Autor Thema: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen  (Gelesen 2124 mal)

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Offline YY

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Wahrscheinlich dieselben die Afganistan d20 (Review dazu) gespielt haben. Und dann gibt es noch Blackwater das Videospiel für nebenher.

Ausgehend von den im Zitat genannten Beispielen aus einem anderen Thread wollte ich mal recht frei in die Runde fragen, wie ihr derartige aktuelle realweltliche Bezüge in Rollen- und Videospielen findet.

Dazu tue ich zunächst einmal meine Meinung kund und haue dann einen wirren Haufen Fragen raus  ;D


Ich kann nicht nachvollziehen, warum ein Blackwater-Videospiel geschmackloser sein soll als einer der x-tausend Shooter, in denen man US-Soldaten in den gleichen Konfliktzonen spielt.
Ja, Blackwater hat einen schlechten Ruf, aber unterm Strich bei Weitem nicht so viel auf dem Kerbholz wie die US-Streitkräfte oder andere Armeen.
Und man kann wohl schwer davon ausgehen, dass im Blackwater-Spiel die realen Verfehlungen des Unternehmens ebenso wenig eine Rolle spielen werden wie jene der US-Armee in ähnlichen Konstellationen - das wird (natürlich) ausgeblendet, weil es für den angedachten Unterhaltungszweck irrelevant ist.

Mir scheint es aber auch, als hätten die US-Streitkräfte einen in diesem Kontext erstaunlich guten Ruf - was ich größtenteils für das Ergebnis schlichter Gewöhnung halte, nach dem Motto "Wen sollte/wollte man in einem kontemporären Setting sonst schon spielen?".


Auch über das Afghanistan-Quellenbuch kann ich mich nicht aufregen.
Ich sehe da keinen großen Unterschied zu RPG-Settings im Zweiten Weltkrieg oder im Vietnamkrieg - ja, die sind beide länger her, aber die emotionale Anbindung kann für jeden einzelnen Spieler sehr unterschiedlich ausfallen.

(Dazu: Teile meines Bekanntenkreises und ich selbst waren in Afghanistan, aber keiner hat ein Problem z.B. mit Shootern, die dort spielen - das wird einfach völlig getrennt wahrgenommen. Meiner Einschätzung nach ist die Tendenz zur moralischen Entrüstung da eher noch geringer als beim Rest der Bevölkerung.)


Kurz:
Ich finde die genannten Beispiele nicht geschmacklos und habe auch kein Problem mit der absoluten Mehrheit dessen, was in der Richtung sonst noch so produziert wird (freilich unabhängig davon, ob das insgesamt gute Spiele sind oder nicht).


Aber was mir dazu an Fragen so auf Anhieb einfällt (da wird wohl auch schnell klar, wie ich gedanklich an die Aufregung über das Thema herangehe):

- Gibt es für euch eine (wohl diffuse) zeitliche Grenze?
D.h. ist so was ok, so lange der jeweilige Konflikt lang genug her ist?
Wie sieht da der Zeitrahmen bei euch und im Bekanntenkreis ungefähr aus - wäre WK2 ok? Vietnam? Desert Storm?
Stehen einzelne Konflikte außerhalb dieser allgemeinen Zeitbewertung (z.B. der Dreißigjährige Krieg oder der Zweite Weltkrieg als Konflikte, die generell nicht aufgegriffen werden sollten, auch wenn weiter zurückliegende Konflikte ok sind) und aus welchen Gründen?

- Macht ihr Unterschiede, wie ein solcher Konflikt allgemein bewertet wird?
Gibt es also Szenarien, die grundsätzlich aus moralischen Gründen nicht in Frage kämen, aber andere (eventuell aktuellere), die man durchgehen lassen kann (z.B. Vietnam im Vergleich zum Kosovo-Krieg)?

- Spielen die Protagonisten für euch eine Rolle und warum (nicht)?
Paradebeispiele Sudden Strike oder Day of defeat, wo man die deutsche Seite im Zweiten Weltkrieg spielen kann.

