Die Frage ist jetzt, brauchen wir sowas in allen Rollenspielen?
Ich sage ganz klar: Nein, das brauchen wir nicht in jedem Rollenspiel. Monsterhearts ist, wie du schon sagst, gerade ein Spiel über Teenager, Sex und Macht. Wenn jemand mir vorschlägt, doch mal Monsterhearts zu spielen, dann weiß ich, dass es ziemlich sicher irgendwann um Sex gehen wird. Super, kein Problem, und ich weiß ja, worauf ich mich einlasse. Und vor allem: Mit wem. Ich würde Monsterhearts weder mit jemandem spielen wollen, der beim Wort „Sex“ peinlich berührt zusammenzuckt, noch mit jemandem, der es lustig findet, dass die Queen ihre Minions zum Gangrape vorbeischickt.
Sex ist nun mal, was in der Natur der Sache liegt, eine ziemlich intime Sache. Da redet nicht jeder gerne drüber, schon gar nicht vor einer Gruppe von Fremden. Den betreffenden Spieler in einem beliebigen Spiel zwingen zu wollen, das einzubringen, grenzt für mich schon an Belästigung.*
„Ja aber!“ heißt es dann wieder. „Dass deinem Krieger ein Bein abgeschlagen wird, da hast nichts dagegen, aber bei so ein bisschen Sex schon jammern…“
Na ja, da kommen mehrere Sachen zusammen. Erstmal ist meistens die reale Erfahrung mit Schwertkämpfern, die einen töten wollen, begrenzter als die mit Sex. Ich kann mir einfach besser vorstellen, wie sich ein Charakter fühlt, der in einer Bar angegraben wird, als einer, der auf einer schneebedeckten Ebene gegen Orks kämpft. Und wenn das dann in die unangenehme Richtung geht, können zu schnell Assoziationen an reale Situationen aufkommen. Keine Ahnung, wie es bei den Jungs ist, aber die meisten Mädchen machen irgendwann in ihrem Leben eine Situation mit, die bedrohlich und sexuell aufgeladen ist (sei es der grapschige Besoffene oder die drei Jungs in der Bahn, die nicht aufhören wollen, einen anzugraben). Das ist einfach näher an der Realität als die übliche Fantasykost.
Und seien wir mal ehrlich, die meisten Leute spielen nicht Rollenspiele, um sich hilflos und bedrängt zu fühlen. Da gibt es eine eigene Sparte Indiekram für, aber durchschnittlich ist das doch eher nicht das Ziel.
Ich unterstelle mal, dass die Spielerin der supersexy Priesterin gerade das gegenteilige Ziel hatte: Es ist eine Machtfantasie, die Frau zu spielen, die mit einem Fingerkrümmen jeden unter ihre Fuchtel bringt (während der männliche Mitspieler vielleicht nur das Sexobjekt sieht). So wie andere eben den muskulösen Schwertschwinger spielen, der sich nicht so leicht was sagen lässt. Die Priesterin gezielt zu erniedrigen ist so, als würde man den prahlerischen Barbarencharakter verstümmeln und zwingen, seinem Erzfeind zu dienen.
Nur dass sexuelle Gewalt ungleich näher an der Realität ist.
Ich greife mal gleich dem „aber das ist doch tolles Drama“-Argument vor: Ja, kann es sein. Nein, ist es nicht, wenn man kein Drama, sondern coole Säue spielen wollte. Wer eine coole Sau spielen will, der will mit Sicherheit keine Regeln im Spiel haben, die den Charakter entmachten oder gar erniedrigen.
Wenn der SL und das System mir vermitteln, dass ich eine coole Sau spiele und mir dann reinknallt, dass ich mich vom erstbesten Idioten abschleppen lasse (ob ich will oder nicht), dann ist das Etikettenschwindel.
Im unschönen Diary kam noch dazu, dass die Spielerin mit Sicherheit nicht damit gerechnet hat, dass ihrem Charakter so etwas passieren könnte. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gab es keine Stelle im Regelwerk, die besagt: „Nach zehn Punkten Verführungsschaden bespringt dich der zu Verführende, bis du ohnmächtig wirst.“ Woher sollte sie also wissen, dass ihrem Charakter das passieren kann? „Der Ork haut mit dem Schwert nach dir“ hat sehr viel klarere Auswirkungen.
Hätte das Regelwerk so eine Stelle gehabt, hätte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Verführungsversuch gestartet. Braucht man deshalb so eine Regel? Nein, bitte nicht.
Dann lieber diese Regel: Wenn du Sex, sexuelle Gewalt, Folter oder krasse Gewaltdarstellungen ins Spiel einbringen willst, musst du alle Mitspieler um Erlaubnis fragen.
*Ich habe ja schon mal geschrieben, das ich als Frisch-SL im zarten Alter von 15 oder so von zwei männlichen Mitspielern genötigt wurde, jetzt doch mal zu beschreiben, was für Nutten so in einem Bordell wären und was die so machen (weil die Charaktere natürlich in einer Stadt zuerst ins Bordell gehen müssen). Damit konnte ich in dem Alter überhaupt nicht umgehen und, ja, das war für mich auch völlig unerwartet. So hatte ich mit meinen Freunden nie gespielt! Natürlich fand ich das extrem unangenehm und wollte nicht mitmachen. Die beiden Jungs haben den Schutzmantel von „das ist ja alles nicht echt, deshalb ist es okay“ ausgenutzt, um sich an meinem Ekel (und ihrer Macht) aufzugeilen.