Das Tanelorn spielt > Albtraum in Norwegen
Irland 1930 - 1933
Joran:
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Montag, 20.01.1930
Clive
Ich habe uns einen Tag der Ruhe in Dublin gegönnt. Dann sind wir über 'An Muileann gCearr' (Mullingar) und 'An Longfort' (Longford) weiter gereist. Am späten Nachmittag erreichen wir Seillean-Mòr Blàr und schließlich sehe ich durch die Einfahrt mein Zuhause: 'Ceallaigh Manor'.
Ein merkwürdiges Durcheinander von Gefühlen ströhmt auf mich ein. Ich muss daran denken, wie ich mit Cainnech vor zwei Wochen aufgebrochen bin und dass nun ein schwerer Gang vor mir liegt. Die Lücke, die er hinterlässt, wird im Haus noch spürbarer werden. Aber ich bringe Matilde und Luni heim. Und so überwiegt die Freude, als ich Matilde endlich mein Haus führen kann. Ich versuche, meine Euphorie ein wenig zu dämpfen, aber es glingt mir nur zum Teil.
"Ich hoffe, es wird Dir gefallen, Matilde. Das Haus ist alt und mitunter ein wenig kalt, aber die Natur ist hier wunderbar, Du wirst sehen! Hier wird uns niemand stören. Wir werden Dir ein Zimmer nach Deinen Wünschen herrichten. Für die ersten Nächte kannst Du vielleicht in Cainnechs Zimmer ziehen, wenn es Dir keine Umstände macht. Dort ist alles hergerichtet. Wird das gehen?"
"Dann wird sein Zimmer nicht so leer wirken ... wenigstens für ein paar Tage", denke ich.
"Morgen lasse ich dann Caitlin Ó hEidirsceóil, meine Haushälterin, aus dem Dorf kommen. Sie wird sich um alles kümmern, was Du brauchst.
Und vielleicht entdeckst Du auch hier Möbel, die Dir gefallen? Es gibt eine Unmenge davon, die mit Leinentüchern abgedeckt ist. Erkunde einfach das ganze Gemäuer und falls Dir etwas gefällt, nimmst Du es Dir. Wenn Du etwas moderneres wünschst, besorgen wir es."
Nachdem der Fahrer das Gepäck in die Halle gestellt hat, führe ich Matilde durch den aktuell bewohnten Teil des Hauses.
Joran:
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Dienstag, 21.01.1930
Clive
Ich bin früh morgens kurz ins Dorf gelaufen und habe das nötigste besorgt. Auch Mrs. Ó hEidirsceóil, meine Haushälterin, habe ich kurz aufgesucht und sie gebeten, im Verlaufe des Tages auf dem Manor vorbeizuschauen.
Dann habe ich das Frühstück vorbereitet. Matilde macht mir Sorgen. Ein Gespräch will nicht recht in Gang kommen.
"Wie hatte ich annehmen können, es würde einfach werden. Vor wenigen Tagen trug sich Matilde noch mit ernsthaften Suizidgedanken. Sie braucht Zeit, ihre Verluste zu verarbeiten. Und Zeit und Ruhe hat dieser Ort im Übermaß zu bieten. Hier scheinen die Uhren stillzustehen. Die Menschen rechnen in Jahreszeiten."
Zum ersten mal kommen mir Zweifel, ob ich alleine in der Lage bin, Matilde zu helfen. "Sie hat ausdrücklich die Hilfe von Psychiatern abgelehnt. Wie kann ich ihr helfen? Vielleicht wird das Kind sie zwingen, ein neues Leben zu beginnen, wenn es erst einmal da ist."
"Matilde, ich weiß, dass diese Zeit für Dich nicht einfach ist. Aber gib mir und diesem Land eine Chance. Mir hat dieser Ort früher sehr geholfen ... nach meinen Expeditionen ... nach Herm ...
Ich muss Dich heute noch einmal alleine lassen. Ich muss Cainnechs Mutter aufsuchen. Das bin ich ihr schuldig. Máirín darf das von Cainnech nicht von Dritter Seite erfahren. Es wird nicht einfach, ihr die Nachricht zu überbringen, dass die Polizei ihn verschleppt hat. Wir kennen hier solches Vorgehen der britischen Polizei nur zu gut. London ist nicht Irland, aber vermutlich wird im Dorf niemand daran glauben, dass Cainnech wieder auftaucht. Ich werde versuchen, Máirín Hoffnung zu machen. Aus leidvoller Erfahrung wissen wir jedoch, dass kaum jemand wieder aufgetaucht ist, der bei der britischen Polizei einmal aus den Büchern 'verschwunden' ist.
