Autor Thema: Wie funktioniert Horror mit PbtA?  (Gelesen 2389 mal)

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Dionysian Spectre

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Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« am: 27.04.2019 | 20:40 »
Mag jemand hier seine Erfahrungen mit PbtA-basierten Horror-Spielen teilen? Gibt es irgendwelche Dinge auf die man beim Spielen achten sollte, damit es funktioniert? Es gibt einige PbtA-Spiele, deren Setting und Aufmachung mich sehr anspricht (Mythos World, Alas for the Awful Sea, Bluebeard's Bride, Kult Divinity Lost). Aber jedes mal wenn ich mir Playbooks oder Moves anschaue, dann bin ich ratlos, wie damit eine bedrückende oder gruselige Stimmung entstehen soll. Fehlt mir da etwas, was in den Büchern enthalten ist aber nicht aus den kostenlosen Playbook-Downloads hervorgeht?

Offline achlys

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #1 am: 27.04.2019 | 23:57 »
Ich kann jetzt nur für Kult und Apocalypse World sprechen, aber bei berufen hat sich das Horrorelement nicht aus den Moves ergeben, sondern weil sich die Spieler darauf eingelassen haben.
Bei Kult haben die Spieler -im Gegensatz zu anderen pbtA-Spielen - weniger Freiheit mitzugestalten, auch sind die Konsequenzen bei einer 6- meinem Empfinden nach härter und schließlich  gibt es für jeden SC eigene Nachteilmoves, die darauf ausgelegt sind, das Leben der SC interessanter zu gestalten.

Sehr empfehlen kann ich das Kapitel zu Horror im Rollenspiel in den Core-Rules von Kult. Wenn ich die Tage Zeit habe, kann ich das mal paraphrasieren.

Offline Crimson King

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #2 am: 28.04.2019 | 09:11 »
Ich kann jetzt nur für Kult und Apocalypse World sprechen, aber bei berufen hat sich das Horrorelement nicht aus den Moves ergeben, sondern weil sich die Spieler darauf eingelassen haben.

Das ist generell die Grundvoraussetzung für Horror. Horror über Regeln zu erzeugen, dürfte wenn überhaupt nur bei wenigen Menschen funktionieren.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
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Offline borkosh

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #3 am: 28.04.2019 | 10:28 »
Ich hoffe es ist okay erstmal eine Gegenfrage zu stellen.
Welche Spiele zeigen denn klar, wie man eine bedrückende oder gruslige Stimmung erzeugt? Und wie machen sie das? Ich frage a) aus Interesse und b) weil es dann vielleicht einfacher ist, zu schauen, ob es ähnliche Methoden auch in pbtA Spielen gibt.

Zu Bluebeard´s Bride würde ich sagen (alles aus dem kostenlosen Download);
In den Agendas, Principles und Moves des Groundskeeper finden sich schon klare Anweisungen. Zum Beispiel "Ask about the Bride’s fears and build on
the answers." Einiges des Horrors soll also nicht etwas allgemein Schreckliches sein, sondern sich direkt auf die Ängste des gemeinsamen Charakters beziehen.
Die Room Threats geben eine Menge Vorschläge wie die Braut angegangen wird und sind mMn schon sehr krass.

Offline sma

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #4 am: 28.04.2019 | 11:38 »

Will man den Horror, den ein Charakter erlebt, dadurch vermitteln, indem man dem Spieler Angst macht, der diese Angst dann wieder auf den Charakter überträgt?

Dann funktioniert IMHO nur, dass man entweder dessen eigene Ängste triggert (was problematisch sein kann) oder das man Verlustängste erzeugt, konkret, die Angst den erstellten Charakter zu verlieren.

Und letzteres ist denke ich das einzige, was regeltechnisch umsetzbar ist. Sei es dadurch, dass ein Charakter sehr wenig Lebenskraft im Vergleich zum zu erwartenden Schaden hat oder das ein Abgleiten in den Wahnsinn durch Stabilitätspunkte simuliert wird.

Beides ist problemlos bei PbtA möglich.