- Wenn ihr euch an solchen Settings stört: Macht es für euch einen Unterschied, ob man unterm Strich nur die Seriennummern abfeilt (z.B. in Form fiktiver Länder, bei denen 100% klar ist, was gemeint ist, oder im Fall des Blackwater-Spiels ein fiktives Sicherheits-/Söldnerunternehmen) oder muss das Setting wirklich "komplett" von der Realität getrennt sein?
Wo würdet ihr da gefühlt die Grenzen sehen - ist das hauptsächlich eine atmosphärische Frage, d.h. sollte der fiktive Konflikt allgemein nicht zu sehr an einen realen erinnern oder sind das andere Faktoren?
"Kannst du dann bitte mal kurz beschreiben, wie man deiner Meinung bzw. der offiziellen Auslegung nach laut GE korrekt verdurstet?"
- Pyromancer

Offline Hróđvitnir (Carcharoths Ausbilder)

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #1 am: 28.10.2011 | 05:14 »
- Gibt es für euch eine (wohl diffuse) zeitliche Grenze?

Nö. Liegt vielleicht daran, daß ich Historiker bin. Wir sehen Zeit recht indifferent.

Zitat
- Macht ihr Unterschiede, wie ein solcher Konflikt allgemein bewertet wird?

Nö. Ich mach einen Unterschied, ob ich einen Konflikt interessant finde. (EDIT/ Einschränkung. Ich würde keine Amis in Vietnam, Grenada oder Irak spielen.)

Zitat
- Spielen die Protagonisten für euch eine Rolle und warum (nicht)?

Ja. Ich flieg prinzipiell in IL2 (meine kleine Sünde) nur für Blau (Achsenmächte), alles andere würde sich falsch anfühlen. Meine zwei großartigsten Sessions beschreibe ich hier nicht, habe schon genug Lynchfutter geliefert.  ;D

EDIT/ BTW: Warum ist das hier und nicht in "Rollenspiele allgemein"?
« Letzte Änderung: 28.10.2011 | 05:32 von Hróðvitnir »
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Zitat von: korknadel
Rollenspiele sollen bei Dir im besten Fall eine gewisse Schwermut, Resignation und Melancholie hervorrufen.

Zitat von: Dolge
Auf Diskussionen, was im Rollenspiel realistisch ist und was nicht, sollte man sich nie unter gar keinen Umständen absolut gar überhaupt vollständig nicht einlassen.

Offline 6

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #2 am: 28.10.2011 | 08:46 »
Ich dürfte zwar nicht gefragt sein, da ich persönlich weder Afganistan d20 noch den Blackwater Shooter für geschmacklos halte aber ich antworte mal trotzdem.
- Gibt es für euch eine (wohl diffuse) zeitliche Grenze?
Da geht es mir ähnlich wie Lorom. Ich habe zwar kein Profihistoriker, aber interessiere mich privat sehr für Geschichte. Von daher ist für mich in diesem Zusammenhang eine zeitliche Nähe oder Ferne relativ irrelevant.
Zitat
- Macht ihr Unterschiede, wie ein solcher Konflikt allgemein bewertet wird?
Das wäre mir egal. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ich ziemliche Probleme mit einem Spiel hätte, in dem ein entsprechender Konflikt nicht ironisierend vollkommen falsch dargestellt werden würde. Allerdings fällt mir dazu jetzt kein Beispiel ein.
Zitat
- Spielen die Protagonisten für euch eine Rolle und warum (nicht)?
Sie spielen für mich keine Rolle. Ich habe wenig Probleme zwischen Spiel und Realität zu unterscheiden (Ich sag nur Puerto Rico und die schwarzen "Kolonisten", um mal die Brettspiele ins Boot zu holen. ;)).
Das könnte sich ändern, wenn die Spiele besonders ... hm... immersionistisch wären. Dann hätte ich dicke Probleme, wenn die Rollen nicht ironisierend falsch dargestellt werden würden

@YY:
Ich stimmt Lorom beim Verschieben zu. Soll ich den Thread zu Rollenspiele allgemein oder zu Umfragen schieben?
Ich bin viel lieber suess als ich kein Esel sein will...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Nicht Sieg sollte der Zweck der Diskussion sein, sondern
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Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

Offline Yerho

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #3 am: 28.10.2011 | 14:09 »
Hinzu kommt, dass man für Akteure in Action-Titel eigentlich nur drei Optionen hat:

1.) Man ist im Dienst eines Staates und moralische Aspekte stehen und fallen mit der Sichtweise auf die Handlungen dieses Staates oder dessen Leumund.
2.) Man ist Privatperson, also entweder Krimineller oder Vigilant.
3.) Man arbeitet für die Privatwirtschaft und ist somit als kämpfender Charakter immer irgendwie ein Söldner.

