongleur, einen bierseligen Bären und einen quakenden Cowboy. Nein. Der quakte nicht, und er war auch kein Cowboy. Tatsächlich war er hauptsächlich beschwipst und beduselt, ein braungekleideter Barbar mit einem beidhändigen Beil. “O Walhalla Wanderhalla, wanderte ich wahnbefreit...”, krächzte er unmelodisch. Als er mich sah, kam er schwerfällig auf mich zugeschwankt. “Freundlicher Freund, ein fröhlicher… Freudengruß! Respektabel reist du, und spektabel, und vielleicht gar spendabel? Ein einsamer Einherjar eilt eilig ein… bei, um dich zum Gastgeber zu gießen. Zu kiesen. Zum Kastgeber… ach, was soll’s. Gibst du mir einen aus, Freund?” Er lächelte breit und atmete mir seinen alkoholgeschwängerten Atem ins Gesicht.
Weiter hinten kam eine gewappnete und gerüstete Kriegerin kraftvoll geschritten. Ihr Blick schweifte umher, und der bärtige Barbar bemühte sich um ein verstohlenes Versteck hinter mir. “Schweig, mein freundlicher, mein friedlicher Freund! Das wunderbare Weib dort zürnt zauberhaft… nee, die wilde Walküre säuert sonderbar… ich brauch ein Bier! Schnell!”

Oh. Aber ich schwieg doch schon sowieso stille, was wollte der Wicht? Ein Bier, bekanntermaßen. Na dann sollte er sein Bier bekommen. Ich winkte der Wirtin und bestellte gegorenen Gerstensaft für meinen struppigen Sozius.

“Prosit, Pontonier!” wünschte ich ihm wohlwollend - und fragte mich dann, wie bei allen grünen Geistern ich jetzt auf dieses Wort gekommen war. “Lasst es Euch laben. Und dann sagt, warum bangt Ihr vor der Blonden dort?”

“Bangt?!? Einem Oddson bangt vor keiner Blage… Plage… ach, was soll’s.. Prost!” Hastig hob er den bierigen Becher und schüttete den schäumenden Inhalt schnell in seinen Schlund. In der Zwischenzeit hatte die Blonde ihn allerdings entdeckt.
“Halfðan Oddson!”, rief sie rau. “Hier bist du nun und säufst, während in Heorot die Helden harren?” Irritiert runzelte sie die strenge Stirn. “Diese Reime sind echt reiz… ich meine, nervtötend. Weiche, Wicht der windigen Worte, von dieser… äh… biergeschwängerten Bank baldig!” Mit einem Fuss trat sie gegen ein Tischbein, und ein winziger Wichtel verzog sich zeternd. Natürlich in Stabreimen.

In dem Moment konnte ich spüren, wie ein gewaltiges Gewicht… eine unsichtbare Bürde von mir abfiel. Es fühlte sich an, als würden sich ein paar Gehirnwindungen entknoten, dann konnte ich wieder denken, ohne ständig in Alliterationen zu verfallen. Tío, war das eine Erleichterung.

“Astrid”, murrte Halfðan. “Was willst du denn schon wieder? Ich trinke hier mit meinem Freund … äh … na, mit meinem Freund Dingsda! Wir haben wichtige Männerdinge zu besprechen!”
Astrid sah uns beide skeptisch an.
“Sei gegrüßt, Dingsda”, sagte sie mit ironischem Unterton zu mir. “Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen.”

Ich nickte der Kriegerin höflich zu. “Ricardo. Erster Ritter des Herzogs Pan. Aber ‘Dingsda’ tut es auch. Es freut mich, dich kennenzulernen, Astrid.” Interessiert betrachtete ich sie einen Moment lang - ob es das tatsächlich eine Walküre sein konnte? Eigentlich sah sie ganz normal aus - naja, so hochgewachsen und auf strenge Weise schön, wie sie war, konnte man das nicht wirklich als ‘normal’ bezeichnen, aber auf den ersten Blick jedenfalls nicht nichtmenschlich. Ehe ich sie zu lange anstarren konnte, wandte ich mich dann zu dem Krieger mit dem großen Durst. “Und Halfðan. Das freut mich ebenso.” Ich hob meinen eigenen Bierkrug und prostete ihm zu, nahm aber nur einen kleinen, vorsichtigen Schluck. Besser einen klaren Kopf bewahren. “Halfðan Oddson? Zufällig verwandt oder verschwägert mit Sigthor Oddson? Falls ja, hätte ich da eine Frage.”

