Autor Thema: Hochliteratur vs. Fantasy  (Gelesen 14855 mal)

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Offline condor

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #75 am: 7.04.2013 | 21:52 »
Naja, ich z.B. bin kein Literaturwissenschaftler oder -kritiker, aber eben ein anspruchsvoller Leser. Deshalb finde ich die aktuell gängige Gebrauchsprosa im Fantasybereich schwer erträglich (habe zuletzt bei einer Con mal zwei Lesungen gehört).

Dabei mag ich Fantasy an sich. Als Jugendlicher fand ich z.B. LotR und die Chronik der Drachenlanze faszinierend. Dann habe ich wirklich große Klassiker gelesen (Hugo, Dostojewski, Th. Mann u.a.) und gemerkt, was für eine rein schriftstellerische Kraft möglich ist.

Auch unter zeitgenössischen Autoren gibt es echte Genies (ich sag nur mal Murakami, Rushdie, Vargas Llosa). Warum nur so wenig, wenn überhaupt, in der Fantasy, gerade Fantasy im engeren Sinne?
Für die einen ist es DSA - für die anderen der längste Inside-Joke aller Zeiten.

Offline Thandbar

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #76 am: 7.05.2013 | 11:26 »
Ein interessantes Thema!
Meiner Meinung nach existiert diese Trennung vor allem aus verlegerischen Gründen, um das Sortiment zu gliedern und die Auswahl zu erleichtern (das erspart auch Kritikern einige Arbeit, die sich in der Regel nur mit einer Gattung richtig gut auskennen).
Ich denke nicht, dass man feste literarische Kriterien finden kann, um eines vom anderen klar abzugrenzen. Die Hochliteratur oder anspruchsvolle Literatur ist ein eigenes Genre, und das gibt es mit den je eigenen schematischen Techniken und typischen Erwartungshaltungen in Amerika genauso wie in Deutschland.
"Du wirst direkt in diesem Moment von einer Zilliarde grünkarierter Kakerlakeneinhörner in Tweedanzügen umzingelt, die mit Fallschirmen aus gebeiztem Vanillepudding aus der nächstgelegenen Dattelpalme springen und dich zu ihrer Avonberaterin krönen - und die Krone ist aus Dr. Frankensteins bösartig mutiertem Killernougat! Streich dir 78000 Hirnschadenspunkte ab und mach sofort eine Jodelimprovisation!"

Pyromancer

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #77 am: 7.05.2013 | 18:15 »
Neulich gelesen: "Auf den Marmorklippen" von Ernst Jünger.

Das ist im Kern eine typische Fantasy-Geschichte in einer Fantasy-Welt: Ein Krieger zieht sich nach einem Krieg in die Einsamkeit der Berge zurück und will von der Welt nichts mehr wissen. Dann bedroht ein Bösewicht mit seinen Schergen die Zivilisation. Der Krieger weigert sich zuerst, einzugreifen, bis er am Ende doch in den Kampf gegen das Böse zieht. Angereichert ist das Ganze mit ein bisschen mystischem Brimborium (eine Szene am Ende wird in der Wikipedia mit "magischer Giftschlangen-Angriff" beschrieben).

Das könnte man vom Plot und von der Geisteshaltung des Protagonisten her "Die letzte Schlacht des Elfenkriegers" nennen und neben die Orks und Trolle ins Fantasy-Regal stellen.

"Hochliteratur" ist das Ganze nur wegen des Schreibstils und deswegen, weil der Autor im Roman sein eigenes moralisches Versagen während der NS-Zeit vorwegnimmt, also zeitgeschichtliche und gesellschaftspolitische Relevanz vorhanden ist.

Offline condor

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #78 am: 8.05.2013 | 19:04 »
Ein Artikel in dem Sammelband über Walter Moers' Zamonienromane (s.o.) versucht es andersrum und fragt: Was ist trivial? Demnach macht die Erwartbarkeit der Dramarturgie das Triviale eines Textes aus. Dem Ergebnis des Artikels nach ist Moers dann nicht trivial, d.h. tendenziell hohe Literatur, weil er bewusst mit Erwartungshaltungen spielt, sie im Text reflektiert und ironisch einholt.

Im selben Band wird übrigens Fantasy von Fantastik abgegrenzt. In einer Fantasywelt ist demnach das Übernatürliche nicht nur real, sondern auch plausibel und unhinterfragt, während es in der Fantastik quasi unerklärt über die Protagonisten hereinbricht.
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Pyromancer

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #79 am: 8.05.2013 | 19:48 »
Ein Artikel in dem Sammelband über Walter Moers' Zamonienromane (s.o.) versucht es andersrum und fragt: Was ist trivial? Demnach macht die Erwartbarkeit der Dramarturgie das Triviale eines Textes aus. Dem Ergebnis des Artikels nach ist Moers dann nicht trivial, d.h. tendenziell hohe Literatur, weil er bewusst mit Erwartungshaltungen spielt, sie im Text reflektiert und ironisch einholt.
Literaturklassifikation über den informationstheoretischen Entropie-Begriff? Klingt jetzt nicht so abwegig.