Bei Lovecraft sehe ich einen sehr abstrakten Horror, der mich als Spieler kaum berührt, sondern den ich nur durch Rollenspiel auf den Charakter abbilden kann. Das die wahrgenommene Realität eine Lüge ist und die wahre Realität so unbegreiflich, dass sie wortwörtlich den Verstand eines Menschen sprengt, finde ich faszinierend, aber weder bedrückend noch gruselig. Da brauche ich auch keine entsprechende Stimmung.

Bei Mythos World versuchen die Spielzüge eher das typische investigative Spiel einzufangen, statt Grusel oder Bedrückung zu erzeugen.

Mit "Consult Knowledge" kann man herausfinden, ob der Charakter etwas zu einem Thema weiß. Mit "Dectect Truth" kann man herausfinden, wie der Charakter andere (oder eine Situation) einschätzt. Mit "Search something" kann man Hinweise oder Gegenstände finden und mit "Overcome fear" dem Horror widerstehen.

Was die "Klassenbücher" angeht, ich denke, so sollten diese die typischen Stereotypen abdecken, etwa den Händler antiker und mysteriöser Bücher, den Abenteuer-Archeologen, den schrägen Künstler, den zu neugierengen Journalisten, den abgebrühten Detektiv, usw.

Dionysian Spectre

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #5 am: 28.04.2019 | 12:04 »
Danke euch allen für eure Antworten.

Noch ein allgemeiner Satz: ich will hier nicht gegen PbtA argumentieren. Mich interessieren die genannten Spiele sehr - und ich bin überzeugt dass sie funktionieren können - aber ich glaube mir fehlt einfach noch ein gedanklicher Funke der überspringen muss, um zu verstehen wie ich sie angehen muss um sie zu spielen oder zu leiten.

Ich kann jetzt nur für Kult und Apocalypse World sprechen, aber bei berufen hat sich das Horrorelement nicht aus den Moves ergeben, sondern weil sich die Spieler darauf eingelassen haben.
Das ist generell die Grundvoraussetzung für Horror. Horror über Regeln zu erzeugen, dürfte wenn überhaupt nur bei wenigen Menschen funktionieren.
Klar dass sich alle am Spieltisch auf Horror einlassen müssen, aber ich glaube schon dass die Regeln auch einen Einfluss auf die Spielerfahrung haben.  Anders gefragt: gibt es Gründe um Horror gerade mit PbtA zu spielen (oder zu veröffentlichen), anstatt als Freeform, oder mit Cthulhu oder Dread oder Winterwald? Spielt es sich besser, leichter, oder einfach nur anders?


Bei Kult haben die Spieler -im Gegensatz zu anderen pbtA-Spielen - weniger Freiheit mitzugestalten, auch sind die Konsequenzen bei einer 6- meinem Empfinden nach härter und schließlich  gibt es für jeden SC eigene Nachteilmoves, die darauf ausgelegt sind, das Leben der SC interessanter zu gestalten.
Hast du Kult schon gespielt oder bisher nur gelesen?

Soll die geringere Freheit mitzugestalten den Horror verstärken (im Sinne von Hilflosigkeit)? Bluebeard's Bride hat ja ein sehr explizites Design in diese Richtung. Bei Kult hatte ich beim Überfliegen der Schnellstart-Regeln nicht den Eindruck. Läuft das Spiel dann nicht Gefahr die Spieler zu frustrieren oder zu langweilen, anstatt sie zu ängstigen?


Sehr empfehlen kann ich das Kapitel zu Horror im Rollenspiel in den Core-Rules von Kult. Wenn ich die Tage Zeit habe, kann ich das mal paraphrasieren.
Würde mich sehr freuen.  :)


Ich hoffe es ist okay erstmal eine Gegenfrage zu stellen.
Welche Spiele zeigen denn klar, wie man eine bedrückende oder gruslige Stimmung erzeugt? Und wie machen sie das? Ich frage a) aus Interesse und b) weil es dann vielleicht einfacher ist, zu schauen, ob es ähnliche Methoden auch in pbtA Spielen gibt.
Spiele die für mich mit Horror intuitiv gut funktionieren sind zum Beispiel Cthulhu, Dread oder Winterwald. Schwer zu erklären warum die für mich auf Anhieb funktionieren und PbtA nicht :think: - ist eher ein Bauchgefühl als ein logisch schlüssiges Argument - aber ich will es versuchen zu beschreiben:

