Ricardos Tagebuch: Cold Days 3Abends.
Wir trafen Haley im Café der Oper. Sie trug ihren üblichen Goth Look – schwarzer Anzug und Zylinder, kreidebleiches Gesicht – und nippte gerade an einem Glas Rotwein, als wir ankamen. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass die Kellnerin uns einen erleichterten Blick zuwarf, als wir uns zu Haley gesellten und die nicht länger allein an ihrem Tisch saß.
Nach durchaus freundlicher Begrüßung fragten wir Haley nach Odin und seinem verlorenen Raben. Könnte man den vielleicht zurückbringen, oder wenigstens ersetzen?
„Nekromantie ist nie gut“, versetzte Haley trocken.
Mir kam ein plötzlicher Gedanke. „Aber ist der Rabe vielleicht ein Einherje geworden?“
Haley schüttelte den Kopf. „Selbst wenn, die Verbindung zu Odin wurde zerstört, als der Rabe starb, und ob Odin so viel kohärenter wäre, wenn er diesen Teil seines Gedächtnisses wiedererlangen würde, das ist auch noch die Frage.“
„Wie meinst du das?“, wollte Totilas wissen, also führte die Ase näher aus: „Loki ist zwar Odins Halbbruder, aber bei der Geschichte mit Baldur war die Tatsache, dass Loki sein Halbbruder ist, Odin auch herzlich egal. Ich glaube, der Zorn wegen Lokis Verlust war nur ein Vorwand – ich glaube, Odin ist einfach nur sauer auf Eleggua. Denn vergesst nicht: Es war ja eigentlich von Elegguas Seite aus noch gar nichts vorgefallen, und trotzdem war Odin sofort misstrauisch und gegen Eleggua eingestellt.“
Das gab uns einigen Stoff zum Nachdenken, auch, da Haley noch ergänzte: „Ich glaube, Odin hat einfach ganz generell die Schnauze voll.“ Was auch immer das heißen sollte.
So oder so aber sprachen wir Haley noch auf unseren Gedanken wegen des Fimbulwinters an. Mit dem Thema hatte unsere Asen-Bekannte sich bislang nicht konkret beschäftigt, aber sie klärte uns auf, dass der Fimbulwinter das erste Anzeichen für Ragnarök, den Weltuntergang, sei: drei Winter ohne Sommer, oder ‚Sommer‘, in denen die Sonne keinerlei Kraft habe, dann werde die Midgardschlange angespült, kann käme ein Schiff, das aus Fingernägeln gemacht sei, und dann würden sich alle umbringen.
„Also wer das erfunden hat, war ganz schön auf Pilzen“, knurrte Edward, woraufhin Haley ein schiefes, beinahe entschuldigendes Grinsen zeigte und zugab, dass die Asen von diesen Erzählungen in eine gewisse Rolle gedrängt wurden, aus der sie nun kaum – vielleicht sogar überhaupt nicht mehr – herauskommen könnten. „Das wurde alles so lange und so oft wiederholt, dass es wahr geworden ist und jetzt geschehen
muss.“
Aber vielleicht nicht
genau auf diese Weise, setzte Haley gleich darauf hinzu. „Dieser Outsider hat Loki getötet, damit ist Loki jetzt in ihm, also kann es passieren, dass der Outsider jetzt Lokis Rolle übernimmt. Aber wenn er die Prophezeiung soweit ändert, dass er selbst nicht dabei sterben muss, dann wäre das für einen Outsider natürlich perfekt: die Welt zerstört, alle Asen tot, aber der Loki-Outsider selbst noch am Leben und in der Lage, jede Menge Chaos zu stiften.
Autsch. Kein guter Gedanke. Aber mal gar nicht. Das mit dem Loki-Outsider auch, klar, aber vor allem natürlich, dass Odin ernsthaft dabei sein könnte, hier den Weltuntergang vorzubereiten.
Wann wäre denn der
Point of no Return, wollten wir wissen; ab wann wäre das Ende der Welt nicht mehr abzuwenden? Sprich, wie lange haben wir, um das irgendwie zu verhindern?
