Autor Thema: [Dresden Files] Miami Files - Die Ritter von Miami (a.k.a. "Die schönen Männer")  (Gelesen 52843 mal)

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Online Timberwere

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Während Alex schnell den Dolch einsammelte, den die Outsider-Kultistin hatte fallenlassen und Bjarki und Haley ihren älteren Kumpan aufsammelten und abtransportieren (Memo an mich: Wir sollten die beiden wegen Outsider-Korruption untersuchen – keine Ahnung, ob die auch auf Gottheiten oder Halbgottheiten übergreifen kann), galt meine erste Sorge Lidia, den Mädchen und unseren Familien. Es ging allen gut, gracias a Dios, also konnte ich mich nach den anderen umsehen und mich um die Gäste kümmern.

Ilyana Elder saß draußen vor der Halle, von zahlreichen blauen Flecken gezeichnet, und drehte die Yansa-Maske in der Hand – ganz offentlich am Überlegen, ob sie sie aufziehen solle oder nicht.
Dee war mit einem hochkonzentrierten Gesichtsausdruck dabei, die Wards zu überprüfen, die für die Feier über die Location gelegt worden waren. Eigentlich sahen sie unversehrt aus und nicht so, als hätte sich jemand daran zu schaffen gemacht, aber als Dee die Kreidestriche nachfahren wollte, zerfielen diese zu einem geradezu abartig ekelhaft stinkenden Staub.

Ximena hockte auf den Fersen an der Stelle, wo Loki erstochen worden war, malte dort Runen auf den Boden und starrte fasziniert darauf. Ángel hingegen stand etwas verloren in einer Ecke und betete inständig, während Alex herumwanderte und Dinge richtete und zu reparieren begann – wie er das immer macht, wenn er aufgewühlt ist und runterkommen muss. Totilas wanderte ebenfalls herum, aber unterhielt sich mit unterschiedlichen Leuten, um zu rekapitulieren, was eigentlich passiert war. Und Bjarki sagte etwas von wegen 'sehen, ob ich sie finden kann', und verließ die Halle. Kurze Zeit später konnten wir Guardians spüren, wie er sich als Falke in die Lüfte erhob und davonflog.

Roberto kümmerte sich um Oshun, versuchte seine patrona irgendwie zu trösten. Ich konnte sehen, wie deren Trauer allmählich einer verzehrenden Wut wich und sie schließlich sagte: „Das nehmen wir so nicht hin, Roberto.“ Febe hörte das und gesellte sich zu den beiden. „Wir müssen Cicerón finden.“ Sie hatte ihr Smartphone in der Hand und drückte immer wieder auf Wahlwiederholung – Ciceróns Nummer, wie es schien. Offenbar mag Febé den Anführer der Santo Shango mehr, als ich gedacht hatte.
„Wir werden Shango retten“, sagte Oshun indessen, „ihn retten oder ihn rächen. Ich werde die Welt auf den Kopf stellen. Ich werde Verbündete suchen. Ich weiß, auf dich kann ich zählen, Roberto. Halte dich bereit, es wird nicht lange dauern.“ Und damit verschwand sie.

Edward fand Cherie, die er während des Kampfes aus den Augen verloren hatte. Es ging ihr soweit gut, aber sie war etwas angeschlagen, weil sie mit einer der Halsbandkreaturen gekämpft hatte. Sie sah hungrig aus, und ihre Augen glitzerten silbrig. Ich konnte sehen, wie sie einige Worte mit Edward wechselte – später erzählte er mir, dass sie sagte, sie müsse etwas 'essen', aber das wolle sie nicht an Edward. „Wir sollten das irgendwann wieder machen, aber ohne das ganze Drama“, schlug er vor. „Das würde mir gefallen“, erwiderte Cherie, dann ging sie.

Donar Vadderung – Odin – sah völlig erledigt aus. Er ging zu Eleggua, und ich stand gerade nah genug bei den beiden, dass ich hören konnte, was gesagt wurde, auch wenn Odin leise sprach. „Trickster, was war dein Plan? Du warst derjenige, der uns alle hier zusammengerufen hat, also was war dein Plan?“ Eleggua machte ein erstauntes Gesicht: „Ähm, nichts?“ „Ich weiß es genau!“, hielt ihm Odin finster entgegen, „Dir war Loki schon immer ein Dorn im Auge. Du wolltest ihn loswerden, weil er Trickster-Konkurrenz für dich war. Das wird ein Nachspiel haben!“ Und mit diesen Worten rauschte er davon.
Ich wollte ihm nach, aber ich war gerade mit Tante Rosalia im Gespräch, die sich begeistert darüber ausließ, wie schön die Feier war, wie lecker der Kuchen war, wie nett Lidia war und wie sehr sie uns von Herzen alles Gute wünschte, und so war Totilas schneller. Was gesagt wurde, erfuhr ich erst später, aber das war der Dialog:
„Es wäre im Sinne des Gegners, wenn Sie sich mit Ihresgleichen bekämpfen, werter Odin“, fing unser Kumpel an, als er den Asen erreicht hatte.
„In deinem Sinne auch, oder?“
„Nein“, erwiderte Totilas ruhig.
„Ich kenne doch deinesgleichen“, knurrte Odin. „Ich habe keine Geduld mit deinen White Court-Spielchen!“
Mit diesen Worten stieg er in sein Auto und war weg, und ich konnte dem davonfahrenden Wagen nur noch hinterherschauen. Mierda.

Währenddessen trat Edward, der Odins Ansprache ebenfalls gehört hatte, zu Eleggua (auch das erfuhr ich natürlich erst hinterher) und fragte unumwunden: „Was war denn der Plan?“
Eleggua sah Edward mit undurchdringlicher Miene an. „Ich dachte, der Plan war, eine Hochzeit zu feiern.“
„Das dachte ich auch“, hielt Edward entgegen, „aber...“
„Ich hätte gedacht, es wäre ein gutes Bollwerk gegen genau so etwas, aber ein Plan war es nicht.“
Edward schnaubte. „Das ist ja mächtig nach hinten losgegangen.“
„Ich habe die Nordischen absichtlich nicht eingeladen“, setzte Eleggua hinzu, „die sind von selbst hier aufgetaucht.“
„Ich habe gehört, wenn man mit den Dolchen eine Gottheit umbringt tötet, dann nimmt man deren Kraft in sich auf, aber man kann sie nicht für sich behalten, sondern wird davon überwältigt, und die Gottheit kommt irgendwann wieder“, wechselte Edward nun das Thema.
„Wenn keine Outsider beteiligt sind, ist das der normale Weg, ja.“
„Kann man das vielleicht fördern? Loki in Jak stärken?“
„Nicht, ohne selbst Schaden zu nehmen. Das ist, als wolltest du etwas aus dem Feuer holen – dazu musst du selbst hineingreifen. Edward, du bist ein Sterblicher, du würdest Schaden nehmen. Aber wenn du das willst...“
Jetzt kam Alex dazu, der die letzten Worte Elegguas mitbekommen hatte. „Roberto sollte dringend mit Oshun reden, denn die will in dieses Feuer hineinspringen, und das ist eine schlechte Idee.“
„Wer ist eigentlich bei den Nordischen für Magie zuständig?“, wollte Edward jetzt wissen.
„Das könntet ihr Haley fragen“, schlug Eleggua vor.
Und das war der Moment, in dem auch ich zu dem Grüppchen trat: frustriert, weil ich nicht mit Odin hatte reden können. Eleggua verabschiedete sich, weil er die Wege überprüfen wollte, die Jak entlanggekommen sein musste, die ihm aber eigentlich verwehrt hätten sein müssen. Aber bevor er ging, wandte er sich an mich: „Du kennst dich doch mit Feen aus. Die Winterfeen sind dafür zuständig, dass keine Outsider hereinkommen. Du könntest ihnen bescheid sagen, dass sie ihren Job nicht machen.“ Ähm. Na danke auch...

Ungefähr in diesem Moment fiel uns allen auf, dass Bjarki nicht da war. Oder besser, dass sich da irgendwo in der Stadt, ziemlich genau bei Adlenes Haus, ein blinder Fleck befand, der schmerzte. Und dass Bjarki dort in der Nähe war und dass es ihm überhaupt nicht gut ging. Cicerón hingegen war überhaupt nicht zu spüren, jetzt wo wir uns darauf konzentrierten.

Alex, Edward und Totilas brachen auf dorthin, wo wir Bjarki fühlen konnten – Roberto ging nicht mit, und ich begleitete sie auch nicht, weil es komisch ausgesehen hätte, wenn ich als Gastgeber mitgegangen wäre. Deswegen blieb ich da und kümmerte mich weiter um unsere Gäste – und geriet jetzt doch mit Enrique aneinander, weil der es gelinde gesagt scheiße fand, dass Jandra mit einem Messer herumhantiert hatte und bereit gewesen war, damit zu kämpfen, und jetzt begeistert fragte, ob sie das lernen und trainieren dürfe. Ich konnte Enrique sogar verstehen, aber trotzdem konnte ich das gerade so gar nicht brauchen.
Immerhin aber sorgten die noch anwesenden Gottheiten irgendwie dafür, dass die unmagischen Gäste sich nicht an die Sache erinnerten – wenn ein Mensch diesen Zauber gewirkt hätte, wäre es ein eklatanter Bruch der magischen Gesetze gewesen, aber das waren ja keine Menschen. Jedenfalls hatten die unmagischen Gäste nur eine vage Erinnerung daran, dass irgendjemand betrunken kurz Ärger gemacht hätte, bevor die Feier erfreulich und schön weiterging.

Wieder erfuhr ich das, was jetzt kommt, erst später, aber in der Nähe von Adlenes Haus fanden die anderen eine steinerne Statue, die wie Bjarki aussah. Eine sichtlich verblüffte Passantin erzählte, dass ein Vogel in einen Luftballon geflogen sei, und dann sei plötzlich dieser Stein vom Himmel gefallen. Außerdem sagte sie verwirrt, sie könne ihre Straße nicht mehr finden. Totilas versuchte, ihr weiszumachen, das habe mit einem Bühnenmagier und dessen neuer Show zu sein, aber das war keine so gute Idee, weil die Anwohnerin das zwar glaubte, nun aber ungehalten wurde und forderte, den Manager des Magiers zu sprechen, weil sie ihre Straße zurückhaben wollte. Er sei der Manager, erklärte Totilas, allein die Dame ließ sich nicht beruhigen und rief die Polizei.
Schnell entschlossen rief Edward parallel dazu ebenfalls bei der Polizei an, genauer gesagt beim SID, und warnte Alison Townsend, dass magische Schwergewichte eine ganze Straße verschleiert hätten und das SID sich nicht mit denen anlegen solle.

Die Frau landete nach einigen Weiterleitungen ebenfalls bei Lieutenant Townsend und wurde von dieser vertröstet. Daraufhin stritt sie sich weiter mit Totilas und begann schließlich, die Szene mit dem Handy zu filmen.
Alex konnte die verlorene Straße in seinem Geist noch finden – sie war genau dort, wo es wehtat hinzudenken, und dort war auch ein gewisses Flimmern in der Luft. Alex wollte es ausprobieren und, mit einem Seil gesichert, schauen, was an dem Ort los war, aber mit dem Hinweis darauf, dass Bjarki dringend Hilfe brauchte, konnte Edward ihn davon abhalten.
Totilas lieferte sich indessen ein Duell im Anstarren und mit-Anwälten-drohen mit der Passantin, aber am Ende war es Totilas, der die Frau so sehr einschüchterte, dass sie das Video schließlich löschte, nach einem Taxi telefonierte und abzog. Alex wollte sie noch aufhalten, um herauszufinden, ob sie eine Adresse für die nächsten Tage hätte, aber sie war offenbar gut situiert – und 'Karen' – genug, um ihn keines Blickes zu würdigen, bis ihr Taxi kam.

Mit vereinten Kräften und Einsatz ihrer übernatürlichen Stärke luden die Jungs die Bjarki-Statue ins Auto, und während Alex fuhr, machte sich Edward schon einmal erste Gedanken für ein Ritual, um ihn wieder zu entsteinern. Totilas indessen betrachtete Bjarki in der Sight, um herauszufinden, ob der Isländer überhaupt noch lebte. Er sah Lokis Sohn in einer engen Höhle, tatsächlich noch am Leben, aber umgeben von zahllosen roten Luftballons. Es fiel Totilas etwas schwer, sein drittes Auge wieder zu schließen, aber schließlich gelang es ihm doch.

Währenddessen stand ich im Hotel gerade kurz mit Roberto zusammen; wir unterhielten uns über die Feier unterhalten und darüber, dass ich mir diese Hochzeit ganz anders vorgestellt hatte – auch wenn es immerhin in diesem Fall gut war, dass der Vorfall für die 'normalen' Gäste etwas unter den Teppich gekehrt worden war. Allmählich dauerte es aber ganz schön lange, bis die anderen zurückkamen, also rief Roberto bei Alex an, um sich zu erkundigen, was los war. Der erzählte von Bjarkis Situation (hier hörte ich jetzt einen Teil dessen, was ich oben schon aufgeschrieben habe) und bat Roberto, alle Guardians, die noch auf der Feier seien, zusammenzutrommeln, damit wir Bjarki entsteinern könnten.

Da ich noch Hochzeitsfeierverpflichtungen hatte, ging Roberto los, um zu schauen, wen er alles finden konnte. Wie es aussah, waren nur noch Ximena und Ángel da, die er über die Lage informierte und darüber, dass Bjarki zu einer Steinstatue geworden sei. Das verwunderte seine beiden Geschäftspartner aber nicht im Geringsten, und Ximena erklärte, das sei gar nicht ungewöhnlich, weil Bjarki sich in alles verwandeln könne, nicht nur in Lebewesen, und: „Hat ihm jemand gesagt, er soll aufhören?“

Das bekam ich aber natürlich auch erst später mit. Ich selbst wurde wieder involviert, als Cousin Raúl – einer von Lidias Cousins, nicht von meinen – ziemlich angetrunken bei mir auftauchte, dass da noch ein Geschenk angekommen sei.

Das „Geschenk“ war natürlich die Bjarki-Statue, die die Jungs in einen ruhigen Raum gebracht hatten, und hier bekam ich jetzt die restlichen Lücken in der Geschichte gefüllt, die mir bislang noch gefehlt hatten.
Auch Roberto schaute sich unseren Guardian-Freund jetzt in der Sight an, und er konnte das bestätigen, was Totilas auch schon festgestellt hatte: Die Höhle, in die Bjarki sich zurückgezogen hatte, war Schutzmechanismus gegen die Ballons und ein Sinnbild für seine Verwandlung in einen Stein, und er war am Leben, wenn auch schwer angeschlagen. Als Mensch würde er schwerste Verletzungen aufweisen, die als Stein nicht so eklatant waren. Das Problem nur: In Steingestalt heilte er nicht, das heißt, egal, ob er jetzt oder in drei Monaten aufwachte, die Verletzungen wären dann immer noch genauso schwer.

Daher kam mir der Gedanke, ob es nicht vielleicht möglich wäre, vor der Rückverwandlung die Statue zu reparieren. Das wäre dann auch keinesfalls ein Bruch der magischen Gesetze, weil wir ja nur an einer Statue herumdoktorn würden, nicht an einem Menschen. Wobei das nicht unbedingt eilig ist, das können wir in Ruhe planen, denn der Zustand des Steins verschlechtert sich ja nicht.
Jetzt waren erst einmal alle mehr oder weniger unfit – bis auf mich selbst, tatsächlich, erstaunlicherweise – und von den Guardians ohnehin nur noch Ximena und Ángel anwesend. Und Edward hatte völlig recht, als er sagte, Lidia und ich hätten uns genug getrennt um die jeweiligen Gäste gekümmert, jetzt wäre es endlich an der Zeit für uns beide und für Zweisamkeit.
Und so ging die Feier zwar noch etwas weiter, aber begann langsam auszuklingen, und alle hatten Verständnis dafür, dass Lidia und ich uns irgendwann zurückzogen.

Aber ach ja. Geschenke. Also es gab natürlich eine ganze Menge, aber die von den Jungs will ich besonders erwähnen.
Alex' Geschenk war... nichts Physisches. Er hatte uns eine Karte gebastelt, in der er uns zu verstehen gab, dass die Tatsache, dass Saltanda nicht aus der Junggesellenabschiedstorte gehüpft war, ihm zu verdanken und gar kein so leichtes Unterfangen gewesen war.
Von Totilas gab es ein edles Silbertablett, das mit Rosenblüten, einem Sektglas und einem gedeckten Puppenhaustisch dekoriert war, dazu eine auf alt gemachte Schriftrolle mit schöner Kalligraphie und einer Einladung zu einem romantischen Dinner für zwei bei Klaviermusik und Blumen in einem vornehmen Restaurant.
Edward schenkte uns eine Rose von Swarowski, aber nicht einfach irgendeine. Sie ist so verzaubert, dass sie sich nach und nach mit magischer Energie auflädt. Und sollten wir es wirklich einmal brauchen, gibt es ein Kommandowort, mit dem diese Aufladung freigesetzt und damit der Threshold unseres Heims verstärkt wird.
Und Roberto kam mit einem Korb an, aus dem heraus uns ein herzallerliebster Bernhardinerwelpe anschaute. Mit einem Zwinkern sagte er, das Geschenk sei für die hijas vielleicht ebenso wie für uns. Ich finde die Idee schön, einen Hund zu haben, aber irgendwie auch ein bisschen... beängstigend ist das falsche Wort, aber eine gewisse Herausforderung wird es vermutlich schon werden, zumal gerade Bernhardiner ja nicht so klein bleiben. Und wir haben noch keine Ahnung, was einen Namen betrifft. Aber da wird uns schon etwas einfallen.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: Ghost Story 5

Am Tag nach der Hochzeit schliefen Lidia und ich, wie man sich vielleicht vorstellen kann, ziemlich lange. Wir waren gerade mit einem sehr späten Frühstück Brunch fertig, da klingelte mein Telefon. Es war Roberto, und es war ein Notfall. Treffen zum Kriegsrat in der Casa Guardián (mit allen außer natürlich Bjarki und Cicerón), und ich war nur heilfroh, dass Lidia Verständnis zeigte.

Bei dem Treffen erzählte Roberto, dass Oshun vorhin bei ihm aufgeschlagen war. Ohne Anzuklopfen, versteht sich. Sie hatte einen großen, sonnengebräunten, südländisch aussehenden, wütenden Kerl im Schlepptau, und auch wenn Roberto das Gespräch natürlich nicht in allen Details zitierte, lief es in meinem Kopfkino ungefähr so ab:

Oshun, täuschend ruhig: „Das ist Ares, der griechische Gott des Krieges. Es geht los. Sag Yansa bescheid, wir brauchen sie. Thor haben wir leider nicht finden können, kennt den einer? Wir warten bis heute Abend, dann gehen wir.“
Ares, förmlich aus den Nüstern schnaubend: „Das ist ein guter Plan, bis zum Abend zu warten und dann in der Dunkelheit anzugreifen.“
Roberto, ziemlich überfahren von dem Überfall: „Ähm, wo wollt ihr denn warten? Hier?“
Oshun: „Am Schandfleck. Dort warten wir.“
Roberto: „Okay... wenn ihr dort warten wollt?“
Oshun: „Oder sollen wir gleich losschlagen?“
Roberto: „Nein.“
Oshun: „Nun gut. Dann am Abend. Die Zeit des Wartens ist vorüber. Die Zeit der Rache ist gekommen.“
Oshun und Ares: exeunt. Roberto: greift nach seinem Telefon.

Wir waren uns alle einig, dass das Oshuns Plan eine ganz schlechte Idee war und nicht gut gehen konnte.
Dann erzählte Alex, weil es ja am Abend zuvor nicht alle mitbekommen hatten, dass Eleggua zu ihm gesagt hätte, man könne Loki in Jak stärken, und ich erwähnte Elegguas Bemerkung von den Winterfeen, die ihren Job nicht machten, was das Abhalten der Outsider beträfe. Auch da waren wir uns einig, dass da wohl ein Gespräch mit Tanit angezeigt sei.

Und wir riefen bei Haley an, fragten, wie es ihr gehe und was mit dem Jak-Kultisten sei, den sie am Abend zuvor einkassiert hatte. Geistig nicht stabil, erwiderte Haley. Er sei kein normaler Sterblicher mehr, sondern habe einen Luftballon im Hirn, den er freiwillig hineingelassen habe – es scheine, als hätte er sein drittes Auge geöffnet, als die Outsider auftauchten, und es dann nicht wieder geschlossen, und das sei eine absolute Katastrophe für ein menschliches Gehirn. Falls wir das wollten, könnten wir mit ihm – Zeke nenne er sich – reden, aber das werde dauern, bis er einigermaßen ansprechbar sei. Aber gut, das läuft ja auch nicht weg, das muss nicht gleich jetzt sein.

Haley erzählte auch, dass der Allvater alle Asen nach Asgard gerufen habe, und ob wir wüssten, was los sei. Totilas erzählte ihr, dass einer von Odins Raben erstochen worden sei, und ich berichtete von Vadderungs Verdacht gegen Eleggua.
„War das Elegguas Plan, Alex?“, fragte Haley sofort, aber das verneinte der umgehend.
„Meinst du, Odin wird Miami jetzt mit Krieg überziehen?“, wollte Totilas im Gegenzug wissen, aber das wiederum glaubte Haley nicht. Sie könne allerdings nicht mit ihm reden – oder besser gesagt, er würde nicht auf sie hören, wenn sie es versuchte, denn sie sei ja 'nur Hel'.
„Und ich habe mit ihm nicht über Pans Einherjer reden können, als er auf der Feier war“, brummte ich missmutig. „Die Sache hatte ich eigentlich mit ihm klären wollen...“
„Pans Einherjer könnten ein Problem werden, weil die immer noch vor allem Odin verpflichtet sind“, sagte Haley vorsichtig, aber dann legte sie recht schnell auf, weil die ganze Sache nicht ihre Baustelle war.

Für das Treffen mit Tanit suchten wir wie immer zuerst Hurricane auf und fanden ihn in der Wrestlingschule am Hafen, die er seit einer Weile hat.
Als wir den Laden betraten, kam Hurricane zu uns herüber. „Hi, wollt ihr auch Wrestling lernen?“, fragte er gut gelaunt.
„Nein, wir wollen mit Tanit reden“, erwiderte Roberto.
„Dann müsst ihr zum Cayo Huracán“, schlug Hurricane kurz angebunden vor, aber Alex lächelte ihn entwaffnend an: „Vielleicht kannst du uns auch weiterhelfen.“
„Ich bin nicht die Wohlfahrt“ brummte Hurricane, „aber sag halt mal, was du willst.“
„Es geht um unsere gemeinsamen Leute, die, die wir alle nicht mögen.“
„Ich kann die Republikaner auch nicht leiden. Kannst du vielleicht noch ungenauer werden?“

Edward wurde konkreter und erzählte von den Outsidern und dass sie offenbar einen Brückenkopf in unsere Welt geschlagen haben. Das habe Hurricane auch schon gemerkt, sagte er, aber er könne dazu nichts sagen, das sei nicht seine Aufgabe, und dazu müssten wir mit Tanit reden.
Oh, ¿de verdad?
„Können wir über dich einen Termin bei ihr ausmachen?“, fragte ich, aber Hurricane grinste nur.
„Sie wird euch schon nicht kentern lassen. Immerhin werden ja wohl neben dir noch zwei weitere Gesandte im Boot sein.“

Das war allerdings keine sonderlich sichere Aussage, also verhandelten wir. Am Ende kamen wir überein, dass er uns etwas geben würde, mit dem wir schadlos zum Cayo Huracán kämen, und im Gegenzug dürften seine Schule und er in drei Tagen den ganzen Nachmittag lang an Pans Strand trainieren. Daraufhin gab er Alex einen grauen Handschuh, der die Überfahrt für ihn sehr angenehm werden ließ, für uns andere eher … nicht so. Aber wir kamen an.

Wir wurden von Yahaira Montero in Empfang genommen, die uns zu einer der Klippen führte, wo Tanit stand und sich den Wind durch das Haar wehen ließ.
„Ihr tragt das Unterpfand meines Sohnes bei euch, also muss es wichtig sein“, begrüßte sie uns.
Winter oder nicht, sie war eine Fee und somit am ehesten meine Baustelle.
„Es ist in der Tat wichtig“, erwiderte ich höflich, „wir wollten Euch darüber informieren, dass die Outsider einen Brückenkopf in unserer Welt etabliert haben.
„Das ist zu früh“, entgegnete Tanit, sichtlich bestürzt, „das hatte ich in diesem Ausmaß noch nicht erwartet.“
Ich nickte. „Und das sind Feinde, gegen die alle Animositäten zwischen Sommer und Winter zurücktreten müssen.“
Tanit nickte ebenfalls. „Berichtet.“
Ich berichtete.

Als ich fertig war, sah Tanit Alex direkt an. „Eleggua ist zu schlau, als dass es gut für ihn wäre.“ Dann wandte sie sich an uns alle: „Die Outsider sind wie ein Krebsgeschwür, schwer für immer zu entfernen. Man kann sie auch nicht einfach ins Meer werfen, ohne das Gefüge der Welt zu zerstören. Ich habe meine Gesandte losgeschickt, um herauszufinden, was man tun kann, doch sie ist noch nicht zurückgekehrt. Deswegen sagte ich, es sei zu früh.“
„Und was tun wir jetzt?“
„Ihr müsst vor allem die Götter davon abhalten, sich von den Dolchen treffen zu lassen. Das können weder Pan noch ich – wir sind beide keine guten Diplomaten, und die anderen Gottheiten mögen uns nicht, weil wir uns von ihnen abgewandt und uns den Feenköniginnen angeschlossen haben, obwohl wir selbst Götter sind – und schlimmer noch, wir haben den Königinnen unsere Gefolgschaft geschworen. Die Götter wollen das nicht hören, aber die Feenköniginnen sind mächtiger als sie.“

Edward wollte wissen, ob die Outsider Schwächen hätten.
„Sie verstehen die Menschen ebensowenig, wie ihr sie versteht“, erwiderte Tanit. „Sie verstehen Liebe nicht, verstehen Glauben nicht. Ihr solltet wissen, dass Dinge angestoßen worden sind“ setzte sie noch hinzu, „aber es wird dauern, bis diese Dinge wirklich in Gang kommen. Und bis das geschieht...“ - sie sah uns ernst an - „spielt auf Zeit und hindert Oshun daran, sich ins Messer zu stürzen. Ich melde mich, sobald Chloe zurück ist.

Als Yahaira uns zurück zum Boot brachte, gratulierte sie mir noch zur Hochzeit, auch wenn sie nicht so schön gewesen sei.
„Die Einladung war ernst gemeint“, sagte ich, „ich hätte mich gefreut, wenn du gekommen wärst.“
„Das kam auch an“, erwiderte sie, „aber ich dachte, das wäre nicht so diplomatisch gewesen.“
Ich nickte. „Vielleicht hast du recht, aber die Einladung war trotzdem ernst gemeint.“
Das brachte mir von Yahaira ebenfalls ein Nicken ein. „Das weiß ich. Ich kenne dich ja inzwischen ein bisschen, und gut genug, dass ich das weiß.“
Damit pustete sie in Richtung unseres Bootes, und für die Heimfahrt hatten wir vollkommen ruhiges Fahrwasser.

Wieder an Land, überlegten wir natürlich, wie wir Oshun von einem direkten Angriff auf Jak abhalten sollten, ohne es uns mit ihr zu verscherzen. Womöglich wusste sie noch gar nicht, dass eine Chance bestand, dass Shango und Loki zurückkehren könnten?

„Verdammter Mist, dass Oshun sich Ares zur Unterstützung geholt hat und nicht Athena oder so“, brummte Edward.
Totilas zuckte mit den Schultern. „Ares ist halt genau das, was Oshun will: einfach draufprügeln.“
„Das ist genau das, was ich früher gemacht hätte“, gab Edward zu, „aber das ist der falsche Ansatz.“ Er unterbrach sich. „Habe ich das gerade gesagt? Mist.“
Ich musste grinsen. „Wir färben aufeinander ab, Kumpel.“
Edward schnaubte. „Lern nur nicht zu viel von mir.“
Der nächste Satz kam von uns beiden genau gleichzeitig: „Mist... zu spät.“

Aber ernsthaft. Als wir fertig waren mit Schmunzeln, fragte Edward Roberto und Alex, was sie alles über Oshun wussten. Es war uns ja nicht völlig neu, aber sie bestätigten noch einmal, dass Oshun die Orisha der Liebe, der Schönheit, des Reichtums, der Fruchtbarkeit, des Wassers und der Flüsse sei. Normalerweise sei sie niemand, die ihren Gegnern einfach direkt aufs Maul haue, sondern eigentlich gehe sie lieber subtil vor.

Hmm. Dann war das ja vielleicht jetzt auch eine Möglichkeit, bei ihr anzusetzen: ihr beizubringen, dass sie wesentlich erfolgreicher sein könne, wenn sie Shango stärken würde, statt Jak frontal anzugreifen – diese Strategie wäre erstens erfolgversprechender und zweitens schmerzhafter für die Outsider.
Davon mussten wir sie nur überzeugen – und wenn Oshun überzeugt wäre, würde Ares hoffentlich auf Oshun hören und ebenfalls Ruhe geben.

Wir trafen die Orisha in einer kleinen Bodega (oder besser Faux-dega, die eher für das Anglo-Publikum gemacht war), wo sie mit Ares saß und gerade der Kellnerin ins Gewissen redete, dass sie sich von ihrem Freund nicht alles gefallen lassen solle.
Nachdem die Kellnerin abgezogen war, eröffnete Roberto seiner patrona, dass Shango hoffentlich noch nicht verloren war, dann ging ich ein wenig mehr ins Detail und berichtete davon, dass die Leute, die die Dolche benutzten, über kurz oder lang selbst wieder von den Gottheiten übernommen wurden, die sie ermordet hatten, und Edward skizzierte ein Ritual, mit dem dieser Vorgang unterstützt werden könnte. Alex wirkte auf seine zurückhaltende Art ebenfalls beruhigend auf Oshun ein, während Totilas Ares in ein Gespräch zog.
Wir merkten, dass wir Fortschritte bei Oshung machten, aber es dauerte eine Weile. Die Orisha war schon fast überzeugt, aber wir konnten spüren, dass sie es einigermaßen genoss, gebeten zu werden, und außerdem musste sie ihr Gesicht wahren und durfte es nicht so aussehen lassen, als würde sie zu schnell einknicken.

Ares merkte von all dem tatsächlich nichts, aber er wurde langsam ungeduldig und wollte endlich losziehen, diesem Jak auf die Fresse hauen, Totilas' Anstrengungen, ihn abzulenken, hin oder her. Am Ende wusste unser White Court-Kumpel sich nicht länger zu helfen, als das zu tun, was White Court-Vampire eben tun... er fing an, heftig mit Ares zu flirten, und dann zogen die beiden tatsächlich gemeinsam ab.

Oshun schien gar nicht so undankbar darüber, dass Ares nicht mehr da war, und unterhielt sich jetzt angeregt mit Edward über seine Idee zu dem Ritual. Sie hatte grundsätzlich eine etwas andere Herangehensweise – Rituale waren für sie etwas, das Sterbliche ihr darbrachten oder in ihrem Namen ausführten, nichts, bei dem sie selbst aktiv war –, aber sie hörte Edward interessiert zu.
Schließlich gestand er: „Ich habe das Wissen, aber nicht die Kraft dazu.“
„Du willst, dass ich deinen Geist beschütze“, stellte Oshun nüchtern fest.
„Genau.“
Oshun überlegte. „Wir sollten lieber erst einmal Cicerón und Shango in Cicerón stärken.“
„Ja, stimmt“, nickte Edward, „Cicerón verstehe ich besser, der ist ein Mensch, und er und ich sind uns ehrlich gesagt ziemlich ähnlich. Jak verstehe ich so gar nicht.“

Das Ritual musste natürlich vorbereitet werden, aber das war Oshun zu langweilig, denn das würde ein paar Stunden dauern. Roberto solle sie rufen, wenn es soweit sei.
„Wir werden Shango wiederfinden“, sagte Roberto zum Abschied.
„Ich verlasse mich darauf“, erwiderte sie, und ging.

Bei dem Ritual hätten wir eigentlich Totilas gerne dabei gehabt, aber der ging nicht an sein Telefon, und über unser gemeinsames Bewusstsein bekamen wir nur mit, dass er … nun ja, sagen wir: ungezügelt der Kampfeslust frönte. Offenbar hatte er, nachdem die beiden abgezogen waren, mehr getan als nur mit Ares zu flirten, und offenbar hatte er dabei der griechischen Gottheit mehr abgesaugt als nur körperliche Lust, sondern eben auch die Lust am Töten, Zerreißen und Knochenbrechen. Ich – und ich glaube, den anderen ging es genauso – wollte gar nicht so genau zu diesem Teil unseres Guardian-Bandes hindenken.

Wie dem auch sei, wir wollten Shango und Cicerón stärken, aber sie waren ja nicht hier, und trotz unseres Bewusstseins für Miami wussten wir nicht, wo sie waren. Aber wir hatten einige Gegenstände von Cicerón und unsere generelle Guardian-Verbindung zu ihm, das musste reichen. Und außerdem würde das Ritual natürlich sehr Santeria-lastig und Shango-bezogen werden, was bedeutete, dass Roberto ein großer Teil dabei zukam. Einen Orisha in einem Sterblichen zu stärken, war nicht weiter schwer; die Gefahr war nur, dass wir eventuell Shango so sehr stärken würden, dass Cicerón darin völlig untergehen könnte. Dieser Balanceakt musste uns irgendwie gelingen: Shango zurückbringen, aber Cicerón darüber nicht verlieren.
Deswegen… ich wusste, ich würde das möglicherweise bereuen, aber ich bot an, beim Ritual mit der Magie des Sommers den Blitzableiter zu spielen. Alex wiederum schützte den Weg, der geöffnet werden sollte, damit nichts mit zurückkäme, das nicht mit zurückkommen sollte.
Oshun hatte von Roberto auch Bescheid bekommen, dass es losging, und stand bereit, um Roberto und Edward mit ihrer Kraft zu unterstützen.

Anfangs ging alles glatt. Edward leitete wie immer das Ritual, und wir konnten spüren, dass er seine Magie genau im richtigen Maß einsetzte, die Balance genau hielt. Aber gerade dieses Maßhalten wurde mit zunehmender Dauer zum Problem, und kurz vor dem Ende drohte Edward die Kraft auzugehen. Wir konnten fühlen, wie Oshun schon einen großen Schub ihrer Orisha-Macht in Edward leiten wollte, aber im letzten Moment zapfte Edward seine letzten Reserven an und schob sie in das Ritual. Es war ein klein wenig zu viel, aber das, was da zu viel war, konnte ich problemlos abziehen und harmlos verpuffen lassen.
Das Problem war nur: Oshun schickte ihre Macht dennoch – was wir von ihr mitbekamen, war ein Gefühl von Shango gehört ihr, und sie ist eine Orisha, und sie will nicht nur daneben stehen, während die Sterblichen ihren Liebsten zu retten versuchen. Sie legte Edward die Hand auf die Schulter, und einen Moment lang konnten wir einen Schwall Wasser und unbändige Liebe zu Shango spüren, während sie ihre Kraft in Edward leitete.
Das würde Cicerón vernichten und nur Shango übrig lassen, und so lenkte ich mit allem, was ich hatte, die gebündelte Stärke der Guardians dagegen. Es gelang mir, einen Großteil des Stroms aufzufangen und auf mich abzuleiten, aber das hatte zur Folge, dass ich mich für den Moment völlig überwältigt fühlte von Oshuns Macht. Aber dann war das Ritual beendet, und wir alle sackten ein bisschen in uns zusammen.

„Wo ist Shango?“, fragte Oshun. „Roberto, ist Shango wiedergekommen?“
„Ich kann Cicerón wieder spüren...“, murmelte Roberto, und ja, das konnten wir tatsächlich alle, auch wenn die Verbindung schwach war und auf- und abebbte wie schlechter Handyempfang.
Und genau das war der Moment, in dem Totilas anrief.

Unser White Court-Kumpel sah extrem zufrieden und gesättigt aus, als wir uns mit ihm trafen, wenn auch etwas blutverschmiert, und er hatte Ares nicht mehr im Schlepptau. Was genau er mit der griechischen Kriegsgottheit angestellt hatte, sagte er nicht, das wollten wir aber auch gar nicht so genau wissen.
Jedenfalls machten wir uns gemeinsam auf die Suche nach Cicerón. Unsere schwankende Verbindung führte uns zu einem Mann, der wie betrunken die Straße entlangwankte. Er sah ein wenig aus wie Cicerón, aber nicht komplett. Brandwunden, die aber bereits langsam verschwanden, bedeckten seine Haut, und er murmelte vor sich hin: „Shango, Feuer, Kampf, ich bin...“

Seine Augen waren völlig ausgebrannt, nur noch leere Höhlen, aber als wir neben ihm ausstiegen und auf ihn zugingen, Totilas voran, wandte er ihm den Kopf zu.
„Ich kenne dich“, sagte der Mann zögernd, „du bist Totilas.“
„Und du bist Cicerón“, erwiderte unser Kumpel.
„Ich bin Cicerón... Ich bin Shango... Ich bin...“ - seine leeren Augenhöhlen begannen zu flackern, als sich Flammen darin bildeten.
„Shango, du musst zurück in deinen eigenen Körper“, sagte Totilas ernst.
„Das ist jetzt mein Körper“, kam es sofort von der Gestalt zurück.
„Dann willst du also den Outsidern den Sieg überlassen?“
Bei der Frage fauchte Shango und blies flammenden Atem in Richtung Totilas, aber der blieb einfach stehen, und offenbar war der Orisha zu schwach, um dem Weißvampir irgendwelchen Schaden zuzufügen, und gleich darauf brach Shango leise murmelnd in sich zusammen.

Wir sammelten ihn ein und fuhren zurück zu Edward, wo Oshun wartete und dem Bewusstlosen sanft über die Wange strich. „Das ist nur ein Teil von Shango“, sagte sie dann.
„Das ist ein Anfang“, erwiderte Totilas, und die Orisha nickte.
„Ich nehme ihn mit“, erklärte sie, „dann wird der Körper sterben, und der Teil von Shango, der in Menschen fährt, ist dann wieder frei.“

Ähm.

