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Pen & Paper - Rollenspiel => Pen & Paper - Rollenspieltheorien => Thema gestartet von: Dr.Boomslang am 8.09.2010 | 01:43

Titel: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Dr.Boomslang am 8.09.2010 | 01:43
Woanders ging es gerade um Immersion, und es kam mal wieder der Einwurf, Immersion sei so ein böses Wort das man nicht mehr benutzen solle, weil jeder sowieso was anderes drunter verstehe und es auch total subjektiv sei. Und selbst wenn es Immersion wohl gebe, so sei doch der Begriff gar nicht mehr sinnvoll nutzbar. Da ist sicher was dran, das ist eben ein Schicksal vieler aufgeladener Begriffe, auch wenn ich es persönlich bei Immersion noch nicht für so schlimm halte wie bei Railroading oder gar GNS.
Andererseits habe ich ein recht klares Verständnis von Immersion, das gar nicht wirklich kompliziert oder schwer zu verstehen ist, von dem ich glaube dass es die meisten auch kennen und verstehen. Deswegen möchte ich das hier mal vorstellen. Es geht dabei natürlich speziell um Immersion im Rollenspiel, also eine Immersion die für Rollenspiel, und hier insbesondere das Vorstellen von fiktiven Situationen, spezifisch ist .


***
Ich sehe im Wesentlichen einen Hauptpunkt der Begriffsverwirrung: Das Verhältnis von Immersion und Flow, bzw. manchmal deren Gleichsetzung.
Die beiden Erlebnisse haben durchaus was miteinander zu tun, auch wenn der Zusammenhang nicht sofort ganz klar ist. Sie sind schon mal nicht das Gleiche.
Flow bezeichnet einen Zustand, bei dem man sich völlig in eine Tätigkeit vertieft, dabei die Umgebung vergisst, Zeit verändert wahrnimmt, und sich allein dadurch gut fühlt nur diese Tätigkeit auszuführen. Abhängig ist das Erreichen von Flow nach der Theorie u.a. vom Grad der Herausforderung der Tätigkeit, der muss genau den Fähigkeiten des Handelnden entsprechen, er darf weder gelangweilt noch überfordert sein.
Immersion als Begriff ist nun ganz allgemein erst mal einfach nur ein Fremdwort für Eintauchen oder Vertiefen. Wenn man es also so betrachtet, ist diese allgemeine Form von Immersion eine notwendige Bedingung für Flow, denn ohne Vertiefung in die Tätigkeit kein Flow. Von dieser Immersion sprechen Leute die meinen sich in das Rollenspiel als Tätigkeit selbst zu vertiefen. Die sagen eigentlich nichts weiter, als dass sie sich intensiv mit dem Spiel beschäftigen und ihre Aufmerksamkeit darauf richten, um damit dann eventuell einen Flow beim Spielen zu erreichen. Hierunter fällt auch jede Konzentration auf bestimmte Aspekte des Spiels die einen (gerade) besonders interessieren, wie das System, Taktik, erschaffen von Dramaturgie, spielen von Charakteren u.s.w.
Diese Art von Vertiefung ist nicht besonders spezifisch für's Rollenspiel. Vertiefen kann man sich in nahezu jede Tätigkeit und jeden Gedanken, gerade wenn es eventuell Spaß macht, da ist Rollenspiel keine Ausnahme. Deshalb sollten wir das tatsächlich nicht Immersion nennen, ich denke aber auch dieser Gebrauch des Begriffs ist eher die Ausnahme, obwohl es natürlich erlaubt ist den Begriff so zu benutzen (gerade im Englischen wird Immersion so benutzt, weil es nun mal da kein wirkliches Fremdwort ist und deshalb so was wie Vertiefen bedeutet).
Flow allein ist also nicht gleich Immersion im Rollenspiel. Natürlich kann aber auch die Immersion um die es hier geht zu Flow führen, genauso wie eine Vertiefung in jede andere Tätigkeit auch zu Flow führen kann. Deshalb wird manchmal das Spezielle mit dem Allgemeinen verwechselt.

Was ist also Immersion, wenn nicht Flow?
Es ist das Eintauchen in die fiktive Situation selbst, das hat einen situativen, also auch räumlich, zeitlichen Aspekt. Ein Charakter kann dazu als Vehikel verwendet werden, muss aber nicht. Die Hauptsache ist: Die Vorstellung der fiktiven Situation nimmt dabei, zu einem gewissen Grad, den emotionalen Stellenwert einer quasi-realen Wahrnehmung der Situation ein. Diese Form der Immersion ist spezifisch für alle Präsentationen fiktiver Situationen, also nicht nur für's Rollenspiel. In Filmen, Erzählungen, und virtuellen Realitäten ist das ebenso möglich.
Auch ist ein Flow für diese Immersion nicht notwendig, aber natürlich häufig angestrebt, wenn es der Unterhaltung dient. Die Immersion selbst kann aber ohne Flow beginnen und auch bestehen. Insbesondere hat die Immersion selbst nichts direkt mit Leistung und gar nicht vordergründig mit der Handlung selbst (Vorstellen, Kommunizieren) zu tun. Auch muss sie nicht mal in jedem Moment als positiv empfunden werden, obwohl man sie dann wahrscheinlich lieber aufgibt (eventuell reflexartig).

Man kann natürlich versuchen einen klareren Begriff als Immersion für dieses spezielle Phänomen zu finden. Die im anderen Thread verlinkten Artikel sagen eigentlich ansonsten nichts neues, aber in einem wird ein Begriff für das Phänomen genannt, den ich sehr passend finde, und so noch nicht kannte: Telepräsenz. Dieser Begriff betont den situativen Charakter und ist damit eventuell sogar besser geeignet als das allgemeine Immersion. Ich weiß allerdings nicht wirklich, ob nicht dem Begriff dann das gleiche passiert wie allen anderen. Ich kämpfe auf jeden Fall nicht groß für seine Einführung. ;)
***


Jetzt würde mich natürlich interessieren, ob es da extreme Widersprüche gibt, oder ob ich mit meinem Verdacht richtig lag, dass das was ich da beschrieben habe, schon immer das war was alle meinten. Und natürlich ob alle überhaupt verstehen wovon ich spreche.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Hróđvitnir (Carcharoths Ausbilder) am 8.09.2010 | 04:46
Ich habe hier den Eindruck, dass Du gerade zwei verschiedene Wörter getrennt voneinander erklärt hast, aber jeweils der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt.

