Zum Stand der Forge-TheorieEs gab in letzter Zeit wieder viele Diskussionen um Rollenspieltheorie, ihren Aufbau, ihren Sinn und Nutzen. Ich werde jetzt nicht zu jeder dieser Diskussionen verlinken, teilweise sind die Diskussionen auch etwas abgedriftet.
Ich möchte allerdings einen kurzen Überblick darüber geben, warum die Forge-Theorie so ist wie sie ist und welchen Nutzen sie meiner Meinung nach hatte und auch noch hat. Ich kann zwar nicht so schön schreiben wie Jasper, aber ich werde trotzdem mal versuchen einen Überblick zu geben.
Zunächst solltet ihr euch zwei Posts (die ganzen Threads müssen nicht unbedingt sein, auch die driften nach einiger Zeit ab) durchlesen, die sich bereits zuvor mit diesem Thema befasst haben.
[Forge, aber allgemeingültig] Versuch "Wozu Theorie?" für EinsteigerRant: Zu viel Theorie?!Warum ist also die Forge-Theorie so wie sie ist?Zunächst muss dazugesagt werden, dass es die Forge-Theorie eigentlich gar nicht gibt. Die Theorie ist in einem ständigen Fluss. Die Rollenspieltheorie befindet sich gerade an den Anfängen, und ist vielleicht vergleichbar mit Philosophie oder Psychologie vor 500 Jahren. Einige interessierte Leute haben mehr oder weniger schlaue Ideen und tauschen sich untereinander darüber aus. Aus diesen "Briefwechseln" (nur dass wir dank moderner Technik dafür das Internet haben) entsteht dann der Forge Theorie-Body, also das, was von außen betrachtet die Forge-Theorie zu sein scheint. De facto ist es aber so, dass es keine definitive Grundlage, also keine allgemein akzeptierte Basis gibt, auf die sich alle Poster auf der Forge einigen würden. Wie auch, die Forge ist genauso ein Bord wie das GroFaFo auch. Mit jedem neuen Thread verändert sich die Theorie, entwickelt sich weiter.
Man darf einfach nicht vergessen, dass die Poster auf der Forge auch nur ein Haufen von Enthusiasten sind, die viel zu viel von ihrer spärlichen Freizeit damit verbringen, sich über neue Ideen auszutauschen. Das sind alles Leute, die Rollenspieltheorie aus Spaß betreiben!
Dementsprechend ist Rollenspieltheorie auch sicherlich nicht wissenschaftlich, will sagen, sie entspricht nicht den Maßstäben, die wir an andere Wissenschaften anlegen. Das ist auch kein Wunder. Rollenspieltheorie ist als "Protowissenschaft" noch sehr jung. Dort jetzt zunächst dieselben Maßstäbe anzulegen, wie sie an Physik oder auch Soziologie angelegt werden, wäre definitiv übertrieben. Dennoch bringt Rollenspieltheorie einiges an Vorteilen (die später noch erläutern werde) und es wäre meiner Meinung nach ein Fehler, sie wegen mangelnder Wissenschaftlichkeit zu verteufeln.
Wie ich in diesen Fällen immer sage: ich werde mich gerne daran machen, die Theorie zu "verwissenschaftlichen", zu organisieren, mit empirischer Basis zu versehen und einfacher Texte für Einsteiger zu schreiben. Sobald ich meine C4 Professur (zur Not geht auch W3
) für Rollenspieltheorie, inklusive vier Assistenten, acht Hiwis und jeder Menge Sachmittel erhalte. Solange aber Rollenspieltheorie ein Werk von Enthusiasten ist, sollten die Ansprüche an die Wissenschaftlichkeit auch nicht zu hoch gehängt werden.
Wozu also Rollenspieltheorie?Ich denke zwar, dass Jasper das in seinem Post auch schon sehr gut beschrieben hat. Aber ich will einfach noch mal die Fakten, die meiner Meinung nach auch nicht wegzudiskutieren sind, aufzählen.
Rollenspieltheorie kann dabei helfen, Probleme, die innerhalb einer Gruppe auftreten, zu analysieren und zu lösen. Das Verständnis dafür, welche Prozesse eigentlich beim Rollenspiel ablaufen, kann eben auch dabei helfen zu verstehen, wenn diese Prozesse zu Problemen führen oder an welchen Stellen vielleicht Reibung auftreten. Es kann sich dabei um inkompatible Spielertypen (GNS), um inkompatible Techniken oder allgemein um unterschiedliche Erwartungen an das Rollenspiel handeln. Rollenspieltheorie kann dann dabei helfen, diese Problemfelder besser zu analysieren und eventuell auch Anregungen dafür geben, was man anderes machen könnte.
