Autor Thema: [Unknown Armies] Road Movie  (Gelesen 17284 mal)

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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #25 am: 23.01.2006 | 17:27 »
Irgendwie fehlen mir die kleinen Überschriften. Sieht komisch aus ohne. Geht es euch auch so?

Tropic - All Inclusive

Nach einem längeren Ritt durch die Canyons von Utah kamen wir endlich in Tropic an, einem Touristennest mitten im Bryce Canyon Park. Cleo´s war leicht zu finden - aus irgendeinem Grund (der uns später natürlich klar werden sollte) hatte das Restaurant ein Hawaiithema. Wir wurden also mit 'Aloha' begrüßt und mit Blumenkränzen behängt. Auf der Karte fanden sich alle möglichen pseudo-hawaiianischen Angebote: Hawaii-Burger, Hawaii-Pizza, Hawaii-Chili... Das besondere an all diesen Gerichten war, daß sie auf Teufel-komm-raus mit Ananas dekoriert waren. Ansonsten schmeckten sie eigentlich wie die Originalversionen.
Während wir gegessen haben, traten verschiedene Künstler auf - ein Zauberer, der Brian verschwinden und wieder auftauchen ließ (großes Erstaunen), eine Hula-Gruppe und ein rassistischer Komiker, der meinte, es wäre doch lustig, ein paar Witze über doofe Indianer zu erzählen. Bei dieser Vorstellung verging mir der Appetit, und ich bin erstmal kurz raus. Zum Nachtisch - nachdem der Depp fertig war - traf ich mich dann wieder mit den anderen.

Als wir Cleo´s wieder verließen, standen wir plötzlich nicht auf der Hauptstraße von Tropic in Utah, sondern mitten in einem Ferienressort mit Palmen, weißem Strand und netten Bungalows. Im Hintergrund rauschte das Meer. Ein freundlicher Angestellter begrüßte uns und gab uns rote Bändchen, die wir uns ums Handgelenk binden sollten, zum Zeichen, daß wir Gäste waren. Einige mißtrauische Nachfragen ergaben, daß wir auf der Insel Tropicana waren, die zur Inselgruppe Hawaii gehört, aber kein amerikanisches Territorium ist. Angeblich hatte Brian vor einigen Wochen einen All-inclusive-Urlaub für vier Personen gebucht. Noch fünf Tage durften wir auf der Insel verbringen, uns entspannen, irgendwelche Kurse belegen und alles machen, wonach uns der Sinn stand. War ja all-inclusive - alle Wünsche würden uns hier erfüllt werden.

Natürlich waren wir mißtrauisch (okay, Sylvia, Brian und ich waren mißtrauisch, Kim fand das alles einfach nur toll). Bisher hatten wir ständig Horror- oder Actionfilme nacherlebt - und uns fielen einige Filme ein, die mit Kommentaren wie 'Euch werden alle Wünsche erfüllt' anfingen. Die endeten meistens damit, daß haufenweise Leute aufgegessen oder geistig übernommen werden. Darauf hatte ich keine Lust, Sylvia und Brian auch nicht. Kim war das, glaube ich, eher egal - Hauptsache, er konnte Musik machen.

Aber da wir schon mal da waren, konnten wir auch Gebrauch von den Angeboten machen. Der Angestellte hatte uns freundlich erklärt, daß die Fähre zurück erst in fünf Tagen gehen würde, und daß man die Insel vorher nicht verlassen könnte (das stimmte nicht, wie wir später feststellen sollten - vielleicht hat er es auch anders formuliert, aber wir hatten den Eindruck, wir müßten die nächsten fünf Tage auf jeden Fall auf Tropicana verbringen).
Brian und Sylvia wollten einen Reitkurs machen, Kim wünschte sich ein bestimmtes Instrument. Offenbar geisterte ihm schon seit New Fortune ein Lied im Kopf herum, das man aber nur auf diesem Instrument spielen konnte. Einem sehr seltenen Instrument, von dem es weltweit nur drei Exemplare gibt: Eine Art Gitarre, aber mit anders angeordneten Saiten oder so - ich habe keine Ahnung von Musikinstrumenten. Auf jeden Fall brauchten die Jungs vom Inselteam nur drei Stunden, um ihm sein Instrument zu besorgen. Einen Aufpreis mußte er dafür nicht bezahlen. Bei dem 'all-inclusive'-Angebot waren auch solche Sonderwünsche dabei.

Brian und Sylvia absolvierten ihren Reitkurs auf ihren eigenen Pferden, die ebenfalls auf der Insel waren. Dabei lernte Brian Rachel kennen, eine junge Touristin, die mit ihren Eltern ebenfalls einen all-inclusive-Urlaub gebucht hatte. Die beiden verstanden sich ganz gut und verabredeten sich für den Abend. Sylvia hielt sich eher zurück (vielleicht war auch einfach niemand dabei, der sie interessierte).

Ich war erstmal eine Weile am Strand. Dort traf ich Sarah Ott, eine deutsche Touristin, die ebenfalls mit ihren Eltern im Urlaub war. Außerdem hatte sie noch einen jüngeren Bruder dabei, Maximillian. Wir haben uns eine Weile über alles mögliche unterhalten und abends für die Disco verabredet. Sie schien ganz nett zu sein, und es war schon ziemlich lange her, daß ich das letzte Mal mit einer Frau verabredet war. Gegen einen kleinen Urlaubsflirt hatte ich nicht das geringste einzuwenden, ganz im Gegenteil.

Der Abend verlief dann auch sehr nett. Wir waren alle zusammen in der Disco, mit Rachel und Sarah. Sylvia saß in der Ecke und trank bunte Cocktails, Kim durfte ein Solo auf seinem Instrument spielen und hatte sofort eine Horde Groupies am Hals (darunter auch Sarahs Bruder) und Brian verschwand irgendwann mit Rachel.
Ich und Sarah sind auch spazieren gegangen. Es war total romantisch, Meer, Sterne, weißer Strand... da kam dann so eins zum anderen, und wir haben miteinander geschlafen.

Am nächsten Morgen sind wir (Sarah und ich) zusammen mit ihren Eltern frühstücken gegangen. Ihr Vater hatte offenbar irgendwelche komischen deutschen Indianerromane gelesen und meinte jetzt, alles mögliche darüber zu wissen - jedenfalls begrüßte er mich mit 'Howgh, mein Bruder' und ähnlichen Phrasen. Ich habe eine Weile lang versucht, ihm zu erklären, daß das ziemlich unpassend ist, aber ich glaube nicht, daß er mich verstanden hat. Sarah und ihrem Bruder war sein Getue unglaublich peinlich, aber ich hatte so gute Laune und er war so aufrichtig bemüht, daß es mich nicht wirklich gestört hat.

Brian saß mit Rachel und deren Eltern am Frühstückstisch. Er hielt Händchen mit ihr, und so, wie die beiden sich anguckten, war klar, daß sie die Nacht zusammen verbracht hatten. Das wäre auch alles Klasse gewesen, wenn nicht genau in dem Moment Hope Smith in den Frühstückssaal gekommen wäre.
Ja, genau, die Hope Smith. Brians große 'Oh mein Gott, ich muß sie retten' Flamme aus Hill Rose. Ich weiß nicht, wo sie auf einmal herkam. Sie sah Brian und lief freudestrahlend auf ihn zu - zumindest bis sie sah, daß er Händchen mit Rachel hielt. Natürlich wollte sie wissen, wer Rachel ist, Rachel wollte wissen, wer sie ist, und Brian saß mitten drin und wußte nicht so ganz, was er machen sollte.
Schließlich stürmte Hope aus dem Saal, Brian hinterher. Rachel war nicht sehr begeistert, verzichtete aber glücklicherweise darauf, ebenfalls hinterherzurennen. Etwa eine halbe Stunde später kam Brian wieder, allein. Es war ihm nicht gelungen, Hope zum Bleiben zu überreden. Sie hatte die Insel mittlerweile schon wieder verlassen - mit der Fähre, die angeblich erst in vier Tagen abfahren sollte. Rachel hat Brian dann noch ein paar unschöne Dinge gesagt und ist ebenfalls abgerauscht. Zumindest aus dem Speisesaal.

Das war der Moment, in dem Sarah anfing, mir auf die Nerven zu gehen. Ich wollte eigentlich mit Brian reden - es war ja offensichtlich, daß es ihm nach dieser seltsamen Geschichte nicht gerade spitzenmäßig ging. Erst wollte Sarah unbedingt mitkommen, obwohl sie Brian kaum kannte, und dann war sie beleidigt, als ich ihr sagte, daß es besser wäre, wenn ich allein mit ihm sprechen würde. Das fand ich ein bißchen daneben.
Später habe ich sie dann wiedergetroffen, als wir zusammen einen Kurs in Hawaiianisch belegt haben. Ist eine interessante Sprache, und ich dachte mir, wenn ich schon mal hier bin, was spricht dagegen, ein bißchen was zu lernen? War auch ganz lustig, Sarah und ich haben uns wieder vertragen und viel Spaß gehabt. Nur als sie dann anfing, davon zu reden, daß wir ja später zusammenziehen und eine Ranch haben könnten, fand ich das reichlich voreilig. Schließlich hatten wir uns ja grade erst kennengelernt. Aber irgendwie habe ich es nicht geschafft, ihr klarzumachen, daß sie für mich eigentlich nur ein netter Urlaubsflirt ist.

Brian hatte in der Zwischenzeit einen Alchemiekurs belegt. Der Kurs erinnerte stark an die Unterrichtsstunden bei Professor Snape, die in den Harry-Potter-Romanen beschrieben sind: Ein unfreundlicher Lehrer, der Brian die ganze Zeit runtermachte, lustige Experimente mit Gegengiften und anderen Tränken an einem unglücklichen Kursteilnehmer names Pillington, blubbernde alchemische Mischungen, die alle möglichen Zwecke erfüllen sollten (es aber nicht unbedingt taten, wenn ich das richtig verstanden habe). Brian durfte das Buch mit den alchemischen Rezepten nach dem Kurs behalten. Ich bin immer noch nicht sicher, ob das wirklich so gut war. Besonders erfolgreich war Brian in der Herstellung dieser komischen Tränke bisher jedenfalls nicht.

Kim machte einen Musikkurs mit seinem neuen Instrument, und Sylvia verkroch sich in die Bibliothek, um ein wenig zu lesen. Dabei fand sie ein seltenes, sehr fachspezifisches Buch über Genetik, das eigentlich nur in einigen wenigen Spezialsammlungen herumsteht. Nicht einmal die U of C hat dieses Buch.
Ich weiß nicht, warum Sylvia sich deswegen so aufgeregt hat. Sie sagte, es sei ein Beweis, daß hier auf der Insel etwas nicht stimmen würde, aber das wußten wir eigentlich auch schon vorher. Die wenigsten tropischen Inseln haben wurmlochartige Eingänge von Utah aus. Vermute ich zumindest.

An diesem Abend passierte nicht mehr viel. Kim wurde beim Musikspielen am Strand massiv von seinen Groupies belästigt, die ihn nicht mal zum Essen fortgehen lassen wollten. Glücklicherweise konnten wir die Kids überzeugen, daß er mit vollem Magen viel besser spielen könnte... Ich glaube, er ist dann später mit einem seiner Groupies im Schlafzimmer verschwunden, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Ich habe die Nacht jedenfalls wieder mit Sarah verbracht. Ich weiß, ich weiß, das hätte ich vielleicht besser lassen sollen - es war ja klar, daß ihr Interesse an mir viel ernsthafter war als meins an ihr. Aber ich hatte keine Lust auf eine Konfrontation mit ihr, also habe ich einfach mitgemacht.
Das Problem hatte ich schon früher immer mit Frauen: Ich kann einfach nicht 'Nein, danke' sagen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich solange mit Claire zusammen war. Und warum die Sache mit Mel so schief gelaufen ist. Aber das geht jetzt echt zu sehr ins Detail und hat mit diesem Bericht absolut nichts zu tun.

Weiter im Text:
Am nächsten Tag stand für Sylvia, Brian und mich ein Schußwaffenkurs auf dem Programm. Rachel und Sarah hatten sich ebenfalls angemeldet, und Rachel sah die ganze Zeit so aus, als würde sich lieber auf Brian als auf die Zielscheibe schießen. Sarah klebte die ganze Zeit an mir dran und wollte, daß ich ihr dies und das zeige. Das nervte nun wieder, schließlich wollte ich selber üben und die Chance ausnutzen, mal einen professionellen Lehrer zu haben. Nach der x-ten Frage wurde ich unfreundlich, und Sarah zog schmollend von dannen.
Brian fing ein Gespräch mit ihr an und erzählte, ich hätte Bindungsängste, blablabla (erinnert mich jetzt irgendwie an Claires Gefasel). Sie sollte einfach die Unnahbare spielen, dann würde ich schon wieder auf sie anspringen. Das peinliche daran ist, daß es geklappt hat... ich dachte eben, sie wäre verletzt, und wollte das ganze wieder halbwegs ins Lot bringen.

Während wir auf Pappscheiben schoßen, unterzog sich Kim einer Operation. Sein Ohr klingelte seit der Schießerei in New Fortune in unregelmäßigen Abständen immer wieder, und die Bediensteten von Tropicana versicherten ihm, sie könnten das beheben. Das haben sie auch geschafft: Jetzt klingelt sein Ohr nicht hin und wieder, sondern er hört einfach gar nichts mehr damit. Naja, Beethoven war ja zum Schluß auch taub.

Vor dem Abendessen hingen wir bei Kim auf dem Zimmer herum, das wieder mal von seinen Groupies belagert wurde. Schließlich ging ihm das Gegröhle so sehr auf die Nerven, daß er den Zimmerservice anrief und die Leute bat, sich darum zu kümmern, daß er nicht mehr belästigt werden würde.
Ungefähr drei Minuten später hörte das Gegröhle abrupt auf. Als wir vorsichtig aus dem Zimmer schauten, war der Gang davor leer. Nur ein einsames rotes Bändchen lag herum. Eins von den roten Bändchen, die alle Gäste auf der Insel trugen.
Wir waren ein bißchen beunruhigt, weil wir nicht wußten, was mit den Groupies passiert war. Auf Anfrage erklärte uns die Rezeption freundlich, die Störenfriede wären 'entfernt' worden. Als wir uns auf die Suche nach Sarahs Bruder Max (der ja zu den Groupies gehört hatte) machten, konnten wir ihn nirgendwo auftreiben. Er schien von der Insel verschwunden zu sein.

Brian kam auf die Idee, einen alchemischen Trank zu brauen, der uns helfen würde, Max wiederzufinden. Dafür brauchte er allerdings irgendwas persönliches von dem Jungen... Das war dann mein Job: Sarah und Max schliefen in demselben Zimmer. Also ging ich los, um sie zu verführen. Kein Problem, trotz ihrer 'Unnahbarkeit' stand sie immer noch mich, und ich konnte sie auch überreden, diesmal zu ihr zu gehen. Nachdem wir Sex miteinander hatten, ist sie eingeschlafen. Ich habe eine von Max´ benutzten Socken geklaut und mich davon gemacht. Das war ganz schön schäbig von mir, einfach so mit ihr zu schlafen, nur um in ihr Zimmer zu kommen. Obwohl ich ja wußte, daß sie sich in mich verliebt hatte. Ich kam mir ziemlich mies vor.
Brian mischte sein Gebräu, warf die Socke hinein und trank das ganze aus (wenn ich gewußt hätte, daß er es trinken muß, hätte ich nach etwas anderem als nach einer Socke geschaut... andererseits weiß ich nicht, ob ein Fußnagel-Cocktail so viel lustiger für ihn gewesen wäre). Der Effekt trat unmittelbar ein: Brian gab ein seltsames Geräusch von sich und rannte aus dem Zimmer wie ein angestochener Luftballon. Sylvia und ich folgten ihm - er hatte ein Gegenmittel gebraut, für den Fall, daß etwas mit dem Gebräu schiefgehen sollte. Weise Voraussicht.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
The best lack all conviction, while the worst are full of passionate intensity.

Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #26 am: 23.01.2006 | 17:28 »
Knurrend und schnüffelnd raste Brian auf Rachels Zimmer zu, rannte hinein und warf sich auf das schlafende Mädchen. Dabei wedelte er enthusiastisch mit seinem Hinterteil und fing an, Rachel übers Gesicht zu schlabbern. Offenbar war da etwas zu viel Essenz vom Hund in seinem Trank...
Gemeinsam gelang es Sylvia und mir, Brian das Gegenmittel einzuflößen. Wieder wirkte das Gemisch schlagartig: Von einer Sekunde auf die andere war Brian wieder normal. Leider hatte Rachel nur sehr wenig Verständnis für seine alchemischen Versuche - sie war unglaublich sauer. Wir konnten sie nicht davon abhalten, die Rezeption anzurufen und zu bitten, dafür zu sorgen, daß Brian sie nicht mehr belästigt. Es sah so aus, als sollten wir demnächst herausfinden, was mit Leuten passiert, die hier jemanden belästigen.

Kim war bei der Sache natürlich nicht dabeigewesen - er war raus zum Strand gegangen, um dort ungestört zu musizieren. Nach der Geschichte mit Brians Trank ging ich zu ihm, um nachzusehen, ob er in Schwierigkeiten war. War auch besser so: Kim hatte in der Zwischenzeit bei der Rezeption angerufen und darum gebeten, wieder belästigt zu werden. Er meinte seine Groupies, aber leider hat er das nicht ganz so spezifisch gesagt.
Der Wunsch wurde ihm prompt erfüllt: Eine Gruppe Besoffener schwankte heran und machte ein paar rassistische Bemerkungen über Asiaten. Ich sagte ihnen, sie sollten verschwinden, sie wechselten spontan ihr Ziel und fingen an, auf mich loszugehen. Obwohl sie ziemlich betrunken waren, sah es nicht gut für mich aus - sie waren immerhin zu sechst, und ich wollte nicht unbedingt auf die Kerle schießen.
Wieder rief Kim bei der Rezeption an und bat darum, die Kerle zu beseitigen. Kein Problem, ungefähr eine halbe Ewigkeit später (ein oder zwei Minuten, aber mir kam es länger vor) tauchten ein paar Angestellte auf und beschossen die Betrunkenen mit seltsam aussehenden Waffen. Bei jedem Treffer verschwand einer der Typen - wohin, weiß ich bis heute nicht.

