„Scheißendreck, Leute, habt Ihr auch so einen Mörder-Kohldampf wie ich?“, fragt plötzlich Ribkick über den Motorlärm in die Stille. Seine Stimme klingt rau, man könnte sich direkt davor fürchten.
„Leider nur noch Klimpergeld in den Taschen“, sagt Lousy Five Bucks, eigentlich unpassend zu seinem Namen.
„Kein Ding, wir haben Stammes-Geld dabei“, sagt Simon, „Die Ältesten schicken uns doch nicht ganz rüber zur Ostküste, ohne uns Budget mitzugeben, allein schon wegen Tanken!“
„Immerhin haben sie uns
Cash gegeben, und keine
Naturalien“, sagt Do-Not-Eat-The-Shrooms in ihrer etwas leiernden Stimme, „weißt Du noch, Ribkick, wie wir nach Washington mussten, mit nix zu fressen als der Schweinehälfte hinten auf der Rückbank?“
„Ja, schöner Schweinkram war das, diese Fahrt“, grinst der Punker, „vor allem, als die Polizei uns angehalten hat und wissen wollte, was das sei und ob wir die verkackeiern wollten und all das. … Ich könnt' jetzt gerade ganz alleine eine Schweinehälfte fressen, so gefühlt.“
Zoes Magen knurrt, sehr laut.
„Dem Verlorenen Welpen scheint das ähnlich zu gehen wie Dir!“, sagt Do-Not-Eat-The-Shrooms.
Zoe lächelt nervös. Sie will keine Schwäche zeigen vor den Fremden.
Ihr Hunger ist mittlerweile tatsächlich ziemlich schlimm, der gibt ihr einen neuen Rage-Punkt.
„Ey, könnten wir vielleicht Musik anmachen? Ehrlich gesagt, die Men Without Hats würden mir gerade total dabei helfen, klar zu kommen“, sagt Zoe versuchsweise.
„Nimm' die nächste Ausfahrt, Hank, die nächste Raststätte ist unsere“, sagt Simon, ebenfalls enthusiastisch beim Gedanken an Mittagessen.
„Am liebsten
Safety Dance!“, fügt Zoe hinzu.
„
Safety Dance? Was ist das denn für Mucke, das klingt ja durch und durch nach der Weberin!“, murrt Do-Not-Eat-The-Shrooms.
„Das ist so 80er-Nostalgie-Lala, das hat sie von ihren Eltern“, erklärt Kylah.
„Meine Eltern sind mehr so 90er, ich bin 80er“, murmelt Zoe.
„Du bist
komisch, so sieht das aus!“, grinst Kylah.
„… Kann ich wohl nicht mehr leugnen“, sagt Zoe, ohne dass ihr sonderlich zum Lachen zumute ist.
Die kleine Anlage des VW-Bus sieht eigentlich nicht danach aus, als habe sie überhaupt Bluetooth. Dabei fällt Zoe auf, dass sie ja sowieso ihr altes Smartfon gar nicht mehr dabei hat, wo die Playlists drauf sind! Das hat sie irgendwo in der Hektik von letzter Nacht verloren, sie weiß nicht mal, wo.
„Verdammt, mein Telefon ist ja weg! Ich hab' ja noch nicht mal meine Eltern angerufen, das muss ich dringend noch machen! Kylah, kannst Du mal bei den anderen im Pick-Up-Truck anrufen? Vielleicht haben die das ja gefunden!“
Simon sagt, „Das hättest Du sowieso eher früher als später loswerden müssen, das Ding.“
„Was? Quatsch' nicht rum, wieso?“
„Das hat mehrere Gründe. Vor allem ist das ein Werkzeug der Weberin, und deren Kräfte nutzen das ebenso, wie Du das tust, und zwar nonstop.“
„Sie verliert es ja sowieso, sobald sie sich verwandelt, oder in die Penumbra rüber wechselt“, ergänzt 'Shrooms lapidar.
„Was soll das alles bedeuten?“, fragt Zoe.
„Jetzt erstmal bedeutet das für Dich wahrscheinlich nur eins, ein Tipp von mir: Häng' nicht mehr Dein Herz an Gegenstände!“, lächelt Simon.
☀
Auf der großen Autobahn-Raste fahren sie langsam an den vielen verschiedenen Essgelegenheiten vorbei: Burger-Brätereien, Fritten-Buden, Steak-Houses, Sushi-Bars, und so weiter, alles große Ketten; Ribkick kommentiert im Vorbeifahren, „Nehmen wir nicht … nehmen wir nicht … zu teuer … Rattenarsch und Zwirn, guckt mal, O'Tolley's, müssten wir eigentlich sofort niederbrennen! … Nehmen wir nicht …“
„Warum sind die denn so wählerisch …?“, raunt Zoe Kylah zu, ihr ist mittlerweile egal, was es gibt, Hauptsache schnell!
„Essen ist bei Ribkick politisch“, sagt die Punkerin, gelangweilt.
