Seit einiger Zeit gehen mir ein paar Gedanken zu Horror-Settings im Kopf herum. Ich denke dabei besonders über Hintergründe nach, die auf unserer realen Welt basieren und halbwegs in modernen Zeiten spielen (20er Jahre sind noch mit drin, Mittelalter und Science Fiction aber nicht).
Das Ganze ist alles andere als abgeschlossen und sehr subjektiv. Es stellt nur meine eigene Meinung dar und erhebt keinen Anspruch auf Verbindlichkeit. Vielleicht findet ihr´s aber trotzdem interessant zu lesen, wie ich darüber denke und erzählt im Gegenzug, wie ihr die Sache seht.
Ich kann im Moment so ein paar grundsätzliche Herangehensweisen erkennen, wie versucht wird im Rollenspielbereich Horror zu verbreiten:
1. Cthulhu und seine Brüder: Es gibt einen feststehenden Mythos. Der Mythos ist fiktiv. Seine Existenz (wenn auch nicht alle Details) wird als bekannt vorausgesetzt. Horrorszenarien greifen immer wieder auf Teile des Mythos´ zurück und ergeben so ein mythologisches Netz (weiteres Beispiel neben Cthulhu: Esoterrorists).
2. Dracula Dossier: Auch hier gibt es einen bekannten und feststehenden Mythos. Die Herangehensweise ist aber ein wenig anders: Der Leser bzw. Spieler bekommt erzählt, dass der Mythos ja bisher immer als fiktiv angesehen wurde, nun aber häufen sich die Anzeichen, dass er Realität sein könnte. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass das Setting davon ausgeht, dass der Leser bzw. Spieler von der Fiktionalität des Mythos weiß und dann darauf aufbaut (ich bin noch nicht weit genug, um hier von einem Eindruck schildern zu können).
3. Eine weitere Möglichkeit stellt natürlich die Realität selbst dar. Es wird auf einen Mythos und überhaupt auf Fantastisches verzichtet, denn die (mögliche) Realität ist bereits Horror genug. (Kennt ihr ein System oder Setting in der Richtung? Ich kenne nur einige wenige, einzelne Beispiele.)
Warum hat diese Unterscheidung für mich eine Bedeutung? Weil ich bemerkt habe, dass ich vom Horror der ersten Kategorie manchmal wirklich genervt bin. Mal abgesehen davon, dass ich eigentlich möglichst wenig Zeit mit diesem misogynen, faschistoiden Puritaner namens Lovecraft verbringen möchte, nervt mich noch etwas ganz anderes. Ich möchte dazu ein Beispiel anführen, das sich in den
geläuterten CTHULHU Rezis befindet. Es ist nur ein Beispiel, aber eines, an dem ich besonders gut zeigen kann, was mich stört. Das neunte Abenteuer, das
Der Läuterer dort bespricht, heißt
Infested und beinhaltet ein Fahrstuhlszenario. Der Fahrstuhl bleibt stecken und die Fahrgäste - nun - kommen sich näher, was ein Horrorszenario zur Folge hat. Bis hierher könnte das Abenteuer wunderbar in Kategorie 3 gehören. Im Spoiler des
Läuterers, den ich deshalb auch als Spoiler zitiere, findet sich nun Folgendes:
Die Shan, eine uralte, Tauben grosse, Insekten-ähnliche Rasse, die dem Äusseren Gott Azathoth dient, hat dafür gesorgt, dass der Lift stecken geblieben ist. Sie haben die Fähigkeit direkt in den Verstand der Menschen zu fliegen, sie zu beherrschen und sie wie Marionetten zu kontrollieren. Sie leben parasitär und ernähren sich von den Gefühlen ihrer Wirte.
Im untersten Stockwerk des Gebäudes haben sie eine bizarre Maschine zur Gedankenkontrolle gebaut, um grössere Macht über die Menschen zu erlangen. Momentan haben sie einige Handwerker unter ihre Kontrolle gebracht und versuchen die Chars in ihre Gewalt zu bringen, um sich von deren Angst zu ernähren und um die Maschine an ihnen zu testen.
Durch diesen Hintergrund bekommt das Abenteuer also eine Verknüpfung zum Cthulhu-Mythos. Damit geht allerdings zumindest für meinen Geschmack leider auch eine Fiktionalisierung einher. Während das Grauen des steckengebliebenen Fahrstuhls und die gestressten und an den Rand ihrer Nerven gebrachten Menschen mich noch völlig real mit Horror erfüllen, verpufft der in dem Moment, wo irgendwelche taubengroßen Cthulhu-Monster auftauchen. Jetzt kann ich grinsen und das Abenteuer in das Reich der Fiktion verschieben. Alles nur ein Spiel! Grauen vorbei. Was würde geschehen, wenn so ein Abenteuer auf das fiktive Element verzichten würde? Wenn es einfach darum geht, einen Fahrstuhl mit heiler Haut wieder zu verlassen, in dem ein paar Leute so lang eingeperrt sind, bis sie in Panik völlig die Kontrolle über sich verlieren? Wäre das nicht viel eindrücklicher, als irgendwelche albernen Monster zur Erklärung heranzuziehen?
Ich habe diesen Eindruck nicht immer, aber immer mal wieder: Ein Horror-Szenario beginnt für mich vielversprechend, aber dann geht irgendwo eine Klappe auf, ein Tentakel windet sich hervor und ich muss leider grinsen. Meine Erfahrungen mit Horror-Szenarien ohne fantastische Elemente sind spärlich. Was ich dort erlebt habe, fühlte sich aber intensiver an... und ich glaube genau deshalb, weil der Sprung in die Fiktionalität gefehlt hat.
Mal sehen, was ihr dazu sagt.