In der Zwischenzeit versuchte einer der Angestellten, Brian zu entsorgen. Er bedrohte ihn mit einer dieser lustigen Pseudopistolen, aber es gelang Brian und Sylvia, den Mann zu entwaffnen und ein paar gezielte Fragen zu stellen. Sie fanden heraus, daß Wünsche nicht aufgehoben werden können - auch nicht mit neuen Wünschen. So wie es aussah, mußte Brian von der Insel verschwinden.
Als Kim und ich zu den beiden stießen, wünschte sich Sylvia, daß man uns lebendig und unversehrt nach L.A. bringt, zusammen mit unseren Pferden und unserem Gepäck.
Wir wurden in eine Art Hangar gebracht. Nach einigen weiteren Spezifikationen (wir wollten bei Bewußtsein bleiben, ich wollte keine Spritze, und so weiter) kriegten die anderen ein Medikament verabreicht, daß ihre Muskeln lähmte. Mich banden die Jungs in einer Transportkiste fest, die anderen wurden einfach so in die Kisten hineingelegt. Dann ging´s los: Wir wurden in ein Flugzeug verladen und weggeflogen. Einige Zeit später warf jemand die Kisten ab. Wir fielen ein Stück (lange genug, um wirklich in Panik zu geraten), dann öffneten sich die Fallschirme und wir glitten mehr oder weniger sanft zu Boden.

Dort erwarteten uns zwei Überraschungen: Neben uns, unserem Gepäck und unseren Pferden waren noch zwei andere Kisten abgeworfen worden. In einer davon war Sarah Ott, die sich offenbar gewünscht hatte, den Rest ihres Lebens mit mir zu verbringen, und in der anderen der Sarg von Kims Mutter. Er muß vergessen haben, den Leuten zu sagen, daß er sie lebendig wieder haben will.
Nach diesem Schock erwartete uns ein zweiter (wenn auch nicht ganz so großer): Wir waren nicht etwa in Los Angeles gelandet, sondern auf der Farm von Lars Armstrong - der L.A.-Farm. Da hat jemand echt Sinn für Humor, denn das war die Farm in der Nähe von Panguitch, auf der Brian logiert hatte, während das CIA Sylvia, Kim und mich festhielt.

Gut, das warf uns ein paar Tagesreisen zurück, aber das war nicht weiter dramatisch. Das Problem war nur, was wir mit unseren beiden Gästen - Sarah und dem Sarg - tun würden. Sarah konnten wir überreden, zurück nach Deutschland zu ihren Großeltern zu fliegen, auch wenn das hieß, daß wir sie zum nächsten Flughafen nach Cedar City begleiten mußten.
Aber der Sarg? Wie hätten wir das der Polizei erklären sollen? Schließlich lag das Grab von Mrs. Parker in New York... und Kim wollte den Sarg nicht allein lassen. Nach längerer Diskussion rief er seinen Vater an und bat ihn, zu Armstrongs Farm zu kommen und den Sarg abzuholen.

Kims Vater war natürlich nicht sehr begeistert. Er tauchte noch in derselben Nacht in einem Hubschrauber auf und wollte außer dem Sarg auch noch Kim mitnehmen. Ich glaube, Kim wäre mit ihm mitgegangen, wenn sein Vater auch nur das geringste Fingerspitzengefühl gezeigt hätte. Aber Samuel Parker ist offenbar gewohnt, sich um jeden Preis durchzusetzen, und hat nicht einmal versucht, Kim eine Wahl zu geben.
Als er merkte, daß Kim seine Entscheidung getroffen hatte, wurde er aggressiv, erzählte etwas davon, daß uns das noch leid tun würde und daß er von nun an keinen Sohn mehr hätte. Dann flog er mit dem Sarg davon.

Wir ritten weiter bis Cedar City, wo wir Sarah ablieferten und noch einige Einkäufe tätigten. Ich rief meinen Vater an und erzählte ihm, daß mein Arm wohl für immer kaputt ist. Er war natürlich nicht begeistert, blieb aber ruhig. Ich schätze, wenn ich wieder zu Hause bin, werden wir über alles sprechen, aber im Augenblick läßt er mir einfach den Freiraum, den ich brauche. Dafür bin ich ihm wirklich dankbar.

Kim gelang es in Cedar City, zwei der Pdf-Dateien, die wir Smith und Jones abgenommen hatten, zu entschlüsseln. Es waren zwei Gedichte: The Hollow Men von Eliot (10.12.1876), und Parsifal von Wolfram von Eschenbach, in Mittelhochdeutsch (10.86.1101). Kim war enttäuscht - er fängt mit Gedichten wenig an, aber ich fand das sehr interessant. Warum sollten zwei seltsame (Pseudo?)agenten verschlüsselte Dateien mit Gedichten mit sich herumtragen? Gute Frage. Ich weiß nicht, ob es nur ein Code ist. Vielleicht hat das auch andere Gründe. Worte können ganz schön mächtig sein.

Als nächstes ritten wir zurück nach Tropic, um uns nochmal bei Cleo´s umzuschauen. Dabei landeten wir kurzfristig noch mal auf Tropicana, aber mein erster, unwillkürlich geäußerter Wunsch war, daß man uns alle sofort wieder zurückbringen sollte. Und bevor die anderen  noch irgendwelche lustigen Wünsche äußern konnten - außer Kim, der den Angestellten zur Seite nahm und ihm irgendwas erzählte -, waren wir schon wieder in Tropic. Puff.
Oh, wir waren übrigens diesmal nicht die einzigen, die von Utah aus nach Tropicana ge-wurmlocht worden waren: Da war noch ein Hollow Man, der uns schon vorher in Tropic aufgefallen war. Noch ein Grund mehr, nicht da bleiben zu wollen. Wer weiß, was dem sonst für Wünsche eingefallen wären.

Die Leute in Cleo´s - und auch auf Tropicana - hatten übrigens eine merkwürdige Einstellung, was die Behandlung ihrer Angestellten angeht: Ein Page, der irgendwie Brians Ausweis beim Rücktransport nach Utah verbummelt hatte, wurde als Strafe ganz übel zusammengeschlagen. Die Wirtin schien das für ganz normal zu halten. Wir haben zwar die Polizei gerufen, aber ich hatte den Eindruck, daß der Sheriff von Tropic ein guter Freund von Cleo ist und der Sache nicht allzu viel Beachtung schenken wird.
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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #27 am: 29.01.2006 | 18:52 »
Jedenfalls führte uns die Begegnung mit dem Hollow Man (bzw. seinem Terminplaner) in Tropic direkt ins nächste Kapitel:

Las Vegas - Der Navajo-Schatz

Wir waren gerade dabei, aufzubrechen, als wir das Motorrad unseres Hollow Man unbeaufsichtigt am Straßenrand herumstehen sahen. Kim wollte es sofort klauen, aber wir konnten ihn davon abhalten. Was sollten wir auch mit einem gestohlenen Motorrad anfangen? Sylvia und Brian kamen auf die Idee, seine Satteltaschen zu durchsuchen. Zwischen gebrauchten Socken, Rasierzeug und anderem Krimskrams entdeckten wir einen Terminplaner.
Darin fanden wir zwei Daten, die uns wichtig erschienen: „08.09.: Don treffen“ und „09.09. Angelita, Caesar´s Palace, 10.30 Uhr“. Außerdem gab es vor zwei Wochen (Mitte August) einen Bikertreff in Flagstaff.
Natürlich konnten wir nicht mit Sicherheit sagen, ob mit ‘Don’ mein Cousin und mit ‘Angelita’ Sylvias Schwester gemeint waren oder nicht. Aber wenn es sich tatsächlich um die beiden handelte, mußten wir etwas unternehmen. Ich rief Don an und warnte ihn, daß er sich am 8. lieber vorsehen sollte. Sylvia versuchte, ihre Schwester oder ihren Ehemann zu erreichen, hatte aber zunächst keinen Erfolg. Auch ein Anruf beim Caesar´s Palace in Las Vegas brachte nichts - die Rezeption war nicht bereit, Sylvia zu erzählen, ob ihre Schwester sich angemeldet hatte oder nicht.

Also kippten wir dem Hollow Man ein bißchen Hawaiichili in den Tank, klebten ihm ein Bild von einem putzigen rosa Kaninchen auf sein Bike und brachen auf nach Las Vegas. Es war schon der erste September, wir hatten nur acht Tage Zeit, um rechtzeitig dorthin zu kommen. Das hieß Gewaltritt, ein Stück davon sogar durch die Wüste. Ich bin froh, daß wir mittlerweile alle halbwegs geübte Reiter sind, sonst hätten wir das wohl nicht geschafft.
Zwischenzeitlich - am 04. September - hatte Sylvia Geburtstag, ihren dreiundreißigsten. Wir haben ihr einen Motorradhelm und eine Schachtel Zigarren geschenkt. Den Motorradhelm, damit sie sich tarnen kann (irgendwer hat ihr einen von den rosa-Kaninchen-Aufklebern, die der Hollow Man in Tropic abbekommen hatte, auf den Helm gepappt...), und die Zigarren, damit sie sie rauchen und „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert“ sagen kann.
Der Helm schien ihr zu gefallen, sie hat ihn den gesamten Ritt über getragen - nur das putzige Kaninchen hat sie wieder abgepopelt. (Schade, ich dachte, wir könnten in Zukunft die Rosa-Kaninchen-Gang sein .)

Nach acht Tagen kamen wir früh am Morgen des 09. September in Las Vegas an - völlig verdreckt, erschöpft und ausgelaugt, aber wir waren da. Als erstes mieteten wir uns im Excalibur ein, da hatten sie sogar Platz für unsere Pferde (die den Ritt übrigens erstaunlich gut verkraftet haben). Als nächstes machten wir uns auf den Weg zum Caesar´s Palace, um dort nach Dr. Angelita Sinclair zu suchen.
Sylvia erfuhr an der Rezeption, daß eine Dr. Sinclair hier abgestiegen sei, sie aber telefonisch nicht zu erreichen wäre, weil das Caesar´s gerade eine allgemeine Telefonstörung hätte. Aber der Angestellte gab Sylvia die Zimmernummer - das hätte uns eigentlich stutzig machen sollen, das machen sie normalerweise nämlich nicht. Sylvia war allerdings so in Sorge, daß sie das nicht registrierte. Sie und Kim fuhren mit dem Aufzug nach oben, während Brian und ich unten warteten. Wir wollten Angelita ja nicht nur deswegen verpassen, weil wir alle im Aufzug herumstanden.

Als Sylvia und Kim oben ankamen, war Angelitas Zimmer zunächst leer. Sie schauten sich um, und dabei wurde Sylvia von einem Hollow Man, der im Gang gewartet hatte, gefangen genommen. Es gelang ihr, vorher noch unsere vereinbarte Notfall-SMS abzuschicken, aber Brian und ich waren ohnehin schon nervös geworden und auf dem Weg nach oben.
Als wir in dem Stockwerk ankamen (ich weiß nicht mehr, welches es war), war die Tür von Angelitas angeblichem Zimmer zu. Dahinter hörten wir Stimmen murmeln, und dann plötzlich einen Schlag und einen Aufschrei - Sylvia. Ich trat die Tür ein (ich habe noch nie vorher eine Tür eingetreten, aber es war eigentlich ganz einfach), Brian rief, sie sollten die Waffen fallen lassen. Ich sah, wie der Hollow Man seine Waffe auf Sylvia richtete, und schoß auf ihn. Traf ihn auch, aber nicht tödlich.
Leider war das nicht der einzige Hollow Man im Raum. Ein zweiter hatte Kim gefangengenommen und hielt ihm seine Pistole an den Kopf. Er forderte uns auf, die Waffen fallenzulassen. Wir taten es. Brian zückte sein Handy und versuchte, die Polizei anzurufen, aber der Hollow Man sah, was er tat, und sagte ihm, er solle das Handy ebenfalls fallenlassen. Brian gehorchte. Immerhin hatte er die Nummer schon gewählt und auf ‘anrufen’ gedrückt.
Mit Kim als Geisel zwangen die beiden Hollow Men uns, ins Treppenhaus zu gehen und nach oben zu steigen. Leider konnte der, den ich angeschossen hatte, noch laufen. Also liefen Brian und ich vorne, dann Sylvia, dann Kim mit der Pistole im Rücken und zum Schluß die beiden Hollow Men, erst der unverletzte und hinter ihm der verletzte.

Ich wußte nicht, was uns auf dem Dach vom Caesar´s erwartete, aber ich vermutete, daß die beiden Kerle dort Verstärkung erhalten würden. Oder uns einfach zwingen wollten, zu springen. Egal, ich glaubte nicht, daß die Situation sich für uns auf dem Dach verbessern konnte. Also ging ich ein Risiko ein: Ich sprang den Kerl mit der Waffe an.
Ich erwischte ihn nicht besonders gut, er schoß, Kim stolperte nach vorne und fiel. Brian sprang den Verletzten an, und danach wurde es chaotisch. Ich zog mein Messer, wollte den unverletzten Hollow Man erwischen, verlor das Gleichgewicht und fiel zusammen mit dem Verletzten die Treppe herunter. Brian hob die Waffe auf, die der Verletzte verloren hatte. Sylvia fing an, die Polizei per Handy zu rufen, der unverletzte Hollow Man schoß auf sie, bis Brian ihn zweimal von hinten erwischte. Ich hatte mein Messer an der Kehle des Verletzten, als der Sicherheitsdienst des Hotels ankam.

Danach tauchte auch noch die Polizei auf, und es wurde etwas unübersichtlich. Kim, der verletzte Hollow Man und ich wurden erstmal ins Krankenhaus gebracht. Kim lebte noch, er hatte nur einen glatten Durchschuß in der Seite. Nichts lebenswichtiges getroffen. Glück gehabt. Ich hatte nur einen Haufen Prellungen und Schürfwunden, nichts gebrochen, nichts gezerrt. Auch Glück gehabt.
Die Polizei behielt Brian und mich - nachdem ich von einem Arzt untersucht worden war - erstmal da. Immerhin hatten wir irgendwelche Leute angeschossen oder getötet. Sylvia war außer sich vor Sorge: Sie hatte die Hollow Men auf dem Weg nach oben nach ihrer Schwester gefragt. Der unverletzte Kerl grinste nur und behauptete, sie hätten viel Spaß mit Angelita gehabt. Sylvia wußte, daß ihre Schwester hochschwanger war, und sie hatte bei allen Versuchen, sie unterwegs zu erreichen, keinen Erfolg gehabt.

Ich rief natürlich Don an - der den 08. September übrigens unbeschadet überstanden hatte -, und bat ihn, nach Vegas zu kommen, weil wir mal wieder legale Schwierigkeiten hätten. Das erwies sich zunächst als unnötig: Nachdem wir ein paar Stunden in einer Zelle gewartet hatten, tauchten zwei geschniegelte Anwälte auf und holten uns raus. Offenbar war es ihnen gelungen, den Staatsanwalt zu überzeugen, keine Anklage gegen uns zu erheben.
Die beiden hießen George MacLure und William Hanson und arbeiteten für Mr. Archibald Summers, der sie gebeten hatte, sich um uns zu kümmern. Sie wußten nicht, warum, überbrachten uns aber eine Einladung zum Mittagessen mit unserem Wohltäter für den nächsten Tag im Luxor. Wir sagten natürlich zu.

Danach kriegten Brian und ich unseren beschlagnahmten Kram wieder zurück. Als die Polizisten mir meine Waffe gaben, stellte ich fest, daß es zwar dasselbe Modell war, aber definitiv nicht meine Pistole. Ich weiß nicht mal genau, woran ich das gemerkt habe - vielleicht stimmte das Gewicht einfach nicht ganz, oder der Griff war ein bißchen anders geriffelt, keine Ahnung. Sollte es mich jetzt beunruhigen, wie vertraut mir meine Glock mittlerweile ist? Vielleicht, aber eigentlich tut es das nicht. Mich beunruhigte in dem Moment viel mehr, daß das eben nicht meine Waffe war.
Ich habe die Ausgabe der falschen Pistole abgelehnt. War ja nicht meine, und das habe ich den Polizisten auch gesagt. Die wußten auch nicht, was das zu bedeuten hatte, wollten die Waffe aber mal durch ihren Computer jagen. Ich versprach ihnen, die Dokumente von meiner Glock sofort per Fax zu schicken. Wenn die Waffen nicht in der Asservatenkammer durcheinander geraten waren (und so etwas kommt vor, Don hat mir da ein paar haarsträubende Geschichten erzählt), dann war hier etwas ganz schön faul.

Brian und ich holten Sylvia ab, die immer noch auf Neuigkeiten von ihrer Schwester warteten. Gemeinsam fuhren wir ins Krankenhaus, um nach Kim zu schauen. Dem ging es schon wieder ganz gut, er war bei Bewußtsein und wollte einen Laptop haben, um die blöden Pdf-Dateien weiter zu entschlüsseln.
Nach dem Besuch gingen wir zurück ins Excalibur, um erstmal zu duschen und ein paar Sachen für Kim zusammenzusuchen. Im Hotel erfuhren wir, daß für den Abend ein Ritterturnier mit Bankett geplant war. Das klang eigentlich ganz gut - etwas Entspannung konnten wir alle brauchen.
Sylvia telefonierte noch ein wenig herum und erfuhr schließlich, daß ihr Schwager in Ägypten bei einer Ausgrabung ist (er ist Archäologe und heißt ebenfalls Dr. Sinclair - da er Afrikaner ist, war es ihm offenbar zu umständlich, seinen früheren Nachnamen dauernd buchstabieren zu müssen). Es gelang ihr, ihn über das British Museum in Kairo zu erreichen. Er war ganz erfreut, von ihr zu hören, und ja, seine Frau war bei ihm. Nach Sylvias Warnung bei einem früheren Telefongespräch hatte sie beschlossen, lieber mit nach Ägypten zu fliegen. Das Kind war auch schon da, ein Junge, der den schönen (?) Namen Thutmoses erhalten hatte. Angelita sprach eine Weile mit Sylvia, sie verstand gar nicht, warum ihre Schwester so viel Aufregung veranstaltet hatte. Oh, und wenn sie schon mal dran war - konnte sie vielleicht die Nachbarn bitten, sich um die Blumen zu kümmern? Gut, daß die Sinclairs keine Haustiere haben.