Konkret habe ich beim Lesen von PbtA-Playbooks (habe es leider noch nie gespielt) die Sorge ob Archetypen (deren Handlungen auf archetypische Moves beschränkt sind) als SCs in einem Horror-Szenario funktionieren können. Wenn ich mich auf Horror einlasse dann geht das für mich mit Immersion einher (im Sinne von: was würde ich in dieser Situation tun - und ich habe die Angst dass der Rückgriff auf welche archetypischen Moves hat dieser Charakter zur Verfügung an der Stelle die Immersion bricht).

Bei den oben genannten Spielen sind die Handlungsmöglichkeiten der SCs frei und der Probenmechanismus schnell erfasst: Prozentwurf (Cthulhu), Jenga-Turm (Dread) oder 1W6 > Kältemarker (Winterwald). Gleichzeitig sind diese aber relativ frei in der Ausgestaltung (wann eine Probe erforderlich ist, was die genaue Konsequenz bei Erfolg der Scheitern ist). Beim Lesen von PbtA-Moves habe ich die Angst dass diese sich zu sehr in den Vordergrund drängen (und dadurch von der Stimmung ablenken, die durch Szenario und Spieler geschaffenen wurde), dadurch dass sie sehr spezifisch sind (spezifisch im Sinne von welcher Archetyp welchen Move kann, welcher Trigger welchen Move auslöst, und was die genauen Konsequenzen jedes Moves sind, abgestuft je nach Erfolgsgrad).


Zu Bluebeard´s Bride würde ich sagen (alles aus dem kostenlosen Download);
In den Agendas, Principles und Moves des Groundskeeper finden sich schon klare Anweisungen. Zum Beispiel "Ask about the Bride’s fears and build on
the answers." Einiges des Horrors soll also nicht etwas allgemein Schreckliches sein, sondern sich direkt auf die Ängste des gemeinsamen Charakters beziehen.
Die Room Threats geben eine Menge Vorschläge wie die Braut angegangen wird und sind mMn schon sehr krass.
Ja, die Groundskeeper Moves und Room Threats sind heftig. Nur: könnte ich die nicht auch als SL-Tipps / Szenario-Ideen für ein konventionelles Rollenspiel verwenden? Und: nimmt der Formalismus hier nicht etwas von der Unberechenbarkeit des Horrors?


Will man den Horror, den ein Charakter erlebt, dadurch vermitteln, indem man dem Spieler Angst macht, der diese Angst dann wieder auf den Charakter überträgt?

Dann funktioniert IMHO nur, dass man entweder dessen eigene Ängste triggert (was problematisch sein kann) oder das man Verlustängste erzeugt, konkret, die Angst den erstellten Charakter zu verlieren.

Und letzteres ist denke ich das einzige, was regeltechnisch umsetzbar ist. Sei es dadurch, dass ein Charakter sehr wenig Lebenskraft im Vergleich zum zu erwartenden Schaden hat oder das ein Abgleiten in den Wahnsinn durch Stabilitätspunkte simuliert wird.

Beides ist problemlos bei PbtA möglich.
Siehst du Horror im Rollenspiel hierin grundsätzlich anders als Horror in Literatur oder Film?

Für mich ist der Reiz am Horror das Erleben/Durchspielen von beängstigenden Situationen in einem sicheren Umfeld, in dem man sich der Fiktionalität des Erlebten bewusst bleibt (egal ob in Literatur, Film oder Rollenspiel - und egal mit welchem Regelwerk).


Bei Lovecraft sehe ich einen sehr abstrakten Horror, der mich als Spieler kaum berührt, sondern den ich nur durch Rollenspiel auf den Charakter abbilden kann. Das die wahrgenommene Realität eine Lüge ist und die wahre Realität so unbegreiflich, dass sie wortwörtlich den Verstand eines Menschen sprengt, finde ich faszinierend, aber weder bedrückend noch gruselig. Da brauche ich auch keine entsprechende Stimmung.
Für mich hat es schon etwas gruseliges und unheimliches, wenn einem der metaphysische Boden unter den Füßen weggezogen wird und man erfährt dass die Realität nicht so ist wie man sie sich vogestellt hat. Natürlich ist der Lovecraft-Mythos schon so sehr im Mainstream verhaftet dass er diesen Effekt nicht mehr ernsthaft hervorruft - und man sich schon sehr in das Genre hinensteigern muss, um dieses Gefühl bei der Lektüre heute noch ernsthaft zu empfinden.