Jede Variante hat ihre Haken und Ösen. Generell kämpft man immer für eine Sache, und wie man angesehen ist, hängt davon ab, wie die jeweiligen Betrachter zu dieser Sache stehen.

Ich persönlich finde mich beispielsweise moralisch leichter damit ab, einen US-Soldaten im 2. Weltkrieg zu spielen als einen im 2. Golfkrieg, andererseits finde ich das Setting im zweiten Fall interessanter - das ist eine Zwickmühle. Im Endeffekt blende ich einfach die vorgegebene ideologischen Positionen aus und überlagere die Rolle, die mir vorgegeben ist mit einer, mit der ich mich abfinden kann.

Nur die wenigsten Spiele strotzen derart vor ideologischem/reaktionärem Müll, dass das nicht möglich ist, weil der Spielverlauf einen ständig daran erinnert. Die spiele ich dann entweder gar nicht oder eben nicht mehr weiter, sobald der Rotz unerträglich wird.
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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #4 am: 29.10.2011 | 06:34 »
Ich habe ein Problem damit, wenn der Shooter im Prinzip nur Propaganda ist und eine Seite als die Gute und die andere als die Böse dargestellt wird.

Ich finde es relativ wichtig, dass man beide Seiten spielen kann. Und dass es auf beiden Seiten nachvollziehbare Gründe für den Konflikt gibt.

Daher:
Ein Ego Shooter, wo es zwei Kampagnen gibt:
Kapitel 1: Einen US-Soldaten in Afghanistan
Kapitel 2: Einen Taliban Untergrundkämpfer

fände ich sogar hervorragend, da hier (optimalerweise) beide Sichtweisen beleuchtet werden. Selbst, falls das Spiel nicht auf moralische Fragen eingeht, sondern nur einfache Hausmannskost mit viel Action bietet, finde ich so einen Shooter moralisch OK, solange man sich mit beiden Protagonisten identifizieren kann und beide Protagonisten nachvollziehbar handeln.

Oder ein RPG, wo man in den Irak-Konflikt hineingezogen wird und sich dann entscheiden muss, für welche Seite man kämpft. (Evtl.mit der Option, Doppelspion zu werden.)

Offline Oberkampf

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #5 am: 29.10.2011 | 09:18 »
Ich spiele generell keine Shooter, aber Brettspiele mit historischen Bezügen, also antworte ich mal mit.

- Gibt es für euch eine (wohl diffuse) zeitliche Grenze?

Es gibt Phasen, in denen ich als Privatperson an Geschichte interessiert bin, aber so eine Indifferenz wie bei Lorom oder 6 habe ich nicht. Je näher die Spiele an der Gegenwart sind, desto weniger Lust habe ich, sie zu spielen. Anfangs dachte ich, meine Grenze sei der Zweite Weltkrieg, aber seitdem ich Axis & Allies gespielt habe, habe ich diese Grenze verschoben.

D.h. ist so was ok, so lange der jeweilige Konflikt lang genug her ist?
Wie sieht da der Zeitrahmen bei euch und im Bekanntenkreis ungefähr aus - wäre WK2 ok? Vietnam? Desert Storm?

Viele meiner Bekannten haben auch Axis & Allies gespielt. Meine Ex hingegen wollte an keinem Spiel teilnehmen, das einen Krieg im 20. Jhd. thematisierte.

Stehen einzelne Konflikte außerhalb dieser allgemeinen Zeitbewertung (z.B. der Dreißigjährige Krieg oder der Zweite Weltkrieg als Konflikte, die generell nicht aufgegriffen werden sollten, auch wenn weiter zurückliegende Konflikte ok sind) und aus welchen Gründen?