Im Krankenhaus entzifferte Kim eine weitere Datei, aber da waren nur 50 Seiten Nullen und Einsen enthalten. Wenn es ein Binärcode war, dann keiner, den er oder Brian entschlüsseln konnten. Ein Gedicht war es nicht - es gibt Binärgedichte, aber die sind normalerweise nicht 50 Seiten lang.
Da Kim schon wieder so fit aussah, fragten wir, ob wir ihn zum Bankett mitnehmen könnten. Der Arzt war zwar nicht begeistert, entließ ihn jedoch auf eigene Verantwortung.

Das Bankett am Abend war ganz nett: Pseudo-mittelalterliche Bedienung, Turnier mit Lightshow, Gaukler, Feuerspeier, Heavy Metal (fragt mich nicht, warum die Ritterspiele damit unterlegt waren... vielleicht, weil die Ritterknilche Metall trugen) und Hollow Men. Ja, die Jungs waren auch da. Sie haben sich auch kurz bei uns blicken lassen und uns zugenickt, aber ansonsten waren sie friedlich. Wir auch, schließlich waren lauter Zivilisten um uns herum. (Zivilisten? Und was sind wir? Die Special Task Force? Naja, Tatsache ist, daß wir mittlerweile wahrscheinlich mehr Erfahrung mit Schußwechseln und anderen Gewaltausbrüchen haben als der durchschnittliche amerikanische... Zivilist.)

Am nächsten Tag haben wir uns auf das Treffen mit Archibald Summers vorbereitet. Im Internet stand einiges über ihn: Er ist der CEO von Summers Transports Inc., einer Transport- und Logistikfirma, er lebt normalerweise in Los Angeles (ausgerechnet), und er hat Kontakte zur Mafia. Bei der letzten Information waren wir uns nicht ganz sicher, schließlich konnten wir im Internet ja auch herausfinden, daß mein Dad ein al-Qaida-sympathisierender Ökoterrorist ist. Ich rief meinen Onkel Harry an (der Polizist, der für organisiertes Verbrechen zuständig ist) und fragte mal nach, ob er irgendwas über Summers wußte. Er versprach mir, sich kundig zu machen, aber das konnte natürlich dauern. Meinen Dad habe ich auch angerufen und nach STI gefragt, der kennt sich mit diesem Wirtschaftskram schließlich aus. Nach seinen Informationen gehört die Firma zu den fünf größten Transportunternehmen der USA. Also ist Summers eine echt große Nummer.

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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #28 am: 29.01.2006 | 18:52 »
Das Treffen mit Summers fand, wie schon gesagt, im Luxor statt. Nach dem hevorragenden Essen erfuhren wir dann, was er eigentlich von uns wollte: Vor einiger Zeit haben die Hollow Men den Navajo ein paar heilige Indianerketten gestohlen, die sich jetzt im Penthouse des Mirage befinden würden. Summers bat uns nun, die Ketten für zwei seiner ‘Klienten’ zu besorgen - wie, sei ihm egal. Die Klienten wollten ungenannt bleiben, wären aber selber Navajos, hätten aber irgendwelche ungenannten Schwierigkeiten, weshalb sie sich erst bei der Übergabe mit uns treffen könnten.
Wir wußten nicht so ganz, wie wir reagieren sollten, also sagten wir Summers, wir müßten uns das überlegen. Er lächelte freundlich, gab uns einen Umschlag mit Informationen über die Ketten und das Penthouse, stellte uns eine Belohnung in Aussicht und machte ein paar Bemerkungen über Kims seltenes Instrument. Dann kriegten wir noch eine Visitenkarte mit der Nummer seines Privatsekretärs, damit wir ihn bei Fragen erreichen konnten. Als wir gingen, konnte ich mich nicht davon zurückhalten, die Titelmelodie vom A-Team zu pfeifen.

@A-Team: Ich fand die Serie toll, als ich ungefähr zehn oder elf war. Wir haben das damals stundenlang gespielt - ich war immer Face, wenn es jemanden interessiert. Die Phase ging irgendwann vorüber, aber ein paar von den Sachen, die uns gerade passieren, erinnern mich stark an damals. Das nur, um meine ständigen Referenzen zu erklären.

Zurück in unserem Hotel wußten wir nicht so ganz, was wir von der Sache halten sollten. Summers´ Bemerkungen über Kims Instrument hatten vage bedrohlich geklungen - kannte er denjenigen, dem das Ding ursprünglich gehört hatte? Woher wußte er überhaupt davon? Seit wir in Vegas waren, hatte Kim nicht darauf gespielt.
Die Geschichte mit der Kette war ebenfalls ziemlich nebulös. Was hatten die Hollow Men damit zu tun? Wohnte einer von denen im Penthouse des Mirage? Wer waren diese obskuren Navajo, und was wollten sie mit den Ketten? Was waren das überhaupt für Ketten? Summers hatte uns ein Bild von ihnen gegeben. Sie ähnelten der Tigeraugenkette, mit der wir schon häufiger zu tun hatten, nur waren sie mit Türkisen verziert. Eins war sicher: Wir brauchten mehr Informationen.

Als erstes rief ich Natalie Begay an, eine Kunststudentin, die ich in der Navajo Nation kennengelernt hatte. Nachdem ich ihr die Bilder gefaxt hatte, konnte sie mir sagen, daß es sich bei den beiden Ketten um sogenannte Häuptlingsketten handeln würde, die von den Ältesten der jeweiligen Clans getragen werden. Irgendwie glaube ich nicht, daß es sich bei den beiden Bekannten von Summers um Älteste handelt. Die schienen ziemlich reich zu sein. Oder gar nicht zu existieren.

Dann machten wir uns auf den Weg ins Mirage, um herauszufinden, wer sich eigentlich im Penthouse eingemietet hatte. Leider hatten wir an der Rezeption keinen Erfolg, also besorgten sich Brian und Sylvia einen Job im Mirage - Sylvia als Zimmermädchen, Brian als Küchenhilfe. Kim erhielt zunächst die Auskunft, sie bräuchten keine Musiker, aber nachdem er dem Manager eins seiner Stücke aufs Band gespielt hatte, änderte der spontan seine Meinung und buchte Kim noch für denselben Abend.
Ich verabredete mich mit einer der Angestellten zur Abendshow und machte mich dann auf die Suche nach Reportern. Schließlich gab das Mirage einiges an Stories her. War auch nicht weiter schwierig, einen zu finden. Ich erzählte ihm, daß ich hin und wieder für die Studentenzeitung in Chicago geschrieben hätte (stimmt sogar) und jetzt vielleicht einen Artikel über Las Vegas zusammenstellen wollte. Während er sich mit mir über das Mirage und andere Hotels unterhielt, konnte ich herausfinden, daß im Penthouse ein gewisser Scheich Achmed ibn Faroud abgestiegen sei. Das klang ja nicht nach einem Hollow Man.

Wir fanden ziemlich schnell heraus, daß Scheich Achmed ein entfernter Verwandter des saudischen Könighauses ist und nur einmal im Jahr in die Staaten kommt - nach Las Vegas, um zu spielen. Er schätzt Gesellschaft nicht sehr, er hat seine eigenen, privaten Räume, in denen er spielt. Veranstaltungen und Shows interessieren ihn nicht. Es sieht nicht so aus, als hätte er Verbindungen zur Mafia oder zu den Hollow Men. Allzu lange wollte er auch nicht bleiben - es hieß, er würde schon in einer Woche wieder abreisen.

An diesem Abend hatte Kim seinen Auftritt im Mirage. Ich war da, zusammen mit Monica, der Animateurin, die ich vorher eingeladen hatte. Es war ziemlich voll, sogar ein paar Hollow Men waren da. Ich erfuhr von meiner Begleiterin, daß die sich häufiger im Mirage herumtreiben. Sie war der Meinung, daß wären eigentlich ganz nette Kerle. Dazu hatte ich nicht sehr viel zu sagen.
Kims Auftritt zog jedenfalls alle Zuschauer in seinen Bann. Ich meine das wortwörtlich: Die Leute hörten ihm mit offenem Mund und glasigen Augen zu, sogar die Hollow Men. Ich schien der einzige zu sein, der davon nicht betroffen wurde, ansonsten waren alle völlig gefesselt: Alte Leute, junge Leute, Schwarze, Weiße, Biker und Geschäftsleute. Schön für Kim, aber ich fand das nicht gerade beruhigend. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, wo er seine musikalischen Fähigkeiten eigentlich her hat. Aber ich bezweifle, daß es viel Sinn hat, mit ihm darüber zu reden. Er ist ja selbst völlig von seiner Musik besessen. Mein Fall ist sie, ehrlich gesagt, nicht unbedingt. Ich meine, sie ist nicht schlecht, aber es gibt Sachen, die ich lieber höre. Immerhin kann ich mich über die Texte nicht beschweren... naja, sind ja auch von mir. 
Danach bot ihm das Mirage einen Vertrag auf Lebenszeit an, auf den Kim jedoch nicht einging. Statt dessen wollte er sich für eine Woche verpflichten - Brian und Sylvia würden eine Woche im Mirage arbeiten müssen, bevor sie ihren Lohn kriegen konnten, also wollten wir auf jeden Fall so lange da bleiben. Die Hollow Men im Mirage schienen ja friedlich zu sein.
Kim kriegte außerdem noch einen Plattenvertrag angeboten - innerhalb eines Jahres sollte er für ein Studio in Los Angeles eine Platte aufnehmen. Das schien ihm machbar, also unterschrieb er den Vertrag. Naja, ich wünsche ihm alles Gute. Länger als ein Jahr sollten wir eigentlich nicht mehr nach L.A. brauchen.

Vier oder fünf Tage lang pendelte sich eine gewisse Routine ein: Brian und Sylvia arbeiteten, Kim bereitete sich auf den Abend vor, und ich saß im Foyer des Mirage herum, schrieb an meiner Geschichte und beobachtete die Leute.

Zwischendurch hatte Kim mal wieder Probleme mit aufdringlichen Groupies. Irgendwann fand Sylvia, die sich mit ihm ein Zimmer teilte, drei halbnackte junge Mädchen in ihrem Bett, die auf Kim warteten. Die Mädels haben ihr 200 Dollar gegeben, damit sie das Zimmer verläßt und irgendwo anders hingeht.
Brian, das Genie, kam auf die Idee, ebenfalls abzukassieren. Aber als die Mädchen hörten, daß er ein Freund von ihrem Idol ist, zerrten sie ihn einfach mit ins Bett. Ich weiß nicht genau, was dann noch passiert ist, jedenfalls ging Kim später rein und Brian kam kurz danach raus.
Am nächsten Morgen fiel Kim dann auf, daß seine drei Grazien alle noch verdächtig jung aussahen. Naja, zumindest hat er verhütet. Wahrscheinlich zumindest.
Das Groupie-Problem wurde nie so akut wie auf der Insel, aber ab und zu mußte ich trotzdem Bodyguard für Kim spielen und die Leute überzeugen, daß er ab und zu auch mal Ruhe braucht.

Schließlich rief Summers an - er wollte wissen, wie wir uns entschieden hätten. Wir verabredeten, uns am nächsten Tag mit ihm zu treffen, wieder im Luxor. Dort erklärten wir, wir würden versuchen, an die Ketten heranzukommen, aber wir wüßten noch nicht, ob wir das schaffen könnten (eigentlich hatten wir vor, die Woche abzuwarten, unser Geld zu kassieren und dann zu verschwinden. Wäre wahrscheinlich auch intelligenter gewesen). Brian fragte nach Spesen, und Summers gab uns einen Scheck über 5.000 Dollar. Als nächstes wollten wir wissen, ob er schon auf legalem Weg versucht hätte, an die Ketten zu kommen. Summers zuckte mit keiner Wimper, erklärte uns, daß man sie ihm nicht verkaufen wollte, aber daß uns das nicht abhalten solle, es selber auf diese Weise zu versuchen. Schade eigentlich, wir hatten ein Band mitlaufen. Wäre doch schön gewesen, wenn wir eine Aufforderung zu einer Straftat hätten aufnehmen können.

Nach dem Gespräch beschlossen wir, es tatsächlich mit einem Kaufangebot zu versuchen. Wir warfen uns in unsere guten Klamotten, machten einen Termin beim Management aus und boten an, die Ketten zu kaufen. Zu unserer Überraschung war der Manager einverstanden: Er wollte 6.000 Dollar für beide Ketten. Leider könnten wir die Schmuckstücke erst abholen, wenn der Scheich ausgezogen wäre, weil er keine Fremden in seinem Penthouse haben will. Das wäre dann übermorgen. Nach kurzem Zögern stimmten wir zu.
Das war ja sehr einfach gewesen. Natürlich zu einfach... aber ich greife vor. Zuerst riefen wir bei Summers an und erklärten ihm, wir bräuchten nochmal 10.000 Dollar (das zusammen mit dem früheren Scheck sollte den Kaufpreis abdecken und uns bis nach L.A. bringen). Er war nicht begeistert, ließ uns das Geld aber zukommen.
Kurz darauf erfuhren wir von meinem Dad, daß Summers Geschäfte mit Brians Onkel Charly macht und Anteile am Mirage besitzt. Nicht gerade beruhigend, aber das erklärte immerhin, warum die ganzen Hollow Men in dem Hotel herumhingen. Wir vermuteten, daß Summers gehofft hatte, uns mit dem Auftrag eine Falle zu stellen und uns in legale Schwierigkeiten zu bringen.

Apropos legale Schwierigkeiten: Zwischenzeitlich war Don in Las Vegas eingetroffen und hatte die Sache mit der vertauschten Pistole irgendwie geklärt. Die Waffe, die sie mir auf der Polizeiwache aushändigen wollten, war gestohlen gemeldet und gehörte eigentlich Daniel H. Wilde aus Massachusetts.
Don blieb nicht allzu lange, aber am Abend ging er mit Sylvia ein paar Cocktails trinken. Ich bin ja mal gespannt, was daraus wird. Ist ja nicht so, als würde ich nicht schon seit geraumer Zeit versuchen, die beiden miteinander zu verkuppeln. 

Am übernächsten Tag gingen wir wieder zu unserem Freund, dem Manager, zusammen mit einem Experten, der uns die Echtheit der Ketten bestätigen sollten. Sie waren echt, und die Übergabe verlief soweit ohne Probleme. Der Ärger ging erst los, als wir versuchten, das Mirage zu verlassen.
Die Hollow Men, die uns jetzt seit einer Woche geflissentlich übersehen und ignoriert hatten, ‘erkannten’ uns ganz plötzlich - mit dem lauten Ruf „Das sind ja die!“ zogen sie ihre Waffen und fingen an, wild drauflos zu ballern. Mitten im Foyer, wo noch Dutzende von anderen Gästen herumstanden oder an den Spielautomaten saßen. Wir rannten los. Die anderen Leute rannten auch los, wild durcheinander. Die Massenpanik war perfekt.

Sylvia und Kim nahmen die Kette und versuchten, das Hotel zu verlassen und sie in Sicherheit zu bringen. Brian und ich lockten die Hollow Men hinter uns her, um sie von den anderen beiden abzulenken.
Die Spielautomaten sind im Mirage in lauter kleinen, lauschigen Räumen aufgebaut - ein echtes Labyrinth, in dem wir versuchten, unterzutauchen. Es gab einige Schußwechsel mit unseren Verfolgern, und die Kerle waren nicht gerade zimperlich. Denen war es egal, wer in die Schußlinie lief, Hauptsache, sie konnten auf uns schießen. Ich wurde von einem Streifschuß an der rechten Schulter getroffen, nachdem die Kugel den Körper eines anderen Mannes durchschlagen hatte. Mehrere Kronleuchter wurden von den schießwütigen Biker runtergeschossen und fielen auf die panische Menge. Ich habe auch einen Kronleuchter  erwischt - ich habe versucht, möglichst nach oben zu schießen, damit ich bei einem Fehlschuß nicht irgendwelche Gäste treffe. Der Kronleuchter fiel und traf ein paar Leute. Verdammt, aber ich weiß nicht, was ich sonst hätte machen sollen. Mit dem Messer auf herumballernde Hollow Men loszugehen erschien mir nicht sonderlich intelligent.

Kim wurde auch von einem Kronleuchter getroffen (nicht meinem), aber nur leicht verletzt. Er und Sylvia entkamen den Hollow Men, die sie verfolgten, und verließen das Hotel. Draußen herrschte ebenfalls Panik - die flüchtenden Leute aus dem Mirage verstopften die Zufahrtswege, sodaß die Polizei nicht richtig herankam.

Brian und ich spielten in der Zwischenzeit weiter Haschmich mit den Hollow Men. Das konnte ja nicht ewig gut gehen - wir hatten eine kurze Schießerei zwischen ein paar Spielautomaten, ich traf einen Hollow Man, ein Hollow Man traf mich, und ich ging zu Boden. Es war komisch, ich spürte erstmal gar keinen Schmerz, nur einen kräftigen Schlag gegen meine Brust, und dann konnte ich auf einmal nicht mehr stehen bleiben. Oder die Hand mit der Waffe heben. Irgendwie war es auf einmal sogar schwierig, richtig zu atmen. So als läge ein ungeheures Gewicht auf meiner Brust. Ich hörte noch einige Schüsse, Schreie, dann kam der Schmerz wie eine Faust auf mich zugeflogen und es wurde schwarz, schwarz, schwarz.