Naaah. Naaah. Und nochmals: Naaah. Er hat den Finger hier auf etwas. Wenn ich auch kein Theoriefreund bin, hier steckt etwas, etwas, das ich nur intuitiv begreife und nicht richtig beschreiben kann (passiert mir selten). Ein Spieler hats mir mal versucht zu schildern.

Es ist der Unterschied zwischen "Puuuh" und "Wow".

EDIT/ Vielleicht hier

Zitat
Die Hauptsache ist: Die Vorstellung der fiktiven Situation nimmt dabei, zu einem gewissen Grad, den emotionalen Stellenwert einer quasi-realen Wahrnehmung der Situation ein.

Ab diesem Punkt "bist Du dort". Mmmh. Ja. Aber, das ist es nicht ganz.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Alice Crocodile Coltrane am 8.09.2010 | 07:02
Find ich ne gute Definition.
Trotzdem nehme ich Immersion als eine Form des Flow an und bin daher von diesem Punkt nicht überzeugt:

Auch ist ein Flow für diese Immersion nicht notwendig,
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Dr.Boomslang am 8.09.2010 | 15:50
Eine vollständige Vertiefung ins Rollenspiel (bei Dir Flow genannt) ist für mich gleichbedeutend mit der Vorstellung einer fiktiven Situation mit quasi-realer Wahrnehmungstiefe
Ich glaube dir (und anderen) sofort, dass das bei dir gleichbedeutend ist, aber es muss eben nicht so sein. Erstmal ist eine Vertiefung ins Rollenspiel noch kein Flow (wir wollen man den Psychologen ihren schönen Begriff nicht kaputt machen ;)), da muss noch was dazu kommen. Flow ist eben nicht ein Synonym für Spaß, oder Aufmerksamkeit, das darf man nicht so verengen. Es gibt auch durchaus Flow ohne Immersion, auch beim Rollenspiel. Das Problem das zu unterscheiden liegt wahrscheinlich darin, dass ein Flow auch sehr leicht das Gefühl der Immersion induziert, insofern haben die wohl miteinander zu tun. Wenn ich beim Rollenspiel einen Flow bezüglich der Schaffung von Fiktion erlebe, wird es schwer fallen sich nicht gleichzeitig zumindest teilweise oder vorübergehend auch in der fiktiven Situation präsent zu fühlen. Flow erleichtert gewissermaßen die Immersion für manche bis hin zum Automatismus. Flow ist auch durchaus dazu geeignet Immersion deutlich zu vertiefen.
Das ist aber nur der Fall wenn der Flow sich auch tatsächlich auf die Schaffung von Fiktion bezieht. Beim Rollenspiel macht man ja auch noch andere Sachen, die aber zugegeben oft nicht so zentral sind. Es kann auch einfach ein Flow im Gespräch mit den Mitspielern entstehen, beim Konstruieren einer Story, oder beim Taktieren, oder das "Glücksspielgefühl" beim Würfeln im Kampf, das alles ohne dass ich mich besonders in die fiktive Situation hineinversetzen müsste, so als nähme ich sie mit meinen eigenen Sinnen wahr. Zumindest gibt es da deutlich unterschiedliche Tiefen, d.h. eine sehr oberflächliche Immersion ohne starkes Präsenzgefühl, muss den sonstigen Flow keinesfalls mindern und damit auch nicht den Spaß.

Die andere Seite ist dass Immersion den Flow nicht benötigt. Mit den richtigen Informationen kann man sich sofort präsent fühlen, ohne die Leistungskomponente von Flow, man hat ja nicht mal eine wirkliche Tätigkeit vor sich. In erster Linie ist dafür eine Vorstellung nötig die sich auf die für Wahrnehmung spezifischen Informationen konzentriert, die Informationen müssen adäquat für Sinne sein. Also visuelle, auditive und räumlich zeitliche Informationen.
Abstrakte Informationen die für andere Zwecke ausreichen, reichen nicht für Immersion, wenn sich daraus keine Situation ergibt. Die Ansprüche sind natürlich unterschiedlich wie sehr jemand bereit ist sich selbst Situationen zu konstruieren. Wenn im Spiel z.B. die Gruppe in eine Stadt kommt und ein Spieler will einkaufen und kauft sich ein Schwert, dann ist das allein erst mal nicht immersiv. Der normale Rollenspieler würde sagen die Sache wurde nicht "ausgespielt", obwohl natürlich das Einkaufen so oder so gespielt wurde, nur eben nicht situativ (wir wissen nicht wo, wie wann, wer da war, was gesagt wurde, usw.).
Situative Beschreibung allein macht nun aber auch noch keine Immersion. Deswegen habe ich es über die emotionale Bewertung definiert. Wie sehr ist der Spieler bereit die Situation emotional anzunehmen als quasi-reale Wahrnehmung? Wir sehen, Flow wäre dabei hinreichend für eine hohe emotionale Beteiligung. Allerdings geht es wie gesagt auch ohne. Man muss gar keine wirkliche Tätigkeit durchführen und keine Leistung bringen, man braucht sich nicht gefordert fühlen, man ist einfach woanders. Das liegt in erster Linie an der Fähigkeit und Bereitschaft Vorstellung als Wahrnehmung einzustufen.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Teylen am 8.09.2010 | 16:20
Meiner Meinung bzw. Auslegung nach bezieht sich die Immersion nicht notwendigerweise, und nichtmals vorder wiegen, auf das eintauchen in eine _fiktive_ Situation.

Ich sehe Immersion als das bedingungslos, konzentrierte eintauchen bzw. aufgehen in einen eingeschraenkten respektive konzentrierten Taetigkeits Bereich.
In Bezug auf Rollenspiele umfasst das sowohl die Definition sowie das fuehren des eigenen Charakter, die Wahrnehmung der anderen Beteiligten sowie die Verarbeitung des entsprechend beschriebenen Szeneario _als auch_ die Wahrnehmung und Anwendung der entsprechenden Mechanismen [Regeln, Wuerfeln].

Flow sehe ich, ohne die Definition der Psychologen zu kennen, als Beschreibung eines harmonischen bzw. konstanten Ablauf an.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Wulfhelm am 8.09.2010 | 16:52
Meiner Meinung bzw. Auslegung nach bezieht sich die Immersion nicht notwendigerweise, und nichtmals vorder wiegen, auf das eintauchen in eine _fiktive_ Situation.

