Dass der Nutzen von Aspekte ausschließlich an Fate-Punkte gekoppelt ist stimmt nicht
ganz. Es stimmt insoweit, als der
spielmechanische Nutzen von Aspekten, im Sinne von Invocations und Compels, daran gekoppelt ist.
Aspekte sind aber immer "wahr", auch wenn gerade kein Fate-Punkt dafür ausgegeben wird. Leider ist das im Regelbuch kaum ausführlich ausgeführt (insbesondere im Hinblick für die Implikationen auf das Spiel), aber mehrmals angedeutet, am Deutlichsten wahrscheinlich im Kapitel
Using Aspects For Roleplaying:
This may seem self-evident, but it should be called out anyway—the aspects on your character sheet are true of your character at all times, not just when they’re invoked or compelled.
(...)
Does someone have the aspect Strongest Man in the World? That’s a reputation that might precede that character, one that people might know about and react to. People might crowd in to see that character when he’s passing through.
Also, it suggests something about that character’s physical size and build. You know that most people are going to give that character a wide berth in a crowded space, might be naturally intimidated, or might be overly aggressive or brusque as overcompensation for being intimidated.
But no one’s going to ignore that character. Inserting these kinds of aspect-related details into your narration can help your game seem more vivid and consistent, even when you’re not shuffling fate points around.
Wenn du der Last Son of Krypton bist, dann bist du das immer, auch wenn du gerade keinen Fate-Punkt ausgibst – mit all dessen
narrativen implikaitonen. Du verursachst dadurch aber nicht mehr Stress o. Ä., das wäre eine
spielmechanische Auswirkung. Wenn du mechanische Vorteile willst, brauchst du Stunts.
Es beeinflusst aber, wie du die Regeln anwendest, gemäß der
Golden Rule:
In other words, don’t look at the rules as a straitjacket or a hard limit on an action. Instead, use them as a variety of potential tools to model whatever you’re trying to do. Your intent, whatever it is, always takes precedence over the mechanics.
Auch ein
Zitat aus Fate Accelerated schlägt in genau diese Kerbe und bringt es gut auf den Punkt – und nachdem Fred Hicks regelmäßig betont, dass FAE und Fate Core nicht unterschiedliche Systeme sind, sondern ein Kontinuum ein und desselben Systems, passt es genauso gut auf Fate Core:
First you narrate what your character is trying to do. Your character’s own aspects provide a good guide for what you can do. If you have an aspect that suggests you can perform magic, then cast that spell. If your aspects describe you as a swordsman, draw that blade and have at it. These story details don’t have additional mechanical impact. You don’t get a bonus from your magic or your sword, unless you choose to spend a fate point to invoke an appropriate aspect. Often, the ability to use an aspect to make something true in the story is bonus enough!
Fate ist kein "objektives" Regelsystem, die Mechaniken werden immer im Kontext dessen angewendet, was narrativ Sinn macht. Wenn du ein normaler Mensch bist, dann macht es erzählerisch keinen Sinn, dass du ein Auto heben und werfen kannst, selbst wenn du Physique auf +4 hast – du bist schließlich ein normaler Mensch. Wenn du ein Superheld bist, dann kann es aber sehr wohl Sinn machen! Dazu brauche ich nicht unbedingt Stunts o. Ä., weil es handelt sich um einen rein erzählerischen Effekt – du kannst ein Auto heben und werfen, booyah, cool, aber deswegen verursachst du nicht mehr Stress, bekommst keinen Bonus auf Würfelwürfe, usw.
Wenn du aber beispielsweise Superman gegen einen Normalo Armdrücken lässt, legt die "Golden Rule" nahe, gar nicht erst die Würfel in die Hand zu nehmen – du bist superstark, also macht es einfach keinen Sinn, dass der Normalo auch nur den Hauch einer Chance hat.
Dafür musst du keinen Fate-Punkt ausgeben, es ist einfach eine Konsequenz dessen, dass deine Aspekte auf der erzählerischen Ebene immer wahr sind, und Regeln werden in Fate immer im Kontext der Erzählung angewendet. Deine Aspekte legen nahe, dass du fliegen kannst? Ja super, das bringt dir zwar keine Boni o. Ä., aber hey, du kannst fliegen! Andere Charaktere laufen irgendwo hin, du fliegst irgendwo hin. Würfel trotzdem auf Athletik, sofern die Chance besteht, dass irgendwas schief gehen kann (ansonsten
spar dir das würfeln).