Das wäre, sobald Fenrir die Sonne schluckt und nicht mehr ausspuckt, erwiderte Haley. Aber damit das passiert, müssen ja erst drei Winter am Stück auftreten, also bleibt noch etwas Zeit.
Dennoch. Ich wiederhole mich, aber: Autsch.
„Wo soll dieses Schiff denn landen?“, wollte Totilas wissen. „Ich fürchte, direkt hier“, antwortete Haley, was bei uns – vielleicht unvermeidlich – kurz zu etwas Rumgeblödel führte, ob man das Schiff nicht nach Chicago umleiten könne, das sei doch viel besser geeignet als Miami: Da sitzt doch dieser unsympathische Ratsmagier und Warden, mit dem Edward dieses unschöne Telefongespräch hatte und der zu allem Überfluss auch noch der Ritter der Winterkönigin Mab ist. Und darüber hinaus war Odin selbst ja auch schon einmal in Chicago gewesen, bevor diese ganze
mierda losging. Wie gesagt, es war blödes Herumgeflaxe, aber Haley erwiderte relativ ernsthaft, dass eine
sehr diplomatische Fraktion vielleicht versuchen könnte zu erreichen, dass
Naglfar in Chicago erscheinen würde statt hier. Dabei schaute sie mich vielsagend an, hatte ich den Eindruck, aber… nein.
Naglfar in Chicago wäre nicht besser als
Naglfar in Miami. Bevor ich so etwas auch nur in Betracht ziehe, muss schon wirklich
alles verloren sein.
Totilas hatte eine andere Idee. „Wie wäre es, wenn wir einen Film über Ragnarök drehen lassen und die Ereignisse darin ändern?“
Haley lachte auf. „Warst du in den letzten paar Jahren nicht im Kino? Den Film
gab es schon! 855 Millionen Dollar Einspielergebnis! Millionen von Zuschauern! Und hat er was geändert? Hat er nicht, duh!“ Sie wurde wieder ernst und schüttelte den Kopf. „Diese Geschichte wurde vor 1000 Jahren geschrieben und hatte seitdem Zeit zu wirken. Da müsstest du schon das komplette Unterbewusstsein der Menschheit ändern.“
„Mit einem Ritual vielleicht?“, schlug Totilas vor, aber nun war es Edward, der den Kopf schüttelte. „Das würde gegen die Gesetze der Magie verstoßen. Du darfst Leuten nicht im Kopf herumspielen.“
Auch wenn so ein Ritual vielleicht eine Lösung wäre, dieser Aussage konnte ich nur aus vollstem Herzen zustimmen. Habe ich schon gesagt, wie sehr ich es hasse, hasse,
hasse, wenn man mir im Kopf herumpfuscht?
Und überdies, waren wir uns auch sehr schnell einig, würde es auch mit neutralisiertem kollektivem Unterbewusstsein der Menschheit zu lange dauern, einen neuen Film mit der entsprechenden Botschaft vorzubereiten, zu produzieren und so zu verbreiten, dass er die gewünschte Wirkung zeigen würde. Also eine weitere Sackgasse.
Mierda.
Bevor wir nach dem Gespräch mit Haley auseinander gingen, kamen wir aber noch überein, dass wir morgen nun aber wirklich zu Tanit müssen, auch wenn Alex immer noch damit beschäftigt ist, Eleggua davon abzuhalten, in den Krieg gegen Odin zu ziehen. Wir überlegten ein bisschen, ob vielleicht jemand von den Guardians in Frage käme, um das Boot zu steuern, und landeten bei Dee – die offensichtliche Wahl tatsächlich. Denn als Alex‘ Schwester hat sie zwar vielleicht nicht dessen instinktives und von seiner Tätigkeit für Eleggua verstärktes Talent für Fortbewegungsmittel aller Art, aber sie hat dieselbe Erziehung, dieselbe Kindheit und dieselben gut ausgebildeten mundanen Fähigkeiten. Als wir sie anriefen, war sie sofort voller Verständnis, dass Alex seinen Patron im Zaum halten muss, und erklärte sich bereit, uns morgen zum Cayo Huracán zu bringen.
