Autor Thema: "Unearthed" Johnny Cashs vorläufiges amtliches Vermächtnis  (Gelesen 1271 mal)

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Als ob der Popmarkt sich noch einmal nach einem seiner Größten umdreht und dem "Man In Black" die letzte Ehre mit einer Art Schweigeminute erweist: Nein, das vorläufige Vermächtnis des Johnny Cash ist gerade nicht auf Lager, in Deutschland jedenfalls nicht. Die Fünf-CD-Box "Unearthed", im Dezember in einer Auflage von unter 10.000 Exemplaren erschienen, war hierzulande nach ein paar Tagen ausverkauft. Die Plattenfirma Universal Records kam mit der Produktion nicht nach, die Fans müssen warten. Mitte Februar soll eine zweite Auflage in die Läden kommen. Knapp fünf Monate nach Johnny Cashs Tod im September 2003 ist damit einer der späten Ikonen der Popkultur ein postumer Meilenstein gesetzt worden, zusammengetragen aus dem reichen Fundus an bislang unveröffentlichten Kollaborationen zwischen Johnny Cash und Rick Rubin sowie den Liedern aus dem "Hymn Book", die Cash von seiner Mutter gelernt hat.

»Zukunftsweisende Begegnung«

Die Box ist schlicht in schwarzem Leinen gehalten, ihr Zentrum prägt ein Miniaturlogo von American Recordings, die amerikanische Flagge ohne Stars, aber mit reichlich Stripes. Wir blättern zehn Jahre zurück: 1993 begegneten sich zwei Männer, die so unterschiedliche Geschichten in sich trugen, dass nur wenige der Zusammenarbeit von Rick Rubin und Johnny Cash einen ernsthaften Gedanken schenkten. Rubin, gerade mal 30, ein langhaariger, fusselbärtiger Freak, der für die donnernden Rock- und Rap-Produktionen einer Dekade veranwortlich zeichnete, Cash, Exdesperado und alternder Country-Troubadour, mit nicht viel mehr als einem treuen Publikum und ein paar zu gut geschmierten Klassikern im Programm. Das war damals.

»Erweckungserlebnis für jüngere Hörer«

A Rubin begleitete Cash fortan auf dem Weg zurück zu sich selbst. Zu Gott und der Musik. Cash spielte Rubin einfach vor, was ihm gerade einfiel. Die vier Alben der American-Recordings-Reihe wurden zum Erweckungserlebnis vor allem für ein jüngeres Publikum, dass Country-Musik bis dato für eine zuckerbonbonfarbene Kirmesveranstaltung aus Nashville/Tennessee gehalten hatte. Und für eine Rock-Gemeinde, die beim Gedanken an Religion traditionell ein ungutes Gefühl im Magen entwickelte.

»Tief und verstört«

Cash ließ Country aber auch hinter sich. Er atmete die Melodien der Songs wie einer, der lange vergessen hatte, was er sagen sollte. Tief und verstört, gebrochen und stark. "Unearthed", schreibt die US-Rock-Reporterin Sylvie Simmons im Booklet zur CD-Box und beruft sich dabei auf Interviews mit Cash und Rubin, war schon länger genau in dieser Zusammenstellung von den beiden Akteuren geplant gewesen - Einen Tag vor Cashs Tod habe Rubin ihn angerufen und gesagt, ein Probeexemplar sei fertig.

»CD 5 ist ein Best-of«

Es handelt sich bei "Unearthed" auf drei CDs um die Fortführung der American-Reihe mit bislang unerveröffentlichten Aufnahmen (u.a. mit Gastauftritten von Joe Strummer, Nick Cave, Tom Petty, Carl Perkins), und eine Sammlung von Gospels und Traditionals ("My Mothers Hymnbook"), die Cash zeitlebens schon aufnehmen wollte. CD 5 enthält ein Best-Of der Zusammenarbeit Cash/Rubin.

»Cash wurde ein anderer Mensch«

Neue Geschichten erzählt das Booklet. Von Nick Cave wird berichtet, wie schockiert er war, als er den kranken Johnny Cash im Studio antraf. "Und dann fing Johnny an zu spielen", erinnert sich Cave, "und wurde ein anderer Mensch. Es war ein außergewöhnliches Erlebnis. Cash wurde lebendig." Das Traditional "Cindy", das Cash und Cave im Duett singen, gehört zu den Höhepunkten dieser Dokumentation, genau wie Cashs Version des Jim-Webb-Klassikers "Wichita Lineman", die bislang nur auf der Vinyl-Version von "The Man Comes Around" vertreten war, oder die von einem Orchester flankierte Live-Aufnahme von "Bird On The Wire" (im Original von Leonard Cohen).

Es sind wieder viele Coverversionen dabei, im ersten Moment überraschende wie Bob Marleys "Redemption Song", aber auch näherliegende wie Neil Youngs "Heart Of Gold", Kompositionen von Merle Haggard, Dolly Parton und Jimmie Rodgers. In der Interpretation von Cash treten sie alle in einen neuen Raum. Und dieser Raum strahlt Ruhe und Geborgenheit aus.

»Lieder über Leben, Tod und die Seele«

Die Beiträge des "Hymnbooks" kommen und gehen noch einmal näher. John R. Cash im Zoom. Es sind Lieder über das Leben, den Tod und das, was wir Seele nennen. Die Bilder wollen eine Sprache sprechen: Cash hat den Platz gefunden, "Where The Soul Of A Man Never Dies". Er ist angekommen in "A Land Where We Never Grow Old". Er singt sein Glory Hallelujah, "I Shall Not Be Moved". Nur Cash und seine Gitarre. Dass diese 79 Songs auf den vier CDs nicht alles sind, was Cash und Rubin noch auf Band gebracht haben, wird die weltweite Fan-Gemeinde freuen. "Wir hatten bereits die Arbeiten für ein weiteres Studio-Album begonnen", sagt Rubin. "Die Aufnahmen dazu entstanden in den letzten paar Monaten. Das wird sein letztes Studio-Album sein ich kann und will das gar nicht glauben."

»Wie eine Heizdecke übers Gemüt«

Was ist das, was Johnny Cash zuletzt zum Jahrhundertsänger machte? Ein tiefer Glaube an die Kraft der Musik, die Liebe zum Song, die Stimme, die sich wie eine Heizdecke übers Gemüt legt und für all die armen Seelen betet, die noch nicht von ihren Schmerzen und Sünden erlöst sind. Johnny Cash hat Rubin und uns mit seinen Aufnahmen für die letzen zehn Jahre gedankt. Für eine Art Wiedergeburt im Angesicht des Todes. Man wird diese Songs immer wieder spielen.