Wir konnten sie dann zum Glück doch überzeugen, dass es eine dumme Idee wäre, Cicerón sterben zu lassen – immerhin gehört er zu Shangos wichtigsten Anhängern, hat ihn gerettet und ist ein wichtiger Teil dessen, was Miami schützt.
Daher akzeptierte sie schließlich den Gedanken, Shangos Selbst in einem anderen Körper wachsen zu lassen, bis er wieder voll bei sich sei. Genug Anhänger, die sich dafür anbieten würden, hat er ja.
„Und da kommt auch schon jemand!“ Der Jemand war Febe, und sie zeigte sich ehrlich entsetzt über das, was Cicerón zugestoßen war. Wir erklärten ihr die Situation, und ich fragte sie, ob sie jemanden kenne, der bereit wäre, Shango in sich aufzunehmen, aber Febe bestand darauf, das selbst zu tun. Es sei auch nicht das erste Mal, sagte sie.
Und so tat sie irgendetwas, wodurch Flammen aus Cicerón in Febe hinüberzogen und Oshun dann Febe innig umarmte. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Febe/Shango lächelte. „Das bekommen wir schon hin“, sagte er/sie, und dann verschwanden die beiden.

Wir hatten indessen auch schon Totilas' Arzt verständigt, der uns ja kennt und keine Fragen stellt, und nun wurde Cicerón von einem Krankenwagen abgeholt. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass Cicerón irgendwie wieder der Alte wird – Byron White Eagle hat sich ja von den schweren Verletzungen, die Stefania Steinbach und die Vampire ihm damals beigebracht hatten, auch schneller und besser erholt, alsdie Ärzte das erwartet hätten, und bei Vanessa Gruber war es nach der Sache am Crater Lake genauso. Vielleicht hat ja auch Cicerón Magie genug, dass er wieder wird... Er mag zwar ein Gangster und ein Verbrecher sein, aber er ist auch ein Verbündeter und ein Guardian.
Zitat von: Dark_Tigger
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Zitat von: ErikErikson
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Zitat von: Shield Warden
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Ricardos Tagebuch: Ghost Story - Coda

16. April

Inzwischen war ich auch bei Pan, um mit ihm über Hurricane und unsere Übereinkunft zu sprechen.
Das mit der Wrestling-Schule am Strand geht klar soweit, aber dann erzählte mir Pan, dass er Besuch von Donar Vaderung erhalten habe. Dessen Aussage sei gewesen, die Voraussetzung dafür, dass die Einherjer in Miami bleiben dürften, wäre es, dass sie für einen Angriff auf Eleggua bereitständen. Mierda.

Bjarki ist übrigens wieder entsteinert, grundsätzlich jedenfalls. Ximena erzählt, und wir haben es auch schon bemerkt, dass er immer mal wieder kurzfristig in die Steinform zurückfällt, wenn er unter Stress steht.
Aber es wird langsam schon besser, also besteht Hoffnung, dass er sich mit der Zeit komplett erholen wird.

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18. April

Enrique ist noch in der Stadt, wird wohl auch noch ein paar Tage bleiben, bevor er nach Kuba zurückfährt, wo er jetzt mit Robertos Bruder Carlos eine kleine Bar und eine Bootswerkstatt betreibt. (Und falls die beiden für Cicerón Linares unter der Hand auch irgendwelche illegalen Geschäfte betreiben, will ich das gar nicht wissen.) Jedenfalls haben wir uns gestern abend getroffen, und Jandra freut sich sichtlich, dass Papá Enrique mal wieder da ist. Aber zum Glück war – bisher zumindest – noch nicht wieder die Rede davon, dass Enrique sie mit nach Kuba nehmen will.

Ansonsten... sagte ich schon, dass es sich unfassbar toll anfühlt, mit Lidia verheiratet zu sein?

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20. April

Nachdem ich die letzten paar Tage die Guardians Guardians hatte sein lassen – wir fahren zwar noch ganz offiziell auf Hochzeitsreise, aber dass die nicht sofort stattfindet, sollte nicht heißen, dass ich nicht wenigstens ein paar Tage lang eine Auszeit nehmen und mich voll und ganz meiner Frau und meiner Familie widmen durfte – haben wir uns heute alle getroffen (also ohne Febe und Cicerón, versteht sich).

Ximena erzählte, dass ihre Forschungen bezüglich dessen, wie die Magie der heidnischen Gottheiten funktioniert, recht gut voranschreiten. Was genau dabei bereits herausgekommen ist, das sagte sie allerdings nicht, das sei noch zu früh. Stattdessen kam unvermittelt die folgende Frage von ihr: „Hat eigentlich schon mal wer versucht, mit den Outsidern zu verhandeln?“
„Verhandeln könnte schwierig werden“, gab ich zu bedenken, „immerhin wird man ja korrumpiert, wenn man sich zu viel mit denen abgibt.“
Kaum hatte ich das gesagt, fiel mir noch etwas ein. „Wann bekommt man diese Korruption eigentlich? Wieviel Kontakt braucht es dafür, dass man korrumpiert wird?“
Und diese Frage wiederum brachte mich auf noch einen Gedanken, den ich allerdings wohlweislich nicht aussprach: Ist Ximena eventuell selbst bereits korrumpiert? Hat sie sich schon mit Outsidern abgegeben, und wenn ja, wieviel? Wissen wir da etwas darüber? Eigentlich glaube ich es nicht, ich will es aber auch nicht völlig ausschließen. Eventuell etwas, das wir im Auge behalten sollten.
„Naja“, machte Ximena indessen nachdenklich, „vielleicht könnten wir einen Schutzschirm entwickeln, der die Korruption daran hindert, im Gehirn anzudocken?“

Hm. Auch etwas, das wir vielleicht im Auge behalten sollten. Aber für den Moment fassten wir noch einmal zusammen, welche Baustellen und Probleme wir gerade haben: die Outsider natürlich auf der einen Seite und die Fomori im Meer auf der anderen. Bjarkis Versteinerung ist wie gesagt aufgehoben, wenn es auch noch nicht völlig wieder gut ist.
Nun erzählte Bjarki uns auch, was da eigentlich passiert war. Er hatte bei den Outsidern spionieren wollen und hatte gespürt, dass da ein ziemlich mächtiges Ritual am Laufen war, aber dann war da plötzlich diese Zone, die ihn einfangen wollte und der er nicht entkommen konnte, und dann war seine nächste Erinnerung, dass er zuhause wieder zu sich kam und Tage vergangen waren. Er denke aber nicht so gerne daran zurück, sagte er, weil er sonst wieder versteinere.

Außerdem berichtete ich von meinem Einherjer-Problem und der Forderung Odins, dass sie gegen Eleggua antreten müssten, um in Miami bleiben zu dürfen. Die Einherjer selbst dürften schon nicht sonderlich begeistert von der Idee sein – immerhin waren sie ja absichtlich nicht in Walhalla, sondern eben in Heorot, weil sie nicht die klassischen Kriegertypen sind. Und außerdem: zuzulassen, dass Pan gegen Eleggua ausgespielt und damit ziemlich sicher Alex und ich aufeinander gehetzt werden, das kam für uns alle überhaupt nicht in Frage. Aber was tun?
So richtig eine Lösung fanden wir nicht, aber es kamen einige Ideen zusammen. Odin wieder einen Raben beschaffen, um den zu ersetzen, der ihm genommen wurde – und dessen Verlust vielleicht auch dazu beigetragen hat, ihn zu destabilisieren? Oder, wenn Eleggua einen Abgesandten hat und Pan einen Ritter hat, sollte Odin dann vielleicht auch einen Abgesandten bekommen? Und vielleicht ein Turnier zwischen den Fraktionen, um die Angelegenheit auf diese Weise zu klären?

Wie gesagt, das waren alles noch keine wirklichen Lösungen, aber es sind Ideen, über die es sich weiter nachzudenken lohnt.

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22. April

Ach ja. Sagte ich schon, dass unsere Hochzeitsreise nach Südamerika geht? Es soll so eine Mischung werden aus Kultur- und Abenteuerreise und am Ende auch ein paar Tage Entspannung am Strand. Nicht mehr so lange, dann geht es los!

Oh, und unser kleiner Bernhardiner-Welpe hat jetzt auch einen Namen. Caturra heißt sie, wie die kubanische Kaffeesorte. Und Tío, ist dieser Hund niedlich.

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16. Mai

Zur Einstimmung auf die Hochzeitsreise haben wir gestern Abend Totilas' Geschenk eingelöst. Hach. Das war ein richtig schönes Dinner.

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[über mehrere Wochen folgen etliche Einträge zu den Reisevorbereitungen und schließlich über die Hochzeitsreise selbst]

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23. Juli

Wieder zuhause! Ich fühle mich einerseits, als wären wir monatelang unterwegs gewesen, so viele unterschiedliche Eindrücke haben wir gesammelt und so viel haben wir gesehen und erlebt, und gleichzeitig sind die vier Wochen wie im Flug vergangen.

Mal sehen, ob wir dazu kommen, aus den besten Bildern ein Fotobuch zusammenzustellen. Ich werde auf jeden Fall einige ausdrucken und sie im Nachhinein noch ins Tagebuch kleben.

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26. Juli

Die anderen waren auch schwer beschäftigt, während wir auf unserer Reise waren.
Edward hatte mit seinem Detektivbüro zu tun und Zeit mit seinem Bruder verbracht, und er hat Caturra gehütet, weil sich weder Mamá und Papá noch Lidias Eltern mit Hunden so wohl fühlen. Schneeball hat Caturra gleich unter seine Fittiche genommen – Edward hat erzählt, dass Schneeball sich wie der große Leitwolf benommen hat, aber Caturra ist noch ein Welpe, so dass ihr das wohl herzlich egal war.
Roberto und Alex haben ihre Zeit Oshun und Eleggua gewidmet, Alex außerdem seine Village-Kontakte mal wieder etwas mehr gepflegt, und Totilas war mit White Court-Dingen beschäftigt, von denen ich lieber nicht so genau wissen will, was das alles war. Aber offenbar gab es da mindestens einen Zwischenfall mit den Latin Kings... weil wohl anscheinend Totilas damals in der Nacht, als er mit Ares unterwegs war, eine Gruppe Latin Kings aufgemischt hat und das wohl extrem unschön und blutig war. Ay, Dios, ayudame.

Cicerón und Bjarki geht es deutlich besser, Ilyana auch – die hat sich wohl zu einem Großteil in die Everglades zurückgezogen, um ihren Heilprozess zu beschleunigen.
Febe hat sich mit ihrem 'Mitbewohner' Shango auseinandergesetzt, Ximena weiter die Magie der Gottheiten studiert, und Ángel und Dee haben sich gewissermaßen um die 'Alltagsprobleme' Miamis gekümmert. Außerdem hat Dee am Meer ziemlich ausgeklügelte Wards gegen die Fomori hochgezogen, was einerseits super ist, weil es Miami schützt... aber andererseits war Pan zum Teil gar nicht so begeistert darüber. Da musste ich ein bisschen die Wogen glätten, als ich gestern bei ihm war.
Aber grundsätzlich ist bei Pan alles gut gelaufen – unterbewusst hatte ich ja irgendwie schon ein bisschen befürchtet, dass das große Chaos ausbrechen würde, während ich weg bin, aber dem war zum Glück nicht so. Puh.

Mann, Alcazár. Das klingt ja fast so, als würdest du dich bei Pan für unentbehrlich halten. Nimm dich nicht so ernst, bobo.
Zitat von: Dark_Tigger
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[Anmerkung: Diese 'Side Story' schoben wir ein, weil von 5 Leuten nur 3 Zeit hatten, und am zweiten Tag der Wochenendsession sogar nur 2. Der Titel ist ausnahmsweise mal keiner von Jim Butcher.]

Ricardos Tagebuch: La Isla Soñada

4. August

Heute Nacht hatte ich im Traum mal wieder Besuch von George. Aber diesmal kam er nicht nur, um zu plaudern, sondern er hatte ein Anliegen.
Im Traum saßen wir am Meer, mit gutem Blick auf ein Spielzeugboot, das vor der Küste auf dem Wasser lag, und George erzählte, dass Johannes Bonifer verschwunden sei, der Bürgermeister der Heinzelfeen, die wir damals während des Supermondes kennengelernt haben. George interessiere sich für die Trauminsel, die irgendwo vor der Küste liege, aber es sei nicht so leicht für ihn, dort hinzukommen, deswegen habe Bonny angeboten, sich das einmal aus der wachen Welt heraus anzuschauen. Er sei losgefahren, aber nicht wiedergekommen, und jetzt sei das doch schon eine ganze Weile her. Ob ich mich nicht der Sache annehmen könne?

Mierda. Was ist da jetzt schon wieder los? Gleich mal die Jungs anrufen, wann wir uns treffen können.

---

Totilas und Roberto sind bis unter die Nasenspitze eingespannt und können nicht, aber Edward und Alex haben Zeit. Treffen nachher.

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Haha. Als hätte ich es mir nicht denken können. Alex und Edward sind auch schon auf genau diese Trauminsel gestoßen (worden) – oder zumindest sieht uns das schwer danach aus.

Bei Edward war es erst ein Anruf von und dann das Treffen mit einer gewissen Detective Sophie Bonnechance, die wohl – zusammen mit einem Detective Murgatroyd - jetzt neu im SID ist. (Klar, die brauchten ja Verstärkung; irgendwann konnten Lt. Townsend, Suki Sasamoto und Salvador Herero die übernatürliche Polizeiarbeit nicht mehr alleine stemmen.)
Jedenfalls sagte Det. Bonnechance wohl, sie habe als Teil ihrer Einarbeitung alte Akten gewälzt, und dabei sei sie auf einen Fall gestoßen, wo seit 50 Jahren immer mal wieder Schiffe verschwinden, und in letzter Zeit eben auch wieder neue. Das Muster der Koordinaten, auf denen die Schiffe verschwinden, gleiche einem ∞  – es gebe einige Abweichungen von dem Muster, aber nicht so viele, und die seien alle jüngeren Datums. Lt. Book habe einen Vermerk an die Akte gemacht, der nichts weiter besage als „Bloß nicht!!“, aber was solle das heißen? Ob Edward etwas darüber wisse? Wusste er nicht, aber er hat den Auftrag angenommen, sich das als externer Polizeiberater einmal anzusehen.

Ach ja, gerade vor ein paar Tagen habe ich Edwards Detektivbüro ja schon einmal erwähnt – aber habe ich eigentlich auch schon erwähnt, wie er sich dieses Büro letztendlich eingerichtet hat? Ich glaube nicht.
Ich weiß nicht genau, wie ich mir die Arbeitsstätte von „Parsen Investigations. Rituale & Recherchen“ vorgestellt hätte, aber das, was dabei herausgekommen ist, passt tatsächlich zu Edward wie die Faust aufs Auge. Er hat im Garten neben seinem Haus einen dieser Bürocontainer aufgestellt, wie man sie auch öfter mal auf Baustellen findet. Darin ein Schreibtisch mit einem alten schnurgebundenen Telefon, einem Hängeregister für seine Akten, natürlich ein Schreibtisch mit Bürosessel und Besucherstuhl, aber kein PC, nicht mal eine Schreibmaschine. Seine Berichte und dergleichen schreibt er per Hand, und Dallas Hinkle, die vor einer Weile ein freiberufliches Schreibbüro eröffnet hat, tippt sie ihm ins Reine und erledigt auch seine gesamte Buchhaltung.

Alex wiederum hat gestern am späten Nachmittag einen Mann aus dem Wasser gezogen, der in einer Rettungsweste völlig entkräftet in die Nähe von Alex' Hausboot getrieben war. Es war jemand, den Alex kannte (Überraschung – Alex kennt immerhin alle in dieser Stadt), und zwar ein gewisser Noah, der zu James Vanguards Lykanthropenrudel gehört und der erzählte, dass er bei einem von Vanguards Jobs über Bord gegangen sei. Vanguard habe den Auftrag angenommen, den Personenschutz für einen Milliardär namens Caspian Porter zu stellen, während der irgendwo vor der Küste das Schiff des legendären Piratenkapitäns de la Vega heben wollte, weil dieses Schiff, El Corazón Quemado, einen riesigen Goldschatz beherbergen soll. Die Corazón Quemado solle nahe einer gewissen Trauminsel liegen, habe Porter recherchiert, und die wiederum sei „im Auge des Sturms“ zu finden.

Klar. Der Name Caspian Porter sagt uns natürlich was. Wer kennt den Mann nicht? Einer der reichsten Männer der Welt, auch so ein self-made Tech-Guru wie Musk und Bezos und wie sie alle heißen.
Jedenfalls, erzählte Noah Alex weiter, seien Vanguard und ein paar seiner Leute mit Porter auf dessen Yacht hinausgefahren (offenbar heißt der Kahn Slave Two, weil Porter wohl ein riesengroßer Fan von Star Wars ist. Originell.) und in den bösesten Sturm aller Zeiten geraten. Noah sei über Bord gegangen, weil er sich nicht angeseilt hatte, weil er sich von James Vanguard nichts hatte befehlen lassen wollen, und er habe nur überlebt, weil er eine Rettungsweste getragen habe und Vollmond war.

Alex kümmerte sich um den entkräfteten Lykanthropen und verständigte Xynthia Wong, Vanguards Stellvertreterin, bevor er Noah nach Hause brachte.

---

Das Erste, was wir machten, nachdem wir uns gegenseitig unsere Geschichten erzählt und festgestellt hatten, dass wir offenbar gerade aus drei unterschiedlichen Richtungen alle auf dieselbe Sache angesetzt worden sind, war, dass wir im Restaurant 'zum Hirsch' mit Liesel redeten, der Heinzel-Fee, die wir ja von damals auch schon kennen. Sie begrüßte uns sehr herzlich und setzte uns gleich wieder ihren berühmten Karpfen vor, ehe sie erzählte, dass Johannes Bonifer seit dem letzten Vollmond fort sei, also jetzt seit ziemlich genau vier Wochen. Sie wusste von Georges Anliegen und erzählte, Bonny habe mit ein paar Leuten ein Boot umgebaut, damit es mit heinzelmännischer Technomagie (Magotechnik? Es klang jedenfalls alles ziemlich nach Steampunk, was sie da so erzählte) diese Trauminsel würde finden können.
Als Edward nach einer magischen Verbindung fragte, wollte Liesel uns zur Sicherheit nichts von Bonny persönlich geben. Dann etwas vom Umbau des Bootes vielleicht? Ja, da sei eine Gardine übrig geblieben, fiel der jungen Frau schließlich ein, die würde gehen. Außerdem hatte sie noch eine Sternenkarte, auf der sie uns die Richtung weisen konnte, in die Bonifer und seine Leute losgedampft seien, und von der Alex ein Foto machte.

Wieder zurück bei Edward studierten wir die Akten, die Det. Bonnechance ihm überlassen hatte.
Wie die Polizistin schon gesagt hatte, verschwinden seit ca. 50 Jahren Schiffe in einem ungefähren ∞-Muster, fast so, als hätten wir hier unser eigenes Bermuda-Dreieck. Aber offenbar wurde die Sache all die Jahre nicht an die große Glocke gehängt und vom SID nicht weiter verfolgt, vermutlich eben wegen Lt. Books „Bloß nicht!!“-Vermerk. Aber jedenfalls waren es immer so ein bis zwei Schiffe pro Jahr - in jüngster Zeit auch außerhalb des Musters, aber das waren dann wohl eher Fälle, in denen die Fomori Schiffe aufgebracht und versenkt haben.
Das ∞ wirkt jedenfalls, als würde sich die Insel vielleicht bewegen – und wenn dem so ist, dann befindet sie sich vermutlich im Nevernever.

So oder so, von Land aus kommen wir nicht weiter, wir müssen da raus.

---

Alex hat uns ein Boot besorgt. Ein Kumpel von ihm hat einen kleinen Kutter, den er uns für die Fahrt zur Verfügung gestellt hat. Das Boot heißt Shakti, und neben dem Namen gibt es darauf noch jede Menge weiterer Hinweise, dass sein Besitzer oder zumindest dessen Vorfahren aus Indien stammen: eine kleine Ganesha-Statue, Girlanden aus Ringelblumen – offenbar Glücksbringer oder etwas in der Art – und ein signiertes Shah Rukh Khan-Filmplakat an prominenter Stelle im Führerhaus.
Alex' Kumpel – Sunil heißt er – gab ihm noch einige Tips zum Umgang mit der Shakti und wiederholte mehrmals, wie wichtig ihm das Filmposter sei, bevor er uns auf dem Kutter alleine ließ und abzog und wir ablegen konnten.

Jetzt sind wir schon etwa eine ganze Weile gefahren, aber bisher ist von einer Insel noch nichts zu sehen. Von einem Sturm, wie Noah ihn erwähnt hat, auch noch nicht.

---

Oha. Aber jetzt vielleicht. Vor ein paar Minuten sind kleine Wölkchen am Horizont aufgetaucht, und jetzt zieht sich erschreckend schnell der Himmel vor uns zusammen und wird tiefschwarz. Tagebuch weg... das könnte unschön werden.

---

Später. Keine Ahnung, wie spät genau, meine Uhr tut hier nicht.
Hier, das ist diese Trauminsel – wir haben sie gefunden. Aber der Reihe nach.

Ich hatte kaum mein Tagebuch weggepackt und war zu den anderen gekommen, um zu helfen, da brach der Sturm los. In Minutenschnelle wurde die Shakti heftig hin- und hergeschleudert, und Alex hatte alle Mühe, sie durch die turmhohen Wellen zu steuern. Es gelang ihm, aber mehr als einmal krachte die Tür ins Führerhaus auf, so dass Wasser hereinbrach und das Shah Rukh Khan-Poster an der Wand durchnässte. Aber das war uns in dem Moment herzlich egal.

Während der Sturm tobte, bemerkte ich mit einem Mal draußen an Deck eine Gestalt, die sich krampfhaft an der Ankerwinde festklammerte. Ich machte die anderen darauf aufmerksam, band mir ein Seil um (Rettungswesten hatten wir alle schon zu Anfang des Sturms angezogen) und wagte mich hinaus an Deck, während Edward mich sicherte. Kaum war ich aus der Tür, war ich auch schon bis auf die Haut durchnässt, und beinahe wäre ich über Bord gegangen, wenn Edward nicht mein Seil festgehalten hätte.

Die Gestalt war kein Mensch. Oben herum menschlich, aber mit einem Fischschwanz – ein klassischer Meermann also, dem ich jetzt zurief und gestikulierte, er solle ins Führerhaus und in Sicherheit kommen. Hektisch flappte er an mir vorbei und ins Innere, und ich hatte das Gefühl, dass er sich drinnen auffällig fern von mir hielt. Deswegen war es auch Edward, der mit ihm redete:
„Ich bin Edward“, fing er an, „und wie heißt du?“
„Sag ich nich!“
„Okay, Sagichnich, was machst du hier?“
„Das Schiff gehört mir!“

Ja, nein. Alex machte ihm klar, dass die Shakti seinem Kumpel gehört, oder wenn überhaupt, dass der Meermann höchstens den Teil unter Wasser für sich beanspruchen könne, und Sunil der Teil über Wasser zusteht.

Der Sturm gefiel unserem neuen Bekannten nicht. Der sei ganz unnatürlich, kssss. Aber hier drin sei es so trocken. Ich holte ihm einen Eimer, damit er wenigstens seinen Fischschwanz feucht halten konnte, und das nahm er dann auch dankbar, wenn auch weiterhin etwas misstrauisch, an.

Irgendwann hatten wir es durch die wilden Wellen geschafft und erreichten das Auge des Sturms. Hier schien die Sonne, der Himmel war leuchtend blau, und in einiger Entfernung war eine Insel zu sehen. Als wir näher kamen, konnten wir sehen, dass die Insel von Bäumen bewachsen war und dass Vögel darüber hinweg flogen, und am Strand lagen zwei Schiffe: eine Yacht, auf der wir den Namen Slave Two lesen konnten, und ein Boot, das wohl das von Johannes Bonifer und seinen Leuten gewesen sein musste. Dieses Boot war auch tatsächlich bereits ein Stück weit im Ufersand versunken, während die Slave Two noch ganz normal im flachen Wasser ankerte.

Wir ließen den Anker unseres Kutters neben Caspian Porters Yacht ins Wasser und verließen die Shakti – Sagichnich allerdings blieb im Wasser, weil er erstens dem Land nicht traute und zweitens auf das Schiff aufpassen wollte (es – oder wenigstens dessen untere Hälfte – gehöre ja ihm, betonte er).
Während wir an den Strand wateten, drang wir vom Land her leise Musik an unsere Ohren: Es war leise und nicht hundertprozentig zu hören, aber es klang wie die Melodie von Seaside von Diane Warren, Rita Ora, Sofia Reyes & Reik. (Oder zumindest hört es sich für mich so an. Edward sagt, für ihn sei es der Bacardi-Song, und Alex meint, es sei so undefinierbare, in einiger Entfernung spielende Strandmusik.)

Obwohl es hellichter Tag war und die Sonne schien, stand ein Vollmond am Himmel, und uns durchzog ein Gefühl herrlicher Entspannung – relaxter Strandurlaub in Reinkultur. Und der Strand sah so einladend aus, dass ich die Schuhe auszog und dem Gefühl des Sandes zwischen meinen Zehen nachspürte.

Vom Ufer aus konnten wir etliche Leute sehen: James Vanguard und sein Rudel, Johannes Bonifer und seine Heinzelfeen, außerdem zahlreiche andere Personen, in Kleidung ganz unterschiedlicher Epochen, darunter auch Piratenkleidung des 18. Jahrhunderts.

Es kam jemand auf uns zu: eine schöne junge Frau mit bleicher, wirklich kalkweißer Haut und Haaren, dazu ebenso weiße Kleider und volle rote Lippen.
Sie begrüßte uns herzlich als neue Gäste auf der Insel und stellte sich als Legea vor, woraufhin wir ihr natürlich ebenfalls unsere Namen nannten. Dann erklärte sie, sie freue sich sehr, neue Freunde kennenzulernen, und hielt uns auch gleich Begrüßungsgetränke hin. Alex hatte ein Mischgetränk mit Bier, Edward einen süßen Cocktail mit Schirmchen darin, und meiner war säuerlich-fruchtig, aber nicht zu süß, und mir war, als könne ich die Zitrone, mit der die Süße abgemildert wurde, regelrecht riechen. Außerdem war der Drink flambiert: Kleine gebliche Flämmchen tanzten auf seiner Oberfläche, aber als ich davon trank, war das nicht heiß und verbrennend, sondern sehr angenehm und ein bisschen kitzelnd am Gaumen.

Legea plauderte eine Weile mit uns und lud uns ein, uns umzusehen und uns zu entspannen. Und tatsächlich fühlte sich alles hier wunderbar entschleunigt an. Am Abend würden immer Geschichten am Lagerfeuer erzählt, erzählte unsere Gastgeberin dann noch, und sie würde sich freuen, wenn die neuen Freunde heute abend vielleicht auch eine erzählen würden. Na klar, da brauchte sie bei mir sicherlich nicht zweimal anzuklopfen. „Sehr gerne!“

Während ich mit Johannes Bonifer reden ging, der sich freute, mich zu sehen, sich aber auch ziemlich zurückhaltend-respektvoll benahm (vermutlich wegen meiner Position als Ritter des Sommerhofes und weil er denkt, er sei 'nur' ein Wyldfae), sprach Edward mit einem von Vanguards Leuten, einem gewissen Roddy, der offenbar so ein bisschen der 'Clown' des Rudels ist. Er erzählte Edward von der Fahrt der Slave Two durch den Sturm und davon, wie Noah über Bord ging, und dass Vanguard sich sicherlich freuen werde zu hören, dass es Noah gut geht. Außerdem deutete er an, dass Vanguard Edward wohl durchaus mit Respekt bedenkt. Und Roddy erzählte, dass seine Bestie hier auf der Insel trotz Vollmond erstaunlich – und erfreulich – friedlich sei und vielleicht höchstens einmal eine Kokosnuss zerreißen wolle.

Friedlich war das richtige Wort. Die Leute ließen es sich gut gehen: spielten Volleyball, kochten, aßen, unterhielten sich. Caspian Porter, der Milliardär, war der einzige Mensch weit und breit, der aus dem Muster fiel – er saß unter einer Palme, zog ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und brummelte immer wieder Dinge wie: „Langweilig! Laaaaangweilig! Was machen wir hier eigentlich?“
Alex ging zu ihm und zog ihn kurzerhand mit sich, frei nach dem Motto, ob es nicht an Bord seines Schiffes irgendetwas gebe, das sich hier auf der Insel verwenden ließe. Porter sah erst etwas genervt aus wegen der Störung, aber dann sprang er auf den Vorschlag an und erklärte, das sei eine ausgezeichnete Idee, er habe Waffen an Bord. (Das hörte ich natürlich nicht mit eigenen Ohren, das erzählte Alex vorhin).

Zurück von der Yacht kam Porter jedenfalls mit einem mandalorianischen Boba Fett-Helm auf dem Kopf und einem AK-12 und einer Star Wars-Blasterpistole in der Hand. Laut rief er: „Kniet nieder vor mir, ich bin der König der Insel!“ und gab einen Blasterschuss in die Luft ab. Oha – dann funktionierte hier auf der Trauminsel die Attrappe also tatsächlich.
Da sich niemand so recht um das Gehabe des Milliardärs kümmerte, marschierte der zu Vanguard und machte den an, aber der, erstaunlich tiefenentspannt, schaute Porter mit einem „Häh?“ nur verständnislos an. Jedenfalls kniete Vanguard nicht vor Porter nieder, und der Milliardär hatte nichts Besseres zu tun, als mit dem verdammten Star Wars-Blaster auf ihn zu schießen, und der Security-Berater kippte um wie ein Stein.

Während Edward zu dem anderen Lykanthropen eilte (der von dem geträumten Blasterschuss nicht verletzt, sondern nur umgeworfen worden war und sich schon wieder aufrichtete), konfrontierte ich Porter mit einem „Hey, mach mal langsam!“, aber der dachte gar nicht daran, sondern kam auch mir mit seinem „Knie nieder, ich bin der König!“ Daran dachte ich nun allerdings auch nicht im Geringsten, sondern konterte mit „Nein, warum sollte ich?“
Diesmal feuerte Porter auf mich, und ja, der imaginäre Laserstrahl tat tatsächlich ganz schön weh. Verletzt wurde auch ich nicht davon, wie ich einen Moment später sehr erleichtert feststellte, aber auch mich riss der Schuss mit einem schmerzhaften Schlag an der Schulter von den Füßen.

Ich war gerade dabei, mich wieder aufzurappeln und Porter zur Rede zu stellen, da sah ich, wie eine Frau, die klassische Piratenkleidung trug und einen Säbel in der Hand hielt, auf den Milliardär zumarschierte. „He! Was lässt dich glauben, dass du hier irgendwas zu sagen hättest und einfach so die Ruhe stören kannst?“
Porter schoss auf sie, aber sie hielt geistesgegenwärtig den Säbel hin, und der Blasterstrahl wurde harmlos ins Nichts gelenkt. „Scheiß-Jedi!“, knurrte Porter, packte sein Sturmgewehr und feuerte. Aber auch die Kugeln konnte die Piratin mit ihrem Säbel parieren, bis Porter frustriert aufgab – oder besser, bis sein Gewehr leergeschossen war und er grummelnd abzog.

Inzwischen war ich wieder auf den Beinen und ging zu der Piratin hinüber, um sie zu ihren Fechtkünsten zu beglückwünschen. Das Kompliment nahm sie mit einem bescheidenen „Ja, das ging ganz gut“ entgegen und stellte sich dann als Capitán Estrella de la Vega vor Kapitänin der El Corazón Quemado.

Währenddessen unterhielt Edward sich mit Vanguard – Edward sagte danach, Vanguard habe sich gefreut zu hören, dass es Noah gut geht, und er habe auch nochmal bestätigt, dass die Lykanthropen einen Auftrag für Porter angenommen haben und seit ein paar Tagen hier sind. Außerdem habe Vanguard dasselbe gesagt wie dieser Roddy, dass es nämlich so schön entspannt hier sei, dass er höchstens mal seinen Nachtisch zerreißen wolle, sonst nichts.

Ansonsten verging der Rest des Tages tatsächlich sehr friedlich und entspannt. Bonny und seine Leute hatten – aus welchen Materialien auch immer – einen Ofen gebaut, wo sie Pizza backen wollten, und Edward ging ihnen erstaunlich interessiert und engagiert zur Hand. Aber spannenderweise hatte Bonny ihn auch mit einer herzlichen Umarmung begrüßt. Ich half ebenfalls ein bisschen mit, und dann war es auch schon Abend, und alles traf sich zu Pizza, Drinks und Geschichten am Lagerfeuer.
Da mir schon die ganze Zeit die Idee im Kopf herumspukt, auch mal etwas zu schreiben, das nichts mit der Eric Albarn-Reihe zu tun hat, und ich mit dem Gedanken an eine Kurzgeschichtensammlung spiele, wobei das Gerüst für die eine oder andere Kurzgeschichte schon steht, erzählte ich eben genau eine davon. Das klappte auch richtig gut: Alles* hing an meinen Lippen, und die Geschichte hatte einen richtig schönen runden Bogen, und beim Erzählen selbst konnte ich schon das eine oder andere ausfeilen, das in meinem Kopf noch nicht so definiert gewesen war. Ein voller Erfolg also.

Auch unsere Gastgeberin Legea zeigte sich begeistert, und mit einem Mal war sie nicht mehr so kalkweiß, sondern hatte an Farbe gewonnen. Sie wollte gerne noch weitere Geschichten hören, aber nicht mehr heute, denn es wurde ja langsam spät – ein andermal vielleicht? Darauf ließ ich mich gerne ein, denn ein paar Tage werden wir ja wohl hier sein.


*Na gut, fast alles. Caspian Porter hatte ununterbrochen und derart nervtötend genörgelt, dass er irgendwann von Vanguard an einem Baum festgebunden wurde wie der misstönende Barde in den Asterix-Comics. Kommentar Porter: „Sie sind entlassen!“
« Letzte Änderung: 26.12.2022 | 12:36 von Timberwere »
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Morgens.

Gestern abend saß ich noch eine ganze Weile am Feuer und schrieb das alles auf, aber auch als ich damit fertig war, wurde ich gar nicht richtig müde. Also überlegte ich, ob mir der Name „Legea“ etwas sagte, oder besser, woher ich den Namen kannte. Er klingt irgendwie griechisch, ist aber meines Wissens nach nicht Teil des olympischen Pantheons. Dann fiel es mir ein: Pantheon zwar nicht, aber ich meine, der Name sei mir mal als der einer Sirene untergekommen. Sieh einer an. Spannend.

Irgendwann legte ich mich einfach auf den Rücken ins weiche Gras, die Hände hinter dem Kopf, und schaute in den klaren Himmel mit den Myriaden von Sternen und dem leuchtenden Vollmond, und merkte erst da so richtig, wie der ganze Stress fehlte, der sich in der letzten Zeit so aufgebaut hatte. Keine Sorgen um das Wohlergehen Miamis. Keine Kopfschmerzen am Rande des Bewusstseins an diesem einen Punkt, wo es wehtut, hinzudenken. Keine Bauchschmerzen wegen Jak und den Outsidern oder den dämonischen Denarii. Nichts von dem Stress, den das Sommerrittertum doch immer mal mit sich bringt: keine Sorgen um Pan, um die Einherjer. Und auch, so schön und erfreulich er auch sein kann, nichts von dem Stress, der mit dem Elternsein einhergeht – als Eltern rein mundaner Kinder ohnehin schon, aber um so mehr noch als Eltern magisch begabten Nachwuchses. Monicas Feuermagie, Jandras neue Affinität zum Schwert der Morrigan und den Raben, meine Spannungen mit Enrique deswegen...

Nichts davon, und deswegen konnte ich regelrecht spüren, wie die kreativen Funken, die in letzter Zeit doch etwas abgeebbt waren, ohne dass ich das so richtig gemerkt hatte – oder besser, um die ich mich in letzter Zeit vor lauter anderen Dingen aktiv hatte bemühen müssen – hier regelrecht zu sprühen begannen. Während ich so da lag und in den Himmel schaute, kamen mir tausend Ideen für einen neuen Eric Albarn-Roman, und ehe ich es mir versah, hatte ich den Plot zumindest in groben Zügen im Kopf. Siren's Call wird er heißen. (Aber das Projekt 'non-Eric-Albarn' gebe ich trotzdem nicht auf. Da kamen mir auch schon Ideen.)

Vielleicht bin ich dann doch irgendwann eingeschlafen, oder vielleicht döste ich nur, aber irgendwann wurde ich dann wieder voll wach, und weil es ansonsten noch überall ruhig war, habe ich das hier aufgeschrieben. Aber jetzt fangen die Leute langsam an sich zu regen, bestimmt macht bald irgendwer irgendwas zum Frühstück. Nachher mehr, Römer und Patrioten.

---

8. August

Haha. Aus dem 'nachher' wurden zwei Tage. Aber ich komme erst jetzt wieder in Ruhe zum Schreiben. Sorry.

Nach dem Frühstück – Obst und Süßigkeiten, von denen ich mir genausowenig wie bei den Drinks und dem Essen gestern abend größer überlegte, wo sie wohl herkamen – tauchte irgendwann Edward bei mir auf, den ich kurz zuvor noch mit Vanguard hatte reden sehen. „Hier ist irgendein Einfluss“, sagte er ohne größere Umschweife, „diese Musik die ganze Zeit, und ich bin zu entspannt. Es ist Vollmond, aber ich bin viel zu relaxt, um irgendwas zerreißen zu wollen, und Vanguard geht es genauso, hat er eben gesagt. Ich sag dir, hier ist irgendwas los.“

Alex hatten die Heinzelfeen mit Beschlag belegt, und er war vertieft darin, eine Hütte mit ihnen zu bauen. Deswegen machten Edward und ich uns alleine auf zur Mitte der Insel, um einen passenden Ort zu suchen, wo wir herausfinden konnten – naja, wo Edward herausfinden konnte – was genau hier passierte.
Wir fanden eine etwas abgelegene Lichtung, wo Edward einen Kreis ziehen wollte, um sich ganz auf sein Ritual konzentrieren zu können und alle anderen Einflüsse draußen zu halten. Aber er spürte sofort, dass hier eine extrem starke Macht wirkte, die er nicht würde verdrängen können, nicht einmal für kurze Zeit. Deswegen änderte er seinen Ansatz und wirkte das Ritual stattdessen dahingehend, dass es den Einfluss, der hier auf allem lag, lieber visualisierte – das war ganz einfach. Gleich darauf wogte eine türkisfarbene Welle über die Insel, in demselben Takt wie die Musik, die hier unterschwellig überall zu hören ist.

Wobei ich ehrlich bin und sagen muss, dass ich währenddessen gar nicht viel davon mitbekam, was Edward da machte. Eigentlich wollte ich aufpassen, dass niemand kam und uns störte, aber ich hatte schon wieder so viele Ideen, dass ich mich komplett ablenken ließ und vor mich hin träumte.
Wieder in die Gegenwart kam ich zurück, als plötzlich Legea neben mir auftauchte. Sie war mitten durch Edwards Kreis gegangen und hatte den Visualisierungseffekt damit unterbrochen, aber das machte nichts, weil er ja schon gesehen hatte, was er hatte sehen wollen.

