Nachdem die Kampfregeln
ihr Erfolgsgeheimnis preisgegeben haben, möchte ich die Analyse auf den Themenbereich der sozialen Regeln ausweiten. Standen uns die Kampfregeln als besonders erfolgreiches und positives Beispiel zur Verfügung, so tun das die sozialen Regeln als Negativbeispiel.
Warum schaffen es die Regeln für Soziales üblicherweise nicht, dem Spiel ihren Stempel aufzudrücken, so wie es die Kampfregeln vemögen? Der Wunsch dazu ist nämlich durchaus vorhanden, sowohl auf der Seite der Spieler als auch auf der Seite der Entwickler. Manches Rollenspiel suggeriert uns, dass man damit Intrigen und Königshof spielen kann, aber bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass es den Spielern überlassen bleibt, dies auszugestalten. Die Regeln selbst sind nicht tragfähig für intensives soziales Spiel.
Es gibt zwei Gründe. Der erste ist, dass die Grundprinzipien tragfähiger Regeln gar nicht erst angewandt werden. Der zweite Grund ist, dass Regeln für Soziales, wenn sie denn tragfähig gemacht werden, nach dem Prinzip der Kampfregeln gestaltet werden, und dieses zu eng ist für die Darstellung von Sozialem.
Zu 1) Grundprinzipien tragfähiger Regeln werden nicht berücksichtigt. Wie im verlinkten Artikel herausgearbeitet, brauchen mächtige Regelkonstrukte eine Abwicklung des Konflikts, dazu eine genau vorgegebene Modellierung des Ergebnisses, und als drittes ein Hinauszögern der Entscheidung über mehrere Probenrunden. Die üblichen sozialen Regeln, wie Überzeugen, Betören, Einschüchtern, Beeinflussen usw. erfüllen nicht alle drei Voraussetzungen. Die exakte Modellierung des Ergebnisses fehlt häufig. Was passiert eigentlich, wenn ich den redeunwilligen Gefangenen zur Kooperation überzeugt habe? Alles Sache des Spielleiters. Immerhin gibt es manchmal exakte Ergebnisse, sowas wie +2 auf den Angriff, wenn der Einschüchtern-Wurf gelingt. Dann fehlt jedoch die Ausdehnung des Konflikts auf mehrere Runden. So bleibt das Soziale ein Funke, kurz aufgeleuchtet und sofort wieder verloschen. Eine von den Regeln ausgehende Prozessdynamik entsteht so nicht.
Ein Gegenbeispiel habe ich selber parat, das ist Fate. So wie es körperliche Verwundung gibt, existiert eine analoge Skala für mentale Verwundung. Das macht die Regeln tragfähig! Erinnern wir uns an das Konzept der Lebenspunkte, die im Kampfsystem die Schadenskapazität darstellen. Gleich zwei Bedingungen werden damit erfüllt. Zum einen wird daran das Ergebnis der Proben konkret regelseitig dargestellt, zum anderen sorgt die Masse der Lebenspunkte dafür, dass die Kampfunfähigkeit in der Regel nicht in einer Probe erreicht wird, sondern der Konflikt sich über mehrere Runden erstreckt. Exakt dieses Prinzip überträgt Fate auf den Bereich des psychosozialen. Es gibt eine mentale Schadenskapazität, die erst über mehrere Runden erschöpft werden muss. Mit Entschlossenheit, Auftreten, Willenskraft und anderen sozialen Fertigkeiten kann man bei Fate einen geistigen Konflikt darstellen, der ähnlich "ausartet" wie ein physischer Kampf. Wir hatten das in meiner Gruppe und es funktionierte gut. Die beiden Kämpfer haben sich mit Drohungen und Schmähungen bekriegt, bis einer Gefahr lief, heulend zusammenzubrechen. Der Verlauf des Konflikts, das spannende hin und her, die Emotionen kamen sehr gut rüber. Eben so wie man es von Kampfregeln kennt. Beide Spieler waren keine Experten im Einschüchtern und Verschmähen, aber dank der Regeln haben sie dennoch einen spannenden Konflikt darstellen können.
Zu 2) Damit sind wir aber schon beim zweiten Problem. Das Mentalsystem von Fate ist dem Kampfsystem exakt nachempfunden. Es strebt darauf zu, den Gegner so lange zu beharken, bis er kampfunfähig ist. Erst dann ist die Auseinandersetzung gelöst, es gibt einen Sieger und einen Verlierer. Das gibt es
auch im Bereich des Sozialen. Aber es ist nur eine Teilmenge davon und die Frage ist erlaubt, ob es die
entscheidende Teilmenge der sozialen Interaktionen ist. Konflikte und Einflussnahmen sind so alltäglich wie sonstwas, aber in den meisten Fällen geht es nicht darum, den anderen psychisch bis zum Zusammenbruch fertig zu machen. Der andere soll stattdessen handlungsfähig und handlungswillig bleiben, nur soll sich die Richtung seines Handelns ein Stückweit nach meinen Vorstellungen richten.
Das Vernichtungsprinzip der Kampfregeln passt nicht zum Sozialen. Es modelliert einzig vernichtende Konflikte. Wen wundert es, dass die Beispiele in meiner Runde genau diese Natur haben. Zwei Barbaren, mit gezückten Äxten voreinander stehen, bekriegen sich mit Worten statt mit dem Stahl. Das sieht nach einer Innovation aus, tatsächlich aber wird damit das
eigentliche Spektrum des Sozialen nicht erreicht.
Eine vernichtende Analyse. Und nun? Wenn das Prinzip des Kampfes nicht das Heil der sozialen Regeln ist, wo liegt dann der heilige Gral verborgen? Womit müssen wir mentale Lebenspunkte ersetzen, um Intrigen, Machtkämpfe, Koalitionsbildungen und anderes spannende mehr darzustellen?