Robert Hanz hat in Bezug auf die "Golden Rule" die Phrase
Fiction First geprägt. Im spare mir hier das Zitieren, weil der ganze Artikel verdammt lesenswert ist (genauso wie alle anderen "Thoughts of the Day" von ihm), da wüsste ich nicht, was ich als Zitat heraus greifen soll.
Auch Richard Bellingham hat in seinem Artikel
Guide to Blocks and Obstacles in Fate Core etwas über die "narrative Wahrheit" von Aspekten geschrieben:
Aspects Are Always True
This is a fundamental rule of Fate Core which is worth stressing before you read the rest of this text. Aspects remain true whether or not they are invoked (FC 76). Once someone gains the Hands Cuffed Behind My Back aspect they aren’t going to be doing anything that requires their hands to be in front of them until they have overcome the aspect. The GM is also free to consider aspects when working out what difficulty should apply to an action (FC 192).
In der offiziellen Fate-Community auf Google+ haben sich dafür die Phrasen "narrative permission" und "narrative denial" bzw. "narrative justification" etabliert. Auch ohne Fate-Punkte erlaubt oder verhindert die "narrative Wahrheit" von Aspekten gewisse Aktionen. Wenn du ein verkrüppeltes Bein hast, dann macht dir das massive Probleme beim laufen, no compel needed. Um den Abschnitt
Situation Aspects Are Your Friend zu zitieren:
When you’re trying to figure out if there’s a good reason to ask the PCs to make an overcome roll, look at the aspects on your scene. If the existence of the aspect suggests some trouble or problem for the PC, call for an overcome roll. If not, and you can’t think of an interesting consequence for failure, don’t bother.
For example, if a character is trying to sprint quickly across a room, and you have a situation aspect like Cluttered Floors, it makes sense to ask for a roll before they can move. If there is no such aspect, just let them make the move and get on to something more interesting.
Auch wenn das Beispiel an Situationsaspekten aufgehängt ist, macht es für Konsequenzen, Charakteraspekte u. Ä. genauso viel Sinn, gemäß der "Golden Rule". Du hast den Problem-Aspekt "Kryptonit ist meine Achillesferse" o. Ä.? Dann ist das narrativ immer wahr, auch wenn der Aspekt gerade nicht compelled wird. Wann immer du mit Kryptonit in Kontakt bist wird es dich behindern. Würfel auf Physique, ob du den Schmerzen wiederstehen kannst, um trotzdem irgendwas unter Schmerzen tun zu können (und wenn du den Wurf versaust, kannst du "Erfolg um einen Preis" wählen und eine Konsequenz o. Ä. nehmen). Irgendsowas in der Art.
Natürlich kann dich der Spielleiter trotzdem einfach compellen: "Kryptonit ist deine Achillesferse", und Lex Luthor hat dich in Kryptonitfesseln gelegt, also macht es Sinn, dass du dich trotz deiner Superkräfte nicht wehren kannst, da sie schreckliche Schmerzen verursachen. Das ergibt Ärger, weil du ihn deswegen nicht daran hindern kannst, seine Superwaffe auf Metropolis abzufeuern." Der Compel ist nicht daran Schuld, dass das Kryptonit dich in Probleme bringt – das macht die "narrative Wahrheit" des Aspekts ganz allein. Er ist daran Schuld, dass diese Tatsache narrative Folgen hat, die du mit keinem Würfelwurf mehr verhindern kannst – in diesem Fall das Abfeuern der Superwaffe.
Würde der Spielleiter den Aspekt nicht compellen, könnte der Charakter noch versuchen, irgendwas zu tun. Zum Beispiel Lex Luthor solange abzulenken, bis Verstärkung eintrifft. Oder sich trotz der furchtbaren Schmerzen gegen die Kryptonitfesseln wehren und versuchen, sie zu sprengen oder sich herauszuwinden.