Aber wie gesagt, das hatte ich gar nicht so richtig mitbekommen, sondern erst Legeas Stimme direkt neben mir ließ mich aufschrecken. „Ricardo“, sagte sie freundlich, „wie geht es dir? Ich wollte nur noch einmal sagen, wie sehr mir die Geschichte gefallen hat, die du gestern abend erzählt hast.“
Ich bedankte mich, dann unterhielten wir uns sehr angeregt und freundschaftlich, und schließlich fragte ich sie, ob sie tatsächlich eine Sirene sei. Sie erstarrte, und einen Moment lang war ich sicher, jetzt würde sie wütend werden, weil ich es ihr auf den Kopf zugesagt hatte, aber dann war der Moment vorüber, und sie lächelte mich an und gab es zu. Das war ja auch wirklich faszinierend, und ich hatte tausend Fragen an sie, auch und gerade, weil ich ja gestern abend schon beschlossen habe, dass mein nächstes Buch Sirenen zum Thema haben wird, und durch das Gespräch kamen mir noch zig weitere Ideen und nahm die Geschichte festere Formen an. Das erzählte ich auch Legea, und sie freute sich sehr darüber, dass sie quasi meine Muse für den neuen Roman sei.

Dann fragte sie mich, ob ich nicht ihr Ritter werden wolle, aber das lehnte ich ab. Ich bin schon Pans Ritter, und das werde ich sicherlich nicht einfach so aufgeben, und zwei Ritterämter gleichzeitig, das geht nicht.
„Magst du mich?“, wollte Legea dann wissen, woraufhin ich antwortete: „Ja, ich mag dich, aber nicht so.“ Ich hielt meine Hand mit dem Ehering hoch, so dass sie ihn sehen konnte: „Ich bin verheiratet.“ „Wie verheiratet?“ „Sehr verheiratet“, erwiderte ich, „frisch verheiratet nämlich, und ich liebe meine Frau. Und deswegen muss und will ich auch wieder nach Hause.“
Legea machte ein enttäuschtes Gesicht. „Aber doch nicht sofort?“
„Nein, nicht sofort.“
„Ein paar Tage kannst du doch noch bleiben, oder?“
„Naja, ein paar Tage geht sicherlich noch.“
„Ach, das ist schön. Erzählst du dann heute abend wieder eine Geschichte?“
Das sagte ich ihr gerne zu, und daraufhin kam es mir vor, als habe ihr blasses Gesicht noch etwas mehr Farbe angenommen, ehe sie sich fürs Erste verabschiedete.

Natürlich musste ich sofort hinüber zum Ritualkreis und Edward berichten, was ich da gerade in Erfahrung gebracht hatte.
„Ich hab raus, was mit ihr los ist“, informierte ich ihn enthusiastisch, „sie ist eine Sirene. Das ist total spannend! Wir haben uns unterhalten und sie hat mir so viel erzählt und mich so sehr inspiriert, mein nächster Roman ist schon halb fertig im Kopf. Siren's Call wird er heißen!“
„Nur dumm, dass er nie erscheinen wird!“, knurrte Edward, und jetzt fiel mir endlich auf, wie missmutig er dreinschaute und was für giftige Blicke er Legea hinterherschoss. Verstehen tat ich es trotzdem nicht.*
„Hä? Wieso? Wir bleiben noch ein paar Tage hier, aber wenn wir dann wieder zuhause sind, schreibe ich ihn fertig, und dann erscheint er!“
„Mach dir nichts vor“, antwortete Edward grimmig, „wir kommen hier nicht weg!“
„Was? Quatsch! Natürlich kommen wir hier weg. In ein paar Tagen halt...“
Edward schüttelte heftig den Kopf. „Schau dich doch um, guck's dir doch an! Hier ist noch keiner weg, der je hier angekommen ist!“
Ich runzelte die Stirn und überlegte, und ja, jetzt, wo er es sagte... da war etwas dran.
Mierda. Hatte ich mich doch tatsächlich von dieser verdammten Musik hier auf der Insel einlullen lassen!

Wir mussten herausfinden, wo die Musik herkam, und vor allem, wie wir von der Insel wegkommen konnten. Aber nicht nur Alex, Edward und ich, sondern Bonny und Vanguard und alle anderen, die hier gestrandet waren und mitkommen wollten, mussten diese Möglichkeit auch bekommen.
Als der beste Weg, das zu erreichen, erschien es uns, direkt mit Legea selbst zu sprechen.
Ich versuchte, auf unser gutes Verhältnis zueinander aufzubauen, als ich unsere Theorie vor ihr ausbreitete, dass sie die Leute nicht von der Insel weglasse, weil sie sich nach neuen Geschichten sehne und einsam sei.
Edward ergänzte noch, dass hier im Auge des Sturms keine Chance bestehe, andere Sirenen zu treffen, und damit traf er tatsächlich einen Nerv bei Legea. Sie wurde nachdenklich und erzählte uns dann traurig, dass die anderen Sirenen ihre Melodie im Chor zu laut gefunden hätten und sie nicht mehr hätten bei sich haben wollen. Deswegen habe sie sich letztendlich hierher zurückgezogen.
„Wie hat das eigentlich alles angefangen?“
„Mit der Corazón“, erwiderte Legea.
„Und die ging hier an der Insel vor Anker? Wo ist sie denn jetzt? Untergegangen?“
Legea seufzte. „Ich glaube, das sollte ich euch besser zeigen. Das ist leichter, als es zu erklären.“
Sie machte eine Geste, und mitten auf der Insel erschien plötzlich das Wrack eines Segelschiffs aus dem 18. Jahrhundert. Die anderen schauten erstaunt, ließen sich von dem klar übernatürlichen Phänomen aber nicht weiter stören.
„Wo sind denn die anderen Schiffe?“
Ein Zögern von Legea, dann: „Das zeige ich lieber nur euch, nicht den anderen, das könnte sie etwas verstören.“

Wieder wedelte die Sirene mit der Hand, dann befanden wir uns auf einmal auf einer Plattform aus lauter ineinander verkeilten Schiffen unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Bauart. Puta madre, die ganze Insel war nur eine Illusion gewesen! Ich meine, wir hatten ja schon gewusst, dass hier ein übernatürlicher Einfluss wirkte, aber dass wirklich alles eine Illusion war? Mierda.
Alex baute seine Hütte mit nicht vorhandenen Materialien; die jungen Leute spielten Volleyball über einem Netz und mit einem Ball, die beide nicht existierten, und Bonny war dabei, imaginäres Brot zu backen.

Imaginäres Brot. Oh oh. Auf der ganzen „Insel“ gab es nichts zu essen. Und tatsächlich sahen Bonny und seine Heinzelfeen, ebenso wie Vanguard und seine Lykanthropen, schon ziemlich ausgezehrt aus. Alle anderen – das sagte uns Alex, als wir ihn zu uns holten und Legea ihn ebenfalls eingeweiht hatte – waren Geister.
Ja, gab Legea zu, die Leute gingen hier sehr schnell kaputt, deswegen brauche sie ja immer neue.
Verdammt.

Sobald sie die Illusion auch für uns wiederhergestellt hatte, argumentierten wir Legea gegenüber eindringlich, dass sie die Leute gehen lassen müsse: Wenn wir zum Beispiel aus der Insel einen Urlaubsort machen würden, wo die Menschen für eine Woche oder zwei ihre Sorgen vergessen könnten – mit echtem Essen, versteht sich –, dann bekäme sie immer neue Geschichten. Oder, noch besser, vielleicht ließe sich ja eine echte Insel finden, um dieses Urlaubsresort einzurichten?
Dieser Gedanke gefiel Legea aber nicht so gut – sie möge es lieber, wenn die „Insel“ in Bewegung sei.

Jemand anderes aber sprang völlig begeistert auf die Idee an. Irgendwie hatte Caspian Porter uns gehört und fing davon an, das sei seine Idee, und er werde eine Insel finden und das Resort gründen und vermarkten und ein weiteres Vermögen verdienen.

Der Typ nervte. Während er sich in seinen Fantasien erging, zogen Alex, Edward und ich uns zurück, um ungestört und außerhalb von Porters Hörweite nachzudenken.
Bei unserem Brainstorming kamen wir ziemlich schnell auf die Idee, dass ein Kreuzfahrtschiff doch die Lösung wäre: Ständig in Bewegung, und die Gäste wären nur für eine begrenzte Zeit an Bord, aber so lange sie da wären, könnten sie die Entspannung von Legeas Sirenenaura genießen und echte Erholung erfahren. Immer neue Gäste würden immer neue Geschichten für Legea bedeuten – und vielleicht würden manche Leute ja gerne öfter ihren Urlaub an Bord verbringen?

Also zurück zu Legea und der die Idee schmackhaft machen. Nach einigem Überreden und anfänglicher Skepsis erklärte unsere 'Gastgeberin' sich auch tatsächlich dazu bereit – nicht zuletzt, weil Edward sein Argument von zuvor noch einmal aufgriff und anmerkte, dass sie vielleicht endlich wieder andere Sirenen treffen könne, wenn ihr Aufenthaltsort nicht länger getarnt und von einem schweren Sturm unzugänglich gemacht würde. Da zog wieder dieser etwas sehnsüchtige Ausdruck über ihr Gesicht – offenbar machte es ihr doch mehr zu schaffen, aus ihrem Chor ausgeschlossen worden zu sein, als sie das zugeben wollte.
Der Gedanke eines Schiffes gefiel ihr auch deswegen, weil sie möglichst wenig mit George zu tun haben wollte – sie sei eine unabhängige Wyldfae, die sich von George als oberstem Wyldfae von Miami nichts sagen lassen wolle.

Soweit so gut; Legea war also überzeugt. Das Problem war nur: Ich mag zwar durchaus wohlhabend sein, um nicht zu sagen, sogar einigermaßen reich, aber ein Kreuzfahrtschiff kaufe ich nicht einfach mal so.
Aber Caspian Porter! Der zahlt sowas doch aus der Portokasse. Naja, okay, nicht aus der Portokasse, aber leisten kann er es sich problemlos, vor allem, wenn es nicht neu gebaut werden muss, sondern er ein bereits bestehendes kauft und das kein riesiges, hypermodernes Megaschiff ist.

Wenn wir allerdings offen zu ihm gegangen wären und ihm das vorgeschlagen hätten, dann hätte er – so wie wir diesen capullo einschätzen – rundheraus abgelehnt oder untragbare Konditionen gefordert.
Also planten wir, ihn so zu manipulieren, dass er nicht nur mitmachen, sondern auch noch denken würde, es sei seine Idee gewesen, uns dazu zu überreden, dass wir ihn bei dem Plan mitmachen lassen.
Nachdem wir uns gründlich abgesprochen hatten, suchten wir uns einen Ort in Porters Nähe, ließen es aber so aussehen, als seien wir uns gar nicht bewusst, dass er in der Nähe war und hören konnte, was wir sagten. Dann unterhielten wir uns darüber, dass wir ja gehört hätten, dass Porter eine Urlaubsinsel kaufen wolle. Wir müssten ihm zuvorkommen und Legea als Animateurin auf ein Kreuzfahrtschiff holen, dann würde Porter mit seinen Plänen in die Röhre schauen - HA!

Ich hatte schon Angst, wir hätten es übertrieben und Porter hätte uns durchschaut, aber etwas später kam der Milliardär tatsächlich zu uns. Er hätte uns belauscht, und wir könnten das nicht alleine durchziehen, soviel Geld hätten wir gar nicht, wir bräuchten ihn unbedingt als Investor, und im Prinzip sei das ja alles seine Idee gewesen.

Bei den Verhandlungen spielten wir die Scharade weiter. Am Ende hatte er finanziell gesehen den deutlich besseren Deal für sich – Verhandeln ist nicht so wirklich meine Stärke, das übernimmt ja sonst meistens Sheila für mich –, aber die finanzielle Seite war uns (anders, als Porter glauben musste) ja ohnehin nicht so wichtig. Etwas Gewinn wird auch für uns abfallen, und wir müssen nichts draufzahlen, das ist schon mal gut, und die Hauptsache waren für uns ja ohnehin die grundsätzlichen Rahmenbedingungen: ein Kreuzfahrtschiff, auf dem Legea sich wohlfühlt, und auf dem die Gäste nur so lange bleiben, wie sie das möchten, und Legeas Glamour endet, sobald sie von Bord gehen, und natürlich gibt es dort echtes Essen und alle sonstigen Annehmlichkeiten eines Kreuzfahrtschiffs. Und außerdem erreichten wir noch, dass das Schiff unter einer renommierten Flagge fahren und gute Arbeitsbedingungen haben wird – keine Ausbeutung der Angestellten! Zudem war uns wichtig, dass das Schiff zumindest mit Diesel betrieben wird, falls es nicht möglich ist, eines mit Elektroantrieb zu bekommen, aber kein Schweröl-Treibstoff!
Wenn all das passt, dann darf das auch gerne bedeuten, dass wir nicht den großen Reibach daran machen.

Sobald das Geschäft mit Porter in trockenen Tüchern war – gut möglich, dass er versuchen wird, uns über's Ohr zu hauen, aber an Bord seiner Yacht gab es genug Möglichkeiten, die Vereinbarung schriftlich festzuhalten, so dass das, falls er es versuchen sollte, hoffentlich nicht von Erfolg gekrönt sein dürfte –, ging es an die Klärung des genauen Ablaufs.
Legea bleibt auf der Insel, bis alles geregelt und das Schiff zur Abfahrt bereit ist. Das wird nicht über Nacht gehen, sondern sicherlich einige Wochen, oder besser Monate, in Anspruch nehmen, so lange hätten wir nicht überlebt, wenn wir so lange hätten dort bleiben müssen. Deswegen ließ Legea uns Lebende (sprich Vanguard und seine Leute**, Bonifer und seine Heinzelfeen, Caspian Porter und uns) bereits jetzt gehen, und wir versprachen ihr im Gegenzug, im regelmäßigen Turnus freiwillige Besucher samt Proviant auf die Isla Soñada zu schicken, bis das Schiff fertiggestellt ist.

Danach verlief die Rückfahrt beinahe ereignislos. Es hätte zu viel Mühe bedeutet, Bonifers Boot aus der Verkeilung mit all den anderen Schiffen zu lösen, aber Porters Slave Two war noch segeltauglich, und der Kutter, mit dem wir gekommen waren, sowieso.

Porter weigerte sich, Vanguard auf seine Yacht zu lassen, also fuhr der mit uns. 'Sagichnich', der Meermann, hatte indessen tatsächlich keinen Unsinn auf der Shakti angerichtet, sondern mit einiger Ungeduld auf uns gewartet. Und nicht nur er zeigte sich heilfroh, als wir aus dem Sturm und damit aus dem Einflussbereich der Insel wieder herauskamen und Miamis Küste sich wieder näherte. Wobei – ich weiß auch nicht, ob Legea irgendetwas tat, damit wir leichter durch den Sturm kamen, oder ob es an etwas anderem lag, aber auf dem Rückweg wurden wir nicht ganz so arg durchgeschüttelt wie auf dem Weg zur Insel. Genug zu tun für Alex am Steuer und für uns andere, die ihm helfend zur Hand gingen, gab es trotzdem immer noch.

Im Sturm hatten was es uns wegen der ganzen Arbeit nicht so aufgefallen, aber sobald wir die Schlechtwetterzone hinter uns gelassen hatten, merkten wir, dass Legeas Entspannungsaura von uns gefallen war und die Alltagssorgen uns wieder voll im Griff hatten. Aber ich mag es nicht, wenn man mir im Kopf rumpfuscht, deswegen war ich eigentlich sogar dankbar dafür, als sich alles wieder normal anfühlte.


*erst später gestand mir Edward in Andeutungen, dass er tatsächlich sowas wie eifersüchtig geworden war, weil sein bester Freund sich so viel mit Legea abgegeben hatte statt mit ihm, dass es dieser Stich der Eifersucht ihm aber möglich gemacht hatte, den Einfluss der Insel abzuschütteln.

**mit einer Ausnahme. Vanguards einer Mitarbeiter, dieser Roddy, wollte nicht wieder aus Legeas Einflussbereich weg, weil seine innere Bestie in ihrer Gegenwart so wunderbar entspannt sei und er nie wieder die Lykanthropenwut spüren wollte. Also blieb er dort: Wir ließen ihm den Proviant von der Slave Two da, und wenn die ersten Freiwilligen auf die Insel fahren, nehmen die ja auch wieder Vorräte mit.

---

Ach ja. Ganz vergessen. Porter hat auch schon einen Namen für das Kreuzfahrtschiff.
Oder genauer gesagt, die Idee hatte ich, Himmel steh mir bei, aber ich hatte sie eigentlich nur als abstruse Schnapsidee in den Raum geworfen und sofort wieder abgetan. Dass Porter so darauf abfahren würde, das konnte ich ja nicht ahnen. Oder vielleicht hätte ich es ahnen können, ich Idiot?
Jedenfalls: Choruscent.
Denn Porter ist ja Star Wars-Fan, aber für den Original-Namen 'Coruscant' wären garantiert die Rechte viel zu teuer, und außerdem: Chorus wie Chor wie Musik wie Sirene. Haha.
Ich finde es herzlich albern, aber wenn er meint.
« Letzte Änderung: 26.12.2022 | 12:51 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Bloß daß du weißt, daß ich immer noch mitlese. :)

Allerdings verliere ich mal wieder etwas den Überblick. Sehe ich das richtig, daß sich der Hauptplot gerade auf diese "Outsider" konzentriert?
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Bloß daß du weißt, daß ich immer noch mitlese. :)

Das freut mich! :)

Zitat
Allerdings verliere ich mal wieder etwas den Überblick. Sehe ich das richtig, daß sich der Hauptplot gerade auf diese "Outsider" konzentriert?

Ja, das ganz lange Langzeitziel wird es wohl sein, die Outsider loszuwerden. Allerdings haben die Jungs, wie sich in "Cold Days" zeigen wird (ich bin schon am Schreiben, aber bis ich den ersten Eintrag dazu fertig habe, wird es wohl noch ein bisschen dauern) auch gerade mit den Auswirkungen von Jaks Mord an Loki und einem extrem wütenden Odin zu schaffen. (Ragnarök, anyone?) Plus Schwarzvampire. Hach. Spaß.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: Cold Days 1

10. September

Ich habe mit Siren's Call angefangen. Zu meiner Freude stelle ich fest: Es läuft richtig gut!
Ansonsten ist es gerade angenehm ruhig in der Stadt, fast schon verdächtig ruhig. Herrlich viel Zeit, die wir als Familie verbringen können – und damit, Caturra zu erziehen. Die Kleine ist unfassbar niedlich und eine Seele von Hund, aber sie ist ein Bernhardiner. Man kann förmlich dabei zusehen, wie sie wächst.

Aber da ist etwas, das wir bei aller momentanen Ruhe durch unsere Verbindung zu Miami spüren können: Bei Spencer Declans Villa ist wieder mehr Betrieb. So richtig können wir da ja nicht hindenken, aber dass da jetzt mehr Leute ein- und ausgehen, das merken wir trotzdem. Wir haben außerdem gehört, dass Pater Donovan wieder in der Stadt ist. Aktiv in einer Gemeinde arbeitet er wohl noch nicht wieder, aber er ist weiterhin Priester. Die offizielle Lesart ist wohl, dass er eine längere Auszeit in einem Kloster verbracht hat und sich erst wieder akklimatisieren muss.

Mierda. Irgendwie müssen Declan und er aus ihrem Gefängnis rausgekommen sein. Ich hätte nicht gedacht, dass das geht. Aber möglicherweise hatte Fräulein Rottenmeier da ihre Finger im Spiel... Das ist zumindest die einzige Erklärung, die uns einfällt. Wer, wenn nicht die Herrin der verschlungenen Wege, findet sonst einen Ausgang aus eigentlich sicheren Gefängnissen.

Während bei Declans Villa wieder mehr Betrieb ist, halten Jak und Adlene gerade erstaunlich still. Ich will nicht wissen, was die planen – oder wie groß der Klumpen Exkremente sein wird, der den Ventilator trifft, wenn sie wieder auftauchen –, aber es gibt nicht so wirklich etwas, was wir tun können, um in diese Richtung vorauszuplanen. In Sachen Declan und Donovan können wir ja auch nicht wirklich vorausplanen. Nur abwarten und die Augen sehr weit offenhalten.

Cicerón und Febe sind immer noch vor allem damit beschäftigt, sich um Shango zu kümmern und darum, wie man dem Orisha wieder einen eigenen Körper beschaffen kann. Und Cicerón ist auch immer noch nicht wieder völlig auf dem Damm – er hat zwar übernatürliche Heilungskräfte, aber die Verletzungen, die er erlitten hat, heilen auch bei ihm nicht so schnell.

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28. Oktober

Pan hat neue Einherjer, hat Halfðan erzählt. Selbst begegnet bin ich ihnen noch nicht, weil sie sich bisher noch nicht unter Halfðans Truppe gemischt haben. Halfðan sagte, er habe den Eindruck, dass Pan gar nicht so genau weiß, warum die Neuen jetzt eigentlich bei ihm sind, aber dass Odin sie wohl zur Verstärkujng geschickt habe und dass sie sich bereithalten sollen. Für was genau sie sich bereithalten sollen, konnte Halfðan nicht sagen; momentan haben sie (also die Einherjer aus Heorot genau wie die Neuen) keine direkte Order von Odin erhalten, jemanden anzugreifen. Aber die Neuen halten sich offenbar von den Helheim-Touristen fern – und das sei auch gut so, denn, so warnte mich Halfðan, einige von den Neuen seien Berserker, verfügten also im Kampf über die Wut eines Bären.

Halfðan gab mir auch den Rat, die Neuen möglichst weiter von den Helheim-Touristen getrennt zu halten... und falls es mir möglich wäre, solle ich am besten Hel davon überzeugen, doch eine andere Stadt als Miami für die Ausflüge zu wählen. Es gebe da doch bestimmt auch andere hübsche Orte, die sich als Ausflugsziel lohnen.

Ich sagte, ich würde es versuchen, sobald ich mal wieder mit Haley spreche... wann auch immer das sein wird. Ich könnte mir vorstellen, das wird vielleicht ein bisschen schwierig, aber versuchen will ich es.

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2. November

Das war doch mal eine angenehme Überraschung. Halloween und der Dia de los Muertos waren erstaunlich ruhig; kein Vergleich mit den letzten Jahren. Die Barriere zwischen den Welten blieb stabil, und wir hatte nur die ganz normalen Toten zu Besuch. Dass es keinen Ärger gab, so wie in den letzten Jahren immer, war eine große Erleichterung. Trotzdem... auch normale Totenbesuche machen Arbeit, und wir waren jetzt fast 24 Stunden lang auf den Beinen. Gute Nacht.

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3. November

Alex hat uns angerufen. Der hat wohl Neuigkeiten – was für Neuigkeiten genau, wollte er am Telefon nicht sagen. Nachher mehr.

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Später.

Es war Eleggua. Heute Morgen saß der Orisha an Alex' Bett, als unser Kumpel aufwachte, und hatte eine mit nordischen Runen beschriebene Pergamentrolle in der Hand, über die Alex sich schlau machen sollte. Also ging Alex mit Bjarki reden (der übrigens nach seiner Begegnung mit den Denariern immer noch unter einer Art posttraumatischen Belastungsstörung leidet – in fliegende Wesen verwandeln beispielsweise wäre gerade ein übler Trigger für ihn und keine gute Idee) und erfuhr von dem Isländer, dass der zwar eigentlich recht gut Runen lesen kann, dass der Text auf diesem Pergament aber hochgradig verschlüsselt war. Also nicht verschlüsselt mit Zahlen oder Symbolen oder einem verschobenen Alphabet, aber mit Umschreibungen. Verblümt und in Andeutungen – solche Dinge wie zum Beispiel 'dann wirst du mir wohl noch Erbsen mit Salz zu essen geben' als Umschreibung für 'dann werde ich auf deiner Beerdigung sein' und dergleichen – forderte Odin von Eleggua so ziemlich die ganze Stadt als Tribut für Lokis Tod.

Magische Artefakte, Gold, Frauen, Krieger – eben, wie gesagt, quasi die ganze Stadt, und zwar auch Dinge, die Eleggua gar nicht geben kann, und von denen Odin garantiert auch weiß, dass Eleggua sie gar nicht geben kann. Der hauchdünn verschleierte Vorwand eines Ultimatums, mit anderen Worten. Ein konkreter Termin für die Erfüllung von Odins Forderungen, eine Deadline, steht allerdings nicht darin.
Alex weiß schon, dass, wenn er das an seinen Patron weitergibt, der nicht zustimmen wird – es sei denn, er kann Odin bei der Sache irgendwie verarschen, aber wahrscheinlich sagt er einfach kalt lächelnd nein.

Edward wiederum hat sich in letzter Zeit viel um Cassius gekümmert, damit der nicht auf die schiefe Bahn gerät. Also nicht, dass diese Gefahr so übermäßig groß gewesen wäre, aber passieren kann es immer, siehe Enrique, und Edward wollte einfach Zeit mit seinem Bruder verbringen, für ihn da sein. Außerdem studiert er viel seine Ritualmagie und hat Sophie Beaumont seine Dienste als Berater bei den alten Fällen angeboten, mit denen sie sich beschäftigt.
In dem Zusammenhang lernte Edward auch den neuesten Neuzugang beim SID kennen, einen jungen Mann namens Detective Murgatroyd. Das war auch schräg, erzählte er: Detective Murgatroyd starrte ihn die ganze Zeit lang durchdringend an, aber erst löste das lange gar keinen Soulgaze aus. Dann jedoch schauten sich die beiden doch in die Seele, und Edward sah den Cop, der haargenau so aussah wie in der echten Welt und ganz ruhig dastand, während um ihn herum ein unfassbares Chaos herrschte und zahllose Dinge auf ihn einstürmten. Auch eine Art Feuerwesen war da neben Murgatroyd zu sehen und winkte Edward freundlich zu. Edward allerdings war ziemlich überwältigt von der schieren Masse, die er da sah, bevor er aktiv mit einem kräftigen Stoß weggeschoben und der Soulgaze endete. Draußen sah Detective Murgatroyd betreten zu Boden. „‘Tschuldigung, das war jetzt blöd. Das passiert manchmal.“
Von dem, was er in dem Soulgaze bei Edward gesehen haben mochte, schien er jedenfalls nicht im Geringsten erschrocken oder auch nur überrascht.
Auf die Frage „Ist das normal bei dir?“ bekam Edward ein „Ja“ zur Antwort.
„Kann ich mir nicht als praktisch vorstellen“, kommentierte er.
„Ist es nicht, aber so ist es halt, ich kann es nicht ändern.“
„Einfach den Leuten nicht so viel in die Augen schauen?“
„Ja…“, gab Detective Murgatroyd zu, „normalerweise ist das für mich leichter, ich muss nur ein bisschen aufpassen. Aber gerade war ich nervös, weil ich dich getroffen habe, ich habe viel von dir gehört.“
 „Was hast du denn bei mir gesehen?“
„Die Bestie?“ antwortete Murgatroyd in einem verwunderten Tonfall, frei nach dem Motto, wie Edward nur so dumm fragen könne.
„Und das erschreckt dich nicht?“, schoss Edward zurück, aber der junge Cop schüttelte nur den Kopf. „Nee. Da habe ich schon weit Schlimmeres gesehen.“
Ooookay. Das erklärt vielleicht, warum er so abgebrüht ist, aber nicht, was da die näheren Umstände sind, dass ihm das so häufig – und was das für schreckliche Soulgaze-Partner sind, die er da immer sehen muss.

---

14. November, nachmittags

Eben ist etwas Schräges passiert. Oder besser, etwas ziemlich Beunruhigendes. Gestern abend schrieb ich gerade noch etwas an Siren's Call, da bin ich über meinem Schreibtisch eingenickt. Im Halbschlaf hatte ich erst eine ziemlich coole Idee mit im Zeitraffer aufblühenden und verwelkenden Magnolien, die ich dringend in das Buch einbauen möchte, ich muss nur noch überlegen, wie, dann tauchte plötzlich George neben dem Magnolienbaum auf. „Ich schulde dir zwei Gefallen“, begann er unvermittelt, „und einen davon will ich einlösen, indem ich dir etwas erzähle.“
„Erzähl“, forderte ich ihn auf, also sprach er weiter: „Manche Leute sind empfindlich für die Schwingungen der Zeit und das, was noch kommt. Und viele von diesen Leuten träumen gerade von einem Winter, wie er nicht nach Miami gehört: von Eis und Schnee und von klirrendem Frost.
„Weißt du, wann dieser Winter kommen soll?“, fragte ich besorgt, denn George würde mich nicht belügen, und um sich von einem der beiden Gefallen zu befreien, würde er auch nichts Triviales auswählen. Aber leider konnte er nicht sagen, wie lange es noch bis zu diesem Winter dauern würde, eben nur, dass die Wahrsagebegabten der Stadt häufig davon träumten. Mierda.

Und, doppel-Mierda., als ich gerade mit Caturra draußen war – es ist meine Aufgabe, sie zu trainieren und mit ihr Gassi zu gehen und all diese Dinge, zumindest die meiste Zeit über, wenn ich nicht gerade verhindert bin –, bildeten sich da tatsächlich Atemwolken in der kühlen Morgenluft. Sie waren bald verschwunden, als die Sonne höher stieg, aber dennoch: Dass es kalt genug ist, damit Kondenswolken entstehen können, ist tagsüber – ich habe es gerade eben nachrecherchiert – zuletzt am 19. Februar 1900 passiert, und auch da lag die Temperatur gerade an der Grenze für Kondenswolken, nicht darunter. Morgens hat es so niedrige Temperaturen schon gegeben, aber nur sehr, sehr selten.

Ich habe eben auch schon mit den Jungs telefoniert – das klingt eilig, also wollen wir uns nicht morgen erst, sondern gleich nachher noch treffen. Abendessen und Kriegsrat, die perfekte Kombination oder so. Totilas kann allerdings so kurzfristig nicht, der ist mit White Court-Dingen beschäftigt. Den wollen wir dann morgen briefen.

---

im Auto, in Eile.

Die Jungs haben tatsächlich auch schon bemerkt, dass Kälte in der Luft liegt.

Zwei Fragen. Erstens, wie können wir die Einwohner Miamis vor dem kommenden Winter warnen, und zweitens, wo kommt dieser Winter auf einmal her? Wer schickt ihn? Hat das etwas mit Odins völlig unrealistischen Forderungen an Eleggua zu tun?

„Wisst ihr, was der Unterschied zu sonst ist?“, sinnierte Edward, „Wir werden gewarnt. Normalerweise fällt uns sowas ohne jede Warnung auf die Füße.“
In dem Moment, die Dunkelheit war gerade hereingebrochen, spürten wir, wie am South Beach etwas erwachte. Etwas sehr Altes, Totes, das sehr lange geschlafen hat, aber jetzt aufgewacht ist und Hunger hat.

Natürlich sind wir sofort los, Alex wie immer am Steuer, und ich habe das hier hingekritzelt. Die anderen Guardians wissen auch schon bescheid.

---

Gleich da. Sirenengeheul, Leute in Panik. ¡Dios en el cielo, protégenos!
« Letzte Änderung: 10.09.2023 | 21:00 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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15. November

Uns geht es größtenteils gut. Nur Edward ist etwas angeschlagen, aber nichts allzu Schlimmes, zum Glück.

Als wir ausgestiegen waren, mussten wir uns erst ein Stück gegen den Strom der flüchtenden Menschen kämpfen. Von vor uns kamen Schreie, was uns noch schneller werden ließ.

Am Strand stank es für Edwards feine Lykanthropensinne nach Blut und Angst. Die meisten Leute waren bereits weggerannt, aber da lagen zahlreiche Tote und Verletzte: Ein junger Mann, förmlich zerfetzt, mehrere junge Frauen, die leblos auf dem Bauch lagen, eine andere junge Frau, die vor Schmerzen schrie, Verletzungen ganz unterschiedlichen Grades. Und auch etliche Leute, die überhaupt nicht verletzt schienen – körperlich jedenfalls nicht, aber das seelische Trauma, das sie erlitten hatten, war an ihrer Apathie und ihrem leeren Blick deutlich zu erkennen.

Die Präsenz des Wesens entfernte sich sehr schnell von uns, nach Süden, zum Südende von South Beach an der Landseite – es musste wohl fliegen, anders konnten wir uns das nicht erklären.
Wir eilten zum Auto zurück und fuhren dem Etwas hinterher.
Alex schaltete das Radio ein, und auf dem Lokalsender, den er gerne einstellt, lief gerade schon ein Bericht über einen schrecklichen Angriff: offenbar ein Einzeltäter, ein Weißer, und es seien keine Schusswaffen im Spiel, sondern möglicherweise Hiebwaffen? Aber so klar sei das nicht, die ganze Situation noch sehr undurchsichtig, und selbstverständlich werde man die Hörerschaft weiter auf dem Laufenden halten.

An diesem zweiten Punkt, der Gesu Catholic Church, der ältesten Kirche Miamis, hielt das Etwas sich eine Weile auf und bewegte sich dann weiter in Richtung der Keys – und dann verschwand es, als es die Grenze unseres Bewusstseins für Miami erreicht hatte.
Als wir an der Gesu-Kirche ankamen, fanden wir auch hier wieder zahlreiche Tote vor, auch hier wieder vor allem junge Frauen, auch hier wieder mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und zwar mit voller Absicht so hingelegt, nicht etwa auf den Bauch gefallen, denn die Angriffe waren alle von vorne geschehen.

Entsetzt-aufgeregte Stimmen kamen aus der Kirche, in der etliche Menschen Zuflucht gefunden hatten. Natürlich gingen wir hin, um zu erfahren, was geschehen war, und eine ältere Dame erzählte uns, dass sie gerade von der Andacht gekommen sei und draußen vor der Kirche vier junge Touristinnen gesehen habe, die bester Laune waren und Fotos schossen, und dann sei dieser tot aussehende Mann aufgetaucht, der die Mädchen angegriffen und drei von ihnen aufgeschlitzt und auf den Bauch gedreht habe. Die alte Dame und die vierte Touristin seien in die Kirche geflohen, und dorthin habe der Mann ihnen nicht folgen können, denn seine Füße hätten angefangen zu rauchen. Der Mann habe Spanisch gesprochen, aber ein altertümliches Spanisch, das sie nicht richtig verstehen konnte, irgendwas von ‚Sünde‘ wohl.

Andere Zeugen hatten mehr von dem verstanden, was der tot aussehende Mann von sich gegeben habe: „Die Sünde ist in die Stadt gekommen, die Stadt ist dem Tod geweiht – ich bin ihre letzte Rettung.“
Auch konnten Zeugen beschreiben, was sie zwar gesehen hatten, aber kaum glauben mochten: Der Mann sei aus der Luft gefallen, auf dem Boden aufgekommen und habe unter ständigem Brabbeln eben von ‚Sünde‘ und ‚Rettung‘ seine Angriffe begonnen – so gut wie ausschließlich auf leicht bekleidete junge Leute.

Ein Mann, mit dem Roberto sich unterhielt, hatte eine riesengroße Fledermaus gesehen, die sich aber ungewöhnlich verhielt – er beschäftigte sich offenbar hobbymäßig viel mit Fledermäusen, und diese war nicht nur viel zu groß gewesen, sondern habe auch komische Muster geflogen und sei nicht auf dem Turm gelandet, wie Fledermäuse das üblicherweise täten. Auf dem Turm waren auch tatsächlich keinerlei Spuren von Fledermäusen, geschweige denn von Riesenfledermäusen, zu finden.

Währenddessen rief Edward bei Alison Townsend an, um sie und den SID über die Ereignisse zu informieren. Lt. Townsend war schon im Bilde – die Telefone klingelten unaufhörlich, und sie hatte auch eigentlich keine Zeit, aber direkt, nachdem sie aufgelegt hatte, schickte sie Edward ein Foto von einer Überwachungskamera gegenüber der Kirche. Darauf zu sehen war ein alter, in Fetzen gekleideter und tatsächlich irgendwie verfallen aussehender Mann mit glühenden Augen – ein Black Court Vampir vielleicht?
Sarkos konnte es allerdings nicht sein, der hatte, als wir ihm damals bei der Sache mit den Sturmkindern begegnet waren, nicht tot gewirkt, und außerdem hat Sarkos auch nicht ewig geschlafen.

„Wenn das ein Black Court war“, brummte Edward, „dann hat der sich gerade eben seine ersten Truppen erschaffen.“
Denn Menschen, die am Biss eines Schwarzvampirs sterben, stehen als Vampire wieder auf, wusste Edward – und am South Beach hatten wir ja tatsächlich ein Opfer gesehen, das sich noch bewegt hatte. Noch… oder schon wieder?

Das einzig Gute daran, fiel Edward auch noch ein: Baby-Schwarzvampire können noch nichts, außer unstillbaren Hunger auf Blut haben und Leute zerfetzen wollen. Auch ihren Vampirismus geben sie nicht weiter, wenn sie jemanden beißen – das tun nur die Meistervampire. Die allerdings können zaubern, sich in Tiere und Nebel verwandeln… das volle Dracula-Programm eben, wie Bram Stoker es in seinem Roman beschrieben hat.

Edward hatte gerade noch einmal bei Alison angerufen. Aber weiter als „wir haben ein Vampirproblem“ kam er nicht, da ertönten wie auf das Stichwort Schreie aus der Richtung des Krankenwagens, in dem die drei toten Touristinnen abtransportiert werden sollten. Eine der drei jungen Frauen hatte sich im Arm des Sanitäters verbissen, den dieser offenbar in letzter Sekunde hochgerissen hatte – von ihm kamen die Schreie.

Ich rannte zu dem Krankenwagen und legte meinen patentierten Sonnenlichtzauber über den Kirchenvorhof. Der ist mir inzwischen derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich dafür nicht mal stehenbleiben musste. Und der Zauber hatte den erhofften Effekt: Die drei Neuvampirinnen zischten schmerzerfüllt auf und wollten nichts dringender als raus aus dem Licht. Eine von ihnen – eine Rothaarige – kroch unter den Krankenwagen (eigentlich ja inzwischen eher Leichenwagen, aber ich vermute, wer auch immer 911 angerufen hatte, hatte gedacht, sie wären vielleicht noch zu retten), die zweite sprang durch die offene Tür in das Auto hinein, und die dritte kroch eilig zur Kirche. Dort kam sie aber nicht hinein, also krabbelte sie panisch weg.
Roberto wollte auf sie einschlagen, traf aber nicht, weil sie sich schneller bewegte, als er gedacht hatte, und so griff sie nach ihm, anscheinend, um ihn als Schattenspender zu benutzen, aber diesem Angriff konnte Roberto wiederum ausweichen, und so kroch die Vampirin hektisch weiter, während erste Rauchschwaden von ihr aufstiegen. Und das alles wiederum reichte, damit die ersten Umstehenden in Panik gerieten.

