Und der Kafka knabbert noch weiter an mir.
Der Anspruch dieses Stranges ist es ja, nicht irgendwie ein offenes Ende zu schaffen, weil die Gruppe gerade auseinanderbricht, weil gerade mal das System gewechselt wird oder aus was für Zufällen sonst auch immer... sondern, ein offenes Ende mit künstlerischer Fallhöhe zu schaffen. So ein offenes Ende, wo den Spielern die Unterkiefer herunterklappen und ihnen hinterher klar wird, dass sie zwar nichts erreicht haben, aber dafür Mitglieder in einer unglaublichen Performance waren, die sie nie wieder vergessen werden.
Ein einziges Mal ist in unserer Kasseler Ars Magica Runde etwas in dieser Richtung geglückt. Ich erzähle es hier einfach mal wieder:
Ein Magus hat die unliebsame Aufmerksamkeit einer Dämonin erweckt, die ihn versucht hat, zur Sünde zu verführen. Das hat nicht besonders gut funktioniert, der Magus war sehr standhaft. Daher hat die Dämonin die Tochter des Magus entführt um diese als Druckmittel einzusetzen. Der Magus ging in die Offensive: Er beschloss in die Hölle zu reisen, um seine Tochter aus den Klauen der infernalischen Mächte zurückzugewinnen. Ich habe darüber nachgedacht, wie ich mit dieser Hybris umgehe. Ich hätte sagen können: Da geht er hin, ihr werdet ihn nie wieder sehen! Aber nach einigem Hin und Her beschloss ich, mich auf die Idee einzulassen und ein Höllenszenario zu spielen. Der Charakter reiste mit der Mutter des Kindes und einem kleinen Wegweiser-Dämonen über eine nahe gelegene Orakelhöhle in die Unterwelt und befand sich zunächst in einer Art Vorhölle. Hier wurde allmählich klar, dass der Charakter verschiedenen Prüfungen ausgesetzt war. Nur wenn er sich entsprechend sündig verhält, wird ihm der Zugang zur Hölle gewährt (dorthin kommen eben nur die Bösen). Das war eine moralische Zerreißprobe für den Charakter... der irgendwann aber doch genjügend Sünde auf sich geladen hatte, um zugelassen zu werden. Die Hölle selbst habe ich in Anlehnung an Dantes Inferno gestaltet. Nach ein paar Zirkeln der Hölle gelangten die Charaktere schließlich in eine Dämonenstadt, die sie zunächst als Dämonen getarnt infiltrierten. Schließlich wurden sie aber enttarnt und dem infernalischen Statthalter vorgeführt. Da der Magus hier durch offensives Vorgehen kaum zum Erfolg kommen konnte, schlug er dem Statthalter ein Spiel um seine Tochter vor. Der Statthalter gähnte und behauptete: In Ordnung, wenn es dir gelingt, mich in Erstaunen zu versetzen, sollst du deine Tochter bekommen. Zwei finstere Hilfsdämonen rückten bereits grinsend auf den Magus zu. Der zauberte einen Schutzzauber... und patzte. Wir befinden uns bei Ars Magica in der Hölle: Höchstmögliche infernalische Aura - jede Menge Patzerwürfel. Ich weiß nicht mehr wieviele Nullen fielen, es waren aber etliche. Schließlich war klar: Hier ist ein Magus ins endgültige Zwielicht übergegangen. Der Magus löste sich in Luft auf und verschwand. Der Statthalter riss die Augen auf und sprach: "Er ist entkommen - ich gebe zu, dass ich erstaunt bin." Darauf händigte man der Mutter des Mädchens ihre Tochter aus, die daraufhin das Bewusstsein verlor. Wieder erwacht fand sie sich in der Orakelhöhle wieder. Neben ihr lag ihre Tochter. Die Spieler wollten gerade aufatmen - da verwandelte sich die Tochter in fünf Fledermäuse, die davonflatterten und der Mutter zuriefen: "Mit der Hölle macht man keine Geschäfte!" Sekundenlange Stille am Spieltisch. Dann eine erste Reaktion: "Nee, ne?" Wieder ein paar Sekunden Stille. Dann eine zweite Reaktion: "Geil!"
Die Mutter wurde im weiteren Verlauf der Kampagne übrigens noch zu einer der großen tragischen Figuren der Kampagne und lebte bis an ihr Lebensende als gebrochene Persönlichkeit auf dem Bund der Magi. Die Tochter ward nie wieder gesehen.
Chiarina.