Ich sehe Immersion als das bedingungslos, konzentrierte eintauchen bzw. aufgehen in einen eingeschraenkten respektive konzentrierten Taetigkeits Bereich.
Genau das ist eben eher Flow oder The Zone, oder wie man es sonst nennen mag. Minus die Konzentration; Flow beinhaltet meines Wissens nach eher ein Element der Konzentrationslosigkeit.
Flow erlebe ich bei P&P-Rollenspielen eigentlich nie, bei Computerspielen (Online-Taktikshooter) jedoch häufig. Wenn man da gerade so einen richtigen Lauf hat, dann funktioniert alles quasi wie von alleine. Du fasst Ziele auf, schießt, lädst nach, hechtest in Deckung etc., ohne selber überhaupt so richtig mitzukriegen, was Du da tust. Interessanterweise funktioniert das bei mir auch dann gut, wenn ich nebenbei noch etwas anderes im Sinn habe, mich zum Beispiel nebenbei über Skype zu unterhalten.

Unter Immersion verstehe ich etwas anderes, nämlich genau das: Sich selbst in ein fiktives Geschehen hineinzuprojizieren. Das funktioniert in Filmen, in Büchern, Computerspielen und eben auch in Rollenspielen. Das erzeugt Spannung.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Dr.Boomslang am 8.09.2010 | 17:28
Meiner Meinung bzw. Auslegung nach bezieht sich die Immersion nicht notwendigerweise, und nichtmals vorder wiegen, auf das eintauchen in eine _fiktive_ Situation.
Die Situation muss nicht rein fiktiv im Sinne von "rein gedanklich" sein, es kann auch ein Bild, ein Film, eine multimediale, virtuelle Welt, oder so was zur Hilfe genommen werden, was für viele die Immersion erleichtert. Man darf aber nicht vergessen dass es dabei nicht unbedingt auf Detailiertheit ankommt.

Ich sehe Immersion als das bedingungslos, konzentrierte eintauchen bzw. aufgehen in einen eingeschraenkten respektive konzentrierten Taetigkeits Bereich.
Genau das ist aber Flow (http://de.wikipedia.org/wiki/Flow_%28Psychologie%29), wovon ich hier versuche abzugrenzen. Flow bezieht sich auf Handlung und Motivation, Immersion auf Wahrnehmung, und da ist nicht direkt die Wahrnehmung der Tätigkeit oder die Selbstwahrnehmung gemeint.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 8.09.2010 | 19:06
Für mich sind Flow und Immersion auch keine Synonyme. Aber sie liegen so dicht beeinander, dass man sie durchaus verwechseln kann.

Flow bezeichnet einen Zustand, bei dem man sich völlig in eine Tätigkeit vertieft, dabei die Umgebung vergisst, Zeit verändert wahrnimmt, und sich allein dadurch gut fühlt nur diese Tätigkeit auszuführen.
Ich habe das Wort markiert, das ich für einen Schlüssel zum Verständnis halte. Der Kern des Flow ist die Handlung. Der besondere Charakter der Handlung (nicht zu leicht, nicht zu schwer, Ausblenden von allem anderem usw.) führt zu einer besonderen Empfindung, die die Handlung begleitet.

Und nun zur Immersion:
Die Hauptsache ist: Die Vorstellung der fiktiven Situation nimmt dabei, zu einem gewissen Grad, den emotionalen Stellenwert einer quasi-realen Wahrnehmung der Situation ein.
Hier sind die Schlüsselbegriffe bereits vormarkiert. Es beginnt mit der Wahrnehmung. In der besonderen Wahrnehmung der fiktiven Situation kann man natürlich handeln - das unterscheidet Rollenspiel vom Filmegucken, wo man ausschließlich wahrnimmt. Aber selbst wenn man in der besonders wahrgenommenen Vorstellung handelt, der Kern von Immersion ist die Wahrnehmung.

So jedenfalls würde ich die beiden Konzepte auseinanderhalten. Der Kern von Immersion ist das Erlebnis. Der Kern von Flow ist die (herausfordernde) Handlung. Leicht zu verwechseln sind die beiden, weil im Rollenspiel Immersion nicht vom Handeln abgekoppelt ist und der Flow besondere Erlebnisqualitäten hat.

Gut möglich, dass es beim Rollenspiel nicht nur Immersion, sondern auch Flow gibt. Man kann über die Darstellung des Charakters (-> herausfordernde Handlung) in den Flow geraten. Gut möglich, dass sich beides beim Rollenspiel so weit vermischen kann, dass eine Zuordnung nicht mehr möglich ist und man beides gleichwertig nebeneinander hat.

Wenn ich ausdrücken will, wie abgefahren es sich anfühlt, mit meinen Charakter eine schwierige Schlacht zu dirigieren, würde ich den Ausdruck Flow wählen. Wenn ich ausdrücken will, wie echt und intensiv sich die Welt angefühlt hat, in die ich eingetaucht bin, würde ich von Immersion sprechen.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Alice Crocodile Coltrane am 8.09.2010 | 19:27
Ist die Trennung von wahrnehmungslastigen und handlungslastigen Abläufen denn wirklich so relevant für die Definition von Flow bzw. Immersion?
Oder liegen nicht vielmehr dieselben kognitiven Mechanismen zugrunde?
(Automatisches Ausblenden störender Informationen aus der Umgebung, Unterdrückung von Metakognitionen, erhöhte Aktivierung des Frontalhirns,...)
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Fredi der Elch am 8.09.2010 | 19:35
Es ist das Eintauchen in die fiktive Situation selbst, das hat einen situativen, also auch räumlich, zeitlichen Aspekt. Ein Charakter kann dazu als Vehikel verwendet werden, muss aber nicht.
Ich bin von dem Ansatz nur teilweise überzeugt. Ich habe in vielen Diskussionen den Begriff "Immersion" immer als "Immersion in einen Charakter" erklärt bekommen. Es wurde von selbsternannten "Immersionsspielern" immer wieder behauptet, dass dies der wichtigste und auch ein unerlässlicher Aspekt von Immersion sei. Zum Teil haben wir das hier schon mal diskutiert (nur weil es 4 Jahre alt ist, ist es nicht schlecht ;) ):
[Offen – Psychologisch] Immersion als (Auto-)Suggestion (http://tanelorn.net/index.php/topic,27194.0.html)