Bei Mythos World versuchen die Spielzüge eher das typische investigative Spiel einzufangen, statt Grusel oder Bedrückung zu erzeugen.

Mit "Consult Knowledge" kann man herausfinden, ob der Charakter etwas zu einem Thema weiß. Mit "Dectect Truth" kann man herausfinden, wie der Charakter andere (oder eine Situation) einschätzt. Mit "Search something" kann man Hinweise oder Gegenstände finden und mit "Overcome fear" dem Horror widerstehen.

Was die "Klassenbücher" angeht, ich denke, so sollten diese die typischen Stereotypen abdecken, etwa den Händler antiker und mysteriöser Bücher, den Abenteuer-Archeologen, den schrägen Künstler, den zu neugierengen Journalisten, den abgebrühten Detektiv, usw.
Genre-Emulation für Abenteuer-Geschichten also? Trifft das den Kern? (Nicht das wonach ich suche, aber vielen Dank für die ehrliche Einschätzung.)

Siehst du einen Unterschied im Spielgefühl zwischen Mythos World und anderen Spielsystemen für das selbe Genre, zum Beispiel Call of Cthulhu oder Trail of Cthulhu?

Offline Crimson King

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #6 am: 28.04.2019 | 12:16 »
Was du in Bezug auf PbtA-Playbooks beschreibst, ist kein horrorspezifisches Problem. Die können sich generell in den Vordergrund drängen, so dass man als Spieler zu sehr im Archetypen verhaftet ist und zu wenig den Charakter spielt. Wenn man als Spieler aus diesem Denken nicht raus kommt, verhindert PbtA nicht nur Horror-Rollenspiel, sondern jedwedes Rollenspiel, das nicht total in Klischees verhaftet sein darf.
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Offline sma

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #7 am: 28.04.2019 | 18:14 »
Allgemein zu PbtA:

Meiner Einschätzung nach versteht sich PbtA gerade so, dass die Spielzüge NICHT eine Auswahlliste von Handlungsoptionen sind, aus denen man als in einer Situation ratloser Spieler eine auswählt, sondern die in bestimmten Situationen automatisch im Hintergrund ausgelöst werden.

Da viele Spieler es gewohnt sind, dass ihnen ihr Charakterbogen mit Fertigkeiten, Zaubern und Talenten einen Rahmen setzt, wirkt PbtA fremdartig. Denn dieser Rahmen fehlt, alles ist möglich, und nur in ausgewählten Situationen, die man idealerweise unbewusst "herbeispielt", greifen die Regeln.

Das beschreibt IMHO das ursprüngliche Rollenspiel recht gut, wo man frei Schnauze erklärt, was der Charakter macht und der SL (vielleicht ebenfalls frei Schnauze) entscheidet, was das für die Geschichte bedeutet, macht es aber nicht unbedingt einfacher zu spielen.

Ich kann außerdem sagen, für mich funktioniert das Prinzip so auch nicht. Ich weiß meist im Vorfeld, was ich erreichen will und passe dann meine Erzählung entsprechend an, damit ich den Spielzug auslöse und bin mir auch nicht zu schade, ihn beim Namen zu nennen (was Apocalypse World explizit missbilligt). Ist mir aber egal, ich mag meine Interpretation von PbtA trotzdem oder gerade deswegen.

Horror in anderen Medien?

Ich glaube, ich mag eigentlich Horrorfilme nicht wirklich. Splatter finde ich eklig, mir ist selbst Game of Thrones schon zu brutal. Habe ich Angst um die Protagonisten eines Films oder Buchs? In der Regel nein. Somit ist das im Rollenspiel schon anders, denke ich. Im Rollenspiel ziehe ich zudem den Spaß aus der intellektuellen Herausforderung, nicht der Tatsache, dass ich mich hier mit meiner Abscheu vor blutrüstigen Szenen oder meiner Angst des Kontrollverlusts auseinandersetzen könnte.