Einzelne Aspekte dieser Kriege stehen meiner Meinung nach außerhalb des Spielbaren. Dazu gehört z.B. der Holocaust, der während des Zweiten Weltkrieges stattfand. Sowas kann man nicht spielen. Es war auch lange umstritten, ob der Holocaust künstlerisch dargestellt werden darf/kann, und der Streit ist nicht entschieden.

Generell halte ich praktizierte Kriegsverbrechen (die es, wenn auch nicht in dem Ausmaß, in jedem Krieg gibt) für kein gutes Spielthema. Das gilt unabhängig davon, ob die Kriegsverbrechen nebenher stattfanden oder geplant als "unlauteres" Kriegsmittel eingesetzt wurden.

- Macht ihr Unterschiede, wie ein solcher Konflikt allgemein bewertet wird?
Gibt es also Szenarien, die grundsätzlich aus moralischen Gründen nicht in Frage kämen, aber andere (eventuell aktuellere), die man durchgehen lassen kann (z.B. Vietnam im Vergleich zum Kosovo-Krieg)?

Im Grunde nein. Meiner Meinung nach gibt es sehr wenige "gerechte Kriege". Es gibt ein paar ungerechte Kriege, die Imperien stabilisiert haben und auf lange Sicht hin Friedens- und Wohlstandssphären gebracht haben, aber der einzelne Krieg an sich ist meistens unmoralisch.

- Spielen die Protagonisten für euch eine Rolle und warum (nicht)?
Paradebeispiele Sudden Strike oder Day of defeat, wo man die deutsche Seite im Zweiten Weltkrieg spielen kann.

Für mich im Grunde nicht, weil ich ja die moralischen Hintergründe beim Spielen nicht berücksichtige. Ich identifiziere mich auch in der Regel nicht besonders stark mit einer Seite. Der 30jährige Krieg in seiner ersten Phase könnte eine Ausnahme sein, schließlich bin ich irgendwo auch Pfälzer  ;)

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Ob der Realitätsbezug verschlüsselt ist oder offen genannt wird, ist mir eigentlich egal, wobei ich, wie oben gesagt, bei zeitlich nicht sonderlich weit zurückliegenden Kriegen etwas empfindlicher bin.

Wo würdet ihr da gefühlt die Grenzen sehen - ist das hauptsächlich eine atmosphärische Frage, d.h. sollte der fiktive Konflikt allgemein nicht zu sehr an einen realen erinnern oder sind das andere Faktoren?

Was mich nervt, dass ist, wenn das Spiel zu deutlich eine Kriegspropaganda ist, oder wenn eindeutig versucht wird, mit dem Medium Spiel für eine aktuelle politische Position (in der Regel eine "Falken"-Haltung) zu werben. Nach meiner Meinung kann man aus vergangenen Kriegen nichts lernen, außer vielleicht, wie sie damals begründet und geführt wurden - jedenfalls keine "Lehren für die Gegenwart".
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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #6 am: 29.10.2011 | 11:01 »
Ausgehend von den im Zitat genannten Beispielen aus einem anderen Thread wollte ich mal recht frei in die Runde fragen, wie ihr derartige aktuelle realweltliche Bezüge in Rollen- und Videospielen findet.
Ich sehe dabei nichts besonderes.

Zitat
- Gibt es für euch eine (wohl diffuse) zeitliche Grenze?
Nein. Tendentiell würde ich aber sogar sagen, dass ich eher einen aktuelleren Konflikt bespielen würde als irgendeinen Konflikt vor Ewigkeiten, denn nur durch die relative geschichtliche Nähe besteht für mich überhaupt eine Relevanz, warum ich einen historischen Konflikt anstatt eines fiktiven Konflikts bespielen würde.

Zitat
- Macht ihr Unterschiede, wie ein solcher Konflikt allgemein bewertet wird?
Ich halte nicht viel von der bigotten Meinung der bürgerlichen Mitte, die auf der einen Seite (bestimmte) gewaltsame Konflikte verteufelt, aber auf der anderen Seite menschliches Elend des Wohlstands Willen stillschweigend in Kauf nimmt.

