Wohin bist du gegangen, als du aus der Welt fielst?
Wo warst Du, als SIE dich fanden?Lupa erinnert sich genau an den
Tag, an dem das Mädchen in die Hecke ging.
Die Sonne warf scharfe Schatten und ließ den Asphalt der großen, grauen Stadt vor Hitze flirren. Zwei Mädchen waren aufgebrochen, ein Abenteuer zu erleben. Hinaus in die Ferne wollten sie ziehen, denn Abenteuer, wie jedes Kind weiß, warteten weder an der nächsten Bushaltestelle noch im Supermarkt. Und am allerwenigsten warteten die Abenteuer zuhause, wo sich eine stille, blasse Mutter mit zorniger Hand und verbitterten Mundwinkeln nach Ruhe sehnte. Nein - die wahren Abenteuer waren dort zu finden, wo die erdrückende Stadt überging in ungeordnete, freie, unberechenbare Wildnis. Viele Straßen querten die Mädchen, dann eine Brücke und schließlich, kühlen Uferschlamm an den Schuhsohlen, ein Loch in einem rostigen Zaun. Hier war sie also: die eingesperrte und dennoch tapfere, ungezähmte Natur! Durch das dichte Blätterwerk leuchtete verlockend rost-bunter Lack. Vorsichtig wagten sich die Mädchen weiter in den Park.
Lupa erinnert sich an das Kitzeln der blühenden Gräser in den Kniekehlen des Mädchens und das Zirpen der Grillen. Und an den warmen Blick der Freundin - tiefbraune Augen unter dichten Wimpern. Freundschaft auf immer und ewig - besiegelt durch einen festen Knoten im bunten Band. Zwei Mädchenhände, die Finger ineinander verschlungen. Unter wattige Schäfchenwolken gebettet, lagen die zwei Kinder im Gras und dösten.
Und dann war da plötzlich der Duft. Süß wie die reifen Äpfel aus dem Garten der Großmutter, die lange schon von oben herabschaute, beissend wie der Rauch des Lagerfeuers im Zeltlager letzten Sommer, exotisch wie die Gewürze auf dem herrlich trubeligen Wochenmarkt. Die Finger des Mädchens lösten sich aus festem Griff, eine müder Grashalm entfiel dem leicht geöffneten Mund der Freundin. Nur kurz ab vom Weg hinter dem Holunderbusch, hinter der Eberesche, gleich neben der dicken Eiche... schnuppernd folgte das Mädchen dem wundersamen Geruch. Bald gesellte sich Musik zu dem Duft. Sehnsüchtige Melodien, gespielt auf singenden Instrumenten. Hinter dem Grüppchen Birken, durch die Brombeersträucher... das Mädchen bahnte sich seinen Weg durch die ungezähmte, freie Natur. Schließlich fand das Mädchen das Fest. Eine rauschende Feierlichkeit, besucht von wilden Kreaturen. Und sie hießen das Mädchen willkommen und feierten bis spät in die Nacht.
Doch als der Mond am Himmel aufging, war das Mädchen plötzlich allein. Verängstigt wollte es sich zurück durch die Brombeersträucher drücken. Das war der Moment, in dem die Dornen zum ersten Mal zustachen.
Was ist es, was du unvollendet lassen musstest?Beste Freundinnen stehen füreinander ein. Gehen zusammen durch dick und dünn. Und wenn die beste Freundin vor jemandem Angst hat, dann stellen sich beide Mädchen gemeinsam dem Feind. Doch weil das Mädchen dem Duft in die Hecke folgte, hat sie der besten Freundin nicht mehr gegen den ekligen Kerl beistehen können. Ob sie das jetzt noch tun kann?