Alex war indessen in der Kirche und baute aus einer Sprühflasche für Pflanzen eine improvisierte Weihwasser-Spritzpistole, während er sich der hektischen Fragen der Menschen erwehrte, die natürlich wissen wollten, was in aller Welt draußen los sei. Alex aber ignorierte die Leute und sprang auf den Fahrersitz des Krankenwagens.

Edward rammte sein Handy in die Hosentasche, rannte zu Roberto und griff dessen Gegnerin an. Die wollte nun Edward als Schattengeber packen, aber auch Edward konnte sich diesem Angriff widersetzen.

Ich wiederum richtete nun einen gezielten Sonnenstrahl auf die rothaarige Vampirin unter dem Krankenwagen, dem sie versuchte auszuweichen, indem sie sich davor wegrollte. Dabei allerdings kam sie unter dem Fahrzeug hervor und genau in das Sonnenlicht hinein, das auf dem Kirchenvorplatz lag, und so nahm sie davon einige unschöne Brandwunden.

Während Roberto seine Gegnerin mit dem Brecheisen, das er seit einer Weile immer zu unseren Einsätzen mitnimmt, von den Füßen fegte, begann die dritte Vampirin, die sich ja innerhalb des Krankenwagens befand, sich zu verwandeln. Aber als gerade neu erschaffene Black Court klappte das nicht auf Anhieb, und so rannte Alex zu dem Fahrzeug und spritzte Weihwasser hinein. Die Vampirin selbst traf er in der Hektik nicht dabei, aber immerhin war das Innere des Gefährts nun von Weihwasser benetzt.

Edward trat derweil auf die am Boden liegende Vampirin, aber er traf sie nicht richtig, und er merkte auch, dass ihr das Wenige, das er ihr mit diesem Tritt beifügte, rein gar nichts ausmachte – offenbar war sie nur von Magie so wirklich verwundbar.

Ich versuchte, einen Sonnenstrahl gleich auf beide Vamprinnen zu richten: diejenige, die eben unter dem Auto herausgekommen war, und diejenige, die sich bei Edward und Roberto befand. Das gelang mir auch, und beide Black Courts begannen nun, lichterloh zu brennen, aber in der Aufregung hatte ich einiges mehr an Sommermagie hochgerufen, als ich das normalerweise tue, und von der Anstrengung geriet ich ins Taumeln. Besser nicht mehr so viel Magie nutzen fürs Erste!

Deswegen wandte ich mich dem Sanitäter zu, der mich panisch ansah, am Arm packte und flehte: „Erschießen Sie mich, ich will kein Zombie werden!“ Aber da musste ich gar nicht lange überlegen, um zu wissen, dass es keine, wirklich keinerlei, Chance gab, dass der Mann zum Vampir werden würde, denn er war ja nicht von einem Meister gebissen worden, sondern von einer frisch erschaffenen Black Court. Es gelang mir auch, ihn dahingehend zu beruhigen, dass alles gut sei und er nicht zu einem Zombie mutieren würde.

Die dritte Neuvampirin befand sich ja noch im Krankenwagen. Roberto verkeilte die Tür schnell mit seinem Brecheisen, um sie am Herauskommen zu hindern. Aber sie hatte inzwischen die Gestalt gewechselt, und so sah der auf dem Fahrersitz befindliche Alex im Rückspiegel eine große Fledermaus, die heftig gegen die Trennscheibe zum Führerhaus donnerte. Der Aufprall war so heftig, dass die Scheibe splitterte und bald brechen würde.

Eilig wickelte Edward das Kreuz an einer Halskette, das er dabei hatte, um seinen Handschuh. Die provisorische heilige Waffe würde nicht lange halten, aber für einen Schlag würde es reichen.
Er rannte zu Alex und rief: „Zur Kirche!“
Dann räumte er mit Stentorstimme und seiner ganzen Autorität als Ex-Cop die Menschenmenge zur Seite, während Alex den Krankenwagen die Kirchentreppe hinauf und in das Gotteshaus lenkte.
Ein letztes Mal pockte die übergroße Fledermaus an die innere Scheibe, dann fuhr Alex über die Schwelle, und die konnte die Vampirin nicht übertreten. Also wurde sie im Wageninneren erst nach hinten und dann mit voller Wucht durch die Tür und ins Freie gerissen, wo sie zu rauchen anfing, weil die Szenerie noch immer von magischem Sonnenlicht erhellt war.

Draußen schmetterte Roberto die Vampirin zu Boden und wollte sie mit seinem Brecheisen niederhalten. Der Hobby-Fledermauskundler, mit dem Roberto sich vorher unterhalten hatte, kam neugierig näher und wollte sich das riesige Exemplar ansehen, aber unser Kumpel trieb ihn mit einem „Weg da, die ist gefährlich!“, in das er all seine Ritter-Autorität legte, zurück.

Derweil wurde Alex in der Kirche von dem völlig überforderten Pfarrer angeschrieen, der offenbar bei all den Toten und all dem Chaos in dem Fahrzeug, das da plötzlich in seiner Kirche stand, das einzige sah, das er einigermaßen kontrollieren konnte: „Sie können doch hier nicht einfach reinfahren!!“
Aber Alex hatte ohnehin das erreicht, das er hatte erreichen wollen, und setzte langsam und vorsichtig wieder zurück.

Edward schlug mit seinem magischen und mit dem Kreuz versehenen Handschuh auf die Fledermaus ein, aber so richtig beeindruckte er die Neu-Vampirin nicht damit. Auch Roberto schlug mit seinem Brecheisen noch einmal zu, doch sein Hieb zeigte noch weniger Wirkung. Ich schnappte mir die Flasche mit dem Weihwasser, die da noch lag, und besprühte die Black Court, die zischte und dem Strahl auswich und dann offenbar so hungrig und verzweifelt war, dass sie auf mich lossprang und die Verbrennungen in Kauf nahm, wenn sie nur fressen konnte. Beinahe hätte sie mich auch übel erwischt, aber in letzter Sekunde machten sich meine vielen Ritter-Übungen mit Elaine doch bemerkbar, und ich konnte gerade noch zur Seite springen.

Edward packte die Vampirin und wollte sie über die Schwelle der Kirche ziehen. Kurz sah es so aus, als würde auch dies nicht klappen, aber dann machte er sich gezielt angreifbar, unwiderstehlich für ihren unstillbaren Neugeschaffenen-Hunger. Edward bekam einen schmerzhaften Biss ab, aber den ignorierte er und rannte mit der Vampirin zum Kircheneingang.
Alex, der das vom Krankenwagen aus sah, griff sich eine Decke und sprang aus dem Auto, um die Fledermaus einfangen zu können, falls sie fliehen sollte.

Tatsächlich wollte die Vampirin an der Kirchenschwelle panisch weg – dort wollte, dort konnte sie nicht hinein –, aber Edward hielt sie mit aller Macht gepackt und schleifte sie gegen ihren heftigen Widerstand auf den heiligen Boden, wo sie zu brennen begann. Damit sie nicht doch noch floh, hielt Edward die Black Court weiter fest, auch wenn er dadurch selbst noch einmal einige Brandwunden abbekam.
Alex tauchte seine Decke in Weihwasser und warf sie über Edward und seine Gegnerin – die Flammen auf Edward wurden davon gelöscht, die Vampirin hingegen begann davon sogar noch stärker zu brennen und zerfiel endlich zu Staub.

Ich hatte währenddessen die umstehenden Menschen einigermaßen beruhigt bekommen, aber jetzt kamen die anderen angerannt. „Wir müssen schnell weiter“, sagte Edward drängend, „Alison braucht unsere Hilfe!“
Vorher aber wollten wir noch mehr Weihwasser holen. Ich fragte den Pater, ob er uns nicht noch mehr Wasser weihen könne, aber das musste er gar nicht – er hatte tatsächlich bereits mehrere Kanister voll vorbereitet und auf Lager, und die durften wir alle haben. Perfekt!

Im Auto koordinierten wir uns mit den anderen Guardians. Die Leichen vom South Beach waren bereits abtransportiert und, weil die Krankenwagen aus ganz unterschiedlichen Krankenhäusern gekommen waren, über die ganze Stadt verteilt. Wir teilten uns also auf, um an den unterschiedlichen Hot Spots, wo wir Panik und Aufregung spüren konnten, für Ordnung zu sorgen.

An dem Krankenhaus, zu dem wir fuhren, war oben im Eingangsbereich von Aufregung oder gar Panik nichts zu spüren. Aber unten an der Notaufnahme, wo die Krankenwagen einfahren, überkam uns ein ungutes Gefühl, auch wenn da der Betrieb noch normal wirkte. Und tatsächlich, in der Leichenhalle des Krankenhauses bot sich uns ein Bild des Grauens. Die Belegschaft dort war von den erwachenden Neuvampiren völlig überrascht worden, und es gab keine Überlebenden.

Die beiden Vampire waren derart ungestüm dabei, ihren ersten Hunger zu stillen, dass sie uns zunächst gar nicht bemerkten. Den Umstand machte ich mir zunutze und belegte Edwards magischen Handschuh mit einem Sonnenlicht-Zauber, bevor er losschlug. Dummerweise bemerkte der Vampir, auf den er losging, den Angriff, konnte ausweichen und Edward ein Stück von sich wegdrücken.

Während Alex hinter uns die Tür verrammelte, um den Bereich abzuschotten und eine eventuelle Flucht der Vampire zu verhindern, sprang Roberto Edward zur Seite. Dessen Vampir wandte sich jetzt Roberto zu, um den zu beißen, aber glücklicherweise gelang ihm das nicht.

Ich hatte indessen aus einem der Kanister Weihwasser in einen Glaskolben gefüllt und schleuderte das improvisierte Wurfgeschoss jetzt auf den Neu-Vampir. Das Weihwasser traf den Black Court voll und brachte ihm schwere Verätzungen bei, was die Kreatur fauchen und zischen und sich in meine Richtung wenden ließ.

Jetzt schlug auch Edward noch einmal zu, und diesmal rammte er den Vampir mit seinem sonnenlichtdurchtränkten Handschuh mit voller Wucht und ungespitzt in den Boden, und mit einem letzten Kreischen zerfiel der Black Court zu Staub.
Inzwischen hatte uns auch die andere Vampirin bemerkt und sprang auf Alex zu, der ihr am nächsten stand. Alex konnte ihr ausweichen, aber sie ließ nicht ab von ihm.
Roberto nahm einen der Weihwasser-Kanister und überschüttete sie damit. Auch diese Neu-Black Court zischte schmerzerfüllt und wollte auf Roberto losgehen, aber etwas an ihm – vermutlich seine Santero-Aura – stieß sie ab, so dass sie nur wütend fauchte und sich stattdessen in meine Richtung wandte.

Ich hatte ja auch noch einen Kanister in der Hand und versuchte ebenfalls, sie damit zu treffen. Das klappte zwar nicht, aber als sie auf mich zusprang und ich ihr auswich, schwappte etwas Weihwasser aus dem Kanister auf sie. Es reichte nicht, um sie ernsthaft zu verletzen, aber es war genug, um sie etwas zurückzutreiben. Damit kam sie in Edwards Richtung, achtete aber überhaupt nicht auf ihn, und Edward nutzte die Chance und verpasste ihr einen Schlag mit dem Sonnen-Handschuh, der auch sie zu Staub zerfallen ließ.

Ein kurzes Durchschnaufen, dann sagte uns unser Bewusstsein für Miami, dass die Panik-Hotspots größtenteils verschwunden waren. Ein wenig Unruhe herrschte noch in einem anderen Krankenhaus und am Strand, aber das hatten die anderen Guardians offenbar gut unter Kontrolle, und bald war nur noch 'normale' Unruhe übrig.
Edward rief bei Lieutenant Townsend an, aber die hatte keine Zeit für ihn: „Ich betreibe Schadensbegrenzung – später.“

Bevor wir das Krankenhaus verließen, schloss Alex die Tür zur Leichenhalle ab und hängte ein 'Caution – Area Closed'-Schild daran, das er in einer Abstellkammer mit Putzutensilien fand.

Normalerweise wäre das jetzt vermutlich eigentlich der Moment gewesen, um ins Bett zu gehen, aber wir waren uns alle einig, dass die Situation zu sehr drängte und es noch Dinge zu tun gab.
« Letzte Änderung: 10.09.2023 | 21:09 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Wir mussten versuchen, herauszufinden, wer dieser Black Court war. Wir mussten mehr über Sarkos herausfinden. Und über die Beziehung zwischen den beiden. Der unbekannte Vampir war in Richtung Everglades aufgebrochen. Wollte er etwa zu Sarkos? Oder hat er einen eigenen Unterschlupf in den Glades? Oder war Sarkos' Unterschlupf vielleicht früher seiner, und Sarkos hatte den Ort übernommen, weil er leer stand? All das konnten wir natürlich nicht mit Sicherheit sagen – aber es ging um die Everglades. Vielleicht wüsste in der Waystation jemand Genaueres über Sarkos oder diesen fremden Black Court?

Jetzt, wo wir etwas Ruhe hatten, überlegten wir, wo genau in unserem Bewusstsein für Miami der Meistervampir aufgetaucht war. Und wo wir so darüber nachdachten, fühlte es sich an wie ein bestimmter Park in Miami Beach.

Während wir zum Muss Park unterwegs waren, klingelte Edwards Telefon. Da längst all unsere Handys mit dem Auto verbunden sind, schaltete Edward auf die Freisprechanlage, so dass wir alle hören konnten, um was es ging. Es war Lieutenant Townsend, und sie hatte keine gute Laune.
Nachdem die Panik-Hotspots aufgetreten waren und wir uns in der Stadt verteilt hatten, war Ximena ja mit Ángel und Bjarki am Strand gewesen, und offenbar war Ximena den Jungvampiren dort ganz unverhohlen mit Feuerbällen zu Leibe gerückt und hatte wohl generell so überhaupt gar nicht mit ihren magischen Fähigkeiten hinter dem Berg gehalten - sie hatte anscheinend derart mit Feuermagie um sich geworfen, dass die Leute die Feuerwehr und die Polizei gerufen hatten, und Lieutenant Townsend beschwerte sich jetzt, dass Ximenas auffälliges Vorgehen ein Problem mit den normalen Cops verursacht hätte.
„Erklär's doch als die Experimente von Chemiestudenten oder als Flammenwerfer“, versuchte Edward seine ehemalige Kollegin zu beruhigen, aber die wiegelte ab. „Geht nicht, die Cops wissen, dass Magie im Spiel war, weil Ximena ihre Visitenkarte verteilt hat! Und da steht drauf, dass sie Magierin sei! Bring sie doch bitte, bitte, bitte dazu, dass sie bitte den Ball flach hält!“
„Roberto ist ihr Cousin“, erwiderte Edward, „vielleicht kann der ihr Vernunft eintrichtern.“
„Besser, es macht jemand auf Augenhöhe, sprich ein Polizist“, antwortete Alison, „oder besser: ein Ex-Polizist. Also du. Und wo wir gerade dabei sind: Gibt es eigentlich noch andere Monster, die demnächst hier auftauchen könnten und auf die wir vorbereitet sein sollten?“
„Drachen hatten wir lange nicht“, sagte Edward in knochentrockenem Tonfall, und Alison schnaubte. „Ich geb's weiter.“
„Können wir uns treffen?“, fragte Edward dann, „Es gibt ein paar Sachen zu bereden.“
Da einigten sie sich aber auf den nächsten Tag – sprich heute –, weil es ja doch schon langsam auf den Morgen zuging und das Treffen jetzt nicht so dringend war.

Die ersten richtig frühen Frühaufsteher waren bereits unterwegs, aber am Muss Park hatten wir noch unsere Ruhe. Ein menschengroßes Loch im Zaun, wie wir das vermutet hatten, war nicht zu sehen, aber in Richtung South Beach war der Zaun an einer Stelle von innen mit großer Gewalt aufgerissen worden. Auf Anhieb konnten wir im Park aber keine Stelle sehen, wo ein Untoter sich aus dem Erdboden gegraben haben könnte oder etwas in der Art. Also war er vielleicht doch aus einem Flugzeug gesprungen oder abgeworfen? Oder vielleicht aus dem Nevernever gekommen?

Aber das konnte Alex verneinen – hier war die Grenze zum Nevernever unbeeinträchtigt und normal (was für Miami eben inzwischen 'normal' ist), und durchgekommen war hier definitiv niemand. Der Vampir musste woanders hergekommen sein.
Alex schaute sich um, ob sich vielleicht ein Geist in der Nähe aufhielt, den er befragen konnte, und tatsächlich: In einem Baum saß – wie immer nur für Alex sichtbar – eine fit wirkende, vielleicht achtzigjährige Dame in Aerobic-Kleidung.
„Alles in Ordnung?“, sprach Alex sie an.
„Nein“, erwiderte sie, „natürlich nicht! Ich bin tot, und die jungen Leute heutzutage machen alle kein Aerobic mehr!“
(Wie immer gebe ich nur wieder, was Alex hinterher erzählte, ich selbst habe den Geist ja nicht gehört.)

Die alte Dame berichtete dann, es seien Leute mit einem Sarg im Park aufgetaucht, hätten den Sarg dann geöffnet und sich sehr schnell davon entfernt. Eine tot aussehende Gestalt sei aus dem Sarg gestiegen – deswegen habe sie sich auch auf den Baum verkrochen, weil diese Gestalt gruselig und beunruhigend wirkte. Die Gestalt sei dann in Richtung South Beach durch den Zaun verschwunden, und daraufhin seien die Leute zurückgekommen und hätten den Sarg wieder mitgenommen.
Was das für Leute gewesen seien, wollte Alex wissen, und bekam zur Antwort, dass sie alle ein wenig heruntergekommen gewirkt hätten, wie Obdachlose, aber der Sarg sei sehr hübsch gewesen. Sie beschrieb den Sarg ebenso wie die Männer ausführlich und erwähnte auch, dass sie einen Geist mit einem gruseligen Halsband dabei gehabt hätten, weswegen sie sich von der Gruppe tunlichst ferngehalten habe. Die Obdachlosen hätten alle etwas – sie fand erst kein rechtes Wort dafür, blieb dann bei 'beschädigt' hängen – sie hätten also alle etwas beschädigt im Hirn gewirkt, seien sich des Geistes, der sie begleitete, aber bewusst gewesen, und einer von ihnen hätte sich sogar mit dem Geist unterhalten. Der Geist habe sie, die alte Dame, auch bemerkt und sie direkt angeschaut, und er habe einen ganz seltsamen Blick gehabt.

Am Ende bot Alex der alten Dame an, sie weiterzuschicken, aber sie lehnte ab, sondern wollte dort in dem Park bleiben, wo sie gestorben war und so viel Freude an der Aerobic gehabt hatte.

Aber das waren interessante und wichtige Informationen, die sie Alex da gegeben hatte. Und das war uns bei der Hochzeit ja auch schon aufgefallen, dass Jaks Anhänger völlig durchgeknallt waren und so wirkten, als hätten sie permanent die Sight offen und könnten sie nicht mehr schließen... es klang fast so, als sei das hier genau dasselbe gewesen.

Bevor wir jedoch weiter darüber nachgrübelten, gingen wir erst einmal auseinander und ins Bett: Es war spät – früh – genug!
Lidia war verständlicherweise etwas besorgt, als ich heimkam – ich hatte ihr zwar eine Nachricht geschrieben, dass sie nicht auf mich warten solle, aber dass es die ganze Nacht dauern würde, das hatte ja vorher niemand wissen können.

Jedenfalls schlief ich erst einmal aus, dann brachte ich Lidia auf Stand, und danach habe ich das hier aufgeschrieben. Aber später wollen wir uns treffen, denn wir wollen ja rausfahren zur Waystation. Immer noch ohne Totilas allerdings, weil der mit seinen White Court-Dingen noch nicht fertig ist. Aber jetzt erst mal was essen und etwas Zeit mit der Familie verbringen. Ich habe so die Befürchtung, dass das in den nächsten Tagen wieder einmal ein bisschen zu kurz kommen könnte...

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Später.

Bevor wir uns trafen, um zur Waystation zu fahren, telefonierte Alex seine Kontakte ab, um etwas über den auffällig gearbeiteten Sarg herauszufinden. Er landete schließlich bei einem Bestattungsunternehmen, das in langjähriger, ja generationen-übergreifender Tradition auschließlich individuelle Maßanfertigungen herstellt: Gegründet zur selben Zeit wie die Stadt Miami selbst, eine sehr pietätvolle, hochwertige Homepage, die guten Geschmack und deftige Preise nur so atmete. Das Adlene Funeral Home, gegründet von Harrison Adlene, einem der ersten sehr erfolgreichen Schwarzen Geschäftsleute Miamis, jetzt geführt von einer Direktorin namens Kayesha Adlene, direkte Nachfahrin von Harrison. Na sieh einer an. Ob dieses Bestattungsunternehmen in irgendeiner Form mit unserem Spezialfreund Adlene verwandtschaftlich verbunden ist, wissen wir nicht, das tut aber auch im Moment nicht unbedingt etwas zur Sache.

Roberto ging derweil mit Ximena reden. Auf die Vorfälle am Strand angesprochen, verstand seine Cousine, was Roberto sagen wollte, aber sie verstand nicht, warum. Es wäre doch langsam an der Zeit, dass es alle wüssten. Wir lebten immerhin im 21. Jahrhundert, sollten die Leute doch wissen, dass Magie existiert, dann könnten sie sich wenigstens vor Vampiren und anderen Monstern schützen. Und es gehe ihr auf die Nerven, dass irgendwelche Typen mit Abzeichen denken würden, sie wären's. Warum müsse sie ausgerechnet ihre Kräfte verstecken und dürfe nicht zeigen, was sie könne? Sie wolle sich nicht von Typen in Uniform herumschubsen lassen. Das verstehe er, erwiderte Roberto, aber...
„… es muss sich etwas ganz grundlegend ändern“, fiel Ximena ihm ins Wort.
„Da hast du nicht ganz unrecht, aber halt bitte trotzdem den Ball flach“, redete Roberto seiner Cousine gut zu und verabschiedete sich dann.

Als er uns bei unserem Treffen von der Begegnung erzählte, ging in meinem Hinterkopf eine klitzekleine Alarmglocke an. Denn ist da nicht was von wegen Outsider-Korruption, wenn man sich zu viel damit beschäftigt? Und hat Ximena nicht in letzter Zeit ziemlich viel recherchiert? Nicht, dass ich das von ihr glaube oder glauben will, dazu mag ich sie viel zu sehr, aber das kleine Stimmchen war eben da, und so sprach ich die Befürchtung – oder nein, eine Befürchtung ist es nicht, aber ein dünnes, warnende Gefühl – auch an.
„Ja“, sagte Roberto, „wenn diese Kacke hier rum ist.“
„Ja...“, erwiderte ich, „wir sollten nur nicht zu lange warten, damit nicht das am Ende die Kacke ist, die dampft.“
Und so verblieben wir, dass wir uns das bei nächster Gelegenheit einmal anschauen sollten.

Aber erst einmal war die Waystation an der Reihe. Selva Elder war nicht sonderlich begeistert, uns zu sehen, aber Totilas war ja diesmal nicht dabei, das beruhigte sie etwas, und so klang sie zumindest halbwegs diplomatisch, als sie fragte: „Trinken, Essen, Reden?“
„In der Reihenfolge“, antwortete ich.
Also gab es Drinks, Gumbo und Burger, und dann, als wir fertig waren, kam Selva wieder zu uns an den Tisch. „Ihr wolltet reden?“
„Setz dich zu uns, nimm dir auch was“, lud ich sie ein, und sie holte sich den teuersten Cocktail auf der Karte – wir zahlten ja.

Dann erzählte sie, dass sie von Sarkos selbst auch gar nicht so viel weiß, dass er aber für einen Schwarzvampir erstaunlich wenig Tote in den Sümpfen hinterlasse und dass er für einen Schwarzvampir auch erstaunlich wenig tot aussehe. Er sei eigentlich nie sonderlich aktiv gewesen, das scheine er aber wohl ändern zu wollen, weil er in letzter Zeit häufiger in der Waystation aufgetaucht sei und jetzt auch bessere Kleidung trage als früher: immer noch schwarz, aber jetzt hochwertiger und mit Silberschmuck. Thralls oder Kultanhänger habe er keine, was für einen Schwarzvampir wohl einigermaßen ungewöhnlich sei. Aber zu Sarkos sollten wir vielleicht besser Jack befragen, fuhr sie dann fort – und erst, als sie unsere entsetzten Gesichter sah, korrigierte sie sich zu „Byron. Ich meine natürlich Byron! Nicht diesen … anderen!“

Über das traditionsreiche Bestattunsunternehmen Adlene wusste Selva nichts Näheres, nur dass Joseph Adlene entfernt zu dieser Familie gehört habe, und sein Neffe Jonathan (hah!) damit dann auch.

Anschließend fragte Selva uns nach den Fomori – „diese Froschleute“ nannte sie sie – und berichtete, dass diese versuchten, sich in den Everglades breitzumachen. „Und die Glades sind groß und weit – wir können leider nicht alles überwachen.“
Wir erzählten ihr über die Fomori, was wir wussten, zum einen, damit die Elders wissen, worauf sie achten müssen, aber auch, damit der Informationsfluss nicht nur in eine Richtung ging.
Edward warnte unsere Wirtin außerdem vor dem kommenden Winter, der verlässlichen Quelle, aus der wir das hätten, und dass es nach Winter rieche und sich nach Winter anfühle, woraufhin Selva meinte, das erkläre so einiges, nämlich dass der Teil der Elder-Verwandtschaft, der sein Leben lieber in Krokodilsgestalt verbringe, in letzter Zeit so träge geworden sei – ganz so, als sei es kalt, und dabei sei es das doch gar nicht.

Und natürlich wollte am Ende einer von Selvas zweibeinigen Verwandten Ärger, obwohl wir eigentlich explizit keinen Ärger wollten und ziemlich lange zu deeskalieren versuchten, sogar Edward. Aber am Ende gab es natürlich doch eine Prügelei – irgendwann kam Edwards Temperament einfach doch durch –, und natürlich flogen wir am Ende hochkant raus. Wie ich das hasse, wenn das Narrativ Einfluss auf die Realität bekommt und sich dadurch nur immer weiter verfestigt!

Zurück in Miami trennten wir uns – Edward hat ja sein Treffen mit dem SID, bei dem er seinen Ex-Kollegen einen Kanister Weihwasser vorbeibringen und eine Einweisung in Schwarzvampire für Dummies geben will, und ich habe da ein paar blaue Flecken und eine blutige Nase, die ich Lidia erklären und vor dem Essen  noch soweit verpflastern muss, dass es den hijas nicht auffällt.

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Gerade hat Halfðan angerufen. Tanit sei im Palast, sagte er, und es klinge nicht gut. ¡Mierda!

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¡Ay, mierda! ¡Mierda y cólera!
Römer und Patrioten, ich fürchte, das könnte ein ziemlicher Fehler gewesen sein, den ich da vorhin begangen habe. Es wird sich zeigen müssen, was sich daraus jetzt ergibt...
Aber der Reihe nach.

Als ich im Palast ankam, war die Stimmung angespannt, und aus Pans Gemächern war ein lauter, ein richtig lauter, Streit zu hören.
Ich blieb vor der Tür stehen und wollte eigentlich warten, bis sich die Lage wieder etwas beruhigt hatte, aber statt leiser wurde der Streit nur immer und immer heftiger, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt und vorsichtig das Gemach betrat, weil ich dachte, vielleicht könnte ich eingreifen und deeskalieren helfen.

Kaum war ich im Raum, fuhr Pan zu mir herum und donnerte in einer Stimme, wie ich sie noch nie von ihm gehört hatte: „WAS???“
„Ach, dann bin ich ja offenbar nicht wichtig genug“, schnaubte Tanit spitz und rauschte beleidigt ab, bevor ich auch nur ein Wort herausbringen konnte, um sie vielleicht aufzuhalten.

Auch als Tanit fort war, verbesserte Pans Stimmung sich kein Stück, und mir war klar, dass er sich in dieser bockigen Laune garantiert nicht umstimmen lassen würde, was seinen Handel mit Odin betraf. Er schimpfte über Tanit und die Frauen ganz allgemein, und es klang deutlich durch, dass er diesen Handel mit Odin unter anderem, oder vielleicht sogar vor allem, eingegangen war, eben weil Tanit dagegen war.
„Sie wird mich nicht umstimmen, und du, lieber Ricardo, erst recht nicht.“

Also hielt ich den Ball ganz flach und versuchte in dem Moment tatsächlich nicht, Pan zu überreden, den Handel aufzugeben, sondern lediglich zu verstehen, was denn eigentlich genau Sache war.

Pan erklärte mir, Odin habe ihm die neuen Einherjer angeboten, weil wegen der Bedrohung durch die Fomori ja mehr Schutz benötigt werde, und da das ein vernünftiger Vorschlag gewesen sei, habe Pan gleich zugestimmt.
Okay, sagte ich so neutral, wie ich nur konnte, aber es wäre gut, wenn die neuen Einherjer sich von Haleys Helheim-Touristen fernhalten könnten und umgekehrt, und darauf konnten wir uns einigen. Die Helheim-Touristen werden nicht an den Strand gehen und die Einherjer nicht in die Einkaufszentren und zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, wenn Haleys Touristen gerade dort unterwegs sind.

Anschließend machte ich noch meine übliche Runde im Palast, besuchte Sindri und Edwina Ricarda und redete mit Sir Anders, bevor ich mich verabschiedete und dann auf dem Heimweg ins Grübeln kam. Ich glaube, dass ich Pan und Tanit unterbrochen habe, war überhaupt nicht gut. Vielleicht hätte sie ihn ja doch noch überzeugt bekommen – sie ist zwar Winter, aber sie ist Pans Geliebte und ihm ebenbürtig, während ich kleiner Mensch bei meinem Herzog in keinster Weise etwas reißen kann.

Aber geschehen ist geschehen, und jetzt muss ich sehen, wie ich mit der Situation umgehe. Und vor allem erst einmal den anderen davon berichten.

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Wir waren uns einig, dass wir mit Tanit reden müssten. Aber als Vorbereitung auf das Gespräch mit Tanit suchten wir vorher noch Hurricane auf. Von Edward, der bei Hurricane meistens das Wort führt, auf den kommenden Winter angesprochen, sagte dieser rundheraus, dass Tanits Hof nicht dafür verantwortlich sei. Er könne nicht sagen, was genau der Auslöser sei, aber es fühle sich gut an.
Nein. Tut es nicht. Okay. für eine Winterfee vielleicht. Aber trotzdem. Grrrr.
„Das kann Probleme geben“, entgegnete Edward jedenfalls.
Hurricane grinste. „Manchen schon“, mümmelte er mit einem vielsagenden Grinsen in meine Richtung, und ich musste an mich halten, damit mir keine scharfe Bemerkung herausrutschte, und Edward weiterreden konnte.
„Euch auch, oder?“, fragte der auch schon. „Ich meine, wenn hier jemand an Tanit vorbei den Winter in die Stadt bringt?“
Aber Hurricane zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Nö. Das ist kein Feenwinter, also auch kein Problem. Dann kommt der Winter eben, und wir können ihn genießen, das ist keine Konkurrenz für uns.“
„Wenn es kein Feenwinter ist, was für ein Winter ist es dann?“
„Wie gesagt, ich weiß es nicht genau. Könnte vielleicht was Nordisches sein.“

Das war der Moment, wo etwas in meinem Kopf 'klick' machte.
Nordisch? Der Fimbulwinter? Ragnarök? Weltuntergang? Nicht gegen die Frostriesen, sondern gegen die Orishas? Oder, weil Jak ja Loki getötet hat und jetzt Loki in sich trägt, vielleicht Jak-Loki für die Frostriesen gegen die Asen? Ganz egal wie: Oh, puñeta. Heilige Mutter, steh uns bei.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ricardos Tagebuch: Cold Days 2

16. November

Ach ja. Ich habe gestern völlig vergessen aufzuschreiben, dass wir ja noch die Idee hatten, vielleicht einfach einmal mit Odin zu reden. Auf der Hochzeit hatten wir uns ja immerhin, wenn auch nur kurz, auch unterhalten, bevor der Ärger losging. Mein Anruf bei Monoc Securities allerdings kam nicht durch – ich erreichte nur einen Anrufbeantworter auf Dauerschleife, dass Monoc Securities derzeit keine neuen Aufträge annehme und stattdessen Firma XY empfehle, herzlichen Dank für den Anruf, klick.

Dann eben anders. Wie schon einmal schaute ich irgendwo in die Luft und sprach Heimdall direkt an: Dass wir gerne wieder mit Mr. Vadderung sprechen würden, und dass wir es zu schätzen wüssten, wenn das möglich wäre.

Auf Anhieb geschah nichts, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Heimdall – bzw. Odin selbst – wird sich schon melden, wenn es passt, hoffe ich.

Jetzt wollen wir uns gleich auf der Thethys treffen, Totilas auf Stand bringen und Kriegsrat halten.

---

Okay. Dann mal zu dem, was heute passiert ist. Oder genauer, zu dem, was heute passiert ist und zu dem, von dem ich heute früh erfahren habe, obwohl es gestern schon passiert ist.

Als Edward nämlich nach unserem gestrigen Treffen nach Hause kam, fand er dort einen offiziell aussehenden Brief vor, genau wie die 'Steuerbescheide', die er früher immer von Spencer Declan erhalten hatte. Als Absender war auch immer noch 'Spencer Declan, Warden des White Council“ angegeben, und es handelte sich um eine Aufforderung zur Steuernachzahlung für die Zeit von Declans Abwesenheit, 'kulanterweise' ohne Strafzinsen, weil ja während der Zeit keine Zalhungsaufforderungen versandt worden waren.

Also rief Edward bei unserer österreichischen White Council-Bekannten Vanessa Gruber an – und riss sie prompt aus dem Schlaf, weil er die sechs Stunden Zeitverschiebung nicht bedacht hatte.
Vanessa habe sich erfreut darüber gezeigt, dass der Warden nicht von den Fomori erwischt worden sei, wie sie das gedacht habe, woraufhin Edward meinte, er habe sich ein Knurren nicht verkneifen können und geantwortet, die Stadt sei so oder so nicht verloren, das könne er ihr versichern.
Aber jedenfalls habe er den ‚Steuerbescheid‘ geschickt, damit sie sich den einmal anschauen kann.

Als nächstes besprachen wir, dass wir ja Ximena auf Outsider-Korruption überprüfen wollten – zu dem Zweck will Totilas sie mit dem dritten Auge anschauen. Und damit sie nicht merkt, was Sache ist, sollte sie dabei am besten abgelenkt sein, also am Allerbesten bei einer Generalversammlung der Wächter in der Casa Guardián. Zum Glück hatten alle gleich noch am Vormittag Zeit.
 
Die ‚Steuerbescheide‘ waren auch gleich das passende Thema für die Versammlung, denn alle unsere Praktizierer hatten ein solches Schreiben erhalten.
Ximena erklärte auch gleich, sie habe ‚maßvoll, sachlich und angemessen‘ geantwortet. Ähm, ja. Sie gab uns den genauen Wortlaut wieder, und angemessen war das sicherlich, weil diese Steuergeschichte hanebüchener Quatsch ist, aber ‚sachlich und maßvoll‘? Ähm, nein. Das war ein ausgestreckter Mittelfinger in Schriftform. Aber Ximena meinte hitzig, sie sehe so überhaupt nicht ein, was das alles solle.
 
Jedenfalls, während sie sich ereiferte, hatte Totilas Gelegenheit, sie in der Sight anzuschauen, aber er konnte in dem, was er da sah – ein Drache? Feuer? Alles leuchtete um Ximena herum – keinen rechten Sinn erkennen. Er startete einen zweiten Versuch, aber was er dabei sah, war eher noch verwirrender. Hinterher gab er uns gegenüber zu, dass er gedacht habe, wenn er ihr Energie entziehen würde, dann würde er das alles höchstvermutlich verstehen, aber er hielt sich zurück und schloss sein inneres Auge erst einmal wieder.
Dann schrieb er Roberto eine Textnachricht, und die beiden trafen sich im Flur. Dort bat Totilas Roberto, dass der es doch einmal bei seiner Cousine versuchen möge, aber bevor Roberto in den Raum zurückkehrte, ging er erst einmal auf die Toilette, damit es nicht auffallen sollte, dass die beiden gleichzeitig weggewesen waren.
 
Es fiel aber natürlich doch auf. War ja klar. Dee, aufmerksam wie immer, und alles andere als blöd, sprach Ximena an und ging aus dem Zimmer, als Roberto gerade wieder hereinkam, dann folgten Fébé und Ilyana.
Mit einem anklagenden Blick auf Roberto und Totilas und entsprechendem Tonfall sagte Ángel: „Soll ich mit Bjarki vielleicht auch rausgehen? Ich dachte, wir vertrauen uns hier?!?“
„Totilas hat seine Tage“, versuchte Roberto zu scherzen, aber das verfing bei Ángel nicht.
„Ich weiß nicht, was das hier soll, aber es wäre besser, wenn wir mit offenen Karten spielen.“
„Es geht um diese Korruptionsgeschichte“, gab Roberto zögernd zu. „Bestimmte Personen sollten darauf überprüft werden.“ Woraufhin ich ergänzte: „Wir alle, eigentlich.“
Dee funkelte Roberto an. „Und woher sollen wir wissen, dass nicht gerade du die Korruption an dir hast?“
„Deswegen sage ich ja: Wir sollten uns alle gegenseitig überprüfen“, wiederholte ich, und dieser Gedanke fand bei den anderen – inzwischen waren auch alle wieder im Raum – allgemeinen Anklang.
 
Das praktische Wissen darum, wie man das dritte Auge öffnet, haben neben Roberto und Totilas auch Dee, Ximena und Ángel. Auch Cicerón und Fébe könnten es eigentlich, aber da Cicerón noch nicht völlig wiederhergestellt ist und Fébe gerade Shango in sich trägt, fielen die beiden aus.
 
Als unsere Sight-Bewanderten also reihum die anderen und einander anschauten, stellte sich heraus, dass Ximena glücklicherweise keinerlei Hauch von Outsider-Verderbnis an sich trägt, und sie hat auch keine dieser Dämonenmünzen berührt. Was Roberto allerdings an ihr sah, wie er uns später erzählte, war ein sehr großer Stolz darauf, eine fähige Magierin zu sein – noch kein Größenwahn, aber sie ist offenbar im Begriff, mehr Macht anzusammeln. Das könnte vielleicht irgendwann mal ein Problem werden, aber von den Outsidern verursacht oder beeinflusst ist es auf keinen Fall. In Gegenwart der anderen Guardians sagte er, nachdem er sein drittes Auge offenbar mit einiger Mühe geschlossen hatte: „Ich weiß schon, warum ich das nicht mag. Aber keine Korruption.“
 
Tatsächlich hatten alle ein leichtes Problem, ihre Sight wieder zu schließen, vor allem Dee, die sich Totilas vorgenommen hatte. Auch als die Begutachtung eigentlich schon vorbei war, schielte sie immer wieder zu unserem White Court-Kumpel. Aber die gute Nachricht war: niemand von uns war wies Outsider-Korruption aus. Lediglich bei Bjarki fanden sich ganz leichte Spuren von dem Trauma, das er durchgemacht hat; er muss ein bisschen aufpassen, dass er nicht vielleicht doch unter einen Einfluss gerät, aber alles in allem ist es bei ihm schon viel besser geworden. Strukturierte Aktivitäten helfen, das Outsider-Chaos zurückzudrängen, sagte er: aufräumen zum Beispiel oder Logikrätsel machen.
 