Ich werde mich sofort daran begeben, von hier aus Aufklärung zu fordern, einige Briefe schreiben. Aber vermutlich wird das im Ergebnis nutzlos sein.
Und ich werde Máirín von Dir erzählen ... von Dir und Cainnech und von dem Kind ... wie wir es besprochen haben. Mit Cainnech wäre es einfacher ... Es wird ein wenig Wirbel auslösen. Aber schlussendlich werden die Leute es als Tatsache hinnehmen und damit leben ... so ist es immer hier."
"Wenn sie Matilde sehen, werden sie nur zu bereitwillig glauben, dass Cainnech sich in sie verliebt hat. Wer sollte das anzweifeln? Viele Burschen hier werden ihn still beneiden. Sie kannten Cainnech alle und wussten, dass er sich nicht aufhalten ließ, wenn er etwas leidenschaftlich wollte. Er ließ sich von seinem Herzen tragen, nicht von seinem Verstand.
Und vielleicht ist Matilde niedergedrückte Stimmung gerade dazu geeignet, die Menschen von meiner Geschichte zu überzeugen. Sie werden denken, dass Matilde sich um Cainnech sorgt. Und das wird sie für Matilde einnehmen ..."
Ein wenig schäme ich mich für diese berechnenden Überlegungen. Aber ich habe lernen müssen, die Optionen zu nutzen, die man mir lässt. Seit London ist mir das bewusster als jemals zuvor. Und gleichzeitig fühle ich mich seit London stärker. Ich bin es leid, seit Jahren immer wieder zu verlieren. Diesmal will ich gewinnen.
"Wenn ich den Gang zu Máirín hinter mir habe, kann ich mich endlich auch meiner Bibliothek widmen. Ich will einige Bücher und Dokumente studieren ... will mehr über dieses Wesen lernen, dessen Namen sich in meinem Kopf eingenistet hat ... Ich will die Worte verstehen, die sich in meinem Verstand geformt haben und ein wachsendes Verlangen in mir wecken, sie auszusprechen."
Joran:
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Dienstag, 21.01.1930
Clive
Ich verspüre einen unangenehmen Druck in der Magengegend, als ich mich Máiríns Cottage nähere. Bláthnaid, eine von Cainnechs Schwestern, trägt gerade zwei schwere Eimer über den Hof. Sie will im nächsten oder übernächsten Jahr heiraten. Ihr Mann wird dann wohl im Cottage einziehen, wenn bis dahin die anderen Mädchen das Haus verlassen haben. Für Máirín wird es eine große Entlastung bedeuten, wenn wieder ein Mann auf dem Cottage lebt. Máirín und ihre Mädchen wussten immer anzupacken, aber die harte Arbeit hinterlässt bei den älteren Mädchen Spuren...
Ich halte kurz inne und versuche erneut erfolglos, mir Worte zurecht zu legen. Aber es gibt wenig, was ich sagen könnte, um die Botschaft abzumildern, die ich überbringen muss. Dann entdeckt mich Bláthnaid und winkt mir freudig zu. So bleibt mir nichts, als meinen Weg fortzusetzen.
Als ich durch die niedrige Tür in die Wohnkammer des Cottage trete, nehme ich meinen Hut ab und muss unter dem Türsturz mit dem Kruzifix darüber dennoch mein Haupt beugen. Máirín begrüßt mich herzlich, aber an meiner Reaktion merkt sie, dass etwas nicht stimmt. Ihre Mine nimmt schlagartig einen besorgten Ausdruck an.
