Hallo.
Kurz-Rezi sui generis.
Am letzten Samstag habe ich mir das Spiel "Destiny Dungeon" von der
offiziellen Internetseite heruntergeladen und mich mit den ersten zwei von drei Kapiteln vertraut gemacht.
Im ersten Kapitel werden die Regeln sowie die Charaktererschaffung umfassend, aber auch in beeindruckender Kürze dargestellt; in Kapitel Zwei finden die Spieler eine vollständige Spielwelt, die alles bietet, was das schnelle Fantasie-Zocker-Herz begehrt, nämlich eine EDO Welt mit ein paar kleinen, feinen Unterschieden zu herkömmlichen Fantasie-Spielwelten.
Die Charaktere der Spieler werden primär über 16 Attribute definiert, auf die in der Hauptsache im Spielverlauf gewürfelt wird. Die Attribute ergeben sich aus einer Matrix, indem Stärke, Geschicklichkeit, Intelligenz und Charisma mit den vier Kategorien Natur, Gesellschaft, Kampf und Magie gepaart werden; je nach Paarung hat das jeweilige Attribut so seine Schwerpunkte, in denen es zur Anwendung kommt. Charisma wird so zum Beispiel im Vergleich zu vielen anderen Rollenspielen erheblich aufgewertet und sogar für Kriegercharaktere wertvoll, indem man mit Charisma/ Kampf seine Gegner einschüchtern oder die Moral der eigenen Leute steigern kann!
Daneben sind alle Charaktere an einem Typus wie Barbar, Hexe, Seher, Elf oder anderes ausgerichtet, woraus sich spezielle Talente ergeben; diese Talente können in verschiedenen Situationen unterschiedliche spielerische Vorteile bringen. So ist der "Knuff" des Barbaren ein stets erfolgreicher Nahkampfangriff, der aber nur begrenzten Schaden macht, dafür jedoch vom Gegner nie abgewehrt werden kann; die Hexe kann z.B. ihren Schatten mit dem des Gegners verschmelzen lassen, wodurch dieser bei seiner nächsten Probe größere Schwierigkeiten hat, diese erfolgreich zu bestehen. Neben solchen Typuseigenschaften können Spieler im Wege der stufenbasierten Charakterentwicklung auch weitere Talente erwerben und so ihre Charaktere individualisieren.
In die Talente ist viel Fleiß seitens des Spieleentwicklers geflossen; denn einerseits gibt es seitenweise Talente und eben für die Typen (also Klassen/ Rassen) spezielle Talente, und sie alle werden in vier unterschiedliche Grade (0 bis 3) unterschieden; der Grad gibt an, wie hoch die Kosten der Anwendung des Talentes in sogenannten "Destiny Points" ist. Jeder Charakter beginnt das Spiel mit je nach Typus 1 bis 3 DP; dieser Wert steigt mit der Charakterentwicklung an. Einmal eingesetzte DP werden nach jeder Nachtruhe mit 1W6 regeneriert und stehen so wieder zur Verfügung.
Das zentrale Würfelsystem des Spielsystems ist der W66. In aller Regel würfelt ein Spieler bei einer Probe mit W66 unter einen oder gleich des entsprechenden Attributwertes; ein sechsseitiger Würfel gibt dabei die Zehnerstelle, der andere die Einerstelle der Probe an. In der Regel bestimmt dies der Spieler selbst vor der Probe (z.B. kenntlich gemacht durch verschiedene Farben der Würfel), welcher Würfel an welcher Position zu lesen ist; es gibt aber auch sogenannte pessimistische oder optimistische Proben, wonach sich dies nach den Würfelergebnissen unabhängig etwaiger Farbgebung selbst richtet.
Neben diesem binären System (Probe geschafft oder nicht geschafft) gibt die Augenzahl der Würfelprobe den sogenannten Erfolgswert an - EW. Je nach Situation kann dabei festgelegt sein, dass nur der Würfel mit der kleineren oder der größeren oder gar die Summe beider Würfel als EW zählt.Nicht überraschend dürfte sein, dass es "Glücksfälle" (Doppel-1) oder "Missgeschicke" (Doppel-6) gibt - die kritischen Erfolge oder Patzer von "Destiny Dungeon". Für den Erfolgswert gilt beim Glücksfall das höchstmögliche Würfelergebnis - also bei EW entweder von 12 oder, wenn nur 1 Würfel der Probe zählt, von 6.
