Da hier munter der
schwarze Peter herumgeschoben wird ("Definier du, was Härte ist!", "Nein, definiert du, was Härte ist!") will ich auch mal mitspielen.
Was ich aus dem Nachbarthread bezüglich des Begriffes "Härte" mitnehme ist zweierlei, das heißt ich erkenne zwei Definitionen von Härte (gut, da gab's noch eine dritte, aber die rührt eher aus einer unglücklichen Verwendung des Wortes her, als von einem Bezug auf Rollenspiel allgemein*). Ich versuche die mal kurz aufzudröseln.
1. Die erste Definition von
Härte, so vertreten von bibabutzelmann, würde ich auf der Ebene der
Darstellung verorten. Hier geht es darum, wie die Spieler sich als ihre SCs zur Spielwelt verhalten und mit was genau sie den gemeinsamen Vorstellungsraum füllen. Schlüsselbegriffe sind
Explizität der Darstellung,
Thema des Dargestellten und
direktes Aussprechen vs.
metaphorische/euphemistische Umschreibung oder Andeutung.
Hart wäre nach dieser Definition ein Spielinhalt, der sich dadurch auszeichnet, besonders explizit in der Darstellung zu sein: Im Grunde alles, was in FSK-Bewertungen ein Produkt in der Altersbeschränkung nach oben rückt, kann als
hart bezeichnet werden: Explizite sexuelle Darstellung, explizite Gewaltdarstellung, Beleidigungen und "Gossen"sprache, wahrscheinlich auch psychische Nötigung oder Gewalt. Diese Dinge werden in entsprechender Explizität auch in den gemeinsamen Vorstellungsraum eingebracht (die Darstellung ist "schonungslos" und "dokumentierend" in dem Sinne, dass sie nichts ausklammert), wobei die Gründe unterschiedlich sein können. Ein wichtiger benannter Grund ist erneut (unser aller Liebling) der
Realismus. Es wird als realistisch wahrgenommen in einer mittelalterlichen Welt auch eine mittelalterliche, nicht humanistische Kriegsführung zu haben und deshalb werden innerhalb der gemeinsamen Vorstellungswelt diese Sachen direkt thematisiert. Wichtig scheint auch der Einwand zu sein, dass das
Genre den Grad an
Explizität der Darstellung mitbestimmt: So kann es in Bezug auf das
Genre zum Beispiel als plausibel gelten, von expliziter Gewaltdarstellung in Form einer realweltlich-adäquaten Darstellung abzuweichen (zum Beispiel der Verzicht auf Blut oder Verstümmelungen im "Wuxia"-Genre), während andererseits wiederum das Gegenteil ausgeklammert wird (z.B. das Zurschaustellen von "weichen" Emotionen wie Liebe oder Mitleid im "Barbaren"-Genre). Letztlich ist in einem solchen Fall die
Darstellung hart, im Sinne von "ungeschönt" und "ungekürzt". Spielrunden, die eine solche Härte explizit haben wollen, können ganz unterschiedlich aussehen. Manche klammern zu Gunsten der Darstellung einer gnadenlosen, schonungslosen Welt auch die "Weichheit" aus, selbst wenn diese ebenso realweltlich-adäquat und realistisch wäre, wie die Weigerung eines einzelnen christlichen Ritters, einen Unschuldigen zu töten, genau wie andere bestimmte Formen expliziter Darstellung aus Gründen von Spaßfaktoren bzw. -hindernissen im Spiel ausklammern: Das japanische Honobono-Rollenspiel funktioniert zum Beispiel mit krasser Gewaltdarstellung nicht wirklich. Dennoch geht es bei dieser Definition von Härte nicht um den emotionalen Umgang mit den Inhalten des gemeinsamen Vorstellungsraums. Die Frage ist einfach nur:
Wie explizit ist die Darstellung? Das bezeichne ich deswegen als
Darstellungshärte. Das Dargestellte ist hier, und das ist wichtig, lediglich Anstrich: Es steht nur für sich selbst.
