Immer mal wieder gibt es hier ja Diskussionen und Fragen zum Rollenspiel mit (jüngeren) Kindern. Ich habe in letzter Zeit gute Erfahrungen mit dem alten "Hero Quest"-Brettspiel als Brücke ins Rollenspiel gemacht. Das Spiel selbst ist natürlich nicht so das, was wir Erwachsenen als "Rollenspiel" bezeichnen würden. Mit meinem Sohn (6) bin ich da aber ziemlich schnell übers Brettspiel hinausgegangen und ich könnte mir vorstellen, dass es anderen Kindern genau so geht.
Meiner Beobachtung nach kommt das Spiel vielen kindlichen Bedürfnissen beim Einstieg total entgegen: es ist immer dieselbe Umgebung, nur die Räume variieren, die Charaktere haben begrenzte, sehr schnell erlernbare Fähigkeiten und die Mechanismen von Gegnern, Fallen, Schätzen sind unkompliziert. Gerade das Begrenzte und Immer-Wiederkehrende mit den zunächst limitierten Handlungsoptionen und klaren Zielen hat meinem Sohn aber sehr gut gefallen und war quasi eine gute "Bühne", um die Fantasie schweifen zu lassen. Was für Erwachsene möglicherweise zu läppisch wirkt, erzeugt für einen Sechsjährigen einfach genau die richtige Spannung: was ist hinter dieser verschlossenen Tür? Schaffe ich es, über die Falle zu springen? Wenn ich eine Schatzkarte ziehe, gibt es dann Geld oder taucht ein Monster auf?
Für meinen Sohn war das beinahe sofort der Anlass, ins kindliche Rollenspiel zu kommen und auszusprechen/auszuagieren, was die Figuren wohl empfinden (Angst, Wut, Enttäuschung, Freude). Daran anknüpfend kam es dann sehr schnell zu Szenen, die über die Regeln hinausgingen. Ich mache etwas kaputt vor Wut! Fallgrube? Da springe ich nicht noch mal drüber, das ist beim letzten Mal schon schief gegangen! Ganz süß, für einen Barbaren ... Und: pah, ich renne einfach in die Gegner rein, ich habe eine Axt, ich will immer nur kämpfen, klar! Also eigentlich total wie erwachsene Rollenspieler
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Das Spielmaterial mit den Bildern, Karten, Figuren ist holzschnittartig-eindrücklich, bietet aber noch mal viele Details, die über die verregelten Spielelemente hinausgehen und die Kinder sofort ins Nachdenken bringen können. Warum liegen da Knochen auf dem Spielbrett? Wer benutzt eigentlich die Flaschen, die auf den Tischen stehen? Was ist in den Schränken im Raum mit den Goblins? Deren Klamotten oder was? Warum verstecken die sich nicht darin, wenn Helden kommen? Warum hängen die eh den ganzen Tag im Dungeon rum?
Der gar nicht so große Trick ist dann einfach, als Erwachsener solche Momente aufzugreifen und weiterzuspinnen, ohne darauf zu bestehen, dass das jetzt "nicht geht" oder "halt so ist". Die HQ-Regeln sind ja dankenswerterweise so simpel, dass man eigentlich alles on the fly verregeln kann, wenn es sein muss (meistens einfach wie bei Fallen einen Würfel werfen lassen und gucken, ob ein Schädel kommt).
Man kommt dann sehr schnell dazu, dass mit den Monstern anders interagiert werden kann, als nur durch Kämpfen. In unseren Spielen kam es dann schnell zu den klassischen "Ich nehme den gefangen und quetsche ihn aus"-Szenen, inklusive des ebenfalls klassischen Betrugs durch Falschinformationen, "das Monster schließt sich der Gruppe an", "Kaufmannsladen" mit Verhandlungen usw. allerdings auch "hey, wir können doch den Gefangenen einfach in die Falle schmeißen" ...
Mein persönliches Highlight war eigentlich, dass mein Sohn irgendwann beschloss, aus den Resten eines toten Skeletts einen Roboter zu bauen, der ihn von da ab immer begleitete. Die Regel war, dass der Knochenroboter in Räume vorgeschickt werden konnte, um zu spionieren. Allerdings hatte mein Sohn immer so viel Sorge um den Begleiter, dass er ihn meist nach kurzer Zeit am Dungeonausgang geparkt hat, damit ihm "nichts passiert". Wenn die Abenteuerbeschreibung besonders gefährlich klang, wurde manchmal mit sorgenvoller Miene entschieden, dass der Roboter lieber gleich zuhause bleibt.
Also, mein Fazit wäre zurzeit, dass für Kinder im beginnenden Grundschulalter der Start mit einem einfachen, begrenzten Spiel ideal ist, das für Erwachsene fast schon zu simpel wirkt. Die kindliche Fantasie und Neugier wird die Grenzen dieses Spiels schon ganz von selbst sprengen, und als erwachsener Mitspieler kommt es vor allem darauf an, diese Momente zu erkennen und aufzugreifen, zu signalisieren: es ist okay, hier etwa dazuzuerfinden, dieses Spiel ist anders als "Mensch ärgere dich nicht", es geht auch um Story und Figuren. Eigentlich also wie immer, wenn du als Erwachsener mit Kindern spielst ... Ich halte das hier noch mal fest, weil ich manchmal den Eindruck habe, dass wir aus erwachsener Perspektive an Kindern vorbeispielen, mit den besten Absichten natürlich. Aber Kinder, gerade im Grundschulalter, brauchen oft keine simulierenden Regeln und eine total offene Welt. Figurenexploration und das Ausprobieren innerhalb einer begrenzten Umgebung führt oft erstmal weiter.