Zitat
- Spielen die Protagonisten für euch eine Rolle und warum (nicht)?
Ganz abgesehen von den schweren Verbrechen, die die Nazis begannen haben, halte ich nicht viel von der politisch-korrekten Schwarzweiß-Malerei. Die meisten Soldaten der Wehrmacht waren ganz gewöhnliche Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen in den Krieg gezogen sind, viele von ihnen sicherlich auch nicht freiwillig.

Ich denke, die Abneigung vieler Leute gegen solcher Szenarien begründet sich unter anderem in dem Unwohlsein, dass man sich dabei in wirklichen, unbequemen moralischen Grauzonen, jenseits der Wohlfühlzone Fiktion, bewegt und mit unter in das hässliche Antlitz der eigenen oftmals doch nicht so friedlichen menschlichen Natur blicken muss.

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #7 am: 29.10.2011 | 13:25 »
Prinzipiell: Habe wohl keine zeitliche Disposition für best. historische Epochen...manche Konflikte erscheinen mir aber als zu marginal oder chaotisch, um sie wirklich sinnvoll in Spiele zu gießen - dafür brauchts eben episches Black & White...   ;)
Zumeist kann ein Spiel eben einfach gut oder schlecht sein - nicht moralisch oder unmoralisch...

Die Geschmacksgrenze ist für mich vor allem dort erreicht, wo die "Action" (gerne auch blutig und mit Kollateralschaden) dann unter dem Deckmäntelchen des "Realismus" in gewaltpornographisch-sadistische Soziopathie ausartet (Massenmörder on tour / exzessive Folterszenen etc.). Das braucht es nicht! Da hört (zumindest für mich) der (Spiel)Spaß definitiv auf!
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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #8 am: 29.10.2011 | 17:40 »
- Gibt es für euch eine (wohl diffuse) zeitliche Grenze?
Ja, gibt es. Ich hätte nicht zwei Tage nach 9/11 ein Rollenspiel mit dem Thema spielen wollen - da waren die Ereignisse einfach noch zu "dicht dran". Mittlerweile hätte ich kein Problem mehr damit, einfach deswegen, weil die emotionale Betroffenheit nicht mehr da ist.
Ich gehöre einfach nicht zu den Leuten, die bei einer Katastrophenmeldung mit den Schultern zucken und "ich kenn die alle net" sagen können. Mag irrational sein, weil diese Betroffenheit mich eigentlich nicht zu irgendeiner Art von Aktivität motiviert, ist aber so.

Zitat
- Macht ihr Unterschiede, wie ein solcher Konflikt allgemein bewertet wird?
Ein bißchen schon. Es gibt Themenbereiche, die möchte ich nicht als Hintergrund für wildes Geschnetzel oder Satire bespielen (z.B. den Holocaust) - wenn es aber dramatisch wird und harte Entscheidungen fallen müssen, spiele ich eigentlich alles mit.

Zitat
- Spielen die Protagonisten für euch eine Rolle und warum (nicht)?
Hängt von der Art und Stimmung der Runde ab. Eine Runde, wo man Ami-Soldaten in Guantanamo spielt, sollte die Situation dort halt nicht nur als Farbtupfer in einem Actionszenario haben. Das muss dann aber auch nicht so ein aktuelles Szenario sein - sobald ich mich mit einer Situation auch nur ansatzweise "auskenne", finde ich unreflektierte Farbtupfer verschwendetes Potential.
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Offline Sir Markfest

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #9 am: 29.10.2011 | 19:11 »
Ausgehend von den im Zitat genannten Beispielen aus einem anderen Thread wollte ich mal recht frei in die Runde fragen, wie ihr derartige aktuelle realweltliche Bezüge in Rollen- und Videospielen findet.

Erweiterungsgedanke: was ist mit realweltlichen Bezügen a la Utöya-Massaker?

Offline YY

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #10 am: 29.10.2011 | 20:17 »
Also ganz konkrete Einzelereignisse?

Da stellt sich mir in jedem Fall die Frage, was man damit bezwecken will.