Als wir alle für sauber befunden worden waren, konnten wir uns wieder dem eigentlichen Thema zuwenden: Was sollten wir wegen Spencer Declan und den ‚Steuern‘ unternehmen?
Aus Edwards Bericht davon, dass er die Sache offiziell beim White Council vorgebracht habe, ergab sich die Frage, ob wir uns dem Magierrat gegenüber vielleicht formell als Gruppierung zu erkennen geben sollten, aber da war der allgemeine Konsens, dass das vielleicht im Moment noch nicht so klug sei und wir auch Declan gegenüber in dieser Beziehung den Ball flachhalten sollten.
Ich erwähnte, dass ich über Heimdall versucht hatte, Odin wegen der Idee des Fimbulwinters zu kontaktieren, was Bjarki zu der Frage brachte, ob wir von Eleggua gehört hätten. Nein, erwiderte Alex, aber der werde Odins Forderungen ohnehin nicht akzeptieren, soviel stehe schon fest.
Odin habe auch gar kein Anrecht auf ein Wergeld, stellte Bjarki noch einmal ganz klar – aber die Forderung nach Wergeld war ja ohnehin ganz offensichtlich nur ein Vorwand, da werde also wohl ziemlich sicher noch eine förmliche Kriegserklärung folgen, weil Odin eben denke, Eleggua sei an allem schuld.
Cielo. Da können wir ja nur froh sein, dass Odin nicht denkt, ich sei an allem schuld, immerhin war es meine Hochzeit, auf der Loki umkam.
 
Es sei ein wirklich unglücklicher Umstand (okay, „ein bisschen doof“ waren die genauen Worte), dass Odin einen seiner Raben verloren habe, fuhr Bjarki dann fort.
Naja, den Gedanken, dem Asen wieder einen Raben zu beschaffen, hatten wir ja auch schon gehabt. Aber ist das überhaupt möglich? Wo kamen Hugin und Munin ursprünglich her? Waren das normale Raben, die magisch aufgewertet wurden, oder waren die von Anfang an etwas Besonderes?
Bjarki wusste es nicht, aber er meinte, Haley oder Ratatöskr könnten vielleicht mehr dazu sagen.
 
Ratatöskr? Ach so, claro, dieses Eichhörnchen aus der nordischen Mythologie, das auf der Weltenesche herumläuft und Gerüchte verbreitet. Ratatöskr weiß wohl viel, aber alles nur so halb, da ist Haley wahrscheinlich die bessere Informationsquelle.
 
Da ich in letzter Zeit aber ziemlich häufig mit Haley geredet habe und schon diesen Job mit den Helheim-Touristen von ihr habe, und sie außerdem beim letzten Mal ein bisschen genervt klang, als ich sie anrief, beschlossen wir, dass diesmal vielleicht besser jemand anderes (i.e. Totilas) mit ihr reden sollte.
 
Aber zunächst einmal fuhren wir Byron besuchen, nachdem die Guardians-Versammlung sich aufgelöst hatte, weil wir ja wegen des Schwarzvampirproblems und wegen Sarkos mit ihm reden wollten. Haley hinterher.
 
Als wir an der Kommune ankamen, war Bob gerade dabei, eine Kiste mit Rollsplit in den Schuppen zu tragen – den habe er gerade billig bekommen, sagte er, und davon könne man nie genug haben. Quer über der Kiste balancierte eine Schneeschaufel. „Es liegt Winter in der Luft“, sagte Bob auf unsere Frage, „ich bin aus Norwegen, ich spüre das.“ Und vor allem ist er ein magisches Wesen aus Norwegen, hat also vielleicht ein besonderes Gespür gerade für Geschehnisse, die mit der nordischen Mythologie zusammenhängen? Ai, mierda.
 
Byron begrüßte uns mit den Worten: „Ich weiß, warum ihr hier seid. Wegen der Barriere.“
Eigentlich nicht direkt, aber ja, die Barriere war tatsächlich auch ein echt guter Punkt.
„Seit Declan und Donovan da wieder rausgekommen sind, ist der Weg dort permanent geworden“, fuhr Byron mit ernster Miene fort. „Keine Highway, nicht mal eine Dirt Road, aber schon ein Trampelpfad, und es könnten Dinge herauskommen.“
Aber als wir, vermutlich unvermeidlich, bei diesen Worten zu der Stelle hinspürten, bekamen wir sie aber nicht richtig zu fassen. Ja, weit draußen und beinahe außerhalb unseres Miami-Sense-Radius, aber vor allem diese typische Outsider-Verzerrung, wie sie auch bei Spencer Declans Haus herrscht. Nicht ganz so fiese Kopfschmerzen wie bei Declans Haus, aber detailliert hindenken konnten wir trotzdem nicht.
 
„Eventuell muss jemand in den sauren Apfel beißen und sich das verbotene Wissen aneignen“, überlegte Roberto langsam. „Der würde dann korrumpiert, aber vielleicht ist ja eine Reinigung möglich?“
„Bei Saltanda ging es ja auch“, warf Alex trocken ein, was ihm einen schiefen Blick von Edward einbrachte – Totilas und Roberto hingegen juckte die Erinnerung an die Art und Weise, wie dieses Reinigungsritual vonstatten gegangen war, offenbar gar nicht.
„Bei dem Grad an Korrumpierung, den man sich durch das Lernen der verbotenen Inhalte aneignen würde, wäre aber ein sehr starkes Ritual notwendig“, warf Byron ein. „Habt ihr schon eine Idee, wie das aussehen könnte?“
 
Noch nicht, aber vorerst waren wir ja auch wegen etwas anderem hier. Dieser Schwarzvampir, der durch die Stadt marodiert war, war erst einmal das deutlich drängendere Problem.
 
Leider wusste Byron über dieses Thema auch nicht so viel, sondern konnte uns nur sagen, dass die Conquistadores einen Black Court bei sich gehabt hätten, der wohl auch Sarkos zum Vampir gemacht habe. Deswegen sei der auch auf die Conquistadores gar nicht gut zu sprechen.
Tío. Genau diese Geschichte hatten wir ja schon gehört, aber dann ist Sarkos ja wohl wirklich schon richtig alt, das geht mir gerade erst so wirklich auf.
Aber vielleicht gibt es bei dem White Court ja noch etwas mehr an Hintergrndinformationen zu finden, zum Beispiel bei Totilas‘ Urgroßmutter, Großvater, Vater oder in der Bibliothek in Raith Manor.
 
Aber eine andere Frage gab es noch. „Weißt du etwas über Raben als Gedächtnis?“, wollte Totilas wissen. Leider konnte Byron auch dazu nicht wirklich viel sagen – nur, dass es tatsächlich möglich ist, ein Seelentier zu haben, und ja, dass man Teile seines Gedächtnisses auf dieses Seelentier auslagern könne. „Warum fragt ihr?“
 
Also erzählte ich ihm von Odin und dem Rabenproblem.
Byron brummte, dann sagte er: „Irgendwie war klar, dass das genau jetzt passiert. Denn die Sache in den Sümpfen wächst hier seit tausend Jahren – irgendwann zerfallen die Dinge. Ich dachte eigentlich, das sei der Grund, warum ich hier sei…“ Nachdenklich brach er ab, um dann doch noch anzufügen: „All diese Probleme haben ein und dieselbe Ursache. Wegen der Barriere habe ich eine Idee – ich werde mich melden, sobald die spruchreif ist.“
 
„Warum würde jemand seine Seele mit einem Tier verbinden?“, brachte Edward das Gespräch noch einmal auf unser voriges Thema zurück, und wieder gab Byron ein versonnenes Brummen von sich, bevor er antwortete. „Ganz unterschiedliche Gründe“, führte er aus, „es kann dir helfen, drüben Sachen zu sehen. Es kann dir helfen, Traumata zu verarbeiten: Manche Dinge sind leichter zu ertragen, wenn du sie auslagerst. Vielleicht hast du bestimmte Aufgaben, für die du so etwas brauchst, oder du suchst Hilfe. Ein Seelentier kann ein echter Teil von dir werden und dein Leben besser machen, oder vielleicht willst du auch einfach nur mehr Macht. Oder alles gleichzeitig. So oder so verbindet es dich mit der Welt.“
 
Wir redeten noch ein bisschen länger mit Byron, dann verabschiedeten wir uns.
Vom Auto aus rief Totilas bei Marshal an und schickte den zur Recherche über Schwarzvampire in die Raith’sche Bibliothek. Dabei ließ Marshal fallen, dass es in Raith Manor gerade schon wieder einen Sabotageakt gegeben habe, der die Renovierung des Herrenhauses wieder um Monate zurückwerfen wird. Marshal äußerte die Vermutung, dass mit Sicherheit ein anderer Zweig der Familie Raith bzw. eine andere White Court-Familie hinter den Anschlägen stünde, und Totilas stimmte ihm mit grimmiger Miene zu. Dann kam ihm der Gedanke, dass sich vielleicht ein zweites Gebäude, von dem niemand etwas wisse, heimlich aufpolieren ließe – dann könnten die Angriffe auf Raith Manor weitergehen und am Ende, wenn die Renovierung an dem zweiten Haus fertig wäre, könnte man das als neuen Herrensitz präsentieren und das alte Raith Manor aufgeben. Marshal sagte jedenfalls, er wolle sich einmal unaufällig nach geeigneten Objekten umhören.
Als nächstes kontaktierte Totilas Haley, wie abgemacht, und sie vereinbarten ein Treffen für abends an der Oper – weil das neutraler Boden sei, sagte sie. Seltsam… Bisher hat Haley nie auf neutralem Boden bestanden, um sich mit uns zu treffen.
 
Aber jedenfalls war noch den ganzen Nachmittag Zeit, um zu Tanit hinauszufahren. Dummerweise hatte Alex einen dringenden, unaufschiebbaren Termin, sodass wir irgendwie zusehen mussten, wie wir ohne ihn zum Cayo Huracán kamen.
Ein Boot war schnell gemietet, aber die Überfahrt gestaltete sich für Totilas, der am Steuer stand, deutlich schwieriger als gedacht. Nicht nur hatte er in der zunehmend rauhen See Schwierigkeiten, die Richtung zu halten, sondern am Ende rammten wir sogar einen Felsen auf und hatten Glück, dass wir das leckgeschlagene Boot irgendwie wieder in den Hafen bugsiert bekamen.
Statt dass Totilas dem Vermieter den Zusammenstoß mit dem Felsen einfach gestand – seine Versicherung würde die Instandsetzung ja ohnehin übernehmen –, log er dem Mann etwas vom Himmel herunter von wegen, dass wir von Piraten überfallen worden wären und das Boot bei diesem Angriff beschädigt worden sei. Der Bootsbesitzer nahm das sofort sehr ernst und bestand darauf, die Polizei zu verständigen, und wir waren eine ganze Zeit lang damit beschäftigt, uns da wieder herauszuwinden. Und alles dafür, dass am Ende trotzdem Totilas' Versicherung (oder, falls die Versicherung das wegen der Diskrepanzen bei Totilas' Aussage und der Nichtauffindbarkeit der 'Piraten' ablehnt, Haus Raith selbst) für den Schaden aufkommen wird. Seufz. Naja. Wenigstens hatte ich während des Wartens und auch hinterher noch etwas Zeit, um das alles aufzuschreiben, bevor wir uns später mit Haley treffen.

Aber jetzt erstmal Abendessen mit der Familie.
« Letzte Änderung: 20.09.2023 | 16:49 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
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Ricardos Tagebuch: Cold Days 3

Abends.

Wir trafen Haley im Café der Oper. Sie trug ihren üblichen Goth Look – schwarzer Anzug und Zylinder, kreidebleiches Gesicht – und nippte gerade an einem Glas Rotwein, als wir ankamen. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass die Kellnerin uns einen erleichterten Blick zuwarf, als wir uns zu Haley gesellten und die nicht länger allein an ihrem Tisch saß.

Nach durchaus freundlicher Begrüßung fragten wir Haley nach Odin und seinem verlorenen Raben. Könnte man den vielleicht zurückbringen, oder wenigstens ersetzen?
„Nekromantie ist nie gut“, versetzte Haley trocken.
Mir kam ein plötzlicher Gedanke. „Aber ist der Rabe vielleicht ein Einherje geworden?“
Haley schüttelte den Kopf. „Selbst wenn, die Verbindung zu Odin wurde zerstört, als der Rabe starb, und ob Odin so viel kohärenter wäre, wenn er diesen Teil seines Gedächtnisses wiedererlangen würde, das ist auch noch die Frage.“
„Wie meinst du das?“, wollte Totilas wissen, also führte die Ase näher aus: „Loki ist zwar Odins Halbbruder, aber bei der Geschichte mit Baldur war die Tatsache, dass Loki sein Halbbruder ist, Odin auch herzlich egal. Ich glaube, der Zorn wegen Lokis Verlust war nur ein Vorwand – ich glaube, Odin ist einfach nur sauer auf Eleggua. Denn vergesst nicht: Es war ja eigentlich von Elegguas Seite aus noch gar nichts vorgefallen, und trotzdem war Odin sofort misstrauisch und gegen Eleggua eingestellt.“
Das gab uns einigen Stoff zum Nachdenken, auch, da Haley noch ergänzte: „Ich glaube, Odin hat einfach ganz generell die Schnauze voll.“ Was auch immer das heißen sollte.

So oder so aber sprachen wir Haley noch auf unseren Gedanken wegen des Fimbulwinters an. Mit dem Thema hatte unsere Asen-Bekannte sich bislang nicht konkret beschäftigt, aber sie klärte uns auf, dass der Fimbulwinter das erste Anzeichen für Ragnarök, den Weltuntergang, sei: drei Winter ohne Sommer, oder ‚Sommer‘, in denen die Sonne keinerlei Kraft habe, dann werde die Midgardschlange angespült, kann käme ein Schiff, das aus Fingernägeln gemacht sei, und dann würden sich alle umbringen.
„Also wer das erfunden hat, war ganz schön auf Pilzen“, knurrte Edward, woraufhin Haley ein schiefes, beinahe entschuldigendes Grinsen zeigte und zugab, dass die Asen von diesen Erzählungen in eine gewisse Rolle gedrängt wurden, aus der sie nun kaum – vielleicht sogar überhaupt nicht mehr – herauskommen könnten. „Das wurde alles so lange und so oft wiederholt, dass es wahr geworden ist und jetzt geschehen muss.“

Aber vielleicht nicht genau auf diese Weise, setzte Haley gleich darauf hinzu. „Dieser Outsider hat Loki getötet, damit ist Loki jetzt in ihm, also kann es passieren, dass der Outsider jetzt Lokis Rolle übernimmt. Aber wenn er die Prophezeiung soweit ändert, dass er selbst nicht dabei sterben muss, dann wäre das für einen Outsider natürlich perfekt: die Welt zerstört, alle Asen tot, aber der Loki-Outsider selbst noch am Leben und in der Lage, jede Menge Chaos zu stiften.

Autsch. Kein guter Gedanke. Aber mal gar nicht. Das mit dem Loki-Outsider auch, klar, aber vor allem natürlich, dass Odin ernsthaft dabei sein könnte, hier den Weltuntergang vorzubereiten.

Wann wäre denn der Point of no Return, wollten wir wissen; ab wann wäre das Ende der Welt nicht mehr abzuwenden? Sprich, wie lange haben wir, um das irgendwie zu verhindern?
Das wäre, sobald Fenrir die Sonne schluckt und nicht mehr ausspuckt, erwiderte Haley. Aber damit das passiert, müssen ja erst drei Winter am Stück auftreten, also bleibt noch etwas Zeit.

Dennoch. Ich wiederhole mich, aber: Autsch.

„Wo soll dieses Schiff denn landen?“, wollte Totilas wissen. „Ich fürchte, direkt hier“, antwortete Haley, was bei uns – vielleicht unvermeidlich – kurz zu etwas Rumgeblödel führte, ob man das Schiff nicht nach Chicago umleiten könne, das sei doch viel besser geeignet als Miami: Da sitzt doch dieser unsympathische Ratsmagier und Warden, mit dem Edward dieses unschöne Telefongespräch hatte und der zu allem Überfluss auch noch der Ritter der Winterkönigin Mab ist. Und darüber hinaus war Odin selbst ja auch schon einmal in Chicago gewesen, bevor diese ganze mierda losging. Wie gesagt, es war blödes Herumgeflaxe, aber Haley erwiderte relativ ernsthaft, dass eine sehr diplomatische Fraktion vielleicht versuchen könnte zu erreichen, dass Naglfar in Chicago erscheinen würde statt hier. Dabei schaute sie mich vielsagend an, hatte ich den Eindruck, aber… nein. Naglfar in Chicago wäre nicht besser als Naglfar in Miami. Bevor ich so etwas auch nur in Betracht ziehe, muss schon wirklich alles verloren sein.

Totilas hatte eine andere Idee. „Wie wäre es, wenn wir einen Film über Ragnarök drehen lassen und die Ereignisse darin ändern?“
Haley lachte auf. „Warst du in den letzten paar Jahren nicht im Kino? Den Film gab es schon! 855 Millionen Dollar Einspielergebnis! Millionen von Zuschauern! Und hat er was geändert? Hat er nicht, duh!“ Sie wurde wieder ernst und schüttelte den Kopf. „Diese Geschichte wurde vor 1000 Jahren geschrieben und hatte seitdem Zeit zu wirken. Da müsstest du schon das komplette Unterbewusstsein der Menschheit ändern.“
„Mit einem Ritual vielleicht?“, schlug Totilas vor, aber nun war es Edward, der den Kopf schüttelte. „Das würde gegen die Gesetze der Magie verstoßen. Du darfst Leuten nicht im Kopf herumspielen.“

Auch wenn so ein Ritual vielleicht eine Lösung wäre, dieser Aussage konnte ich nur aus vollstem Herzen zustimmen. Habe ich schon gesagt, wie sehr ich es hasse, hasse, hasse, wenn man mir im Kopf herumpfuscht?
Und überdies, waren wir uns auch sehr schnell einig, würde es auch mit neutralisiertem kollektivem Unterbewusstsein der Menschheit zu lange dauern, einen neuen Film mit der entsprechenden Botschaft vorzubereiten, zu produzieren und so zu verbreiten, dass er die gewünschte Wirkung zeigen würde. Also eine weitere Sackgasse. Mierda.

Bevor wir nach dem Gespräch mit Haley auseinander gingen, kamen wir aber noch überein, dass wir morgen nun aber wirklich zu Tanit müssen, auch wenn Alex immer noch damit beschäftigt ist, Eleggua davon abzuhalten, in den Krieg gegen Odin zu ziehen. Wir überlegten ein bisschen, ob vielleicht jemand von den Guardians in Frage käme, um das Boot zu steuern, und landeten bei Dee – die offensichtliche Wahl tatsächlich. Denn als Alex‘ Schwester hat sie zwar vielleicht nicht dessen instinktives und von seiner Tätigkeit für Eleggua verstärktes Talent für Fortbewegungsmittel aller Art, aber sie hat dieselbe Erziehung, dieselbe Kindheit und dieselben gut ausgebildeten mundanen Fähigkeiten. Als wir sie anriefen, war sie sofort voller Verständnis, dass Alex seinen Patron im Zaum halten muss, und erklärte sich bereit, uns morgen zum Cayo Huracán zu bringen.

---

17. November

Nachdem wir – wieder bei demselben Bootsverleiher, der eigentlich wenig Lust hatte, uns noch einmal eines seiner Fahrzeuge anzuvertrauen, sich aber von einigen wohlgesetzten Worten, Dees großem Bootsführerschein und dem umfassenden Versicherungsschutz des Hauses Raith doch überzeugen ließ – eine Möglichkeit zur Überfahrt gefunden hatten, brachte Dee uns diesmal tatsächlich sicher zum Cayo Huracán.
 
Tanit empfing uns höflich, hörte uns an und bestätigte noch einmal, dass dieser Winter nicht von den Feenhöfen ausgehe. Ganz ähnlich wie Hurricane vorgestern erklärte auch sie in gleichmütigem und nicht sehr interessiertem Ton, sie sei nicht eifersüchtig, weil eine andere Macht den Winter beschwöre – wenn es ein konkurrierender Feenhof gewesen wäre, vielleicht, aber so empfinde sie das nicht als Bedrohung oder Herabsetzung ihrer eigenen Stellung.
Als Totilas aber erwähnte, dass bei diesem Winter höchstvermutlich die Outsider ihre Finger im Spiel hätten, wurde Tanit doch hellhörig. Dass sie selbst gesagt habe, es sei zu früh für die Outside, ihre, Tanits, Vorbereitungen seien noch nicht fertig, fügte ich noch hinzu.
„Ich fürchte, mein Gegenpart hat einen Einfallswinkel für diese… diese Wesen geöffnet, als er die Einherjer an seinen Hof ließ und den Schutz seines Hofes Odin unterstellte.“

Autsch. Ja, es war natürlich Pan gewesen, der die letztendliche Entscheidung darüber traf, aber die Idee mit den Einherjern war von mir gekommen. Also eigentlich genau genommen von Pan, der den Gedanken nach der Sache mit den Sonnenhaaren hatte, aber ich war es, der die Idee trotz meiner leichten Zweifel aufnahm, noch einmal nach Heorot reiste und die weiteren Einherjer holte. Und ja, die Situation war nach dem Verlust der Sidhe-Ritter dramatisch gewesen, und eine Lösung hatte keinen Aufschub geduldet, aber trotzdem. Autsch.

„Ich habe versucht, ihm das zu erklären“, fuhr Tanit trocken fort, „aber da funkte ja sein Ritter dazwischen.“

Doppel-Autsch. Ich habe mir seither schon mehr als einmal Vorwürfe deswegen gemacht, dass ich den Raum in dem Moment betreten habe, aber die Auseinandersetzung klang so … nun, so hitzig und unversöhnlich. Es ist mir schon mehrfach durch den Kopf gegangen, ob Pan und Tanit einfach so heftig streiten müssen, ob das bei Sommer und Winter nicht anders geht und bei ihnen immer so ist, und ob, wenn ich das Ganze hätte laufen lassen, der Streit nicht am Ende doch in ihrem üblichen Hasslieben-Streit-Versöhnungssex geendet hätte. Und Tanit schien ja jetzt tatsächlich davon auszugehen, dass sie, sobald der Sturm abgeebbt wäre, noch eine Chance gehabt hätte, zu Pan durchzudringen… Ai, mierda. ¡Mierda y cólera!

„Vermutlich hätte es aber ohnehin nicht geklappt“, lenkte die Sturmgottheit nun ein, „er war in letzter Zeit noch störrischer als sonst.“ – ob sie das wirklich glaubte, oder ob sie mich aus Höflichkeit beruhigen wollte, das sei einmal dahingestellt.

Groß weiterhelfen – außer unseren Verdacht des Fimbulwinters weiter zu erhärten – konnte uns die Winter-Herzogin jedenfalls nicht, und so kehrten wir, zum Glück wieder ohne irgendwelche Havarien, nach Miami zurück. Auch der Bootsverleiher zeigte sich extrem erleichtert, dass diesmal alles gutgegangen war und er nicht ein zweites Boot zur Reparatur aus dem Verkehr ziehen musste.

Auf dem Weg vom Hafen zurück ins Stadtzentrum rief Dora vom Donutladen bei Edward an: Eine junge Frau hätte nach uns gefragt. Sie hätte etwas von einem Orkus gesagt und sich Lucretia genannt. Ja, sie sei gerade noch da, sie würde auf uns warten.

Das tat sie auch wirklich. Als wir im Dora’s ankamen, sprang die junge Frau auf, setzte sich dann wieder, und wir gesellten uns zu ihr.

Lucretia sah etwas müde aus, sogar anämisch. Uns allen kam sofort die Idee, dass sich vermutlich ein Schwarzvampir an ihr genährt haben könnte.
„Ich bringe eine Nachricht von meinem Herrn Orkus.“
„Ach, der ist wieder da?“, konterte Edward in etwas sarkastisch-zweifelndem Tonfall.
„Ja“, erwiderte Lucretia, „es war immer nur eine Frage der Zeit, bis er zurückkehren würde. Sarkos wollte aufbegehren, doch dieser Versuch war selbstverständlich zum Scheitern verurteilt. Doch jetzt hat Sarkos‘ alter Feind ihn in seinem Visier.“

Lucretias Stimme klang eindeutig gestelzter und formaler als bei unseren letzten Treffen, beinahe monoton, und ihre Augen wirkten irgendwie glasig. Sie erschien mir deutlich weniger wie sie selbst und mehr wie die reine Inkarnation der Hohepriesterin einer römischen Gottheit.
Plötzlich jedoch wurde ihr rechtes Auge klar, und jemand anderes schaute heraus, schien Lucretia dabei zu beobachten, was sie sagte – oder ihr vielleicht gar die Worte in den Mund zu legen? Dieses Gefühl hatte ich ganz stark.

„Im Moment ist Orkus noch etwas zu geschwächt, um gegen Sarkos‘ Feind vorzugehen, und so bietet Orkus euch die Chance, dem Feind eine Falle zu stellen.“
„Was für eine Falle?“, fragte Roberto.
„Der Feind denkt, Orkus sei Sarkos.“
„Ach, und warum denkt er das?“ Wieder Edward, in demselben sarkastischen Tonfall wie zuvor.
„Sarkos war närrisch und wollte Orkus übernehmen, doch Orkus war natürlich zu mächtig.“
„Hatte Sarkos vielleicht einen von diesen Dolchen?“, wollte ich nun wissen, was Lucretia etwas aus der Rolle der Hohepriesterin fallen ließ und sie wieder mehr wirkte wie das junge Goth Girl, das sie eigentlich ist. „Jaaaaa? Vielleicht?“
„Was für eine Falle?“, wiederholte Roberto.
„Die genaue Beschaffenheit der Falle würde er in seiner Großzügigkeit euch überlassen.“
Hah. Ahahaha.

Wir könnten Orkus heute Abend treffen, sagte Lucretia, in einem kleinen Bistro im Theaterdistrikt. Das Bistro kenne ich sogar – vor einer Weile waren Lidia und ich im Theater und gingen hinterher in genau dort etwas essen. Für ein italienisches Restaurant verwenden sie dort erstaunlich wenig Knoblauch. Damals fiel uns das zwar auf, aber es ließ bei mir keine Alarmglocken klingeln. In diesem Zusammenhang jetzt allerdings regte sich bei mir – und Roberto, der den Laden ebenfalls kannte – das Misstrauen: Ob das vielleicht ein Treffpunkt für Schwarzvampire ist, wie es The Whispers für die Rotvampire war? Und wird das da heute Abend vielleicht eine Falle für uns?
Wir werden hingehen… aber wir werden auf jeden Fall Knoblauch und Weihwasser dabei haben. Und mein patentiertes Sonnenlicht.

--------

Wir sind von dem Treffen zurück. Unversehrt und ungebissen, wohlgemerkt. Es war tatsächlich keine Falle.

An einem Tisch in dem Bistro saß eine Person, die wir noch von der Auktion damals in Erinnerung hatten: in dunkler Kleidung, vergleichsweise jung und für einen Schwarzvampir verblüffend wenig tot und verfallen aussehend – und definitiv nicht die Gestalt von Orkus, wie wir den in der Gruft auf dem Friedhof kennengelernt hatten, sondern eben die von Sarkos.

Nach der höflichen, aber eher zurückhaltenden Begrüßung begann unser Gegenüber das Gespräch:
„Ich denke, wir haben alle ein gemeinsames Interesse daran, diesen Gegner auszuschalten.“
„Vermutlich schon“, brummelte Edward einigermaßen widerwillig.
Ich schaltete mich ein, bevor der zweifelnde Tonfall meines besten Freundes Anstoß erregen konnte. „Was gibt es über ihn zu wissen?“
„Er ist sehr alt, er ist sehr katholisch, er will die Sünder bestrafen und er glaubt, er tue Gottes Werk.“
Ich hob die Brauen. „Katholizismus und Vamprismus – das ist doch ein kolossaler Widerspruch in sich?“
„Warum?“, fragte Totilas und schien die Frage völlig ernst zu meinen.
Zugegeben, meine Antwort klang vielleicht ein bisschen ungläubig: „Ähm, weil Schwarzvampire keine Kreuze vertragen?“
„Er kasteit sich gerne damit“, erläuterte unser Gesprächspartner.
„Wie heißt er? Also, wie hieß er früher?“
Ein Schulterzucken. „Vielleicht hatte er einmal einen Namen. Aber jetzt nennt er sich nur noch Salvador Ultimo.“

Salvador Ultimo. Der letzte Retter. Hah.

„Und wie stellst du dir das jetzt vor?“
„Salvador sucht Sarkos – er will Rache.“
„Rache? Wofür?“
Das Lächeln unseres Gegenübers war dünn, maliziös und trug einen Hauch von Triumph in sich.
„Er hat nicht ohne Grund 300 Jahre lang geschlafen.“
Totilas schaltete sich ein: „Wer hat ihn denn aufgeweckt, und warum?“
„Das war wohl ein Fehler. Vor etwa dreißig Jahren hat Sarkos gegen einen Gefallen den Körper Joseph Adlene überlassen – der wollte wohl Experimente damit durchführen.“
„Aber warum wurde er dann gerade jetzt wieder aufgeweckt?“
Wieder ein Schulterzucken. „Vermutlich, weil Adlene mit diesen seltsamen Wesen zusammenarbeitet? Aber jedenfalls würde ich es gerne vermeiden, dass Salvador Sarkos und seine Zuflucht findet. Sarkos kann nicht gut gegen Salvador vorgehen, auch wenn er inzwischen stärker ist als Salvador, aber…“

„… er hat dich gemacht“, beendete ich den abgebrochenen Satz.
„Ja.“
„Also bist du gar nicht Orkus.“
Über das Gesicht unseres Gesprächspartners zog ein halb schuldbewusstes, halb schelmisches Lächeln. „Das ist eine zutiefst philosophische Frage. Niemand sonst außer mir ist Orkus. Aber ja, es stimmt schon, ich bin deutlich mehr Sarkos als Orkus.“
Ich nickte. „Und Lucretia wäre dir eine bessere Hohepriesterin, wenn du sie nicht weiter aussaugst.“
Wieder dieser etwas undefinierbare Gesichtsausdruck. „Ja, da hast du wohl recht.“

„Wie hast du dir diese Falle denn nun vorgestellt?“, nahm Edward den Faden wieder auf, und Sarkos führte aus, dass wir Salvador an einen noch näher zu bestimmenden Ort locken sollten. Er, Sarkos, würde sich Salvador zeigen, der würde ihn verfolgen, und Sarkos würde ihn eben zu diesem Ort ziehen, wo wir auf ihn warten würden.
Wie wir miteinander kommunizieren sollten, dazu hatte er auch bereits eine Idee. Nicht Lucretia, wie wir überlegten, sondern er holte eine Kröte aus der Tasche – Moment, der hatte eine lebende Kröte in der Tasche?? – und gab sie uns. „Redet mit der Kröte, ich kann euch über sie antworten. Aber seid vorsichtig – wenn ihr die Kröte mit in die Glades nehmt, bevor der Moment gekommen ist, dann könnte Salvador sie wittern.“

Es war zu spüren, dass Sarkos sich alle Mühe gab, höflich zu sein, aber er konnte nun einmal nicht aus seiner Haut. Er war nun einmal ein eiskalter Meistervampir und entsprechend herablassend, auch wenn er sich bemühte, das nicht zu zeigen.
Aber immerhin hatten wir ein gemeinsames Interesse, nämlich diesen Feind auszuschalten, den wir alle aus dem Weg räumen wollen.

Sobald wir auseinandergegangen waren, beschlossen wir, dass wir für die Detailplanungen der Salvador-Falle natürlich die anderen Guardians mit ins Boot holen müssen, oder zumindest diejenigen von ihnen, die Zeit haben. Und dann treffen in der Casa Guardián.

---

Bevor wir uns in der Casa Guardián mit den anderen treffen konnten, bekam Totilas einen Anruf von Marshall Raith, der uns etwas über die Sozialstrukturen des Black Court erzählen konnte: Sie leben üblicherweise in einem Nest, das von einem Meistervampir angeführt wird und ansonsten einige intelligente Sprösslinge und etliche wilde Jungvampire beherbergt. Mit genügend Zeit werden die Jungvampire zu Sprösslingen und diese irgendwann selbst zu Meistervampiren – aber der Großteil kommt nicht so weit, sondern wird noch im ersten Stadium entweder von Menschen oder von den Sprösslingen getötet, wobei die Sprösslinge sich eigentlich recht gut unter Kontrolle hätten, sagte Marshall. Für den Meistervampir jedenfalls sei die Kontrolle umso schwerer, je mehr Unterlinge er unter sich habe – und im Umkehrschluss ist ein großes Nest ein Hinweis auf einen mächtigen Meistervampir.

Marshall hatte auch Informationen über Salvador Ultimo herausgefunden – zwar nicht den Namen des Mannes selbst, aber immerhin den Namen eines Schiffes, der Santa Clara.

Vor dem Treffen mit den anderen wollen wir erst noch dieses Schiff recherchieren – vielleicht kann das ja auch etwas zur späteren Planung beitragen.

---

Nachdem Totilas einige Kontakte abtelefoniert hatte, Edward Zeitungen wälzte und ich das Internet durchforstete, landeten wir schließlich bei einem Museum, das alte Seefahrtsarchive beherbergte, darunter auch jahrhundertealte Schiffsmanifeste. Und im Manifest der Santa Clara fanden wir unter anderem den folgenden Eintrag:

Sarg des Caballero Juan Ramos de Alcazár

¿Que demonios?

Ich wiederhole mich, aber: ¿¡Que demonios!?

Okay, die Namensgleichheit muss nicht bedeuten, dass dieser Caballero wirklich ein Vorfahr oder entfernter Verwandter von mir ist, aber trotzdem. Das muss ich erst einmal verdauen.

Oh, und die Tatsache, dass der Leichnam in dem Sarg als Caballero bezeichnet wird und nicht als Mönch, dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit bedeuten, dass Juan Ramos de Alcazár nicht der wahre Name von Salvador Ultimo ist, weil er als Mönch höchstvermutlich einen Glaubensnamen angenommen hat, der dann zu seinem wahren Namen wurde, aber immerhin, es ist ein Name, der zumindest einmal zu ihm gehört hat. Damit können wir – kann Edward – dann hoffentlich etwas anfangen.
« Letzte Änderung: 15.11.2023 | 10:09 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Nach dem Treffen

Fébé und Cicerón waren noch immer anderweitig beschäftigt, aber Ilyana wollte auf jeden Fall dabei sein, immerhin betraf die Sache die Everglades.
Ximena, Ángel und Bjarki waren in ihre Forschungen vertieft, wie man einem Outsider beikommen könnte, wenn man ihn erstmal zu fassen bekommt, und Dee sagte, sie würde überwachen, was sonst noch so alles in der Stadt auftaucht, und den Kontakt zu Alex halten, damit nicht plötzlich Eleggua auftaucht und Asgard plattmachen will.

Ilyana wiederum konnte einiges über Sarkos berichten, der sich ja üblicherweise in den Everglades aufhält. Er habe keinen Kult, sagte sie – oder zumindest bislang nicht gehabt: In letzter Zeit seien doch immer mal wieder einige, zumeist junge, Gruftis in den Glades aufgetaucht. Das mit den Gruftis konnten wir aufklären: dass das eben Anhänger des Orcus seien und die römische Totengottheit nun in Gestalt des Schwarzvampirs verehren wollten. „Hm, dann hat er vielleicht demnächst doch einen Kult“, sinnierte Ilyana trocken.

Kurz kamen wir auch auf Odin und den drohenden Fimbulwinter zu sprechen, aber gerade ist der Schwarzvampir und die Falle für ihn das deutlich drängendere Problem.

Zunächst: das Wo. Ilyana schlug ein verlassenes Haus in den Everglades vor, und tatsächlich kannte auch Roberto den Ort, weil er irgendwann einmal ein Fotoshooting dort gehabt hatte.
Dann: all die Dinge, die uns dabei helfen können, Salvador Ultimo anzulocken.
Wir haben seinen Namen, oder zumindest den, den er vor seiner Berufung in den Mönchsorden trug, und wir haben die Kröte, über die wir uns mit Sarkos verständigen können.
Der Sarg, mit dem er auf der Santa Clara über das Meer kam, wäre auch eine Möglichkeit – oder genauer gesagt, auf diese Idee kam Totilas, Salvadors Heimaterde aus dem Sarg wäre noch viel besser.
Außerdem könnte ein geweihtes Kreuz helfen – erst, so katholisch wie dieser Black Court ist, um ihn anzulocken und vor Ort zu halten, aber dann vielleicht – hoffentlich – auch, um ihn zu bekämpfen.
Roberto schlug noch vor, ihn dann, wenn er an Ort und Stelle wäre, mit ‚möglichst viel Sünde‘ zu provozieren, und Totilas will ihn mittels seiner Kräfte an Ort und Stelle festhalten, damit er nicht einfach abhauen kann.

Die benötigten Gegenstände wollen wir jetzt erst einmal beschaffen, frei nach dem Motto: „Okay, ich besorge ein Kreuz, Alex und Edward holen die Erde, Roberto dragqueent und Totilas whitecourtet“, dann geht es an die Detailplanung.

---

Ich habe ein Kreuz bekommen, auch wenn es nicht ganz das war, was ich eigentlich wollte. Mir hatte ein stark verziertes, deutlich katholisches Kreuz vorgeschwebt, aber die einzigen Kreuze, die ich in der Kürze der Zeit finden konnte, waren schlichte, unverzierte. Also muss jetzt so eines herhalten, aber immerhin konnte ich es noch von Pater Antonio weihen lassen.

---

Roberto und Totilas sind als Sexy Red Nun bzw. in goldenem Lackleder mit jeder Menge Bändern und Ketten hier aufgeschlagen. Wie war das gleich mit ‚Roberto dragqueent und Totilas whitecourtet‘? Volltreffer.

Edward und Alex haben Salvadors Sarg, aber das war gar nicht so einfach. Der befand sich nämlich nicht im Gewahrsam des SID, sondern im zuständigen Polizeirevier, und der Desk Sergent dort war wohl … schwierig. Aber Ende gut, alles gut, Formular hin, Fax her, am Ende waren sie doch erfolgreich.