Das war es auch schon hinsichtlich des zentralen Wüfelsystems und seiner Mechanik. Dieser findet Anwendung in jeder denkbaren Spielsituation, in der die Würfel sprechen sollen.
Bei Kämpfen mag vielleicht noch darauf hingewiesen werden, dass Kampfrunden unkompliziert geregelt werden; die Initiative hat die Gruppe, die aus dem Spiel heraus aus der vorteilhafteren Position startet (im Zweifel 1W6); und Angriffe werden ebenso mit W66 gewürfelt wie auch Paraden oder Ausweichen. Die Erfolgswerte aus Angriffen und Paraden/ Ausweichen werden verglichen; und bleibt beim Angriff etwas übrigt, schlägt das als Schaden beim angegriffenen Charakter oder Monster durch.
Aber genug dieser Details ... Die Spielertypen sind liebevoll und knackig beschrieben und laden die Spieler dazu ein, sich einen ersten Eindruck ihrer Helden zu verschaffen; aber natürlich können Spieler davon auch abweichen. Die Helden leben und wandern in der Welt Isterea - bzw. auf der gleichnamigen riesigen Insel. Ihre Küste ist ein gewaltiges, ringfömriges Gebirge, jenseits dessen die See liegt und dessen umschlossenes Tal die Spielwelt Isterea ist; die Gebirge sind so schroff, dass es von dort keine Möglichkeit gibt, die Insel zu verlassen; und auch die einzige Hafenstadt hat so ungünstige Strömungen und Witterungsverhältnisse, dass nur seltenst (wenn überhaupt) jemand von der Insel fortkommt. Auf der Insel selbst finden sich alle Landschaftstypen, die eine solide Fantasywelt ausmacht. Und überall gibt es Städte, Dörfer und vor allem Ruinen - Ruinen, die die 5.000-jährige Geschichte der Elfen und Zwerge, den fast 1.000-jährigen Krieg der Elfen, Zwerge und Menschen gegen die Horde sowie die 500-jährige Geschichte der Menschen überhaupt nacherzählen. Dort lauern Abenteuer, Schätze sowie Kreaturen der Horde darauf, von Abenteurern entdeckt zu werden. Obgleich sich vieles "stereotyp" anfühlt, machen Details diese EDO-Welt besonders. Der Zauber der Elfen stammt von einer besonderen Substanz ab; endlich gibt es eine spannende Geschichte mit unterschiedlicher Betrachtungsweisen, warum Elfen und Zwerge nicht mehr so gut miteinander können; und auch unter den Monstern bewegen sich Kreaturen, die man aus anderen Rollenspielen - zumindest unter der Bezeichnung - nicht kennt (Horote ...!). Die Götter- und Titanenwelt ist auf das Wesentliche reduziert und verleiht der simplizistischen Spielwelt und Spielmechanik ein eigenartiges Gefühl der Komplettheit.
Im "Destiny Dungeon" Regelwerk gibt es ein drittes Kapitel, in welchem über 20 Szenarien beschrieben sind. Diese sind "offen" gestaltet und sollen es Spielleiter und Spieler erlauben, sich ungezwungen mit der Spielwelt auseinanderzusetzen. Sie sind beliebig als Kampagne kombinierbar. Daneben bietet das Regelwerk im Anhang verschiedene Tabellen, mit denen unter anderem auch Dungeons "on the fly" erwürfelt und mit Plot-Hooks versehen werden können. Das ermöglicht das Sandboxen mit wenigen und schnellen Hilfsmitteln, sodass sich aus dem Spiel vieles heraus ergibt oder ergeben kann, ohne dass Spielleiter und Spieler hilflos in den Seilen hängen. Die Einfachheit der Welt und des Spiels erlaubt den unbefangenen Umgang mit diesen Materialien und macht das gesamte Spiel so extrem vollständig.
Einen Tag nach besagtem Samstag, an dem ich übrigens ein eigenes Szenario mit vier potentiellen Szenen erstellt habe, habe ich mit Freunden zusammen dieses Spiel gespielt. Der Rollenspiel-Erfahrungsgrad war sehr unterschiedlich. Und ich selbst habe die letzten Male letztes Jahr im Frühling, zwei Jahre zuvor im Sommer und dann Jahre davor mehrjährig als Spielleiter dem Hobby gefröhnt; insofern war ich dieses Mal in für mich eher ungewohnter Position als Spielleiter wieder am Start - also meine Lage war geprägt von einem neuen, unbekannten Spiel und einer für mich ungewöhnlichen Spielposition.