Ich muß jetzt leider Pause machen. Sorry. Stellt euch das ganze wie einen Cliffhanger in einer fortlaufenden Fernsehserie vor: Ich liege auf dem Boden, in meiner linken Brust ein blutiges Einschußloch, und es wird abgeblendet. Vielleicht seht ihr ja auch noch, wie einer der Hollow Man Brian ins Bein schießt. Oder wie jemand hinter ihn tritt, ihm eins über den Schädel zieht und er ohnmächtig umkippt. Vielleicht schwenkt die Kamera sogar noch mal nach draußen, und ihr werdet Zeuge, wie jemand Sylvia und Kim ebenfalls bewußtlos schlägt. Wer? Das könnt ihr leider nicht erkennen. Wenn ihr wissen wollt, wie es weitergeht, müßt ihr nächste Woche wieder einschalten. Danke für euer Verständnis.

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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #29 am: 6.02.2006 | 17:06 »
Tja, ich bin fies, oder? Jedenfalls könnt ihr mich jetzt erwürgen - ich bin noch am Leben. Es war ziemlich knapp, aber wir sind alle noch am Leben. Wahrscheinlich zumindest.

Tucson Revisited - Das Finale
 

Wir kamen in einem blaugekachelten Kellerraum wieder zu uns. Man hatte uns auf Rollbetten gelegt, wie sie im Krankenhaus verwendet werden, und lustige weiße Kittel angezogen (ohne Unterwäsche). Unsere Wunden waren verbunden und behandelt worden.
Kim und Sylvia schauten sich kurz im Raum um und stellten fest, daß außer uns und den Betten nichts mehr herumstand oder -lag. Die Tür war verschlossen, hatte allerdings ein kleines Glasfenster. Dahinter war ein dunkler Gang zu erahnen.
Brian und ich beschäftigten uns währenddessen mit unseren Wunden. Brian hatte - wie schon erwähnt - eine Kugel ins Bein bekommen und konnte sich nur hinkend fortbewegen. Meine Brustwunde schien ziemlich ernsthaft zu sein, jeder Atemzug schmerzte. Allein das Aufsetzen auf dem Bett erforderte größere Anstrengung. Trotzdem war die Wunde nicht vollkommen frisch - an meinem Arm fand ich Einstichspuren von Spritzen und Kanülen. Offenbar hatte ich einige Zeit am Tropf gehangen. Die anderen hatten ähnliche Wunden an ihren Armen.

Kim und Sylvia standen vorne am Fenster und diskutierten mit Brian herum, wie man es am besten einschlagen könnte. Oder ob man überhaupt sollte. Ich dachte mir, es wäre wohl besser, hier erstmal rauszukommen - ich meine, verbundene Wunden sind ja ganz schön, aber ein echtes Krankenhaus war das hier nicht - also quälte ich mich auf die Beine, ging zu dem blöden Fenster und schlug es mit der Armschiene ein (praktisches Ding, eigentlich). Dann legte ich mich wieder hin, weil diese komischen schwarzen Flecken anfingen, vor meinen Augen herumzutanzen.
Kim gelang es, den Schlüssel, der auf der Gangseite steckte, herauszuziehen und die Tür damit von innen zu öffnen. Von irgendwelchen Wachen war weit und breit nichts zu sehen - die hätten ja auch den Lärm hören müssen, als die Glasscheibe zu Bruch ging. Trotzdem waren wir vorsichtig und machten im Gang erstmal kein Licht an.

Da Brian und ich nicht richtig laufen konnten, setzte er sich zu mir aufs Rollbett, und Sylvia schob uns durch die Gegend.
Im nächsten Raum fanden wir medizinische Geräte, darunter Skalpelle und andere potentielle Waffen. Nachdem wir uns ausgerüstet hatten, suchten wir weiter nach einem Ausgang. Der war auch nicht so schwierig zu finden - am Ende des Ganges gab es einen Aufzug. Nach einigem Hin und Her fuhren wir ins Erdgeschoss und schauten uns dort um.
Wir stellten fest, daß wir uns in einem leerstehenden Krankenhaus befanden. Außer uns schien niemand hier zu sein. Da die Eingänge alle mit Brettern vernagelt waren, fuhren wir ins erste Untergeschoss, auf der Suche nach einem anderen Weg nach draußen.

Und wir fanden ihn: Auf dem Parkdeck stand ein einzelner Wagen - Sylvias alter Van, mit dem wir damals in Chicago aufgebrochen waren. Oder zumindest einer seiner nahen Verwandten. Der Schlüssel steckte im Zündschloß, also verloren wir keine Zeit und fuhren los. Das Tor zum Parkdeck stand wundersamerweise (?) offen.
Es wurde schnell offensichtlich, daß wir uns nicht mehr in Las Vegas befanden. Aber der neue Ort war uns auch nicht gerade unbekannt: Wir waren wieder in dem ersten Tucson (das sich übrigens in Iowa befindet) gelandet. Ja, dem Tucson mit der seltsamen Kirche, wo Brian und Kim einen Axtmörder erledigt haben, und wo wir alle in der merkwürdigen Psychiatrie gelandet waren.

Da unser unbekannter Wohltäter vergessen hatte, außer dem Wagen auch noch andere Kleinigkeiten wie vernünftige Kleider oder Geld bereitzulegen, brauchten wir dringend Hilfe. Als erstes versuchte ich natürlich, Don oder meinen Dad anzurufen, aber als ich dem Operator die Nummer für das R-Gespräch nennen sollte, konnte ich mich absolut nicht mehr daran erinnern. Das hätte mich nicht weiter beunruhigt (mein Zahlengedächtnis ist - naja - eher unterdurchschnittlich gut), aber mir wurde klar, daß ich alle relevanten Zahlen vergessen hatte: Meinen Geburtstag, mein Alter, meine Hausnummer... Den anderen ging es genauso. Das machte das Telefonieren natürlich schwierig, denn die Auskunft, die uns die Nummern hätte sagen können, kostet ja auch Geld.

Bevor wir etwas anderes unternahmen, beschlossen wir, bei der hiesigen Kirche vorbeizufahren und uns das Relief dort noch einmal anzugucken. Die Kirche war offen und das Bild noch da, genauso, wie wir es in Erinnerung hatten. Leider waren außer dem Bild auch noch zwei ältere Betschwestern da, die es nicht so witzig fanden, daß wir nur in kurzen weißen Kitteln unterwegs waren. Eine der beiden zeterte Kim an, der wurde patzig, und sie fing an, mit ihrer Handtasche auf ihn loszugehen. Als ich mich einmischte, hab ich auch eine gefangen, was bei meinem gesundheitlichen Zustand wieder mal meine alten Freunde, die tanzenden schwarzen Flecken, herbeirief. (Ich habe die beiden größten Hugo und Bertram getauft). Immerhin gelang es Sylvia, die gute Frau zu überzeugen, nicht weiter auf uns einzudreschen.

Nachdem wir die Kirche verlassen hatten, fuhren wir zur Polizei. Vielleicht hätten wir es von Tucson aus auch bis nach Chicago geschafft, aber wenn uns unterwegs der Wagen verreckt wäre (was ja nun durchaus im Bereich des Möglichen lag), hätten wir ganz schön alt ausgesehen.
Brian, mißtrauisch wie immer, blieb erstmal draußen, während Sylvia, Kim und ich in die Polizeistation stiefelten und den beiden Cops da unsere Geschichte erzählten.
Einer von beiden hatte schon von der Schießerei im Mirage gehört. Allerdings waren die zwei verwundert, daß wir ausgerechnet im alten Krankenhaus wieder aufgewacht waren - das war doch wegen Asbestverseuchung geschlossen worden. Abgebrannt? Nein, ein Krankenhaus ist in Tucson noch nie abgebrannt... Wir hatten nach unseren letzten Besuch ja auch nicht nachgeschaut, ob es wirklich ein Feuer gegeben hatte. Der Arzt damals hatte uns nur einen Zeitungsartikel über den Brand und über den Mord an dem Chefarzt, Bill Toge, gezeigt. Und wir braven Schäfchen glaubten ihm natürlich - hey, er hatte einen weißen Kittel an!

Von der Polizeiwache aus konnten wir erstmal telefonieren. Als meine Eltern hörten, daß wir nur 300 Meilen entfernt waren und Hilfe brauchten, wollten sie sich sofort auf den Weg machen und uns alle nötigen Sachen bringen. Sie hatten sich schon Sorgen gemacht - die Schießerei im Mirage war schon fast eine Woche her, und seitdem hatten sie nichts mehr von uns gehört.
Kim rief im Excalibur an, wegen seinem Instrument. Die Leute an der Rezeption erklärten ihm, daß sie seine Sachen schon an seine Heimatadresse losgeschickt hätten, nachdem wir uns ja länger als drei Tage nicht eingecheckt hatten. Kim drehte fast durch - sein kostbares Instrument, in den Händen seines Vaters! Er rief sofort bei Don an und bat ihn, das Ding doch wiederzuholen. Don, der ein netterer Kerl ist, als irgendeiner von uns verdient hat, erklärte sich bereit, am nächsten Tag nach New York zu fliegen und mit Kims Vater zu reden.

Die beiden Polizisten versorgten uns erstmal alle mit Kleidung (auch Brian, der inzwischen ebenfalls hereingekommen war) und brachten uns dann in einem Motel unter. Dort ruhten wir uns nicht etwa aus (naja, wir hatten ja auch fast eine Woche lang geschlafen), sondern telefonierten wild in der Gegend herum. Schließlich wußten wir nicht, wie wir eigentlich nach Tucson gelangt waren, und ob das Ganze nicht vielleicht eine Falle sein könnte. Und wo war überhaupt die blöde Kette geblieben? Warum hatte niemand nach uns gesucht? Wer hatte uns nach Tucson gebracht? Wieso konnte sich keiner von uns an irgendwelche Zahlen erinnern?

Oh, da fällt mir noch etwas ein: Als wir bei der Kirche waren, kamen wir auch an dem Friedhof von Tucson vorbei. Dort entdeckte Sylvia einen Grabstein, auf dem der Name 'Kay Branden' stand - unsere Polizistin, die wir in dem Axtmörder-Ort (dem ersten) zurückgelassen hatten. Laut Todesdatum war sie nur wenige Tage nach unserer Abfahrt aus Tucson gestorben. Ob sie wohl wirklich dort liegt? Was hat sie eigentlich in Tucson gemacht? Hat sie versucht, uns zu folgen? Irgendwann werden wir das herausfinden müssen... vielleicht hat ja 'der Fluch' wieder zugeschlagen, sobald sie allein war, und sie ist bei irgendeinem blöden Unfall umgekommen.

Ich war eigentlich nicht so begeistert davon, daß meine Eltern nach Tucson kommen wollten. Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache. Aber was hätten wir denn machen sollen? Wir brauchten schließlich ein paar passende Kleider, frische Unterwäsche und die Möglichkeit, wieder an unsere Bankkonten heranzukommen. Also ging das eine Weile telefonisch hin und her, bis meine Eltern mich überzeugten, daß ihnen schon nichts passieren würde. Halbwegs beruhigt hörte ich das Klicken, als sie auflegten. Und dann hörte ich das zweite Klicken in der Leitung. Irgendjemand hatte uns belauscht.

Besorgt versuchte ich, meinen Eltern eine Warnung zukommen zu lassen, aber sie waren auf einmal nicht mehr erreichbar. Also machte ich mich auf die Suche nach einer Telefonzelle, begleitet von Sylvia. Nach ungefähr zehn Stunden Marsch (na gut, es war nicht ganz so lang, aber es kam mir definitiv so vor) fanden wir eine, aber leider war sie kaputt. Als wir ins Motel zurückkamen, waren die Telefone dort auch tot. Wie es schien, gab es keine Möglichkeit, von Tucson aus meine Leute in Chicago zu erreichen.
Also machten wir uns auf den Weg nach Des Moines, der nächsten großen Stadt, wo meine Eltern am folgenden Morgen mit dem Flugzeug ankommen wollten. Vielleicht konnten wir sie ja noch rechtzeitig abfangen.

Aber kurz hinter Tucson passierte das übliche: Unser Wagen gab ein komisches Geräusch von sich und blieb stehen. Das wäre ja fast witzig gewesen, wenn ich mir nicht so große Sorgen um meine Eltern gemacht hätte.
Wir beschlossen, den Wagen stehen zu lassen und zu trampen, aber unterwegs las uns die Polizei von Tucson auf. Nach einem kurzen Zwischenspiel mit dem Telefon auf der Wache (ich konnte niemanden erreichen) erklärte sich einer der beiden Cops bereit, uns nach Des Moines zu fahren. Aber wir waren kaum unterwegs, als wir hinter uns das Geräusch von circa einem Dutzend Motorräder hörten.

Es waren natürlich die Hollow Men. Sylvia und Brian riefen dem Cop zu, er solle sich beeilen, schneller fahren, die Typen auf den Bikes wären hinter uns her. Aber ich schätze, das wußte er schon. Er trat auf die Bremse und hielt an. Die Biker schienen ihn zu kennen. Es war eine Falle.
Bei den Hollow Men war ein anderer Mann, eine Art Arzt. Die Biker wiesen uns mit vorgehaltener Waffe an, auszusteigen. Dann wollte der Arzt-Kerl uns eine Spritze geben. Ihr wißt ja mittlerweile, wie ich auf Spritzen reagiere, deswegen sollte es auch niemanden überraschen, daß ich mein Messer aus der Schiene zog und damit auf ihn losging. Es gelang mir, ihm einen tiefen Schnitt quer übers Gesicht beizubringen, bevor der erste Hollow Men mir in den Bauch schlug.
Ich war nicht sehr fit, also ging ich zu Boden. Dann trat mich jemand, und noch jemand, in Bauch und Rücken, mit voller Kraft. Ich überlegte noch, ob ich versuchen sollte, einen der Kerle mit dem Messer zu schneiden, aber die Tritte kamen zu schnell, zu brutal, ich konnte mich nicht mehr rühren. Vage hörte ich noch, wie Sylvia rief 'Hört auf, hört auf, ihr bringt ihn um', und fragte mich noch, von wem sie redete, dann wurde es immer dunkler, der Schmerz wurde unerträglich, und ich fiel langsam in Ohnmacht.

Als ich wieder zu Bewußtsein kam, ging es mir seltsamerweise besser. Ja, natürlich schmerzte jeder Atemzug, aber jetzt tat einfach alles weh, nicht nur die Wunde in meiner Brust. Ich kann nicht erklären, warum, aber irgendwie machte es das einfacher.
Der Arzt der Hollow Men hatte mir einen neuen Verband um die Brust verpasst. Mein Hemd war blutverschmiert, offenbar war die Wunde bei den Tritten wieder aufgegangen. Mein ganzer Oberkörper war eingewickelt, und das war auch besser so - später erfuhr ich, daß ich mehrere gebrochene und angeknackste Rippen hatte.
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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #30 am: 6.02.2006 | 17:07 »
Aber das war zunächst nicht wichtig. Als ich mich umsah, stellte ich fest, daß die Hollow Men mich in einen kleinen, feuchtkalten Kellerraum gesperrt hatten. Sylvia, Brian und Kim waren auch da - sie waren von dem 'Arzt' mit Spritzen betäubt worden und kamen gerade wieder zu sich. Dem getrockneten Blut nach zu urteilen, war seit unserer Gefangennahme schon einige Zeit vergangen (ein Tag, um genau zu sein. Das erfuhren wir natürlich erst später).
Wir saßen eine Weile herum und versuchten, die Tür zu öffnen, hatten aber keinen Erfolg. Immerhin fand Brian eine Büroklammer, mit der er sich am Schloß zu schaffen machte. Er hatte auf die Art und Weise mal einen verkanteten Schrank aufgekriegt, und besonders kompliziert sah das Schloss nicht aus.
Kaum hatte er angefangen, mit seinem Drahtding herumzustochern, als wir Schritte auf dem Gang hörten. Es waren ein paar Hollow Men, und sie waren gekommen, um mich mitzunehmen.

Sie brachten mich raus aus dem Keller. Die Treppe habe ich nicht allein geschafft - ironisch, aber einer der Hollow Jungs mußte mich stützen. Oben sah ich, daß wir uns in einem richtigen Herrenhaus befanden: Marmorboden, eine Eingangshalle, Teppich auf den weißen Stufen, die in den ersten Stock führten, eine Balustrade aus Ebenholz. Geschmackvoll und dezent eingerichtet - nur die Hollow Men in ihren abgewetzten Bikerklamotten störten das Dekor ein bißchen.
Sie brachten mich in ein Arbeitszimmer im ersten Stock, wo ich den Hausherren traf - einen elegant gekleideten Mann mittleren Alters, hager, mit stechenden hellgrünen Augen. Rechts und links flankierten ihn zwei besonders kräftige Hollow Men. Er war sehr höflich, bat mich, Platz zu nehmen, und stellte sich als 'Gilbert Morrison' vor.
Dann stellte er mir einen Haufen Fragen, wo 'er' sei, brabbelte etwas von 'anderen', die er schon hätte, und weigerte sich, irgendwelche Erklärungen zu seinen Fragen abzugeben. Ich sagte ihm (völlig wahrheitsgemäß), daß ich keine Ahnung hätte, wovon er eigentlich redet, und bat ihn relativ höflich, ein bißchen klarer zu werden. Er lächelte verbiestert, meinte, ich wäre ein guter Schauspieler, aber er hätte meine Eltern, und ich sollte mir meine Antworten noch mal überlegen.
Ich geriet natürlich in Panik. Erst dachte ich, er will wissen, wo die Ketten sind, also erzählte ich ihm alles, was ich darüber wußte, aber das war es gar nicht. Ich flehte ihn an, mir zu sagen, was er eigentlich will, aber er sah mich nur aus kalten Augen an. Dann gab er mir einen Tag Bedenkzeit - sonst würde er anfangen, meiner Familie weh zu tun.