Also der Sarg, das Kreuz, und jede Menge Weihwasser von der Kirche, an der Salvador Ultimos Angriff stattfand, haben wir ja auch noch.

Bleibt die Frage, wie wir gegen einen so alten Schwarzvampir vorgehen können, der immerhin so nette Fähigkeiten hat, wie sich in Nebel zu verwandeln. Vor allem mit Sonnenlicht, stellte sich heraus, denn nur im Sonnenlicht ist er überhaupt irgendwie verwundbar. Ohne das können wir es gleich vergessen, aber sobald das Sonnenlicht kommt, wird er natürlich versuchen, abzuhauen, und das müssen wir irgendwie verhindern.

Der Plan: Ich mache Sonnenlicht, dann sorgt Totilas mittels seiner White Court-Methoden dafür, dass Salvador nicht auf die Idee kommt, abzuhauen, dann weichen die Jungs ihn auf, und am Ende wird er geköpft. Und zwar von mir, da ich dank Jade und Eileen der einzige Schwertkämpfer unter uns bin.

„Bist du bereit dazu?“, fragte Totilas unvermittelt.
Nanu? Wo kam das jetzt her? Etwas verwirrt antwortete ich: „Ja.“
„Obwohl er vielleicht ein Verwandter von dir ist?“
Das ließ mich kurz innehalten, aber nicht lange. „Ja. Er ist ja kein direkter Verwandter, und selbst wenn er ein entfernter Vorfahr von mir ist, er ist ein Vampir, und er ist untot, also ja.“

Aber gut, wir fahren jetzt los. Himmel steh uns bei!

---

Alle noch am Leben. Das war erstaunlich einfach, wenn man bedenkt, mit was für einem Wesen wir es da eigentlich zu tun hatten. Gute Vorbereitung zahlt sich eben doch aus. Aber der Reihe nach.

Wir waren bereits vor Ort an diesem Haus in den Glades, da hatten Totilas und Edward die geniale Idee, die Heimaterde aus dem Sarg, hinter der Salvador ja vermutlich her sein würde, mit Sonnenlicht zu durchfluten und quasi eine Landmine daraus zu machen, die ihm ins Gesicht explodieren sollte, sobald er sie anfassen würde. Das wären dann eben zwei getrennte Rituale: erst die Bombe bauen und dann den Black Court anlocken, aber für Edward können es ja ohnehin nie genug Rituale sein.
Für die Landmine packten wir neben der Heimaterde des Schwarzvampirs und dem von mir gewirkten Sonnenlicht noch etwas von unserem Weihwasser in den Beutel, und in die rituelle Verbindung wob Edward auch noch Salvadors wahren, na gut, nicht seinen wahren, aber seinen weltlichen Geburtsnamen. Bei all diesem explosiven Potenzial wäre Edward das Ritual beinahe um die Ohren geflogen, aber es gelang ihm, die Kontrolle zu behalten und das Säckchen wie gewünscht zu präparieren.

Währenddessen legte ich auch noch eine Aura aus Sonnenlicht auf Jade – natürlich kamen von den Jungs blöde Sprüche von wegen ‚Lichtschwert‘, aber damit hatte ich schon gerechnet. Bei uns geht es einfach nicht ohne blöde Sprüche, und normalerweise bin ich bei sowas ja auch immer gut mit dabei.

Dann jedenfalls war es soweit, und Edward begann sein Ritual, um den Vampir anzulocken. Während er zauberte, hielt Totilas den Beutel mit der präparierten Erde fest… und das war auch gut so, denn während das Ritual noch lief, flog plötzlich die Tür der Hütte auf, und der Vampir stand im Raum. Und er war verdammt schnell. Wenn Totilas nicht selbst auch über übernatürliche Reflexe besäße, dann hätte der Black Court sich einfach das Säckchen mit der Erde geschnappt und wäre weg gewesen. So aber konnte Totilas in letzter Sekunde ausweichen, und Salvador Ultimos Krallen rissen ihm ‚nur‘ die Seite auf. Totilas schlug zurück, traf seinen Gegner jedoch nicht – aber da noch kein Sonnenlicht herrschte, war der Vampir ohnehin noch nicht zu verwunden.

Kein Sonnenlicht? Das konnte ich ändern. Anders als das konzentrierte Sonnenlicht für den Bombenbeutel oder die Aura, die ich um Jade gelegt hatte, beherrsche ich meinen patentierten Zauber, mit dem ich einfach Tageslicht auf die Szenerie lege, inzwischen vollkommen im Schlaf. Mit einem kurzen Gedanken rief ich die Magie herauf, und es wurde taghell im Raum. Salvador Ultimo fauchte auf, entweder erbost oder vor Schmerz, und auch von der Eingangstür kamen wütende Zischlaute. Dort hatten ein ganz offensichtlich untoter Alligator und ein ebenso offensichtlich ganz frisch erschaffener Jungvampir des Typs Fastfood-Bauch und Baseballkappe wohl gerade hereinstürmen wollen, trauten sich jetzt aber nicht mehr ins Licht. Alex packte sein mit Weihwasser gefülltes Super Soaker-Gewehr fester und stellte sich den beiden Gegnern an der Tür in den Weg, während Roberto mit seinem eigenen Spritzgewehr den Meistervampir durchnässte und eine provokante Beleidigung nach der anderen auf ihn abfeuerte. Als Edward dann auf Salvador Ultimo losging und mit seinem magischen Handschuh nach ihm schlug, brachte er dem Schwarzvampir eine so hässliche Wunde bei, dass der eigentlich schon im Begriff war, umzudrehen und den Rückzug anzutreten, aber nun kam Totilas ins Spiel, der lockend den Beutel mit der präparierten Erde vor der Nase des Black Courts herumschwenkte. Dem Zwang, seine Heimaterde in die Hände zu bekommen, konnte der Schwarzvampir nicht widerstehen, und so schnappte er danach.
Der Beutel explodierte Salvador Ultimo ins Gesicht, und der Vampir wurde zurückgeschleudert – und es war ihm anzusehen, dass ihn die Bombe tatsächlich richtig schwer verletzt hatte.

Bevor er sich aufrappeln konnte, war ich bei ihm und köpfte ihn.

Okay, okay, okay. Vorher rief ich auch noch etwas. „Juan Ramos Alcazar, es ist mir egal, ob du mein Vorfahr bist oder nicht, in meiner Stadt wirst du kein Unheil mehr anrichten!“
Santisima madre, jetzt wo ich das aufschreibe, klingt es fürchterlich kitschig, kitschiger als alles, was ich Eric Albarn je sagen lassen würde. Aber vermutlich hatte mir die mögliche Verwandtschaft zu dem alten Monster unterbewusst doch mehr zugesetzt, als ich mir das selbst hatte eingestehen wollen, also möge man es mir nachsehen, Römer und Patrioten.

Jedenfalls wirkte der Black Court für einen Augenblick beinahe ungläubig-verwirrt, dann zerfiel er zu Staub, und im selben Moment brachen vor der Tür auch der untote Alligator und der Nachwuchvampir zusammen. Von dem Staub nahm Edward etwas mit – zu Analysezwecken, wie er sagte.

Totilas war ja als einziger von uns verwundet, und so wollten wir uns natürlich um ihn kümmern, aber als wir uns ihm näherten, winkte er heftig ab und scheuchte uns zurück. Seine Augen waren seltsam – sie flackerten zwischen seinem üblichen Grau und dem Silberton seiner White Court-Seite hin und her, ganz so, als führe er mit seinem Dämon einen Kampf um die Kontrolle über seinen Körper… oder zumindest, als führe er mit seinem Dämon eine hitzige Diskussion.
Ja, da war es wohl tatsächlich besser, dass wir uns fernhielten, auch wenn Totilas dann einige Mühe hatte, die Wunde in seiner Seite selbst irgendwie mehr schlecht als recht zu verbinden.

Als unser White Court-Kumpel sich dann endlich wieder soweit im Griff hatte, dass wir gefahrlos gemeinsam zurück in die Stadt fahren konnten, kamen wir natürlich ins Sinnieren. War diese ganze Sache mit Salvador Ultimo jetzt nur ein Ablenkungsmanöver von Adlene gewesen, oder war hatte das gesollt? Höchstvermutlich schon, waren wir uns einig, denn irgendetwas hatte Adlene mit der Erweckung des Schwarzvampirs ja bezweckt.
Aber wo wir schon über Adlene redeten, was ist eigentlich mit dem? Von dem haben wir schon verdächtig lange nichts mehr gehört.
Und apropos Adlene, und apropos Adlene und Jak, wo hatte Sarkos eigentlich den Dolch her, um Orkus zu töten?

Wir müssen dringend noch einmal mit Sarkos reden. Am besten gleich noch heute Abend. So spät ist es ja tatsächlich noch nicht.

---

18. November

Wir trafen uns wieder in derselben Pizzeria wie beim letzten Mal. Als wir ankamen, las der Schwarzvampir gerade die Theaterseiten der New York Times, und so ergab sich zwischen ihm und mir ein kurzes und reserviertes, aber durchaus höfliches Geplänkel über Broadway-Stücke und die Theaterszene in New York und Miami sowie die besondere Stimmung am Broadway und dass Sarkos unbedingt Hamilton sehen wolle.

Dann kamen wir zum Thema und fragten nach dem Dolch, und Sarkos erzählte ganz offen, dass er den von Jak bekommen habe. Auf unsere nachfolgende Frage nach dem Warum gab Sarkos zur Antwort: „Er sucht wohl Verbündete.“
„Und bist du einer?“, fragte Roberto.
„Ich bin sicher, Jak denkt das."
„Aber bist du?“
„Er ist ein Outsider“, schoss Sarkos in angewidertem Tonfall zurück.

Hier schaltete Totilas sich ein. „Das sagt alles und nichts. Gib mir die konkrete Aussage, dass du kein Verbündeter Jaks bist.“
„Das werde ich nicht tun. Zu diesem Thema habe ich alles gesagt, was zu sagen ist.“
„Weil du es nicht kannst“, erwiderte Totilas anklagend, „weil du eben doch mit den Outsidern arbeitest, habe ich recht? Wenn du es nicht ausdrücklich verneinst, dann müssen wir davon ausgehen, dass du mit den Outsidern gemeinsame Sache machst. Also sag es uns explizit.“
Sarkos‘ Stimme blieb höflich, wurde aber mit einem Mal eiskalt. „Willst du mir etwa drohen, kleiner White Court?“

Ich versuchte, vermittelnd einzugreifen, dass Totilas das sicherlich nicht als Drohung gemeint hätte, aber Sarkos war schon aufgestanden.
„Ich unterhalte mich gerne wieder einmal über Kultur, aber grillen lasse ich mich nicht“, sagte er kühl und ging.

Seufz.

Als wir wieder unter uns waren, schlug Edward vor, dass wir aufhören sollten, Jak bei diesem Namen zu nennen, um ihm nicht unnötig Macht zu geben. Denn vielleicht könne er es ja doch spüren, wenn man von ihm rede, und vielleicht könne er uns ja dann sogar belauschen, Wenn wir einen anderen Namen wählen, meinte Edward, dann machen wir ihn vielleicht nicht jedesmal darauf aufmerksam, dass wir über ihn reden, oder sogar, was wir über ihn reden.

Dass er uns belauschen kann, ist vielleicht ein wenig arg paranoid, aber wie heißt es so schön: Dass du paranoid bist, heißt nicht, dass sie nicht hinter dir her sind, und außerdem haben Namen ja wirklich eine gewisse Macht, und er hat diese Bezeichnung vermutlich nicht völlig ohne Grund gewählt. Schaden kann eine neue Bezeichnung also auf keinen Fall.

Roberto schlug ‚Es‘ vor, „nach dem Film um den Clown mit den Ballons“ („Roman!“, korrigierte ich), aber Edward kannte weder Roman noch Film, also gab ich ihm erst einmal einen kurzen Abriss der Prämisse und schlug dann vor, statt ‚Es‘ doch vielleicht lieber ‚Pennywise‘ zu nehmen, wie sich der Clown im Buch ja nennt. Die Idee fanden die anderen gut, also nennen wir den Outsider mit den Ballons ab jetzt ‚Pennywise‘.

Bevor wir uns trennten, machten wir mit den übrigen Guardians wieder ein Treffen für den nächsten Tag – also heute – aus. Da muss ich auch gleich los, aber ich wollte das hier erst noch loswerden.

---

Nach dem Treffen – wieder mal

Bei der Versammlung gaben wir natürlich ein Update in Sachen Salvador Ultimo, aber ansonsten ging es vor allem um das Problem mit Odin.

Ángel berichtete, dass die Orunmila sich voll hinter Eleggua stellen (was keine Überraschung ist) und für einen offenen Konflikt oder gar Krieg planen. Und das hätte es zwar vielleicht nicht sein sollen, aber das Ausmaß dieser Vorbereitungen war tatsächlich schon eine Überraschung für mich.
Cicerón hatte etwas Ähnliches zu sagen. Er schickte Dee kurz hinaus, sie solle sich doch mal bitte die Nase pudern, und meinte dann, er habe Waffen für den Konflikt besorgt. „Nichts für ungut, Cardo.“

So ganz konnte ich den Frust nicht aus meiner Stimme heraushalten, als ich antwortete: „Schon okay, ich will ja auch nicht auf Odins Seite gezwungen werden, nur weil der jetzt wegen der Einherjer Pan unter seiner Fuchtel hat.“

Am Allerbesten wäre es natürlich, überlegten wir, wenn Pan sich komplett von Odin lossagen und die Einherjer wegschicken würde. Dann wäre zwar der Palast ungeschützt, aber Sir Aidan und Sir Fingal haben ihre Sühnequesten ja inzwischen beendet (oder genauer gesagt, Sir Aidan ist bereits geläutert zurück, Sir Fingal ist noch unterwegs), und vielleicht haben sie ja an den anderen Sommerhöfen genügend gut Wetter für Pan gemacht, dass doch wieder Sidhe-Ritter von anderen Höfen zurück nach Miami kommen wollen und wir die Einherjer ersetzen können?

Daraufhin schlug jemand, ich weiß gar nicht mehr genau, wer eigentlich, vor, dass wir doch vielleicht Titania involvieren könnten. Immerhin sei sie die Königin des Sommers und damit Pans ‚Chefin‘ – vielleicht könne sie etwas bei ihm ausrichten?
Das war eine ganz ausgezeichnete Idee, aber Alex hatte völlig recht, als er meinte, dass ich zu dieser Audienz vermutlich besser nicht mitgehen sollte, weil Pan ja doch trotz allem mein Herzog ist und ich die Etikette wahren und nicht so offen an ihm vorbei agieren sollte. Also einigten wir uns darauf, dass Alex und Roberto den Besuch bei der Sommerkönigin antreten werden.

Totilas und ich werden in der Zeit seine Großmutter am Coral Castle aufsuchen. Vielleicht hat sie eine Ahnung, was Joseph Adlene gerade im Schilde führt und mit seinem Salvador Ultimo-Ablenkungsmanöver verschleiern wollte.

Und Edward will sich mal bei unserer Bekannten Vanessa Gruber aus dem Magierrat melden.

---

Tío. Ich hatte völlig vergessen, was für eine schreckliche Nervensäge Camerone Raith sein kann! Ich meine, nein, natürlich hatte ich es nicht wirklich vergessen. Sie war schon zu Lebzeiten der Inbegriff einer intriganten Weißvampirin, und als Geist hat sich das in keinster Weise geändert. Aber trotzdem. Tío, ist die anstrengend!

Als wir ankamen, Totilas mit den Lieblingsblumen seiner Großmutter als Geschenk im Arm, und zwar im Topf, nicht als Schnittblumen, bemerkten wir gleich auf den ersten Blick, dass Camerone wirkte wie die sprichwörtliche Katze, die den Kanarienvogel gefressen hat. Oder vielleicht auch den Sahnetopf ausgeschleckt hat, egal.

„Aaaah, Totilas, mein Lieblingsenkel!“, begrüßte sie uns in ihrem üblichen zuckersüß-boshaften Ton.
„Hallo Camerone“, erwiderte Totilas. „Geht es dir gut?“
„So gut es einem gehen kann, wenn man von einem Krokodil gefressen wurde.“
„Du siehst zufrieden aus“, sagte Totilas.
Camerone zeigte ein im selben Maße triumphierendes wie maliziöses Lächeln. „Ja. Willst du wissen, warum?“
„Willst du es mir erzählen?“
Camerones Lächeln wurde wenn möglich noch etwas boshafter. „Aaaah, Frage und Gegenfrage, wie habe ich das vermisst.“
Daraufhin erwiderte Totilas sehr höflich und formell: „Es würde mich sehr freuen, wenn du es mit uns teilen würdest.“
Seine Großmutter lachte hell auf. „Du bist zwar mein Lieblingsenkel, aber wenn es dir Freude macht, dann will ich es nicht. Und überhaupt, es wäre so schön, wenn ihr mich ein einziges Mal einfach mal nur besuchen kommen würdet, ohne dass ihr irgendwas wollt.

Mierda. Das lief überhaupt nicht gut. Totilas schien gerade schon protestieren zu wollen, aber das würde Camerone vermutlich nur noch sturer machen, deswegen schaltete ich mich ein:
„Okay, weißt du was? Jetzt sind wir hier und besuchen dich einfach mal nur und reden, und dann gehen wir wieder, ohne dass wir was gewollt haben, und dann kommen wir morgen mit unserem Anliegen wieder.“
Camerone blinzelte. „Das… ist akzeptabel“, sagte sie dann, und zu Totilas gewandt: „Nimm dir ein Beispiel an deinem Schriftsteller-Freund.“ Leise – aber nicht so leise, dass ich es nicht gehört hätte – fügte sie hinzu: „Den hast du schon gehabt, oder?“

Tío. Während Totilas überlegen lächelte, Marke: „der Gentleman genießt und schweigt“, versuchte ich, ein Pokerface beizubehalten und einfach gar nicht zu reagieren.

Den Rest des Besuchs verbrachten wir tatsächlich mit Smalltalk. Auf Camerones Aufforderung hin erzählte ich eine Geschichte, während Totilas von der Familie berichtete und die Fragen seiner Großmutter beantwortete. Auch der nicht enden wollende Bau an Raith Manor kam zur Sprache, woraufhin Camerone die Augen verengte und dann sagte: „Ich gebe dir einen ernsthaften Rat, weil du mir Blumen gebracht hast und mein Lieblingsenkel bist und Zeit mit mir verbringst: Finde heraus, wer die Baustelle sabotiert, denn wenn du den- oder diejenigen nicht findest, dann werden sie eskalieren.“
Und mit diesen Worten verabschiedete sie sich.

Bereits während des Gesprächs hatten wir immer wieder bemerkt, dass irgendetwas los sein musste. Mehrfach tauchten Geister bei Camerone auf und gestikulierten bzw. sprachen so, dass wir Lebenden sie nicht verstehen konnten, aber die tote White Court-Vampirin hatte sie immer fortgeschickt.
Nun, als wir gerade im Gehen begriffen waren, sahen wir noch, wie Camerone sich abrupt umdrehte und in herrischem Ton rief: „Jetzt mal Ruhe hier!!!“, bevor sie durchsichtig wurde und verschwand.

Sehr spannend. Was das wohl gewesen sein mochte? Vielleicht finden wir das ja morgen heraus. Aber jetzt erst mal wieder mit den anderen treffen.
Zitat von: Dark_Tigger
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Meine Rede.
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Madre de Dios. Nein, ¡hijo de puta! ¡Puta mierda! Das schlimmste Schimpfwort, das mir nur einfällt!

Darauf reicht ein Schnaps nicht. Auch zwei nicht.

Aber der Reihe nach.

Als wir uns wieder trafen, berichtete Edward, dass er Vanessa Gruber in Dänemark erreicht habe. (Und nebenbei hat er ein neues Ritual gelernt, eine Kommunikation mit Spiegeln, die die für Magier ja extrem unzuverlässigen bis unbenutzbaren Handys ersetzt.)
Jedenfalls habe Edward bei unserer österreichischen Bekannten kurz erwähnt, dass Ragnarök komme („aber das haben wir unter Kontrolle“), sich dann aber vor allem auf die Frage nach dem Vorgehen gegen Outsider konzentriert. Vanessa schlug wohl kurz den Warden von Chicago vor, was Edward aber angesichts des unschönen Telefonkontaktes zwischen den beiden als „Uh, nicht so gut“ ablehnte, dann den Warden von Miami, bei dem Edward aber auch ausweichend mit einem „Uh, mit dem kann ich auch nicht so gut“ antwortete. Gefragt, woran das liege, rückte er nicht mit der ganzen mit-den-Outsidern-im-Bunde-Sache heraus, weil wir dafür nicht ausreichend Beweise haben, sondern zog sich auf die Geschichte mit dem Schutzgeld den Steuern zurück.
In diesem Zusammenhang empfahl Vanessa dringend, die Steuern zu zahlen, bis diese Sache grundsätzlich vor dem Rat geklärt sei. Eventuell würde Edward die gezahlten Beträge dann zurückerhalten, aber bis dahin solle er auf jeden Fall zahlen und keine eintreibbaren Schulden anhäufen, das könne unangenehm werden.
Was die Outsider angeht, will sie sich wohl umhören, ob sich jemand mit dem Thema besonders gut auskennt, und sich dann wieder melden.

Alex, Roberto und Yolanda in ihrer Rolle als Richterin des Sommerhofes waren indessen bei Königin Titania.
Als Ausgangspunkt für ihren Weg wählten sie Pans Palast, weil sich dort ein sehr guter Verbindungspunkt befindet, bei dem man sehr nah an Titanias Residenz herauskommt. Dabei fiel ihnen auf, dass in Pans Palast inzwischen richtig viele Einherjer aufgetaucht sind. Die zwölf aus Heorot, die ich damals geholt habe, natürlich, und von der Verstärkung durch die Berserker wussten wir ja auch schon, aber inzwischen sind da laut Roberto und Alex richtige Hundertschaften, die heftig exerzieren und sich offenbar auf einen echten Krieg vorbereiten. Außerdem hätten sie Alex, dem man seine Verbindung zu Eleggua ja auch an der Nasenspitze ansieht, wenn man weiß, wo und wie man schauen muss, richtig finster angestarrt und mehrfach feindselig angerempelt. Mierda.

In ihrer eigenen Domäne jedenfalls war Königin Titania höchst erbost über die Störung durch Roberto, den sie ja noch immer für einen Verräter hält (nicht ganz zu Unrecht, muss ich aus meiner sommermantelgefärbten Sicht sagen). Beinahe hätte sie einen Blitz auf ihn abgeschossen, aber Roberto konnte sie gerade noch rechtzeitig soweit beruhigen, dass sie ihm wenigstens zuhörte und sein Gastgeschenk in Form eines Obstkorbs annahm.

Roberto schilderte die Situation mit Pan und Odin, und Königin Titania war überhaupt nicht amüsiert. Von den Einherjer aus Heorot hatte sie natürlich gewusst, das ging gar nicht anders, aber das waren keine Einherjer im klassischen Sinne, und es waren nur zwölf, und es war eine Notsituation, um gegen Winter bestehen zu können, und sie hatten auch das Sommergefüge nicht durcheinander gebracht. Die direkte Verbrüderung mit Odin jedoch war mehr als problematisch, denn Odin als nordische Gottheit ist ja eher mit dem Winter verbunden und somit Anathema zu Sommer.

Sie beauftragte Roberto, Pan vor die Wahl zu stellen: Sommer oder Odin. Denn Pan ist ja selbst keine Fee, sondern eine Gottheit, auch wenn er sich mit dem Niedergang des hellenistischen Pantheons den Sommerfeen angeschlossen hat, und so könnte er sich vom Sommer lösen, wenn er das wollte. Und wenn er sich für Odin und gegen den Sommer entscheide, dann – und das zitierte Roberto wortwörtlich: „dann muss der Sommerritter als Regent die Geschäfte führen, bis ein neuer Herzog gefunden ist.“

Puta mierda. Auf diese Aussage brauchte ich erst einmal einen Schnaps, den ich in einem Schluck herunterkippte, und dann gleich noch einen zweiten, den ich langsamer trank. ¡Tío! Die Vorstellung, Sommerherzog zu werden, auch wenn es nur vorübergehend wäre, musste ich erst einmal verdauen. Ich bin keine Fee, verdammt! Ich wollte ja noch nicht mal Sommerritter werden, auch wenn ich mich mit dem Sommermantel inzwischen ja abgefunden und sogar angefreundet habe. Aber Herzog??? Was würde das mit meiner Menschlichkeit, mit meinem Menschsein anstellen, wenn nicht sofort, dann über kurz oder lang? Padre en el cielo, ayudame.

Aber es hilft ja alles nichts. Königin Titanias Botschaft muss überbracht werden, und zwar wie befohlen von Roberto. Ich als Pans Ritter hingegen sollte mich tunlichst heraushalten, wenn Roberto die Nachricht überbringt, sonst spannt Pan mich noch für seine Seite ein. Deswegen werde ich mit den anderen draußen warten, während Roberto und Yolanda reingehen.

Bitte, bitte, Herr im Himmel, lass Pan vernünftig sein und sich von Odin lossagen!

Aber ich muss aufhören, wir wollen los

---

19. November

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Das fühlt sich alles so… so unbegreiflich an, im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich fange einfach mal an, vielleicht hilft mir das, meine Gedanken zu ordnen.

Als wir beim Palast ankamen, konnten wir den Aufmarsch von Odins Truppen und deren feindseliges Verhalten gegenüber Alex mit eigenen Augen beobachten. Wenn überhaupt, war das Treiben eher sogar noch martialischer, als die anderen es zuvor beschrieben hatten.

Es war mir sehr wichtig, mit Sir Anders zu sprechen, bevor Roberto und Yolanda Pan aufsuchten, damit ich ihn vorwarnen konnte, dass da vielleicht ein Konflikt kommen könnte. Eigentlich wollte ich auch gerne mit Halfðan reden, aber den konnte ich in dem Getümmel nicht ausmachen. Sir Anders hingegen fand ich am Strand, wo der Sidhe-Ritter mit abwesender Miene im Sand saß, auf das Meer hinausstarrte und dabei sein Schwert wetzte.
Mir war schon klar gewesen, dass Sir Anders nicht offen gegen Pan würde reden können, immerhin war das sein Herzog. Aber subtil und vorsichtig, in allgemein gehaltenen Formulierungen und durch die Blume gesprochen, wurde doch sehr schnell klar, dass ihm die neuen Einherjer und Pans Allianz mit Odin gar nicht passten und dass die Loyalität zum Sommerhof bei ihm über der zu der Person Pans stand. Genau dieselbe Formulierung, „Und auch ich diene Sommer“, gab ich ihm zurück und ließ ihn damit wissen, dass es bei mir ganz genauso bestellt war.

Als Roberto und Yolanda sich dann in das Palastinnere aufmachten, bereitete Alex ein Tor vor, durch das wir abhauen könnten, falls nötig, während Edward und Totilas mit ihnen gingen, um vor der Tür Wache zu stehen und dafür zu sorgen, dass sie nicht gestört werden würden.

Während wir da zusammen am Strand standen, erzählte Sir Anders noch, dass vor einigen Tagen eine Sidhe-Ritterin, Sir Liane, kurz hier gewesen sei, weil Sir Fingal auf seiner Bußequeste wohl Werbung für Pans Hof gemacht hatte, die Ritterin angesichts der vielen Einherjer aber sehr schnell wieder verschwunden sei.

Interessant, dachte ich noch bei mir, da muss ich doch gleich mal fragen, von welchem Hof diese Sir Liane kam; vielleicht lässt sie sich ja doch überzeugen, zurückzukommen, sobald die Einherjer weg sind.

Eben wollte ich den Mund auftun und die Frage stellen, da dröhnte plötzlich die Stimme des Herzogs unnatürlich laut über das ganze Gelände: „Ich bin Pan! Niemand stellt mich vor eine Wahl, und schon gar nicht so eine kleine Fee!“ Und dann, wenn das überhaupt möglich war, noch lauter und donnernder: „Ich! Wähle! ODIN!

Bei diesen Worten erzitterte der gesamte Palast in seinen Grundfesten wie unter einem heftigen Erdbeben, und ich wusste, dass dieser Ausbruch eigentlich im ursprünglichsten Sinne des Wortes heillose Panik in mir hervorrufen wollte. Doch in diesem Moment überkam mich ein völlig überwältigendes Gefühl, der jeglichen Gedanken an panische Flucht davonfegte.
Es war wie ein sonnengoldener Strom, der in mich hineinfloss, so dass ich beinahe davon weggerissen worden wäre. Das war die gesamte Sommermagie Pans, die da auf mich überging, was ich aber erst später so richtig begriff. Nur am Rande war mir bewusst, dass ich zu leuchten begonnen hatte und dass Blumen zu meinen Füßen sprossen, und dass es immer und immer und immer mehr wurde, weil Pan offenbar jetzt aktiv den Sommer aus seinem Palast vertrieb und alle, wirklich alle Sommermagie, die in Pan und im Palast gebunden gewesen war, nun in mir Zuflucht suchte.

Aber nicht nur alle Sommermagie floss aus dem Palast. Auch alle gestalterischen Elemente, die explizit für den Sommerhof der Feen gestanden hatten, verschwanden nun. Stattdessen nahm der Palast ein noch deutlich griechischeres Aussehen an, als er das zuvor immer schon gehabt hatte, und von drinnen waren das meckernde Gelächter der Satyre und die stramm-martialischen Rufe der Einherjer deutlich zu hören.

Über Sir Anders‘ Gesicht flog ein Ausdruck unendlicher Erleichterung. Ohne jegliches Zögern ging er auf ein Knie nieder und fragte in zackigem Tonfall: „Eure Befehle?“
Kurz überkam mich der Impuls, die griechische Gottheit gleich direkt hier und jetzt anzugehen und zu verhindern, dass er unsere Bastion des Sommers einfach so übernahm. Aber gleichzeitig spürte ich, dass ich schlicht nicht dagegenhalten konnte, nicht einmal mit all dieser neuen Macht des Sommers in mir. Zu neu, zu ungewohnt, zu überwältigend war sie – wenn ich das jetzt versuchte, dann würde Pan mir das Gehirn herausblasen, soviel stand fest.
Daher wandte ich mich an Sir Anders und kommandierte: „Sammelt alle, die dem Sommer treu sind! Treffpunkt bei Alex!“

Yolanda hatte dem Ausbruch des vormaligen Sommerherzogs nicht standhalten können und war bei dessen Geschrei wortwörtlich panisch aus dem Palast gerannt gekommen. Jetzt stellte ich mich meiner Schwester in den Weg und konnte sie tatsächlich einigermaßen beruhigen, während Edward und Totilas gerade Roberto aus dem Palast halfen.

Das wusste ich in dem Moment zwar noch nicht, aber später erzählten die beiden, dass Roberto das Panik-auslösende Gebrüll zwar eigentlich recht gut weggesteckt hatte und nicht weggerannt war, dann aber einen Spruch von sich gab von wegen: „Ich bin doch nur der Bote…“, und das wiederum war bei Pan gar nicht gut angekommen. Die bocksbeinige Gottheit schleuderte Roberto quer durch den Raum und mit vollem Karacho gegen eine Wand, wo unser Kumpel zu Boden ging und Edward und Totilas ihm erst einmal auf- und dann eben ins Freie halfen.

Auf dem Weg zu Alex kamen wir an einem Trupp Einherjer vorbei, darunter auch Halfðan. Sie ließen uns gehen, ohne sich uns in den Weg zu stellen, und ich konnte sehen, dass Halfðan eine bedauernde Miene zeigte und so wirkte, als wollte er etwas sagen, aber dann waren wir auch schon vorbei, und er seufzte nur und hob ganz leicht die Hand in meine Richtung.

Sir Anders brachte einige wenige treue Gefolgsleute mit zu dem Tor, das Alex inzwischen geöffnet hatte. Inmitten der wenigen Handvoll Personen war natürlich Sir Aidan, aber auch Saltanda – die Nymphe hatte offenbar mitbekommen, dass Roberto Pan verließ, und wollte selbst wiederum Roberto nicht verlassen. Oder so kam es mir jedenfalls vor. Saltandas und Robertos Tochter Lily war natürlich ebenfalls dabei, und ein wenig überraschend, aber sehr zu meiner Freude, schloss Sindri sich ebenfalls an. Edwina Ricarda hätten wir eigentlich auch gerne mitgenommen, aber die blieb als Pans Tochter verständlicherweise bei ihrem Vater.

Ein Schritt durch das Tor, und wir befanden uns anderswo im Nevernever, wo wir – oder zumindest ich – noch nie gewesen waren. Ich habe die leise Vermutung, dass die Wahl des Ortes nicht ganz unwesentlich von mir, bzw. dem Zusammenspiel aus der Sommermacht in mir und meiner Persönlichkeit mitbestimmt wurde, denn es war ebenfalls ein Strand, aber einer, der irgendwie sehr südamerikanisch wirkte… kubanisch vielleicht? Aber idealisiert kubanisch? Anders kann ich es nicht beschreiben.

Hier jedenfalls entlud sich die Sommermacht, die ich aus Pans Palast mitgebracht hatte, in die, und auch das kann ich wieder nicht anders beschreiben, Erschaffung einer neuen Domäne für den Sommerhof von Miami. Während die Magie in einem starken, stetigen Strom aus mir herausfloss, bildete sich vor unseren Augen ein Palast, der sehr stark an die Casita aus dem Disney-Film Encanto erinnerte, bunt und sommerlich, und ich hatte das Gefühl, dass es auch sehr lebendig war, sich bewegen konnte und zumindest teilweise über eine eigene Persönlichkeit verfügte. Wie im Film eben. Oder war das vielleicht nur der Überschuss an Magie, der aus mir herauskam und in diesem Moment ein Ventil suchte?

So oder so fühlte ich mich unendlich erleichtert, als ich diese überwältigende Macht nicht mehr in mir spürte und das Leuchten aufhörte, auch wenn ich merkte, dass mehr Magie zurückblieb, als ich zuvor in mir gehabt hatte. Als der Magiestrom endete, wurden mir die Knie schwach, und ich wäre im Sand zusammengesackt, wenn Casita mir nicht rechtzeitig einen Strandsessel untergeschoben hätte. Da saß ich erst einmal und kam allmählich wieder zu mir, während die anderen um mich herum neugierig ihre Umgebung begutachteten.

Ich hatte gerade einigermaßen realisiert, was da soeben eigentlich geschehen war, und wie ich so in meinem Sessel saß, allmählich wieder zu Atem kam und über das Meer schaute, bemerkte ich einen Regenbogen am Horizont.
Oder genauer, zuerst bemerkte ich den Regenbogen am Horizont, dann fiel mir auf, dass etwas seltsam daran war, und dann erkannte ich, dass dieser Regenbogen auf uns zukam. Und dann, dass es eigentlich eine Brücke war. Bifrøst, die Regenbogenbrücke. Und dann wiederum eine Gestalt, die auf dieser Brücke auf uns zukam. Heimdall. Er trat von dem regenbogenfarbigen Leuchten zu uns auf den Strand und sagte in drängendem Tonfall:
„Wir müssen reden!“
« Letzte Änderung: 22.03.2024 | 09:07 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
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Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Ach du grasgrüner Käse. Das liest sich ja nach richtig üblem Salat. Zumal ich durchaus davon ausgehe, daß Pan da die falsche Wahl getroffen hat - nach dem Wenigen, das ich über ihn (Pan) weiß, sollte der mit der eher kalten Art Odins langfristig seine Probleme bekommen. Oder versucht Heimdall gerade, das Kuddelmuddel irgendwie zu bereinigen?
Mit so einer Entwicklung hätte ich im Traum nicht gerechnet (Ricardo ja wohl auch nicht, oder?).
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Also, wenn die Ragnarök verhindern, kriegen sie mindestens einen Minor Milestone (ist ja dann eigentlich nichts dramatisches passiert, oder)?

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Ach du grasgrüner Käse. Das liest sich ja nach richtig üblem Salat. Zumal ich durchaus davon ausgehe, daß Pan da die falsche Wahl getroffen hat - nach dem Wenigen, das ich über ihn (Pan) weiß, sollte der mit der eher kalten Art Odins langfristig seine Probleme bekommen. Oder versucht Heimdall gerade, das Kuddelmuddel irgendwie zu bereinigen?
Mit so einer Entwicklung hätte ich im Traum nicht gerechnet (Ricardo ja wohl auch nicht, oder?).


Wir haben gestern gespielt, und Heimdall kam tatsächlich, um zu deeskalieren und mit uns zu palavern.
Mehr dann demnächst an dieser Stelle...

Aber ja, allerdings, das ist ein wirklich übler Salat. Und nein, Ricardo hatte zwar ja schon die leise Vorwarnung erhalten, dass er die Geschäfte zeitweilig übernehmen müsse, falls Pan sich gegen den Sommer entscheiden würde, aber dass Pan tatsächlich so bockig sein würde und ... ähm ja. Pan. Bockig. Vermutlich hätte er es sich doch denken können müssen. Aber hinterher ist man ja immer schlauer und so... :D

Oh, ich habe übrigens oben noch ein paar Sachen ergänzt und leicht abgeändert, die mir entfallen waren.

Und Selganors Charakter besorgt dann T-Shirts für alle!  :D

"I prevented Ragnarök, and all I got was this lousy T-Shirt!"
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
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Heimdall – der tatsächlich ziemlich genauso aussah wie Idris Elba in dieser Rolle; vermutlich hat er die Filme auch gesehen – wirkte nicht feindselig, deswegen schälte ich mich in normalem Tempo aus meinem Sessel hoch und hieß den Asen ganz offiziell in der neuen Sommerdomäne von Miami willkommen.
„Du wolltest mich sprechen?“
„Das wollte, das will, ich“, antwortete ich, „auch wenn eine ganze Menge passiert ist seither.“
„Es war also deine Hochzeit, auf der Loki ermordet wurde.“
„Ja, das war meine Hochzeit. Aber ich hatte keine Hand in dem, was geschehen ist.“
„Das weiß ich.“ Ein scharfer Blick ging zu Alex. „Aber es war Elegguas Plan.“
„Loki zu töten? Nein“, erwiderte Alex sehr entschieden.
„Es war Elegguas Plan, die Götter nach Miami zu holen“, präzisierte Heimdall.
Alex wiegte den Kopf. „Ob Plan oder kein direkter Plan, dazu will ich mich lieber nicht äußern“, sagte er vorsichtig.
Bevor ihm diese Aussage negativ ausgelegt werden konnte, schaltete ich mich wieder in das Gespräch ein. „Plan? Vielleicht. Vielleicht nicht. Aber Eleggua hat auf jeden Fall seinen Vorteil daraus gezogen, dass da dieser Druck auf die Barriere zwischen den Welten herrschte, dass dieser Druck ein Ventil brauchte und uns keine bessere Lösung einfiel, als Elegguas Vorschlag, ein Stückweit die Magie nach Miami hereinzulassen, in die Tat umzusetzen.“
Ein Nicken von Heimdall. „Ich schätze aber, Eleggua ist nicht von den Außenseitern unterwandert?“
Alex machte ein erschrockenes Gesicht. „Ich hoffe mal nicht!“
Der Ase machte eine beruhigende Handbewegung. „Das würde ich spüren. Und auch an dir würde ich es sehen, wenn du korrumpiert wärst.“
„Gut, dass du es an mir sehen kannst“, erwiderte Alex, „denn ich weiß nicht, ob ich das selbst merken würde.“
Heimdall lächelte dünn. „Eher nicht. Das ist ja das Problem.“

Dann runzelte er die Stirn. „Wir wissen alle, dass Eleggua nicht hinter dem Mord an Loki steckt. Also warum tut Odin das alles? Ich verstehe es nicht.“
Vielleicht war es ein Risiko, der nordischen Gottheit das anzuvertrauen, aber ich glaubte zu spüren, dass Heimdall in dieser Sache aufrichtig war und sogar zu einem gewissen Grad auf unserer Seite stand. Daher antwortete ich: „Wir glauben, dass die Trauer um Loki und um seinen Raben nur ein Vorwand sind, um Ragnarök auslösen zu können.“
Heimdall nickte. „Odin und Loki mögen zwar Brüder sein, aber einander so wirklich gewogen waren sie sich nie.“

Und dann kam mir urplötzlich ein sehr erschreckender Gedanke. „Aber mal eine ganz blöde Frage: Würdest du es an Odin merken, wenn er von den Outsidern unterwandert wäre?“
Heimdall stutzte und antwortete dann langsam und nachdenklich: „Vermutlich nicht, tatsächlich. Odin ist sehr gut darin, Dinge zu verbergen.“

Oh, mierda.