„Da ist vielleicht irgendwo ein schönes Reformhaus dazwischen, da können wir Dir ein paar vegane Nussriegel holen“, stichelt 'Shrooms.
„Halt' Dein freches Maul mit Deinen veganen Riegeln!“, knurrt Ribkick, „Hier, ranfahren, Hank. Die Bude da ist gut, das ist zumindest keine Kette.“
Simon zieht ein aufgerolltes Scheinbündel aus seiner Jacke, und kauft ihnen allen Homemade-Burger an der Bude. Jeder der Werwölfe vertilgt drei bis fünf. Die Knochenbeißer verputzen die in einem irren Tempo, gerade so als könnt's ihnen jemand entreißen wollen. Zoe verschlingt auch nicht weniger, sie kaut nur mehr. Dennoch schmeckt sie ungewohnte Nuancen aus dem Grillfleisch raus, die ihr normalerweise nicht auffallen, und fragt sich irritiert, was das wohl ist. Die Fritten schmecken komischerweise in ihrem Mund nach Pappe, die kriegt sie nicht runter.
Hinterher schlendert das Rudel etwas abseits, um auf dem Rasen der Raste herumzuschnüffeln, und Massalfassar scheint mit seiner alten Plastikrassel eine Art kleine Zeremonie durchzuführen.
Zoe stellt sich neben Hank, der an die Fahrertür des VW-Bus gelehnt steht. Er sieht so übernächtigt aus wie sie sich fühlt. Außerdem sieht seine geschwollene Schläfe noch nicht besser aus.
„Soll jetzt nicht mal wer anderes fahren?“, fragt sie verhalten, „Du bist seit Irish Hills nonstop hinterm Steuer gesessen.“
„Lousy Five Bucks hat schon lange keinen Führerschein mehr, hat der abgeben müssen.“
„Von dem Rudel kann doch wohl jemand Autofahren!“
„Zoe! Wir setzen keinen von Euch ans Steuer, wenn’s nicht unbedingt sein muss!“
„Hä, wieso? Ich könnt' normalerweise auch fahren …“
„Nee, nee. Kennste nicht den Spruch? ‚Nicht mit Wut fahren.‘ Die im Rudel taugen alle nicht zu Autofahrern. Außer Simon, der ist nur Ragabash, der hat einen klaren Kopf. Der ausgerechnet hat aber noch keinen Führerschein gemacht.“
„Gibt ziemlich viele Regeln zu beachten … in Eurer geheimen Welt, wie?“
Kylah schlendert dazu, sie hat sich an der Tanke Kaugummis gekauft und kaut nun auf einem rum, „Das sind eher so Vernunftsgebote als richtige Regeln. Wir sind Blutsgeschwister, wir müssen auf Euch aufpassen. Aber Gesetze gibt’s auch, die lernst Du noch.“
„So wie das, dass man keine Menschen fressen darf?“, sagt Zoe halblaut.
„Genau.“
„Dich daran zu erinnern sollte Dir leicht fallen“, witzelt Hank, „das hatte ja auch schon in Deinem früheren Leben Gültigkeit, wa?“
„Ich lach' mich gleich tot“, kommentiert Kylah strafend.
Zoe hebt den Kopf zum Nachmittagshimmel, wo bereits ein erstes, orange-violettes Glühen den Abend ankündigt. Ein Schauder läuft ihr über den Rücken und sie zieht ihre Schultern hoch.
„Kommen die bald mal?“, fragt sie ungeduldig, „Wir müssen doch langsam echt mal weiter …!“
Soundtrack: Orbital,
Strangeness in the Nighthttps://www.youtube.com/watch?v=NkSeYN5-WuMBei der Weiterfahrt holt mit der Fressmüdigkeit der Schlafverlust Zoe ein, und sie nickt immer wieder kurz ein auf ihrem Sitz. Aber immer wieder schreckt sie auf: Seltsame Erinnerungen suchen sie heim, ein seltsamer Geschmack, beides Andenken an vergangene Nacht ...
Sie sieht sich etwas desorientiert um, und bemerkt, das Kylah neben ihr sie fragend anschaut.
„Ich wusste vorher nicht, dass Furcht etwas ist, das man
riechen kann“, flüstert Zoe.
Kylah schaut sie erschrocken an, fragend. Zoe kann nicht recht in Worte fassen, dass sie letzte Nacht nicht nur Gerüche wittern konnte während ihrer Verwandlung, sondern auch Empfindungen. Die Hooligans, die das Holzhaus angegriffen hatten, hatten nach Angst gerochen, unmittelbar bevor sie den Kiefern des Werwolfs zum Opfer gefallen waren.
Unerbittlich dämmert weiterhin der Abend hinauf. Es hat sich erneut zugezogen, aber Zoe wagt es nicht, darauf zu setzen, dass er die ganze kommende Nacht von Wolken verborgen sein wird, der Mond ...