Autor Thema: Pro und Contra Genre  (Gelesen 5852 mal)

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Offline Bitpicker

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Re: Pro und Contra Genre
« Antwort #25 am: 17.08.2005 | 14:07 »
Ich kann dir ohne größere Probleme mehr als nur eine handvoll Rollenspielsysteme nennen, bei denen die von dir genannten Aktionen sowohl möglich als auch plausibel wären.

Auch dann noch, wenn du beachtest, dass ich gesagt habe, dass es sich dabei nicht um eine explizite Einschränkung durch die Setting-Realität handeln soll? Soll heißen: wenn die Setting-Realität Superhelden wie Flash erlaubt, der problemlos auch noch schneller von LA nach NY laufen kann, gilt das Beispiel nicht.

Dass der Wunsch nach Plausibilität gewisse Grenzen setzt, bestreite ich ja gar nicht, im Gegenteil, ich habe es in meiner ersten Antwort an dich weiter oben bereits eingeräumt. Mit Arbos Worten aus einem anderen Thread, das ist eine Binsenweisheit. Würde Plausibilität keine Grenzen setzen, würde sie alle rein genre-motivierten Aktionen erlauben, aber das tut sie nicht.

Im Grunde wollte ich gar keine Diksussion über Plausibilität vom Zaun brechen, sondern neben meiner reinen Contra-Position bzgl. Genre-Konventionen von Leuten hören, die Genres und deren Konventionen gut finden, warum das so ist. Ich habe auf den Superhelden-Thread hingewiesen; mehrfach wurde dort gesagt, dass Superhleden und Angst einfach nicht zusammenpassen. Angst ist somit nicht Teil des Superhelden-Genres. Dazu sage ich nur: warum nicht? Ich möchte die Gründe dafür verstehen, warum man solch eine Genre-Einschränkung gerne hinnimmt, deshalb dieser Faden.

@Azentar:
Zitat
Du wendest dich gegen die kreative Einschränkung im Allgemeinen, wobei du dich von dem einschränkenden Element "Realismus" doch nicht trennen magst. Ist das so richtig?

Nein, ist es nicht. Wie gesagt, ich versuche zu verstehen, warum jemand gerne Einschränkungen und wohl auch Ausweitungen der Möglicheiten, die ausschließlich durch ein Genre entstehen, akzeptiert.

@Leonie:
Ich wollte den Begriff 'Realismus' durch 'Plausibilität' ersetzen (meinetwegen auch 'Glaubwürdigkeit'), um den üblichen Missverständnissen vorzubeugen, die dadurch entstehen, dass die Leute den Begriff nicht literaturwissenschaftlich verstehen, ihn mit 'Realität' verwechseln oder als das Gegenteil von 'fiktional' ansehen.
Etwas ist dann plausibel, wenn es dafür eine nicht meta-motivierte Begründung gibt. Wenn etwas nur deshalb geschieht, weil es zum Genre gehört oder weil es die Regeln aufgrund mechanischer Schwächen erlauben, es aber im Setting (quasi absolut in-game) nicht begründbar ist, dann ist es unplausibel.

Wenn Dinge, die man loslässt, nicht runterfallen und es keine in-game-Begründung wie z.B. Magie (Add-On für die Realität) oder Schwerelosigkeit (physikalische Realität) dafür gibt, schreit sicher jeder, dass das nicht sein kann, es ist also unplausibel. Leider ist mir kein Genre bekannt, zu dessen Eckpfeilern es gehört, dass Dinge nicht herunterfallen, weshalb das Beispiel nicht über die ganze Bandbreite der Argumentation funktioniert. Aber deine Henker / Dämonen-Beispiele sind nicht inhärent unplausibel: es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ein bestimmter, ansonsten eiskalter Henker nicht gerührt auf Blümchen reagieren kann oder dass ein bestimmter grausamer Dämon grundsätzlich niemanden einfach so entkommen lassen kann. Wenn eine solche Regel existiert, dann ist sie eine Genre-Regel - eben so, wie es keinem Gegner von James Bond erlaubt ist, diesen einfach umzulegen, er muss eine Chance haben, zu entkommen. Außer dem Genre gibt es für derart dummes Verhalten keine Entschuldigung - es ist für mich unplausibel. Ist das jetzt deutlicher?

