Autor Thema: "No, Donny, these men are nihilists" - Rollenspiel ohne Ende.  (Gelesen 6137 mal)

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Offline Anastylos

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Bisserl spät, aber was solls ....

Man könnte auch bewusst gegen herkömmliche RSP-Tropen angehen:

- Eine große Bedrohung aufbauen die wie erwartet einem Klimax entgegenstrebt und dann die Bedrohung abbrechen und verschwinden lassen bevor es so weit ist. Keine Erklärung, keine Antwort.
(Etwa: Von jetzt auf gleich irgendeine bizarre Invasion und dann, wenn es für alle beteiligten so aussieht als würde es wie gewohnt immer schwieriger und epischer werden: Stop, nichts mehr geschieht, keine Auflösung, keine Antworten)

- Für Fantasy schön: Der Klassiker - die Prophecy of Doom. Findet die 4 Artefakte, vereint die Völker, bringt den verschollenen mystischen König zurück bevor der prophezeite Untergang kommt. Und dann geschieht nichts.

[...]

- Als Bonus: Das angestrebte Abenteuer ist am Ende nicht das, was es zu sein scheint. Es gibt keine Orc Invasion. Nebenan ist nur ein Orc Dorf und die sind absolut friedlich.

Eine Geschichte muss logisch sein. Vielleicht gibt es am Ende wenn man die Artefakte gefunden hat keine Orkinvasion aber dann geht es um die Frage wie geht es jetzt weiter? Zerbricht das Bündnis oder schafft man es auch ohne gemeinsamen Feind zusammen zu halten? Warum hat sich die Prophezeiung nicht erfüllt? Ich finde die Idee toll, ich glaube das greife ich auf.
Aber die Geschichte muss weitergehen. Man darf mit den Erwartungen der Spieler spielen und sie überraschen. Aber es sollte eher die Ausnahme sein sonst nutzt es sich ab.
Die Vögel fand ich genauso schlimm wie Kafkas Der Prozess. Einfach weil es keine Auflösung gibt und nie geben wird. Matrix hingegen liebe ich, der wtf Moment am Anfang und nach und nach versteht man was da passiert. Wenn es keine Auflösung gibt bin ich unzufrieden, egal ob Film oder Rollenspiel.

Offline Chiarina

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@ Anastylos:
Ja, meinst du, der Kafka hat geschrieben, um dich zufrieden zu stellen? Da geht es doch eher darum, in dir, seinem Leser, diese Hilflosigkeit hervorzurufen, von der auch die meisten seiner Protagonisten erfüllt sind. Damit macht man sich nicht unbedingt überall Freunde, aber der Kafka konnte das immerhin so gut, dass er jetzt seit hundert Jahren im Gespräch ist.

Bezug zum Rollenspiel:
Dieses total offene Ende ist für meine Begriffe ziemlich grausam. Die Spieler haben sich bemüht und bekommen am Ende nichts. Das Gegenteil (alle Fragen beseitigt, alle Probleme gelöst) am Ende eines Abenteuers oder einer Kampagne gefällt mir aber auch nicht. Da stellt sich bei mir schnell der schale Geschmack der Billigkeit ein. Ich lasse daher gern am Schluss Kleinigkeiten offen. Die Charaktere können Erfolg haben, aber es bleiben ein paar Mysterien... so etwas mag ich ganz gern.

Chiarina.
[...] the real world has an ongoing metaplot (Night´s Black Agents, The Edom Files, S. 178)

Offline Chiarina

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Und der Kafka knabbert noch weiter an mir.

Der Anspruch dieses Stranges ist es ja, nicht irgendwie ein offenes Ende zu schaffen, weil die Gruppe gerade auseinanderbricht, weil gerade mal das System gewechselt wird oder aus was für Zufällen sonst auch immer... sondern, ein offenes Ende mit künstlerischer Fallhöhe zu schaffen. So ein offenes Ende, wo den Spielern die Unterkiefer herunterklappen und ihnen hinterher klar wird, dass sie zwar nichts erreicht haben, aber dafür Mitglieder in einer unglaublichen Performance waren, die sie nie wieder vergessen werden.