Da es also (anscheinend) doch mehrere unterschiedliche "Verständnisse" von Immersion gibt, sollte der Begriff weg oder zumindest genauer definiert werden. Und da finde ich "Telepräsenz" als eine Art "Situationsimmersion" (eben nicht spezifisch auf den Charakter konzentriert) gut. Nur sollte dieses spezielle "In-den-Charakter-schlüpfen" auch einen fancy Namen bekommen, damit alle glücklich sind. :)
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: ErikErikson am 8.09.2010 | 19:41
Wie wäre es, wenn man auch ein Wort hat für den Zustand, das man sich hauptsächlich aufs Spiel konzentriert und nicht nebenher ans Essen denkt, oder an das letzte Date oder so?
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Wulfhelm am 8.09.2010 | 19:55
Ich bin von dem Ansatz nur teilweise überzeugt. Ich habe in vielen Diskussionen den Begriff "Immersion" immer als "Immersion in einen Charakter" erklärt bekommen.
Immersion funktioniert auch in anderen Medien über Charaktere. In Rollenspielen muss man sich im Regelfall keine Gedanken darüber machen, wer die Identifikationsfigur ist.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Dr.Boomslang am 8.09.2010 | 21:47
Ist die Trennung von wahrnehmungslastigen und handlungslastigen Abläufen denn wirklich so relevant für die Definition von Flow bzw. Immersion?
Oder liegen nicht vielmehr dieselben kognitiven Mechanismen zugrunde?
Zu den kognitiven oder neuronalen Mechanismen kann ich natürlich wenig sagen, da bin ich nicht der Experte. Da ist es aber sowieso schwierig zu sagen was "ein" Mechanismus ist (ich meine es findet schon mal alles größtenteils im Hirn statt ;D ).
Ich unterscheide eher phänomenologisch. Flow ist nun mal so definiert, dass eine Handlung mit klaren Ziel zugrunde liegt und ein gewisser Grad der Herausforderung gehalten wird. Immersion hingegen ist ein Phänomen der Wahrnehmung einer Situation (wie Fredi es nannte, eine Form der Autosuggestion). An mehr Bedingungen ist das erst mal nicht geknüpft, insbesondere haben wir noch nicht gesagt wie das zu erreichen ist. Die Bedingung der angemessenen Leistung die beim Flow gefordert wird sehe ich nicht bei der Immersion. Da Flow aber auch auf Sachen wie Meditation ausgeweitet wird, bin ich mir ehrlich gesagt nicht sicher.
Ich weiß auch nicht ob das in der Psychologie so sein soll, dass quasi jede nicht-pathologische Veränderung der Wahrnehmung Flow notwendig macht. Ist das so? Ist z.B. jede (Auto-)Suggestion immer auch Flow? Da könnt ihr ja im Zweifel mal nachforschen.

Im Zweifel ist Flow eben doch eine notwendige Bedingung für Immersion, wobei die aber trotzdem so viel spezifischer ist dass Flow viel zu wenig sagt. Wir haben dann einen Flow der sich speziell auf Fiktion und dort speziell auf den situativen Aspekt bezieht.


Ich habe in vielen Diskussionen den Begriff "Immersion" immer als "Immersion in einen Charakter" erklärt bekommen.
Ja, das habe ich nur kurz gestreift. Die Telepräsenz ist für Charakterimmersion schon mal notwendige Bedingung. Charakterimmersion ist also noch spezieller. Dass die meisten Rollenspieler davon berichten, dürfte daran liegen, dass die meisten Charaktere spielen und meistens auch noch immer den gleichen.
Für eine situative Projektion der eigenen Wahrnehmung ist auch eine quasi-körperliche Präsenz notwendig, d.h. irgend eine Art von Person, ein Wahrnehmender, muss da immer anwesend sein. Dass man dafür in erster Linie den gespielten Charakter verwendet dürfte nicht erstaunlich sein. Die Wahrnehmung der Situation weitet sich dann auf das Gefühlsleben des Avatars aus, es kommt also ein körperlicher Aspekt dazu.
Diese Formen von Immersion sollte man tatsächlich nochmal zusätzlich unterscheiden. Wobei ich tatsächlich auch denke das Charakterimmersion sehr häufig ist, aber ich denke es wird häufig hin und her gesprungen. Die Präsenz im Charakter ist also nicht kontinuierlich, selbst wenn die Präsenz in der Situation es ist. Allerdings kann Immersion auch sowas wie "die Kamera", der körperlose Beobachter sein, Hauptsache situiert. Aber das sind Details ;)

PS: Wo ich gerade in unsere alte Diskussion von vor 4 Jahren nochmal rein geguckt habe, fällt mir auch auf, dass es damals schon extrem um die Abgrenzung von Wahrnehmung und Handlung in der Immersion ging. Damals war das Verständnis noch eher so dass Immersion als Spielstil galt, und jeder Spilstil wurde daran festgemacht was Spieler machen um etwas bestimmtes zu erreichen (um Wahrnehmung ging's bis dahin nur am Rande). D.h. auf eine gewisse Art mit seinem Charakter zu handeln konnte dann immersiv sein oder nicht, je nachdem wie sich ein Spieler verhalten hatte (so nach dem Motto "in Charakter"-Entscheidungen sind immersiv). Ich denke das ist ein völliger Irrweg. Handlung ergibt sich vielleicht aus dem Empfinden der Immersion, aber es ist nicht das Bezeichnende.

PPS: Die Trennung von Wahrnehmung und Handlung der Spieler im Rollenspiel finde ich sowieso enorm bedeutend, da Handlungen jedes Spielers ja nur integrativ stattfinden können (Lumpley-Prinzip und so), Wahrnehmung hingegen bleibt zu einen großen teil individuell. Aber das nur mal so...
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: ErikErikson am 8.09.2010 | 21:53
Ich glaube bei Flow muss eine herausfordernde Handlung vorhanden sein. (Handlung als bewusstes, zielgerichtetes Verhalten.) Die darf nicht unterbrochen sein. Ich denke also, das Flow immer vorraussetzt, das man aktiv handelt. Reines Passives Rezipieren kann dann kein Flow sein, und auch wenn passives Erleben zeitweise vorkommt, ist es schon kein Flow. 
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 8.09.2010 | 22:38
Oder liegen nicht vielmehr dieselben kognitiven Mechanismen zugrunde?
(Automatisches Ausblenden störender Informationen aus der Umgebung, Unterdrückung von Metakognitionen, erhöhte Aktivierung des Frontalhirns,...)
Ich glaube nicht. Aber mir fehlen die Beweise. :-\
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Alice Crocodile Coltrane am 8.09.2010 | 22:43
Im Zweifel ist Flow eben doch eine notwendige Bedingung für Immersion, wobei die aber trotzdem so viel spezifischer ist dass Flow viel zu wenig sagt. Wir haben dann einen Flow der sich speziell auf Fiktion und dort speziell auf den situativen Aspekt bezieht.

Ja, so würde ich es jedenfalls sehen.

