Autor Thema: Poly- und Monotheismus im RPG und im Spiegel der Geschichte (war: Eure Meinung: Aventuriens bescheuertste Gottheit)  (Gelesen 12390 mal)

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Offline D. Athair

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Ob man es gutheißt oder nicht: Man darf nicht vergessen, dass Herrschaftsform und Religion in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen.

Christianisierung Irlands: Die Herrschaftsstrukturen ändern sich nicht. Die Duiden werden (organisch) von den Mönchspriestern abgelöst. Die (eigenständige) keltische Kirche, die bis 1111 besteht entwickelt sich.

Christianisierung Norwegens: Olav I. Tryggvason versucht sich zum König über die Skandinavier aufzuschwingen. Der alte Glaube - weitgehend ohne Hierarchien - steht ihm dabei im Weg. Der Anspruch "von Gottes Gnaden König", den er aus dem Christentum ableitet, bietet eine Legitimation seiner Herrschaft. Taufe oder Tod wird ein wichtiges Mittel seiner Herrschaft.


Für die Etablierung eines feudalen Systems oder ein kaiserliches Recht ist eine religiöse Legitimation sehr nützlich.
Ein besonderer Bezug des Herrschers zum Göttlichen ist üblich. Je weniger Götter desto besser. Desto stärker religiös begründete Herrschaftsanspruch.

Solche Zusammenhänge sollte man beim Rollenspiel - gerade in der Fantasy - nicht außer Acht lassen.
"Man kann Taten verurteilen, aber KEINE Menschen." - Vegard "Ihsahn" Sverre Tveitan

Offline Thot

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Hm, aber ich weiss aus autobiographischer Erfahrung, dass Polytheismus und göttlich legitimierte Herrschaft zusammen hervorragend funktionieren. Feudalismus ist in keiner Weise an Monotheismus gebunden.

Callisto

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Aber in Ägypten gab es eine ganz klare Hierarchie der Götter. So weit ich mich erinnere war der Pharao ja Re's Sohn. Erst als dieser sich von Ra hat legitimieren lassen, hat er mehr als sein kleines Wüstenstädtchen beherrschen können.

Belchion

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Re: Poly- und Monotheismus im RPG und im Spiegel der Geschichte
« Antwort #103 am: 24.04.2011 | 11:09 »
Der Anspruch "von Gottes Gnaden König", den er aus dem Christentum ableitet, bietet eine Legitimation seiner Herrschaft. Taufe oder Tod wird ein wichtiges Mittel seiner Herrschaft.
Nun ja, auch in vor-christlicher Zeit haben die skandinavischen Könige Würde und Machtanspruch von ihrer göttlichen Abstammung hergeleitet. So komplett neu war die Idee mit der Hierarchie daher nicht, vor allem nicht, da sich zu dem Zeitpunkt ja auch schon eine göttliche Hierarchie in Asgard ausgebildet hatte. (Ohne diesen Vorbau hätte er wahrscheinlich gar nicht die Idee gehabt, den Monotheismus als Begründung für die Herrschaft eines Königs über ganz Skandinavien herzunehmen oder damit zumindest seine Untertanen nicht überzeugt).

Konflikte in einer Spielwelt sind gut. Konflikte innerhalb der Gruppe von Spielercharakteren sind aber schlecht. Darum ist "Leben und Leben lassen" die bessere Lösung für Rollenspielwelten, und darum ist Poly- oder Henotheismus gut, und Monotheismus taugt nur als antagonistisches Glaubenssystem.
In der realen Welt sind monotheistische Religionen jahrhundertelang wunderbar mit ihren Nachbarn klargekommen (gerade im Nahen Osten und Indien), wieso sollte das in einer Fantasywelt nicht funktionieren? Bei Karl May funktioniert es doch auch, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar versuchen die ganze Zeit, einander zu bekehren, was sie aber nicht davon abhält, beste Freunde zu sein.

Im Gegenzug können auch polytheistische Gesellschaften sehr intolerant sein, wenn jemand sich weigert, ihre Staatsgötter angemessen zu verehren (das war z.B. die offizielle Begründung für die vollkommene Zerstörung Babylons durch Sanherib, aber auch für das Todesurteil gegen Sokrates) oder ihnen der Glaube aus anderen Gründen nicht zusagt (Claudius gegen das keltische Druidentum).

Sowohl toleranter Monotheismus als auch intoleranter Polytheismus sind daher vollkommen möglich.

Offline Jed Clayton

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Nun ja, auch in vor-christlicher Zeit haben die skandinavischen Könige Würde und Machtanspruch von ihrer göttlichen Abstammung hergeleitet. So komplett neu war die Idee mit der Hierarchie daher nicht, vor allem nicht, da sich zu dem Zeitpunkt ja auch schon eine göttliche Hierarchie in Asgard ausgebildet hatte.

Auch die Kaiser von China galten als "Söhne des Himmels" und die Könige der polytheistisch-buddhistischen Länder Burma, Thailand und Kambodscha wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein wie fast gottgleiche Herrscher verehrt. Und der Kaiser von Japan gilt in der Theorie noch heute als Abkömmling des Sohnes der Sonnengöttin. Alles keine christlichen Gesellschaften.

Zitat
Sowohl toleranter Monotheismus als auch intoleranter Polytheismus sind daher vollkommen möglich.

Sehr richtig. So sehe ich das auch, auch wenn da viele große, offizielle Kampagnenwelten, Romane und Comics nicht so recht mitziehen. Wir sind eben den offiziellen Kampagnenwelten voraus, schließlich sind wir die Tanelorn-Community. ;)

Wahrscheinlich meinte Thot, dass es einem Spieler in vielen offiziell veröffentlichen Settings (wiederum: Glorantha als Beispiel, weil ich es kenne) verdammt schwer gemacht wird, Spielercharaktere aus dezidiert unterschiedlichen Religionen oder auch Anbeter unterschiedlicher Pantheons in derselben Gruppe zu haben - selbst in extremen Notfällen und mit vielen Spielleiterfreiheiten.
"Somewhere there is danger, somewhere there's injustice, and somewhere else the tea is getting cold."

(Doctor Who, Survival, 26th season, serial 4, part 3)