Zur Diskussion, was der Begriff 'Realismus' eigentlich ist: gerade die Narrativisten unter uns dürfte es eigentlich nicht wundern, dass eine Menge literaturwissenschaftlicher Begriffe in der Diskussion auftauchen (was ich persönlich auch als Nicht-Narrativist aber Literaturwissenschaftler ganz prima finde). Genre ist einer, ebenso Setting, Erzählperspektive usw. Realismus auch - wie schon erwähnt, handelt es sich hier wie bei Expressionismus, Impressionismus, Naturalismus, Romantik usw. um einen Stil. Ich denke, es bringt wenig, einen anderen Begriff dafür finden zu wollen. Wir können uns darauf einigen, dass auch Stile Einschränkungen setzen, was wiederum eine Binsenweisheit ist. Sobald etwas mit einem Begriff bezeichnet wird, um es von etwas anderem zu unterscheiden, das es eben nicht ist, sind offensichtlich auch Grenzen zwischen den beiden zu bezeichnenden Dingen gesetzt und unterscheiden sich diese Dinge. Ein Bild / Roman / Film / Rollenspiel kann per definitionem nicht gleichzeitig naturalistisch und expressionistisch sein. Aber, wie gesagt, darum geht es mir in dieser Diskussion gar nicht.

Robin
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azentar

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Re: Pro und Contra Genre
« Antwort #26 am: 17.08.2005 | 15:11 »
Ansonsten: Ich bin mir nicht sicher, wie du das mit der Plausibilität meinst. Könnte man sagen, daß sich Realismus auf die Rahmenbedingungen bezieht (Dinge fallen runter, Reisen braucht Zeit), und Plausibilität auf Plot und NSCs (Der eiskalte Henker weint nicht beim Anblick von Blümchen, Grausame Dämonen lassen nicht einfach irgendwelche Leute laufen)?

Ich meinte einfach, daß Plausibilität kein Teil der Diskussion über Sinn und Unsinn von Genres ist - Ob etwas plausibel (oder wie manche sagen "realistisch") ist oder nicht, wird erst entschieden, nachdem eine Handlung/Erzählsituation stattgefunden hat, reflektiert und ausgewertet wird. Hier aber wird über Voraussetzungen geredet.

@Azentar:
Nein, ist es nicht. Wie gesagt, ich versuche zu verstehen, warum jemand gerne Einschränkungen und wohl auch Ausweitungen der Möglicheiten, die ausschließlich durch ein Genre entstehen, akzeptiert.

Auf die Gefahr hin, hier Unsinn zu verzapfen und mich zu wiederholen:

Warum werden "Genregesetze" akzeptiert?
Hat wahrscheinlich mit der Erwartungshaltung seitens des Publikums/der Leserschaft/der Mitspieler zu tun.
Einerseits besteht eine Angst, die Hoffnungen/Erwartungen nicht zu erfüllen und damit sein Publikum zu enttäuschen, also wird der Weg des kleinsten Widerstandes gewählt.
Ein Wandern abseits der eingetretenen Pfade ist riskant - der Weg zu einer guten Geschichte ist sowohl für den Autor wie auch für das Publikum anstrengender, länger und gefährlicher (tödlich im Falle des Scheiterns, aber um so lohnender im Falle des Erfolgs).