Denn als wir so darüber nachdachten, fiel uns ein, dass tatsächlich Pennywise höchstselbst Odins Raben getötet hat, mit einem dieser Dolche, und somit hat Pennywise nachgewiesenermaßen einen Weg in Odins Kopf, denn der hatte ja einen Teil seines Gedächtnisses in Munin ausgelagert, während der andere Teil noch bei ihm selbst ist, und somit ist da ganz eindeutig eine magische Verbindung.

Oh, mierda.

„Können wir Odin davon überzeugen, dass er beeinflusst ist?“, fragte Totilas, wie immer sofort um praktische Lösungen bemüht.
Möglich wäre es, war Heimdall vorsichtig optimistisch – aber das müsse dann auf jeden Fall jemand sein, dem Odin vertraue, anderenfalls gebe es in seinem derzeitigen Zustand keinerlei Chance; das würde auch so schon schwer genug.

Okay, wir Jungs also schon mal nicht, auch nicht Bjarki als Lokis Sohn, aber wer sonst? Odins Gemahlin Freya vielleicht? Der würde er vertrauen, aber deren Aufenthalt ist in Walhalla; ob wir dort so einfach hinkämen? (Und warum habe ich jetzt Rene Russo und das Asgard aus den Marvel-Filmen vor dem Auge? Das ist schon wirklich beeindruckend, wie durchgängig deren Cinematic Universe sich in die Popkultur gebrannt hat.)
Heimdall brachte auch noch Bragi ins Spiel, aber da wüssten wir nicht einmal, wo wir ansetzen sollten, den zu finden. Ebenfalls in Walhalla?
„Baldur wäre gut“, sagte der Ase dann, „der war Odins Lieblingssohn. Aber der ist tot.“

Das ließ uns aufhorchen.
„Dann ist er also in Helheim? Oh, gut: Zu Haley – ähm, Hel – haben wir einen Draht. Und Ha – Hel – betreibt ja momentan ohnehin einen durchaus schwunghaften Tourismus.“
Auf die Anspielung mit dem Tourismus ging Heimdall nicht ein – entweder er wusste bereits davon, oder er überging sein Unwissen gekonnt.
„Oh? Ihr habt Kontakt zu Hel? Dann könnt ihr ja vielleicht mit ihr sprechen, damit sie auf ihren Bruder Fenris einwirkt, die Sonne nicht zu fressen. Aber das mit Baldur…“ – ein skeptisches Stirnrunzeln von Heimdall – „da müsste euer Draht zu Hel schon besser sein als der aller Asen zusammen.“

Auf unsere Nachfrage erklärte er uns die Zusammenhänge. Wie der gute, reine Baldur, der von allen geliebt wurde, durch eine List Lokis getötet wurde. Wie er nach Helheim kam, nicht nach Walhalla, weil er ja nicht im Kampf gestorben war. Wie Odin und Freya durch ihren Boten Hermodr Hel anflehten, Baldur aus dem Totenreich freizulassen und Hel sich grundsätzlich darauf einließ, aber zur Bedingung stellte, dass nicht nur jedes Lebewesen, nicht nur alle Toten, sondern auch jedes Ding, jeder Stein, um Baldur weinen solle. Wie das dann auch alle taten – mit der Ausnahme einer einzigen Riesin, von der es heißt, das sei auch wieder Loki in Verkleidung gewesen, und wie Hel sich deswegen weigerte, Baldur freizugeben.

Okay. Dann müssen wir tatsächlich schauen, ob wir Haley nicht doch irgendwie umstimmen können. Es muss ja auch nicht für ständig sein, aber zeitweiliger Besuch bei seinem Vater vielleicht? Puh. Dann werden wir Haley zwar wieder einen Gefallen schulden, aber was muss, das muss, oder so.

Bevor Heimdall sich verabschiedete, sprach ich ihn noch auf das Zelt von dem Benefizmarkt an, das Loki mir samt den Fotos aus der Ausstellung hinterlassen hatte. Ob das seiner Meinung nach reiner Zufall war, oder ob es etwas bedeuten könnte?
„Ob es etwas bedeutet, kann ich nicht sagen. Möglich. Nicht zwingend. Aber vielleicht kannst du es ja untersuchen? Mit einem Ritual beispielsweise?“
„Stimmt“, nickte ich. „Ich selbst kann das nicht, aber Edward.“
Heimdall schnaubte amüsiert. „Na wenn du das jetzt nicht kannst, hier, an diesem Ort, wer dann?“
Ich stutzte. „Oh. Stimmt.“

Und, betonte Heimdall, die Sache sei eilig - eiliger, als wir gedacht hatten. Denn bisher waren wir ja davon ausgegangen, dass erst drei Winter ohne Sommer kommen müssten, bevor Ragnarök über die Welt hereinbrechen könnte… aber erstens habe Odin gute Kontakte zum Winterhof, und zweitens sei ja nirgends festgelegt, wo die drei Winter stattfinden sollten. Und wie wir ja selbst gesehen hätten, stünden die Einherjer bereits kurz vor dem Aufbruch.

Oh, mierda.

Dann jedenfalls verabschiedete Heimdall sich, und wir dankten ihm für die Informationen und die Hilfe und verabredeten, in Kontakt zu bleiben.

Sobald von dem Asen nichts mehr zu sehen war, besprachen wir unsere Prioritäten.
Erstens: Mit Haley reden.
Zweitens: Lokis Zelt und die Fotus untersuchen.
Drittens: Neue Wards. Einmal komplett frische hier bei Casita in unserer neuen Sommerdomäne, aber tatsächlich auch bei Pans jetzt nur noch griechischer Residenz. Denn durch die Änderung der Verhältnisse haben die bestehenden Wards, die ja auf die alten Verhältnisse ausgerichtet waren, einen Großteil ihrer Kraft verloren, wenn sie nicht gar komplett zusammengebrochen sind. Darauf wollten wir Dee ansetzen, sobald wir uns wieder mit den anderen Guardians trafen.
Viertens: Einen neuen Sommerherzog finden. Denn dass ich das auf Dauer nicht bleiben kann und will, das steht mal fest.

Bevor wir aber die Domäne verließen, hielt ich für die kleine Gruppe an Sommer-Getreuen, die uns aus Pans Palast gefolgt waren, erst noch eine kleine Ansprache. Es war spontan, und den genauen Wortlaut bekomme ich nicht mehr zusammen, aber ich sagte etwas von wegen, dass ich dankbar für ihre Treue zu Sommer war und stolz darauf, wie sie sich den widrigen Umständen und den sich überstürzenden Ereignissen gestellt hätten, und dass ich sicher sei, dass wir es schaffen würden. Zu Beginn meiner Rede dachte ich kurz, ich dringe nicht zu ihnen durch, zu niedergeschlagen wirkten alle, aber dann gelang es mir, glaube ich, doch, sie zu motivieren und zu stärken.

Anwesend waren natürlich Sir Anders und Sir Aidan, die nach dem Debakel mit Lady Fire einzigen verbliebenen Sidhe-Ritter. Kurz machte ich mir Sorgen um Sir Fingal, der sich ja noch in den letzten Zügen seiner Bußqueste befindet, aber dann regte sich mein neues Wissen als geschäftsführender Herzog, und mir wurde bewusst, dass Sir Fingal bei seiner Rückkehr zur Residenz des Sommers gezogen wird, ganz egal, wo diese sich befindet, er also nicht unversehens bei Pans jetzt-nicht-mehr-Sommerpalast aufschlagen, sondern zu Casita finden wird. Ich muss ihn also nicht zwingend von den Änderungen benachrichtigen, auch wenn ich es vielleicht trotzdem tun werde. Ich muss sehen, wie schwer oder wie leicht es ist, ihn ausfindig zu machen, denn viel Energie kann ich nicht dafür aufwenden. Dafür gibt es wahrlich genug anderes und Drängenderes zu tun.

Aber jedenfalls hatten sich außer den beiden Rittern auch einige Brownies, kleine geflügelte Feen, Pixies und Blumenfeen eingefunden – darunter zu meiner freudigen Überraschung auch Christabella, der ich vor Jahren, ganz zu Beginn der Sache mit Richard Raiths herausgelöstem Geist, mal die Flügel gerichtet hatte. Außerdem war eine hochgeborene Sidhe dabei, Lady Rhodorea, die keine Ritterin, sondern, ein besseres Wort fällt mir nicht ein, eine vornehme Blumenlady ist.
Dazu kamen Saltanda und ihre Tochter Lily, und eben Sindri, die meinte, sie könne ja dann die neutrale Botin zu Pans Hof machen, falls nötig.
Ich ernannte Sir Anders zu meinem Stellvertreter in meiner Abwesenheit – und schob, als ich merkte, dass Lady Rhodorea ein etwas angesäuertes Gesicht machte, schnell noch ein „in allen militärischen Dingen“ hinterher und ernannte Lady Rhodorea zu meiner Stellvertreterin in zivilen Dingen, was die Blumen-Sidhe besänftigte.

In dem Zusammenhang machte Totilas erst eine blöde Bemerkung, dass ich jetzt der neue Herzog sei, und als ich ihn verbesserte, das sei nur geschäftsführend, noch eine und dann noch eine.
Und das ist bei mir ein ganz wunder Punkt, verdammt. Wenn ich der Herzog bleiben würde, dann würde ich irgendwann meine Menschlichkeit verlieren und zu einem Feenwesen werden, und ¡padre en el cielo, ayudame!, das darf nicht passieren.
Jedenfalls wollte Totilas einfach nicht aufhören zu trollen, egal, wie oft ich ihn korrigierte und wie zunehmend scharf mein „NEIN!“ wurde – er machte mich wirklich ernsthaft wütend damit.

Dann spürte ich plötzlich eine Wärme im Kopfbereich, und mein Gesichtsfeld wurde leicht gelb-orangefarben, und mir wurde bewusst, dass da eben vor Wut Flammen in meinen Augen aufgeflackert waren. Ich blinzelte, und die Flammen erloschen wieder – und Totilas grinste triumphierend.
„Siehst du, genau das habe ich gemeint. Genau das musst du verstehen. Du bist jetzt der Herzog, du hast die Kräfte des Herzogs, und du musst üben, damit du weißt, was du genau kannst, damit es dich nicht unvermittelt überkommt.“

Sabihondo. Das hätte er auch erreichen können, ohne dass er mich so auf die Palme bringt. Vernünftig und berechtigt war der Rat natürlich trotzdem – auch wenn ich mir einbilden möchte, dass ich auch von selbst so schlau gewesen wäre, dass neue Kräfte ausgelotet werden müssen.

Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch Lily zu mir. Sie ist zwar erst drei Jahre alt, aber wegen ihres Feenerbes wirkt sie bereits wie sechs, und sie ist nicht umsonst die Tochter einer Nymphe und eines ehemaligen Male Models – wenn sie in der Menschenwelt aufwachsen würde, wäre sie die perfekte Kandidatin für Kleinmädchen-Schönheitswettbewerbe.
Lily also kam zu mir, sah mich mit unschuldigem Aufschlag ihrer großen, wunderschönen Augen an und fragte: „Onkel Cardo, kannst du nochmal machen, dass deine Augen so leuchten?“
Ich lächelte sie an und antwortete: „Weißt du, das ist ganz neu, und das passiert gerade nur, wenn ich mich richtig doll ärgere. Und ich will mich nicht richtig doll ärgern. Aber ich werde es üben, und wenn ich es an- und abschalten kann, wie ich will, dann zeige ich es dir nochmal, okay?“
Mit einem enttäuschten „mmmhm“ zog die Kleine ab – und ging schnurstracks zu ihrem Vater.
„Papa, mach mal, dass Onkel Cardo sich ganz doll ärgert, damit seine Augen wieder leuchten!“
Roberto schüttelte den Kopf. „Nein, das mache ich nicht, das Talent dafür hat Totilas.“

Es war klar, was passieren musste.
„Onkel Totilas, kannst du machen, dass Onkel Cardo sich ganz doll ärgert, damit seine Augen leuchten?“
Aber auch von unserem White Court-Kumpel wurde die Kleine enttäuscht. „Ich kann schon, aber ich will nicht.“
Daraufhin ließ Lily den Kopf hängen und erklärte, sie sei voll lahm, weil alle das könnten, nur sie nicht. Totilas erwiderte, das stimme doch gar nicht, dass ‚alle‘ das könnten – er zum Beispiel könne das auch nicht.
„Dann sind wir beide lahm“, sagte Lily, noch immer niedergeschlagen.
„Ich weigere mich, das zu akzeptieren“, gab Totilas würdevoll zurück, „ich bin nicht lahm, und du bist es auch nicht. Jeder hat etwas, das er kann.“
Lily nickte. „Ich kann tanzen!“
„Na siehst du.“

Ich verfolgte diesen Austausch amüsiert und auch ein bisschen gerührt, und ich verkniff mir jegliche Bemerkung von wegen, dass Alejandra auch immer etwas neidisch darauf gewesen sei, dass Monica Feuer machen konnte, während sie selbst nichts dergleichen hatte. Einmal, weil ich Lily nicht wieder enttäuschen wollte, wo Totilas sie gerade so schön beruhigt hatte, aber vor allem, weil ich immer noch nicht ganz sicher bin, was das mit Alejandra und dem Schwert der Morrigan und den Raben jetzt genau ist.

Jedenfalls verließen wir dann die neue Sommerdomäne und kehrten zurück in die mundane Welt.
Ähnlich wie aus Pans Palast war auch vom hiesigen Strand aus die Skyline von Miami leicht verschwommen sichtbar, und als wir dann hinüberwechselten, waren wir auch immer noch am Strand, aber eben ein gutes Stück abseits vom früheren Eingang.
Aus der Entfernung konnten wir eine ganze Reihe von Einherjern sehen, die wie Rettungsschwimmer gekleidet waren und wohl weiterhin gegen die Fomori Wache hielten, aber auch den Zugang zu Pans Palast schützten.
Wir legten es nicht auf Konflikt an, sondern verließen den Strand in die andere Richtung.

Wir riefen die anderen zu einem Treffen in der Casa Guardián zusammen – es sagten auch alle zu, bis auf Fébé, Ilyana und Cicerón, die mit irgendetwas ganz schrecklich beschäftigt waren, denn von ihnen kam nur ein: „Geht gerade nicht, Stress! Nachher mehr!“, bevor der Kontakt wieder abbrach.
Als nächstes versuchten wir einen Anruf bei Haley. Der Empfang war etwas schwierig, weil sie sich gerade in Helheim befand, aber es gelang uns, für heute am späten Abend (Mitternacht, um genau zu sein), ein Treffen an Bjarkis Haus auszumachen. (Bei ihm im Gartenhäuschen befindet sich ja das Portal nach Helheim, das Haleys Touristen immer benutzen.)

Und jetzt warten wir. Aber wenigstens hat mir das die Zeit gegeben, bis hierher alles aufzuschreiben.

---

Sobald die anderen da waren, erzählten wir ihnen ausführlich alles, was passiert war.
Dee sagte sofort, sie wolle sich um die Wards kümmern, sowohl bei Casita als auch bei Pan. Denn sie selbst hat mit dem obersten Satyr ja so direkt keinen Zwist – obwohl es vielleicht ein Problem geben könnte, weil sie Alex‘ Schwester ist und Alex ja Eleggua dient, den Odin als seinen Hauptfeind auserkoren hat. Aber Dee meinte, das würde sie schon hinbekommen: Im Zweifelsfall würde sie einfach ein wenig die Wahrheit beugen und Pan erzählen, was Alex damals mit ihrem Barbie-Haus gemacht habe.
Daraufhin holte Alex wortlos ein Notizbuch heraus und schrieb etwas auf. Ich war neugierig und schaute ihm über die Schulter. Da stand „Tage seit Erwähnung des Barbie-Hauses“, und Alex hatte soeben eine sehr große Zahl durchgestrichen und „0“ hingeschrieben.

Bezüglich Baldur meinte Bjarki, wegen der Sache mit den Tränen könne es vielleicht schwierig werden, Hel dazu zu bringen, ihn freizugeben; sie könne ziemlich nachtragend sein.
Verdammt, aber es hilft ja alles nichts, versuchen müssen wir es.
Bjarki will allerdings nicht mitkommen, sondern bot an, Dee bei den Wards zu helfen – es war ziemlich offensichtlich, dass er seiner Schwester lieber nicht begegnen wollte. Außerdem erwähnte er ausdrücklich, dass wir Hel nicht in sein Haus lassen sollten, Privatsphäre und all das.

Bevor die beiden sich aufmachen konnten, rief Cicerón bei Edward an: Der Stress waren falsche Einherjer gewesen, die die Santo Shango angegriffen hatten. Die drei hatten den Angriff abwehren und die falschen Einherjer besiegen können, in der Beziehung war also alles in Ordnung, aber sie wollten bescheid sagen, weil sie den Eindruck hatten, dass da jemand gezielt Zwietracht säen wollte.

Inwiefern waren die Einherjer denn falsch gewesen, wollten wir natürlich sofort wissen.
„Ungefähr so wie diese Typen auf der Hochzeit, diese freiwilligen Outsider-Fans“, erwiderte Ciceron, „irgendwie falsch eben.“

Oha. Also entweder waren das echte Einherjer, die sich den Outsidern geöffnet hatten, oder es waren von Outsidern beeinflusste Menschen, die so taten, als wären sie Einherjer. Vermutlich eher Ersteres. Im Moment machte es aber keinen echten Unterschied, außer vielleicht in der Kampfkraft, aber es war einfach noch ein Problem auf der Liste. Die drei hätten jedenfalls gut zu tun, die anderen Santerios zu beruhigen und von einem Gegenschlag abzuhalten, sagten sie. Sie sagten aber auch, dass sie das hinbekämen.
Gut, dann mussten wir uns um diese Baustelle im Moment nämlich nicht auch noch kümmern.
 
Bis zum Treffen mit Haley waren noch einige Stunden Zeit, also trennten wir uns erst einmal und gingen alle nach Hause. Natürlich bemerkte Lidia, dass etwas anders war bei mir, und natürlich erzählte ich ihr alles (nur fürs Protokoll, das hätte ich natürlich auch, wenn sie von sich aus nichts gemerkt hätte). Die Entwicklung beunruhigte Lidia ziemlich, was ebenfalls nur natürlich war, und obgleich ich sie zu beruhigen versuchte, dass das ja nur vorübergehend sei und ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um baldmöglichst den alten Zustand wiederherzustellen, blieb sie besorgt. Und auch das war, ist, nur allzu verständlich. Ich bin ja selbst auch besorgt deswegen.

Aber jetzt muss ich auch bald los, ich wollte nur das hier gerade noch niederschreiben. Und, wieder nur für’s Protokoll, ich habe mich nicht mit meinem Tagebuch zurückgezogen, solange Lidia noch wach war, die ist aber vorhin gerade ins Bett, und da blieb mir noch ein bisschen Zeit vor dem Aufbruch.
Zitat von: Dark_Tigger
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20. November

Fast Mittag. Ich habe ganz schön lange geschlafen, aber ich kam ja auch erst in den frühen Morgenstunden ins Bett.

Pünktlich um Mitternacht kam Haley aus dem Portal in der Gartenhütte.
„Ich mache mir Sorgen wegen Ragnarök“, kam sie gleich zur Sache, „ich habe keinen Bock auf Ragnarök!“
„Das ist gut“, erwiderte ich, „das geht uns genauso, weil –“, aber dann unterbrach ich mich. „Sollen wir uns vielleicht irgendwo setzen?“
Daraufhin schlug Haley gleich Bjarkis Haus vor, aber das konnte ich zum Glück abbiegen, auch, weil Haley selbst auch noch einfiel, dass ihr Bruder ja auch zu ihr etwas von ‚Privatsphäre‘ gesagt hatte.

Also gingen wir ins Dora’s, da war um diese Zeit nichts mehr los – und als Miteigentümer könnten wir ohnehin um jede Uhrzeit dort aufkreuzen, selbst wenn schon geschlossen wäre.
Wie dem auch sei, wir berichteten Haley, was los sei, dass eben Odin unter den Einfluss von Outsidern gelangt sei und offenbar schon sehr bald Ragnarök lostreten wolle.
Haley runzelte die Stirn. „Aber Ragnarök soll doch eigentlich gegen die Riesen gehen? Hmmm… Naja, vielleicht könnte man Ragnarök auch gegen die Orishas austragen, die sind ja auch mächtig.“ Ihr Stirnrunzeln vertiefte sich. „Ein Einfluss durch die Outsider würde viel erklären – aber seid ihr sicher?“
„Wir können nichts beweisen“, sagte Totilas.
Aber das konnte ich so nicht unwidersprochen stehen lassen, oder zumindest nicht unergänzt.
„Naja… Es ist ein Fakt, dass Pennywise den Raben mit einem der Dolche getötet hat. Es ist ein Fakt, dass Pennywise jetzt also Odins halbes Gedächtnis in sich trägt und die andere Hälfte des Gedächtnisses sich noch in Odin befindet. Die Verbindung zwischen den beiden ist ein Fakt.“

Als Haley zustimmend nickte, fuhr ich fort: „Und deswegen sollte jemand Odin davon überzeugen, dass er beeinflusst ist, damit er diesen Einfluss vielleicht abwerfen kann. Aber das muss von jemandem kommen, dem Odin vertraut, und deswegen dachten wir an Baldur. Und vielleicht kannst du Fenris überzeugen, nicht die Sonne zu fressen?“
Haley schnaubte mit einem Anflug von Belustigung. „Naja, das ist nicht so einfach: Fenris hat selbst nicht so viel Entscheidungsgewalt darüber, ob er die Sonne frisst oder nicht – die Macht der Mythologie ist so groß, die zwingt ihn möglichweise gegen seinen Willen.“
„Okay… aber Baldur? Wärst du bereit, Baldur freizugeben? Denn er ist ja nun einmal der, der von Odin am meisten gemocht wird.“
Diesmal war Haleys Schnauben zu gleichen Teilen genervt, von widerwillig aufrichtiger Zuneigung und genau aus diesem Grund über sich selbst belustigt: „<Em>Jeder mag Baldur, egal ob er will oder nicht. Der ist einfach nett!“
„Würdest du ihn denn dann freigeben? Und wäre es auch nur zeitweilig?“
„Das ist nicht so einfach“, erwiderte Haley. „Es ist ja nicht nur mein Wille, es geht ja auch um Baldurs Willen.“
„Öh, meinst du denn, er wird nicht mit seinem Vater reden wollen?“
„Jaaaa... also... weißt du...“

Was sie mit diesem uncharakteristischen Zögern sagen wollte, war, dass Baldur gar nicht mehr in Helheim ist.
„Der war so nett und so überzeugend und wollte so gerne die Welt sehen, und andere Unterwelten haben ihn auch interessiert – er sagte was von Nirwana und Xibalba –, da habe ich ihn gehen lassen.“
Und als dann die anderen Asen ankamen und Baldur zurückhaben wollten, habe sie nicht gewollt, dass alle davon erfuhren, also musste die Ausrede mit den Tränen her, und Loki habe ihr in Gestalt der Riesin geholfen, damit das Ganze als seine Bosheit abgetan werden konnte und die Sache nicht aufflog.
Aber sie habe schon sehr lange nichts mehr von Baldur gehört; das letzte Lebenszeichen sei eine Postkarte aus Paris gewesen, um 1920 herum.

„Nach Xibalba haben wir Kontakte“,  sagte ich nachdenklich, als sie geendet hatte, „falls er noch dort sein sollte, könnten wir ihn dort vielleicht finden.“
„Ich bezweifle, dass er noch in Xibalba ist“, gab Haley zurück, „aber warum lokalisiert ihr ihn nicht mit einem Ritual? So wie du gerade drauf bist, sollte das doch kein Problem sein!“
Sie schaute mich durchdringend an. „Was ist da eigentlich passiert? Dir kommt die Sommermagie ja zu den Ohren heraus!“
Also erzählte ich auch ihr alles, woraufhin Haley mir noch einen Blick zuwarf und meinte: „Aber ein Mensch bist du noch, das spüre ich.“
Puh. Und das dachte ich nicht nur, das entfuhr mir auch, und zwar sehr von Herzen.

Bevor Haley ging, sprach ich auch sie auf Lokis Fotos an. Sie hielt es durchaus nicht für ausgeschlossen, dass ihr Vater diese Fotos als eine Art Rückversicherung oder Notfallplan für den Fall, dass irgendetwas schiefgehen würde, hinterlassen haben könnte. Sie wusste nicht, welcher Art diese Rückversicherung genau sein könnte, und falls es eine sei, dann wohl kaum für genau diesen Fall speziell, aber ganz grundsätzlich ein Notfallplan für irgendwas vielleicht.

Gut. Also. Nächster Plan: Baldur finden und tatsächlich die Fotos mal genauer anschauen.
Ich übernahm die Rechnung, und Haley verabschiedete sich, nachdem auch wir die Abmachung getroffen hatten, in Kontakt zu bleiben.

Um Mitternacht hatten wir uns getroffen; das Gespräch hatte eine gute Stunde gedauert, dazu die Fahrt – bis ich nach Hause kam, war es nach 02:00 Uhr.
Eigentlich wollte ich ganz leise ins Bett, um Lidia nicht aufzuwecken, aber die wurde natürlich doch wach. Also redeten wir noch, und kuschelten, und, nun ja. Ob jetzt die neue, aufgestaute Sommerenergie einen Anteil daran hatte oder es schlicht und ergreifend an der Tatsache lag, dass ich eine wunderschöne, liebevolle, aufregende Ehefrau habe... Es blieb nicht beim Kuscheln. Was eben auch der Grund ist, warum es heute morgen so spät wurde.
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!

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Odin korrumpiert?!? Ach du Schreck. Viel Erfolg beim Überzeugen!
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Immer noch 20. November, früher Abend, im Dora‘s

Jahaa. Y una leche. Das Ritual, um Baldur zu finden, wird nicht so einfach, wie Haley sich das vorgestellt hat. Denn um jemanden per Ritual ausfindig zu machen, braucht es ja etwas von der Person, und das haben wir nicht. Tatsächlich haben wir sogar überhaupt nur sehr vage Informationen, von einem persönlichen Gegenstand ganz zu schweigen. Aber was für eine nordische Gottheit spielend einfach klingt, ist es für unsereins eben noch lange nicht.

Jedenfalls, wenn dieses Ritual jemand von uns durchführt, dann wäre es mir lieber, ich steuere nur Sommermagie dazu bei, halte aber nicht selbst die Fäden in der Hand, denn die Energie, deren reiner Überfluss sich immer noch ziemlich überwältigend anfühlt, in das Ritual zu kanalisieren, dürfte schon anstrengend genug werden, da muss ich mich nicht auch noch auf ein komplexes Ritual konzentrieren. Und von den anderen am besten Roberto, nicht Edward, weil Edward sich zwar auf Rituale spezialisiert hat, aber Roberto sich besser mit Divinationsmagie auskennt, also der Kunst, Dinge in Erfahrung zu bringen.

Um uns der Sache anzunähern und um abzuschätzen, ob ein solches Ritual überhaupt von Erfolg gekrönt sein könnte, trugen wir erst einmal zusammen, was wir denn überhaupt über Baldur wussten, also neben der Geschichte um seinen Tod. Die Hauptinformation: Baldur ist der Ase der Reinheit, der Sonne und der prophetischen Träume, und was den Bereich ‚Sonne‘ betraf, konnte ich, weil Sonne und Sommer ja ziemlich deutlich zusammengehören, ein paar Vorschläge machen, wie man diese Eigenschaft Baldurs in das Ritual einbeziehen könnte.

Roberto hat ja seine Botanica und seinen Fokus auf wissensbasierte Magie, aber das war nicht genug, bei weitem nicht.

Aber dann kam mir noch ein Gedanke: Wenn Baldur doch auch der Ase der prophetischen Träume ist, wer fällt uns – okay, wer fällt mir – beim Thema Träume als erstes ein? Richtig. George.
Ich glaube, es ist Zeit für ein kleines Nickerchen.

----

Abends.

Ich traf meinen Wyldfae-Freund in einem ziemlich wilden, actionfilmartigen Traum, in dem Eric Albarn und Tom Cruise in einer sommerlichen Umgebung (James Bonds Dr. No lässt grüßen) in eine wilde Verfolgungsjagd verstrickt waren und sonstige Agenten-Dinge taten. George beobachtete das Treiben von dem Sonnenschirm-beschatteten Tisch eines Straßencafés aus, und ich setzte mich kurzerhand zu ihm. Währenddessen wurde der Actionfilm um uns her noch etwas wilder, mit Gesichtstausch-Elementen à la Face Off, aber darum kümmerten wir uns nicht mehr groß. George machte nur eine Bemerkung zu den Abenteuergeschichten, die ich häufig träumen würde, und ich sagte, ich müsse ihn unbedingt mal mit ins Kino nehmen. Und dann musste ich erstmal erklären, was Kino überhaupt ist.

Und natürlich bemerkte auch der Wyldfae die neue, stärkere Sommermagie an mir, also erzählte ich auch ihm erst einmal, was geschehen war, bevor wir auf das Thema Baldur und prophetische Träume kamen. George schlug vor, dass wir doch selbst einen prophetischen Traum zu Baldur haben sollten, was eine ausgezeichnete Idee war, auf die wir eigentlich auch selbst hätten kommen können. Aber hey, so konnte ich wenigstens ein Kino-Date mit meinem Wyldfae-Kumpel ausmachen. Dann betrieben wir noch ein bisschen Smalltalk, wobei wir darauf achteten, dass wir beide dem jeweils anderen schön ausgewogen gleich viel erzählten, damit der Informationsfluss in beide Richtungen ging (Feen! Feen und ihre Abneigung dagegen, bei anderen in der Schuld zu stehen!), dann wurde ich wieder wach und gab Georges Vorschlag an die anderen weiter.

Für Hilfestellung beim Auslösen eines prophetischen Traumes fiel uns Byron ein. Immerhin hat der schon mehr als einmal eine Visionsreise für uns geleitet. Einen kurzen Anruf später waren wir auf dem Weg zum Sunny Places.

In der Kommune waren sie gerade dabei, ein großes Lagerfeuer aufzubauen. Eigentlich war es gar nicht kalt, aber irgendwie fühlte es sich dennoch so an. Also nicht für mich, so von Sommer erfüllt, wie ich gerade bin, aber die anderen erzählten hinterher, sie hätten durch aus so etwas gespürt. Metaphysische Kälte, gewissermaßen.

Klar, dass ich auch Byron erzählte, was in Sachen Pan und Sommerherzogswürde Sache war, bevor ich ihm unsere Überlegungen schilderte und ihn um seine Hilfe bat. White Eagle erklärte sich auch gleich bereit, uns bei dem prophetischen Traum zu unterstützen, meinte aber, zuerst müsse das Feuer entzündet werden, und ob ich das vielleicht übernehmen könne? Das wäre schneller und einfacher, weil Byron irgendwie das Gefühl hatte, als könnte sich das auf normalem Wege gerade etwas zäher gestalten als sonst.
Kein Problem, sagte ich, und ich war beim Hochrufen der Magie auch extra vorsichtig… dachte ich.

Jahaa. Y una leche. Egal, wie vorsichtig ich war, es machte dennoch vernehmlich whooosh, und der Scheiterhaufen stand lichterloh in Flammen. Während ich in jeder Zelle meines Wesens spüren konnte, wie das Feuer mich erfüllte, grinste Totilas, der in weiser Voraussicht ein Stück zurückgetreten war, ein hab-ich’s-doch-gesagt-Grinsen.

Im von Rauch erfüllten Schwitzzelt versenkten wir uns kurze Zeit später unter Byrons Anleitung in die uns bereits bekannte Trance, die uns hoffentlich einen prophetischen Traum bescheren würde.

Und tatsächlich hatten wir alle denselben Traum: Wir alle sahen die unterschiedlichsten Postkarten, darunter eine, die besonders herausstach. Das Motiv war offenbar Nepal, oder zumindest der Himalaya. Die Karte, deren Motiv sich bewegte und auf der halb durchsichtige Gestalten zu sehen waren, steckte in einem Stapel mit Fotos. Ja, dachte ich sogar im Traum, Haley hatte ja erzählt, dass Baldur gerne mal Postkarten verschickt… Und der Stapel mit Fotos, vielleicht die aus Lokis Ausstellung? Die hatten wir uns doch ohnehin ansehen wollen. Aber bei den Fotos waren doch gar keine Postkarten dabei!

Als ich mit diesem Gedanken aufwachte, gleichzeitig mit den anderen, brannte das Schwitzzelt. ¡Ay, mierda!

Beschämt fragte ich, nachdem die Flammen gelöscht waren, natürlich sofort, ob ich das doch sehr stark verkohlte Zelt irgendwie ersetzen könne, aber Byron, der ziemlich angefressen aussah, in seiner Wortwahl und Stimmlage aber so ruhig und höflich klang wie immer, erklärte, es sei seit Generationen in seiner Familie weitergegeben worden und bestünde aus Büffelhaut. „Also, wenn du auf die Büffeljagd gehen willst?“

Doppel-mierda. ¡Mierda y cólera!

„Oh Dios, es tut mir so unendlich leid, wirklich! Und wenn ich kann, ja, dann mache ich das! Aber nach der Ragnarök-Krise?“

Byron nickte. „Ja, lass erst einmal Ragnarök verhindert sein, dann sehen wir weiter.“

Gut. Also Lokis Fotos näher begutachten. Das geerbte Zelt und die Kiste mit den Fotos bewahre ich in einer Mini Storage Facility relativ nah unserer Wohnung auf, wo ich allen möglichen Kram untergebracht habe, zum Beispiel auch, was an Requisiten vom Eric Albarn-Film bei mir gelandet ist.

Da wir beschlossen hatten, dass Roberto sich Lokis Fotos mit dem Dritten Auge anschauen würde, blieben Totilas und Edward von vorneherein hinter unserem Santero-Freund zurück. Ich selbst ging anfangs mit in den Verschlag und kramte den Karton mit den Fotos heraus. Roberto nahm die Bilder an sich und bekam den Gesichtsausdruck, der mir sagte, dass er nicht mehr auf der physischen Ebene auf die Dinge blickte – und sofort zuckte Roberto zusammen. Als er mir dann sagte, dass ich in der Sight eine beinahe unerträglich helle und glühend heiße Aura hätte, ging ich natürlich auch hinaus und ließ ihn mit den Fotos allein.

Etwas später kam Roberto zu uns zurück. Er sagte, er habe in dem Bilderkarton tatsächlich einige Postkarten gefunden, die in der Sight leicht geleuchtet hätten. Und nein, es waren vorher tatsächlich nur Fotos in der Kiste gewesen, soweit ich das sagen konnte, also auf welchem magischen Weg auch immer diese Karten dort hineingelangt sein mochten. Jedenfalls war eine dieser Karten tatsächlich aus Nepal gewesen, mit dem Motiv derselben Berglandschaft, wie wir sie im Traum gesehen hatten, und den Mauern eines alten, vermutlich buddhistischen Klosters. Und während der Verfasser zwar nicht Loki gezielt ansprach und nicht mit ‚Baldur‘ unterzeichnet hatte, so war dem ‚lieber Onkel‘ und ‚dein Neffe‘ doch zu entnehmen, dass wir hier das Richtige in der Hand hielten. Der Text sprach von einem ‚neuen Projekt hier am Makalu‘, dem der Kartenschreiber sich nun eine Weile widmen wollte, und der Poststempel trug ein Datum von vor einigen Monaten.

Mit Glück ist Baldur also noch genau dort, in diesem Kloster, mit seinem Projekt beschäftigt.

Wir haben recherchiert, um welches Gemäuer es sich auf der Karte handelt. Der Berg, auf dem es liegt, ist der Makalu, der vierthöchste Berg Nepals und der fünfthöchste der Welt. Es war wirklich einmal ein buddhistisches Kloster, aber offiziell ist es seit Jahrhunderten verlassen. Also keinerlei Möglichkeit, jemanden zu erreichen, der sich dort gerade aufhält. Also zumindest nicht per Telefon, Internet, Telegramm oder dergleichen. Und das wiederum heißt: Auf nach Nepal!

---

Nächster Morgen, 21. November

Ach, eines habe ich ja gestern Abend im Tran ganz vergessen zu erzählen. Irgendwann im Gespräch fiel uns plötzlich auf, dass Roberto ganz seltsame Augen hatte, die Pupillen vergrößert, flach und mit unregelmäßig gewellten Rändern, ein bisschen wie bei einer Lavalampe.

Bei uns klingelten natürlich sofort die Alarmglocken, auch und gerade angesichts all unserer schlechten Erfahrungen mit Beeinflussung und Besessenheit, vor allem, da es uns erst so vorkam, als wolle Roberto, darauf angesprochen, dem Thema ausweichen. Totilas war derjenige, der erkannte, dass es Augen waren wie bei einem Oktopus, und tatsächlich erzählte Roberto schließlich doch, dass er auf einem der bewegten Bilder in Lokis Sammlung einen Oktopus gesehen habe. Eigentlich sei das ein ganz normales Motiv von einem Segelschiff auf einem leicht bewegten Meer gewesen, auf dem irgendwo am Rand andeutungsweise ein Krake zu sehen gewesen sei, aber in der Sight sei dieser Krake auf Roberto zugeschwommen und habe ihn ganz aus der Nähe angeschaut – und Roberto habe ihn sich gründlich angeschaut, weil er – vor allem seine Augen – so faszinierend gewesen sei.