Offline Talasha

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #80 am: 7.06.2013 | 00:29 »
Ich sags ja nur ungern, aber meine Schwester hat ihre Abschlussarbeit im Lehramtsstudium Englisch vor ein paar Jahren (iirc 2005) über Harry Potter geschrieben und würde dazu auch mündlich geprüft. Dabei musste sie sich Spoiler verkneifen, da der Dozent den neu erschienenen sechsten Band noch nicht gelesen hatte. Und das beim Thema Todeserfahrungen  ;D

Jemand der Englische Literatur studiert hat hat mal in meiner Gegenwart geflucht das er in Fachliteratur andauernd auf Harry Potter stößt.
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Offline Ghostrider

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #81 am: 7.06.2013 | 04:19 »
Hat hier eigentlich schon jemand Trivialliteratur und Hochliteratur definiert und voneinander abgegrenzt?

Soweit ich mich an KT I und II erinnere:

"Hochliteratur" versucht, etwas aufzuarbeiten, bzw. zu erarbeiten, in einem reflektierten Prozess des Erkenntnisgewinns.


"Trivialliteratur" ist vorrangig Unterhaltung, aber muss bei weitem nicht niveaulos sein.
"Faserland" von Christian Kracht fällt mir da als griffiges Beispiel ein. Sehr "trivial", aber bitterböser Zeitkommentar, wenn man ihn so lesen möchte.



Zum Thema an sich:
Die Fantasy und Sci-Fi kommt mittlerweile aus dem Vorwurf der Niveaulosigkeit heraus, das zeigt sich schon auch daran, dass ein recht großer Literaturkritiker namens Denis Scheck Fantasybücher empfiehlt, z.B. "Der Name des Windes". 

Interessanter Artikel, der mich persönlich überrascht hatte, nachdem ich von Scheck erstmals in KTI und II gehört hatte (Der Artikel erschien erst danach):
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.der-hobbit-und-seine-erben-nichts-gegen-fantasy.9ba613a7-8e96-4e54-95ee-85906fea5cec.html
 

Ein Artikel über Scheck, und warum manche ihn als neuen Reich-Ranicky sehen, und manche schlicht als enfant errible des Literaturbetriebs:
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/denis-scheck-was-erlauben-scheck-11039801.html

p.s.: Ich mag D.S., weil er zwar Bücher verreissen kann, wie M.R.-R., dies aber immer schlüssig argumentiert und nie aus reiner Sympathie oder Antipathie.

Offline Thandbar

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #82 am: 7.06.2013 | 06:53 »
Denis Scheck ist da eine Ausnahme, meiner Meinung nach. Der kennt sich mit dem SF- und Fantasy-Zeug ja auch aus und kann das auch richtig besprechen.
Wenn es um den Preise, Wettbewerbe, Förderprogramme etc. geht, scheint mir schon eine gewisse Trennung nach Gattungen vorzuliegen. In Klagenfurt wurde sich über die SF-Geschichte seinerzeit auch eher lustig gemacht, wenn ich mich recht entsinne (ist jetzt drei oder vier Jahre her, glaube ich).
Dass in Deutschland viel Fantasy gelesen wird, ist unbestritten. Aber der Literaturbetrieb selber konzentriert sich - auch förderungstechnisch - eher auf andere Sparten. 
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Offline JS

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #83 am: 15.07.2013 | 01:34 »
Das letzte hochliterarische Werk mit Fantasy-Einschlägen, das ich gelesen habe, war "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" von Christian Kracht. Wenn es nicht ganz zeitgenössisch sein muss würde ich mal bei Thomas Mann und Ernst Jünger nachschauen.

Uff, Respekt, das sind große Stilisten. Kracht war für mich eine Überraschung, die mir fast die Freudentränen in die Augen trieb; man lese nur die ersten Seiten! Doch Obacht: Nach der Lektüre der Werke dieser Meister ist man für viel Fantasygeschreibsel nicht mehr empfänglich.
:)
Wer gern sagt, was er denkt, sollte vorher etwas gedacht haben.

Noir

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #84 am: 19.11.2013 | 19:24 »
Thread-Nekromantie:

Eine These, die ich jetzt nach einigen Semestern Germanistik-Studium aufgestellt habe ist ja, dass Fantasy-Bücher zuweilen über Dinge berichten, die in irgendeiner Art und Weise wichtig für die Welt, in der sie spielen, sind. Und sich damit selbst disqualifizieren.