Damit war das Gespräch für ihn beendet. Er bedeutete den Hollow Men, mich wieder in den Keller zu bringen. Ich bat ihn noch einmal, mir doch zu sagen, was er eigentlich will, aber er schüttelte nur den Kopf. Er glaubte nicht, daß ich keine Ahnung hatte, was eigentlich los war. Er glaubte es einfach nicht. Ich war so frustriert, daß ich den Stuhl, auf dem ich gesessen hatte, packte und nach ihm warf. Die Schmerzen in meiner Brust waren in dem Moment völlig vergessen.
Ich traf ihn nicht richtig, aber er wurde trotzdem wütend. Einer der Hollow Men schlug mir ins Gesicht, nicht allzu heftig, und Morrison meinte, ich hätte einen bösen Fehler gemacht. Dann nickte er meinen Bewachern zu, und sie brachten mich wieder nach unten.

Kurz danach waren die anderen dran, einer nach dem anderen. Brian schaffte es, noch unten im Keller einen der Hollow Men zu provozieren und sich von ihm die Nase brechen zu lassen. Sylvia forderte daraufhin, daß man uns einen Arzt schicken solle - schließlich ging es mir ja auch nicht besonders gut. Der Kerl, der daraufhin kam, war einigermaßen unheimlich: Ein dürrer kleiner Mann mit den kältesten Augen, die ich je gesehen habe. Während er Brians Nase versorgte, erwähnte er nebenher, daß er Zahnarzt ist. Ich schätze, er hat gesehen, daß mir das Angst machte (ich habe den Marathon-Mann gesehen, und ich fand Zahnärzte schon immer eklig). Er forderte mich mit einem dünnen Lächeln auf, den Mund aufzumachen und ihm mal meine Zähne zu zeigen. Als ich mich weigerte, lachte er nur und ging. Brrr.

Den anderen stellte Morrison genau dieselben Fragen wie mir - und glaubte ihnen genausowenig, daß sie keine Ahnung hätten, wovon er eigentlich redet. Sylvia bekam immerhin einen Tip von ihm - keine Ahnung mehr, was das war, aber es brachte sie zu der Vermutung, daß er auf der Suche nach Bill Toge sein könnte. Morrison erwähnte außerdem noch, daß er Kims Vater, Brians Mutter und Don als Geiseln hätte.
Nach einiger Spekulation in unserer Zelle und einem weiteren Gespräch mit Morrison ging uns auf, daß er wahrscheinlich nicht hinter Bill Toge her war, sondern hinter Don Spending. Das half allerdings nur bedingt weiter, schließlich hatten wir keine Ahnung, wo sich Spending herumtrieb.

Auf einem anderen Gebiet hatten wir mehr Erfolg: Brian bekam das Schloss tatsächlich mit seinem Büroklammer-dings auf. Vorsichtig öffneten wir die Tür, aber der Kellergang war vorerst ruhig. Rechts ging es zur Treppe, die ins Herrenhaus (und vermutlich zu einer Horde Hollow Men) führte, also beschlossen wir, zunächst die linke Seite auszuprobieren. Wir kamen an zwei weiteren Kellertüren vorbei, die wir allerdings nicht öffnen konnten.
Der Gang machte einen Knick nach links. Er endete in einem größeren Raum, dem Weinkeller. Während wir uns noch herumtasteten (wir wollten kein Licht machen), hörten wir von der Treppe vorne Schritte. Hollow Men, drei Stück, und sie merkten sofort, daß wir nicht mehr da waren. Einer von ihnen machte sich auf den Weg nach oben, die anderen beiden bewegten sich vorsichtig auf den Weinkeller zu.
Brian, Sylvia und ich bewaffneten uns mit Weinflaschen, während sich Kim hinter einem Regal versteckte. Als der erste Hollow Man in den Raum kam, schlugen wir alle zu. Mit einem überraschten Ächzen fiel der Kerl zu Boden und stand nicht mehr auf.
Sein Kumpel war ein paar Schritte hinter ihm geblieben und schoss auf uns. Er war kein so schlechter Schütze, aber seine Kugel streifte mich nur und riss mir eine blutige Wunde am rechten Unterarm. Das war keine dramatische Verletzung - ich erwähne sie hier nur der Vollständigkeit halber, bevor ich irgendwann mal vergesse, wo meine ganzen Narben herkommen (ja, ich und Bruce Willis).
Jedenfalls war der Biker kein Problem für Brian (dachte zumindest Brian): Er stürzte sich mit ausgestreckten Armen auf den Gegner. Leider trat der im selben Moment ein Stück zurück, sodaß Brian ihn verfehlte und hinfiel. Das wäre noch nicht so schlimm gewesen, wenn Sylvia und ich nicht dieselbe Idee gehabt hätten. So fiel erst Sylvia auf Brian drauf und dann ich auf Sylvia. Ich bin sicher, diese merkwürdige Taktik hat den Hollow Man gehörig verwirrt - ich meine, seit wann werfen sich Gegner denn vor ihm auf den Boden, noch dazu alle aufeinander?
Aber das war ja nicht das Ende unserer Verwirrungstaktik. Nein... Kim war in der Zwischenzeit hinter seinem Regal hervorgekommen und hatte sich die Pistole des bewußtlosen Hollow Man geschnappt. Jetzt zielte er auf unseren Gegner, und da wir alle am Boden lagen, hatte er auch freies Schußfeld. Das wäre fast eine gute Taktik gewesen, wenn Kim unseren Gegner getroffen hätte. Immerhin hat er es geschafft, mit nur einem Schuß gleich drei Leute zu erwischen: Bei mir durchschlug die Kugel den Oberschenkel, streifte danach Sylvias Hüfte und blieb zuletzt in Brians Rücken stecken.
(Sorry, Kim. Ich wollte eigentlich gar nicht viel dazu sagen, aber die Situation war so absurd, daß ich mir das einfach nicht verkneifen konnte.)

Leider war der Hollow Man nicht ganz so verwirrt, wie man vielleicht erwarten sollte. Er nutzte die Gelegenheit, Kim - der ja offen da stand - über den Haufen zu schießen. So clever war das allerdings auch nicht: Eine Sekunde später rammte ihm Brian eine Weinflaschenscherbe in den Unterschenkel, Sylvia zog ihm das andere Bein weg, ich warf mich auf ihn und drückte ihm mit meiner Schiene die Kehle ab. Er zappelte noch ein bißchen, und dann war er still.
Das war der Moment, in dem der dritte Hollow Man mit Verstärkung auftauchte. Der Kerl, auf dem ich lag, war tot (wahrscheinlich), also zogen wir uns in den Weinkeller zurück. Auf dem Weg nahm ich mir eine herumliegende Scherbe und schnitt Mr. Bewußtlos, der noch vor dem Eingang lag, die Kehle durch. Warum? Ein Feind weniger. (Der große 'Warum ich wehrlose Feinde umgebracht habe'-Monolog kommt später, aber tatsächlich ist das hier die ehrlichste Antwort.)

Sylvia kümmerte sich um Kim. Er war offenbar schwer verwundet, aber Brian und ich hatten keine Zeit, darauf zu achten: Wir stellten uns am Eingang zum Weinkeller in Position, jeder einen Revolver in der Hand, bereit, unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Meine Schmerzen in der Brust, selbst die neuen Schmerzen in meinem rechten Bein, waren wie verflogen. Sollten die feigen Schweine nur kommen!
Der Schrei einer Frau riss mich brutal aus meinem Adrenalinrausch heraus. Ich kannte diese Stimme, kannte sie besser als jede andere. Morrison hatte nicht geblüfft. Sie hatten meine Mutter.
Einer der Hollow Men befahl uns, aufzugeben und herauszukommen, sonst würden sie meine Mutter töten. Ich ließ die Pistole fallen, sofort, und hinkte mit erhobenen Händen um die Ecke. Dort standen über einige Hollow Men, und einer von ihnen hielt meiner Mutter ein Messer an die Kehle. Ich brach in die Knie. Meine Stärke war jäh verschwunden, und ich merkte jede einzelne Wunde.
Brian und Sylvia diskutierten im Weinkeller noch herum. Sylvia wollte Kim nicht allein lassen, und Brian versuchte verzweifelt, sich einen Plan auszudenken, wie wir das alle überleben könnten.
Schließlich schnitt einer der Hollow Men meine Mutter in die Kehle, nur ein flacher, schmaler Schnitt, aber es reichte - ich flehte Sylvia und Brian an, herauszukommen, und schließlich, nach einer halben Ewigkeit, kamen sie.

Die Hollow Men steckten meine Mutter wieder in den zweiten Raum auf dem Gang, ohne daß ich auch nur ein Wort mit ihr hätte wechseln können.
Brian, Sylvia und ich kamen in dieselbe Zelle wie vorher. Kim brachten sie nicht wieder herein. Wir hörten, wie sie auf dem Gang darüber sprachen, daß er die Wunde ohnehin nicht überleben würde.
Dann war es erstmal wieder still. Brians Wunde war schwerer, als es zunächst aussah, und er lag still auf dem Boden, um wieder Kraft zu sammeln (glaube ich zumindest). Sylvia betete. Ich wußte gar nicht, daß sie religiös ist, aber die Situation war wirklich verzweifelt. Ich sang, ein altes Kinderlied, das mir meine Mutter beigebracht hatte. Ich konnte mich jetzt nicht hinlegen und schlafen. Ich glaube, ich wäre nie wieder aufgewacht. Es war für mich einfach undenkbar, jetzt die Hoffnung aufzugeben. Das ging einfach nicht. Die Konsequenzen wären zu schrecklich gewesen.

Es verging einige Zeit, ich weiß nicht, wieviel. Und dann öffnete sich die Tür, ganz sanft und leise. Musik drang herein. Unverkennbar Kims Musik, die uns vorsang, daß es eine Chance gäbe, daß wir siegen konnten, wenn wir uns ihr nur hingeben würden, hingeben mit Körper und Seele (ist das arg dramatisch? So kam es mir zumindest vor...).
Brian sprang auf die Füße, seine Wunden waren vergessen. Er hatte die Hoffnung schon aufgegeben und sah jetzt nur die Chance, möglichst viele Gegner in den Tod mitzunehmen. Ohne sich noch einmal umzudrehen stürmte er aus dem Raum und rannte die Treppe hinauf.

Sylvia gab sich ebenfalls der Musik hin und rappelte sich mit neuer Kraft auf. Ich stand schon, bevor ich überhaupt merkte, was los war - und dann fing ich an, mich zu wehren. Ich wollte schon in Hill Rose kein Musik-Zombie werden. Das Gefühl, das die Musik mir vermitteln wollte, kam nicht aus mir selbst, und das gefiel mir nicht. Niemand sagt mir, was ich fühlen soll. Diese fremden Gefühle in meinem Kopf waren mir zuwider, ich fühlte mich instinktiv übernommen, vergewaltigt. Ja, das ist das richtige Wort. Das ist das Wort, das ich nicht sagen konnte - wahrscheinlich immer noch nicht sagen kann - aber genauso hat es sich für mich angefühlt. Als würde jemand meinen eigenen Willen einfach wegfegen und mich für seine Zwecke benutzen. Das konnte ich einfach nicht hinnehmen, also wehrte ich mich, so gut es ging. Die Schmerzen in meiner Brust und meinem Bein waren dabei extrem nützlich.

Sylvia lief zu den anderen Gefangenen im Nebenraum. Da ihr die Tür hinderlich erschien, riss sie sie einfach aus den Angeln. Eine feste Eisentür. Ich kämpfte noch gegen den fremden Einfluß in meinem Kopf an, und in dem Moment war mir Sylvia extrem unheimlich. Ich meine, ich wußte, sie rettet gerade meine Familie, aber trotzdem... Ich hatte ein paar Schwierigkeiten, einzuordnen, was ich gerade selber fühlen wollte, und was nicht, deswegen habe ich da wohl überreagiert. Entschuldigung, Sylvia.
Mein Dad, meine Mutter und Don waren in dem ersten Raum gefangen, Kims Vater im zweiten (Sylvia öffnete auch diese Tür). Ich sagte meinen Eltern und Don, sie sollten sich in Sicherheit bringen und Mr. Parker mitnehmen. Meine Mutter nickte - sie ist nicht so leicht einzuschüchtern, und sie ist schon früher durch Kugelhagel durchgelaufen -, schnappte sich die anderen, und gemeinsam liefen sie nach oben.
Sylvia und ich folgten ihnen. Was auch immer Brian tat - wir wollten ihm helfen. Und Kim finden, denn wenn seine Musik spielte, konnte er ja wohl schlecht tot sein (hoffte ich zumindest). Sylvia war ein bißchen schneller als ich, und schon halb die Treppe in den ersten Stock hinaufgestiegen, als wir die Schüsse aus dem Garten draußen hörten. Auf einmal wurde ich sehr viel schneller. Das war nicht die Musik, das war pures Adrenalin. (Und vielleicht lüge ich mir hier selber einen vor. Aber Adrenalin hatte mich schon vorher auf die Beine gebracht, warum nicht hier auch?)
Die Wand der Vorhalle war mit diversen altmodischen Waffen dekoriert, darunter auch einer schönen doppelköpfigen Kriegsaxt. Ich machte einen kleinen Umweg, um sie mitzunehmen. In dem Moment fiel mir von oben ein toter Hollow Men vor die Füße - woher der kam, wußte ich nicht, aber er hatte seinen Revolver noch. Im Lauf griff ich mir die Waffe und stürmte nach draußen.

Dort feuerten über ein Dutzend Hollow Men auf die Flüchtenden. Glücklicherweise war es mitten in der Nacht, die Jungs waren nicht mehr ganz nüchtern, und - wie schon erwähnt - meine Mutter hat Erfahrung mit Kugelhageln. Keiner von den Bikern traf jemanden.
Dafür traf ich die Biker. Ich kam von hinten, sie sahen mich in der Dunkelheit nicht, und ich blieb in Bewegung. Neue Waffen nahm ich mir von den toten Bikern. Irgendwann war Sylvia neben mir, und wir schossen die Biker zusammen, als wären wir Helden in einem Tarantino-Film. Ich weiß nicht mal, ob sie versucht haben, auf uns zu schießen - ich nehme es an - aber keiner von ihnen traf.
Nicht alle unsere Kugeln trafen genau das Ziel: Einige der Biker wurden nur verletzt und fielen stöhnend zu Boden. Ich habe sie getötet, jeden einzelnen. (Nein, auch hier kommt der Monolog noch nicht. Später, ehrlich.) Mein Vater hat mich dabei gesehen, und ich denke, die anderen Ex-Geiseln auch. Während des Kampfes habe ich kaum auf sie geachtet, außer aufzupassen, daß meine Kugeln nicht in ihre Richtung fliegen. Diesmal kein Kollateral-schaden.

Nachdem Sylvia und ich die Hollow Men draußen erledigt hatten, machten wir uns auf den Weg zurück zum Haus, Sylvia natürlich schneller als ich.
Dort hatte sich Brian mittlerweile durch eine Horde Hollow Men die Treppe hinaufgekämpft. Seine einzige Waffe dabei war eine Tür, die er benutzt hat, um die Biker an den Wänden platt zu quetschen - wie Insekten. Einige hat er wohl auch von der Balustrade geworfen. Das war nicht mehr Tarantino, das war einfach nur noch übel.
Brian hat Morrison und seine zwei Leibwächter erwischt. Ich weiß nicht, was mit den Leibwächtern passiert ist, aber Morrison flog aus dem Fenster (oder? ich kann mich nicht erinnern, seine Leiche vor der Balustrade gesehen zu haben, aber so sehr habe ich auch nicht darauf geachtet).
Als Sylvia ins Haus kam, stand Brian gerade dem Arzt gegenüber, der seiner Mutter eine Spritze gegen den Hals presste und drohte, sie umzubringen.

Das war der Moment, in dem die Musik ebenso plötzlich aufhörte, wie sie begonnen hatte. Brian verließen die Kräfte, und auf einmal merkte er alle seine Wunden wieder (irgendwann im Laufe der Kämpfe hatte ihn noch ein Streifschuss am Kopf erwischt).
Sylvia dachte wohl, sie wäre immer noch Superwoman, und schoss auf den Arzt. Und Brians Mutter. Sie traf auch tatsächlich, aber nicht ganz so gut, wie sie vorhatte: Ihre Kugel streifte Mrs. Ferrington an der Schultern und traf den Arzt erst dann. Brian nutzte den Moment, in dem er abgelenkt war, aus und sprang ihn an. Es gelang ihm, den Kerl von seiner Mutter wegzuzerren, aber dann gingen bei ihm die Lichter aus.
Zu diesem Zeitpunkt war ich auch schon im Haus angekommen, hatte die paar Hollow Men, die nach dem Sturz von der Balustrade noch lebten, entsorgt und kam oben an. Genau rechtzeitig, um dem Spritzenfan mit meiner Axt den Schädel abzuschlagen. Ich gebe zu, das war etwas mittelalterlich, aber es war effektiv, und das war alles, worauf es mir in dem Moment ankam.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #31 am: 6.02.2006 | 17:07 »
Mrs. Ferrington rannte schreiend aus dem Haus. Ich kann es ihr nicht verdenken - ihr blutverschmierter Sohn lag bewußtlos am Boden, die Irre, die sie angeschossen hatte, beugte sich über ihn, um irgendwas mit ihm anzustellen, und ein wahnsinniger Axtschwinger rannte herum und köpfte Leute. Mann, was rede ich da, aber genauso muß es für sie ausgesehen haben. Genau so. Brian meinte, in dem Film wären wir die Monster gewesen, und wenn ich an diese Szene denke, hat er Recht. Ich glaube, ich geh jetzt erstmal eine Runde um den Block. Bin gleich wieder da. 