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17. November
Nachdem wir – wieder bei demselben Bootsverleiher, der eigentlich wenig Lust hatte, uns noch einmal eines seiner Fahrzeuge anzuvertrauen, sich aber von einigen wohlgesetzten Worten, Dees großem Bootsführerschein und dem umfassenden Versicherungsschutz des Hauses Raith doch überzeugen ließ – eine Möglichkeit zur Überfahrt gefunden hatten, brachte Dee uns diesmal tatsächlich sicher zum
Cayo Huracán.
Tanit empfing uns höflich, hörte uns an und bestätigte noch einmal, dass dieser Winter nicht von den Feenhöfen ausgehe. Ganz ähnlich wie Hurricane vorgestern erklärte auch sie in gleichmütigem und nicht sehr interessiertem Ton, sie sei nicht eifersüchtig, weil eine andere Macht den Winter beschwöre – wenn es ein konkurrierender Feenhof gewesen wäre, vielleicht, aber so empfinde sie das nicht als Bedrohung oder Herabsetzung ihrer eigenen Stellung.
Als Totilas aber erwähnte, dass bei diesem Winter höchstvermutlich die Outsider ihre Finger im Spiel hätten, wurde Tanit doch hellhörig. Dass sie selbst gesagt habe, es sei zu früh für die Outside, ihre, Tanits, Vorbereitungen seien noch nicht fertig, fügte ich noch hinzu.
„Ich fürchte, mein Gegenpart hat einen Einfallswinkel für diese… diese Wesen geöffnet, als er die Einherjer an seinen Hof ließ und den Schutz seines Hofes Odin unterstellte.“
Autsch. Ja, es war natürlich Pan gewesen, der die letztendliche Entscheidung darüber traf, aber die Idee mit den Einherjern war von mir gekommen. Also eigentlich genau genommen von Pan, der den Gedanken nach der Sache mit den Sonnenhaaren hatte, aber ich war es, der die Idee trotz meiner leichten Zweifel aufnahm, noch einmal nach Heorot reiste und die weiteren Einherjer holte. Und ja, die Situation war nach dem Verlust der Sidhe-Ritter dramatisch gewesen, und eine Lösung hatte keinen Aufschub geduldet, aber trotzdem. Autsch.
„Ich habe versucht, ihm das zu erklären“, fuhr Tanit trocken fort, „aber da funkte ja sein Ritter dazwischen.“
Doppel-Autsch. Ich habe mir seither schon mehr als einmal Vorwürfe deswegen gemacht, dass ich den Raum in dem Moment betreten habe, aber die Auseinandersetzung klang so … nun, so hitzig und unversöhnlich. Es ist mir schon mehrfach durch den Kopf gegangen, ob Pan und Tanit einfach so heftig streiten
müssen, ob das bei Sommer und Winter nicht anders geht und bei ihnen immer so ist, und ob, wenn ich das Ganze hätte laufen lassen, der Streit nicht am Ende doch in ihrem üblichen Hasslieben-Streit-Versöhnungssex geendet hätte. Und Tanit schien ja jetzt tatsächlich davon auszugehen, dass sie, sobald der Sturm abgeebbt wäre, noch eine Chance gehabt hätte, zu Pan durchzudringen…
Ai, mierda. ¡Mierda y cólera!„Vermutlich hätte es aber ohnehin nicht geklappt“, lenkte die Sturmgottheit nun ein, „er war in letzter Zeit noch störrischer als sonst.“ – ob sie das wirklich glaubte, oder ob sie mich aus Höflichkeit beruhigen wollte, das sei einmal dahingestellt.