Berührt uns der Cthulhu-Mythos?

Du nennst es "gruselig und unheimlich", dass Lovecrafts Welt fremdartig ist, ich nannte es faszinierend, aber wir meinen glaube ich beide das selbe.

Abenteuergeschichten?

Ich behaupte, jedes Cthulhu-Szenario ist eine Abenteuer-Geschichte. Ein Abenteuer ist per definitionem das Erleben einer außergewöhnlichen, erregenden und gefahrvollen Situation. Das passt IMHO perfekt auf die meisten Lovecraft-Geschichten und auf's Rollenspiel allgemein.

Spielgefühl?

CoC ist IMHO bemerkenswert wenig auf das Genre, was es abbilden will, angepasst. Einzig die langsam abnehmende geistige Stabilität ist zu den ursprünglichen RuneQuest (BRP) Regeln hinzugekommen.

ToC bietet daher für mich die bessere Genre-Emulation. Da gibt es vernünftige Regeln, wie Hinweise gehandhabt werden. Der "Drive" erklärt, warum Charaktere nicht wie jeder vernünftige Mensch der Gefahr ausweichen. Die "Pillars of Stability" bilden ab, wie ein Charakter Stück für Stück zerfällt. Einzig das Kampfsystem finde ich persönlich unbefriedigend, weil ich mir ausrechnen kann, dass bei 10 Punkten und 1W6 Schaden "einmal ist keinmal" gilt. Da gefällt mir CoC besser.

Ich habe leider noch nicht in die überarbeiteten Gumshoe-Regeln aus der König in Geld Kampagne geschaut, hoffe aber, dass sie das System stärker in Richtung Cthulhu Confidental entwickelt haben.

Was Mythos World angeht, würde ich sagen, es gelingt hier besser als bei Tremulus, PbtA auf "Cthulhu" abzubilden, gleichzeitig inspiriert es mich nicht so stark. Bei Tremulus (was wohl so tot with Cthulhu in R'lyeh ist) lohnt ein Blick auf dessen Stadtgenerator.

Was mir dort gut gefallen hat: Aus ein und dem selben Starter (zu dem mich ein klassisches CoC-Abenteuer inspiriert hatte) haben sich drei sehr unterschiedliche Abenteuer entfaltet, einfach durch das "Douglas-Prinzip" (reinkommen und rausfinden) ;-) Ich meine "play to find out".

Mythos World habe ich bislang nur als Spieler erlebt, da hat das auch gut funktioniert, auch wenn wir uns einmal in eine Ecke manövriert hatten, in der es ein bisschen unglaubwürdig wurde, um wieder in die Gänge zu kommen.

Was mir bei PtbA am Spielgefühl gefällt ist, dass Spieler und SL gemeinsam die Geschichte entwerfen. Meiner Erfahrung nach profitiert die Geschichte immer davon, wenn nicht nur ein Kopf sie ausgedacht hat.
« Letzte Änderung: 29.04.2019 | 12:03 von sma »

Offline Kreggen

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #8 am: 28.04.2019 | 18:45 »
Ich spiele und spielleite schon lange Cthulhu. Ich habe mich noch nie gegruselt und meine Spieler sich auch nicht. Ich stelle Cthulhu auch niemals als "Horror"- oder "Grusel"-Rollenspiel vor, sondern als Rollenspiel in "unserer" Welt, wo aber , wenn man genauer hinsieht und nachforscht, nicht alles so ist wie es normalerweise sein sollte. Ich nenne es am liebsten "Mystery-Rollenspiel", damit können die meisten etwas anfangen.
- spielt + spielleitet meistens online auf dem Lurch & Lama Discord
- spielleitet zur Zeit am liebsten Outgunned, Tales from the Loop, Electric Bastionland & Mythos World

lilith

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #9 am: 28.04.2019 | 19:07 »
Ich denke, wenn Du PbtA gespielt hättest, wäre es um einiges klarer ☺️
Wenn man von anderen Spielsystemen kommt, tut man sich ein wenig schwer mit PbtA. Bei mir war das so, dass ich das im ersten Moment zu "verkopft" gesehen habe. Meine Erfahrungen mit anderen Systemen waren da eher hinderlich.