Um ehrlich zu sein, bin ich erstmal aufs Klo gegangen, um mich zu übergeben. Danach war ich eine Weile ausreiten, um meinen Kopf wieder halbwegs klar zu kriegen. Gerade jetzt eben, als ich das ganze noch mal niedergeschrieben habe, ist mir klargeworden, was in dem Haus passiert ist. Worte reichen nicht aus, um das zu beschreiben, aber die Wahrheit ist, daß ich schon Schwierigkeiten habe, das zu lesen, was ich da oben geschrieben habe. Ich habe auch Schwierigkeiten zu schreiben, weil meine Hand gerade jetzt so zittert, aber ich muß irgendetwas sagen.
Verdammt. Verdammt. Nein, das hilft auch nicht. Laß es raus, Junge. Mach schon.

Also, weiter im Text. Irgendwie beruhigt es mich fast, daß ich das alles nicht ganz so cool ertragen kann. Scheint, als wäre ich doch noch menschlicher, als ich dachte.

Tschuldigung. Ihr wolltet ja Fakten von mir hören. Wo war ich? Weg, nochmal. Diese letzte Szene, mit dem toten Arzt... das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Aber die Worte, in die ich das fassen muß, gehören nicht hierher.

Sylvia kümmerte sich um Brian, der aus seiner Kopfwunde heftig blutete. Ich machte mich auf die Suche nach Kim, den ich auch ziemlich schnell fand. Hier drinnen war die Musik wieder zu hören, wenn auch nicht ganz so laut und penetrant wie vorher.
Kim saß in einem Gästezimmer auf dem Bett und spielte auf seinem Instrument. Oder? Wie war das nochmal genau? Ich kann mich kaum noch erinnern, die ganze Geschichte erscheint mir teilweise bruchstückhaft und zusammengestückelt, wie Sequenzen aus einem Alptraum.

Um mal zu erzählen, was Kim passiert war: Er wurde von dem Schuss getroffen und es wurde schwarz um ihn herum. Er erzählte mir, daß er ein Licht gesehen hätte, auf das er zuschwebte, bis er plötzlich hinter sich Musik hörte. Er drehte sich um, und dann sah er Bill Toge (?), der ihm mit seinem Musikinstrument winkte. Keine Frage - Kim kam zurück, um weiter seine Musik zu spielen.
Und dann fand er den perfekten Groove (das ist Kims Wortwahl, nicht meine!) und spielte selbstvergessen vor sich hin, bis ihn Don Spending aus der Konzentration riss. "Das reicht jetzt wohl, oder?", fragte er und nickte Kim gönnerhaft zu. Kim war nicht so begeistert von der Unterbrechung - er spielte doch gerade seinen Groove! -, aber er kam nicht wieder auf den Level, den er vorher gehabt hatte.
Irgendwann in dieser Geschichte (die Kim vielleicht noch mal selber erzählen sollte, wenn er sie bis dahin noch weiß) tauchte ich auf. Kim war nicht weiter verletzt, von einer schweren Schußwunde war keine Spur zu sehen. Als ich hörte, daß Spending tatsächlich kurz vorher da gewesen war, machte ich mich auf die Suche nach ihm. Ich hatte da einige Fragen, und ich dachte, Spending wüßte vielleicht ein paar Antworten. Kim folgte mir.

Draußen sahen wir, wie Spending in ein Auto stieg, freundlich winkte und losfuhr. Nach der ganzen Geschichte, die sich ja zumindest teilweise um ihn gedreht hatte, wollte ich ihn nicht einfach wegfahren lassen, und schoss ihm in einen seiner Reifen (und ja, ich treffe auch Sachen, wenn mich keine Musik beeinflußt!). Spending stieg aus und schien eher amüsiert als verärgert - so, als wäre ich ein kleiner Junge, der seinen Lieblingsonkel nicht nach Hause gehen lassen will.
Ich fragte ihn, was hier los wäre, was dieser ganze übernatürliche Scheiß eigentlich zu bedeuten hatte, was Morrison von ihm wollte, und - keine Ahnung - vermutlich auch noch, warum das Universum eigentlich existiert. Ich dachte einfach, irgendwer wäre uns mal eine Erklärung schuldig, und Spending wußte, was los war. Er war vielleicht nicht daran schuld, aber er wußte es, und er ließ uns verdammt noch mal im Dunkeln tappen. Und dann kam er auch noch mit dieser onkelhaften 'Ach-mein-Junge-das-verstehst-du-nicht'-Tour, die jetzt nicht unbedingt geeignet war, mich auch nur ansatzweise zu beruhigen.

Das ging eine Weile hin und her: Ich fragte, er wich aus, meinte, er könnte das nicht erklären, er müsse jetzt weiter, blablabla. Und die ganze Zeit hatte er so ein kleines scheiß-freundliches Lächeln im Gesicht. Ich sagte ihm, ich würde ihn nicht gehen lassen, bis ich nicht eine Erklärung hatte.
Er zuckte die Schultern und streckte die Hand nach mir aus. Ich wich zurück und fragte ihn, was das jetzt wieder sollte. Er meinte, er könne das nicht mit Worten erklären und müsse es mir zeigen. "Worte reichen mir vollkommen aus, danke", sagte ich. Nach der Geschichte mit Bill Toge lass ich mich doch nicht einfach von einem von diesen... übernatürlichen Typen anfassen. Ich war einfach mißtrauisch.
Kim natürlich nicht. Er meinte, er wäre gern bereit, sich irgendwas zeigen zu lassen. Spending fasste ihn an, Kim fiel um und regte sich nicht mehr. Dann kam Spending auf mich zu, die ganze Zeit immer noch mit diesem kleinen Lächeln auf dem Gesicht.
Ich schoß ihm vor die Füße und sagte ihm, er solle verdammt noch mal stehenbleiben. Er kam weiter auf mich zu, und bevor er mich berühren konnte, schoß ich noch einmal. Er fiel rückwärts um. Tot. Besonders überrascht sah er allerdings nicht aus. Eher zufrieden. Das blöde kleine Lächeln war jedenfalls noch da. (Das ist jetzt absolut mein persönlicher Eindruck, und es kann gut sein, daß ich mir das nur einbilde. Aber so kam es mir vor.)

Kim kam ziemlich schnell wieder zu Bewußtsein. Als er erfuhr, daß ich Spending erschossen hatte, war er entsetzt und reichlich verärgert. Er meinte, er wüßte nicht, ob wir überhaupt auf derselben Seite stehen. Das weiß ich doch auch nicht. Ich weiß ja nicht mal, was es für Seiten gibt, auf denen man stehen kann.

Gemeinsam machten wir uns auf die Suche nach den befreiten Geiseln. Meine Eltern, Don und Mr. Parker hatten in der Zwischenzeit Mrs.Ferrington aufgegabelt und versuchten, sie zu beruhigen. Sie waren immer noch im Garten. (Warum eigentlich, verdammt noch mal? Sollten die nicht abhauen, statt herumzustehen und sich die Show anzusehen?!?)
Als wir auf sie zugingen, sah ich den Blick meines Vaters: Entsetzt. Schockiert. Abgestossen. Mir wurde jäh bewußt, daß ich von oben bis unten mit Blut besudelt war. Nicht nur meins, ganz und gar nicht. Ganz und gar nicht. Und er wußte, was ich getan hatte - er hatte es gesehen. Nicht alles, aber genug. Er sah mich an, als würde er mich nicht kennen. In diesem Moment verließ mich alle Kraft, meine Hand sank herunter, die Waffe fiel zu Boden. Ich schloss die Augen und gab mich der tröstlichen Finsternis hin.
(Ich verspüre gerade den Drang, mich für meine blumige Prosa zu entschuldigen, aber warum sollte ich? Genauso hat es sich angefühlt - als würde ich alle Last von mir werfen, indem ich mich für eine Weile dem Nicht-Sein, dem Nicht-Fühlen hingab. Tröstlich, geborgen. Wenn ich wieder ein Licht gesehen hätte, ich glaube, alle Visionen der Welt hätten mich nicht davon abgehalten, dorthin zu gehen. Oder, um es anders zu sagen: Ich war einfach müde bis auf die Knochen, und ich wollte nur noch schlafen. Ja, das gefällt mir besser. Ignoriert die Sätze ab "Ich schloss...".)

Ich wachte im Krankenhaus wieder auf. Diesmal schien es ein richtiges Hospital zu sein, mit piepsenden Dingern, effektiven Krankenschwestern, Ärzten und allem Drum und Dran. Wir waren alle in einem Zimmer untergebracht, Sylvia, Kim, Brian und ich.
Meine Eltern, Mrs. Ferrington, Mr. Parker und Don waren auch da, saßen an unseren Betten und warteten darauf, daß wir wieder aufwachten. Sie schienen ganz in Ordnung zu sein, auch wenn ich ein paar Verbände sah.
Brians Mutter flehte ihn an, wieder nach Hause zu kommen, sein Vater werde das mit den Hollow Men schon regeln - die würden nie wieder irgendwen entführen. Brian meint, seine Mutter sei naiv, wenn sie dächte, daß Mr. Ferrington den Hollow Men ernsthaft an den Karren fahren könnte. Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist auch Brian naiv, wenn er die Verbindungen seines Vaters unterschätzt (ich sage nur "Onkel Charlie"). Jedenfalls wollte er immer noch nicht wieder nach Hause gehen. Schließlich gab seine Mutter es auf und ging (glaube ich zumindest, allzu viel habe ich davon ja nicht mitbekommen).
Mr. Parker drückte seinem Sohn eine goldene Kreditkarte in die Hand und sagte ein paar markige Worte. Für seine Verhältnisse kam das einem tränenreichen Gefühlsausbruch gleich. Kim beschloss, ein paar Tage mit ihm nach New York zu fliegen, damit sie ein wenig Zeit miteinander verbringen konnten. Daß Brian und ich noch dringend Ruhe brauchten, war ja offensichtlich.
Don sprach mit Sylvia, ich weiß nicht, worüber. Vielleicht erzählt sie es ja noch.

Ich selbst hatte ein sehr schwieriges Gespräch mit meinem Dad. Er erzählte mir, daß die Hollow Men ihn und meine Mutter noch auf dem Weg zum Flughafen abgepasst und nach Iowa verschleppt hätten. Dort stellte man ihnen Fragen nach den Ketten - mein Vater meint, sie wären gefoltert worden. Seine Stimme klang so emotionslos, als er das erzählte. So, als wäre das alles gar nicht ihm passiert, sondern irgendeiner Gestalt in irgendeiner Geschichte. Das ist nicht seine Art - Dad hat seine Gefühle nie versteckt - aber ich nehme an, daß er... ich weiß nicht, was ich annehme. Ich hoffe nur, daß er nicht versucht, auf diese Art damit klarzukommen. Andererseits bin ich vielleicht auch nicht gerade derjenige, mit dem er darüber reden will. Verstehe ich auch, aber trotzdem...
Er hat nichts über die Befreiung gesagt. Gar nichts. Mein Dad ist Pazifist, mit Leib und Seele, und ich weiß, daß er gesehen hat, wie ich die Hollow Men ermordet habe. Ich wünschte, er hätte mich angeschrieen. Aber er sah mich nur aus diesem verwundeten, leeren Augen an, als würde er mich nicht mehr richtig kennen.
Ich sagte ihm, ich hätte das Gefühl, es sei meine Schuld, daß er und meine Mutter mit in diese Sache hineingezogen worden sind. Er widersprach nicht. Verdammt. Also hatte er das Gefühl auch. Aber ich weiß auch nicht, wie ich das ganze hätte vermeiden können - wenn man mal davon absieht, daß ich die Motorräder vielleicht nicht hätte umwerfen sollen, fällt mir nur eine Möglichkeit ein: Ich hätte sterben können, bevor es soweit kommt. Und das kann er doch nicht gemeint haben. Oder?

Vielleicht bin ich unfair. Mein Dad ist auch nur ein Mensch, und er hat schreckliches mitgemacht. Es war ja deutlich zu sehen, daß er das Ganze kein bißchen verkraftet hatte. Und trotzdem, trotzdem habe ich irgendwie erwartet, daß er mich tröstet und mir Kraft gibt. Ganz schön kindisch, eigentlich.
Letzten Endes hat er mich dann doch in den Arm genommen, als ich anfing zu weinen. Ich konnte seinen Blick voller unausgesprochener Vorwürfe einfach nicht mehr ertragen. Und den Gedanken daran, was ihm diese... diese toten Leute angetan hatten. Ich habe ihm mal gesagt, wenn sich jemand an ihm oder meiner Mutter vergreift, dann würde ich sie alle umbringen. Er hat mich damals schon so seltsam angesehen - so, als wüßte er nicht genau, wer ich bin. Verdammt, jetzt muß ich schon wieder weinen.

(Wenn ich dieses Ding nicht mit dem Laptop verfassen würde, wären die letzten Seiten mittlerweile völlig unleserlich. Wäre vielleicht auch besser so...)

Ich weiß jedenfalls nicht, wie es mit mir und meinem Dad weitergeht. Ich hoffe, er erholt sich von der ganzen Geschichte. Ich hoffe, wir können irgendwann über alles reden. Mein Dad und ich standen uns immer sehr nahe. Haben wir das jetzt verloren? Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich schätze, er auch nicht.
Er fragte mich, ob ich nicht mit ihm und Ina nach Hause zurückkommen will. Ich wurde melodramatisch und gab ein paar filmreife Sprüche von mir, daß ich nicht nach Hause gehen könnte, blablabla. Was soll ich sagen - es ging mir nicht gerade gut, und meine Gedanken waren ein wilder Wirrwarr. Sonst hätte ich das anders formuliert. Aber es ist nun mal so, daß ich mich verändert habe, und ich kann das nicht rückgängig machen. Auch nicht für meinen Dad. Ich hoffe, er wird das irgendwann verstehen.

Mit meiner Mutter war das ganze nicht so dramatisch. Sie hat mir bei meiner Geburt den Namen ihres Großonkels gegeben, der vier Männer aus Rache für seine kleine Schwester umgebracht hat - sie hat keine Probleme damit, daß ich jemanden getötet habe (zumindest nicht so viele wie mein Dad). Klar, sie macht sich Sorgen um mich, und sie würde mich gerne öfter sehen, aber ich glaube, sie versteht mich im Augenblick einfach besser als mein Vater. Früher war das oft anders.

So, jetzt reicht´s aber mit der Analyse meines Gefühlslebens. Oder? Ach ja, da war ja noch der 'Ich habe verwundete Leute ermordet'-Monolog, den ich euch versprochen hatte.
Was soll ich dazu sagen? Ich kann jetzt Tausende von Entschuldigungen, Erklärungen und Begründungen anführen, aber die Wahrheit ist eigentlich ganz einfach: Ich wollte keine Feinde in meinem Rücken, auch keine verwundeten. Es braucht nicht viel Kraft, den Abzug einer Waffe durchzudrücken. Außerdem erholen sich verwundete Feinde irgendwann wieder, und dann muß man sich noch mal mit ihnen herumschlagen. Jeder, den ich jetzt töte, ist jemand, mit dem ich nie wieder Schwierigkeiten haben werde.
Ja, das ist kalt. Ich weiß. Wenn ich kämpfe, dann gerate ich nicht in einen rotumschleierten Blutrausch, in dem außer Wut und Hass nichts mehr Platz in meinem Kopf hat. Ganz im Gegenteil, es wird alles ganz kalt und klar, die Dinge reduzieren sich aufs Wesentliche: Feind oder Freund, Leben oder Tod. Für Gefühle ist da kein Platz, nur für eiskalte Berechnung. Das war bei Joe Napier so, den ich erschossen habe, weil mich sein Gezeter gestört hat (und in einem Kampf auf Leben und Tod kann so eine Ablenkung durchaus fatal sein); das war in New Fortune so, als ich versucht habe, den Boss zu erwischen, als er gehen wollte (und wenn ich ihn getroffen hätte... hm, dann wären wir das Primärziel der Hollow Men geworden, ja, aber dann hätten sie vielleicht darauf verzichtet, die Dörfler abzuschlachten. Vielleicht auch nicht. Verschlimmert hätte es die Situation jedenfalls kaum); und das war auch diesmal wieder so.

Okay. Soweit die Erklärung. Was halte ich davon, wenn ich nicht gerade eine kaltherzige Kampfmaschine bin? Schwer zu sagen. Damit meine ich nicht, daß das besonders schwierig in Worte zu fassen ist, sondern daß es mir schwerfällt, diese Worte auszusprechen. Die Antwort ist eigentlich einfach: Nichts. Ich halte gar nichts davon. Verdammt, es gab eine Zeit, da habe ich geglaubt, daß niemand das Blut eines anderen vergießen muß, daß man immer einen anderen Weg finden kann, daß Worte die Lösung sind, nicht Gewalt. Das ist noch gar nicht so lange her, und ein Teil von mir glaubt das immer noch. Ein anderer Teil ist nicht mehr ganz so idealistisch, aber selbst der fragt mich, wie weit ich eigentlich bereit bin, zu gehen? Gute Frage. Ich wünschte, ich hätte eine gute Antwort.
Ich habe tatsächlich überlegt, zur Polizei zu gehen und mich zu stellen. Ich bin ein Mörder, daran ändern schöne Worte auch nichts mehr. Aber es gibt viele Gründe, die dagegen sprechen (ich habe keine Lust, alle aufzuführen, wenn es euch interessiert, dann fragt mich einfach - oder fragt Brian, dem fallen bestimmt noch ein paar zusätzliche ein), und außerdem bin ich dafür zu feige.