Groß weiterhelfen – außer unseren Verdacht des Fimbulwinters weiter zu erhärten – konnte uns die Winter-Herzogin jedenfalls nicht, und so kehrten wir, zum Glück wieder ohne irgendwelche Havarien, nach Miami zurück. Auch der Bootsverleiher zeigte sich extrem erleichtert, dass diesmal alles gutgegangen war und er nicht ein zweites Boot zur Reparatur aus dem Verkehr ziehen musste.
Auf dem Weg vom Hafen zurück ins Stadtzentrum rief Dora vom Donutladen bei Edward an: Eine junge Frau hätte nach uns gefragt. Sie hätte etwas von einem Orkus gesagt und sich Lucretia genannt. Ja, sie sei gerade noch da, sie würde auf uns warten.
Das tat sie auch wirklich. Als wir im
Dora’s ankamen, sprang die junge Frau auf, setzte sich dann wieder, und wir gesellten uns zu ihr.
Lucretia sah etwas müde aus, sogar anämisch. Uns allen kam sofort die Idee, dass sich vermutlich ein Schwarzvampir an ihr genährt haben könnte.
„Ich bringe eine Nachricht von meinem Herrn Orkus.“
„Ach, der ist wieder da?“, konterte Edward in etwas sarkastisch-zweifelndem Tonfall.
„Ja“, erwiderte Lucretia, „es war immer nur eine Frage der Zeit, bis er zurückkehren würde. Sarkos wollte aufbegehren, doch dieser Versuch war selbstverständlich zum Scheitern verurteilt. Doch jetzt hat Sarkos‘ alter Feind ihn in seinem Visier.“
Lucretias Stimme klang eindeutig gestelzter und formaler als bei unseren letzten Treffen, beinahe monoton, und ihre Augen wirkten irgendwie glasig. Sie erschien mir deutlich weniger wie sie selbst und mehr wie die reine Inkarnation der Hohepriesterin einer römischen Gottheit.
Plötzlich jedoch wurde ihr rechtes Auge klar, und jemand anderes schaute heraus, schien Lucretia dabei zu beobachten, was sie sagte – oder ihr vielleicht gar die Worte in den Mund zu legen? Dieses Gefühl hatte ich ganz stark.
„Im Moment ist Orkus noch etwas zu geschwächt, um gegen Sarkos‘ Feind vorzugehen, und so bietet Orkus euch die Chance, dem Feind eine Falle zu stellen.“
„Was für eine Falle?“, fragte Roberto.
„Der Feind denkt, Orkus sei Sarkos.“
„Ach, und warum denkt er das?“ Wieder Edward, in demselben sarkastischen Tonfall wie zuvor.
„Sarkos war närrisch und wollte Orkus übernehmen, doch Orkus war natürlich zu mächtig.“
„Hatte Sarkos vielleicht einen von diesen Dolchen?“, wollte ich nun wissen, was Lucretia etwas aus der Rolle der Hohepriesterin fallen ließ und sie wieder mehr wirkte wie das junge Goth Girl, das sie eigentlich ist. „Jaaaaa? Vielleicht?“
„Was für eine Falle?“, wiederholte Roberto.
„Die genaue Beschaffenheit der Falle würde er in seiner Großzügigkeit euch überlassen.“
Hah. Ahahaha.
Wir könnten Orkus heute Abend treffen, sagte Lucretia, in einem kleinen Bistro im Theaterdistrikt. Das Bistro kenne ich sogar – vor einer Weile waren Lidia und ich im Theater und gingen hinterher in genau dort etwas essen. Für ein italienisches Restaurant verwenden sie dort erstaunlich wenig Knoblauch. Damals fiel uns das zwar auf, aber es ließ bei mir keine Alarmglocken klingeln. In diesem Zusammenhang jetzt allerdings regte sich bei mir – und Roberto, der den Laden ebenfalls kannte – das Misstrauen: Ob das vielleicht ein Treffpunkt für Schwarzvampire ist, wie es
The Whispers für die Rotvampire war? Und wird das da heute Abend vielleicht eine Falle für
uns?
Wir werden hingehen… aber wir werden auf jeden Fall Knoblauch und Weihwasser dabei haben. Und mein patentiertes Sonnenlicht.
