Die sehr umfangreiche Weltbeschreibung bietet einige gute Ideen, die sich gerade eben von unserer Erde abheben, aber einige dieser Ideen sind für mich wiederum zu sehr Standardfantasy.
Ja, und ich finde, dass es dahingehend in der neuen Edition tatsächlich schlimmer geworden ist. Eine Sache die mir bei der Lektüre der Zusatzbücher, die jetzt rausgekommen sind, aufgefallen ist und die diesen Eindruck hervorrufen könnte (mehr High-Fantasy):
Das neue "7te See" ist viel stärker magie-zentriert als das alte.Ich will nicht sagen Magier und Fechtschüler waren in der ersten Edition gleichberechtigt was das Powerlevel anging (einige Magier konnten schon wirklich viel, viel, viel Zeugs (Glamour) und Fechtschulen waren im direkten Konflikt zumindest immer sehr effektiv (Soldano, anyone)... aber es herrschte eine gewisse mechanische Gleichheit. Vier Kniffe bei den Schulen, vier Kniffe bei den Magiern. Dazu dann Techniken, die nur ein Schwertmeister beherrscht und Techniken, die nur ein Meister der Magieschulen beherrscht. Alles war einheitlich und in dieser Einheitlichkeit auch irgendwo fair verteilt. Vielleicht nicht perfekt gebalanced (höchstwahrscheinlich sogar nicht), aber eben kein Fokus auf das Eine oder das Andere durch die Mechanik.
In der neuen Edition dreht sich hingehen so gefühlt quasi alles um Magie. Nicht nur hat sich die Zugangsvoraussetzung verändert (nicht mehr auf den Adel beschränkt): Die Zahl an Magieschulen ist stark angestiegen und viele Schulen (außer den stilvollsten: Porte und Sorte) kommen gleich mit einem Riesenhaufen Boni und Effekten daher, aus denen ich wählen kann: "Du bist Kap Seví-Magier... hier 5 Lwas mit je 5-6 Effekten. Lies dir die folgenden 6 Seiten Magiebeschreibung durch." Jemand der wirklich Mantel-und-Degen spielen will (also mit Degen und so!), bekommt beim neuen "7te See" einfach nur eine Schwertkampfschule um die Ohren gehauen, die auf eine halbe Seite passt. Dazu dann ein Einzelvorteil, der meistens darauf hinausläuft, dass man in irgendeiner Situation zusätzliche Wunden anrichtet. (Man sieht wirklich, wie die Wannabe-Indie-Mechanik hier an ihre Grenzen stößt, weil man merkt, dass die Regelautoren mechanisch was Ausgefallenes machen wollen, ihr eigenes System ihnen aber starke Beschränkungen auferlegt. Auch prophezeie ich, dass bei den ganzen neuen Vorteilen und Quirks und so, die allein im "Pirate Nations" dazu kamen, man am Ende doch wieder 30 DinA4-Seiten Charaktererschaffung hat und das 0 gebalanced sein wird.)
Daher kommt für mich das Gefühl der Standard-Fantasy. Der Magier strotzt nur so an Möglichkeiten, der Krieger bleibt auf der Strecke. Was mir am alten 7te See so gefiel war auch die Kopplung von Magie an eine soziale Rolle (Adliger).
Vor allem stört mich die Verbreitung typischer pantheistischer Fantasyreligionen. Das ist schade, denn mit Vaccinischer (?) Kirche (Mainstream) und Inquisition (Radikale), Objektivisten (Rebellen) und Säkularen (Gegnern) hat man bereits eine interessante Ausgangslage für Konflikte. Dazu gibt noch eine Avalonische und eine Ussurische Variante des Glaubens, wofür dann nordische Götter, Naturgeister und Elfenglaube gebraucht werden, erschließt sich mir nicht.
Sehr guter Punkt. Erschließt sich mir auch nicht. Und mit dem ersten "richtigen" Sourcebook(die NPC-Sammlung "Heroes & Villains" zähle ich erstmal nicht), dem "Pirate Nations" wird es dahingehend schlimmer. Ich bin fast durch das Buch durch... und hatte an einigen Beschreibungen und Settingelementen durchaus viel Spaß. Aber: Das Buch zementiert "7te See" vollkommen als ein animistisches Spiel, bei dem der vaticinische Glaube ein totaler Exot ist. Denn in der Realität, wie sie sich darstellt, prägen Naturgeister die spirituelle Sphäre mehr als es ein monotheistisches Weltverständnis tut.
