Autor Thema: Ein neues Hobby: Zeitreisen. Eine kleine Anleitung  (Gelesen 904 mal)

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Offline Zed

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Mithilfe alter, digitalisierter Landkarten, Postkartenansichten und Bücher können alle, die es interessiert, in die Geschichte von Verkehrswegen, Dörfern, Städten und ganzen Regionen eintauchen. Im letzten Jahr (Kurzarbeit, Lockdown) habe ich derart viel über die „Orte meines Lebens“ gelernt – und dank schier unendlicher Quellen und neuer Fragestellungen lerne ich immer noch mehr.

Dreh- und Angelpunkt der Fragestellungen und Recherchen sind alte Landkarten, die mithilfe von Software so genau es geht über aktuelle Landkarten gelegt werden. Mithilfe eines Tranzparenzschiebereglers kann man dann immer wieder überprüfen, was wie in der Geschichte aussah und wie die Situation heute ist.

Möchtest Du weiter einsteigen, dann beginnt die Suche nach Bildern, Lithographien oder alten Fotos, oft zu finden bei Anbietern alter Postkarten.

Und mit Google kann man schließlich nach alten, mittlerweile gemeinfreien Büchern suchen. Gerade Reisebeschreibungen oder Topographien sind spannende Quellen, um alte Zeiten lebendig werden zu lassen. Näher als mit alten Landkarten, alten Fotos und zeitgenössischen Reisebeschreibungen lässt sich nicht in der Zeit zurückreisen. Und mit den richtigen Anbietern ist das Ganze auch noch kostenlos!

1. Alte Landkarten – woher? Welche?
Unübertroffen in Aussagekraft und Genauigkeit ist das Preußische „Messtischblatt“ in 1:25.000. In einigen Regionen begannen die Preußen 1830, im ganzen Deutschen Reich ab 1877 das Land exakt zu vermessen. Nicht selten findet man mehrere Auflagen aus verschiedenen Jahrzehnten des Messtischblatts, denn inmitten der Industrialisierung veränderte sich das Land rasend schnell: Die Städte wuchsen enorm an, wo einst noch Kühe grasten, mussten ganze Stadtteile hochgezogen werden. Alte Straßen wurden befestigt, neue wurden angelegt, Bahnstrecken ausgebaut. Daher lassen sich mit Glück mehrere, zeitlich versetzte Ausgaben desselben Messtischblattausschnitts finden, mit denen sich das Zeitalter der beschleunigten Veränderungen ausgezeichnet dokumentieren lässt. Aber auch aus der Zeit von Ende 18. Jhd (Landreformen, die dokumentiert werden mussten) und aus den Napoleonischen Kriegen (Kriegskarten) lassen sich viele historische Karten finden.

Die erste wichtige Quelle für weltweite historische Karten ist David Rumsey. Auf seiner Seite gibt es auch einen Überblick über alle Messtischblätter – hilfreich, um den Zuschnitt der Blätter zu finden.

Die Uni Greifswald hält viele Ausgaben des Messtischblatts in hervorragender Qualität ohne Wasserzeichen oder dergleichen parat. Taugt auch als Druckvorlage für Geburtstagsgeschenke.  :)

Weitere Quellen für historische Karten musst Du googlen. Ich kenne die Quellenlage am besten für Schleswig-Holstein und Hamburg. Hier hilft sehr, dass Schleswig-Holstein inkl. Altona, Wandsbek und Bergedorf bis 1866 dänisch war. Darum lässt sich vieles in der digitalen Sammlung der Dänisch Königlichen Bibliothek finden. Der Enthusiast Christian Terstegge sammelt zudem Hamburgkarten, die er zugänglich macht. Auch wikipedia und Hamburg.de sind ab und an interessante Quellen.

2. Übereinanderlegen der Karten mit dem Mapwarper.net
Mapwarper.net ist die einzige kostenfreie Lösung, die ich kenne. Sie ist fast so gut der teure kommerzielle Anbieter georeferencer.com, nur Mac-User scheinen Schwierigkeiten mit mapwarper zu haben, wenn sie per Touchpad navigieren.

Bei mapwarper musst Du Dich kostenfrei anmelden. Du hast eine historische Karte entweder heruntergeladen oder einen Link, zB von der Uni Greifswald, der zum jpg der historischen Karte führt, parat. Klickst Du auf „upload map“ beginnt die Arbeit, beide Karten, die historische und die aktuelle, einzumessen, um sie aufeinander abzustimmen.

1) Upload der historischen Karte


1. Gib der Karte einen aussagekräftigen Namen, zB den darin kartographierten Ort und das Jahr der Aufnahme der Karte, zB „Hamburg 1889“.
2. Weil die Karten öffentlich sein werden (außer Du willst das nicht), beschreibe gerne, was die Karte zeigt.
3. Hier nochmal das Jahr der Aufnahme der Karte
4. Suchtags ggf hier hinein
5. Kommt die Karte aus einer öffentlich zugänglichen Quelle? Das ist sicher auch für andere interessant.
6. Wer hat die Karte erstellt?
7. Kommt die Karte von Deiner Festplatte, lädst Du sie hiermit hoch
8. Gibt es einen Link zum Bild der Karte, dann brauchst Du hier nur den Link einzutragen anstatt die Karte vom Rechner hoch zu laden

Dann Upload klicken und einen Moment warten.

2) Einmessen und synchronisieren der alten Karte und einer aktuellen OpenStreetMap-Karte oder eines Satellitenbildes.