Halfðan und Astrid wechselten einen Blick, den ich nicht recht deuten konnte. “Sigthor ist mein Bruder”, sagte der große Mann dann durch seinen Bierbart. “Ihr Vater.” Mit dem Daumen zeigte er auf die Walküre (wenn sie denn eine Walküre war), die die Augen verdrehte.
“Meiner, und der von ungefähr 300 anderen Leuten”, erklärte sie. “Sigthor lässt wenig anbrennen.”
“Noch weniger, seit Loki ihn verflucht hat, dass jeder, mit dem er schläft, ein Kind von ihm bekommt.” Halfðan lachte bei diesen Worten kräftig und spuckte etwas Bier durch die Gegend. Astrid schnaubte genervt.
“Mein Vater ist ziemlich speziell”, erklärte sie. “Und egal, wie viele Riesen ich erlege, wie viele Zwergenschätze ich erbeute und wie viele Maiden ich flachlege - das ist immer die allererste Geschichte, die jeder über mich erfährt.”
“Er hätte Loki die Sonnenhaare nicht abnehmen sollen”, sagte Halfðan mit einem Kopfschütteln.
“Hätte er nicht, nein”, stimmte Astrid zu. “Und dann diese Geschichte mit dem Kartenspiel… als wäre Papa in der Lage, irgendwen im Kartenspiel zu besiegen.”
“Ich hab immer gegen ihn verloren”, protestierte Halfðan empört.
“Du hast auch Bier im Gehirn.” Astrid drehte sich zu mir um. “Nun, Sir Dingsda… Ricardo, meinst du, du kannst meinen Onkel dazu überreden, mit mir nach Heorot zu reisen und seine Aufgabe zu erfüllen?”
“Meine Aufgabe?”, knurrte Halfðan. “Ich muss das Feuer hüten… das ist so langweilig, es ist ein magisches Feuer, es kann nicht ausgehen. Was soll ich denn da hüten?”
“Es ist auch nicht ausgegangen”, erwiderte Astrid spitz. “Im Gegenteil: Es ist gewachsen, kokelt alles an und wenn man ihm etwas sagt, gibt es Widerworte. Die anderen Einherjar finden, es ist deine Sache, es zu erziehen.”
“Ich… äh… also, Astrid, weißt du, ich würde ja gern, aber ich habe Sir Dings… Rikado versprochen, ihm bei seiner Queste zu helfen.” Verstohlen blinzelte Halfðan mir zu.
Astrid verschränkte die Arme und sah uns genervt an.
“Und hat das etwas mit Bier zu tun, Sir Ricardo?”

“Es hat nichts mit Bier zu tun, werte Astrid”, versicherte ich ihr. “Zumindest nicht, soweit es mich betrifft. Es hat allerdings zu tun mit diesen drei Haaren, die du erwähnt hast.”
Vielleicht war es unvernünftig, gleich so mit der Tür ins Haus zu fallen, aber wenn Hawkins List und Tücke gewollt hätte, hätte er einen White Court schicken sollen. Außerdem, wer sagte denn, dass dieser Ansatz nicht funktionieren würde?
Ich sah die beiden Nordländer fragend an. “Habe ich das jetzt richtig verstanden? Sigthor wurde verflucht, weil er die Sonnenhaare an sich gebracht hat? Und seit diese Sonnenhaare in Heorot sind, lässt sich das magische Feuer nicht mehr kontrollieren? Irre ich mich, oder klingt das nach einem Zusammenhang?” Astrid nickte mir ernsthaft zu. “Und genau deswegen brauchen wir Halfðan. Es ist seine angestammte und hochheilige Aufgabe, sich um das Feuer zu kümmern.”
Das magische Feuer. So langsam wunderte es mich nicht mehr, dass Hawkins einen Vertreter des Sommers geschickt hatte. “Was machen diese Haare eigentlich genau?” entgegnete ich. “Sonnenlicht?”
Die blonde Kriegerin nickte wieder. “Unter anderem. Und die Wärme dazu. Das kann ganz praktisch sein für kühle Sommernächte. Oder gegen die Eisriesen.”