Was schaut dich aus der Tiefe deines Glases an?Am Grund würziger Fruchtweine begegnet Lupa manchmal der Mutter des Mädchens. "Bitter und blass war sie und scheußlich kalt", denkt Lupa dann, "Geliebt hat sie mich nie. Gut, dass sie weg ist." Aber eine leise, weinschwere Stimme in Lupas Ohr flüstert ihr Geschichten zu. Geschichten von den liebkosenden Händen der Mutter in den Haaren des Mädchens, von feinen Lachfältchen um die Augen, und einer friedlichen Stimme, die von Liebe spricht. Lupa mag Fruchtwein nicht besonders.
Aber da ist ein Etwas, wenn man es in der Hand hält, findet man für einen Moment Wärme.
Was ist es für dich?Es ist ein abgewetztes, geknüpftes Freundschaftsband. Die Freundin hat es dem Mädchen geschenkt.
Wer musste euch gehen lassen?Die Mutter, die ihre Zuneigung nicht immer so hat ausdrücken können, wie sie das gern gewollt hätte.
Was waren eure Ziele und was hat euch dazu angetrieben?Die Großmutter des Mädchens, die schon lange nur noch von oben auf das Enkelkind herabblicken konnte, hatte ein Häuschen inmitten eines kleinen, grünen Gärtchens. Das Mädchen mochte die Großmutter und den Garten. Und wenn es einmal groß wäre, wollte es auch so ein Haus mit grünem Gärtchen und lachenden Enkelkindern.
Warum wurdet ihr auserwählt?Niemand hat das Mädchen auserwählt. Das Mädchen war ein ganz egales Kind, viel zu egal für die Feen. Aber das Mädchen hat ganz von allein den Weg hinein gefunden und Lupa hat schließlich auch aus eigener Kraft den Weg hinaus gefunden. Denn Lupa ist längst nicht mehr egal!
Was ist es, was ihr nicht tun wollt, was würde euch zu Monstern machen?Die Freiheit und der freie Wille sind kostbare Güter. Niemals, um nichts in der Welt, würde Lupa jemanden zu etwas zwingen. Zwang ist Gift.
Welches Lied/Musikstück passte zu dir, bevor du fortgenommen wurdest und welches begleitet dich nach deiner Rückkehr?Vor dem Verschwinden hat das Mädchen manche Dinge nicht verstanden und oft Angst gehabt.
LaFee - Mama (hier auch
Instrumental) und
Picnic at Hanging Rock (Ascent Music)Nach der Rückkehr hat Lupa vor nichts und niemandem mehr Angst.
Io non ho paura! (Ich habe keine Angst!)Eure Körper sind nicht mehr wie zuvor, jemand anderes hat sie verändert.
Die Frage ist: Wie geht ihr damit um?Hat der Körper sich verändert? Ja.... wenn Lupa ganz scharf nachdenkt, hat sie so ein Gefühl, als wären ihre Ohren nicht immer so lang gewesen, ihre Nase nicht immer so gut... ein Gefühl, als würde ihr die Haut jucken, weil sie ihr nicht mehr so gut passt, wie früher. Aber Lupa kann sich kaum daran erinnern, wie es einmal war. Ihr Körper ist, wie er ist und Lupa mag ihn so.
Welcher Sinn ist für Dich der wichtigste? Welchem vertraust du am meisten und welcher führt dich leicht in die Irre?Lupa verlässt sich im Zweifelsfall auf ihren Geruchssinn. Die Augen mögen sich leicht täuschen lassen - aber der Geruch verrät die Wahrheit!
Welche Träume begleiten dich häufiger und wohin führen sie dich?Aus und vorbei ist es. Aber dennoch träumt Lupa manchmal von
Jaschka, den sie in der Hecke traf. Jaschka mit seinen herrlich hellen Augen, den spitzen Ohren, geschwungenen Hörnern und dem spöttischen Lächeln. Jaschka, der Lupa zum ersten Mal von den verbotenen blauen Beeren naschen ließ. Mit dem zusammen Lupa die Hecke durchstreifte auf der Suche nach Früchten, die sie bei den mürrischen Händlern auf dem Markt gegen allerlei nützliche Dinge eintauschen konnten. Kelim hatte Jaschka nicht gemocht, hatte Lupa vor ihm gewarnt. Lupa hatte ihm erst geglaubt, als Jaschka mit dem Herz, das er ihr gestohlen hatte, bereits im tiefen Dickicht der Hecke verschwunden war. Die Augen hat sie sich ausgeweint. Aber mittlerweile ist es lange her und Lupa hat ihr Herz längst wiedergefunden. Trotzdem träumt sie manchmal noch von herrlich hellen Augen.
