Das Problem dabei ist, dass die Gesellschaften, die sich in der Geschichte herausgebildet haben, ein Produkt ihrer Vergangenheit und ihrer Umwelt sind. Wenn du sie aus diesem Umfeld herausnimmst und anders anordnest, nimmst du ihnen ihre Identität und Plausibilität, und plötzlich wirken exakt dieselben Kulturen, die in unserer Geschichte stimmig wirken, plötzlich unrealistisch und deplatziert.
Ja, jede Kultur ist Resultat von Kontakten zwischen verschiedenen anderen, früheren Kulturen und natürlichen Gegebenheiten - wenn man sie aus ihrem Kontext reißt, verliert sie ihre Historizität und "hängt in der Luft", macht keinen Sinn mehr.
Das ist meines Erachtens der Gundfehler der meisten Fantasysettings: sie haben keine plausible Geschichte und fühlen sich an wie Collagen. Ein Beispiel aus der Fantasy-Literatur, das ich für sehr deutlich halte, ist die Welt von Conan. Da kombinieren sich Pseudohistorie, Vorurteil und schwache geographische Realsatire zu einem bunten, aber vollkommen beliebigen und unorganischen Gewirr. Demgegenüber ist Mittelerde eine gelungene Umsetzung, eben weil Tolkien sich sehr viele Gedanken über die Geschichte seiner Welt gemacht hat.
Ganz genau. Mittelerde ist gut durchdacht, und übrigens ist
keine der Kulturen Mittelerdes ein Abklatsch
irgendeiner realen historischen Kultur - selbst die Kulturen der Menschen nicht. Kann ja auch nicht, weil Mittelerde eben seine eigene Geschichte hat.
Ein anderes gutes Beispiel:
Verduria, von Mark Rosenfelder (auch ursprünglich als Rollenspielsetting entstanden). Da hat auch alles seine eigene Geschichte, und keine Kultur ist ein Abklatsch irgendeiner irdischen Kultur (und Tolkieneske Rassen gibt es auch nicht, auch wenn die Elcari schon deutlich an Zwerge erinnern). Dabei sind einige hübsche Sachen herausgekommen, unter anderem ein Land, das von einer Kunstakademie(!) regiert wird. Aber es hat eben alles seine Geschichte und ergibt Sinn!
Ich spiele recht gerne mit historischen Settings, aber es ist viel Arbeit, sich eines selbst zu erschließen. Ein guter Ansatz ist vielleicht so eine Publikation wie das aktuelle GEO Epoche Sonderheft zum 1. Jahrtausendwechsel. Es stellt nämlich nicht eine Kultur in ihrer Tiefe dar, sondern gibt einen Überblick über die Kulturen um das Jahr 1000 weltweit. Es gibt Berührungspunkte zwischen den Kulturen, aber sie fallen relativ gering aus; da stolpern nicht plötzlich Touristen aus dem China der Song-Dynastie durch Köln, aber es kann durchaus Reisende geben. Und es gibt weit auseinander liegende Hochkulturen, die alle ihre Reiz haben. Würde man sie aber näher aneinander rücken, weiß ich nicht, wie man plausibel machen will, dass der erhöhte Austausch keine irgendwie geartete Assimilation auslösen soll.
Ja, historische Settings sind sehr reizvoll - wenn sie gut gemacht sind und nicht einfach darin bestehen, Klischee auf Klischee zu stapeln. Wenn man letzteres will, kann man gleich zu einer Fantasy-Welt greifen. Natürlich muss man, wenn man so was machen will, gründlich recherchieren, aber das macht die Sache erst so richtig interessant - mir macht das Spaß.
Der Punkt ist: bevor ich etwas
kopiere, nehme ich lieber das
Original. Eigene Welten sind dazu da, etwas zu machen, das man so noch nicht gesehen hat - weder in der realen Geschichte noch in irgendeiner anderen phantastischen Welt.