CliveDer Weg über die Felder ist ein Umweg. Er führt unterhalb der
Pfarrei vorbei.
Mir ist noch immer nicht danach, Pater Breandán zu begegnen. Aber wie es aussieht, habe ich Glück und er hat seinen Zug durch die Gemeinde noch nicht beendet.
"Gottes Wege sind lang und unergründlich... und manchmal führen sie seine Diener auch ins Camán Inn."Endlich sehe ich Máiríns Cottage vor mir liegen. Luni läuft voraus, denn er kennt nun das Ziel. Als ich das Haus fast erreicht habe, sehe ich Máirín vor dem Haus sitzen. Und dann fällt mir ein Stein vom Herzen, als
Marie in der Haustür auftaucht.
Luni läuft zu Marie, die ihn lachend umarmt.
"Guten Abend, Máirín!
Jetzt bin ich erleichtert. Ich habe Matilde und Marie schon überall gesucht. ... Langsam hatte ich mir Sorgen gemacht! Aber es ist ja alles gut."
"Marie hat mir geholfen, das Abendessen für die Männer vorzubereiten, nicht wahr Marie?", antwortet Máirín lächelnd. Marie ist noch zu sehr mit Luni beschäftigt, um mehr als ein "JA!" herauszubringen. 'Die Männer' sind Finn, Máiríns Schwiegersohn, und ein paar Freunde, die auf dem kleinen Hof bei der schweren Arbeit aushelfen.
Ich werfe einen Blick in die Runde. Außer Máirín, Marie und mir scheint niemand hier zu sein.
"Und Bláthnaid ist bei ihrem Mann?", frage ich. Máirín nickt, lässt dabei aber nicht die Augen von Marie. "Und Matilde? Ist sie auch mit auf dem Feld?", setze ich verwundert nach.
"Matilde? Nein, die war nicht hier. Vielleicht weiß Bláthnaid wo sie ist. Die beiden reden viel miteinander ... vor allem seit Bláthnaid das Kind erwartet."
Schlagartig kehrt meine Unruhe zurück. "Sie war nicht hier? Aber wie kommt dann Marie hier her?"
"Sie war schon hier, als ich aus dem Dorf kam und hat auf seine alte Großmutter gewartet. Nicht wahr? A chuisle mo chroí ... sie ist so ein Schatz!" Eine Weile schweigt Máirín, aber ich spüre, dass es in ihr arbeitet und sie noch etwas hinzusetzen will. "Sie hatte Cainnechs alte Flöte in ihrer Rocktasche und hat darauf gespielt." Tränen schimmern in Máiríns Augen. "Sie hat so viel von ihm ... jeden Tag entdecke ich etwas von ihm an ihr ... ich wünschte ..."
"Ja, wir alle wünschten das. ... Marie hat die Penny Whistle bei mir gefunden. Ich habe sie verwahrt. Marie wollte sie gerne haben ... ich konnte nicht nein sagen. Es fühlte sich richtig an." Ich spüre das Blut in meine Wangen steigen. Manchmal rede ich mir selbst ein, dass Marie Cainnechs Tochter ist, das Ergebnis jener wenigen Stunden, die Matilde und Cainnech alleine verbracht haben.
"Gleichgültig, wie sehr ich mir das wünschen würde, es wird nicht wahr. Matilde war bereits schwanger, als sie Cainnech kennenlernte. Sie hätte seine Tochter sein sollen, so wie Matilde die meine. Und welche Bedeutung hat es schon, wer ein Kind gezeugt hat? Vater zu sein, bedeutet mehr! Marie wird in der Überzeugung aufwachsen, Cainnech sei ihr Vater. Niemand erzählt ihr hier von Hartmut. Die Leute erzählen ihr von ihrem Vater, dem Träumer, der fliegen konnte und der Flöte wunderbare Melodien entlockte, die einen wohlmöglich noch höher trugen. Oder von dem Freund, mit dem man an seiner Seite keine Rauferei fürchten musste. Oder von dem Sohn, der im Großen Krieg als Kind schon die Aufgaben seines Vaters auf dem Hof übernahm. Andere sprechen von ihm als einen Helden und irischen Patrioten. ... Ganz gleich welche Sichtweise man heranzieht: Cainnech ist tot ein besserer Vater für Marie, als es Hartmut je sein könnte.
Matilde gegenüber dürfte ich das so wohl nicht sagen ... aber ich bin davon überzeugt. Das ist MEINE Wahrheit.""Nein, es war richtig! Cainnech freut es bestimmt, wenn er sie spielen hört. ... Marie und ich wollen an sein Grab gehen und dann spielt sie für ihn."
Ich muss schlucken.
"Wie kann sich etwas gleichzeitig so richtig und doch so falsch anfühlen. Die Überzeugung, Marie sei Cainnechs Kind, hat Máirín über den Verlust hinweggeholfen. Würde Máirín die Wahrheit erfahren, es würde ihr das Herz brechen. Sie würde mir das nie verzeihen. Niemand würde mir das hier verzeihen. Marie wäre außerdem in Gefahr. Und doch bleibt es eine Lüge. ... Ich wünschte, Cainnech hätte selbst diese Aufgabe übernehmen können."Ich wende mich von Máirín ab, bevor sie in meinem Gesicht lesen kann und beuge mich hinunter zu Marie und Luni: "Marie ... wo ist Matilde?"
"Mama war müde ... Ich bin nicht müde gewesen!", antwortet Marie, ohne von Luni abzulassen.
"Aber wo hast Du Matilde zuletzt gesehen? ... Sie sucht Dich bestimmt schon überall!"
Marie zuckt mit den Schultern. Ich seufze. Marie hat ihren eigenen Kopf.