Autor Thema: Rollenspielkulturen(lang)  (Gelesen 2545 mal)

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wjassula

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Rollenspielkulturen(lang)
« am: 5.03.2005 | 18:23 »
Einer grosser Teil der Theorie über Rollenspiele beschäftigt sich mit Regeln und Mechanismen: welche Effekte sie auf das Spiel haben, wie bestimmte Dinge, die man von einem Spiel erwartet durch Regeln möglichst elegant und effektiv erzeugt werden und so weiter.

Wenig oder gar keine Theorie (oder weniger hoch gegriffen: Überlegungen, Austausch) gibt es über die verschiedenen Kulturen, die Rollenspiele umgeben. Damit meine ich all die Faktoren, die kennzeichnend für ein bestimmtes Spiel sind, sich aber aus den Regeln nicht direkt ablesen lassen. Nichtsdestotrotz existieren sie meiner Meinung nach.

Zum ersten Mal ist mir das aufgefallen, als ich den USA D&D gespielt habe. Meine Mitspieler waren alle mit dem Spiel aufgewachsen, und obwohl sie sich teilweise erst in unserer Runde kennengelernt haben, hatten sie sofort eine gemeinsame Sprache, ein Verständnis über das Spiel, dass über die Regelkenntnis hinausging. Sie wussten, was das D&D-Gefühl ausmacht, was richtig und falsch ist bei D&D. Sie hatten auch sonst alle ziemlich viel gemeinsam, und zwar mehr, als sie mit mir als "Rollenspieler-aber-nicht-D&D-Spieler" gemeinsam hatten.

Ich bin seit geraumer Zeit aus der der deutschen DSA-Szene raus (puh!), aber mit einigem Abstand kann ich mit Sicherheit sagen: Es gibt eine DSA-Kultur. Dinge, die alle DSA-Spieler (statistisch bitteschön) gemeinsam haben.

Cthulhu-Spieler sind anders als DSA-Spieler. Zeig einer repräsentativ ausgewählten Gruppe von Rollenspielern ein Foto von einer Vampire-Spielerin und eins von einem D&D-Spieler. Ich behaupte, es gibt eine ziemlich gute Chance, dass beide richtig zugeordnet werden.

Spiele unterscheiden sich halt nicht nur nach ihren Mechanismen, sondern auch danach, in welchem Alter sie typischerweise gespielt werden, wie hoch der Frauenanteil ist, welche Getränke man dabei trinkt, welche Musik im Hintergrund läuft, welche Hobbies die Spieler sonst noch haben, ob man eher auf dem Sofa oder auf dem Boden sitzend spielt und so weiter und so weiter.

Und das ist für die Wahl eines Spiels wahrscheinlich genau so wichtig, wie eine bestimmte Art Regeln. Ich habe auch mit DSA aufgehört, weil ich das System irgendwann unter aller Kanone fand, aber mindestens genau so sehr, weil ich kaum Leute gefunden habe, die mir sympathisch waren und mit mir in allen den Aspekten harmoniert haben, die nicht in den Regeln standen. Bei anderen Spielen ist das anders.

Warum poste ich das im Theorie-Channel?

1.Regeln und Milieu/Kultur berühren sich eventuell irgendwo. Gibt es bestimmte Mechanismen, die ein bestimmtes Spiel provozieren, das wiederum bestimmte Leute anzieht?

2.Kann man das beim Design berücksichtigen? Wen will ich ansprechen, welches Spielgefühl erzeugen, und welche Mechanismen unterstützen das?

3.Besseres Erfassen der Realität durch Theorie: Mit rein struktrualistisch-funktionaler Theorie macht man den gleichen Fehler, wie Gesellschaftstheorien, die sich nur die Verfassungen und die Gesetzestexte von Gesellschaften angucken. Was Leute daraus machen, sieht oft ganz anders aus, ist aber ebenso wichtig.

4.Den Vorwurf der Realitätsferne von Theorie entkräften. Viele Leute finden sich in einer noch so genauen (und gelungenen) Beschreibung ihres Spiels nach Forge-Terminologie nicht wieder, weil ein wesentlicher Teil dessen, was das Spielerlebnis für sie ausmacht, einfach nicht erfasst wird. Denken wir mal an unseren "D&D - ein Powergame für zwischendurch?" - Thread hier im Forum. Es gibt ja massivste Widerstände gegen die Auffassung, D&D sei Powergaming von den Leuten, die es spielen. Für gewöhnlich endet die Diskussion dann damit, dass die D&D-ler sagen, sie würden aber ganz viele Sachen machen, die nicht in den Regeln stehen, und dann zucken die Theoretiker mit den Schultern und sagen : "Das interessiert uns nicht, wir können nur die Mechnsimen analysieren, alles andere ist nicht das Spiel.". Ist es aber doch, und für viele sogar der wichtigste Teil des Spiels.

Daran anschliessend, um noch mal zu zeigen, was ich mir vorstelle: Ron Edwards schreibt in "A hard look at D&D" schon einiges über die D&D-Kultur, unter anderem, dass D&D in der Frühzeit vor allem von Angehörigen der Armee gespielt wurde, bei denen das Wargaming traditionell beheimatet war, und auch, dass es zu Beginn kaum einen Kanon gab, jeder Gruppe also im Grunde ihr eigenes Spiel gemacht hat.