Oh. Oho. Cólera. Ja klar. Wäre ja auch zu einfach, wenn sie keinerlei Motivation hätten, die Dinger hier zu behalten.
“Ich will gar nicht lange drum herum reden. Ich bin wegen dieser Haare hier. So wie ich das sehe, könnten wir alle was davon haben, wenn ich die an mich nehme. Das Feuer käme wieder unter Kontrolle, und vielleicht würde Sigthor sogar seinen Fluch los?” Ich zögerte, als mir ein sehr hässlicher Gedanke kam. “Wie funktioniert dieser Fluch eigentlich genau? Ich hätte herzlich wenig Lust, mir selbst einen einzufangen, sobald ich diese Haare an mich nähme.”

Astrid lachte auf. “Nee, den Fluch wird Sigthor nicht los - das hat was damit zu tun, wie er an die Haare gekommen ist. Ich weiß nicht, wie dein Verhätlnis zu Loki ist, aber dafür, dass er Leute so gern übers Ohr hat, hat er bemerkenswert wenig Sinn für Humor, wenn ihm selbst das passiert.”
Halfðan kicherte mit. “Hab doch schon gesagt, was der Fluch ist - jeder, der mit Sigthor schläft, kriegt ein Kind von ihm. War unglaublich lustig, als er mit Knud... Au!” Empört hielt sich Halfdan den Fuss, auf den ihm Astrid gerade getreten war.
“Wofür brauchst du die denn?”, fragt die blonde Frau hastig. “Ich weiß nicht, ob das Feuer wegen den Haaren ausser Kontrolle ist oder weil dieser Blödbommel da” - sie deutet auf Halfðan - “seine Pflichten vernachlässigt. Aber wäre vielleicht gut, wenn die weg wären. Wenn das Feuer sich wieder benimmt, hätten wir ja alle Wärme, die wir brauchen.”
“Pfff”, macht Halfdan. “Das Feuer geht mir auf die Nerven. ‘Mir ist langweilig’ hier, ‘Ich hab Hunger’ da, ‘Meine Asche muss raus’, ‘Kann ich auch mal andere Feuer treffen’ und so weiter.” Er zieht die Nase hoch. “Früher war das einfacher.”
“Jaja”, sagte Astrid und verdrehte die Augen. “Was hältest du davon, Sir Ricardo: Du kommst mit uns nach Heorot, hilfst deinem netten Freund da mit dem Feuer und dann reden wir über die Haare? Sie sehen ja schon recht hübsch aus da in der Halle…”

Ich nickte der Kriegerin zu. “So ungefähr habe ich mir das gedacht, ja. Wenn ich irgendwas tun kann, um mit dem Feuer zu helfen, tue ich das gerne.”
Astrid lächelte. “Schön. Dann komm mal mit.” Sie warf ihrem Onkel einen strengen Blick zu. “Und du auch, Halfðan Oddson. Denk nicht mal daran, hierzubleiben, während wir gen Heorot ziehen.”
Der Einherjar warf seiner Nichte einen missmutigen Blick zu, trank aber sein Bier in einem letzten langen, geräuschvollen Zug aus und erhob sich dann von seiner Bank. Ich stand ebenfalls auf und winkte George, der zu mir getrottet kam, als wir aufbrachen.

Unser Weg führte uns an dem Jahrmarkt vorbei weiter weg von den Klippen, tiefer ins Land hinein, bis schließlich in einiger Entfernung eine Struktur auftauchte, ein langgezogenes Wikingergebäude mit einem Dach wie ein Drachenboot. Heorot, die Sommerhalle.
Je näher wir kamen, desto langsamer wurde Halfðan. “Komm schon”, versuchte ich ihn aufzumuntern. “Das Feuer bekommen wir schon irgendwie gebändigt.”
Halfðan brummelte etwas herum, aber er folgte Astrid und mir in die große Halle.
« Letzte Änderung: 13.11.2016 | 21:13 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!