Vorweg: Ich schreibe das aus der Außenperspektive, aber die Fokusregeln und deren Umsetzung sind ein Grund, warum ich mich mit DSA5 nicht näher befasst habe.
Bei den gelisteten Kritikpunkten gehe ich auch als Nicht-DSA4ler mit.
Ist das Fokusregelsystem eine praktikable Lösung oder nur eine gutgemeinte Idee, die leider in der Umsetzung scheitert?
Ich betrachte den Versuch als gescheitert.
Spätestens bei dem Gedanken, dass die Nutzung oder Nichtnutzung von Fokusregeln keine großen Unterschiede in den Ergebnissen produziert (und IIRC sogar verschiedene Charaktere innerhalb der Gruppe je nach Gusto die Fokusregeln für den gleichen Bereich nutzen können oder nicht), muss einem doch schon klar sein, dass da viel Aufwand ohne nennenswerten Effekt betrieben wird oder man an dieser Prämisse scheitert.
Und wenn man sich die Formulierung einiger zufällig ausgewählter Fokusregeln anschaut, bestätigt sich das auch - auf dieses Kleingefuddel hätte ich ja selbst dann keinen Bock, wenn das Regeln für ein Thema sind, das mir aus irgendwelchen Gründen total am Herzen liegt.
Würdet ihr es bei einem (sicherlich lange rein hypothetischen) DSA6 beibehalten?
Auf keinen Fall, erst recht nicht mit diesem Veröffentlichungsmodus.
Den Spagat, es allen möglichst recht machen zu wollen, sollte man mMn nicht versuchen - wie man an D&D5 sieht, reicht es schon, wenn sich alle irgendwie auf die aktuelle Edition einigen können*.
Hieße für mich: Weniger Spielmechanik, auch wenn die sich traditionell am Besten verkauft.
Stattdessen ein von Anfang an rundes System und viel Material, das man zwar nicht (gefühlt) "braucht", aber
will. Regionalbände, gut aufbereitete Kampagnen, schicker Nippes/"Merch"...gibts ja teils schon.
*Ich bin ja noch nicht so ganz los davon, eine "moderne" Linie zu haben und eine Classic-/Retro-Linie, aber das ist wohl nicht auf Augenhöhe machbar.
Letztlich bleibt da nur ein mittel crunchiges Basisspiel und recht komplexe Erweiterungen. Im Idealfall hat man dann auch im Basispiel ein bisschen märchenhafte Hotzenplotzigkeit und der Pseudo-Fäntelalterrealismus sitzt in den Erweiterungen - das ist wohl das Höchstmaß an "Für jeden etwas", was da zu machen ist.
Was hätte man tun können, um die Probleme zu vermeiden? Was könnte man jetzt noch tun, um sie in den Griff zu bekommen?
Das Konzept ist in sich widersprüchlich. Es sei denn, man betrachtet "wir produzieren unheimlich viel Regeltext mit extrem geringen Auswirkungen" als erstrebenswertes Designziel.
Man hätte im Vorfeld zumindest abstrakt einteilen müssen, welche verschiedenen Komplexitätsgrade man bedienen will - klassischerweise den niedrigsten mit dem GRW und die höheren dann mit verschiedenen Erweiterungen.
Und man hätte eine grobe Vorstellung haben müssen, was in welcher Erweiterung stehen wird. Die sortiert man traditionell nach Themen, weil das sinnvoll ist, anstatt duchnummerierte Regelsammlungen aus den verschiedensten Bereichen rauszuhauen wie mit den Kompendien.
Und die einzelnen Bereiche sollten dann spielmechanisch auch irgendwann mal erkennbar abgeschlossen sein. Es gibt ja gefühlt gar keinen Regelbereich mehr, der nicht wenigstens Erweiterung I und II hat.
Generell hätte man mal bei GURPS schauen können:
Da werden in den Erweiterungen hauptsächlich andere Perspektiven auf und Interpretationen von bestehende(n) Regeln inklusive beispielhaften Anwendungen angeboten und nur sehr moderat Optionalregeln beschrieben, die deutlich weiter ins Detail gehen. Trotzdem beziehen sich diese Optionalregeln dann auf die Regelanwendung und modifizieren nicht die Charaktererschaffung und -steigerung durch Talentwildwuchs o.Ä., wie das DSA3 auch mal gemacht hat (!), weil es da schlicht keine Vor- und Nachteile oder Sonderfertigkeiten gab, mit denen man da hätte fälschlicherweise arbeiten können.
Da hat man sich letztlich mit den großen spielmechanischen Änderungen von DSA3 auf 4 in eine (vermeidbare) Sackgasse manövriert.
Ich sehe da aktuell auch keine Möglichkeit, das irgendwie ohne radikalste Maßnahmen in die Spur zu kriegen. Man müsste ja den Wildwuchs an Fokusregeln durch verschiedene Stufen jeweils in sich geschlossener Regelkomplexe ersetzen.
Da kann man auch gleich eine neue Edition machen statt DSA5.8
Würde es Sinn machen, DSA5-Regeln als "Pakete" einer gewissen Regeltiefe zu bündeln?
Also z.B. DSA5 Reduced, DSA5 Standard (~jetziges Basissystem), DSA5 Advanced, DSA5 Hardcore
Nicht als eigene Regelysteme, sondern einfach als Vorauswahl, damit die Meta-Komplexität der Regelauswahl reduziert wird?
Bedingt.
Wenn die spielmechanische Veröffentlichung abgeschlossen ist, kann man sich sicher einen Gesamtüberblick verschaffen und das noch mal neu sortieren.
Das hat dann das gleiche Problem wie immer: Zum Ende einer Edition kann man zwar sehr gut neu sortieren und das strukturieren, was im Editionsverlauf organisch gewachsen ist und hier und da vielleicht nicht ganz so glücklich war.
Aber das kauft dann keine Sau mehr, weil ja die neue Edition ansteht...
Und wenn man das für DSA5 mit seinen Fokusregeln machen würde, würde mMn nur noch deutlicher, für wie wenig Effekt man da eine enorme Materialschlacht in Sachen Regelumfang führt.