2. Ging es in der ersten Definition von Härte um das Ausmaß der Darstellung, geht es in dieser zweiten Definition, die zum Beispiel Nocturama angeführt hat, um die
Bedeutung des Dargestellten. Die Explizität des Dargestellten ist nicht das, was hier das Gefühl erzeugt, dass Entwicklungen in der Spielwelt
hart sind, sondern die psychische und emotionale Bewertung der spielweltlichen Umstände (=Darstellungen) durch die Spielfigur und – in einem zweiten Schritt – den Spieler steht hier Pate für die Definition. Schlüsselbegriffe sind
Trauma,
Aufarbeitung,
Reflexion,
Identifikation etc. Als
hart wahrgenommen wird hier das, was die Spielfiguren emotional fordert und angreift und den Spieler, der sich mit diesen Figuren
identifiziert, ebenso emotional beschäftigt. Dabei gelten, ähnlich wie bei der Darstellungshärte, grundsätzlich die negativen oder zumindest ambivalenten Emotionen als Katalysator für ein Gefühl von Härte nach dieser Definition – als Spielweltsituation, die häufig als dieser Definition von Härte zugehörig verstanden wird, ist die der "ausweglosen Entscheidung" vor der ein Protagonist steht: Die Wahl zwischen zwei undenkbaren Alternativen, eine tatsächlich
"harte" Entscheidung. Als Oberbegriff hierfür wurde
Drama genannt. Die Härte dieser Definition verlässt die Spielweltebene und findet auf der Ebene der Reflexion über das Geschehene statt – das bedeutet nicht, dass sie nur auf der Metaebene läuft, denn ich kann auch in der Immersion eine Spielweltsituation in diesem Sinne hart finden. Aber letztlich geht es um die emotionale und psychische Entwicklung einer Figur (häufig im Zusammenhang mit anderen Figuren) und darum, wie sie die Spielweltereignisse für sich bewertet und welche Schwierigkeiten sie dabei hat. Deswegen bezeichne ich diese Definition von Härte als
Verarbeitungshärte (ja, das kann sich darauf beziehen, wie schwer es für mich als Spieler ist, das Dargestellte zu verarbeiten). Ich glaube im Übrigen, dass auch Verarbeitungshärte aus Realismusgründen ins Spiel gebracht werden kann. Das Dargestellte hat hier Symbolcharakter und will diskutiert werden.
Wichtig ist:
Darstellungshärte und
Verarbeitungshärte können unabhängig voneinander auftreten und die eine bedingt die andere nicht zwangsläufig (zumindest nicht, wenn wir sie als mögliche
Spaßfaktoren betrachten). So kann ich ein Spiel mit extremer
Darstellungshärte spielen, in der aber die
Verarbeitungshärte gering ist (weder Spieler noch SCs setzen sich emotional oder reflektierend mit dem Dargestellten auseinander). Anders herum ist ein Spiel mit extremer
Verarbeitungshärte aber Vermeidung expliziter
Darstellungshärte ebenso möglich. Und auch Spiele, wo beides voll hochgefahren oder voll runtergefahren ist, gibt es. In den meisten Runden wird beides irgendwo in der Mitte liegen und es gibt häufig explizite Absprachen darüber, welche Grade und Arten von Härte wann wo am Spieltisch gewünscht sind – dies geschieht um die Spaßfaktoren für alle auszuloten.
Wichtig ist auch: Keine der beiden Härtearten ist irgendwie der anderen über- oder unterlegen. Da sie unterschiedliche Ebenen einnehmen und einander zwar bedingen können, aber nicht müssen, sind sie schlecht zu vergleichen. Da kommt es auf die Gruppe an.
Soweit dazu. So verstehe ich die beiden Härte-Richtungen im Nachbarthread.
* Gemeint ist mit diesem Punkt die Idee, dass es "hart" sei, bei etwas Spaß zum empfinden, das nicht den eigenen Vorstellungen von Spaß entspricht. Das ist nicht hart, sondern höchstens offengeistig. Hier wird "hart" im Sinne des englischen "hard" gebraucht ("It's hard to have fun playing that game.") Die deutsche Übertragung wäre hier "schwer", denn das ist es tatsächlich: Es ist schwer in etwas Spaßquellen zu finden, an dem man sonst keinen Spaß hätte. Aber es ist nicht hart, weil weder visuelle Explizität noch emotionaler Anspruch damit einhergehen müssen. Anders gesagt: Leute, ihr meint "schwer". Niemand ist ein "harter Kerl", nur weil er etwas spielt, woran er eigentlich keinen Spaß hat. Er ist vielleicht selbstlos oder offen oder experimentierfreudig, aber nicht "hart"...