Ich muss gestehen, dass es mir schwer fällt zu entscheiden, ob eine bestimmte Art und Weise Sandboxing ist, oder nicht.
Beispiel:
Wir spielen jetzt Midgard, seit fast einem Jahr.
Den Handlungsablauf kann man
HIER lesen.
Wir spielen auf dem Kontinent Vesternesse, mit Kulturen, die den Wikingern, den Schotten und den Iren des Mittelalters entsprechen, plus "Nordlandbarbaren", die ich so charakterisiert habe, wie sich die Nordmänner aus den Joe Abercrombie "Blades" Romanen für mich lesen.
Wir nehmen die Welt so, wie wir sie interpretieren und es geschehen Dinge und Sachen, in die die Charaktere hineinstolpern oder die die Charaktere auslösen.
Und es geschehen auch Dinge und Sachen, wenn die Charaktere nicht da sind.
Sehr oft sagen mir die Spieler, wo ihre Charaktere hinreisen und entscheide daraufhin, was dort geschehen ist und worauf die Leute stoßen.
Andersherum werden die Leute auch auf Dinge durch meine Informationen aufmerksam und entscheiden sich, sich um bestimmte Dinge zu kümmern.
Natürlich gibt es dort, wo die Leute hingehen, ein "Abenteuer" - ob sie sich drum kümmern, entscheiden sich die Leute aber selbst.
Und natürlich kümmern sich die Charaktere letztendlich doch, denn die Spieler wollen ja was erleben und nicht Setting-Sightseeing.
Ich hab auch schon mal drei Abenteuersituationen gleichzeitig in eine Stadt plaziert und den Charakteren es überlassen, um was sie sich kümmern wollten.
Sie haben sich um alles gekümmert, weil es ja was zu kümmern gab.
Also ist das Verhalten doch irgendwo gesteuert.
Denn die Spieler suchen nach dem Hinweis-Schild "Abenteuer ->"...
Meine Abenteuer arbeite ich in der Regel bis zu dem Punkt aus, wo die Charaktere involviert sind.
Der Rest ist improvisierte Abwicklung auf die Interaktion der Charaktere.
Das führt manchmal dazu, dass wir eine Spielsitzung beenden, obwohl noch Zeit zum Spielen wäre, weil ich mir erst mal Gedanken machen möchte
und weil zu späterer Stunde das schnelle Abhandeln von "was passiert dann" eben immer schwerer fällt.
Ich weiß üblicherweise nie vorher, wie ein Abenteuer ausgeht.
Viele meiner Settingelemente sind mit "das müsste jetzt dasein, damit es plausibel ist" improvisiert.
Ich habe keine kleinst-detaillierte Simulation irgendwo festgehalten, die sich immer weiter im Zeitstrahl entwickelt.
...auch nicht im Kopf.
Im Kopf habe ich die Szenerie im Detail, die um die Spielercharaktere herum geschehen und je weiter man sich davon wegbewegt,
desto vager wird es. Situationen in der Ferne werden nur im großen Maßstab (der sich eventuell später oder eben auch aus der Distanz
heraus auf die SC auswirken könnte) überdacht. Warum soll ich mir auch überlegen, dass der Schuster von Cuanscandan (Stadt, entfernt)
seine Frau im Bett mit jemandem erwischt, beide umbringt und die Leichen in der Kanalisation entsorgt, woraus sich eine potentielle Mordermittlung ergibt?
Die Leute sind nicht da und werden auch nicht in absehbarer Zeit dahin reisen (genau genommen, kommen sie von dort und reisen in die Gegenrichtung).
Und ich pfeiffe auch oft genug auf das Ursache Wirkung Prinzip.
Wenn es für mich plausibel und für die Situation als interessant erscheit, dass da eine Leiche im Teich schwimmt, dann ist das so.
Todesursache und warum die gerade da auftaucht, das denke ich mir später aus. Warum auch alles konstruieren, wenn die Charaktere nur
nach Beute schaut und dann weiterreitet...? Der Mordfall (und der Täter) wird dann konstruiert, wenn es in den Fokus rückt.
Ist das jetzt Sandboxing?
Keine Ahnung... Ein Teil meiner Spieler (der der sich des Begriffes bewußt ist) nennt es so.
Ich sehe das so:
Wenn Sandboxing in perfekter Ausprägung "Setting-orientiertes Rollenspiel" darstellt und
das Buchabenteuer-Storytelling eben "Story-orientiertes Rollenspiel",
dann mache ich "Charakter-orientiertes Rollenspiel"!
Es interessiert mich aber auch nicht wirklich. Ganz ehrlich!
Mich interessiert, dass meine Leute Spaß haben, dass der Drive stimmt und alle (inklusive mir selbst) abends nach Hause gehen und sagen "was für ein geiler Abend!"
und dass zwei-drei Tage später ein "Ich will Midgard spielen!" durch unsere Threema Chatgruppe tönt, auch wenn es noch fast 2 Wochen bis zum nächsten Termin hin sind.
Mich interessiert, dass das Rollenspiel neben dem Alltag (Beruf, Familie und andere Freizeit) für mich gut zu bewältigen ist und das es trotzdem allen Spaß macht.
(und da ist die improvisierte SCs-Welt-Interaktion mit geringer Vorbereitung schlicht inzwischen das Optimum.)
Mich interessiert inzwischen viel mehr, dass die Chemie der Leute in der Runde stimmt, denn das ist viel viel wichtiger.
Warum schreibe ich das dann?
Naja, weil es mich auf der informellen Seite doch interessiert (auch wenn ich nichts ändern würde).
Und weil ich glaube, dass es vielen so geht, die ihre Abenteuer selbst gestalten.