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Wir sind von dem Treffen zurück. Unversehrt und ungebissen, wohlgemerkt. Es war tatsächlich
keine Falle.
An einem Tisch in dem Bistro saß eine Person, die wir noch von der Auktion damals in Erinnerung hatten: in dunkler Kleidung, vergleichsweise jung und für einen Schwarzvampir verblüffend wenig tot und verfallen aussehend – und definitiv nicht die Gestalt von Orkus, wie wir den in der Gruft auf dem Friedhof kennengelernt hatten, sondern eben die von Sarkos.
Nach der höflichen, aber eher zurückhaltenden Begrüßung begann unser Gegenüber das Gespräch:
„Ich denke, wir haben alle ein gemeinsames Interesse daran, diesen Gegner auszuschalten.“
„Vermutlich schon“, brummelte Edward einigermaßen widerwillig.
Ich schaltete mich ein, bevor der zweifelnde Tonfall meines besten Freundes Anstoß erregen konnte. „Was gibt es über ihn zu wissen?“
„Er ist sehr alt, er ist sehr katholisch, er will die Sünder bestrafen und er glaubt, er tue Gottes Werk.“
Ich hob die Brauen. „Katholizismus und Vamprismus – das ist doch ein kolossaler Widerspruch in sich?“
„Warum?“, fragte Totilas und schien die Frage völlig ernst zu meinen.
Zugegeben, meine Antwort klang vielleicht ein bisschen ungläubig: „Ähm, weil Schwarzvampire keine Kreuze vertragen?“
„Er kasteit sich gerne damit“, erläuterte unser Gesprächspartner.
„Wie heißt er? Also, wie hieß er früher?“
Ein Schulterzucken. „Vielleicht hatte er einmal einen Namen. Aber jetzt nennt er sich nur noch Salvador Ultimo.“
Salvador Ultimo. Der letzte Retter. Hah.
„Und wie stellst du dir das jetzt vor?“
„Salvador sucht Sarkos – er will Rache.“
„Rache? Wofür?“
Das Lächeln unseres Gegenübers war dünn, maliziös und trug einen Hauch von Triumph in sich.
„Er hat nicht ohne Grund 300 Jahre lang geschlafen.“
Totilas schaltete sich ein: „Wer hat ihn denn aufgeweckt, und warum?“
„Das war wohl ein Fehler. Vor etwa dreißig Jahren hat Sarkos gegen einen Gefallen den Körper Joseph Adlene überlassen – der wollte wohl Experimente damit durchführen.“
„Aber warum wurde er dann gerade jetzt wieder aufgeweckt?“
Wieder ein Schulterzucken. „Vermutlich, weil Adlene mit diesen seltsamen Wesen zusammenarbeitet? Aber jedenfalls würde ich es gerne vermeiden, dass Salvador Sarkos und seine Zuflucht findet. Sarkos kann nicht gut gegen Salvador vorgehen, auch wenn er inzwischen stärker ist als Salvador, aber…“
„… er hat dich gemacht“, beendete ich den abgebrochenen Satz.
„Ja.“
„Also bist du gar nicht Orkus.“
Über das Gesicht unseres Gesprächspartners zog ein halb schuldbewusstes, halb schelmisches Lächeln. „Das ist eine zutiefst philosophische Frage. Niemand sonst außer mir ist Orkus. Aber ja, es stimmt schon, ich bin deutlich mehr Sarkos als Orkus.“
Ich nickte. „Und Lucretia wäre dir eine bessere Hohepriesterin, wenn du sie nicht weiter aussaugst.“
Wieder dieser etwas undefinierbare Gesichtsausdruck. „Ja, da hast du wohl recht.“
„Wie hast du dir diese Falle denn nun vorgestellt?“, nahm Edward den Faden wieder auf, und Sarkos führte aus, dass wir Salvador an einen noch näher zu bestimmenden Ort locken sollten. Er, Sarkos, würde sich Salvador zeigen, der würde ihn verfolgen, und Sarkos würde ihn eben zu diesem Ort ziehen, wo wir auf ihn warten würden.
