Autor Thema: [4E] "Tomb of Horrors"  (Gelesen 1345 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline Windjammer

  • Experienced
  • ***
  • Beilunker Kneifer
  • Beiträge: 322
  • Username: Windjammer
[4E] "Tomb of Horrors"
« am: 14.06.2011 | 16:53 »
Ich poste mal meine Rezension zu "Tomb of Horrors". Erschienen auf Ringbote.

Mich würden die Erfahrungen anderer Spieler mit dem Kaufabenteuer interessieren!

-----------

Seit Generationen übt die Gruft des Schreckens eine morbide Faszination auf Abenteurer aus – kein anderes Gewölbe kann mit dermaßen gewitzten Fallen, verdrehten Rätseln und schlicht übermächtigen Monstern aufwarten. Nachdem der Meister der Gruft, der Halbleichnam Acererak, vor einem Jahrzehnt endgültig besiegt wurde, rumort es erneut in der Gruft. Wer wird diesmal mutig genug sein, es mit ihren Herausforderungen aufzunehmen? – Willkommen beim episch angelegten Abenteuer für „Dungeons & Dragons“ „Tomb of Horrors“.


Mit „Tomb of Horror“ (zu deutsch in etwa „Gruft des Schreckens“) liegt eine Neuaufmachung eines der größten Klassiker des „Dungeons & Dragons“-Rollenspiels vor. Sowohl das Original aus dem Jahre 1975 durch Gary Gygax, als auch dessen (inhaltlich stark erweiterte) Überarbeitung durch Bruce Cordell im Jahr 1999, rangieren unter den besten, aber auch schwierigsten Abenteuern, die für „D&D“ jemals erscheinen sind. Nun haben sich Ari Marmell und Scott Fitzgerald Gray einer weiteren Überarbeitung gewidmet, die, so die Autoren im Vorwort, es sich zum Ziel erklärt, die Vorlage sowohl ästhetisch als auch spielmechanisch an die neueste, vierte Edition von „D&D“ anzugleichen. Während die Autoren deutliche inhaltliche Bezüge zu den beiden Vorgängern (und einem neueren Aufsatz im „Dragonmagazine“, Ausgabe 371) setzen, ist der Großteil des Abenteuers völlig neu. Das Abenteuer selbst ist für Spielercharaktere der Stufen 10 bis 22 gedacht. Damit zu Produktaufmachung und -inhalt.

Das Buch ist ein 160-Seiten umfassender Hardcoverband, durchgehend farbig illustriert und in eine knappe Einleitung sowie vier Unterkapitel gruppiert. Die Einleitung umreißt die Rahmenhandlung des Abenteuers und enthält wertvolle Tipps, wie man dieses doch eher ungewöhnliche Abenteuer leitet. Die vier Kapitel entsprechen den Haupt-Etappen des Abenteuers, sind jeweils 30 bis 40 Seiten lang, und folgen in der Regel demselben Aufbau: 8 Seiten Übersicht zu Rahmenhandlung der Etappe inklusive Beschreibungen der Hauptakteure (NSC) und deren Hintergrundgeschichte, gefolgt von 20 bis 25 Seiten an Begegnungsbeschreibungen im herkömmlichen „Delve“-Format (das seit 2007 üblich für „D&D“-Kaufabenteuer ist), beschlossen von 4 bis 6 Seiten an farbigen Illustrationen, die den Spielern als Veranschaulichung zentraler Momente im Abenteuer dienen. Druckqualität und künstlerischer Gehalt der Bilder und Kartographie sind auf höchstem Niveau; Jason Engle stellt einmal mehr unter Beweis, dass er die schönsten Gewölbekarten (zumindest im Rahmen der 4. Edition) zeichnen kann. Einziger Fax-paux: Das Gewölbe auf S. 61 enthält keine Indizien darauf, wo sich die (zahlreichen) Fallgruben befinden. Man konsultiere deshalb die grafischen Errata auf: rpggeek.com/thread/591103/errata-jul-28-2010-and-aug-06-2010