Dazu noch eine Sache am Rande: Keiner der Hollow Men, die ich ermordet habe, hat mich gebeten, es nicht zu tun. Ich weiß nicht, ob ich inne gehalten hätte (und ja, es tut weh, das zugeben zu müssen), aber außer Flüchen und zusammengebissenen Zähnen war da nichts. Keiner hat angefangen, mir von Frau und Kind zu erzählen oder sich zu entschuldigen oder ganz einfach zu sagen, daß er weiterleben möchte. Das entschuldigt natürlich gar nichts, aber ich finde es einfach sehr merkwürdig.

Was die polizeiliche Seite der ganzen Angelegenheit angeht: Meine Eltern, Don und Mr. Parker haben uns vier und Mrs. Ferrington vom Gelände gebracht, bevor die Polizei dort überhaupt auftauchte. Mr. Parker hat seinen Einfluß geltend gemacht (ich nehme an, das heißt, er hat säckeweise Geld verteilt), um zu verhindern, daß allzu genaue Nachforschungen angestellt werden. Offiziell hat bei der Villa eine Art Bandenkrieg stattgefunden. Die Verdächtigen sind alle tot, und die Ärzte in der kleinen Privatklinik werden den Mund halten (irgendwie könnte ich mir vorstellen, daß Mr. Ferrington diese Klinik empfohlen hat, ich weiß gar nicht, warum). Der Cop, der uns an die Hollow Men verraten hat, kommt davon. Das stört Brian übrigens ganz immens, aber ich weiß nicht, was wir jetzt deswegen machen sollen. Ich habe keine Lust, hinzugehen und ihn zusammenzuschlagen.

Die Webpage der Hollow Men ist aus dem Internet verschwunden. Ich weiß nicht, was das heißt - aber die Gang hat mittlerweile über die Hälfte ihrer Mitglieder und etliche Anführer verloren. Vielleicht hat der Rest jetzt endlich die Schnauze voll. Hoffentlich, aber irgendwie glaube ich noch nicht so recht dran. Und selbst wenn - irgendwer wird doch bei den bisherigen Kämpfen einen Bruder oder Freund verloren haben, oder?

Noch was? Ach ja, Don Spending. Im Krankenhaus erzählte uns Kim, was ihm Spending per Visionen in jener Nacht zu verstehen gegeben hatte: Der Kerl ist ein Unsterblicher, der schon seit der Antike unterwegs ist und über die "Gabe der Wiedergeburt" verfügt oder so. Kim ist vollkommen davon überzeugt und ziemlich sauer, weil ich Spending erschossen habe. Ich gebe ja zu, daß das strategisch nicht besonders klug war: Der 'Unsterbliche' hat uns ein paar mal echt geholfen - laut eigener Aussage war er derjenige, der in jener Nacht Kim 'angestupst' hat, damit die Musik diese Auswirkungen hatte. (Ich glaube, ich habe oben vergessen, das zu erwähnen.) Aber der Kerl war mir einfach unheimlich, und ich fühlte mich von ihm bedroht. Ich will nicht behaupten, daß ich keine Schuldgefühle deswegen  habe. Habe ich. Trotzdem würde ich mich auch jetzt nicht von dem Typ anfassen lassen.

Ich bin mir nicht sicher, inwieweit ich diese Geschichte mit dem 'Unsterblichen', der durch die Zeiten wandert, glauben soll. Klingt für mich ein bißchen nach den 'Unknown Reading Objects' und Dr. Sylvias Ufo-Sekte. Hey, vielleicht ist Spending ja dieser Comte de St. Germain. Oder Ahasver, der Ewige Jude. Oder vielleicht Kain, der Erste Mörder. Oder dieser Knilch mit der Lanze, der Jesus in die Seite gepiekst hat. Oder etwa ein *gasp* Highlander?!? Na sicher.
Okay, andererseits haben wir ein paar seltsame Sachen gesehen und gehört. Aber Unsterbliche? Nur weil es tatsächlich übernatürliches Zeugs gibt, heißt das nicht, daß wir jeden Scheiß glauben müssen. Und Spending traue ich nicht so weit, wie ich King Kong werfen kann. (Nein, ich glaube irgendwie nicht, daß er wirklich tot ist. Muß Don noch mal fragen, ob seine Leiche bei der Villa rumlag.)

Oh Mann, das ist ja mittlerweile ganz schön lang hier. Ich mach jetzt einfach ein neues Kapitel auf.
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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #32 am: 14.02.2006 | 18:29 »
Hier passiert nichts spannendes. Die Actionfreaks können gleich zum nächsten Kapitel springen.

Zwischenspiel - eine echte Pause

Nachdem unsere ganzen Besucher irgendwann mal wieder weg waren und wir eine Weile über Don Spending geredet hatten, überlegten wir, wie es jetzt eigentlich weitergehen sollte. Keiner von uns hatte größere Lust, noch mal von Tucson, Iowa, aus nach Los Angeles zu starten. Außerdem brauchten Brian und ich - wie schon erwähnt - noch ein bißchen Zeit, um von unseren Wunden zu erholen. Sylvia hatte "nur" den Streifschuss an der Hüfte, und Kim war gesundheitlich vollkommen fit. Seine Begegnung mit Spending hatte nicht nur die aktuelle Wunde sondern auch alle anderen, älteren Verletzungen geheilt.

Wir beschlossen, ein bißchen Zeit auf der Ranch meiner Tante Rose zu verbringen und dort neue Kräfte zu sammeln. Kim wollte vorher noch ein paar Tage bei seinem Vater in New York verbringen, ich hatte vor, meinen Großvater im Reservat zu besuchen (Santee ist nicht sooo ewig weit von Des Moines weg).
Sylvia und Kim brachen am nächsten Tag auf, Brian und ich blieben noch zwei Tage länger, um noch ein bißchen ärztliche Pflege zu bekommen. Dann gingen wir auch, auf eigene Verantwortung. Meine Ärztin war nicht sehr begeistert von meiner Entscheidung, das Krankenhaus zu verlassen, und schärfte mir ein, mich ja zu schonen. Ich nickte brav, obwohl das, was ich vorhatte, vermutlich nicht so ganz ihrer Definition von "schonen" entsprach. Sie gab mir noch ein paar Schmerztabletten mit, die im nächstbesten Mülleimer landeten (sorry, Kim).
Als nächstes suchte ich mir einen Waffenladen, um mir eine neue Halbautomatik (eine Beretta 92F; ich wollte meinen Dad aus offensichtlichen Gründen nicht nach meiner alten Glock fragen) und ein paar Messer (na gut, fünf Messer verschiedener Größen) zu besorgen. Auf die Axt habe ich erstmal verzichtet.

Von Des Moines aus fuhr ich mit dem Greyhound nach Yankton, South Dakota, und stieg dort in den uralten Ruckelbus, der einmal am Tag nach Santee und wieder zurück fährt. Es war okay - am Anfang meinten ein paar Halbstarke, sie müßten den blöden Indianer (also mich) anstressen, aber die verkrümelten sich schnell wieder. Hey, ich hab sie nur angesehen.
Für meine Rippen war der Trip nicht so lustig: Die Federung des Busses war völlig im Eimer, die Straße nach Santee ist voller Schlaglöcher (die der Busfahrer auch alle mitnehmen mußte) und die Sitze sind allenfalls für Pygmäen oder zarte kleine Frauen gemütlich.
Als nächstes mußte ich noch durchs halbe Dorf hinken, um von der Bushaltestelle bis zum Haus meines Onkels zu kommen. Klar, der Fahrer hätte mich auch da absetzen können, aber er hatte seinen Fahrplan und "für eine lausige Rothaut fährt er doch keine Extratouren". Seine Wortwahl, nicht meine. Gut, daß ich viel zu unfit war, um einen Streit anzufangen. Aber tatsächlich ging mir die Meinung dieses kleinkarierten Rassisten ziemlich am Arsch vorbei.

Es war gegen Abend, als ich endlich am Haus meines Onkels ankam. Es ist eigentlich ein kleines Haus, gedacht für die Standardfamilie mit Mama, Papa, anderthalb Kindern und einem Hund. Da dort aber außer meinem Onkel, seiner Frau und ihren drei Kindern auch noch die Halbschwester meines Onkels mit ihrer Mutter, ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern wohnt,  haben sie ein paar Zwischenwände eingezogen und einen neuen Raum angebaut (es hat fast zehn Jahre gedauert, bis die Regierung dafür die Einwilligung gegeben hat - Baulizenzen und Kram).

Hmm, ich glaube, ich höre lieber auf damit, jedes Detail zu beschreiben, sonst kommen wir spätestens bei den Pferden nicht mehr weiter. (
Was wollte ich eigentlich sagen? Keine Ahnung. Es tat nur mal wieder gut, bei meiner Familie zu sein - noch dazu einem Teil der Familie, der keine Ahnung hat, wie sehr ich mich verändert habe. Obwohl ich glaube, daß mein Onkel Maza Topa (der Vietnamveteran) es gemerkt hat.
Außerdem wollte ich mich über meinen Cousin aufregen. Das könnte ich stundenlang tun, und das war auch schon immer so. Gut, mittlerweile hat sich mein Fokus etwas verschoben, aber trotzdem... Vielleicht sollte ich erstmal erzählen, wer der Kerl überhaupt ist, sonst macht das nicht allzu viel Sinn.

Mein Cousin, Calvin Foster, Inyan Nape, ist der größte Mensch, den ich kenne. Er ist sechs Fuß und knappe elf Inches groß (es sind eigentlich nur zehn, aber es ist sinnlos, darüber mit ihm zu diskutieren), und besteht eigentlich nur aus Sehnen, Knochen und Muskeln. Vielen Muskeln. Sehr vielen Muskeln. Er sieht nicht mal aus wie ein Bodybuilding-Monster - er ist drahtig, zäh und der stärkste Kerl, den ich kenne. Er kann das Telefonbuch von Des Moines zerreißen. Ehrlich. Ich hab´s gesehen.
Außerdem ist er der härteste Kerl, den ich kenne. Seit er sechzehn ist, geht er jedes Jahr zum Sonnentanz. Er hat vor zwei Jahren einen Geländemarsch über viele, viele Meilen mit einer gebrochenen Rippe absolviert - und ja, sie mußten dabei auch kriechen und robben. Jedesmal, wenn ich ihn sehe, hat er irgendwo einen Verband, und es ist immer nur ein "Kratzer".

(Einwurf: Komisch, das kam mir früher immer so unglaublich tough vor. Ich dachte zeitweise, daß er vielleicht eine nervöse Störung hat und den Schmerz gar nicht bemerkt. Nach unserer Reise durchs Wunderland... naja... ist das alles irgendwie nicht mehr sooo beeindruckend. Ich meine, ich habe einen Geländemarsch über viele, viele Meilen mit einem gebrochenen Arm,  einem Streifschuß am Bein und einer zeternden Ex absolviert.)

Wer es jetzt noch nicht mitgekriegt hat: Inyan Nape ist Berufssoldat. Er ist bei der regulären Army, nicht bei den Marines wie sein (jüngerer) Bruder. Das liegt hauptsächlich daran, daß er nicht sonderlich diszipliniert und stur wie ein Maulesel ist. Außerdem hat er ein fürchterliches Temperament (daher auch die ständigen Verbände - er torkelt von einer Schlägerei in die nächste). Er ist kein schlechter Kerl, versteht mich nicht falsch - er regt sich nur schnell auf.

So. Habt ihr ein Bild von ihm? Ach ja, gut aussehen tut er natürlich auch. Sehr indianisch.
Bevor ich zu den Sachen komme, die mir bei ihm so sehr auf die Nerven gehen, sollte ich vielleicht sagen, daß ich ihn trotz allem ganz gerne mag. Er ist nicht nur mein Cousin, er ist auch grundehrlich, bedingungslos loyal und unglaublich großzügig. Manchmal neigt er dazu, auf Schwächeren herumzuhacken, aber nur auf Kerlen. Frauen und Kindern würde er kein Haar krümmen.

ABER - er tötet mir einfach jeden Nerv. Womit? Mit seinem ständigen Actionheld-Getue! Hah, er ist ja so hart! Ein echter Mann! Wenn jemand dies und das tun würde (füge irgendwas beliebiges ein, was ihm gerade auf die Nüsse geht), denn würde er ihn umpumpen (wahlweise auch kaltmachen, abknallen, vernichten, wegblasen... etc. ad nauseam)! Das kann er, denn er ist bei der Army! Yo!

Unnötig, hinzuzufügen, daß er noch nie bei einem echten Einsatz dabei war. Einmal mußte er mit ausrücken, um einen Damm zu flicken, aber selbst da blieben die Leben-und-Tod-Situationen irgendwie aus. (Aber wenn einer seiner Kameraden in den Fluß gefallen wäre, dann hätte er ihn natürlich gerettet! - Und wahrscheinlich ein paar Flußgeister umgepumpt...)

Das ging mir früher auf den Nerv, weil ich Pazifist war und Leute wegblasen für die falsche Lebensstrategie hielt. Das geht mir heute auf den Nerv, weil ich schon in den Situationen war, die er sich so gerne ausmalt, und das eigentlich nicht sonderlich spaßig fand. Aber wenn ich ihm das erzähle, dann glaubt er mir das wahrscheinlich nicht. Oder er fängt an, mich als Helden zu verehren, was ich noch schlimmer fände. Also habe ich nichts gesagt...

Tja, was war denn diesmal konkret? Es ging damit los, daß er reinkam und mir mit voller Wucht auf den Rücken schlug. Das macht er immer - damit ich härter werde, meint er -, aber diesmal hatte ich ein paar gebrochene Rippen. Als er erfuhr, daß mich jemand zusammengeschlagen hat (ich war ziemlich vage, was die Details anging), wollte er sofort losfahren, um demjenigen gründlich die Fresse zu polieren. Davon konnte ich ihn nur mit Mühe abhalten (schließlich wollte ich nicht unbedingt sagen, daß die Kerle alle tot sind).
Danach fing er an, ich sollte doch zur Army gehen, die würden einen Mann aus mir machen. Klar. Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war ich schon ein Mann. Schließlich wollte er noch, daß ich Liegestützen mache (das will er immer - wahrscheinlich nur, um mir zu zeigen, daß er viel mehr machen kann). Ich zeigte ihm den kaputten Arm. Soviel zu dem Thema.
Als nächstes kam sein übliches Waffengesülze. Einer seiner Kumpel hat jetzt eine Bla-Waffe, die supertoll ist, gaaaanz viele Leute auf einmal umpumpen kann (ja, grade ist das Wörtchen "umpumpen" bei ihm sehr beliebt) und nicht mal Rückstoß hat. Früher fand ich das immer vollkommen öde, aber diesmal ertappte ich mich dabei, daß ich aufmerksam lauschte und mir überlegte, ob ich mir nicht so ein Teil leisten könnte. Ich habe sogar sein "Home Defense"-Magazin durchgeblättert - gar nicht so uninteressant... *seufz*

Dann hat er mir von seinen hypothetischen Heldentaten erzählt - was er getan hätte, wenn er da und dort gewesen wäre. Ja, das Mirage wurde auch erwähnt. Der Zwischenfall war ja doch durch die Medien gegangen. Muß ich dazu sagen, daß er alle Hollow Men im Alleingang umgepumpt hätte? Ich hatte eine alte Matratze in seinem Zimmer (Pech, das er genau zu dem Zeitpunkt Urlaub hatte) und wollte eigentlich nur schlafen. Statt dessen mußte ich mir anhören, wie er einen Hollow Men nur mit einem Würfel getötet hätte - wenn er da gewesen wäre. Naja, an Fantasie mangelt es ihm nicht. Obwohl ich nicht glaube, daß das so geklappt hätte, wie er sich das ausmalt.

Beim Frühstück am nächsten Tag war ich ziemlich übernächtigt. Inyan Nape kommt ja gut mit zwei oder drei Stunden Schlaf in der Nacht aus. Wunderbar. Dann bot er noch an, mich zu meinem Großvater zu begleiten, weil "es mir ja nicht so gut ginge". Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich behauptete kühn, halbwegs fit zu sein, spielte die gebrochenen Rippen herunter, erklärte, ich würde wegen einer Prellung hinken und schaffte es schließlich, ihn zu überzeugen, daß ich allein reiten könnte.
(Eigentlich hatte ich ja vor, meinen Onkel oder meine Cousine Waniyetu Wi zu bitten, mit mir zu kommen. Ich fühlte mich nämlich kein Stück fit. Aber jetzt mußte ich doch allein los.)

So, das war´s jetzt mit Inyan Nape. Sorry für den langen Exkurs, aber aaaaarrrrrggggghhhhhh!!!!! Irgendwo mußte ich das rauslassen.
(Nur um noch eins klarzustellen - Inyan ist eigentlich nicht direkt ein Aufschneider. Ich denke, wenn er tatsächlich mal in so eine Situation kommen würde, würde er auch versuchen, sich heldenhaft zu verhalten - und dabei wahrscheinlich draufgehen.)

Als nächstes ritt ich also zu meinem Großvater. Es dauerte ziemlich lange, bis ich bei ihm war. Ich weiß nicht, ob das nur an meiner schlechten Gesundheit lag, oder ob es andere Gründe hatte. Aber irgendwann gegen Nachmittag kam ich bei seiner Hütte an.
Ich war aus einem bestimmten Grund hierher gekommen, nicht nur, um meinen alten Großvater zu besuchen. Ich hatte das Gefühl, es sei an der Zeit, eine Hanbleceya - grob übersetzt, eine Visionssuche - zu machen. Dafür brauchte ich den Rat und Beistand eines wicasa wakan. Großvater stimmte zu. Ich glaube, er hat schon ziemlich lange darauf gewartet, daß ich ihn darum bitte.

Ich will hier, an dieser Stelle, nicht allzu viel darüber erzählen. Nur ein paar Fakten am Rande: Die Hanbleceya dauerte vier Tage (sie dauert immer vier Tage). Während dieser Zeit durfte ich weder etwas essen noch etwas trinken. Ich verbrachte die ganze Zeit an einem bestimmten Ort, den mein Großvater ausgewählt hatte, und wartete auf meine Vision.
Ich sah viele Dinge in diesen vier Tagen. Viele Visionen, aber eine davon hob sich ab, war viel realer als alle anderen, die eher Träume waren. Ich werde euch irgendwann erzählen, was ich gesehen habe, aber jetzt noch nicht.