Jetzt: Ist es Teil der D&D-Kultur viel auf Hausregeln zu bauen (weil es früher gar nicht anders ging)? Ganz gewagt: Gibt es eine Parallele zwischen amerikanischen Militärangehörigen, die strenge Regeln befolgen müssen, sich andererseits aber als individuelle Helden sehen, die zum Selbermachen bei D&D beiträgt, das das regelseitige Powergaming aushebelt?

Im Vergleich dazu: Musste DSA sich vom powergamenden D&D abgrenzen, und ging deshalb so stark in Richtung Settingausbau (weil man ja in Abgrenzung zum Konkurrenten nicht die Regeln ausbauen durfte)? Und wen zieht sowas an? Waren das die Ausläufer der esoterischen 70er, die noch einen allgemeinen Geist von Innerlichkeit mit sich brachten in einer merkwürdigen Mischung mit dem aufkeimenden Computerfreak-Milieu? War DSA-Spielen der "gespielte" Antiamerikanismus der unpolitischen Träumer und Elektonikbastler? Und wie haben die sich angezogen?

Ich fände es nicht nur gewinnbringend, sondern auch ganz lustig, sich sowas mal näher anzusehen. Welche Kulturen/Milieus bilden Rollenspieler und wie kann man das fürs Design nutzen?

NiceGuyEddie

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Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #1 am: 5.03.2005 | 19:09 »
Vollste Zustimmung. Wenn man sich stärker mit einem Spiel beschäftigt, egal, ob man es schon mal in Aktion gesehen hat oder es in den Regeln steht, man kriegt einfach ein Gefühl dafür, wie das typische Spiel aussieht, wie eine normale Kampagne läuft, die Atmosphäre, welche Musik laufen muss und ob es von den meisten Fans dieses Spiels als lächerlich angesehen wird oder nicht zur Steigerung der Atmosphäre mittelalterliche Trachten zu tragen...

Im übrigen spielen halt bestimmte Leute ein bestimmtes Spiel, die nicht nur in STil und Spielgewohnheiten ähnlich sind, sondern auch ... na ja, gleich aussehen. Vielleicht sind es nur Klischees, aber sind Vampirespieler nicht diese Pseudogoths in Samtklammotten, die seitenlange schlechte Gedichte in Gothicforen schreiben oder sind DSA-Spieler nicht diese wirklichkeitsfremden Mittelalterverehrer, die am liebsten gleich in ganz in dieser Epoche leben würden(oder eben in ihrer kitschigromantischen Vorstellung davon)...

Nein, da ist schon was dran.

btw.: Was ich an DSA auch am meisten nicht mag sind erstens die Regeln und zweitens die Spieler... ;)

Offline Lord Verminaard

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Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #2 am: 6.03.2005 | 14:46 »
Danke Wjassula für diesen schönen Beitrag. :d Besondere Zustimmung zu:

Zitat
"Das interessiert uns nicht, wir können nur die Mechnsimen analysieren, alles andere ist nicht das Spiel.". Ist es aber doch, und für viele sogar der wichtigste Teil des Spiels.

Ich muss das noch mal sacken lassen, dann kann ich vielleicht was substantielles dazu beitragen.
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Ein

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Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #3 am: 10.03.2005 | 13:59 »
Ich bin zwar eigentlich auf Theorieauszeit, aber das hier ist praxisnah genug für mich, dass ich trotzdem gewillt bin mich damit zu beschäftigen.

Erstmal, sehr schöner Artikel wjassula, der eine Menge wichtiger Ansätze für ernsthaft Rollenspiel-Designer beinhaltet.

Zitat
Ich fände es nicht nur gewinnbringend, sondern auch ganz lustig, sich sowas mal näher anzusehen. Welche Kulturen/Milieus bilden Rollenspieler und wie kann man das fürs Design nutzen?

Ich denke, man kann diese Erkenntnis derart nutzen, dass man sich seine Zielgruppe genau aussucht. Anstatt also einfach als Künstler ins Blaue hineinzudesignen, widmet man sich also zuerst einmal der Auswahl einer Zielgruppe, die in ihrer Grundeinstellung eine Position einnimmt, die sich in unserem Konzept wiederfindet.

Alleine diese Auswahl kann aber sehr, sehr schwer sein. Besonders schwer, wenn man versucht Nicht-Rollenspieler zum Spiel hinzubringen. Da solche Grundeinstellungen selten offen ersichtlich sind.

Sobald man aber trotzdem seine Zielgruppe hat, muss man sich daran begeben diese genaustens zu analysieren und herauszufinden, was sie wollen und was sie nicht wollen. Am einfachsten ist es dabei wohl, wenn man selbst zu dieser Zielgruppe gehört, da man in diesem Augenblick automatisch die Situation von innen heraus betrachten kann, ohne Mutmassungen stellen zu müssen.