1. „Rectify“ ist Dein Hauptreiter. Links liegt das historische Bild, rechts die OpenStreetMap. Zuerst navigierst Du rechts auf den etwaigen Kartenausschnitt, den Du anlegen möchtest.
Die besten Anlegpunkte sind Kirchen. Du findest Sie auf der alten wie auf der neuen Karte und es ist unwahrscheinlich, dass ihr Standort sich verändert hat. Straßenkreuzungen, Brücken, Flusseinläufe nutze ich sehr selten als Synchronisierpunkte, denn die können sich natürlich verändert haben.

Du musst pro Karte mindestens 3 synchronisierte Punkte finden.

2. Hast Du einen Punkt gefunden, dann drückst Du 2a oder 2c und setzt den Punkt in der historischen Karte zB auf eine Kirche (2b). Dann wechselst Du zur rechten Karte und setzt auch hier den Punkt 2d.

3. Dann drückst Du auf „Add Control Point“, um den nächsten Punkt setzen zu können. Ich vergesse gerne, jetzt erst die Hand neben 2a/c zu klicken, um die Karte navigieren zu können. Punkt gefunden? Dann wieder 2a/c drücken.

4. Wenn Du schließlich drei Punkte synchronisiert hast, dann kannst Du die historische Karte in die aktuelle Karte hineinwarpen, so wie im rechten Bild zu sehen. Nutze dafür UNBEDINGT die Resampling Methode "Cubic Spline", sie ist mit Abstand die beste Methode! Unter „Rectify Method“ kannst Du zudem das Ergebnis weiter verbessern, je mehr Punkt Du gesetzt hast. Auf dem Bild ist gut zu erkennen, wie die alte, hier leicht ungenaue Karte gestretcht werden muss, um zeitgemäß eingemessen zu werden.

Auch wenn der Reiter „Preview“ schließlich der ist, mit dem wir komfortabel die alte und neue Karte übereinander betrachten sollen, kann das Betrachten im Rectify-Tool aufschlussreicher sein, weil nur hier auch mal das Satellitenbild eingesetzt werden kann. Aus mir unverständlichen Gründen lässt sich im Preview-Tool das Satellitenbild nicht hinzuschalten.

3) Per synchronisierter Karten wandern, Antworten und neue Fragen finden


Hier nun ein Ausschnitt aus zwei übereinandergelegten Karten von Hamburg-Ottensen (Altona). Das Bild gibt leider nur einen schwachen Eindruck, wie außschlussreich die synchronisierten Karten sind, weil erst das Hin- und Herschieben des Transparenzreglers die Informationen wirklich sichtbar macht. Du ahnst aber schon an diesem Beispielbild, dass die Kreuzkirche in der Mitte planmäßig angelegt wurde, als der Stadtteil westlich der Kirche noch nur grünes Feld war. Der Stadtteil Ottensen wurde um die Jahrhundertwende planmäßig angelegt, und die Behringstraße nach Bedarf nach Westen erweitert.

3) Weiter eintauchen
Die nach meinem Eindruck sortierteste Sammlung alter Postkarten bietet dieser Anbieter. Lebendiger kann es kaum sein.

Am Beispiel des Kartenausschnitts ein paar Links zu weiterführenden Infos:

- Auf der Ecke Bleickenalle/Fischersallee stand schon zur Zeit der historischen Karte eine imposante Realschule (Postkartenbilder), heute eine Waldorfschule.
- Von derselben Ecke eine Straßenansicht einer alten Postkarte.
- Hier der Wikipediaartikel der Kreuzkirche und noch eine alte Ansicht.
- Ende der Weimarer Republik wurden damals moderne Wohneinheiten am Hohenzollernring gebaut.
- Im westlichen Teil der alten Karte müsste noch die Rolandsmühle zu finden sein, die dieser Ansicht nach wohl noch bis 1953 als Rest des dörflichen Ottensen stand. Ob das stimmt, werde ich sicher mit anderen Karten herausfinden. Überprüft: Die Rolandsmühle ist tatsächlich schon auf Karten des 17. Jhds zu sehen und auch immer noch auf Karten der 30er Jahre, als sie schon voll umbaut war, verzeichnet. Noch heute ist eine Straße nach der Rolandsmühle benannt. Die Ansicht nach wohl noch bis 1953Info von der Homepage[/url] stimmt also.
- Und über die Google-Book-Suche lässt sich sicher einiges über die Kirche, Ottensen oder die Realschule herausfinden.
- Weitere Fragestellung: Bei den Postkartenansichten fand ich den Hinweis auf ein "Donnerschloss" in Ottensen. Was das war, werde ich demnächst untersuchen.

Solltest Du Dich in mapwarper einarbeiten und noch interessante Kniffe finden, die ich unterschlagen habe, schreibe sie gerne hier hinein.

Viel Spaß beim Zeitreisen!
« Letzte Änderung: 13.01.2022 | 16:32 von Zed »

Offline nikol ogg

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Re: Ein neues Hobby: Zeitreisen. Eine kleine Anleitung
« Antwort #1 am: 9.01.2022 | 18:22 »
vielen Dank für diese Resource!
Das ist interessant und hilfreich, bin auch gerade an einem historischen Projekt dran, da kommt das echt passend

Offline KhornedBeef

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Re: Ein neues Hobby: Zeitreisen. Eine kleine Anleitung
« Antwort #2 am: 9.01.2022 | 19:07 »
Dude, das ist großartig! Danke Zed
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Wer Fehler findet...soll sie verdammt nochmal nicht behalten, sondern mir Bescheid sagen, damit ich lernen und es besser machen kann.

Sidekick-Kai

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Re: Ein neues Hobby: Zeitreisen. Eine kleine Anleitung
« Antwort #3 am: 9.01.2022 | 20:39 »
Ich find' es auch ziemlich cool. Vielen Dank.  :d