@Zarkov
Könntest du ein paar Beispiele [...] geben?
Aber gerne. Das hat jetzt etwas gedauert, aber nach anfänglichem Nachsinnen ("Was war da nochmal?") mußte ich schließlich eine Liste anlegen ...
Achtung,
wall of text.Mein Lieblingszitat von Greg Stafford lautet: "Gadzooks, the fracking Chivalry bonus is wrong!" Das war im Nocturnal-Forum im Jahre 2011 AD, also über 25 Jahre nach der ersten Veröffentlichung von Pendragon. Man muß wissen: Der Schwellenwert für Ritterlichkeit liegt bei 80. Schon immer, seit Anfang an. Man addiert einfach die Werte der fünf relevanten Traits, wenn die alle im Schnitt bei 16 liegen, kommt man auf 80 Punkte und ist amtlich
chivalrous.Nur sind es eben keine fünf, sondern
sechs Traits. Und wenn die alle den magischen Schnitt von 16 erreichen sollen, ist man bei 6*16=96 Punkten. Und also: "Gadzooks, the fracking Chivalry bonus is wrong!" Nach 25 Jahren.
Das macht mich jedesmal lachen, wenn ich daran denke, aber irgendwo ist es auch symptomatisch. Bei Pendragon stimmt der Rahmen, das zyklische Spielmodell, die entscheidenden Elemente wie Traits, Chivalry, Roulette-Kampfystem, die das typische Spannungsverhältnis erzeugen, das Währungssystem Glory, alles super. Aber der Kleinscheiß hakelt manchmal. Und manchmal über Jahrzehnte hinweg. Der Chivalry-Bonus wurde dann auch in 5.1/5.2 erst mal bei 80 belassen. Aber wegen solchen Sachen hat, glaube ich, jeder Pendragon-Spielleiter einen ganzen Ordner voll mit Hausregeln und FAQs und Ausdrucken und Notizen.
Bei mir ist man ab 96 Punkten ritterlich. Sowas ist schnell behoben. Ein bißchen gewichtiger und sind z.B. die Tabellen, die Geburt und Überleben der eigenen Kinder regeln. Wenn man da mal durchrechnet, wie hoch die Überlebenschancen eines durchschnittlichen Kindes über die kritischen 15 Jahre hinweg sind, stellt man fest: Die Kindersterblichkeit bei einem normal wohlhabenden Ritter beträgt rund 80%. ACHTZIG PROZENT. Und Ehefrauen sterben auch weg wie die Fliegen. Bei einem Spiel, das auf Dynastien abzielt, vielleicht ein bißchen viel, fand Greg Stafford im Nachhinein selbst, als man es ihm vorrechnete. Also basteln seit über zehn Jahren die Leute an alternativen Tabellen, eine komplizierter als die andere, die dann hier und da in Neuauflagen und Zusatzbänden auftauchen. (Empfohlene Hausregel: Für Kindestod nur bis zum 7. Lebensjahr würfeln.)
Ich benutze das Regelwerk von KAP 5, das ist die Arthouse-Ausgabe (also die von White Wolf), und kenne das folglich am Besten. Ein paar weitere Dinge, die mich nerven oder die nicht richtig funktionieren, z.T. nur in dieser speziellen Ausgabe:
- Die taktischen Optionen im Kampfsystem sind fast alle nutzlos oder dysfunktional (Berserkerangriff), z.T. auch schon ganz abgeschafft (Doppelfinte). Kämpfe in Pendragon sind nie taktisch interessant, sie sind einfach nur gefährlich und auf die Art spannend, wie ein Glücksspiel spannend ist, bei dem viel auf dem Spiel steht. Interessant ist in diesem Spiel ja nur, warum man kämpft und das hohe Risiko eingeht. (Nahezu jeder Kampf endet nach x Runden Hickhack mit einem kritischen Treffer, der einen Ritter zerlegt. Kein Problem, aber sollte man sich bewußt machen.)
- Es gibt nutzlose Stats und stark privilegierte Stats. APP ist ein klassischer dump stat, SIZ und STR sind nahezu allesentscheidend. DEX sieht wichtig aus, aber im Spiel kommt es so gut wie nie vor, denn ein echter Ritter schleicht nicht herum, und klettert auch erstaunlich selten irgendwo hoch. Entsprechend gibt es optimale Punkteverteilungen, so daß "gezerrte" Ritter in ihren Stats fast gleich aussehen.