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt. Ähnlich dem ent-leibten Voldemort wurde der Erzbösewicht der „Gruft des Schreckens“, Acererak, zwar besiegt und in die entfernteren Gefilde der astralen Sternensee verbannt. Doch gänzlich vernichtet wurde er nicht. Somit versucht Acererak, über astrale Energie an einen neuen Körper zu gelangen, um in der Kernwelt (engl. „material prime“) seine Pläne in Richtung Weltbeherrschung wieder aufzunehmen. Um den Plan umzusetzen, hat Acererak mehrere sogenannte Seelenmaschinen gebaut, die es ihm ermöglichen, die Energie von untoten Lebewesen sowie toter Gottheiten ‚aufzusaugen‘. Das Abenteuer selbst stellt die Schauorte und Verbündeten dieses Plans dar, mit dem erklärten Ziel, dass die Spielercharaktere diesen Plan nach und nach zunichte machen – also eine nach der anderen Maschine vernichten, um es im letzten großen Showdown mit dem Leichnam selbst aufzunehmen. Während die Rahmenhandlung relativ einfach gestrickt ist, weiß das Abenteuer mittels exotischer Schauplätze und fieser Gewölbe zu überzeugen. Auf nicht weniger als fünf Ebenen spielt das Abenteuer, verschlägt die Charaktere auf die beiden Spiegelebenen Schattenfell und Feenwilde, in die Sternensee, und letztlich in das Reich Pluton, die Ruhestätte der toten Gottheit Nerull. Die Schauplätze selbst sind zum Teil aus „Return to the Tomb of Horrors“ entlehnt (wie etwa Schädelstadt) und wird um andere Orte, die seit Einführung der 4. Edition bekannt gemacht worden, bereichert, so etwa die Schattenstadt Moil aus dem Ebenenhandbuch.

Die inhaltlich brisantesten Elemente liegen jedoch im Detail – und das heißt zum einen, in der Ausarbeitung der Gewölbe, die im Mittelpunkt des Abenteuers stehen, und zum anderen, in der (für die 4. Edition völlig ungewöhnlichen) Art, mit den Herausforderungen in diesen Gewölben aus Spielleitersicht umzugehen. Wie noch nie zuvor sind die Gewölbe mit einer Vielzahl an Fallen und Rätseln gespickt, und mehrere Kampfbegegnungen in den Gewölben sind mit sogenannten Fertigkeitenherausforderungen verwoben. So treffen die Charaktere etwa mehrmals auf Feengeschöpfe, die zwar kampfeslustig sind, sich aber friedlich zeigen, wenn man sie in diversen strategischen (Brett)spielen (im Spiel) herausfordert – das Ganze wird als Fertigkeitenherausforderungen abgewickelt, die auch auf die Persönlichkeiten der Kontrahenten eingehen und somit darauf, wie diese auf diverse Entscheidungen seitens der Spieler reagieren. Obwohl dem Ganzen ein spielmechanischer Überbau gegeben wird, liegt das Bewältigen der Aufgaben hier zentral an den geistigen Fähigkeiten der Spielern, nicht deren Charaktere. Das gilt auch für das Gros der Fallen und Rätsel im Abenteuer. So müssen die Spieler sehr gut auf inhaltliche Details bei der Gewölbebeschreibung acht geben, um nicht in eine der zahlreichen tödlichen Fallen zu tappen. Als Beispiel sei hier ein Gedicht genannt, das die Spieler inhaltlich aufschlüsseln müssen, um ein halbes Dutzend Räume weiter den symbolischen Gehalt einer Darstellung auf einem Wandteppich richtig zu deuten, und so einer tödlichen Blitzfalle zu entgehen. Die Tiefe und Schwierigkeit der Rätsel ist zuweilen schon ungewöhnlich, aber ist natürlich als Hommage an das ebenso anspruchsvolle Vorbild zu deuten, von dem Autor Gygax im Vorwort einst schrieb: „It’s a thinking man’s dungeon.“

In diesem Sinne sind auch die zahlreich eingestreuten Spielleitertipps zu verstehen, die immer wieder darauf hinweisen, wie man die spielmechanische und intellektuelle Schwierigkeit des Abenteuers nach oben oder unten kalibriert. Gleich eingangs wird erwogen, das Abenteuer nicht mit Charakteren der empfohlenen Stufen, sondern zwei Stufen darunter, zu spielen – ältere Spieler werden die zusätzliche Herausforderung begrüßen. Weiters locken individuelle Anpassungen an die Spielregeln was Rettungswürfe bei sterbenden Charakteren und die Bemessung an Heilschüben pro Tag betrifft und das ohnehin schon schwierige Abenteuer noch knackiger gestaltet. Immer wieder folgen Einzelverweise darauf, dass man, wenn die Spieler besonders ungeschickt mit gewissen Herausforderungen umgehen – wie etwa, nicht rechtzeitig zur Flucht aus einer einstürzenden Stadt einsetzen – es getrost zu einem sogenannten „Total Party Kill“ kommen lassen kann (Auslöschung der gesamten Charaktergruppe). Obendrein sind Begegnungen eingestreut, die bewusst „unfair“ gegenüber den Spielercharakteren sind, also für diese nicht bewältigbar. So erfahren wir in einem Hinweis auf S. 57, dass die folgende Herausforderung dazu dient, Spielern die Lektion zu erteilen, dass es manchmal besser ist, die Flucht zu ergreifen. Gerade im Rahmen der 4. Edition sind solche Elemente absolut unüblich und brechen brachial mit der gängigen Spielpraxis, wie etwa dem Dogma, das jede Begegnung prinzipiell bewältigbar sein sollte. Auch beim Umgang mit Rätsel wird betont, dass sich diese ausschließlich an das Geschick der Spieler, nicht deren Charaktere, richten und man nur in Ausnahmefällen den Spielern Hilfestellungen zukommen lassen sollte (keinesfalls: des Rätsels Lösung), wenn diese einen erfolgreichen Fertigkeitenwurf bewältigen. Aber selbst hier erfahren wir: „gewisse Spieler bevorzugen es, dass Erfolg UND Misserfolg allein aus ihren eigenen Fähigkeiten erwächst.“

