"Le sacre du printemps"
Das war damals ein Skandal, ja!
Übrigens gab es auch im Barock ähnliche Skandale, Monteverdi musste einen gehörigen (wenn auch gelehrten) Shitstorm über sich ergehen lassen wegen seiner Verwendung unvorbereiteter Vorhalte (es ging vor allem um einen Nonvorhalt in einem seiner Madrigale ...). Aber im Barock herrschte eine Gier nach Neuem in der Musik und im Theater, was in unseren Ohren alles so vertraut und irgendwie nach Weihnachtsoratorium klingt, war damals sehr oft der modernste Scheiß. Man darf auch nicht vergessen, dass unser ganzes, auf Kadenzen beruhendes und (weitgehend) auf Dur und moll beschränktes funktionales Harmoniesystem erst um 1600 herum entwickelt wurde, und dass diese Entwicklung eine der krassesten Umbrüche der Musikgeschichte ist, dagegen sind Atonalität und Zwölfton fast schon Waisenknaben. Die neue, generalbassbasierte Art des Musizierens, die sich von Italien aus in Windeseile in ganz Europa ausgebreitet hat, war unerhört und bot Ausdrucksweisen und Räume für Virtuosität, von denen zuvor keiner etwas geahnt hat, und dieses Potential wurde schrittweise immer weiter erprobt, ausgelotet, bis sich daraus dann eben allmählich die (Wiener) Klassik entwickelte (die sich zwar vom Generalbass verabschiedete, aber die die im Barock entwickelte funktionale Tonalität beibehielt, sie blieb gültig bis Schönberg und den Experimenten mit Atonalität und ist auch die Basis von 98% aller populären und vor allem der meisten Filmmusik).
So, nun aber mal zum Thema zurück: Eigentlich ging es mir in diesem Thread darum, zeitgenössische Musik zu sammeln, die zur Untermalung gewisser Szenen taugen könnte. Es ging mir nicht um die Frage, ob einzelne Individuen mit Barockmusik oder klassischer Musik oder mit Gesang etwas anfangen können, oder ob sie damit ein Problem beim Rollenspiel haben. Bei dieser Sammlung gehe ich natürlich von Spieler*innen aus, die Bock haben, Barock- (und vielleicht ein bisschen Renaissance-)musik zu hören, wenn sie ihre Chars durch eine Barockwelt schubsen.
Und vielleicht noch eine Anmerkung zum Gebrauch des Begriffs "Soundtrack": Ich meine damit tatsächlich jetzt nicht eine Hintergrundmusik, die die ganze Zeit läuft, sondern analog zum Film die Anwendung einzelner Stücke während gewisser Szenen. In Apocalypse Now läuft ja auch nicht die ganze Zeit Wagner im Hintergrund, sondern der Walkürenritt ist dramaturgisch effektvoll platziert, und danach ist auch wieder gut mit Wagner.
Bevor es dann hoffentlich mit der Frage weitergeht, welche Stücke womöglich zu Illustrationszwecken verwendbar wären, muss ich allerdings noch ein paar Dinge richtig stellen, nicht dass irgendwer noch auf die Idee kommt, sie für bare Münze zu halten:
-- Die Aussage, dass Rameau zu den "simpelsten Klassikern" gehöre oder dass es sich bei anderen hier genannten Komponisten um sogenannte Kleinmeister handele, lässt sich bei auch nur oberflächlicher Kenntnis der barocken Musikgeschichte nicht halten. Es mag im tiefen Walde noch ein oder zwei unverbesserliche Bach-Jünger geben, die irgendwo im Quintenzirkel des Wohltemperierten Claviers den Bezug zur Faktenlage verloren haben und dieser Auffassung sind, aber nein, Rameau ist einer der ganz Großen und war seiner Zeit vor allem auf den Gebieten Harmonik und Instrumentierung etliche Nasen voraus.
-- Die "Informationsdichte" ist bei einem Großteil der klassischen Musik auch nicht höher als bei Filmmusik, da Filmmusik extrem oft die Kompositionstechniken klassischer Musik abkupfert. Klassik ist höchstens abstrakter, weil man nicht gleich ein "Gefühl" oder Bild mitgeliefert bekommt.
-- Ob Barockmusik "rummst" oder "rockt" ist unter anderem eine Frage der Interpretation, vor allem aber eine Frage der Lautstärke und Soundqualität. Gute Anlage, gute Einspielung und eine bessere Quelle als Youtube, und schon hört sich manches etwas anders an.
-- Die "Wilden": Das ist nur eine Übersetzung des Titels "Les Sauvages". Tatsächlich war Rameau nach dem Besuch eines Jahrmarkts, bei dem als Attraktion auch echte Indianer aufgetreten sind, sehr beeindruckt und hat daraufhin ein Stück für Cembalo geschrieben, das er für Les Indes Galantes dann recyclet und instrumentiert hat. Das ist also tatsächlich eine hübsche Synthese aus authentischem native american und Barocktanz. "Wild" heißt hier weniger "Orks in der Kneipe", sondern eher so etwas wie "ethno" oder "tribal".
Jetzt aber endgültig zum Thema zurück:
John Playfords Sammlungen von Tänzen sollten sogar das Herz so mancher Rollenspieler, die nichts mit Barockmusik am Hut haben, höher schlagen lassen, da sie im weitesten Sinne etwas "gälisch" angehaucht klingen, und das freut doch die meisten Hobbyisten, da ist Hobbithochzeit angesagt! Ganz besonders schätze ich die Einspielungen der Playfordschen Sammlung von Les Witches, die auch weitere Alben mit ähnlicher Literatur aufgenommen haben:
https://www.youtube.com/watch?v=9tGi_lM4x60&list=PLTAzo9NrKvSpyXAefLCmbXGYQKKNU5u1G