Mal subjektiv gesprochen:
Ich bin war sehr flowanfällig, sei es auf Wahrnehmung (Film schauen) oder Handlung (Zeichnen) bezogen.
Das Erleben ist bei beidem für mich identisch.
Ich fokussiere mich auf etwas das ich sehe oder tue, bekomme einen "Tunnelblick" und kriege nicht mehr mit, was sonst noch so um mich rum passiert. Leute können mich direkt mit Namen ansprechen, das Telefon kann minutenlang klingeln, Stunden können unbemerkt vergehen.
(Ich sollte das mal beim Übersetzen kriegen, dann käm ich mal vorwärts...  ::))
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Wulfhelm am 8.09.2010 | 23:21
Ich glaube bei Flow muss eine herausfordernde Handlung vorhanden sein. (Handlung als bewusstes, zielgerichtetes Verhalten.) Die darf nicht unterbrochen sein. Ich denke also, das Flow immer vorraussetzt, das man aktiv handelt. Reines Passives Rezipieren kann dann kein Flow sein, und auch wenn passives Erleben zeitweise vorkommt, ist es schon kein Flow. 
Exactomundo.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Dr.Boomslang am 9.09.2010 | 00:02
@ Wulfhelm
Bist du Psychologe? Wir brauchen hier Bestätigung von Autoritäten ;D Oder hast du Quellen?

@ Alice
Was du beschreibst klingt für mich zwar nach Flow, aber wo ist das das Immersionserlebnis, wo ist die Telepräsenz?

@ Beral
Warum in Spoilern? Da sind doch sehr interessante Ideen zum Thema drin:

Außerdem spielen Emotionen hier eine andere Rolle als beim Flow. Sie sind deutlich vielfältiger, man kann sich beispielsweise in total schreckliche und traurige Situationen immersieren. Solche Gefühle sind beim Flow ausgeschlossen.
Sehe ich genauso. Alles was man wahrnehmen kann, kann man auch in der Imersion erleben. Durch die Einstufung als Wahrnehmung vermeidet man eine distanzierte, analytische oder allzu dissoziierte Betrachtung des Geschehens, mit (fast) allen Konsequenzen die das haben kann.

Bei Immersion muss es irgendwas geben, das dafür sorgt, dass das beschriebene Medium (Char, Spielwelt, Film, Buch, was auch immer) den Immersierenden einsaugt. Es muss eine Passung zwischen Medium und Individuum geben.
Ja, zwei Elemente die diese Bindung erzeugen habe ich schon angerissen:
Erstens braucht es Eindrücke (oder deren Schilderung), die der unmittelbaren, sinnlichen Wahrnehmung des Menschen adäquat sind.
In der virtuellen Realität bezieht sich das z.B. auf Exklusivität der Kanäle (VR-Brille, Kopfhörer) um "Rauschen" zu vermeiden. Im Rollenspiel fallen darunter z.B. Art der Beschreibung, aber auch solche Dinge wie Kongruenz von Spielumgebung und fiktiver Situation.
Zweiter Punkt ist die emotionale Bewertung der Eindrücke. Das ist der wichtigere Punkt (wobei man z.B. bei vollständiger Isolierung der Sinne von allen anderen Eindrücken außer der VR kaum noch eine Wahl hätte, im Rollenspiel wohl eher nicht möglich). Dabei kommt es in erster Linie auf Selbstkonditionierung und Übung an, aber z.B. auch auf solche Sachen wie ob die Situation angenehm ist.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 9.09.2010 | 00:33
Erstens braucht es Eindrücke (oder deren Schilderung), die der unmittelbaren, sinnlichen Wahrnehmung des Menschen adäquat sind.
Genauer genommen dem Individuum und nicht dem Menschen allgemein. Das gesprochene Wort als Eindruck ist allen Menschen zugänglich. Aber die gleiche gesprochene Beschreibung wirkt auf die eine Person stark und die andere gar nicht. Superheldengeschichten nach USA-Stil mögen seinen Anhängern problemlos einen immersiven Zugang ermöglichen, bei mir regt sich dabei nichts. Es muss also zum Individuum passen, und zwar nicht nur "mechanisch" (-> Sprache verstehen reicht nicht). Und da können wir meiner Meinung nach ein paar Punkte einkreisen:
- Emotionale Bindung an die Inhalte, in die man immersiert (hast du im zwiten Punkt genannt).
- Inhaltliche Kohärenz der Inhalte. Widersprüche zerstören den Inhalt, den man sich in der Fantasie aufbaut. Es darf ihrer also nicht zu viel geben.

Je mehr das gegeben ist, desto wahrscheinlicher ist die Immersion.

Cool, hier schließt sich ein Kreis (bei mir zumindest). Wir haben im Prinzip die Erklärung, warum alle erfolgreichen Geschichten immer nur Abwandlungen von ein paar immergleichen Strukturen sind. Und zwar psychologischer Strukturen. Solche Geschichten ermöglichen die Immersion. Weil sie im Kern eine Struktur haben, die jeder von uns als entwicklungspsychologische und emotionsgeladene Erfahrung mit sich trägt, bieten sie sowohl eine emotionale Anknüpfung als auch das Gefühl von Kohärenz. Eigentlich sollte ich diesen letzten Absatz löschen, den versteht garantiert keiner. Sei's drum. Einfach gesagt: Es ist kein Zufall, dass Rollenspiel am häufigsten daraus besteht, als Held auszuziehen, den Drachen zu töten und den Schatz einzusacken. Hat man diese Struktur integriert, ist der Erfolg schon halb geebnet. Weicht man von den wenigen universellen Strukturen ab, kann man sich sicher sein, mit seinem Produkt ein Nischendasein zu führen.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Dr.Boomslang am 9.09.2010 | 01:14
Das gesprochene Wort als Eindruck ist allen Menschen zugänglich. Aber die gleiche gesprochene Beschreibung wirkt auf die eine Person stark und die andere gar nicht.
Mit Sinnesadäquatheit meinte ich in erster Linie erst mal, dass überhaupt Sinneseindrücke beschrieben werden, oder zumindest solche Informationen die Sinneseindrücke erschließen lassen. Die Art der Vermittlung dieser Inhalte ist im Rollenspiel ja sehr begrenzt auf Möglichkeiten der Kommunikation unter Menschen. Es ist aber z.B. natürlich sinnesadäquater zu (schau)spielen wie sich ein Charakter verhält (weil dabei visuelle Information direkt vermittelt werden), als es nur zu erzählen.
Darüber hinaus kommt es mir auf die Inhalte eigentlich nicht an, also was für Situationen beschrieben werden fällt nicht unter diesen Punkt sondern den zweiten, die emotionale Nähe, obwohl ich da die Inhalte auch nicht für ganz so wichtig halte, eher grundsätzliche Bereitschaft.