Eine halbe Stunde später beende ich meinen Bericht über die Festnahme Cainnechs. Ich bin dabei so weit es möglich war bei der Wahrheit geblieben, habe aber manche Dinge weggelassen und das Verhältnis zwischen Cainnech und Matilde bereits behutsam einfließen lassen:
Ich habe zunächst von dem Polizisten Roy Dalgliesh berichtet, wie er uns mit der Nachricht von dem Überfall auf Kristine Grenn ins Krankenhaus gelockt hat, sein merkwürdiges Verhalten im Automobil, seinen zunehmenden Kontrollverlust, den Angriff auf Matilde und Luni im Bad. Dalgliesh habe ich als Wahnsinnigen mit abartigen Neigungen, Frauen und Tiere zu quälen und zu misshandeln, dargestellt. Ich erzähle von den Tieren in den Käfigen und dem menschlichen Arm im Auto. Dann berichte ich, wie ich die Polizei gerufen haben und erfolglos versuchte, das Konsulat um Hilfe zu bitten.
Schließlich berichte ich von dem Eintreffen der Polizisten und deren Verhalten in der Eingangshalle des Krankenhauses.
Ich erkläre, dass Cainnech offensichtlich Matilde habe schützen wollen ... in die er sich verliebt habe. Er habe verhindern wollen, dass die Polizisten ihrem Hund wegen des wölfischen Aussehens etwas antuen und vor allem habe er verhindern wollen, dass diese miesen Kerle mit ihren anzüglichen Bemerkungen und Blicken Matilde in ein separates Zimmer bringen. Ich berichte von dem Wortwechsel zwischen Cainnech und den Polizisten, wie Matilde Cainnech zurückhalten wollte und von den Schlägen der Polizisten. Dass Cainnech seine Besinnungslosigkeit zunächst nur vorgespielt hatte, verschweige ich. Ich beschreibe die Übermacht der Polizisten, die ein Eingreifen unmöglich gemacht habe.
Ich mutmaße, dass die Polizisten die Taten ihres Kollegen Dalgliesh vertuschen wollten.
Dann erzähle ich, wie wir versucht haben, Cainnech im Polizeirevier zu besuchen und dass man uns dort erklärt habe, Cainnech habe das Revier nicht erreicht. Man habe ihn nach Aussage der Polizisten vorher aus der Obhut der Polizei entlassen.
Lord Penhew und Edward Gavigan erwähne ich nicht.
Meinen Bericht beende ich mit der Feststellung, dass Cainnech verschwunden blieb und nicht in die Pension zurückkehrte.
Ich versichere Máirín, Bláthnaid und Máire, dass ich weiterhin alles mir mögliche unternehmen werde, um Cainnechs verbleib aufzuklären. Ich versuche hoffnungsvoll zu klingen, dass sich alles noch zum Guten wenden kann. Aber alle, die hier in der Kammer beisammensitzen, wissen, dass die Hoffnung verschwindend gering ist. Ich glaube nicht daran, weil Cainnech in die Gewalt einer Gruppe geraten ist, für die ein Menschleben keinen Wert besitzt. Und die Frauen glauben nicht daran, weil sie sich nicht vorstellen können, dass Cainnech sich seine Freiheit durch Verrat an den Kämpfern der Óglaigh na hÉireann bei den britischen Behörden erkauft.
Nachdem wir eine Weile über Cainnech geredet haben und viele Tränen geflossen sind, lenke ich das Thema auf Matilde. Ich betone, wie tapfer Cainnech versucht hat, Matilde zu schützen. Ich versuche zu erklären, in welch verzweifelten Situation sich Matilde befand. In meiner Version hat ihr Ehemann sie verlassen und den gemeinsamen Sohn mit sich genommen. Und in meiner Version sind Matilde und Cainnech sich näher gekommen, als es der Wahrheit entspricht. So erfährt die Familie, dass Matilde mit mir gekommen ist und sich - wie ich - um Cainnech sorgt.
Das Kind erwähne ich nicht, denn die Schwangerschaft kann nicht so schnell bemerkt worden sein. Ich erkläre, dass Matilde nach den schrecklichen Vorfällen Ruhe braucht und bereite so vor, dass Matilde sich in den nächsten Monaten gegenüber der Dorfbevölkerung nicht zeigen wird ... jedenfalls sobald man ihr die Schwangerschaft ansieht ...
Ich spüre, dass die Frauen ein wenig verunsichert sind, als ich ihnen die Geschichte von Matilde und Cainnech erzähle. Aber schließlich siegt das Vertrauen, dass ich in langen Jahren bei ihnen gewonnen habe. Erneut wünschte ich mir, Cainnech wäre hier und würde die Geschichte stützen und meinen Verrat an diesen Menschen läutern. Dann wäre mir sicher nicht so unwohl in meiner Haut.