Wie wir miteinander kommunizieren sollten, dazu hatte er auch bereits eine Idee. Nicht Lucretia, wie wir überlegten, sondern er holte eine Kröte aus der Tasche – Moment, der hatte eine lebende
Kröte in der Tasche?? – und gab sie uns. „Redet mit der Kröte, ich kann euch über sie antworten. Aber seid vorsichtig – wenn ihr die Kröte mit in die Glades nehmt, bevor der Moment gekommen ist, dann könnte Salvador sie wittern.“
Es war zu spüren, dass Sarkos sich alle Mühe gab, höflich zu sein, aber er konnte nun einmal nicht aus seiner Haut. Er war nun einmal ein eiskalter Meistervampir und entsprechend herablassend, auch wenn er sich bemühte, das nicht zu zeigen.
Aber immerhin hatten wir ein gemeinsames Interesse, nämlich diesen Feind auszuschalten, den wir alle aus dem Weg räumen wollen.
Sobald wir auseinandergegangen waren, beschlossen wir, dass wir für die Detailplanungen der Salvador-Falle natürlich die anderen Guardians mit ins Boot holen müssen, oder zumindest diejenigen von ihnen, die Zeit haben. Und dann treffen in der Casa Guardián.
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Bevor wir uns in der Casa Guardián mit den anderen treffen konnten, bekam Totilas einen Anruf von Marshall Raith, der uns etwas über die Sozialstrukturen des Black Court erzählen konnte: Sie leben üblicherweise in einem Nest, das von einem Meistervampir angeführt wird und ansonsten einige intelligente Sprösslinge und etliche wilde Jungvampire beherbergt. Mit genügend Zeit werden die Jungvampire zu Sprösslingen und diese irgendwann selbst zu Meistervampiren – aber der Großteil kommt nicht so weit, sondern wird noch im ersten Stadium entweder von Menschen oder von den Sprösslingen getötet, wobei die Sprösslinge sich eigentlich recht gut unter Kontrolle hätten, sagte Marshall. Für den Meistervampir jedenfalls sei die Kontrolle umso schwerer, je mehr Unterlinge er unter sich habe – und im Umkehrschluss ist ein großes Nest ein Hinweis auf einen mächtigen Meistervampir.
Marshall hatte auch Informationen über Salvador Ultimo herausgefunden – zwar nicht den Namen des Mannes selbst, aber immerhin den Namen eines Schiffes, der
Santa Clara.
Vor dem Treffen mit den anderen wollen wir erst noch dieses Schiff recherchieren – vielleicht kann das ja auch etwas zur späteren Planung beitragen.
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Nachdem Totilas einige Kontakte abtelefoniert hatte, Edward Zeitungen wälzte und ich das Internet durchforstete, landeten wir schließlich bei einem Museum, das alte Seefahrtsarchive beherbergte, darunter auch jahrhundertealte Schiffsmanifeste. Und im Manifest der
Santa Clara fanden wir unter anderem den folgenden Eintrag:
Sarg des Caballero Juan Ramos de Alcazár
¿Que demonios?Ich wiederhole mich, aber:
¿¡Que demonios!?Okay, die Namensgleichheit muss nicht bedeuten, dass dieser Caballero wirklich ein Vorfahr oder entfernter Verwandter von mir ist, aber trotzdem. Das muss ich erst einmal verdauen.
Oh, und die Tatsache, dass der Leichnam in dem Sarg als Caballero bezeichnet wird und nicht als Mönch, dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit bedeuten, dass Juan Ramos de Alcazár nicht der
wahre Name von Salvador Ultimo ist, weil er als Mönch höchstvermutlich einen Glaubensnamen angenommen hat, der dann zu seinem wahren Namen wurde, aber immerhin, es ist ein Name, der zumindest einmal zu ihm gehört hat. Damit können wir – kann Edward – dann hoffentlich etwas anfangen.