Welche Ketten hast du für dich ausgewählt?
Vor welchem Monster in deinem Selbst fürchtest du dich?Frei und selbstständig sein - das ist Lupa enorm wichtig. Die Flucht des Mädchens aus der Eisenwelt war eine Flucht aus der Abhängigkeit. Es war aber auch eine Flucht vor Verantwortung, die das Mädchen hätte tragen müssen. Lupa weiß das - und es quält sie. Allzu verlockend ist die Versuchung, der Qual mit Hilfe der kleinen, blauen Beeren aus dem Weg zu gehen. Aber Lupa hat jene gesehen, die zu viel und zu oft von der Frucht genascht hatten. Sie weiß, dass dies nur der Weg in eine neue Abhängigkeit ist. Sie hat Angst davor, ihre mühsam gewonnene Freiheit und den Respekt vor sich selbst zu verlieren. Deswegen achtet sie genau darauf, es mit den Beeren nicht zu übertreiben, auch wenn ihr das manchmal schwer fällt. Auf der Grenze, hinter der Vergessen, Ekstase, Selbstverlust und Lethargie liegen, möchte Lupa tanzen - sie jedoch auf keinen Fall übertreten.
Was habt ihr getan, worauf ihr stolz seid?Lupa besitzt ein kleines Gewächshaus in der Hecke. Die Materialien dafür hat sie sich selbst ertauscht, gekauft und, wo nötig, zusammengeklaut. Die Samen stammen von Früchten, die sie selbst gesammelt hat. Und die Pflanzen gedeihen prächtig, denn Lupa kümmert sich vorbildlich darum. Sie ist sehr stolz auf ihr Häuschen und darauf, dass sie allein die Verantwortung dafür tragen kann.
Was erwartet ihr von euren Gefährten? Wie sollen sie sich im Kampf gegen das Verlorensein an eurer Seite verhalten?Sie sollen ehrlich sein und sagen, wenn ihnen etwas auf dem Herzen liegt. Und Lupa muss sich auf sie verlassen können. Schön ist es auch, wenn die Gefährten merken, wenn Lupa Nähe will und respektieren, wenn sie ihre Ruhe haben möchte. Und sie sollten nicht so oft so schlechte Laune haben.
Wie denkt ihr an SIE zurück? Sind sie eure gnadenvollen aber unverständliche Götter oder unmenschliche Monster, deren Ziel es ist, möglichst viel Leid zu verbreiten?In der Hecke hat Lupa gemischte Ansichten über Feen gehört. Einige sind ihnen verfallen mit Haut und Haar, ja, stehen vielleicht sogar noch in ihren Diensten. Andere sprechen von ihnen als grausame Unwesen und erzählen grässliche Geschichten und von Gefangenschaft, Blut und Tränen. Lupa meidet daher die Feen. Die Begegnungen mit ihnen blieben jedoch selten. Einige Male hat Lupa Feen auf dem Goblinmarkt gesehen, wo sie weinende Kinder an zwielichtige Gestalten verhökerten. Und einmal wäre sie fast von einer vorrüberrauschenden Kutsche überrollt worden und hatte sich nur mit einem beherzten Sprung in ein Krötennest retten können. Der Schleim hatte noch Wochen in ihren Ohren geklebt.
