Ceallaigh Manor
Seillean-Mòr Blàr, County Roscommon, Irland
am Ufer des Boyle River nahe Lough Key
Dienstag, 21.01.1930
CliveIch verspüre einen unangenehmen Druck in der Magengegend, als ich mich Máiríns Cottage nähere. Bláthnaid, eine von Cainnechs Schwestern, trägt gerade zwei schwere Eimer über den Hof. Sie will im nächsten oder übernächsten Jahr heiraten. Ihr Mann wird dann wohl im Cottage einziehen, wenn bis dahin die anderen Mädchen das Haus verlassen haben. Für Máirín wird es eine große Entlastung bedeuten, wenn wieder ein Mann auf dem Cottage lebt. Máirín und ihre Mädchen wussten immer anzupacken, aber die harte Arbeit hinterlässt bei den älteren Mädchen Spuren...
Ich halte kurz inne und versuche erneut erfolglos, mir Worte zurecht zu legen. Aber es gibt wenig, was ich sagen könnte, um die Botschaft abzumildern, die ich überbringen muss. Dann entdeckt mich Bláthnaid und winkt mir freudig zu. So bleibt mir nichts, als meinen Weg fortzusetzen.
Als ich durch die niedrige Tür in die Wohnkammer des Cottage trete, nehme ich meinen Hut ab und muss unter dem Türsturz mit dem Kruzifix darüber dennoch mein Haupt beugen. Máirín begrüßt mich herzlich, aber an meiner Reaktion merkt sie, dass etwas nicht stimmt. Ihre Mine nimmt schlagartig einen besorgten Ausdruck an.
Eine halbe Stunde später beende ich meinen Bericht über die Festnahme Cainnechs. Ich bin dabei so weit es möglich war bei der Wahrheit geblieben, habe aber manche Dinge weggelassen und das Verhältnis zwischen Cainnech und Matilde bereits behutsam einfließen lassen:
Ich habe zunächst von dem Polizisten
Roy Dalgliesh berichtet, wie er uns mit der Nachricht von dem Überfall auf Kristine Grenn ins Krankenhaus gelockt hat, sein merkwürdiges Verhalten im Automobil, seinen zunehmenden Kontrollverlust, den Angriff auf Matilde und Luni im Bad. Dalgliesh habe ich als Wahnsinnigen mit abartigen Neigungen, Frauen und Tiere zu quälen und zu misshandeln, dargestellt. Ich erzähle von den Tieren in den Käfigen und dem menschlichen Arm im Auto. Dann berichte ich, wie ich die Polizei gerufen haben und erfolglos versuchte, das Konsulat um Hilfe zu bitten.
Schließlich berichte ich von dem Eintreffen der Polizisten und deren Verhalten in der Eingangshalle des Krankenhauses.
Ich erkläre, dass Cainnech offensichtlich Matilde habe schützen wollen ... in die er sich verliebt habe. Er habe verhindern wollen, dass die Polizisten ihrem Hund wegen des wölfischen Aussehens etwas antuen und vor allem habe er verhindern wollen, dass diese miesen Kerle mit ihren anzüglichen Bemerkungen und Blicken Matilde in ein separates Zimmer bringen. Ich berichte von dem Wortwechsel zwischen Cainnech und den Polizisten, wie Matilde Cainnech zurückhalten wollte und von den Schlägen der Polizisten. Dass Cainnech seine Besinnungslosigkeit zunächst nur vorgespielt hatte, verschweige ich. Ich beschreibe die Übermacht der Polizisten, die ein Eingreifen unmöglich gemacht habe.
Ich mutmaße, dass die Polizisten die Taten ihres Kollegen Dalgliesh vertuschen wollten.
Dann erzähle ich, wie wir versucht haben, Cainnech im Polizeirevier zu besuchen und dass man uns dort erklärt habe, Cainnech habe das Revier nicht erreicht. Man habe ihn nach Aussage der Polizisten vorher aus der Obhut der Polizei entlassen.
Lord Penhew und Edward Gavigan erwähne ich nicht.
Meinen Bericht beende ich mit der Feststellung, dass Cainnech verschwunden blieb und nicht in die Pension zurückkehrte.
Ich versichere Máirín, Bláthnaid und Máire, dass ich weiterhin alles mir mögliche unternehmen werde, um Cainnechs verbleib aufzuklären. Ich versuche hoffnungsvoll zu klingen, dass sich alles noch zum Guten wenden kann. Aber alle, die hier in der Kammer beisammensitzen, wissen, dass die Hoffnung verschwindend gering ist. Ich glaube nicht daran, weil Cainnech in die Gewalt einer Gruppe geraten ist, für die ein Menschleben keinen Wert besitzt. Und die Frauen glauben nicht daran, weil sie sich nicht vorstellen können, dass Cainnech sich seine Freiheit durch Verrat an den Kämpfern der Óglaigh na hÉireann bei den britischen Behörden erkauft.
Nachdem wir eine Weile über Cainnech geredet haben und viele Tränen geflossen sind, lenke ich das Thema auf Matilde. Ich betone, wie tapfer Cainnech versucht hat, Matilde zu schützen. Ich versuche zu erklären, in welch verzweifelten Situation sich Matilde befand. In meiner Version hat ihr Ehemann sie verlassen und den gemeinsamen Sohn mit sich genommen. Und in meiner Version sind Matilde und Cainnech sich näher gekommen, als es der Wahrheit entspricht. So erfährt die Familie, dass Matilde mit mir gekommen ist und sich - wie ich - um Cainnech sorgt.
Das Kind erwähne ich nicht, denn die Schwangerschaft kann nicht so schnell bemerkt worden sein. Ich erkläre, dass Matilde nach den schrecklichen Vorfällen Ruhe braucht und bereite so vor, dass Matilde sich in den nächsten Monaten gegenüber der Dorfbevölkerung nicht zeigen wird ... jedenfalls sobald man ihr die Schwangerschaft ansieht ...
Ich spüre, dass die Frauen ein wenig verunsichert sind, als ich ihnen die Geschichte von Matilde und Cainnech erzähle. Aber schließlich siegt das Vertrauen, dass ich in langen Jahren bei ihnen gewonnen habe. Erneut wünschte ich mir, Cainnech wäre hier und würde die Geschichte stützen und meinen Verrat an diesen Menschen läutern. Dann wäre mir sicher nicht so unwohl in meiner Haut.
Als ich nach einem langen Nachmittag gedankenversunken und mit schlechtem Gewissen den Rückweg antrete, weiß ich, dass ich dieses Gefühl nicht ablegen können werde, solange ich nicht durch Cainnech 'freigesprochen' werde. Ich hoffe, dass mir diese Chance irgendwann einmal gegeben wird. Meine Gedanken führen mich zurück zu dem
Traum, in dem ich Ruairí begegnet bin.
"Ich hoffe, dass Cainnech noch lebt, aber wenn nicht, werde ich vielleicht auch mit ihm noch einmal in Verbindung treten können." Erneut grüble ich darüber nach, ob dieser einzigartige Moment nur auf Herm geschehen konnte oder was sonst ihn ermöglicht haben mag.