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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Spielleiterthemen => Thema gestartet von: Chiarina am 2.01.2019 | 20:53

Titel: Wahnsinn
Beitrag von: Chiarina am 2.01.2019 | 20:53
Hier geht´s um Rollenspiele, die in irgendeiner Form regeln, wann und wie eine Figur wahnsinnig wird.

Die Standardsituation sieht meines Wissens so aus: Es gibt einen Punktwert für geistige Stabilität. Macht eine Figur traumatische Erfahrungen, sinkt der Wert. Hat sie Regenerationszeit oder eine entsprechende Behandlung / Therapie, kann der Wert auch wieder steigen. Sinkt der Wert aber auf Null, entwickelt der Charakter Phobien, Neurosen oder Zwangshandlungen, ist zerrüttet, wahnsinnig, wird zur Nichtspielefigur, etc.

Was mich oft ein bisschen unzufrieden macht ist diese starre Grenze.
Stabilität auf 1: Figur ist normal.
Stabilität auf 0: Figur ist wahnsinnig.
Der Verlust von einem Punkt kann im Zweifelsfall den Schalter umlegen.

Ein ähnlicher Umgang mit der Problematik findet sich (zumindest in einigen Bereichen) auch in der Realität. Schizophrenie beispielsweise lässt sich meines Wissens biologisch nicht nachweisen, es existiert nur ein Katalog charakteristischer Störungen. Menschen, die in zwei Gebieten (Denken, Stimmung, Verhalten, Persönlichkeit...) entsprechende Probleme aufweisen, können als schizophren diagnostiziert werden, Menschen mit einem Problem in nur einem Gebiet nicht. Menschen werden so eindeutig zugeordnet: die einen sind wahnsinnig, die anderen nicht.

Die Regelung zeigt aber doch, dass die Sachlage in Wahrheit nicht ganz so einfach ist: Oft genug gibt es gar keine eindeutige Grenze: Manche Menschen weisen in dieser Richtung eben stärkere Tendenzen auf, manche schwächere.

Wie steht´s also um mögliche Alternativen im Rollenspielbereich, die vielleicht ein wenig sensibler mit diesem Thema umgehen? Ich kenne nur ein oder zwei ganz vorsichtige Versuche, die nicht besonders weit reichen.

(Bitte keine Diskussionen über den Sinn und Unsinn von Schulmedizin und Psychiatrie, das Problem ist politisch aufgeladen und wird sicherlich nicht hier im Tanelorn gelöst).
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: Irian am 2.01.2019 | 20:58
Natürlich würde ich pers. nen Charakter mit 1% Sanity anders spielen als einen mit 100%, liegt ja nahe. Aber klar, manche Leute hätten dafür gerne Regeln.

Wie wäre es einfach, wenn man die Sanity mit "Nachteilen" bezahlen muß? Also wenn man z.B. 10 Punkte Sanity verloren hat, muss man nen geistigen Nachteil für 10 Punkte nehmen (ohne dafür welche zu bekommen). So wird der Abstieg zumindest ein wenig greifbarer, weil man ne Regel hat, was passiert und es sammeln sich auf dem Weg gen Null immer mehr Macken an.

(Das Thema könnte imho auch interessant sein für die Shadowrun Essenz Debatte, dort gibt es ja ein paar minimale Regeln für niedrige Essenz.)
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: K!aus am 2.01.2019 | 21:03
Wenn ich mich recht entsinne, dann sollte es Regeln in Trauma (http://shop1.flyinggames.de/produkt/trauma-universalrollenspiel-2-auflage/) dazu geben, frag doch mal Turning Wheel.  ^-^
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: 1of3 am 2.01.2019 | 21:05
Also wenn man z.B. 10 Punkte Sanity verloren hat, muss man nen geistigen Nachteil für 10 Punkte nehmen

Warum willst du dann überhaupt runterzählen? Zähl doch gleich rauf.
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: nobody@home am 2.01.2019 | 21:13
Das Standardwerk zum Thema ist natürlich nach wie for Call of Cthulhu, und da ist es keineswegs so, daß man bis zum letzten Punkt Stabilität "normal" und dann bei Null plötzlich "wahnsinnig" ist. Statt dessen führt schon der Verlust von genügend vielen Punkten innerhalb hinreichend kurzer Zeit (die exakten Regeln habe ich allerdings gerade nicht im Kopf) zu kurzfristigen "Aussetzern" oder durchaus auch schon mal bleibenden Traumata. Stabilität Null ist also nur der Punkt, an dem der SC endgültig offiziell zum NSC wird; seine diversen geistigen Knackse und Macken hat er schon lange vorher immer schön eine nach der anderen entwickelt.