Bei "Hochliteratur" - und man verzeihe mir, wenn ich hier sehr direkt bin - habe ich in den letzten Jahren einfach oft nur den Kopf schütteln müssen. Ich habe jetzt in so vielen Autorenlesungen der Universität gesessen (dieses Jahr sogar jede Woche eine, als Seminar) und was ich da zu hören kriege - da drehen sich mir echt die Fußnägel hoch. Völlig unwichtiger Murks, wird da SEITENLANG beschrieben ... und dann behaupten die Autoren gerne noch: "Jaaaa, aber das EIGENTLICH Wichtige ist ja hinter dem Unwichtigen verborgen! Ich walze hier zwar seit 4 Seiten aus, wie der Protagonist auf der Parkbank sitzt und den Geruch seines Darmwindes beschreibt ... aber eigentlich schreibe ich hier natürlich über die Vergänglichkeit des Seins. Der warme Dunst soll hier die Zeit symbolisieren, das man natürlich daran erkennen kann, dass ... "

Und unser eins sitzt da nur und denkt: "Wenn DAS hohe Literatur ist ... dann bin ich dankbar, dass es Trivialliteratur gibt."

Es mag hier stark überzeichnet sein ... aber das sind Gedanken, die hier viele Studenten, mit denen ich gesprochen habe, teilen. Und das finde ich ... zumindest etwas ... beruhigend. Dann fühlt man sich plötzlich nicht mehr so dumm ;)

Offline Feuersänger

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #85 am: 20.11.2013 | 09:53 »
Hachja, Stream of Consciousness, da krieg ich auch jedesmal das kotzen. -.- Kapitelweise langweiliges Gelaber über die unwichtigsten Banalitäten.
Davor ist man wenigstens in der Fantasy einigermaßen sicher.
Der :T:-Sprachführer: Rollenspieler-Jargon

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Thor lootet nicht.

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Kleine Rechtschreibhilfe: Galerie, Standard, tolerant, "seit bei Zeit", tot/Tod, Stegreif, Rückgrat

Offline Gorilla

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #86 am: 20.11.2013 | 11:38 »
Danke. Jetzt weiß ich wieder, was ich wollte: mich durch die nächsten 30-40 Seiten Ulisses quälen, damit ich vielleicht doch damit durchkomme, bevor ich 40 bin (lang hab ich nimmer  :o ).

Offline Slayn

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #87 am: 20.11.2013 | 11:51 »
Lieber Ulysses als Finnegans Wake, kann ich dazu nur sagen.
Wenn wir einander in der Dunkelheit festhalten .. dann geht die Dunkelheit dadurch nicht vorbei
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Offline La Cipolla

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #88 am: 20.11.2013 | 12:20 »
Ich find gerade Ulysses auch schrecklich, aber man muss zur Verteidigung entsprechender Sachen sagen, dass sie auch nicht zum "einfach lesen" gemacht wurden. Die mit dem durchschnittlichen Fantasy-Roman zu vergleichen, finde ich etwas ... unpassend. Das ist in etwa wie "mit dem Auto zu nem Kumpel fahren ist besser als ein Spaziergang" - hat beides seine Vorteile, wenn man Bock drauf hat. Wenn nicht, dann nicht. ;) Aus dem Grund find ich es aber auch absurd, zu sagen, "Hochliteratur" wäre irgendwie besser.

Offline condor

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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #89 am: 20.11.2013 | 20:22 »
Stream of consciousness würde ich als literarisches One-Trick-Pony sehen (etwa wie einen Roman in der 2. Person oder umgekehrter Chronologie) - Wenn man es als erster macht und es gut macht, dann ist es evtl. große Literatur. Aber danach geht es stark in die Richtung Effekt um des Effektes willen und der Leser ist zurecht genervt.

In jedem Fall kommen die allermeisten der ganz großen literarischen Werke mit einfacher, klassischer Erzähltechnik aus - das ist also bestimmt nicht der Unterschied zu Fantasy oder anderer Unterhaltungsliteratur.
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Re: Hochliteratur vs. Fantasy
« Antwort #90 am: 20.11.2013 | 22:50 »
Stream of consciousness würde ich als literarisches One-Trick-Pony sehen (etwa wie einen Roman in der 2. Person oder umgekehrter Chronologie) - Wenn man es als erster macht und es gut macht, dann ist es evtl. große Literatur. Aber danach geht es stark in die Richtung Effekt um des Effektes willen und der Leser ist zurecht genervt.

In jedem Fall kommen die allermeisten der ganz großen literarischen Werke mit einfacher, klassischer Erzähltechnik aus - das ist also bestimmt nicht der Unterschied zu Fantasy oder anderer Unterhaltungsliteratur.

Es gibt einige, aber wenige, Bücher, die man genau wegen solcher Effekte lesen sollte. Viele Dinge aus der Metafiktion oder der Postmodernen Literatur mögen zwar anstrengend sein, bringen aber auf ihre Art etwas. Schlachthof 5, "The Laugthing Man" von Salinger, Fahles Feuer oder Das Haus/House of Leaves
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