Aaalso. Die ganze Railroad-Diskussion wird oft von einem viel zu verengten Blickwinkel geführt. Warum? Aus irgend einem Grund gehen die meisten Rollenspieler davon aus, dass a) der SL allein für den Spannungsbogen verantwortlich ist und b) die Spieler immer die volle Autonomie über ihre Charaktere haben müssen.
Ich habe mal einen One Shot mit den Worten begonnen: "Was für ein beschissener Tag für eine Raumpatrouille. Der Regen durchnässt eure Kleidung bis auf die Haut, und langsam pirscht ihr euch durch den Morast an die paar verlassen aussehenden Wellblechhütten heran." Sofort fielen mir die Spieler ins Wort: "Moment mal, was machen wir denn überhaupt da? Wie sind wir da hin gekommen? Warum sind wir nicht erstmal drüberweg geflogen? Was haben die Sensoren gesagt?" Hätten die Spieler nicht einfach den Ball aufnehmen können, den ich ihnen zugespielt habe, und mit der Situation gehen? Es hätte sich schon früh genug alles aufgeklärt.
Wenn du Dramatik willst, dann sprich die Spieler direkt an und nimm sie mit ins Boot! Wenn sie ihre Charaktere auf Abwege schicken, dann sag ihnen: "Okay, du machst das, aber lass uns das bitte nicht lange ausspielen, wir haben nicht mehr so viel Zeit und ich möchte jetzt gerne mit dem Hauptplot weitermachen." Oder sag ihnen: "Bitte trennt euch jetzt nicht, es wird gleich was wichtiges passieren, und ich möchte, dass alle Charaktere zusammen sind." Natürlich solltest du auf diese Weise nicht Schritt für Schritt eine genau im Voraus geplante Handlung durchexerzieren, das macht keinem Spieler Spaß. Ein bisschen Improvisation und Eingehen auf die Ideen der Spieler ist immer wichtig. Aber gerade zum Ende hin kannst du deinen vorher geplanten Showdown inklusive Crescendo - vielleicht ein bisschen modifiziert - durchaus so einleiten.
Eine tolle Möglichkeit, ein gutes Pacing / Tempo hinzubekommen, sind Schnitte und Sequenzen. Bei einem Schnitt blendest du irgend eine unfertige Szene einfach aus und beschreibst den Anfang der nächsten (wichtige) Szene, wobei sich aus dieser Szene erschließen sollte, was ungefähr dazwischen passiert ist. Bei einer Sequenz beschreibst du eine Überleitungsszene, ohne dass die Spieler eine Möglichkeit haben, einzugreifen.
Beispiel für einen Schnitt:
Die Spieler haben in der Stadt recherchiert und wissen jetzt, dass sie zu einer entlegenen Festung hoch in den Bergen reisen müssen.
Spieler: "Okay, wird brauchen Proviant und Ausrüstung..."
Du: "Schnitt. Ihr pustet kräftig durch, als ihr endlich den Fuß auf den Kamm des Bergrückens setzt. Ein weiteres nebelverhangenes Tal öffnet sich vor euch, und auf der anderen Seite, an der Spitze eines steilen, gezackten Grats, könnt ihr sie endlich ausmachen: die geheime Festung der T'maar."
Beispiel für eine Sequenz:
Du: "Ihr stürmt auf das Dach und seht vor euch den bösen Magier, der sich oben auf dem Dachfirst gerade auf den Rücken eines gewaltigen Ungetüms schwingt, das wie eine überdimensionale Fledermaus mit langen, gekrümmten Hörnern aussieht."
Spieler: "Ich..."
Du: "Nein, lass mich bitte weiter beschreiben. Bevor ihr reagieren könnt, flammt ein gleißend helles Licht auf, dass euch für einen Moment blendet. Das gehässige Lachen des Schurken bohrt sich in euer Trommelfell, und seine Worte: 'Ihr werdet mich niemals erwischen!' Als ihr die Sterne vor euren Augen weggeblinzelt habt, ist von ihm und seinem Reittier nichts mehr zu sehen, nur noch das Flappen ledriger Schwingen hallt zwischen den Häusern wider."
(8t88 hat mich auf die schöne Idee gebracht, Sequenzen vorher anzukündigen und die feste Regel einzuführen, dass in einer Sequenz niemand dazwischen reden darf.)
Im Unisystem Lite gibt es die Regel, dass, wenn man SCs auf diese Weise in Schwierigkeiten bringt, ohne dass die Spieler etwas dafür können, zum Ausgleich die SCs einen oder mehrere Drama-Punkte erhalten. So kann man es schmackhafter machen. Aber Spieler sollten eigentlich auch von allein erkennen, dass sie selbst am meisten davon haben, wenn sie ein temporeiches und konfliktreiches Abenteuer bekommen, das mit einer furiosen Action-Szene endet.
Mein Tipp: versuche nicht, die Spieler zu täuschen oder zu gängeln. Damit bringst du sie nur gegen dich auf. Hol sie dir statt dessen auf deine Seite. Zeige ihnen, dass du ihre Mithilfe brauchst, um eine dramatische Geschichte zu erschaffen. Wenn sie sich erstmal auf diese Spielweise eingestellt haben, werden sie wahrscheinlich von ganz allein mithelfen, da sie feststellen werden, dass die Abenteuer so viel mehr Spaß machen, als wenn sie statt dessen stundenlang Pläne schmieden oder falschen Fährten nachgehen.
Natürlich gibt es Spieler, vor allem solche, die schon laaange spielen, die ums Verrecken nicht bereit sind, die Autonomie über die Handlungen ihrer Charaktere aufzugeben. Ich warte schon auf den Aufschrei von Bitpicker und Boba Fett. Na ja, man kann es eben nicht allen recht machen.
Edit: Smiley eingefügt. @ Robin & Boba: Ihr hättet mich auch so schon richtig verstanden, oder?