An anderer Stelle hier habe ich verkürzt die beiden Herangehensweisen ans Rollenspiel gegenübergestellt.
Aus Spielersicht reduziert sich Rollenspiel mechanisch auf:
Ich will innerweltlich etwas bewirken, was mechanisch geregelt werden soll. Der Spielleiter fordert mich auf zu würfeln. Das Ergebnis wird interpretiert. Das Spiel wird fortgesetzt.

Das ist bei PbtA nicht anders als anderswo.

Entsprechend funktioniert der "Horror" da nicht unbedingt anders.

Was natürlich einen Unterschied machen kann - ich hab keine Erfahrungen mit CoC bzw. Horror-PbtAs - ist, wenn mechanisches "Ressourcenmanagement" zum Horror beiträgt.

Die Information: "Ich habe noch genau eine Patrone im Lauf" wirkt sich auf den Spieler anders aus als die Gewissheit, dass mein Lauf prinzipiell unendlich Patronen hat und die Pistole irgedwann kaputt ist; ein etwas schräges Beispiel. Aber bei PbtAs wird ein abstrakteres Ressourcenmanagement betrieben.

Überspitzt könnte man Deine Frage so umformulieren:
"Ich habe mir verschiedene Rollenspielbücher durchgelesen. Überall wird gewürfelt. Wie entsteht dabei Horror?" 😉

Offline 1of3

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #10 am: 28.04.2019 | 19:13 »


Allgemein zu PbtA:

Meiner Einschätzung nach versteht sich PbtA gerade so, dass die Spielzüge NICHT eine Auswahlliste von Handlungsoptionen sind, aus denen man als in einer Situation ratloser Spieler eine auswählt, sondern die in bestimmten Situationen quasi automatisch im Hintergrund ausgelöst werden.

Also man kann Moves unbewusst auslösen. Aber ganz sicher werden Leute gezielt Moves anspielen, sobald sie sie verstanden haben. Und das ist ja auch nicht schlimm.

Offline achlys

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Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #11 am: 4.05.2019 | 19:25 »
Anbei ein Artikel zu Horror im Rollenspiel von J.R. Zambrano: https://www.belloflostsouls.net/2019/04/rpg-add-some-horror-to-your-games.html

Ich fasse hier den Inhalt grob zusammen:
J.R. Zambrano nimmt in seinem Artikel Cuthulu Dark (im Vergleich zu eher actionlastigen Cuthulu RPGs) als Ausgangspunkt.
Als Voraussetzung für Horror im Rollenspiel ist zunächst die Prämisse, dass man sich auf das Gefühl der Machtlosigkeit der SCs als Spieler einlässt. Es geht eben nicht, wie in vielen anderen Rollenspielen, darum, der strahlende Held zu sein.
(Persönlicher Einschub: Es geht bei Horror mMn nicht darum, dass der Spieler selbst sich fürchtet, das wäre absurd. Viel mehr möchte man, wie bei jedem(?) vielen anderen Rollenspielen auch, dass der man sich als Spieler empathisch auf seine Figur einlässt und so quasi stellvertretend am Leid der Figur teilnimmt. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob der SC dem Spieler sympathisch ist. Da er eben nicht der strahlende Held ist, macht es durchaus auch Spaß, einen Charakter zu nehmen, der einem selbst zutiefst unsympathisch ist.)