Gleich drei Völker haben irgendeine Form vom Glauben an Naturgeister, die auch funktioniert: Die karibische indigene Bevölkerung kommuniziert mit ihren Toten (die auch wirklich in physischer Form bei ihnen vorbeischauen), die schwarzen Sklaven aus Ifri beschwören in bester Voodoo-Manier die Lwa - bis hierhin ist das sogar noch cool, zumindest die Lwa-Variante mag ich ganz gern - und dann die Numanari (aus Numa, was in dieser 7te See-Variante 100% Griechenland ist). Unsere Pseudo-Griechen berufen sich nämlich noch effektiv auf das antike Götterpantheon. Gut, sie haben jetzt keine Kirchen oder Tempel für die und beten sie auch nicht an, aber sie spielen als gesellschaftliche Größen immer noch die erste Geige, vor Theus und den Vaticiniern und so. Hier hätte man die Möglichkeit gehabt, eine coole griechische Orthodoxie zu entwickeln oder auf den Einfluss des Halbmondes aufmerksam zu machen... nein, stattdessen gibt es Spartaner, die in ihrer Kampfschule noch mit Speer und Bogen in die Schlacht ziehen. Zuerst habe ich gedacht "Yay, Griechenland!" und inzwischen denke ich mir "D'oh, Homer". Gerade in der Epoche haben sich n Europa die anderen Nationen die griechischen Sagen längst zum Teil des eigenen Kulturschatzes gemacht (Ludwig XIV berief sich auf Apollon, deutsche Dichter werfen mit römisch-antiken Stoffen nur so um sich...) Die Idee, dass die Pseudo-Griechen da viel lockerer mit umgehen, hätte dem einen besseren Twist gegeben als: "Hey, die Numanari-Magie ist so eine Art Geheimlehre, womit man die Macht eines Gottes bekommt... aber nicht wirklich, wird ja niemand angebetet oder so."
Also inzwischen bin ich der Ansicht, die neue 7te See-Redaktion hat gar keine Ahnung von der Epoche, in der sie ihr Spiel ansiedeln. "7te See" ist klassische Fantasy... nur ein paar Leute tragen lustige Hüte oder aufgeklebte Schönheitsflecken.
(Um nicht als notorischer Meckerer rüberzukommen: Ich mag die Atabean Trading Company als Schurkenorganisation in der Pseudo-Karibik. Und die Sache mit den Piratenkodizes und Aragosta und dem Rat der Piraten ist auch cool.)
Tatsache ist das meine Leute jetzt (ohne mich in dieser Gruppe) mit einer Mischversion aus 1st und 2nd spielen und recht zufrieden sind.
Oh, habt ihr das was schriftlich? Das interessiert mich doch sehr.
Um schließlich nochmal eine neue Kontroverse anzuschneiden...Bin ich eigentlich ein Sexist, wenn mir die Diversität im neuen 7te See zu plakativ ist? Überhaupt nicht falsch verstehen: Dass das Geschlecht nicht bestimmt, welche soziale Rolle man in dieser Welt erfüllt, ist super. Auch dass viele der ärschetretenden Helden und Schurken Frauen sind. Aber... und vielleicht irre ich mich auch und jemand wirft mir gleich Zahlen um die Ohren, die das widerlegen... ich finde es nur wenig divers, dass
so gut wie alle Rebellenführer oder kriegerischen Warband-Leader, etc. beim neuen 7te See-Frauen sind. Nicht, weil die Frauen das nicht machen könnten, sondern weil ich das Gefühl habe, dass die Autoren sich gedacht haben: "Oh, wir haben eine brutale Kriegernatur: Das muss jetzt eine Frau sein, sonst nimmt man uns die Diversität nicht ab." (Im Umkehrschluss gibt es aber mitnichten auch mehr Männer in "Frauenrollen", sondern, genau, gar keine.)
Das geht soweit - und das ist der Kern meiner Beschwerde - dass alte NSCs aus dem früheren 7te See-Kanon plötzlich andere Geschlechter bekommen haben: Allende ist jetzt eine Frau, Reis ist jetzt eine Frau. Ich weiß nicht, warum das notwendig war. Allende hat jetzt eine sehr andere Hintergrundgeschichte (bei der mir die Alte aber definitiv besser gefiel: Ein Thronfolger, der von seinem todkranken Vater am Sterbebett ins Exil geschickt wird, und dann zu einem gefürchteten Piratenkapitän wird (IIRC) - das ist ein echter Piratenfilm-Plot; die neue Allende ist eine Montaignerin niederen Adels, die auf die Gefängnisinsel geschickt wurde und jetzt da die Kontrolle übernommen hat; gibt es so als NSC an anderen Stellen auch.) Reis ist noch genauso wie in der alten Edition, nur jetzt eben weiblich. Ich habe keine Ahnung, was man sich davon verspricht. Man hätte doch sehr gut coole andere weibliche NSCs hinzuerfinden können, hat man sogar regen Gebrauch von gemacht. Es gibt auch coole, weibliche Piratenkapitäne. Also warum auf Devil Jonah komm raus, an den alten NSCs rumdoktern.
Bin ich jetzt ein engstirniger Chauvi... oder wie sehr ihr das?