Um andererseits mal ein Beispiel aus der fast entgegengesetzten Ecke des Spektrums zu zitieren: Fate Core hat an sich keine Superspezialregeln eigens für den Fall "Wahnsinn". Es kennt aber durchaus geistigen Streß und entsprechende Konsequenzen -- prinzipiell lassen sich also in einem passenden Genre Schock- und Horrorerlebnisse des Charakters leicht als buchstäbliche Angriffe auf dessen geistige Gesundheit modellieren, die dann je nach Häufig- und Heftigkeit kurz- bis mittelfristige und sogar permanente Folgen nach sich ziehen können, und das nach praktisch denselben Regeln, über die körperliche Attacken auch schon abgehandelt werden.
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: Lord Verminaard am 2.01.2019 | 21:15
Fürs Rollenspiel scheint mir das entscheidende Kriterium die Kontrolle über den Charakter. Welche Aussagen trifft das System, welche Aussagen trifft der SL und welche Aussagen trifft der Spieler? Klassisch ist ja deine binäre Unterscheidung gleichbedeutend mit dem Verlust der Kontrolle über den Charakter. Ok vielleicht bekomme ich hier und da schon mal eine Phobie aufs Auge gedrückt aber im Prinzip spiele ich den Charakter ganz normal (1) und dann ist er wahnsinnig und ich spiele ihn nicht mehr (0). Bzw. wenn ich vorher schon den "Slow Decent into Madness" ausspielen möchte, dann bleibt das mir selbst überlassen, das System hält sich da raus und ggf. werde ich sogar als Taschenlampenfallenlasser beschimpft. ;)

Ich kriege leider nicht mehr zusammen, in welchem System das war, aber irgendwo las ich mal, vor vielen Jahren, in etwa folgenden Satz: "Wenn XYZ passiert, verliert der Charakter den Verstand. Der Spieler spielt ihn weiter und entscheidet, wie sich dies auf sein Verhalten auswirkt." Fand ich eine sehr erhellende Herangehensweise. Das geht in die gleiche Richtung wie The Window ("die Spieler sind dafür verantwortlich, ihre Charaktere glaubwürdig zu spielen" - und sonst keiner, ist der entscheidende Punkt). Weiß aber ehrlich nicht mehr, wo das war.

Was mir an Systemen noch einfällt:

* Unknown Armies mit seinem schönen, differenzierten Madness Meter. Hier kann ein Charakter in verschiedenen Bereichen abgestumpft oder traumatisiert sein, er bleibt jedoch im Spiel.
* Dread in bestimmten Szenarios, wo ein umgestürzter Turm bedeutet, dass der Charakter in der Klapse endet und aus dem Spiel ist (ist genau dein binärer Fall, wenn auch in einer erfrischenden Anwendung).
* Humanity in Vampire ist zwar nicht im engeren Sinne geistige Gesundheit, aber hat eine ähnliche Funktion.
* Humanity in Sorcerer kann ebenfalls als geistige Gesundheit definiert werden, macht aber keiner, weil Sorcerer besser mit Humanity-Definitionen funtioniert, die eine ethische oder moralische Dimension haben.
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: Chiarina am 2.01.2019 | 21:17
Macht mal weiter so! Ich stelle fest, dass ich viel zu wenig Systeme kenne. Das ist sehr interessant für mich!
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: Hotzenplot am 2.01.2019 | 21:17
Kennst du die Vorgehensweise von Don´t Rest Your Head? Dort kann sich ein Spieler dazu entschließen, Wahnsinnswürfel mitzuwürfeln, um seinen Pool zu erhöhen. Neben dem messbaren Erfolg einer Probe (also die Anzahl der Erfolge), kann man in DRYH noch feststellen, was dominiert - und das kann dann Wahnsinn sein. D. h., ob Erfolg oder Misserfolg, es gibt dann einen wahnsinnigen Ausgang ;)
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: Blizzard am 2.01.2019 | 22:09
Also Call of Cthulhu wurde ja schon genannt. Was mir sonst noch an weiteren Systemen so einfällt:

-> Shadows of Esteren: Verwendet im Prinzip ein ähnliches System wie Call of Cthulhu, aber in einer abgespeckten Variante. Und hier kann man auch Charaktere spielen, die bereits ein "Trauma" haben.

-> WarHammer Fantasy 2nd: Charaktere können Wahnsinnspunkte erhalten , z.B. durch kritische Treffer oder wenn entsprechende Willenskraft-Würfe (gegen Angst, Entsetzen,etc.) nicht geschafft werden.Hat der Charakter eine gewisse Summe an WAP angesammelt, kann er eine Geistesstörung entwickeln. Ist dies der Fall, verschwinden die WAP.

-> Deadlands:Classic. Hier kann ein Charakter auch wahnsinnig werden, wenn er den Mumm-Wurf nicht schafft. Im Gegensatz zu anderen Systemen gibt es aber hier keinen eigenen Wert oder ein eigenes Attribut für die geistige Gesundheit wie in CoC, über den das geregelt würde.
Titel: Re: Wahnsinn
Beitrag von: KhornedBeef am 2.01.2019 | 22:33
Die Erläuterungen zu CoC und Fate Core waren genau was ich auch dabei dachte :)
@andere Systeme: Delta Green ( das eigenständige) führt eine schlankere Version des Sanity Meters von Unknown Armies mit der Stabilität von CoC zusammen und führt Bonds und die zunehmende Entfremdung vom Umfeld ein  Für mich von der Handhabung her eh das "bessere" CoC.