Der Autor stellt drei grundsätzliche Optionen für Horror dar:
1) Die Helden überleben nach großen Mühsal. (Evil Dead, Alien, Scream usw.)
2) Letztlich gehen die Protagonisten zu Grunde. (Event Horizon)
3) Die Protagonisten sind selber die Monster. (District 9; ich würde auch American Psycho dazuzählen)

In seinem Artikel geht er primär auf die zweite Option ein.
Dabei stellt er fest, dass hier durchaus die Spielmechaniken eine Rolle spielen. Wenn die typischen klassischen Mechaniken wie Trefferpunkte, Rüstung usw herausgenommen werden und sich das Spiel somit nicht mehr um das Gewinnen oder Verlieren (von Kämpfen) dreht, eröffnet man den Spielern Möglichkeiten mit dem Scheitern ihrer SCs die Geschichte voranzubringen. Für diese Art von Horror sind also insbesondere Spiele zu bevorzugen, die eher narrativ gespielt werden, weg vom reinen Monster töten.  (Hier stellt er auch Bluebeards Bride als Vertreter dieser Art von Horrorrollenspiels dar.)
So kann beispielsweise das wiederholte Lesen einer Beschwörung die Charaktere mehr und mehr dem Wahnsinn verfallen lassen, aber nur so können die SCs die Kultisten aufhalten. Als weiteres Beispiel stellt J.R. Zambrano noch das Monster vor, dass den Spielern schlicht überlegen ist und nicht vernichtet werden kann. Die SCs können nur versuchen irgendwie zu überleben. (Das wäre dann eher Option 1.)

----
Hierbei handelt es sich insgesamt um den "Horror von außen", der also den Protagonisten zustößt. Bluebeards Bride (nicht gespielt) und Kult: Divinity Lost (gespielt) bieten noch eine weitere Dimension des Horrors an.  Der "persönliche Horror" stellt dabei die dunklen Seiten der SCs in den Mittelpunkt.
In Kult hat der SC ein Dunkles Geheimnis, das ihn antreibt. Dieses ist eher von narrativer Bedeutung. Spielmechanisch relevant sind die Nachteile, die jeder SC hat. Jeder Nachteil ist ein eigener Move.
Hier als Beispiel der Nachteil Fanatisch. (Übersetzung von mir; Anmerkung: es wird mit 2w10 gewürfelt.)
(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)

Weiterhin sind auch die Beziehungen zu anderen SCs und NSCs relevant für den persönlichen Horror. So haben die Aktionen des SCs immer auch Auswirkungen auf seine Umwelt. Jeder PC hat bei Kult in der Regel mindestens eine lebenswichtige und mehrere wichtige Verbindung zu anderen SCs und NSCs. Beziehungen sind zum einen eine Möglichkeit seine geistige Stabilität zu erholen. Andererseits aber kann sich die geistige Stabilität eines SCs auch verschlechtern, wenn die Person verletzt oder sonst wie ernsthaft gefährdet wird oder gar stirbt.
Das ist natürlich zunächst die rein spielmechanische Seite und geht mir persönlich schon fast wieder zu sehr in Richtung klassischen Ressourcenmanagement. Viel wichtiger ist die erzählerische Seite. Die NSCs müssen von der SL und den Spielern auch in die Geschichte sinnvoll eingebunden werden, auch die Beziehung zwischen den SCs sollte Bestandteil der Erzählung sein. Je tiefer die Beziehungen zwischen den Figuren ausgelotet wird, desto größer ist auch die Empathie zu dieser Person, wenn sie leidet oder stirbt. (Vergleiche den Tod  eines Star Trek Red Shirts ("Er ist tot, Jim.") mit der Hinrichtung von Ed Stark.)

Wie eine Beziehung in Kult funktionieren könnte, hat Basilides in seinem Blog an einem beispielhaften SC-Pärchen von Opfer und Täter dargestellt. (Achtung: So etwas zu thematisieren, mag einigen tatsächlich zu weit gehen. Das kann ich gut nachvollziehen, ich selbst würde diese Art von Beziehung zwischen SCs (oder SC und NSC) nur nach eingehender Diskussion mit meinen Mitspielern zulassen. (Gerade bei Horror sollte jeder Spieler ein Vetorecht haben.) Es ist aber eine gute Möglichkeit um zu sehen, was für Konstellationen zwischen den SCs möglich ist.)

lilith

  • Gast
Re: Wie funktioniert Horror mit PbtA?
« Antwort #12 am: 4.05.2019 | 23:30 »
Ergänzend aus Cthulhu Dark
Zitat
Cthulhu Dark is a game about doomed Investigators. So don’t play to win. Instead, enjoy losing. Enjoy watching your Investigator’s mind slowly break.