Ich glaube auch nicht dass es so ganz riesige Unterschiede in der Beurteilung adäquater Sinneseindrücke gibt. Es gibt da auch Prioritäten. Visuelle Informationen sind z.B. sehr wichtig. Insbesondere räumliche Informationen in Bezug auf den Beobachter erzeugen eine Telepräsenz nahezu unwillkürlich sofort (das steht neben dir, da drüben ist der Typ, der Raum ist niedrig, u.ä.), deswegen (neben dem taktischen Aspekt) gab es auch früher diese Besessenheit mit Maßen und Raumbeschreibungen. Gerade räumliche Nähe und die Wirkung von Kräften hat auch eine besondere Bedeutung.
Beschreibungen körperlicher Empfindungen erleichtern das Einfühlen in einen Charakter usw.

Das sind alles Sachen die schon früher unter Techniken für gutes Erzählen vermittelt wurden. Dabei kommt es auch nicht unbedingt auf Detailversessenheit bei der Schilderung an (damit wurde das oft verwechselt, aber gute Erzähler wussten das auch schon), sondern nur darauf, das überhaupt ein Sinnesbezug hergestellt wird, oder ausreichend Information aber auch Faszination um in die Szene zu gehen.


Wir haben im Prinzip die Erklärung, warum alle erfolgreichen Geschichten immer nur Abwandlungen von ein paar immergleichen Strukturen sind. Und zwar psychologischer Strukturen. Solche Geschichten ermöglichen die Immersion. Weil sie im Kern eine Struktur haben, die jeder von uns als entwicklungspsychologische und emotionsgeladene Erfahrung mit sich trägt, bieten sie sowohl eine emotionale Anknüpfung als auch das Gefühl von Kohärenz.
Ja, finde ich eine gute Erklärung. Nur geht das natürlich weit über Immersion hinaus und betrifft das gesamte menschliche Denken und Empfinden. So ist übrigens Narrativismus definiert (über "menschliche" Themen).
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Alice Crocodile Coltrane am 9.09.2010 | 07:46
@ Alice
Was du beschreibst klingt für mich zwar nach Flow, aber wo ist das das Immersionserlebnis, wo ist die Telepräsenz?

Also da fällt mir doch auf, dass ich das früher schlicht und einfach Tagträumen nannte  ::)
Den Tunnelblick auf den inneren Bildschirm gerichtet, nicht wahrnehmend, was sonst um einen rum ist.
Von mir aus auch auf den externen Bildschirm, wenn einen die Story verschlingt.

Ja, ich verstehe schon, worauf du hinaus willst.
Ich kann einen Leseflow haben, mir aber sehr wohl bewusst sein, dass ich lese...
Aber ich kann auch einen Storyflow haben, der es mir erlaubt, ganz in die Geschichte einzutauchen.
Zwei völlig verschiedene Fokusse bei derselben Tätigkeit, zwei völlig verschiedene Ergebnisse.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Wulfhelm am 9.09.2010 | 11:30
@ Wulfhelm
Bist du Psychologe? Wir brauchen hier Bestätigung von Autoritäten ;D Oder hast du Quellen?
Nur einen Kumpel, der das studiert und mir so erklärt hat.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 22.08.2012 | 17:03
Thread-Nekromantie!

Ich bin heute zufällig über eine Veröffentlichung (http://www.uni-trier.de/fileadmin/fb1/prof/PSY/PGA/bilder/BaumannScheffer_Flow_CEM_2010_02.pdf) gestolpert, die richtig Substanz in die Diskussion bringt.

Es hat mit der PSI-Theorie (http://psi-schweiz.ch/pdf/PSI-light_Kuhl2005.pdf) zu tun, die ich schon weiter oben erwähnte. Die Studien in dem obigen Paper bauen auf der PSI-Theorie auf.

Ganz kurz auf das allerwichtigste zusammengefasst: Es gibt eine Handlungsachse und eine Erlebensachse im Gehirn. Beide Achsen kann man sich als eine Wippe vorstellen:
(http://www.fertighäuser.de/wp-content/uploads/2011/03/wippe-1024x843.jpg)

An den Enden der Wippe sind psychologische Subsysteme, von denen jeweils nur eins aktiviert sein kann, so wie bei einer Wippe nur ein Ende runtergedrückt sein kann. Affekte sind die Gewichte, die die Wippe zur einen oder anderen Seite runterdrücken.

Die Handlungsachse wird vom positiven Affekt gesteuert. Ist viel positiver Affekt da, geht das eine Ende der Wippe runter. Ist kein positiver Affekt da, geht das andere Ende der Wippe runter. Positiver Affekt ist mit dem System des Handelns verknüpft. Hier werden wir aktiv und tun etwas. Fehlender positiver Affekt ist mit dem System des Planens verknüpft, hier wird das Problem analysiert, die Schwierigkeit geschätzt, ein Plan zur Umsetzung erstellt. Beides gleichzeitig ist nicht! Besorgt man sich positiven Affekt, um zu handeln, deaktiviert man das Planungssystem, das ja durch fehlenden positiven Affekt angetrieben wird. Die Wippe kann sich nicht zu beiden Seiten gleichzeitig neigen.

Und dann gibt es da noch den Flow. Das ist der besondere Zustand, in dem die beiden Wippenenden der Handlungsachse in ein dynamisches Gleichgewicht gebracht werden. Abwechselnd wird das eine und das andere Ende runtergedrückt. Dafür muss die Person sehr flexibel in der Aktivierung und Herabregulierung des positiven Affekts sein. Die Umstände können dabei helfen. Das Ergebnis ist der Flow. Die verlinkte Studie erbingt einen Beleg für diese Erklärung. (Ihr müsst es nicht lesen, außer ihr seid besonders neugierig oder ungläubig.)

Meine Hypothese aus einem der obigen Beiträge muss ich damit revidieren. Flow ist nicht das Verharren im System des Handelns (IVS), sondern ein dynamisches Pendeln zwischen Analyse und Handeln. Das ist jetzt viel mehr als eine Hypothese, weil durch die drei Studien eindrucksvoll belegt.