Den Spielern hat die Zugänglichkeit des Spiels enorm gefallen. Mit der Übersicht der Attribute war es mir möglich, viele Situationen sauber anzuleiten und im Bedarfsfall nachvollziehbare Proben zu wünschen.
Die Kämpfe waren zum Teil etwas zäh, da vielfach Attacken einfach fehlschlugen oder Paraden/ Ausweichen zuvor erfolgreiche Angriffe annullierten. Na gut ... Die Regel war das aber nicht. So, wie die Spieler ihre Aktionen beschrieben haben, war es möglich, mit diesem einfachen Regelkonzept unterhaltsame Spielsituationen herbeizuführen und am Ende erfreute Spieler zurückzulassen. Das nachträgliche Feedback war auch überwältigend positiv. Vielen Dank!
Als Spielleiter fühlte ich mich vereinzelt auf verlorenem Posten. Denn die Informationen zu den Monstern im Anhang des Regelwerks beschränken sich im Wesentlichen auf die zentralen Kampfwerte, unter Umständen ein paar Beschreibungselemente und in seltenen Fällen noch besondere Einzelregeln. Ich war aber mehrfach in der unglücklichen Position, dass ich die Würfel entscheiden lassen wollte, ob Monster irgendetwas mitbekommen (Wahrnehmung) - oder eben nicht. Und da habe ich etwas aus den äußeren Umständen und meiner Einschätzung über die Qualitäten der Kreaturen "hergeleitet". Auch dafür - übrigens - gibt es ein paar Richtlinien im Regelwerk; diese hatte ich im Vorfeld der Spielsitzung nicht gelesen; im Nachhinein aber darf ich feststellen, dass mein "Handwedeln" im Wesentlichen an den Leitgedanken dieses Regelabschnittes orientiert war - unbewusst wohlgemerkt.
Was ist nun das Fazit? Anders als Dungeonslayers, das hin und wieder einfach nur Spaß gemacht hat, bietet Destiny Dungeon regeltechnisch zwar wenig mehr, und trotz dieser Wenigkeit eine für das Spielgeschehen aussagekräftigere raffiniertere Spielmechanik; dazu kommt eine inhaltlich aber substantiell interessante Hintergrundwelt. Das Flair des Spiels, die Launigkeit sowie die spielerische Kurzweil haben mich schon bei der Lektüre überzeugt; das hat sich im Spielverlauf auch entsprechend bestätigt. Die ca. 5 Stunden Spielzeit unserer ersten "Destiny Dungeon"-Spielrunde sind dahingeflogen.
Als alter D&D Haudegen (1991 ging's mit AD&D 2nd Ed für mich los, später D&D 3.x und Pfadfinder) muss ich sagen, dass "Destiny Dungeon" bei weitem nicht mal ansatzweise an die simulatorischen Erwartungshaltungen anknüpft, die Hardcore-D&D-Crunchies erwarten würden. Wer ein raffiniertes Simulationsspiel will, wird mit "Destiny Dungeon" sehr unglücklich. Wer kurzweiliges Fantasy-Dungeon-Crawl oder -Adventure-Sandboxing will und das noch dazu mit Ausblick auf langzeitigen Spielspaß, der wird mit "Destiny Dungeon" glücklich. Geschenkt: Ich habe es erst einmal gespielt. Aber dieses Spiel hat bei mir Funken sprühen lassen, die ich für Fantasie bei mir nicht mehr für möglich gehalten habe und damals beim Aufkommen von Dungeonslayers oder Microlight so intensiv nicht erlebte. Ob sich das Spiel - wie schon Dungeonslayers zuvor - als Eintagsfliege herausstellt - keine Ahnung. Aber ich bin optimistisch, dass genau das nicht passiert und deshalb DS und Co. mindestens ebenbürtig ist.
Der nächste Schritt für mich ist, sich das Regelwerk direkt als Buch in besserer Druckqualität zuzulegen. Außerdem werde ich mir die farbige Landkarte auf der offiziellen Internetseite (die übrigens ALLE Spielmaterialien in 'niedriger' Druckauflösung (immer noch 72dpi) bereithält) in irgendeinem Copy-Shop als DinA3 (oder vielleicht sogar DinA2) Plakat ausdrucken lassen. Mal gucken ... Ich freue mich schon auf die nächste Sitzung ...
(An die Blogger - der Artikel darf gerne auf Euren Blogs erscheinen ... )
AO