Mit einem unveränderten Utöya-Massaker etwa wüsste ich auf Anhieb rollenspielerisch nicht so viel anzufangen.
Wenn man ein derart konkretes Ereignis reinnimmt, sollte es allerdings auch ein eher zentraler Punkt im Spiel sein, sonst kann man sich das ja auch sparen - was auch immer man dann damit veranstalten will.
Wie gesagt, mir fällt dazu auf Anhieb nichts ein, wozu ich unbedingt das Utöya-Massaker bräuchte.


Ich kann mich aber daran erinnern, dass ich in einer WoD-Runde in New Orleans zu Beginn angefragt habe, was mit dem Hurrikan Katrina ist, weil der zum Spielzeitpunkt noch nicht so lang her war.
Das Regelwerk konnte aufgrund seines Alters logischerweise keine Aussage dazu machen und mir schien es wichtig, sich da auf einen Umgang mit dem Thema zu einigen, weil so was ja doch einen spürbaren Einfluss auf das Setting hat, wenn man es mit rein nimmt.

Meistens wird man solche Ereignisse für viele Spiele an die Grundprämisse anpassen, indem man ihnen einen erweiterten/fantastische(re)n Hintergrund gibt - was wir dann auch getan haben.

Das geht schon schwer in Richtung dessen, was ich eingangs unter "abgefeilte Seriennummern" verortet habe. Mit einer passenden Vorlage und einer halbwegs gelungenen Umsetzung finde ich das nicht verkehrt.

Randbemerkung dazu:
Für unsere Polizeirunde in L.A. verwenden wir das reale Organigramm der für uns relevanten LAPD-Teile.
Und wenn ich oder einer meiner Spieler im Netz über Nachrichten aus L.A. stolpern, die uns passend erscheinen, bauen wir das ein.

Das kann auch mal ein "schöner" Mord inklusive der dazugehörigen "NSCs" sein.

Findet wohl mancher grenzwertig, aber unterm Strich liefert es auch nur eine Vorlage bzw. einen Startpunkt, ab dem das Ganze in der Fiktion anders verläuft - und oft sind die zugehörigen Nachrichten nur eine grobe Skizze und keine umfassende Information.

Ich sehe mich da nicht in der Lage, eine eindeutige und universelle moralische Grenze zu ziehen (schließlich gibt es z.B. für fast jeden Krimi-Ansatz im Rollenspiel reale Ereignisse mit bemerkenswert großer Ähnlichkeit - das ist ab einem gewissen Punkt nur noch eine Frage der Statistik), ab welchem "Verflechtungsgrad" mit der Realität das nicht mehr akzeptabel ist.

Als einziger Maßstab bleibt mir da nur, es zu lassen, wenn es einen Mitspieler stört - ist ja klar.
Aber auch die konnten das bisher nie schematisch formulieren (nicht, dass sie das müssten, aber für den Thread hier wäre der Versuch wohl nicht verkehrt).


Trennung.

Viele meiner Bekannten haben auch Axis & Allies gespielt. Meine Ex hingegen wollte an keinem Spiel teilnehmen, das einen Krieg im 20. Jhd. thematisierte.
Ja, das begegnet mir in ähnlicher Form auch ab und an.
Da scheint mir Ein eine ziemliche Ausnahme zu sein mit der Haltung, dass man statt weit zurückliegender echter Konflikte auch fiktive Varianten nutzen kann und umgekehrt nur die "zeitnahen" echten Kriege interessant sind.

Aber daran liegts wohl für die Meisten: Z.B. die Kriege des 20. Jahrhunderts sind noch zu "echt", d.h. liegen erst intuitiv noch erfassbare Zeiträume zurück.

Wenn das mal in die Jahrhunderte geht, ist die Informationslage so schlecht und das Geschehen gefühlt so weit weg, dass es keinen großen Unterschied mehr zu einem fiktiven Krieg macht.

Wie klingt das?