Nach den vier Tagen blieb ich noch eine Weile bei meinem Großvater, um mich zu erholen und über alles zu sprechen. Einen neuen Namen habe ich nicht bekommen, aber mein Großvater bestätigte, daß ich den Namen meines Großonkels tragen darf.
(Ja, das habe ich bisher auch schon getan, aber bis ein wicasa wakan ihn bestätigt hat, war das mehr so eine Idee von meiner Mutter - nicht mein richtiger Name. Aber irgendwie mußten meine Verwandten mich ja anreden, und ein englischer Name klingt mitten im Satz einfach blöde. Mein Großvater hat mich bis heute immer nur "Enkel" genannt.)

So, jetzt aber weiter im Text. Was denn, ich bin immer noch nicht fertig mit Sülzen? Nö, das kann ich stundenlang machen... ( Aber es ist nicht mehr viel. Ehrlich. Bald kommt wieder Action. Mit Mexikanern, okay?

Nachdem ich mich wieder erholt hatte, verließ ich meinen Großvater. Mein Cousin Inyan fuhr mich zum Flughafen in Yankton, erzählte mir, was er im Falle einer Entführung machen würde (kleiner Tipp: Es hat etwas damit zu tun, die Entführer umzupumpen. - Hätte er mal lieber seine Klappe gehalten) und kriegte plötzlich ganz große Augen, als ich beiläufig das Messer aus der Schiene zog und in meine Reisetasche legte. Konnte das Ding schließlich schlecht mit ins Flugzeug nehmen. Glücklicherweise mußte ich mich sofort danach einchecken.

Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #33 am: 14.02.2006 | 18:30 »
Ein paar Stunden später kam ich in Phoenix an, wo mich meine Cousine Molly O´Hara abholte und zur Mayfair-Ranch fuhr.
Dort traf ich Sylvia, Brian und Kim wieder. Auch die Forrester-Pferde und Smith und Jones waren da - Tante Rose hatte sie von Vegas aus herbringen lassen.
Alle sahen schon viel fitter aus - Brian hatte einen Großteil der Zeit damit verbracht, sich zu erholen, Sylvia war viel ausgeritten und hatte über alles mögliche nachgedacht. Don war auch da. Scheint ja was zu werden mit den beiden. Ich muß Sylvia mal den Tipp geben, Don zu erzählen, wie blöd sie Tennis im allgemeinen und schmierige Tennislehrer im besonderen findet. (

Kim tauchte kurz nach mir auf der Ranch auf. Er war besorgt: Offenbar hat er mit seinem letzten Wunsch auf Tropicana ein Zeitparadoxon hervorgerufen. Ich weiß nicht, ob ich es schon erzählt habe - er hatte sich gewünscht, daß seine Mutter damals nicht gestorben und für ihn erreichbar ist. Als er in den letzten Tagen versuchte, mit seinem Vater über seine Mutter zu reden, wehrte der ab und erklärte, sie hätte sie beide nur wenige Tage nach Kims Geburt verlassen. Mehr wollte er dazu nicht sagen, aber er schien wütend und verletzt zu sein. Davon, daß sie gestorben ist, war keine Rede mehr. Nirgends.
Es ging noch weiter: Laut Aussage von Kims Vater hat Kim selber nie größeren Kontakt zur Familie seiner Mutter gehabt. Aber woher kann er dann koreanisch? Und warum erinnerte er sich lebhaft an Urlaubsreisen nach Korea?
Da hat er sich ein ganz schönes Süppchen eingebrockt. Von seiner Mutter fehlt natürlich trotzdem jede Spur. Aber ich wette, wir werden ihr begegnen. Irgendwie glaube ich nur nicht, daß das so lustig für Kim wird.

(Ehrlich, Kim, hast du die Geschichte mit der Affenpfote nie gelesen? Man sollte vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht...)

Wir blieben eine Weile auf der Ranch. Natürlich mußte ich meiner Tante Rose, meiner Cousine Molly und meinem Cousin Colin erzählen, was wirklich passiert ist - nicht alle Details, aber sie hatten mitgekriegt, daß Dad, meine Mutter und Don entführt worden waren. Außerdem war ziemlich offensichtlich, daß ich recht böse verletzt worden war. Bei meinen Verwandten auf der Rez war ich ohne Erklärungen durchgekommen, weil es unter den Dakota als unhöflich gilt, drängende Fragen zu stellen. Man wartet, bis derjenige bereit ist, von sich aus zu erzählen. Nur bei Rose, Molly und Colin konnte ich mit solcher Zurückhaltung kaum rechnen.
Das war kein einfaches Gespräch. Vor allem Colin wollte sich nicht mit ein paar mageren Fakten zufrieden geben. Wir sind zusammen groß geworden (ich bin nur vier Monate älter als er) und wir waren unzertrennlich, bis er vor elf Jahren aus Chicago weggezogen ist. Selbst danach haben wir uns häufig genug gesehen.

In gewisser Weise war es ganz gut, daß ich mit ihm geredet habe. Im Gegensatz zu Sylvia, Kim und Brian kannte er mich schon vor der Reise und merkte sofort, wo und wie ich mich verändert habe. Ich meine damit nicht nur die offensichtlichen Sachen, sondern auch Kleinigkeiten - er behauptet, ich würde jetzt weniger reden als früher. Hah, hat der eine Ahnung. Der muß ja das Ding hier nicht lesen! (

So, noch zwei letzte Sachen: Erstens habe ich zugenommen. Ich weiß echt nicht, wo, aber ich wiege jetzt mehr als am Anfang unserer Reise. Als ich Brian davon erzählt habe (leicht besorgt - ich meine, ich bin schlank und selbst mit dem neuen Gewicht keineswegs übergewichtig, aber trotzdem...), hat er mich ausgelacht und behauptet, ich wäre total fett. Manchmal versteh ich ihn einfach nicht.

Wo wir gerade bei Brian sind: Er und ich sind irgendwann spät abends bei einem gepflegten Glas Saft ins Spekulieren gekommen - über Spending, über Brown... über alles mögliche eigentlich, von bösen kleinen Alienkindern bishin zu Sylvias (noch) nicht verlorenem Auge. Ich werde nett sein und euch einen Großteil des Gelabers ersparen, aber eine Sache ist hängengeblieben:
Wir hatten ja schon öfter spekuliert, daß wir immer noch in einem Film 'stecken' - oder vielleicht in einer Fernsehserie. Brian grübelte herum, wie wir Brown finden sollten, und was wir machen würden, wenn er einfach alles abstreitet. Ich erklärte ihm, daß - wenn das mit der Serie stimmt - es eine gewisse dramatische Notwendigkeit gibt, die uns zu ihm führen und dafür sorgen wird, daß bei der Begegnung etwas passiert, daß die Situation auf die eine oder andere Art und Weise eskaliert.
Okay, von da aus kamen wir zu der Erkenntnis, daß einige von uns bestimmten Archetypen entsprechen, die man aus vielen Vorabendserien und Actionfilmen kennt:
KIM ist der Rockstar. Er lebt für seine Musik und in seiner Musik. Außer Musik interessieren ihn Drogen (zumindest Betäubungs- und Schmerzmittel) und Groupies (möglicherweise sogar minderjährige). Wenn er so weitermacht, könnte es passieren, daß er in die "Live fast, die young"-Ecke gerät...
BRIAN ist der nerdige Wissenschaftler. Das passt nicht mehr hundertprozentig, dafür ist er einfach hin und wieder sozial zu kompetent. Und er hat keine so schlechte Mädchenquote. Aber ansonsten liebt er es, Fakten zu zitieren, lustig-bunte Substanzen zusammenzumischen und Erklärungen für alles mögliche zu suchen.
Ich (keine Großbuchstaben, das ist doch albern) bin der Actionheld. Hurra. Toll. Wollte ich schon immer sein. Und das, nachdem ich so über meinen Cousin, den Möchtegern-Actionheld, hergezogen bin.
Aber Fakten sind Fakten: Ich kämpfe viel und erledige meine Gegner. Dauernd bin ich verwundet, aber ich schleppe mich trotzdem weiter. Wenn mich jemand um Hilfe bittet, ziehe ich mein Hemd aus und versuche mein Bestes (naja, das mit dem Hemd stimmt nicht so ganz). Ich habe mehr Waffen, als ich (wahrscheinlich) brauche. Und wenn man mich reizt, dann werde ich sehr, sehr böse. Fein. Das passt eigentlich viel zu gut. So richtig wohl fühle ich mich damit nicht.
SYLVIA ist gar kein Archetyp (sorry, Sylvia). Am Anfang war sie vielleicht mal die Lehrerin (ihr wißt schon, die etwas ältere, kompetente Frau, die sich um die ganzen Jungspunde kümmert und nutzlose Warnungen ausspricht), aber dieser Archetyp stirbt leider meistens schon im ersten Drittel des Films (oder am Ende des Pilotfilms) grausam. Und die Lehrerin stürmt nicht unbewaffnet in eine Horde Hollow Men, um dem Anführer die Augen auszukratzen. Viel zu unvernünftig. (
Also sind Brian und ich zu der Überzeugung gekommen, daß in der letzten Konfrontation (oder was-auch-immer) Sylvia die ganz entscheidende Rolle spielt, weil man sie eben nicht in so eine nette Archetyp-Schublade stecken kann. (Und du hast gedacht, es wäre schlecht, kein Archetyp zu sein, oder, Sylvia?)
Naja, das ist jedenfalls eine Theorie, die wir hatten. Vielleicht war aber auch nur der Saft schlecht, und wir spinnen beide. (Wenn jemand Don fragt, spinne ich sowieso - das behauptet er schon seit Jahren.)

Okay, fast fertig. Ich habe von meinem (fast) letzten Geld Edgar Forrester die Stute Moses abgekauft. Sie bleibt erstmal bei Tante Rose, aber auf Dauer werde ich sehen, daß ich sie bei meinem Großvater unterstelle.
Sylvia hat sich auch in ihr Pferd verguckt, aber sie wollte ihr Geld nicht dafür ausgeben (oder sie hatte keins mehr). Jedenfalls habe ich Don einen Tipp gegeben, und jetzt gehört das Pferd ihr. (Aber ich spinne, ja? Ich habe Claire nie ein Pferd geschenkt! Naja, er verdient ja auch mehr als ich.)

Nach zwei, drei Wochen ging es uns allen besser, also wollten wir unsere Reise fortsetzen. Diesmal mit dem Flugzeug. Ich war ja für den Zug, aber die anderen haben mich überstimmt.
Und jetzt kommen wir zum nächsten Kapitel. Es hat einen Untertitel: "Wir hätten den Zug nehmen sollen!"

Apropos Fernsehserie: Hier endet ungefähr die erste Season. Die zweite geht mit der nächsten Folge los. Danke fürs Einschalten.
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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #34 am: 20.03.2006 | 16:18 »
Okay, wer kann sich jetzt noch nicht denken, was im Flugzeug passiert ist? Na klar, wir sind entführt worden... was auch sonst.

Über den Wolken - Die Entführung

Drei Wochen verbrachten wir auf der Ranch meiner Tante, dann brachen wir wieder auf. Ich war ja dafür, den Zug zu nehmen, aber Brian, Sylvia und Kim hatten es eilig, also fuhren wir zum Flughafen in Phoenix und stiegen in einen Flieger nach Los Angeles. Unterwegs versicherten mir die drei ständig, daß nichts passieren würde, und wenn, dann nur etwas ganz harmloses. Nein, ich habe ihnen auch nicht geglaubt.
Ungefähr zehn Minuten, nachdem das Flugzeug den Boden verlassen hatte, standen vier mexikanisch aussehende Typen auf und zogen ihre Waffen. Zwei hatten Pistolen, einer ein fies aussehendes Messer und der letzte eine Handgranate. (Ja, klar, nach dem elften September sind die Flugzeuge viiieeel sicherer geworden... Ich meine, eine verdammte Handgranate!)
Der erste Pistolenkerl ging nach vorne ins Cockpit, die anderen drei beschäftigten sich damit, die Fluggäste auszurauben. Bei Kim fiel ihnen die goldene Kreditkarte seines Vaters auf, und sie beschlossen, ihn mit in die Erste Klasse zu nehmen. Vielleicht hofften sie, noch ein bißchen Geld erpressen zu können.
Brian und mir kam die ganze Situation völlig absurd vor. Ich meine, hier waren wir, Veteranen der Hollow-Men-Kriege, und da waren sie, drei magere Mexikaner, die trotz ihrer Waffen auf uns so bedrohlich wirkten wie Toastbrot. Entsprechend verhielten wir uns dann auch - wir blödelten herum, hielten nicht die Klappe, als die Entführer uns dazu aufforderten und warfen ihnen coole Sprüche entgegen. Nachdem sie Kim mitgenommen hatten, stand für uns ohnehin fest, daß wir sie lieber überwältigen wollten.

Also schön: Ich machte einen der Typen (den mit dem Messer) auf spanisch an, der schlug mir eine ins Gesicht, kam mir zu nahe und ich warf mich auf ihn. Brian sprang von seinem Sitz aus den Mexikaner mit der Handgranate an.
Dem Anführer, der noch frei dastand, kam das bedrohlich vor. Er zog seine Schußwaffe und - statt einen von uns abzuknallen - schoß in die Luft. Ein brilliantes Manöver in einem Flugzeug, aber daran hatte er wohl nicht gedacht. Die Kugel durchschlug die Außenhülle und das Loch begann sofort, weiter aufzureißen. Es gelang mir, Brian und Sylvia gerade noch, uns irgendwo festzuklammern, bevor der Unterdruck (oder Überdruck?) uns hinaussaugen konnte.
Andere hatten nicht soviel Glück: Die drei Mexikaner und sechs andere Passagiere wurden aus der Kabine gezerrt und verschwanden nach draußen.

Mit etwas Mühe gelang es Brian und mir, zum Cockpit zu gelangen. Dort hatte der vierte Mexikaner ein Loch in die Frontscheibe geschossen (warum auch immer), der Copilot kämpfte mit der Steuerung und der Pilot hing beinahe schon draußen. Nur seine Gurte hielten ihn noch. Brian und ich zogen ihn nach drinnen, dann ging ich Sylvia holen, damit sie sich um den Verletzten kümmern konnte.

Danach war nicht mehr viel für uns zu tun. Das Flugzeug kam langsam tief genug, daß wir wieder halbwegs atmen konnten (schönes Gefühl, wenn keine Luft mehr da ist und man durch ein abstürzendes Flugzeug krabbelt), und der Copilot schien das Ganze halbwegs unter Kontrolle zu haben. Eine knappe Viertelstunde später schlidderten wir in den Flughafen von Tijuana. Keine sanfte Landung, aber alle Insassen blieben einigermaßen heil. Wunderbar. Alles prima - bis auf die sechs Leute, die es aus dem Flugzeug gesaugt hatte. Ich weiß nicht mal, ob man die gefunden hat. Oder welche Teile von ihnen.

Die ganze 'Hei, wir sind Helden'-Aktion war ganz schön blöde. Schließlich war niemand unmittelbar bedroht. Vielleicht hätten wir mit unserem kleinen Aufstand lieber noch mal abwarten sollen. Andererseits: Wer konnte schon damit rechnen, daß Mr. Flugzeugentführer so doof sein würde, in die Luft zu schießen??? Ich weiß nicht, ob das eine Ausrede ist oder nicht. Jedenfalls werde ich irgendwelche Leute mit Waffen von jetzt an nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen, auch wenn sie mir nicht bedrohlich erscheinen.

Hallo? Was schreib ich da eigentlich? Leute mit Waffen, die mir nicht bedrohlich erscheinen? Sagen wir lieber: Leute mit Waffen, von denen ich den Eindruck habe, ich könnte sie überwältigen.
Nein, eigentlich trifft es das 'nicht bedrohlich erscheinen' viel besser. Die Mexikaner erschienen mir/uns nicht bedrohlich. Im Gegensatz zu den Hollow Men waren das reine Witzfiguren. Aber nur weil eine Witzfigur eine Waffe abfeuert, ist der Kerl, den er trifft, deswegen nicht weniger tot. Oder die Katastrophe, die er auslöst, nicht weniger tragisch.

Gut, damit erst mal genug von dem Beinahe-Absturz. Von Tijuana aus flogen wir dann nach Los Angeles. Ich hätte ja den Zug vorgezogen. Aber als ich vorschlug, wir könnten uns ja auch trennen, wenn die anderen unbedingt fliegen wollten, guckten sie mich alle so betreten an, daß ich doch mit ins Flugzeug stieg.
Dort hatte ich dann eine kleine Flugangstattacke. Ich bin ja noch nie so wahnsinnig gern geflogen, aber diesmal war es ein bißchen schlimmer. Ständig hatte ich das blöde Gefühl, gleich keine Luft mehr zu kriegen. Die freundlichen Sprüche der Stewardess und einiger Mitreisender haben auch nicht wirklich geholfen. ("Fliegen ist ja sooo sicher").

Trotzdem kamen wir wohlbehalten in Los Angeles an. Das sollte natürlich nicht lange anhalten....


Edit: Was für ein Zufall, das ausgerechnet dieser Post der 666. Zugriff auf diesen Thread ist...  ;) >;D
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Offline Pendragon

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Re: [Unknown Armies] Road Movie
« Antwort #35 am: 4.05.2006 | 21:40 »
Hört sich wirklich richtig klasse an, hab aus Zeitgründen noch nicht alles gelesen aber auf alle ist das einer der besten Spielberichte die ich je gelesen habe!
Wäre natürlich klasse wenn da noch mehr kommt :)

Gleichzeitig ist das wohl noch ein Grund für mich UA zu kaufen.


gruß Pendragon