Es war klar, dass Totilas und Edward unseren Kumpel nun ebenfalls magisch untersuchten, ob diese Begegnung mit dem Kraken irgendwelche bleibenden Schäden oder unterschwelligen Beeinflussungen bei Roberto hinterlassen hatte. Dies war offenbar nicht der Fall – oder besser, eine leichte Beeinflussung war wohl doch zu merken, die aber hoffentlich recht bald verschwinden wird, wenn Roberto dem Bild nicht erneut ausgesetzt wird, was die Bindung vertiefen könnte.

Also war es ebenso klar, dass wir die Postkarte, die Roberto aus dem Lagerhaus mitgebracht hatte, wie er etwas zähneknirschend zugab, einkassierten. Auch hierbei zeigte unser Santeria-Freund sich etwas widerwillig, rückte das Bild mit der Krake dann aber doch heraus.

Als ich es an mich nahm, warf ich einen kurzen Blick auf dessen Motiv, und tatsächlich erschien es auch mir, als komme da etwas aus dem Hintergrund nach vorne in meine Richtung geschwommen – aber da hatte ich das Bild aber schon eingesteckt, ohne abzuwarten, bis die Krake größer wurde.

Und bevor ich nach Hause fuhr, verstaute ich die Postkarte wieder sicher in ihrem Karton im Lagerraum.

Und jetzt also auf nach Nepal!

Natürlich nicht sofort, nicht heute und vermutlich auch nicht morgen, je nachdem, wann es Flüge gibt, aber doch sobald wir können. Uns treibt alle ein Gefühl der Dringlichkeit um, dass es eben keine Minute zu verlieren gilt!

---

Ich habe etwas recherchiert.

Und ich war etwas überrascht – ich hatte schon mit schrecklicher Kälte und unwirtlichen Temperaturen gerechnet, aber offenbar haben wir tatsächlich eine ganz gute Zeit erwischt, um den Himalaya zu besuchen.
Denn – ich muss einfach mal den sabihondo machen – in Nepal wird das Jahr nicht in vier, sondern in sechs Jahreszeiten aufgeteilt, und zwar in Frühling, Frühsommer, Sommermonsun, Frühherbst, Spätherbst und Winter. Die beste Reisezeit ist entweder Mitte März bis Mitte Mai, also im Frühling nach der Schneeschmelze, oder Mitte September bis Mitte November, sprich im Frühherbst. Für Mitte November sind wir zwar eine Woche zu spät dran, aber wir schaffen es hoffentlich trotzdem, bevor der erste Schneefall einsetzt.

Die Reisezeit beträgt insgesamt etwas über einen Tag: von Miami aus sind es 20 Stunden bis Kathmandu, mit einem Zwischenstop in Doha, und von Kathmandu aus geht es dann noch einmal mit einem Inlandsflug weiter. Die USD 35.000,--, die der Flug für uns alle kosten wird, kann ich mir zum Glück problemlos leisten. Und es gibt doch morgen schon einen Flug, auf dem noch fünf Plätze frei sind!

---

Ich habe mit Lidia geredet. Verständlicherweise war sie nicht gerade  begeistert davon, dass ich so kurzfristig für mindestens mehrere Tage nach Südostasien reise und mich dabei möglicherweise in Gefahr begeben muss, Aber zum Glück hatte sie Verständnis.

---

Die Jungs haben kein Problem damit, morgen schon zu fliegen. Alles klar. Tickets buchen jetzt.

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Die Guardians sind auch informiert – wir hatten eben ein Treffen.
Jetzt noch den Rest des Tages und des Abends mit Lidia und den Hijas auskosten, und morgen dann, ich wiederhole mich, aber: Auf nach Nepal!
« Letzte Änderung: 2.08.2024 | 23:51 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
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22. November, im Flugzeug.

Eigentlich gibt es gar nicht viel zu schreiben. Wir haben noch etwas über eine Stunde bis zu unserem Zwischenstopp in Doha. Die 13 Stunden Flug bis hierher waren ereignislos, das Essen in Ordnung, die Filmauswahl ebenfalls.

Roberto trägt übrigens die ganze Zeit seine Sonnenbrille und hat sie auch an Bord nicht abgelegt, damit man seine Krakenaugen nicht bemerkt. Ich hoffe wirklich, die normalisieren sich bald wieder.

Da der Flug in Miami abends gegen 21:00 Uhr abging, fühlte es sich, sobald das an Bord servierte Abendessen abgeräumt worden war, nach unserer inneren Uhr relativ bald wie Schlafenszeit an. Und da der komplett in die Waagerechte zu bringende Sitz in der Business Class tatsächlich gar nicht unbequem ist, habe ich fast acht Stunden lang geschlafen. Ich wachte erst auf, als das Licht heller wurde und der Duft nach frisch gewaschener Wäsche – oder was auch immer es ist, das sie da nutzen, ein ganz typischer Duft eben, mit dem vermutlich das Aufwachen unterstützt werden soll – durch die Kabine wehte, und ich fühle mich munter und ausgeruht. Dann gab es 'Frühstück', auch wenn es nach Ortszeit gerade schon Nachmittag ist, und danach habe ich ein paar Notizen für einen nächsten Roman gemacht. Ich spiele ja eigentlich schon seit einer Weile mit dem Gedanken, auch mal etwas außerhalb der Eric Albarn-Reihe zu schreiben; so in Richtung magischer Realismus im kubanischen Unabhängigkeitskrieg, aber mal sehen. Diese Notizen waren aber erst einmal wieder für Eric und Catherine. Vielleicht könnte es die ja auch mal ins Ausland verschlagen.

Wir befinden uns gerade über Ägypten. Diese beigefarbene Wüstenlandschaft durchzogen vom saftigen Grün des Nildeltas ist wunderschön.

---

Zwischenstopp. Doha International Airport.

Okay, man kann hier ausgezeichnet essen, stelle ich fest. Und einkaufen, wenn einem danach ist. Ich hätte zwar nicht übel Lust, mich nach Mitbringseln für die Familie umzusehen, aber erstens will ich mich auf dem Hinweg damit nicht belasten, zweitens gibt es vielleicht auch in Nepal etwas Schönes, und falls nicht, ist hoffentlich bei der Zwischenlandung auf dem Rückweg auch noch Zeit. Oh, und die haben hier tatsächlich im Terminal-Gebäude einen richtigen, echten Wald. Ich bin fasziniert und irritiert gleichermaßen.

Wir haben eine Stunde Aufenthalt – nicht genug, um sich alles anzusehen, was es hier gibt, aber muss ja auch nicht. Ein bisschen herumschlendern reicht mir schon.

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23. November

Wir sind im Flieger nach Kathmandu. Eben wurden schon die ersten Getränke gebracht; bestimmt wird gleich auch schon wieder eine Mahlzeit serviert. Mein Zeitgefühl beginnt zu verschwimmen, vor allem, weil die Uhren ja immer sofort auf den Zielort eingestellt werden, sobald man an Bord geht, und laut Bordzeit deswegen 22:30 ist, drei Stunden weiter als in Katar. Ich glaube, nach dem Essen versuche ich, ein bisschen zu dösen, wenn nicht sogar zu schlafen, auch wenn es nach Miami-Zeit gerade erst Mittag wäre.

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24. November, früh morgens

Okay, das ist jetzt das komplette Kontrastprogramm zu dem glatten und geleckten Großraumflugzeug mit den Annehmlichkeiten der Business Class. Wir sitzen als einzige Ausländer in einer kleinen Propellermaschine mit sage und schreibe ganzen 30 Plätzen, umgeben von den unterschiedlichsten Leuten, und wenn ich das richtig sehe, ist im hinteren Teil der Maschine sogar ein abgeteilter Bereich für Tiere. Ich glaube, da sind Hühner und Ziegen, Himmel steh uns bei.

Der Flughafen von Kathmandu ist winzig und provinziell im Vergleich zu dem von Doha. Irgendwelche Mitbringsel kaufen werde ich auf dem Rückweg wohl nicht kaufen können – es gibt auf dem Flughafen von Kathmandu keinerlei Läden, soweit ich das sehen konnte, nur ein paar 'Tea and Confectionary Shops'. Ob ich da etwas finden werde, wage ich zu bezweifeln – überprüfen konnte ich es nicht, da wir nachts um 01:00 Uhr landeten und alles geschlossen hatte. Nachdem wir die Einreiseformalitäten hinter uns gebracht hatten, konnten wir also nicht viel tun, außer im Wartebereich auf unseren Anschlussflug zu warten. Die Sitze in der Wartehalle sind nicht mit denen in Doha zu vergleichen, aber immerhin ließen sie sich ausklappen, sodass wir doch zumindest etwas in der Art wie eine bequeme Position einnehmen konnten. An Dösen war nicht wirklich zu denken, da unsere inneren Uhren uns sagten, es sei Nachmittag, nicht Nacht, aber zumindest etwas ruhen konnten wir, bis um kurz nach 08:00 die kleine Propellermaschine abhob.

Und jetzt wie gesagt der etwas über halbstündige Flug ins Hinterland – ich höre jetzt auf zu schreiben und schaue lieber aus dem Fenster, die Aussicht auf das Gebirge ist nämlich traumhaft. Und ich fühle mich erstaunlich wach – mal sehen, wie lange das so bleibt.

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24. November, nachmittags

Ooookay. Das muss ich jetzt alles erst einmal verarbeiten. Wir haben nicht nur Baldur gefunden, sondern sind auch der Shinto-Gottheit Izanami begegnet, der japanischen Gottheit des Todes. Und wir haben jetzt zumindest eine Ahnung, wer diese anderen internationalen Gäste sind, Himmel steh uns bei. Die werden wir auch gleich suchen gehen, sobald ich das hier fertig aufgeschrieben habe.

Aber der Reihe nach.

Nachdem wir aus dem Flugzeug gestiegen waren und unser Gepäck in Empfang genommen hatten, verschwanden die anderen Mitreisenden in sagenhafter Geschwindigkeit um uns her, und wir – wie gesagt die einzigen Ausländer auf dem Flug – standen etwas verloren auf dem Flugfeld. Ein Taxi war weit und breit nicht zu sehen.

Da kam ein junge einheimischer Mann auf uns zu, der zwar kein Taxifahrer war, aber Englisch sprach und sich als Prasad vorstellte. Er bot sich uns als Führer an und auf unsere Frage erklärte, eigentlich gebe es hier auch ein Taxi, das sei aber gerade nicht da, das mache aber nichts, es sei ein kleiner Ort hier. Prasad war es auch, der uns den Weg zum einzigen 'Hotel'  im Ort (in Anführungszeichen, da klein und eher ein B&B als ein echtes Hotel) zeigte, wo wir Glück hatten, dass wir noch Zimmer bekamen. Es seien nämlich auch andere Touristen da, sagte der Wirt, deswegen sei fast alles belegt.

Andere Touristen? Ach ja? Interessant! Vor allem, als der Wirt weitererzählte, das seien wohl Wanderer, denn sie hätten so komische Stäbe dabei. Ach ja?!?

Instinktiv hatte ich den Verdacht, bei der Gruppe könnte es sich um Warden Hawkins und andere Magier aus England handeln, oder um unseren alten 'Freund' Ebenezer McCoy, aber dem war nicht so. Der Beschreibung nach klangen die Magier eher wie Südamerikaner, und auch nicht wie irgendwer, dem wir schon mal begegnet wären.

Da es ja noch früh am Vormittag war und wir alle uns ziemlich munter fühlten und unsere inneren Uhren ohnehin komplett durcheinander geraten sind, wollten wir am liebsten gleich in Richtung dieses Klosters aufbrechen. Den einzigen echten Bergführer im Ort hatten die südamerikanischen Magier engagiert, aber Prasad kannte jemand anderen, der zwar nicht lizensiert, aber auch sehr gut sei. Okay, sagten wir dann gerne der, nur zu.

Der junge Mann hieß Ram Agrawal und sprach nur sehr rudimentär Englisch, aber es klappte schon einigermaßen mit dem Verständigen. Jedenfalls erklärte er sich bereit, uns das Nötige an Ausrüstung zu stellen und uns zu diesem Kloster zu führen, das ungefähr fünf bis sechs Wegstunden entfernt sei, meinte er. Es gehe hoch in die Berge, und ob wir fit seien? Naja, Miami ist zwar jetzt nicht gerade ein Dorf in den Alpen, aber unsportlich sind wir ja alle nicht.
Zudem kannte Prasad auch eine alte Dame, die uns einen Esel für unsere Ausrüstung vermieten konnte, das würde den Aufstieg hoffentlich etwas erleichtern.

Nachdem wir also den Großteil unserer Sachen im Hotel abgeladen hatten, ging es los. Für November lag tatsächlich noch erstaunlich wenig Schnee, kaum eigentlich, nur ein ganz leichter Puderzucker, und es war längst nicht so kalt, wie man erwartet hätt (aber trotzdem kalt genug für meinen vom Sommerhof beeinflussten Geschmack – ich war sehr froh, dass ich vorgestern vor dem Abflug noch eine dicke Jacke und Hose, warme Socken und Outdoor-Stiefel gekauft hatte), und wir kamen gut voran. Beste Reisezeit eben.

Es war schon deutlich am Nachmittag, und laut Ram war es gar nicht mehr so weit bis zu dem Kloster, als uns plötzlich völlig unverhofft von einer Kippe, an der wir gerade vorbeigingen, mit einem donnernden Krachen und aufspritzenden Steinchen eine menschengroße Statue vor die Füße fiel. Der Esel wieherte auf, riss sich los und rannte davon, zurück in Richtung Tal, und auch Ram, der sich zuerst offenbar nur erschrocken zu haben schien, nahm schreiend Reißaus, als die Statue plötzlich anfing, sich zu bewegen.

Die Figur sah irgendwie südamerikanisch aus und wirkte sehr lebensecht, nicht so, als hätte ein Bildhauer ein Kunstwerk geschaffen, sondern als sei ein echter Mensch versteinert worden. Die Statue bewegte die Lippen und tastete suchend um sich her, sah aber nicht so aus, als könne sie aufstehen und herumlaufen oder sonst groß aktiv werden.

Edward mit seinem großen theoretischen Wissen um magische Dinge kam auf die Idee, dass man den Zustand der Versteinerung vielleicht mit einem kleinen Blutopfer wieder lösen könne, also gab ich mich dafür her und versetzte mir selbst einen leichten Schnitt in den Daumenballen, und nachdem einige Tropfen Blut auf dem Arm der Statue gelandet und sofort von dem Stein absorbiert worden waren, kam die Gestalt tatsächlich zu sich.

Zuerst sprach er eine Sprache, die keiner von uns verstand (Alt-Aztekisch vielleicht?), aber als wir ihn auf Englisch ansprachen, antwortete er auch auf Englisch.
Wir fragten nach Baldur und erfuhren, dass der sich tatsächlich mit einer Frau namens Iza-irgendwas oben im Kloster befinde. Seinen eigenen Namen wusste er gar nicht mehr, aber er wusste noch, dass er einst, vor langer, langer Zeit, eine Gottheit gewesen sei. Ihn hätten Fremde abgeschossen und dann die Klippe heruntergestürzt. Er begleitete uns ins Kloster, das tatsächlich nicht mehr weit war, wo uns ein nett aussehender, hübscher junger Mann, den wir sofort als Baldur erkannten, erst ein wenig misstrauisch, dann aber freundlich begrüßte, als wir erklärten, wir seien Freunde von Haley und wir seien eigens hergekommen, um ihn zu suchen. Im Kloster befanden sich auch zahlreiche andere Gestalten, manche ziemlich normal aussehend, andere fast durchsichtig.

Baldur erzählte uns freimütig von seinem derzeitigen Projekt: Zusammen mit Lady Izanami, der japanischen Totengöttin, die jetzt ebenfalls zu uns trat, höflich-kühl, aber nicht unfreundlich, sei er dabei, vergessene Gottheiten zu retten, damit sie nicht spurlos vergingen.

Oder Adlene in die Hände fallen, dachten wir sofort, und erzählten dem jungen Asen von Adlene und seiner Versklavung der zu Geistern gewordenen Götter. Aber noch vorher berichteten wir von Odins durch die Outsider beeinflusstem Plan, Ragnarök auszulösen, und dass Baldur der einzige sei, der Odin vielleicht von diesem Plan abbringen könne, daher unsere Bitte, mit uns zu kommen und Odin zu überzeugen.

Von dieser Idee war Baldur nicht gerade begeistert – Odin denke, Baldur sei tot, und eigentlich hätte er gerne, dass das so bliebe, aber gut, Ragnarök zu verhindern sei ein Argument.

Zunächst allerdings muss das Problem hier gelöst werden: Diese fünf 'Touristen' sind Magier, die die verlorenen Götter jagen und umbringen. Sie seien seit kurzem hier in der Gegend und täteten, wen sie erwischen könnten, aber so richtig in das Kloster selbst hineingetraut hätten sie sich noch nicht.
Wir beschlossen also, diese Magier suchen zu gehen, vielleicht lässt sich ja mit ihnen reden.

Wie gesagt: Es ist zwar schon Nachmittag, wir haben also nur noch so etwa zwei oder drei Stunden, bis es dunkel wird, aber bis morgen wollen wir nicht warten, dafür drängt die Zeit zu sehr.
Die Zeit, um das hier aufzuschreiben, habe ich mir aber trotzdem genommen, das hat nicht so lange gedauert, und außerdem haben wir gerade auch noch etwas gegessen.

Aber jetzt brechen wir auf – Padre en el cielo, schenk uns Deinen Segen!
« Letzte Änderung: 3.08.2024 | 00:05 von Timberwere »
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Gerade noch 24. November, kurz vor Mitternacht

zurück im Dorf. Alle noch am Leben. Naja, alle Lebenden jedenfalls*. Würde gerne sofort noch mehr schreiben, aber zu müde.
Hoffe morgen. Sonst... weiß nicht wann. Egal. Schlafen.


*Args, Alcazár, was war das denn gestern Abend für ein Meisterwerk an Formulierung? „Alle Lebenden noch am Leben“. Ja was denn sonst, duh...
Nur wie hätte ich es denn sonst formulieren sollen? Alle noch am Leben bis auf die toten Gottheiten? Ja, das wäre vermutlich klarer gewesen.
Aber das zeigt nur, wie platt ich gestern war.

---

25. November

Jedenfalls, wie ich eigentlich gestern abend schon geschrieben hätte, wenn ich nicht so fertig gewesen wäre:

Es kam gar nicht dazu, dass wir aufbrachen.

Wir waren gerade im Innenhof des Klosters kurz vor dem Tor, als plötzlich um uns herum die Hölle losbrach. Ein ohrenbetäubendes Krachen, mit dem das Tor ebenso wie ein Teil der Mauer explodierte, und Steine und Bruchstücke wurden in alle Richtungen geschleudert. Wir alle wurden von herumfliegenden Splittern getroffen, und wir alle bekamen blutige Schrammen ab, aber dem Himmel sei Dank war es nichts Schlimmes.

Im so abrupt erweiterten Eingang standen drei Männer: ein älterer, einer in mittlerem Alter und ein junger. Der ältere und der junge Mann trugen Magier-Stäbe, der dritte hatte eine Maschinenpistole in der Hand.
Aber wir hatten ja von fünf Ratsmagiern gehört – es mussten also noch zwei irgendwo sein.

Bevor einer von uns anderen reagieren konnte, rannte Totilas mit seiner übermenschlichen Schnelligkeit los und riss dem Bewaffneten die Maschinenpistole aus der Hand. Roberto war so klug und sprang in Deckung, während Alex, ebenfalls einigermaßen in Deckung, die Umgebung in Augenschein nahm. Edward hingegen tat das, was Edward eben tut: Er rannte zu dem jüngeren der beiden Magier und tackelte ihn um – und er hatte so viel Schwung, dass die beiden vom Eingang aus die abschüssige Rampe herunterzurollen begannen.
Und ich – ich tat auch das, was ich eben tue: Ich blieb in voller (lebensmüder *hust*) Absicht mitten im Hof stehen, wo ich gerade stand, machte eine möglichst entwaffnende Geste und rief: „Wartet! Hier sind Menschen! Lasst uns doch erstmal reden, verdammt!“

Die beiden noch oben stehenden Männer stutzten, und vor allem der ältere Magier machte ein verwirrtes Gesicht, als würde er mir nicht glauben. Aber sie sie griffen mich nicht an, wie ich da mitten im Hof stand, soweit so gut. Das Problem war nur, der Mann, dem Totilas die Maschinenpistole aus der Hand gerissen hatte, trug noch mehr Waffen bei sich. Er zog  eine Pistole und schoss auf den einen unter uns, der deutlich nicht als Mensch zu erkennen war – unser Weißvampir-Kumpel Totilas, der ihn ja noch dazu eben angegriffen hatte. Von dem Treffer wurde Totilas zurückgeschleudert, über die Felskante hinaus, wo er sich aber festhalten konnte.

Jetzt, wo Totilas keine direkte Gefahr mehr darstellte, wandte der Bewaffnete sich zu mir und zuckte mit den Schultern. „Klar können wir reden“, gab er gelassen zurück, „aber ich bin hier nur die Muskeln. Ich habe keinen Einfluss. Aber was meinst du von wegen 'Menschen'? Ihr habt einen Vampir und eine Fee!“
„Fee? Wie kommst du denn dar--“

… Oh.

Nein, verdammt, ich bin keine Fee! Ich habe es höchst offiziell von Haley, dass ich noch ein Mensch bin! Okay, da ist gerade eine ganze Menge Sommerfeenmagie in mir, aber – egal. Ich hatte keine Zeit, das diesem Typen jetzt zu verklickern.

An der Felskante trat plötzlich aus einem Schleier der Unsichtbarkeit eine mit einem Schwert bewaffnete Kämpferin heraus – klar, da fehlten ja noch zwei! – und gab einen kraftvollen Hieb auf Totilas ab, dem dieser gerade so ausweichen konnte.

Der ältere Magier stieß mit seinem Stab fest auf den Boden und sprach einige Worte, die ich nicht verstand. Daraufhin erzitterte die Erde und bekam Risse, und eine Art Iglu bildete sich um den Mann herum.

Wie er hinterher berichtete, versuchte Roberto an dieser Stelle herauszufinden, was der alte Magier da machte, aber er konnte lediglich erkennen, dass der Südamerikaner in dem Erd-Iglu offenbar begonnen hatte, ein Ritual zu wirken... aber was für ein Ritual, das konnte Roberto nicht sagen.

Gerade schlug die Schwertkämpferin noch einmal zu, und diesmal traf sie. Totilas packte die Klinge mit bloßen Händen und konnte auf diese Weise verhindern, dass der Schwerthieb ihn tötete, aber schwer verwundet wurde er dennoch. Totilas ließ los und stürzte mit voller Absicht den Abhang hinunter. Seine Gegnerin schien kurz zu überlegen, ob sie ihm folgen sollte, entschied sich dann aber offenbar dagegen.

In dem Moment wurde auch eine zweite Frau sichtbar – das musste die Magierin sein, die den Schleier für sich und die Kämpferin gewirkt hatte und die ihren Zauber jetzt fallen ließ – vielleicht, weil niemand schoss, vielleicht aber auch, weil sie in den Kampf eingreifen wollte und ihr dies ohne den Schleier besser möglich war.

Oben im Hof versuchte ich es derweil ein letztes Mal mit einem Appell. „Stop! Stop! Können wir nicht verdammt nochmal erstmal reden?!“
Der Leibwächter stutzte wieder und schaute mich zum ersten Mal genauer an. „Warte, du bist ja Ricardo Alcazár! Wahnsinn, Ricardo Alcazár hier! Aber... bist du echt eine Fee?“

Padre en el cielo, gib mir Kraft. „Oh, ach so, nein, das ist kompliziert, aber ich bin keine Fee. Aber ist egal jetzt, es ist dringend, Stop!“
„Was macht der Magier da?“, fragte Roberto in den angespannten Waffenstillstand hinein.
„Ich bin hier nur die Muskeln“, wiederholte der Leibwächter, „aber wenn ich das richtig verstanden habe, dann ein Ritual, um alle toten Gottheiten ein für alle Mal zu bannen.“
„NEIN!“, rief ich, „wir brauchen Baldur!“
„Warum das denn?“
„Weil Ragnarök kommt! Weil Odin von den Outsidern beeinflusst ist und Ragnarök ausgelöst hat! Und weil wir Baldur brauchen, damit der Odin davon abbringt! Verdammt nochmal, es ist dringend!“

„Das geht aber nicht“, schaltete die junge Magierin sich jetzt ein, „das Ritual kann nicht mehr aufgehalten werden. Das Iglu ist unzerstörbar und schalldicht, Ermano kann dich nicht hören. Das war Absicht, damit ihn nichts und niemand ablenkt oder behindert.“

Oh, mierda.

„Wie lange dauert das noch?“
„Er ist gleich fertig!“

Oh, Doppel-mierda.

Alex war so schlau gewesen und hatte bereits eine Rückzugsmöglichkeit ins Nevernever vorbereitet, falls die Dinge zu haarig werden sollten. Jetzt öffnete er das Portal und rief: „Hier rüber!“

Wir hatten keine Zeit, lange verlorene Gottheiten einzusammeln. Baldur war derjenige, der wichtig war, und Lady Izanami war ebenfalls in Reichweite. Beide allerdings wirkten jedoch durch das Ritual bereits derart geschwächt, dass es nicht so aussah, als könnten sie sich von selbst in Bewegung setzen. Deswegen rief Roberto seine patrona Oshun um Hilfe an, um ihm die Kraft und Schnelligkeit zu verleihen, durch die er Baldur rechtzeitig mit sich ins Nevernever ziehen konnte, während ich einen Sommersturm beschwor, der die japanische Totengottheit durch das Tor fegte, bevor ich ihr folgte.

Wir hätten keine Sekunde länger zögern dürfen – kaum waren wir durch das Tor hindurch, konnten wir noch spüren, wie in der menschlichen Welt etwas, wie beschreibe ich das... explodierte? Eine metaphysische Druckwelle, die von dem in sich einstürzenden Erdiglu ausging und an das sich schließende Portal andonnerte, aber nicht hindurchkam, weil die Verbindung zwischen den beiden Welten in genau dem Moment verschwand.

Tío. Durchatmen. Und lieber eine Weile abwarten – wer weiß, wie lange dieses Ritual brauchte, um zu wirken. Nicht dass wir zu früh zurückkehrten und Baldur und Izanami doch noch in Gefahr brachten.

Inzwischen – auch das erfuhr ich natürlich erst später, aber chronologisch gehört es an diese Stelle, deswegen füge ich es hier schon ein – waren Edward und der junge Magier den ganzen Abhang hinuntergekugelt und hatten schon den ganzen Weg nach unten miteinander gerungen. Unten wurde das Ganze zu einer ausgewachsenen Prügelei, bis der Magier plötzlich ausstieß: „Warum macht ihr das?“
Edward, der gerade zu einem weiteren Schlag ausgeholt hatte, hielt inne. „Machen wir was?“
„Warum macht ihr gemeinsame Sache mit den Outsidern? Ihr seid doch Menschen! Naja... bis auf den Vampir und die Fee...“
Edward war so baff, dass er die erhobene Faust jetzt ganz sinken ließ. „WAS?!? Wir kämpfen gegen die Outsider! Und was für eine Fee meinst du?“

Langer Rede kurzer Sinn, die beiden stellten fest, dass sie offenbar doch nicht auf völlig gegensätzlichen Seiten standen und einigten sich auf einen Waffenstillstand. „Solange ihr uns nicht angreift.“ „Und solange ihr uns nicht angreift!“ „Und du euren Vampir unter Kontrolle hältst!“ „Solange niemand irgendwen angreift, sag ich doch!“

Magier und Lykanthrop kehrten gemeinsam nach oben zurück und kamen gerade dort an, als wir durch das Tor sprangen, das Ritual auslöste und das Iglu wieder zu normalem Erdboden zerging. Und so konnte Edward auch sehen, wie alle verlorenen Gottheiten, bis auf die beiden, die wir ins Nevernever geschafft hatten, sich auflösten.

Da Alex, Roberto und ich aus Gründen der Vorsicht eine Weile drüben abwarteten und Totilas es für sicherer hielt, gebührenden Abstand zu wahren, bis die Situation sich etwas beruhigt hatte, war es an Edward, die fünf Südamerikaner auf Stand zu bringen. Vor allem mit dem älteren Magier, der das Ritual gewirkt hatte, unterhielt er sich eingehend – Edwards Faszination für Rituale stellte sich tatsächlich als guter Eisbrecher heraus, und die beiden fanden einiges an Gemeinsamkeiten. Ja, es schien sogar, als würde Edwards magisches Wissen den alten Magier einigermaßen beeindrucken.

Irgendwann kehrten wir, nachdem Alex als Vorhut überprüft hatte, dass die Luft rein war, aus dem Nevernever zurück, und auch Totilas kam zurück in den Klosterhof gehinkt, sobald er sicher sein konnte, dass ihm von den Magiern* keine Gefahr drohte.

Während des Gespräches erklärten wir die Lage und erfuhren im Gegenzug, dass die Magier bei einer ersten schnellen Sondierung der Lage auf den ersten Blick gesehen hatten, dass Totilas ein White Court-Vampir war. Bei dieser ersten schnellen Erkundung hatten sie mich tatsächlich für eine Fee gehalten, aber jetzt bei näherer Betrachtung konnten sie bestätigen, dass ich ein Mensch war, auch wenn jede Menge Feenmacht durch mich floss. Ich wiederhole mich, aber: puh.
Also erklärte ich ihnen im Detail, wie das kam, und dass mir nichts lieber wäre, als das geschäftsführende Herzogsamt wieder abzugeben, dass wir aber eben erst einmal Ragnarök verhindern mussten.

Und wo wir schon einmal dabei waren, Ratsmagiern alle möglichen Dinge und Zusammenhänge zu berichten, sprach ich auch unsere Vermutungen – bzw. unser Wissen – über Spencer Declan und Joseph Adlene offen aus, dass sie gemeinsame Sache mit den Outsidern machten.
„Das sind schwere Anschuldigungen“, meinte Ermano.
„Das ist mir bewusst“, erwiderte ich, „und dennoch spreche ich sie aus, eben weil sie so ernst sind. Wahrscheinlich kostet uns das Kopf und Kragen, weil Declan beim Rat am deutlich längeren Hebel sitzt und das Wort eines Wardens tausendmal mehr gilt als das eines magischen Niemands, aber dennoch. Wir haben stichhaltige Gründe für die Annahme.“ Die ich ihm dann natürlich auch darlegte.
„Nun gut, junger Mann“, sagte Perez schließlich, ich glaube Ihnen, dass Sie zumindest selbst von dem überzeugt sind, was Sie sagen. Ich werde einige Erkundigungen anstellen – vorsichtig natürlich, um niemanden aufzuscheuchen. Wenn Sie recht haben,

In bezug auf Edward lobte der alte Magier erneut dessen Talent und deutete sogar an, ihn beim White Council  sponsorn zu wollen, falls Edward jemals um Aufnahme in den Magierrat ersuchen sollte. Allerdings fehlten Edward für eine offizielle Bewerbung noch einige Fähigkeiten, sagte Perez – die sollte er sich aber, so Ermano, mit etwas Übung durchaus aneignen können.

Dann aber mussten wir entscheiden, wie wir am schnellsten und besten nach Miami zurückkehren konnten. Die Zeit drängte – mit dem Flugzeug würde es vermutlich zu lange dauern, ganz abgesehen von der Tatsache, dass Baldur keinen Pass hatte. Er meinte zwar, das sei grundsätzlich weniger ein Problem, meistens könne er die Leute mit seinem Charme einfach überzeugen, dass sie ihn dennoch passieren ließen. Aber die Zeit war eben doch ein entscheidender Faktor, also musste ein übernatürlicher Weg her.
Am besten vielleicht über Helheim und von dort aus durch das Portal in Bjarkis Gartenlaube, das Haleys „Touristen“ auch immer benutzen?

Dazu mussten wir allerdings Haley erreichen, und ich habe zwar ihre Telefonnummer, aber so weit oben in den Bergen gab es kein Netz, dazu mussten wir zurück ins Dorf.
Und auch sonst konnten wir nicht sofort aufbrechen. Es war ein langer, langer Tag gewesen, unsere inneren Uhren waren völlig durcheinander, und der Jetlag machte sich bemerkbar – drängende Zeit oder nicht, wir mussten erst einmal wenigstens ein paar Stunden schlafen. Und wenn wir zum Telefonieren ohnehin ins Dorf mussten, dann konnten wir das auch in unseren Gastzimmern tun... nicht zuletzt, damit die Leute sich nicht wunderten, wenn wir von unserer Wanderung nicht zurückkamen, sondern einfach spurlos verschwanden. Unser Bergführer hatte auch so ohnehin bestimmt schon genug Panik verbreitet.

Gemeinsam mit den Magiern kehrten wir ins Tal zurück. Ziemlich bald wurde es dunkel, und normalerweise wäre es Selbstmord gewesen, in unserem übermüdeten Zustand bei tiefster, mondloser Finsternis einen Bergpfad hinabzuwandern, aber Soleil Cruz verstand sich glücklicherweise nicht nur auf Schleiermagie, sondern – Nomen est Omen! – auch darauf, den Weg und unsere Umgebung flutlicht-hell zu zaubern. Und so kamen wir zwar völlig fertig, aber in einem Stück, wieder im Dorf an.

Der Hotelbesitzer wunderte sich zwar etwas, dass wir so lange weggeblieben waren, aber wir erfanden eine Ausrede von einer früheren Rückkehr und einem gemeinsamen Abendessen mit den anderen Touristen, die er nicht weiter hinterfragte. Auch die Gegenwart von Baldur verwunderte den Mann nicht weiter – wie er selbst schon sagte, der Charme und die magische Überzeugungskraft der nordischen Gottheit wirken Wunder.

Bevor wir schlafen gingen, tauschten wir Kontaktdaten mit den südamerikanischen Magiern aus, und ich versprach Gonzago eine signierte Ausgabe von Siren's Call.
Außerdem kontaktierten wir Haley wegen des Weges durch Helheim, aber sie meinte, wir seien Lebende, und jetzt, wo Ragnarök so nah sei, würden die zugewiesenen Rollen der Asen stärker greifen, und da könne sie keine Lebenden nach Helheim lassen. Baldur wieder hinauszulassen, wenn er zurückkehre, sei eine andere Sache, den habe sie immerhin schon einmal gehen lassen, aber der sei offiziell tot, der gehöre nach Helheim, deswegen könne er auch wieder dorthin kommen.
Aber wir? Wenn wir nach Helheim kämen, müsse sie uns töten, und das war nun wiederum gar keine Option. Aber wir hätten doch Kontakte nach Xibalba, schlug Haley vor – Ahalphu sei nicht gerade von irgendwelchen festgefügten Regeln betroffen, und in Xibalba seien wir doch schon einmal gewesen und mit heiler Haut wieder zurückgekommen.

Soweit so gut... jetzt müssen wir nur noch einen Ort finden, von dem aus wir nach Xibalba überwechseln können. Baldur kann von überall aus nach Helheim, aber wir brauchen einen Ort mit, wie nenne ich das, ah, ich weiß. Resonanz.

Und siehe da, in der Hauptstadt Kathmandu gibt es tatsächlich den so genannten südamerikanischen Friedhof, auf dem zahlreiche Südamerikaner, die in den 1960er und 1970er Jahren nach Nepal kamen, ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Das klingt perfekt für das, was wir vorhaben!

Also sitzen wir jetzt gerade wieder im Flugzeug nach Kathmandu, sind tatsächlich schon fast am Ziel, und ich habe die Flugzeit zum Schreiben genutzt.
 


*Ermano hieß ihr Anführer übrigens, Ermano Perez. Timoteo Capelo war der junge Magier, mit dem Edward sich geprügelt hatte, und Soleil Cruz hatte den Schleier gewirkt. Der Name der Schwertkämpferin, die Totilas verwundet hatte, war Julia Gomez, und der Bodyguard mit den Schusswaffen – mein Fan – hieß Gonzago Donnell.

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In Kathmandu, am südamerikanischen Friedhof

Ich habe nicht viel Zeit zum Schreiben, nur soviel: Wir werden gleich ein Tor nach Xibalba öffnen. Oder genauer gesagt, Alex und Edward werden wie so oft die eigentliche Arbeit leisten, aber Totilas, Roberto und ich konnten uns zumindest mit der Beschaffung von Zutaten und Informationen für das Ritual beteiligen.
So habe ich beispielsweise bei einem Juwelier etwas Goldschmuck mit Jade besorgt – immerhin sind Gold und Jade wichtige Materialien in der Kultur und Religion der Maya.
(Und bei der Gelegenheit habe ich auch gleich für Lidia und die hijas hübschen Schmuck gekauft, wo ich schon mal in dem Laden war. Das musste einfach sein und hat nicht viel Zeit gekostet.)

Jedenfalls geht es gleich los, und mit etwas Glück werden wir in Xibalba nicht lange aufgehalten.

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Padre en el cielo! Ich hoffe und bete, dass wir nicht zu spät sind! Komm schon, Alex, fahr!

Kurz mit Schreiben ablenken.

Zurück in Miami. Xibalba war kein großes Problem – das Ritual in Kathmandu klappte anstandlos, die lebendige Straße benahm sich, die Wächter an Xibalbas Stadttor machten keine Schwierigkeiten, Ahalphu ließ uns auch problemlos gehen, und wir kamen an der Grotte heraus, die Haley damals gefunden hatte, als es darum ging, Ahalphu auf seiner “Rundreise” zu beschwören und zu überreden, wieder nachhause zu gehen.

Und im selben Moment, als wir wieder auf Miamis Gebiet waren, überfiel uns das Bewusstsein, dass in Miami das reine Chaos herrscht. Ein Krieg tobt. Und es ist kalt, viel zu kalt, eisig kalt – es schneit sogar! Ragnarök! Ragnarök hat angefangen!

Wir konnten uns nicht mit Feinheiten aufhalten – Alex knackte ein Auto.
Und jetzt fahren wir in Richtung Bjarkis Haus... hoffentlich ist Baldur dort!
Oh bitte, Padre en el cielo, lass meine Familie in Sicherheit sein! Und steh uns bei!

Ich wiederhole mich, aber: Alex, fahr!!!
« Letzte Änderung: 17.11.2024 | 18:54 von Timberwere »
Zitat von: Dark_Tigger
Simultan Dolmetschen ist echt kein Job auf den ich Bock hätte. Ich glaube ich würde in der Kabine nen Herzkasper vom Stress bekommen.
Zitat von: ErikErikson
Meine Rede.
Zitat von: Shield Warden
Wenn das deine Rede war, entschuldige dich gefälligst, dass Timberwere sie nicht vorher bekommen hat und dadurch so ein Stress entstanden ist!