Ich habe ja oben schon unter anderem John Cage´s 4´33´´ Sekunden verlinkt. Der Mann hat ein paar Antworten auf Fragen, die hier aufgekommen sind. Man muss die selbstverständlich nicht annehmen, aber ich selbst fahre ganz gut damit.
Ist das noch Rollenspiel?
Cage lässt eine beliebige Zahl von Musikern auftreten, die 4 Minuten und 33 Sekunden lang schweigen.
Es gibt eine Anekdote von ihm, die berichtet, wie er in der Physikabteilung der Harvard-Universität eine schallfreie Kammer betreten hat und sich dort eine Viertelstunde aufgehalten hat (alle Angaben aus dem Gedächtnis). Eigentlich sollte das ein Ort sein, an dem absolute Stille herrscht. Cage ist dann aber mit leuchtenden Augen wieder da herausgeklettert und hat gesagt: "Ich habe trotzdem etwas gehört!" Die Biologen können auch erklären, warum. Unser Gehirn führt offensichtlich irgendwelche Kompensationsleistungen durch, wenn unsere Ohren gar nichts hören. Das war für Cage aber gar nicht so wichtig. Wichtiger war für ihn, zu erkennen, dass es nirgendwo die absolute Stille gibt. Aus dieser Erfahrung heraus, hat er das Stück konzipiert. Die Uraufführung fand in einem modernen Saal statt, in dem ein Klavier stand und eine Außenwand war offen und führte in die Natur. Da waren natürlich Dinge zu hören: Vögel, Wind, die empörten Kommentare des Publikums... das kann man Musik nennen, auch wenn die Musiker keine Klänge produziert haben. Übrigens ist Cage sehr großzügig mit dem Begriff. Er sagt auch: "Wenn dich der Begriff Musik dafür stört, dann musst du ihn nicht verwenden!" Ich finde das ein sehr entspannter Umgang mit Begriffen - der auch hier im Tanelorn die ein oder andere erhitzte Diskussion erträglicher machen kann.
Nun Lehman. Ist das noch ein Rollenspiel? Ich habe die Regeln gelesen, bereite das Spiel vor, mache die Tür zu und gehe. Ich sollte ja noch nichtmal die Tür anschauen. Das Spannende ist, was jetzt passiert. Genauer gesagt, was geht in meinem Kopf vor? Ich spiele das Spiel ja nicht, aber vielleicht stelle ich mir wenigstens vor, was da gespielt wird! Das müsste man mal ausprobieren. Wenn man diese Vorbereitung getroffen hat - so meine Idee - dann wird man geradezu dazu gebracht, sich wenigstens hin und wieder vorzustellen, was da am Spieltisch geschieht. Das könnte man Spiel nennen, auch wenn es niemand spielt.
Ist das Kunst?
Wieder Cage. Wieder eine Anekdote. Cage geht mit Freunden in ein Chinarestaurant. Er wird gefragt, was für ihn Kunst ist. Dann setzt er sich mit seinen Freunden an einen Tisch und sagt: "So, wie ich mich jetzt an den Tisch gesetzt habe...: das war keine Kunst." Dann steht er auf, stolziert mit etwas gestelzten Schritten im Kreis und setzt sich dann langsam und bedächtig wieder auf seinen Stuhl. Er sagt: "Jetzt war es Kunst." Für Cage ist der Fall Kunst schon in dem Moment gegeben, wo etwas als Kunst präsentiert wird (Cage selbst nennt es: celebrating). Ein Pissoir ist keine Kunst. Wenn aber jemand ein Pissoir ins Museum hängt, dann ist es Kunst. Es steht jedem frei, diese Kunst dann toll oder doof zu finden. Cage sagt dann aber jedenfalls "Kunst" dazu. Das ist ein sehr weiter Kunstbegriff, den vielleicht nicht jeder teilen muss. Ich fahre aber ganz gut damit.
Lehman sagt nicht ausdrücklich Kunst zu seinem Spiel. Ich selbst tue es aber. Es ist eine Veröffentlichung, die sich zum einen auf die Tradition der Rollenspiele beruft, zum anderen aber deutliche Einflüsse auf die Avantgarde der Künste in den 50er Jahren aufweist. Der Kunstcharakter ist in meinen Augen damit unübersehbar. (Neben dem schon erwähnten extremen Minimlismus haben das Vorbereiten des Spiels und der Hinweis auf sein Ende in meinen Augen auch starken Happeningcharakter.)
Das war´s, aus meiner Sicht. Vielleicht werde ich es doch mal durchführen.
@ Settembrini: Lehman plant einen Kickstarter. Allerdings ist das Spiel dann zusammen mit den drei anderen Science Fiction Rollenspielen zum Thema Tod vereint.