Klar führt Genreerfüllung als Selbstzweck zu unsinnigen Ergebnissen. Aber diese entstehen wie gesagt mehr durch fehlende Phantasie, handwerkliche Unfähigkeit und Schwächen in der Plotentwicklung und der Darstellung von Figuren (das verzweifelte Klammern an Konventionen / Clichees). Sprich: Wer es nicht besser kann, weiss oder wll, klammert sich an eingespielte Methoden und/oder konstruiert Situationen, um Bewährtes aufzuwärmen und verwenden zu können. 
"Schuld" ist der Dilletantismus der Autoren/SLs/Spieler - nicht das "Genre", welche alle Freiheiten der Welt erlaubt: Wenn z. B. der Bösewicht den Superspion direkt erschießt, werden damit keine Genregesetze gebrochen. Es ist lediglich eine vom Standard abweichende Interpretation des Spionagethriller-Themas.
« Letzte Änderung: 17.08.2005 | 15:13 von Azentar »

Offline Bitpicker

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Re: Pro und Contra Genre
« Antwort #27 am: 17.08.2005 | 15:50 »
@Azentar: Unsinn ist das nicht, es geht mehr in die Richtung, in die ich wollte. Wenn der Spion ohne viel Federlesens erschossen wird, handelt es sich immer noch um einen Spionagethriller, da stimme ich zu - aber wird nicht doch an dieser Stelle eine Genre-Grenze durchbrochen, ebenso wie wenn der Superheld plötzlich doch Angst hat?

Nehmen wir einmal an, ein Spieler in einem James Bond-Rollenspiel hat einen Top-Agenten-SC, und dieser wird vom Bösewicht umgelegt. Führt das nicht zu Entrüstung seitens des Spielers, weil der SL die Genre-Konventionen verletzt hat? Sind nicht Regelsysteme wie Wushu explizit auf die Aufrechterhaltung von Genre-Grenzen ausgelegt, indem du dich darauf verlassen kannst, dass ein solches Ergebnis (SC wird einfach geplättet) gar nicht möglich ist?

Tritt die von dir erwähnte Angst also nicht auch im Rollenspiel auf? Das Genre kann hier scheinbar auch als Zuflucht und Sicherheitsgurt dienen, weil man weiß, dass dem SC in der Situation X nichts passieren kann.

Robin
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Offline Roland

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Re: Pro und Contra Genre
« Antwort #28 am: 17.08.2005 | 16:00 »
Im Grunde wollte ich gar keine Diksussion über Plausibilität vom Zaun brechen, sondern neben meiner reinen Contra-Position bzgl. Genre-Konventionen von Leuten hören, die Genres und deren Konventionen gut finden, warum das so ist. Ich habe auf den Superhelden-Thread hingewiesen; mehrfach wurde dort gesagt, dass Superhleden und Angst einfach nicht zusammenpassen. Angst ist somit nicht Teil des Superhelden-Genres. Dazu sage ich nur: warum nicht? Ich möchte die Gründe dafür verstehen, warum man solch eine Genre-Einschränkung gerne hinnimmt, deshalb dieser Faden.

Angst (wie sie in Horrogeschichten üblich ist) ist kein Teil des Superheldengenres, da das von der großen Mehrheit der Autoren und Leser so definiert wird. Wenn ich in unseren örtlichen Comicladen gehe und mir wahllos 30 Superhelden Comics 'rausgreife, werden die Protagonisten in höchstens 20% der Comics überhaupt mal Angst haben und richtig schreckliche Dinge (und Gemütszustände) widerfahren ihnen in maximal 5% der Hefte.
Es ist wahrscheinlich möglich, Superhelden und Horror zu verbinden, aber ich halte es für sehr schwierig, da die beiden Genres doch recht gegesätzlich sind. Meist wird bei dem Versuch entweder Horror oder Superheldenaction herauskommen oder überhaupt nichts gescheites. 

Für mich dienen Genres ganz einfach als gemeinsame Erwartungsgrundlage. Hänge ich auf einem Con einen Rundenzettel für eine "Superheldenrunde" aus, mache aber zum großten Teil Horror, werden meine Spieler zum großen Teil enttäuscht sein. Post ich im deutsche Cthulhu Forum, werden die meisten Teilnehmer auf Ausflüge in Superhelden oder Action Genre etwas befremdet reagieren.
Ich überschreite Genregrenzen recht gern, versuche mcih da aber im Rahmen der Wünsche meine Mitspieler zu bewegen.
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