Kommen wir zur zweiten großen Achse, der Erlebensachse. Sie funktioniert auch nach dem Prinzip der Wippe, aber hier ist es negativer Affekt, der die Wippenenden runterdrückt. Ist negativer Affekt da, nehmen wir Einzelheiten sehr sensibel wahr. Fehlt negativer Affekt, aktiviert das den großen Überblick, der die gesammelte Lebenserfahrung beinhaltet. Das sind die beiden Systeme der Erlebensachse. Auch für diese Achse gilt, dass nur eines der Systeme gleichzeitig aktiv sein kann, so wie bei der Wippe nur ein Ende runtergedrückt sein kann.

Außer... ja außer, wir haben es mit Immersion zu tun. Die empirischen Nachweise hören hier auf, aber wenn man die Resultate der Flow-Untersuchungen nimmt und sie mit der zugrundeliegenden Theorie abgleicht, fügt sich Immersion als Puzzlestein sehr eindeutig ins Bild. Entgegen meiner früheren Hypothese ist es nicht das System des großen Überblicks (EG) allein, das die Immersion erklärt, sondern das dynamische Wippen auf der Erlebensachse. Bildlich ausgedrückt werden bei diesem Prozess kleine Erlebnispackete in Echtzeit in die Wahrnehmung des Großen & Ganzen integriert. So fließend geht das, dass man das Hin und Her gar nicht bemerkt. Das ist das gefühlte "Eintauchen". Die Wahrnehmung bleibt im Fluss, insofern, dass ständig Nachschub an neuen Erlebnisinhalten kommt, und zwar gerade so schnell, dass man diesen Nachschub flüssig in die bereits bestehende Erlebnislandschaft einfügen kann.

Ist die Trennung von wahrnehmungslastigen und handlungslastigen Abläufen denn wirklich so relevant für die Definition von Flow bzw. Immersion?
Ja! Schon in der Theorie ist die Trennung der Handlungs- und Erlebensachse so relevant wie die Trennung von Tag und Nacht. Im verlinkten Paper gibt es dazu einen kleinen Nebenbefund. In einer der Studien wurde zur Kontrolle nicht nur der Einfluss von positiven Affekt auf den Flow untersucht, sondern auch der Einfluss von negativem Affekt. Wie erwartet gab es keinen Zusammenhang zwischen negativem Affekt und Flow. Die "Flow-Achse" ist die Handlungsachse. Negativer Affekt hat hier keine Steuerfunktion.

Dass Immersion weniger mit Handeln und mehr mit Wahrnehmung zu tun hat, hatten wir schon weiter oben festgestellt. Wir wissen nun, dass Flow sehr eng mit der Handlungsachse verknüpft ist und die Elemente der Wahrnehmungsachse keinen Einfluss auf den Flow haben. Für Immersion können wir folgerichtig annehmen, dass sie mit der Wahrnehmungsachse verbunden ist und die Handlungsachse keinen Einfluss darauf nehmen wird.

Das ist eine sehr hübsche Trennung. Theoretisch und empirisch ist dieses Konzept weit mehr abgesichert, als es im Bereich der Rollenspieltheorie üblich ist.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: ErikErikson am 23.08.2012 | 11:05
Der zweite Link geht nicht.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 23.08.2012 | 12:42
Ist korrigiert, danke für den Hinweis.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Eulenspiegel am 2.10.2012 | 23:35
Dass Immersion weniger mit Handeln und mehr mit Wahrnehmung zu tun hat, hatten wir schon weiter oben festgestellt. Wir wissen nun, dass Flow sehr eng mit der Handlungsachse verknüpft ist und die Elemente der Wahrnehmungsachse keinen Einfluss auf den Flow haben. Für Immersion können wir folgerichtig annehmen, dass sie mit der Wahrnehmungsachse verbunden ist und die Handlungsachse keinen Einfluss darauf nehmen wird.
Also kann man sagen, der LARPer ist im Flow, der Fernsehzuschauer ist in der Immersion und der Pen&Paper RPGler ist irgendwo dazwischen: Geringerer Input als beim Fernsehen oder Bücherlesen und weniger Output als beim LARP.

Btw, bei der Studie geht es um achievement flow. Das heißt, es kann noch eine Reihe von anderen Flows geben, die mit dem achievment flow eher wenig zu tun haben und auch anders ausgelöst werden können.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 3.10.2012 | 11:20
Also kann man sagen, der LARPer ist im Flow, der Fernsehzuschauer ist in der Immersion und der Pen&Paper RPGler ist irgendwo dazwischen: Geringerer Input als beim Fernsehen oder Bücherlesen und weniger Output als beim LARP.
Es muss wohl nicht so sein, aber die Möglichkeit besteht, dass das überdurchschnittlich häufig anzutreffende Kombinationen sind. Beim Fernsehen ist man als passiver Konsument wohl tatsächlich auf Immersion festgenagelt. Beim LARP kann es beides geben. Immersion beim LARP äußert sich darin, in der Fantasiewelt aufzugehen. Bei p&p gibt es ebenfalls beides. Wichtig bei Immersion ist nicht die größtmögliche Menge des Inputs, sondern dass der vorhandene Input genau der maximalen Verarbeitungskapazität (bzw. Einordnungskapazität) entspricht. Der limitierende Faktor ist die Verarbeitungskapazität, der Input muss sich daran anpassen. p&p steht daher nicht unbedingt im Nachteil, was das Auslösen der Immersion angeht. Probleme ergeben sich eher aus organisatorischen Punkten. Mehrere Spieler stören sich gegenseitig daran, sich in Ruhe auf die Wahrnehmung zu konzentrieren. In dieser Hinsicht hat ein Buch oder ein Film die besseren Karten.

Btw, bei der Studie geht es um achievement flow. Das heißt, es kann noch eine Reihe von anderen Flows geben, die mit dem achievment flow eher wenig zu tun haben und auch anders ausgelöst werden können.
Flow ist seit jeher und per Definition ein achievment Flow. Das Wechselspiel zwischen anspruchsvoller Zielsetzung und ihrer Gerade-noch-Bewältigung ist genau das Themengebiet von achievment. In populären Darstellungen wird die definitorische Koppelung von Flow an das Leistungsmotiv nicht immer hervorgehoben.

