Und da kommt jetzt auch schon meine Kritik: die Umsetzung. Wenn Du ein RPG schreiben willst, dass hauptsächlich ein Erzählspiel ist, warum schreibst Du dann eins, dass hauptsächlich die Realität abbildet? Die Philosophie (bzw. die Zielsetzung) und das ganze restliche Spiel passen nicht zusammen.
Kann ich dir sagen: weil ich Realismus durchaus befürworte, aber nicht auf der Basis von Modifikatoren oder anderen Dingen, die ich nachschlagen muss. Ich kann weder mit cineastischen noch mit heroischen Rollenspielen was anfangen. Meine Spiele sind sehr realistisch (wenn man von den metaphysischen Zutaten absieht), und das ist genau das, wofür GeneSys geschrieben wurde. Es gibt keine überhöhten Fertigkeiten, dafür der Index; der Index ist auch so ziemlich die einzige Sache in den Regeln, die
als Regel absolut auf Realismus ausgerichtet ist. Es gibt aber keine langen Listen mit pseudorealistischen Kampfbewegungen wie bei Rolemaster oder so: aller Realismus entspringt ansonsten der Beschreibung und der Deutung von Würfelergebnissen.
Positive Punkte (darf man nicht vergessen):
- Charaktererschaffung. Erst einen Text zu nehmen und daraus einen Char zu machen ist gut. Es könnte noch etwas strukturierter sein (siehe HeroQuest: max. 100 Wörter, daraus dann Eigenschaften).
Viel zu wenig. Ich erwarte in der Regel ein paar Seiten, nur kriege ich sie nie. Naja, jedenfalls nicht schriftlich...
- genauere Definition von Attributen: finde ich gut. Ist der erste Schritt weg vom Attribut, hin zu allgemeinen Eigenschaften (ist Dir das mal aufgefallen?)
Bei mir nicht. Die Attribute gelten für alle, Fertigkeiten sind individuell. Ohne die Attribute geht's kaum, denn sie decken alles ab, was Fertigkeiten des Charakters nicht abdecken. Dadurch kann ein Charakter immer auf etwas würfeln.
Negative Punkte:
- 15 Attribute. Warm so viele? Du willst doch die Realität nicht abbilden! Und btw warum überhaupt Attribute?
Es sind so viele, weil die Basis des Systems das Zehnersystem ist. 5 Werte von 1-20 ergeben eine Zahl, die als Prozentwert verwendet werden kann. Mir ist durchaus klar, dass es einige Unterschiede in der Wichtigkeit der Attribute gibt, aber sie erfüllen alle einen Zweck, nämlich die Festsetzung des Index. Außerdem sind sie auch Grundlage für Fertigkeitswerte. Und es sind drei mal fünf, weil ich Symmetrie liebe und das System in verschiedensten Settings verwendet werden soll. Kreativität erscheint zum Beispiel oft überflüssig, war aber ein zentraler Wert in meiner Changeling-Adaption.
Außerdem will ich die Realität wohl abbilden.
- Warum sind die Attribute auf einer Skala von 1-20?? Und dann diese furchtbare Umrechnung von der Skala auf die Würfelskala... zu kompliziert!
Einmalig Wert von (1-20) x 5 für jedes Attribut bei der Charaktererschaffung ist kompliziert? In anderen Systemen würfelst du dauernd so Sachen wie 2 W10 +4! Alles in GeneSys folgt der Logik des Rechnens mit der Basis 10. Man kann es eigentlich leicht verstehen, auch wenn ich es vielleicht sehr wortreich erklärt habe. Neue Spieler verstehen das mündlich erklärte System erfahrungsgemäß gleich am ersten Abend vollständig.
- Die furchtbaren Idizes als Begrenzung für Fertigkeiten. Also mehr kann man kaum versuchen die Realität komplex abzubilden.
Richtig, bin ich auch stolz drauf.
Obwohl, komplex... eigentlich ist der Mechanismus doch simpel.
- Warum heissen die Würfelergebnisse so komisch (1.,2.,3.,4. Klasse)? Kann man nicht einfach Teilerfolg usw. sagen?