- Die Giftregeln in KAP 5 sind sinnlos. Sie sehen auf den ersten Blick gut aus, aber sie funktionieren einfach nicht. Sie liefern kein Ergebnis.
- Die Jagregeln sind ... oioioi. Also, erst mal muß man die Jagdregeln überhaupt selbst aufspüren. Die sind (bei KAP 5) im ganzen Buch verteilt, und wenn man sie erst mal zusammen hat, sind sie auch weniger als funktional.
- Die Heilungsregeln sind nur brauchbar, wenn man sie auf Zeiträume von 1 bis 2 Wochen gespielter Zeit anwendet. Ich habe die ein einziges Mal wirklich benutzt, nur um zu sehen, wie das so ist. (Antwort: weniger als prickelnd.) Ich empfehle sie nur für Fälle wie "in 10 Tagen ist das Duell, aber Sir Arbolas ist schwer verwundet!"
- Glory treibt das Spiel an, aber es stellt sich leicht die gefürchtete glory inflation ein. Zu viel Glory. Viel zu viel Glory. Wenn man dann aber Glory-Quellen streicht, nimmt man die motivierenden Elemente aus dem Spiel, wie in KAP 5.1 teils geschehen. (Empfohlene Hausregel: Glory für Land etc nur einmalig beim Erwerb.)
- Man kann als Ritter für allen möglichen Kram Geld ausgeben. Aber wie bekommt man Geld? Wie bestimmt man, ob man ein reicher oder armer Ritter ist? Es wird nicht verraten, jedenfalls nicht in KAP 5.
- Die Erholungsregeln sind sehr unklar, was das Loswerden des allseits unbeliebten Häkchens im "Chirurgery needed"-Kästchen betrifft. Spätere Ausgaben legen da immerhin einen HP-Schwellenwert fest.
- Erholung von Melancholie und Wahnsinn sind auch eine ewige Baustelle. Die Regeln in KAP 5 sind wenig funktional bzw. auf Spielleitergutdünken beschränkt. (KAP 6 führt jetzt anscheinend Zeiträume ein, nach deren Ablauf man sich erholt.)
- Die Great Pendragon Campaign stellt ein "Double D20"-Verfahren vor, bei dem man 2W20 gegeneinander wirft, etwa um mit einem Schiff ein Unwetter zu durchschiffen. Die Chance, dabei erfolgreich zu sein, beträgt konstante 52,5%. Man könnte also einfach eine Münze werfen. Da hatte schlicht niemand auch nur einen Hauch Ahnung von Stochastik.
Wie gesagt, das ist fast alles Kleinkram, den man mit Hausregeln schnell behebt. Das Spiel ist ja sehr offen gestaltet, man sieht, was wie wo zusammenhängt. Nur die Tabellen für Kindersterblichkeit, die sind schon ein Brummer, und auch nicht ganz trivial durch bessere zu ersetzen.
Woran ich mich jedesmal wirklich stoße, das sind zum Einen die Regeln für Skills über 20 ("Wie, ich dachte, eine 20 ist ein Patzer? Ach so, jetzt ist es ein Erfolg. Aber der Modifikator kommt doch immer auf den Wert, nie auf den Wurf? Ach so, jetzt kommt er auf den Wurf, aber nur, nachdem der Wert auf 20 aufgefüllt wurde. Klar."); die finde unglaublich unelegant. Es gibt immer jemanden, der daran rumschraubt, aber wirklich elegant gelöst hat das noch keiner. Zum Anderen habe ich eine große Abneigung gegen Proben, die nach dem Wurf ein Nullergebnis liefern. "Er sieht nichts, sie weiß nichts, niemand hat etwas gesehen." Aber Fehlschläge, die in der Fiktion einfach keinerlei Veränderung bewirken, sind in den Regeln explizit festgeschrieben, für jeden Skill einzeln, und das mehrstufige Krit/Erfolg/Teilerfolg/Mißerfolg/Patzer-System ist so grundlegend in dem Spiel, daß ich da nicht in Einzelfällen rumtüddeln mag.
Aber trotzdem: Pendragon ist ein großartiges Spiel, daran kann kein Kleinkram was rütteln. Der Großkram, der stimmt nämlich. Und viele, sehr viele Rollenspiele haben den nicht einmal. Deshalb steht Pendragon bei mir auf einem festen Platz neben Burning Wheel, Mouse Guard und Apocalypse World. Da gehört es hin. Es war halt nur ein paar Jahrzehnte früher da.