Als ich nach einem langen Nachmittag gedankenversunken und mit schlechtem Gewissen den Rückweg antrete, weiß ich, dass ich dieses Gefühl nicht ablegen können werde, solange ich nicht durch Cainnech 'freigesprochen' werde. Ich hoffe, dass mir diese Chance irgendwann einmal gegeben wird. Meine Gedanken führen mich zurück zu dem Traum, in dem ich Ruairí begegnet bin. "Ich hoffe, dass Cainnech noch lebt, aber wenn nicht, werde ich vielleicht auch mit ihm noch einmal in Verbindung treten können." Erneut grüble ich darüber nach, ob dieser einzigartige Moment nur auf Herm geschehen konnte oder was sonst ihn ermöglicht haben mag.
Joran:
Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Dienstag, 21.01.1930
Clive
Matt sitze ich mit Matilde in der Küche. Beide blicken wir lustlos auf unser karges Essen, ohne es anzurühren.
"Ich war bei Máirín", setzte ich tonlos an. "Sie ist natürlich verzweifelt ... auch ihre Schwestern. Irgendetwas muss ich tun, damit wir Klarheit bekommen, was aus Cainnech geworden ist. Das bin ich ihnen schuldig. Wenn die britische Polizei einen Iren verschleppt, ist es ziemlich aussichtslos. Menschen verschwinden leicht. Aber was Gavigan und Lord Penhew betrifft, gibt es vielleicht eine Chance. Was können sie schon mit Cainnech anfangen? Was würde ihnen sein Tod nutzen?" Eine kurzen Augenblick muss ich an Paul denken, bei dem alle Bemühungen, etwas über seinen Verbleib herauszufinden, bislang erfolglos waren.
"Aber wie fange ich es am besten an? Selbst wenn Gavigan eigenmächtig gehandelt hat und Lord Penhew nichts mit Cainnechs Verschwinden zu tun haben sollte ... wie soll ich Lord Penhew anschreiben, ohne dass Gavigan den Brief zunächst in die Hände bekommt? Ich müsste jemanden beauftragen, Lord Penhew den Brief höchstpersönlich zu übergeben. Aber wen? Ove Eklund scheidet wohl aus ... Und Kilmister ... hat schon jetzt viel mit der Regelung Deiner Angelegenheiten zu tun. Ich weiß nicht, ob wir ihn da auch noch mit hereinziehen sollten?" "Zumal er vermutlich Hartmut regelmäßig Bericht erstattet."
"Wir haben hier im Dorf kein Telefon. Iefan Brothaigh, der Inhaber des 'Camán Inn', redet zwar immer davon, sich eines anzuschaffen, er hat wohl einen Antrag gestellt. Aber ich glaube kaum, dass die Telefongesellschaft ihm ein Kabel hierher legt. Wenn wir in London anrufen wollen, müssten wir vermutlich nach Longford oder Roscommon fahren. Und selbst dann ist die Frage, ob man uns zu Lord Penhew durchstellen würde."
Ich denke eine Weile nach und stochere mit der Gabel in dem Essen.
"Ich habe Máirín, Bláthnaid und Máire auch das von Dir und Cainnech erzählt", sage ich vorsichtig, fast kleinlaut und doch so, als sei tatsächlich etwas zwischen Matilde und Cainnech vorgefallen. Ein wenig rechne ich damit, dass Matilde mir ihren Teller entgegenschleudert ... ein wenig hoffe ich es sogar, weil ich es verdient habe und weil es mir zeigen würde, dass Matilde aus ihrer Lethargie erwacht. "Ich denke, sie haben es mir letztendlich abgenommen", setzte ich vorsichtig nach. "Denkbar, dass sie Dich kennenlernen wollen. Das sollte passieren, bevor ... man etwas von der Schwangerschaft sieht." Mein Mund fühlt sich trocken an.
Nyre:
Ich nicke stumm, ohne Clive anzuschauen.
"Ich weiss, dass es das beste ist. Aber es tut mir sehr weh, die Frauen so anlügen zu müssen"
Ich seufze.
"Irgendwie schaffen wir nichts gutes zu tun. Ob mein Kind etwas gutes sein wird?"
Jetzt bicke ich ihn in die Augen.
"Vielleicht sollte ich diese Schwangerschaft gar nicht zum Ende bringen"
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