Im p&p gibt es sehr gute Möglichkeiten, um Flow zu erleben. Der SL setzt Spielern Herausforderungen, die diese gerade so bewältigen sollen. Dabei spielt die Eigenmotorik der Spieler zwar keine Rolle - sie müssen nicht selbst hauen und ausweichen -, aber das ist auch gar nicht notwendig, um das Leistungsmotiv zu aktivieren. Geistige Herausforderungen sind dem Leistungsmotiv genauso zugänglich wie körperliche. Man denke nur an all die Brettspiele. Wichtig ist nur, dass die Herausforderung eine echte Herausforderung ist, also schwer zu bewältigen ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns beinhaltet. Sobald die Spieler merken, dass sie eigentlich kaum verlieren können, kann sich bei ihnen kein Flow mehr einstellen.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: גליטצער am 3.10.2012 | 11:45
Ich find' ja die Definitionen von Flow dermassen nebulös (und nur schwer von Hyperfokus unterscheidbar) dass ich darüber eigentlich nicht wirklich diskutieren will, ehe das einer wirklich laienverständlich definiert und das Dreieck Immersion/Hyperfokus/Flow voneinander abgegrenzt hat.

PS: Und die Definition von irgendeinen dahergeloffenen Theoretikers ohne mindestens einen BSc in Psychologie werde ich dafür nicht akzeptieren, ausser er ist schon vorher durch vernünftige Veröffentlichungen zum Thema aufgefallen.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 3.10.2012 | 12:10
Was ist Hyperfokus?
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: גליטצער am 3.10.2012 | 12:35
Was ist Hyperfokus?
Tja diese Frage stellst Du Dir nicht allein. Ein typische Sysmptom bei AD(H)S das genausowenig verstanden ist, wie der Flow.
Hier der Wikipediaartikel dazu: http://en.wikipedia.org/wiki/Hyperfocus
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 3.10.2012 | 14:46
Flow ist sehr gut verstanden.

Zum Hyperfokus kann ich nicht viel sagen. Es wird in einem Atemzug mit ADHS genannt. Möglicherweise spielt mangelnde Selbstregulation eine Rolle als Mediator, so dass statt eines normalen Flows die Extremform des Hyperfokus auftritt.

Die Untersuchung von Pathologien kann hilfreich sein, um den Normalfall besser zu verstehen. Sich darauf zu versteifen lohnt sich jedoch nicht, wenn man eigentlich am Normalfall interessiert ist. Der Flow ist mittlerweile gut genug untersucht und theoretisch erklärt, als dass man sich noch über pathologische Formen an seinen Wesenskern annähern müsste.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 25.11.2012 | 21:43
Ausführliches Zitat aus einem anderen Thread (http://tanelorn.net/index.php/topic,78407.0.html), weil es inhaltlich unbedingt hier rein gehört:

Eine These, die ich abschließend noch zu Immersion habe, möchte ich noch aus meiner Erfahrung heraus anbringen: [....]

Immersion ist prinzipiell bei mir (und ich denke das trifft auch auf viele andere Spieler zu) eine emotionale Sache. Es ist mehr ein "Reinfühlen" als ein "Reindenken".

Insofern habe ich die intensivsten Immersionsphasen auch in In-Game-Situationen gehabt, die meinen SC auf einer emotionalen, moralischen, sozialen Ebene angesprochen haben – und diese Szenen sind in den meisten RPGs weit abseits dessen, was mit dem realistischen Regelwerk abgebildet wird: Wo man einen Gefallenen beweint, einen ehemaligen Freund verstößt, den ersten Kuss mit der Liebsten hat, eine Entscheidung zwischen zwei undenkbaren Alternativen abwägen muss, einen Plan aufgehen oder verfallen sieht... da schlägt die Immersion bei mir gnadenlos zu. Einfach weil ich das Gefühl habe: Diese Figur, die ich gerade verkörpere ist menschlich. Sie hat Ziele, Wünsche, Hoffnungen. Sie hat Dinge, die ihr wichtig sind. Sie hat Dinge, die sie hasst. Dieses Gefühl von Verbundenheit und Identifikation mit der Figur und mit der Synchronisation ihrer Gedankenwelt mit der meinen erreiche ich nicht darüber, dass das Schwert der Figur realistischerweise +3W Schaden macht. Das erreiche ich voll über den Faktor des "Hineintauchens" als eines "Hineinfühlens" und nicht eines "Hineinrationalisierens". Sämtliche denkwürdigen Szenen, in denen ich starke Immersion verspürte, waren von dieser Art.

Möglicherweise ist meine Beobachtung von oben doch korrekt: Spieler, deren SoD ihnen bei der Immersion in den Weg kommt, denken zu stark auf einer übergeordneten Ebene (und damit genauso außerhalb der Figur wie die Meta-Regel-Fans). Ob ein Auto explodiert oder jemand Superkräfte hat oder Magie in der Welt ist: Das macht keinen Unterschied für die Gedanken- und Gefühlswelt der Figur, in die ich mich hineinversetze. Immersion geht ohne Realismus, weil die Bereiche, in denen ich, und viele andere, mit denen ich das Vergnügen hatte zu spielen, ihren immersionistischen Zugang außerhalb der Regeln finden. Wenn man merkt, dass es der Figur um was geht, dann findet man auch in sie hinein.
Goldrichtig ist die Unterscheidung zwischen Reinfühlen und Reindenken. Nur das Reinfühlen ist der Immersion dienlich. Rationalisieren hingegen steht der Immersion entgegen.

Falls jemanden die Theorie hinter dieser feinsinnigen Beobachtung von Hank Scorpio interessiert:
Reinfühlen, wie es im Zitat beschrieben ist, ist eine Funktion des Extensionsgedächtnisses. Und dieses ist, wie oben schon erläutert, das eine Ende der Wippe, auf der Immersion stattfindet.
Rationalisierendes Reindenken ist die Funktion eines ganz anderen Gehirnmoduls. Eine reibungslose Zusammenarbeit des Reindenkens und Reinfühlens ist zwar nicht ausgeschlossen, in der Praxis aber doch selten anzutreffen, weil die Systeme einander im Grunde genommen gegenseitig behindern. Aber selbst wenn man es schafft, Denken und Fühlen Hand ind Hand arbeiten zu lassen, hilft es der Immersion nicht weiter. Fazit: Das Reindenken steht der Immersion bestenfalls nicht allzu sehr im Weg; in der Regel stört es die Immersion, weil es das Reinfühlen behindert. Das Reinfühlen wiederum ist elementar für Immersion.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: El God am 25.11.2012 | 22:29
Zitat
Fazit: Das Reindenken steht der Immersion bestenfalls nicht allzu sehr im Weg; in der Regel stört es die Immersion, weil es das Reinfühlen behindert. Das Reinfühlen wiederum ist elementar für Immersion.

So gemeint?

Kann dem übrigens sogar zustimmen.
Titel: Re: Eine Definition von Immersion
Beitrag von: Beral am 26.11.2012 | 10:28
Natürlich ist in diesem Satz Reinfühlen gemeint. Habe den Fehler korrigiert.