Doch, kann man, und habe ich in früheren Versionen auch; da gab es aber noch nicht die Diskrepanz zwischen Würfen auf Eigenschaften und auf Fertigkeiten. Wenn ich bei einem Wurf gegen Eigenschaften unter den Wert komme, aber nicht unter ein Zehntel, ist es technisch dann ein Teilerfolg; obwohl der Erfolg durchaus vollständig sein darf, wenn die Zeit ausreicht usw. 'Teilerfolg' war mir als Wort zu nah am Fehlschlag. Außerdem widerstrebt es mir, von einer Erfolgsklasse 'Fehlschlag' zu sprechen, weshalb ich die suggestiven Ausdrücke 'Voller Erfolg', 'Erfolg', 'Teilerfolg' und 'Fehlschlag' durch Resultatklassen 1-4 ersetzt habe. Aber du darfst gerne die anderen Begriffe verwenden.
- Und dann das laaaaange Kampsystem mit komplexer Tabelle zur (Du weißt es schon) Abbildung der Realität. Rüstung, Deckung, Wunden, Heilung. Alles kompliziert und nur auf Realismus ausgelegt.
Realismus, ja. Tödlich, fies, gewalttätig, mit allen möglichen Resultaten, jedoch nicht vom System diktiert. Zum Beispiel darfst du dir Trefferzone, Entwaffnung oder Verwundung, Gnadenstoß usw. aussuchen, wenn das Resultat es erlaubt. Das System ist komplex beschrieben, weil ich alle Facetten des Kampfes für Kampf-Fans beleuchten wollte, aber es ist im Spiel so flott wie nur was, und die meisten Elemente werden nur selten gebraucht. Die Tabelle sieht übrigens kompliziert aus, drückt aber nur das visuell aus, was im Umfeld in ein, zwei Sätzen geschrieben steht, nämlich, in welchem Verhältnis zwei Kampfwürfe zueinander stehen.
Übrigens erscheint mir die Regel 'Jede Verletzung heilt individuell und nach Spielleiterermessen' nicht gerade kompliziert. Unkomplizierter ist, soweit es Regeln angeht, bloß das völlige Weglassen von Heilung.
Insgesamt:
Nach einem guten Ansatz (Spielphilosophie und Charaktererschaffung) gleitet GeneSys wieder in 08/15 Rollenspiel ab. Es bietet eigentlich nichts neues und macht auch altbekanntes komplizierter als andere Systeme (Action-System, Savage Worlds). Und vor allem: voll am selbstgesteckten Ziel vorbei! Das System versucht krampfhaft die Realität abzubilden.
Du hast mein Ziel nicht verstanden, was auch nicht weiter verwunderlich ist, weil du das Wort 'Erzählspiel' anders verstehst als ich (damals). Mittlerweile verstehe ich selbst 'Erzählspiel' als Label für Universalis, The Pool usw., und würde das Wort deshalb auch aus meinem Sprachschatz und meinem System streichen. Ich habe das Wort damals verwendet, weil ich das Rollenspiel als zu einer literarischen Tradition gehörig sehe, bei der aber die meisten ursprünglichen Zwecke der Literatur und der mündlichen Überlieferung (als erzählerischem Stammvater) passend zur Postmoderne überflüssig geworden sind und rausfliegen. Ich sehe aber keinesfalls eine Geschichte als Ziel des Spiels, sondern das unmittelbare Erleben der Handlung und Ereignisse durch den Charakter (für Spieler) und das Nicht-unter-Kontrolle-haben der Hauptcharaktere (für den Spielleiter). Und wie gesagt: ich will Realismus, aber nicht einen vom System diktierten, sondern einen Realismus der Freiheit. Alles, was geschehen kann (Realismus), kann in einem GeneSys-Spiel auch geschehen. Und zwar genau deshalb, weil es außer für triviale Wahrheiten (keiner kann etwas besser als 100%ig machen) keine vorgegebenen realismus-simulierenden Regeln gibt, sondern der Realismus ausschließlich aus der Interpretation der Würfelergebnisse entstammt. Das Regelwerk gibt z. B. keine Modifikatoren vor, sondern bloß Modifikationsmechanismen, die man nach Gutdünken einschätzen kann.
Mein Tip: Ändere das System, so dass es mehr mit Deinen Zielen harmoniert als bisher oder (da ich weiß, dass Du das System nicht ändern wirst) ändeere die Einleitung und stehe dazu, dass Du die Realität (vor allem im Kampf) doch abbilden willst und Dir das über die Hälfte des Regelwerks wert ist.
Du wolltest vielleicht nur nicht lesen, wie wichtig mir die Realität ist, aber ich sage es durchaus. Wie gesagt, Realismus ja, aber nicht ausschließlich aus den Regeln heraus.
Robin