Was habt ihr bei eurer Flucht bei euch getragen?Lupa besitzt ein Döschen, in dem sich kleine, getrocknete, blaue Beeren befinden. Sie sind schwer zu finden und noch schwerer zu pflücken und wenn man sie isst, öffnet sich vor den Augen ein Splitter der Schönheit Arkadiens. Die mit kunstvollen Rankenmotiven verzierte Dose hat Jaschka ihr geschenkt, der sie selbst geschnitzt hat.
Wenn ihr einem Fremden begegnet, der euch anspricht, wie reagiert ihr? Was denkt ihr?Lupa spricht mit allen Fremden erst einmal höflich. Sie lernt gerne andere kennen. Leider hat sie lernen müssen, dass nicht alle Fremden ihr etwas Gutes wollen. Deswegen ist sie nicht nur höflich, sondern auch vorsichtig.
Welche ist eure Lieblingsgeschichte? Welcher Karte folgt ihr?Das Mädchen mochte, schon bevor es Lupa hieß, das Märchen von den Sieben Raben. Es träumte davon, eigene Brüder zu haben, die es retten konnte. Stärke beweisen und aus freien Stücken handeln, ja, das klang gut! Letztendlich aber hat Lupa niemanden außer sich selbst gerettet. Die beste Freundin hat sie sogar im Stich gelassen...
Wann fühlt ihr euch wohl? Wann spiegelt die Natur am besten euer Wesen wieder?Dieser eine, sonnige Tag im Frühling, der bereits den nahenden Sommer erahnen lässt. An dem die weit geöffneten Blüten die ersten Blütenblätter verlieren und sich darunter die Ansätze von Früchten beginnen zu bilden. Dieser Tag, an dem der kühle Wind die leichtere Frühjahrskleidung sanft flattern lässt. An dem die Sicht klar ist und langezogene Wolkenfetzen den blassblauen Himmel durchziehen. Nicht mehr ganz Frühling, noch nicht ganz Sommer - so fühlt Lupa sich am wohlsten.
Wie müsste euer Zuhause aussehen, jetzt wo ihr zurückgekehrt seid?Lupa braucht Platz für ihre Pflanzen. Alles andere ist zweitrangig. Sie selbst kann sehr genügsam leben, wenn es sein muss.
... Was würdet ihr jemanden raten, der gerade das erste Mal aus der Hecke in die Eisenwelt zurückkehrt?Mach dir nichts vor - du wirst sie vermissen, die andere Seite. Wir sind nicht für eine einzige Welt alleine geschaffen. Akzeptiere das und richte dich irgendwo dazwischen ein.
Wer ist dieser eine Freund und wie habt ihr ihn getroffen?Das Mädchen war schon eine unendlich lange Zeit durch die Hecke geirrt. Seine Kleidung war von Dornen zerrissen oder von Heinzeln gestohlen worden. Und dann begann es zu regnen. Seit das Mädchen aus seinem Versteck unter einer Baumwurzel von einem bitterbösen Eidechserich vertrieben worden war, hatte es kein Dach mehr über dem Kopf. Tropfnass und frierend saß es am Wegesrand und wusste nicht mehr weiter. Hätte
Kelim es nicht gefunden, das Mädchen wäre wohl nicht mehr aufgestanden. Der gutmütige alte Wechselbalg hatte das Kind bei sich aufgenommen, es mit dicker Graupen-Suppe gefüttert und ihm eine warme Decke über die Schultern gelegt. Später hatte das Mädchen, das seinen Namen vergessen hatte und das Kelim Lupa genannt hatte, sich in der Höhle des Alten häuslich eingerichtet. Er zeigte ihr alles, was er über das Leben in der Hecke wusste und Lupa machte sich nützlich, wo sie konnte. Auch nachdem sie ihre eigene Wohnstätte hatte, kehrte Lupa immer gerne zu dem freundlichen Alten Mann zurück. Bis zu jener Stunde, als der Mond tief über den Heckenranken hing, und Lupa beobachten musste, wie Kelim, der liebe Kelim, ein gefesseltes Kind einem warzigen Goblin übergab und im Tausch dafür etwas bekam...