Und noch mal andersrum angedacht:
Wie sieht es aus mit fiktiven Kriegen, Katastrophen etc. eng am eigenen Lebensumfeld bzw. dem der Spieler?
Gibt es da Erfahrungen?
« Letzte Änderung: 29.10.2011 | 20:21 von YY »
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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #11 am: 29.10.2011 | 21:06 »
Ich bin dabei bei derartigen Situationen etwas zwiegespalten. In aller Regel sind Ereignisse, die mehr oder weniger zu unseren Lebzeiten passiert sind, stärker emotional aufgeladen als Ereignisse, die entweder fiktiv sind oder weiter in der Vergangenheit liegen - es kann gut sein, dass es für eine ganze Reihe von Leuten effektiv keinen Unterschied macht, ob ein Ereignis fiktiv oder nur lange genug her ist, wenn der direkte persönliche Bezug wegfällt. Das ist sowohl gut wie auch schlecht. Ein starker emotionaler Bezug ist ein probates erzählerisches Mittel, um starke Emotionen zu wecken, und das halte ich beim Rollenspiel in aller Regel für ein ganz brauchbares Ziel; andererseits kann das ganze natürlich auchg nach hinten los gehen, wenn die verbundenen Asoziationen klar gesetzt sind und wenig Platz für die Inhalte des Spiels bieten.
Ich bin mir auch nicht sicher, in wie fern es angemessen ist, ein stark euphemistisches Bild von bestehenden Konflikten zu zeichnen, bei denen man die wirklich negativen Nebeneffekte von Krieg und Konflikten unter den Tisch fallen läßt, oder ob das nicht ein Stück weit von vorne herein eine unangemessene Umgangsweise mit der Thematik darstellt oder in wie weit man im Rahmen eines Rollenspiels überhaupt die Möglichkeit hat, entsprechende Gegebenheiten aufzuarbeiten.
Im Zweifelsfall ist man vermutlich auf der sichereren Seite, wenn man auf klare Tagespolitische Bezüge, nähergelegene Gegebenheiten und dergleichen im Rollenspiel verzichtet, aber gleichsam ist das natürlich auch der Weg des geringsten Widerstands und der größtmöglichen Bequemlichkeit, den zu verlassen normalerweise wesentlich interessanter ist. Die andere Frage, die sich mir stellt, ist in wie fern man bewußt mit Analogien oder Paralellen gerade in fiktiven Settings arbeiten kann und ob dieser zusätzliche Grad an Distanz nicht dabei hilfreich sein kann, die Geschehnisse besser zu verarbeiten und auch darstellen zu können. Wobei dann natürlich der akkurate Charme der Authenzität verloren geht.
Würde ich tatsächlich jedes Mal, wenn ich sinnbildlich Lehrgeld bezahlen würde, tatsächlich Geld verteilen, wäre ich arm.

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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #12 am: 29.10.2011 | 22:13 »
Wie sieht es aus mit fiktiven Kriegen, Katastrophen etc. eng am eigenen Lebensumfeld bzw. dem der Spieler?
Gibt es da Erfahrungen?

Eigentlich nicht - ich hab selbst glücklicherweise weder Kriege noch Katastrophen in meinem Lebensumfeld... aber mit einer Person, für die das nicht gilt, würde ich ein Szenario, das daran angelehnt ist, nicht leiten wollen.

Andersherum fand ich es extrem ironisch, dass wir ca. einen Monat vor 9/11 im Rollenspiel verhindert haben, dass ein Flugzeug in irgendein wichtiges Gebäude in New York hineinfliegt.  :P
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #13 am: 30.10.2011 | 15:54 »
Wie sieht es aus mit fiktiven Kriegen, Katastrophen etc. eng am eigenen Lebensumfeld bzw. dem der Spieler?
Gibt es da Erfahrungen?

Dazu kann ich nur sagen, dass ich Dinge, die mich aufgrund persönlicher, biographischer Lebensumstände stark treffen können, nicht im RPG haben will. Damit ich Role Playing Game genießen kann, brauche ich eine intellektuelle Distanz zur Spielwelt.
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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #14 am: 30.10.2011 | 16:12 »
Spielen und leiten würde ich mit den richtigen Teilnehmern grundsätzlich alles - Ausnahme: ich selbst kann mit bestimmten Charaktern einfach nichts anfangen ;)
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Re: Enge Realitätsbezüge in Rollen- und Videospielen
« Antwort #15 am: 31.10.2011 | 11:11 »
Naja. Bei Computerspielen wird ja in Wehrmachtsuniform fleissig getötet. Selbst, wenn man die Wahl hat.