Einer grosser Teil der Theorie über Rollenspiele beschäftigt sich mit Regeln und Mechanismen: welche Effekte sie auf das Spiel haben, wie bestimmte Dinge, die man von einem Spiel erwartet durch Regeln möglichst elegant und effektiv erzeugt werden und so weiter.
Wenig oder gar keine Theorie (oder weniger hoch gegriffen: Überlegungen, Austausch) gibt es über die verschiedenen Kulturen, die Rollenspiele umgeben. Damit meine ich all die Faktoren, die kennzeichnend für ein bestimmtes Spiel sind, sich aber aus den Regeln nicht direkt ablesen lassen. Nichtsdestotrotz existieren sie meiner Meinung nach.
Zum ersten Mal ist mir das aufgefallen, als ich den USA D&D gespielt habe. Meine Mitspieler waren alle mit dem Spiel aufgewachsen, und obwohl sie sich teilweise erst in unserer Runde kennengelernt haben, hatten sie sofort eine gemeinsame Sprache, ein Verständnis über das Spiel, dass über die Regelkenntnis hinausging. Sie wussten, was das D&D-Gefühl ausmacht, was richtig und falsch ist bei D&D. Sie hatten auch sonst alle ziemlich viel gemeinsam, und zwar mehr, als sie mit mir als "Rollenspieler-aber-nicht-D&D-Spieler" gemeinsam hatten.
Ich bin seit geraumer Zeit aus der der deutschen DSA-Szene raus (puh!), aber mit einigem Abstand kann ich mit Sicherheit sagen: Es gibt eine DSA-Kultur. Dinge, die alle DSA-Spieler (statistisch bitteschön) gemeinsam haben.
Cthulhu-Spieler sind anders als DSA-Spieler. Zeig einer repräsentativ ausgewählten Gruppe von Rollenspielern ein Foto von einer Vampire-Spielerin und eins von einem D&D-Spieler. Ich behaupte, es gibt eine ziemlich gute Chance, dass beide richtig zugeordnet werden.
Spiele unterscheiden sich halt nicht nur nach ihren Mechanismen, sondern auch danach, in welchem Alter sie typischerweise gespielt werden, wie hoch der Frauenanteil ist, welche Getränke man dabei trinkt, welche Musik im Hintergrund läuft, welche Hobbies die Spieler sonst noch haben, ob man eher auf dem Sofa oder auf dem Boden sitzend spielt und so weiter und so weiter.
Und das ist für die Wahl eines Spiels wahrscheinlich genau so wichtig, wie eine bestimmte Art Regeln. Ich habe auch mit DSA aufgehört, weil ich das System irgendwann unter aller Kanone fand, aber mindestens genau so sehr, weil ich kaum Leute gefunden habe, die mir sympathisch waren und mit mir in allen den Aspekten harmoniert haben, die nicht in den Regeln standen. Bei anderen Spielen ist das anders.
Warum poste ich das im Theorie-Channel?
1.Regeln und Milieu/Kultur berühren sich eventuell irgendwo. Gibt es bestimmte Mechanismen, die ein bestimmtes Spiel provozieren, das wiederum bestimmte Leute anzieht?
2.Kann man das beim Design berücksichtigen? Wen will ich ansprechen, welches Spielgefühl erzeugen, und welche Mechanismen unterstützen das?
3.Besseres Erfassen der Realität durch Theorie: Mit rein struktrualistisch-funktionaler Theorie macht man den gleichen Fehler, wie Gesellschaftstheorien, die sich nur die Verfassungen und die Gesetzestexte von Gesellschaften angucken. Was Leute daraus machen, sieht oft ganz anders aus, ist aber ebenso wichtig.
4.Den Vorwurf der Realitätsferne von Theorie entkräften. Viele Leute finden sich in einer noch so genauen (und gelungenen) Beschreibung ihres Spiels nach Forge-Terminologie nicht wieder, weil ein wesentlicher Teil dessen, was das Spielerlebnis für sie ausmacht, einfach nicht erfasst wird. Denken wir mal an unseren "D&D - ein Powergame für zwischendurch?" - Thread hier im Forum. Es gibt ja massivste Widerstände gegen die Auffassung, D&D sei Powergaming von den Leuten, die es spielen. Für gewöhnlich endet die Diskussion dann damit, dass die D&D-ler sagen, sie würden aber ganz viele Sachen machen, die nicht in den Regeln stehen, und dann zucken die Theoretiker mit den Schultern und sagen : "Das interessiert uns nicht, wir können nur die Mechnsimen analysieren, alles andere ist nicht das Spiel.". Ist es aber doch, und für viele sogar der wichtigste Teil des Spiels.
Daran anschliessend, um noch mal zu zeigen, was ich mir vorstelle: Ron Edwards schreibt in "A hard look at D&D" schon einiges über die D&D-Kultur, unter anderem, dass D&D in der Frühzeit vor allem von Angehörigen der Armee gespielt wurde, bei denen das Wargaming traditionell beheimatet war, und auch, dass es zu Beginn kaum einen Kanon gab, jeder Gruppe also im Grunde ihr eigenes Spiel gemacht hat.
Jetzt: Ist es Teil der D&D-Kultur viel auf Hausregeln zu bauen (weil es früher gar nicht anders ging)? Ganz gewagt: Gibt es eine Parallele zwischen amerikanischen Militärangehörigen, die strenge Regeln befolgen müssen, sich andererseits aber als individuelle Helden sehen, die zum Selbermachen bei D&D beiträgt, das das regelseitige Powergaming aushebelt?
Im Vergleich dazu: Musste DSA sich vom powergamenden D&D abgrenzen, und ging deshalb so stark in Richtung Settingausbau (weil man ja in Abgrenzung zum Konkurrenten nicht die Regeln ausbauen durfte)? Und wen zieht sowas an? Waren das die Ausläufer der esoterischen 70er, die noch einen allgemeinen Geist von Innerlichkeit mit sich brachten in einer merkwürdigen Mischung mit dem aufkeimenden Computerfreak-Milieu? War DSA-Spielen der "gespielte" Antiamerikanismus der unpolitischen Träumer und Elektonikbastler? Und wie haben die sich angezogen?
Ich fände es nicht nur gewinnbringend, sondern auch ganz lustig, sich sowas mal näher anzusehen. Welche Kulturen/Milieus bilden Rollenspieler und wie kann man das fürs Design nutzen?