Nach der Analyse überarbeitet man sein Zielkonzept, in dem man es mit den Wünschen und Bedürfnissen seiner Zielgruppe zusammenbringt. Als Resultat hat man dann letztendlich ein Designkonzept mit dem sich klar arbeiten lässt und von dem man ausgehen kann, dass es Interesse finden wird.

Praxis-Beispiel:

Im Grunde bin ich bei Alias nicht anders herangegangen. Ich hatte eine Idee, wollte aber endlich mal ein Rollenspiel entwickeln, dass auch Anklang findet.

Da sich meine Idee zum Teil aus Kritiken zusammensetzte, die ich gegenüber Dark-Future-Rollenspiele erhebe (vornehmlich SR, CP2020 und THS), hatte ich eine klare Vorstellungen, wie mein Design aussehen zu hatte. Zudem wusste ich auch sofort (intuitiv) welche Vorstellungen meine Zielgruppe (vornehmlich frustierte SR-Spieler und SciFi-interessierte Neueinsteiger) hat. Immerhin war ich ja selbst Teil dieser Zielgruppe.

Bisher hat sich mein Konzept auch durchgängig als akzeptabel erwiesen. Sicherlich mussten hier und da Feinkorrekturen vorgenommen werden, aber im Ganzen ist Alias "as it is" als marktfähig zu betrachten.

Offline Kardinal Richelingo

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Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #4 am: 10.03.2005 | 14:32 »
Du meinst Vampire Spieler tragen immer schwarz und haben mindestens ein pentgramm als Amulett ?

DSA Spieler sind eigentlich Theologiestudenten, die am liebsten Schneewittchen und die 7 Zwerge sind und Sonntags in die Kirche gehen ?

D&D Spieler sind Nerds, die ihre Schläge, die sie auf dem Schulhof bekommen haben als Superkämpfer am Nachmittag ausleben ?

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Offline dr.fendo

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Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #5 am: 10.03.2005 | 17:38 »
guck dich mal in deinem Umfeld um. Vielleicht nicht so überspitzt, aber ähnlich seh ich das in meinem Umfeld. Vor allem an den nichtrollenspielinteressen. Viele DSA Spieler die ich kenne sind Mittelalterfreaks, D&D Spieler Geekähnlich etc. Verallgemeinern kann man das halt nie, aber ich finde die Richtung stimmt
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NiceGuyEddie

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Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #6 am: 10.03.2005 | 19:38 »
Außerdem war es auch nicht das was Wjassulla meinte. Er wollte nur darauf hinweisen dass bei verschiedenen Spielen automatisch gleiche Verständnissse vom Spiel entstehen die sich nur durch die Regeln nicht erklären lassen. Oder so.

Patrick

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Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #7 am: 10.03.2005 | 22:14 »
Und was ist wenn man praktisch alles spielt?   ;)

Nein, ich denke es ist schon was wares drann. Ich komme selber aus der DSA Ecke (und spiele es immer noch begeistert) und ich bin ziemlich Geschichtsbegeistert, Anfangs auch und insbesondere Mittelalter, jetzt aber nicht mehr. Wenn man sich die DSA-Community (aber nicht nur diese) habens ich wirklich schon viele gemeinsame Konventionen und etwas wie eine Terminologie durchgesetzt.
Interessant ist aber noch die Frage wer denn jetzt wen beeinflusst. Kommt und bleibt man bei DSA weil einem dieser Bereich so gefällt, oder gefällt es einen, weil man DSA so mag. Bei mir ist definitv die zweite Variante der Fall.

wjassula

  • Gast
Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #8 am: 10.03.2005 | 22:58 »
Danke für den Zuspruch.

Ein Reisenproblem an der ganzen Sache ist natürlich, dass man wahnsinnig schwer sinnvoll Daten sammeln kann. Und ich hätte da auch nicht wirklich Lust, irgendwelche Fragebögen zu entwerfen, die Anhänger von System XY nach ihrem Musikgeschmack befragt  ::).

Ausserdem hör ich sie schon alle schreien: "So sind wir doch gar nicht!".

Es wird also immer Stcükwerk bleiben - empirisch unzureichend gesichertes Stückwerk noch dazu. Aber vielleicht schreib ich trotzdem mal was über meine Sicht der Dinge bei DSA, wenn ich Zeit hab.

NiceGuyEddie

  • Gast
Re: Rollenspielkulturen(lang)
« Antwort #9 am: 11.03.2005 | 12:49 »
Ich glaube auch kaum, dass es nötig ist, Daten zu sammeln, um Sensibilität für seine Zielgruppe zu kriegen. Wenn man wirklich herausfinden will, was eine bestimmte Gruppe von Menschen haben will, wird es wohl das Beste sein, sich einfach mit denen zu beschäftigen. Gespräche führen und herumfragen(wie EIn es ja zum Beispiel für Alias gemacht hat) oder zum Beispiel in Foren Kontakt zu der Zielgruppe suchen und mit ihnen anstatt zum Beispiel nur mit anderen Spielebauern, die ja meist nicht die Zielgruppe sind, seine Ideen zu diskutieren.

Und empirische Daten über DSA-Spieler wären zwar interressant zu lesen, aber praktisch wenig hilfreich.