Ganz wichtig ist dabei meiner Meinung nach der Versuch der Forge-Theorie verschiedene Spielstile als gleichwertig anzusehen und eben nicht wertend zu werden. Ich weiß, dass viele meinen, dass die Forge-Theorie nur den eigenen Spielstil als gut und alle anderen als schlecht ansieht. Das ist allerdings nicht richtig. Es ist sicher so, dass einzelner Autoren ihre eigenen Vorlieben mit in ihre theoretischen Überlegungen einfließen lassen. Das kann dann dazu führen, dass als Leser das Gefühl hat, dass andere Stil abgewertet werden. Allerdings versucht die Forge-Theorie gerade mit der Unterteilung in "gutes" und "schlechtes" Rollenspiel Schluss zu machen. So wird eben gerade nicht behauptet, dass das Ausspielen des Charakters gutes Rollenspiel sei, wohingegen Würfeln oder kämpfen oder Powergaming schlechtes Rollenspiels sei. Gerade vor diesem Hintergrund kann dann eben versucht werden Probleme innerhalb der Gruppe auf eine Ebene frei von Vorwürfen ("du bist ja ein reiner Powergamer, du machst roll-playing und nicht role-playing!") zu besprechen. Die Forge-Theorie setzt sich gerade sehr stark dafür ein, dass verschiedene Spieler mit verschiedenen Stilen Spaß haben können (und oft sogar ein Spieler mit verschiedenen Stilen) deswegen keinen Stil mehr wert ist als der andere.
Neben diesen Ansatz gibt es meiner Meinung nach noch einen wichtigen, bei dem Rollenspieltheorie weiterhelfen kann: neue Möglichkeiten aufzeigen. Rollenspieltheorie kann neben den ausgetretenen Pfaden weitere Möglichkeiten zeigen, an die man bisher noch nicht gedacht hatte. aus der Beschäftigung mit den Prozessen des Rollenspiels entsteht die Fähigkeit zu erkennen, an welchen Stellen man bisher nur aus Tradition auf eine bestimmte Weise gehandelt hat und was man auf welche Weise anders machen könnte. Rollenspieltheorie eröffnet also ganz neue Perspektiven, die sich dann auch in der Praxis umsetzen lassen.
Ein Aspekt dieser neuen Perspektiven sind die Techniken. Bass Playing, Bangs, Kicker, Relationship Maps, Interweaving, Aggressive Scene Framing, usw. sind alles Technikern, die im Umfeld der Forge-Theorie entwickelt oder doch zumindest weiterentwickelt wurden. Die Beschäftigung mit der Theorie hat also zu Techniken geführt, die relativ unabhängig vom verwendeten Rollenspiel eingesetzt werden können. Hier hat die Theorie Möglichkeiten eröffnet, wie man in einer Gruppe ganz praktisch spielen kann, und zwar anderes spielen kann als das klassischerweise der Fall ist.
Der andere Aspekt dieser neuen Perspektiven sind neu entwickelte Spiele.
Primetime Adventures,
Dogs in the Vineyard,
Polaris uvm. sind Spiele, die alle im Umfeld der Forge-Theorie entstanden sind und stark von ihr beeinflusst wurden. Sie verlassen alle die Pfade, die viele andere Rollenspiele vor ihnen betreten haben. Sie machen also alle etwas anders (und zwar teilweise radikal anders) als das "normale" Rollenspielsysteme üblicherweise tun. Und wenn einen auch die ansonsten von mir für Rollenspieltheorie vorgebrachten Argumente nicht überzeugen: schon allein wegen dieser drei brillanten Spiele hat sich meiner Meinung nach die Beschäftigung mit Rollenspieletheorie gelohnt.
Ich hoffe die letzten beiden Punkte werden nicht missverstanden. Ich meine nicht, dass die neuen Techniken und neuen Spiele zwingend besser sind als andere (ältere). Ich meine aber, dass mehr verschiedene Möglichkeiten im Rollenspiel einfach grundsätzlich besser sind als weniger verschiedene Möglichkeiten. Es ist einfach gut, wenn man Alternativen hat.
Das Ganze heißt jetzt nicht, dass man sich zwingend mit Rollenspieltheorie befassen muss, um ein "guter" Rollenspieler zu sein. Das muss man sicher nicht. Andererseits lässt sich nicht wegdiskutieren, dass Rollenspieltheorie einigen Rollenspielern etwas gebracht hat. Es gibt Leute, die mit Hilfe von Rollenspieltheorie Probleme in ihrer Gruppe lösen konnten. Es gibt diese neuen Techniken und es gibt auch viele Leute, die sie mit großem Vergnügen und zur Erhöhung ihres Spielspaßes einsetzen. Es gibt diese neuen Spiele und auch eine wachsende Anzahl von Spielern, die sie sehr gerne spielt. Also zu behaupten, dass Rollenspieltheorie unnütz sei, ist einfach genau das: eine haltlose Behauptung. Sicher, Rollenspieltheorie steckt noch in den Kinderschuhen und muss (und wird) auch noch weiter verbessert werden. Und ich freue mich über jeden, der konstruktiv dazu beiträgt. Aber dennoch bleibt die Tatsache, dass Rollenspieltheorie bisher schon einige Erfolge erzielt hat.
Ich hoffe, das war in etwa verständlich.
Euer Theorie-Hansel Fredi