All das unterstreicht, wie behutsam und vorgabegetreu die Autoren bei ihrer Aufgabe, diesen Klassiker an die 4. Edition anzupassen, vorgegangen sind. Wirkliche Minuspunkte gibt es kaum zu verzeichnen. Da wäre zum einen die (schon erwähnte) etwas platte Rahmenhandlung, die nun wirklich zu sehr an die „Harry Potter“-Romane erinnert, und zum anderen mit dem Thema „Erzbösewicht will Weltherrschaft erreichen“ zu sehr an bestehende Kaufabenteuer der 4. Edition anknüpft, wie etwa das ebenso vorzügliche „Revenge of the Giants“. Letzteres Abenteuer verfügt sogar über Pedants zu den Seelenmaschinen – man darf den Autoren insofern auch eine Ideenarmut vorwerfen. Ein weiterer Schwachpunkt des Abenteuers ist es, dass es nicht als durchgängige Kampagne konzipiert wurde. Vielmehr sind die Einzelkapitel dazu gedacht, mit Unterbrechungen gespielt zu werden. Im Gegenzug zeigt sich das Buch auch sehr modular, und enthält Tipps, wie man die Einzelkapitel als von der Rahmenhandlung unabhängige Einzelabenteuer spielt. Eine letzte Schwäche ist die Konzipierung einzelner Gewölbe, die nicht immer überzeugen kann. Sowohl das erste Gewölbe im Feenwild (S. 15) als auch die Visite der eigentlichen Gruft des Schreckens (S. 101) weisen Räumlichkeiten auf, die für Kampfbegegnungen im sogenannten „Paragon“-Stufenbereich denkbar ungeeignet (weil zu eng) sind. Letztere Karte wurde aus dem Original von 1975 entnommen, aber anscheinend wurde übersehen, dass damals ein Kästchen noch 10 Fuß, und nicht den heute handelsüblichen 5 Fuß entsprach (sprich, das Gewölbe ist nur ein Viertel so groß wie ehemals). Hier, und in den schon erwähnten Auslassungen bei dem Gewölbe auf S. 61, muss der Spielleiter gestalterisch Hand anlegen. Ähnliches gilt natürlich für Kunden, die das Abenteuer zu einer durchgehenden Kampagne ausarbeiten wollen. Damit zum Fazit.

Fazit: Mit „Tomb of Horrors“ liegt das bis dato anspruchsvollste Kaufabenteuer für die 4. Edition vor. Ein Schwierigkeitslevel, der unter bisherigen Abenteuern seinesgleichen sucht, eine Hülle an Rätsel und Fallen, die nur von findigen Spielern gelöst werden können, und viel mehr – hier wird auch älteren Kunden endlich wieder einmal etwas abseits der üblichen Kost geboten. Gleichzeitig kann man eine Kaufempfehlung nur bedingt aussprechen – zu sehr weichen Anspruch und Ausführung des Abenteuers von den üblichen Design-Paradigmen von Kaufabenteuern ab (wie etwa in Punkto Ausgeglichenheit und Fairness gegenüber den Spielern). Dafür gelingt es den Autoren, überzeugend an die legendären Vorlagen anzuknüpfen, und es stellt zumindest im Rahmen neuerer Publikationen einen Meilenstein dar.

Tomb of Horrors
Abenteuerband
Ari Marmell, Scott Fitzgerald Gray
Wizards of the Coast 2010
ISBN: 978-0-7869-5491-9
160 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 29,95