Als die Tür wieder ins Schloss gefallen ist, öffnet Arpok den Umschlag und überfliegt den Brief.
Bedauerlich, bedauerlich, dass D’anton bisher nicht erfolgreicher gewesen ist. Vielleicht sollte ich mich selbst noch ein wenig unters Volk mischen und in Erfahrung bringen, ob die Ankunft des Generals sich bereits herumgesprochen hat und ob über ihn und seine Pläne schon erste Gerüchte kursieren. Aber zunächst habe ich noch einiges zu erledigen. Und D’antons Versicherung, er werde sich weiter um Antworten bemühen und möchte mich am Abend im Haus deMaire treffen, lässt auch noch hoffen.
Arpok verschließt die Tür und setzt seine Suche fort. Er hat bereits gründlich die Schriftstücke aus dem Schreibtisch durchgesehen und auch die Briefe und Notizen aus einer Truhe im Schlafzimmer, hat er beinahe zu Ende angeschaut. Noch ist ihm kein Hinweis auf den General zu Gesicht gekommen. Im Wesentlichen entdeckt Arpok Rezepte und anderes Gelehrte zur Pflanzenkunde. Es wäre wohl auch zu viel des Entgegenkommens gewesen, ein Tagebuch zu finden, aus dem das Verhältnis Meister Alberts zu seinem Bruder sich hätte erschließen lassen. Nun gut, so müssen wohl die Erkenntnisse, die D’anton zusammenträgt, genügen, um einen Brief zu verfassen. Aber immerhin habe ich ausreichend Schriftproben, so dass mir der genaue Schwung und die entsprechende Neigung der Buchstaben so gelingen sollte, wie sie Meister Albert aus der Feder geflossen sind.
Arpok verbringt einige Zeit damit, sich in die Schrift Alberts einzufinden. Nun, vollkommen ist es sicherlich nicht. Aber im flackernden Kerzenschein sollte es einer oberflächlichen Begutachtung standhalten. Es wird alles darauf ankommen, wie ich die Worte setze. Keine Andeutung darf verräterisch sein. Eine Bemerkung mag schon genügen, den Schwindel aufzudecken. Hoffentlich bekomme ich noch die ein oder andere Information.
Nachdem er die Schriftstücke wieder im Schreibtisch und der Truhe verstaut hat und dafür Sorge getragen hat, dass seine Schreibübungen vernichtet sind, begibt sich Arpok daran, das Haus so herzurichten, dass es einer Begehung standhalten könnte. Es darf nicht ersichtlich sein, dass Arpok seit längerem alleine hier wohnt, sollte der General jemand schicken, um nach dem Rechten zu sehen.
Inzwischen ist es später Nachmittag. Arpok kratzt sich sein langes Ohr und überlegt, mit welcher Substanz er sich am Abend stimulieren könnte, um sich bei einem Gespräch mit dem General gut aus der Affäre zu ziehen. Ich muss etwas finden, dass mich klar denken lässt und mir hilft, rasch die rechten Worte zu finden, um auch in einem misstrauischen Verhör stets überzeugend zu wirken. Dabei werde ich mich wohl darauf verlassen müssen, dass mir die passende Lüge zum richtigen Zeitpunkt in den Sinn kommt, damit meine Antworten glaubwürdig bleiben. Kurzum, ich benötige ein Mittel, dass mir das Finden von Worten und Ideen beschleunigt, so dass ich angenehm und angemessen zu reden verstehe und mit Leichtigkeit zu überzeugen weiß. Ein geistiges Stimulanzium wie es sich aus den Wurzeln der immergrünen Weine gewinnen lässt, wäre hierfür ideal. Wobei es mich möglicherweise übers Äußerte hinaus anspannen würde – es ist zu unberechenbar und ein Umschlagen der Wirkung könnte sich als fatal erweisen. Besser wäre etwas, dessen mindernde Eigenschaften sich nicht in geistiger Anfälligkeit bemerkbar machen würden – brauche ich doch meine geistige Kraft zur Gänze. – Aber sicher, das könnte die Lösung sein: die ungeöffnete Blüte der khaleanischen Kirsche, eingeweicht im Saft gegorener Wildfeigen und mit einer Prise zerstoßener Schalen von den Eiern des Drachenvogels bestäubt dürfte mir geben, wonach ich suche. Die Kirsche wird mir die geistige Anspannung und Beweglichkeit geben, ohne die mein Unterfangen beinahe schon im Voraus zum Scheitern verurteilt wäre. Und ihre eintrübenden Nebenwirkungen werden durch den körperlichen Schock, den das Zusammenspiel von Wildfeigen und Eierschalen des Drachenvogels auslöst, negiert. Dass ich dann mit einer leichten Übelkeit und Kränklichkeit werde leben müssen, ist angesichts der Verbesserungen meiner Überzeugungskraft ein zu verschmerzendes Übel.
Mit frischem Mut begibt Arpok sich an die Suche. Rasch entdeckt er ein Fläschchen mit dem Saft gegorener Wildfeigen. Und wie er es sich gedacht hat, gibt es unter den besonders gut versteckten Käutern, Giften und Zutaten auch noch ein Stück Eierschale des Drachenvogels. Einzig die khaleanische Kirschblüte fehlt noch. Dazu wird er die Stadt verlassen müssen. Ohne zu zögern macht Arpok sich auf den Weg.
Es dauert kaum zwei Stunden, bis er zurück im Haus ist. Rasch hatte er einen Strauch gefunden, an dem sich gleich zwei der wertvollen noch verschlossen Blüten befanden. Zielstrebig bereit Arpok nun die Substanz vor. Vielleicht wird er seinen Kopf doch behalten können.
Knapp zwei Stunden vor dem vereinbarten Treffen mit D’anton hat Arpok alle Vorbereitungen abgeschlossen: seine Kirschblüte ist bereitet; er trägt ein Schriftstück von Meister Albert bei sich, um noch eine Vergleichsmöglichkeit zu haben; ein Siegel des Meisters hat er genauso wie auch den Siegelwachs eingesteckt; nicht zuletzt Feder, Tinte und Pergament zum Schreiben des Briefes. Das sollte ausreichen. - Moment, beinahe hätte ich das Schriftstück vergessen, das die Legionäre gebracht hatten.
Versehen mit diesen Dingen verlässt Arpok das Haus. Es ist noch genügend Zeit bis zum verabredeten Treffpunkt, um selbst noch einmal in den Straßen und Gassen die Ohren aufzusperren. Arpok entschließt sich, ein Gasthaus aufzusuchen, in dem häufig einfache Soldaten ihren Freigang mit Alkohol genießen. Der „Schlangenkuss“ sollte genau das richtige sein. Einige Minuten später sitzt Arpok auf einem Hocker im „Schlangenkuss“ und saugt die rauchgeschwängerte Atmosphäre ein. Mal sehen, ob man über die Ankunft des Generals spricht.