Ein einziges Mal ist in unserer Kasseler Ars Magica Runde etwas in dieser Richtung geglückt. Ich erzähle es hier einfach mal wieder:

Ein Magus hat die unliebsame Aufmerksamkeit einer Dämonin erweckt, die ihn versucht hat, zur Sünde zu verführen. Das hat nicht besonders gut funktioniert, der Magus war sehr standhaft. Daher hat die Dämonin die Tochter des Magus entführt um diese als Druckmittel einzusetzen. Der Magus ging in die Offensive: Er beschloss in die Hölle zu reisen, um seine Tochter aus den Klauen der infernalischen Mächte zurückzugewinnen. Ich habe darüber nachgedacht, wie ich mit dieser Hybris umgehe. Ich hätte sagen können: Da geht er hin, ihr werdet ihn nie wieder sehen! Aber nach einigem Hin und Her beschloss ich, mich auf die Idee einzulassen und ein Höllenszenario zu spielen. Der Charakter reiste mit der Mutter des Kindes und einem kleinen Wegweiser-Dämonen über eine nahe gelegene Orakelhöhle in die Unterwelt und befand sich zunächst in einer Art Vorhölle. Hier wurde allmählich klar, dass der Charakter verschiedenen Prüfungen ausgesetzt war. Nur wenn er sich entsprechend sündig verhält, wird ihm der Zugang zur Hölle gewährt (dorthin kommen eben nur die Bösen). Das war eine moralische Zerreißprobe für den Charakter... der irgendwann aber doch genjügend Sünde auf sich geladen hatte, um zugelassen zu werden. Die Hölle selbst habe ich in Anlehnung an Dantes Inferno gestaltet. Nach ein paar Zirkeln der Hölle gelangten die Charaktere schließlich in eine Dämonenstadt, die sie zunächst als Dämonen getarnt infiltrierten. Schließlich wurden sie aber enttarnt und dem infernalischen Statthalter vorgeführt. Da der Magus hier durch offensives Vorgehen kaum zum Erfolg kommen konnte, schlug er dem Statthalter ein Spiel um seine Tochter vor. Der Statthalter gähnte und behauptete: In Ordnung, wenn es dir gelingt, mich in Erstaunen zu versetzen, sollst du deine Tochter bekommen. Zwei finstere Hilfsdämonen rückten bereits grinsend auf den Magus zu. Der zauberte einen Schutzzauber... und patzte. Wir befinden uns bei Ars Magica in der Hölle: Höchstmögliche infernalische Aura - jede Menge Patzerwürfel. Ich weiß nicht mehr wieviele Nullen fielen, es waren aber etliche. Schließlich war klar: Hier ist ein Magus ins endgültige Zwielicht übergegangen. Der Magus löste sich in Luft auf und verschwand. Der Statthalter riss die Augen auf und sprach: "Er ist entkommen - ich gebe zu, dass ich erstaunt bin." Darauf händigte man der Mutter des Mädchens ihre Tochter aus, die daraufhin das Bewusstsein verlor. Wieder erwacht fand sie sich in der Orakelhöhle wieder. Neben ihr lag ihre Tochter. Die Spieler wollten gerade aufatmen - da verwandelte sich die Tochter in fünf Fledermäuse, die davonflatterten und der Mutter zuriefen: "Mit der Hölle macht man keine Geschäfte!" Sekundenlange Stille am Spieltisch. Dann eine erste Reaktion: "Nee, ne?" Wieder ein paar Sekunden Stille. Dann eine zweite Reaktion: "Geil!"

Die Mutter wurde im weiteren Verlauf der Kampagne übrigens noch zu einer der großen tragischen Figuren der Kampagne und lebte bis an ihr Lebensende als gebrochene Persönlichkeit auf dem Bund der Magi. Die Tochter ward nie wieder gesehen.

Chiarina.
[...] the real world has an ongoing metaplot (Night´s Black Agents, The Edom Files, S. 178)

Offline Kearin

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Da sieht man wieder mal, dass Rollenspieler simple Geister sind.