Prioritäten und das große DrumherumTatsächlich ist die Komplexität nicht die einzige „Attraktion“, die einem je nach persönlicher Vorliebe ordentlich die Innereien durchwirbeln kann. Auch die Aufmachung des Buchs ist diskussionswürdig, und das „diskussionswürdig“ will ich an dieser Stelle einmal doppelt unterstreichen: Regeln sind in meinen Augen komplett Ansichtssache, aber im Vergleich mit Priorisierung, Illustrationen und ähnlichem werden sie zu einer verdammt exakten Wissenschaft. Dementsprechend ist gerade dieser Abschnitt hier als meine Meinung zu verstehen … also, noch mehr als der Rest. K?
Aber zuerst kudos an das Team: Danke dafür, dass ihr das Inhaltsverzeichnis auf ganz genau einer Seite untergebracht habt. Ich kriege jedes Mal einen mittelschweren Koller, wenn sich selbst das Inhaltsverzeichnis schon wie ein eigenes Kapitel anfühlt, das man erstmal durcharbeiten muss, bevor man nach irgendetwas suchen kann. *Shadowrun, ick hör dir trapsen* Die anderen „Selbstverständlichkeiten“ (Register und ähnliches) funzen ebenfalls, mit Regelübersicht und Tickliste hilft man dem Leser dann auch erheblich dabei, den Überblick in der Legokiste zu behalten. Vorbildlich! Und jetzt zurück zum Text.
Vereinfacht gesagt nimmt der Regelteil etwa 280 Seiten ein, die kurze Beschreibung des Settings 33, und dann kommen noch ein paar dutzend Seiten für Kram. Geht klar, was die Prioritäten angeht. Das Buch heißt schließlich „Splittermond: Die Regeln“ und nicht „Splittermond: Die gottverdammte Bibel“ (Hätte allerdings auch was!), zumal es ja durchaus noch einen Weltenband gibt. Zwei kleine Entscheidungen fand ich trotzdem etwas unschön.
Erstens: Ich verstehe, dass man die Module mit extensivem Fluff, also mit regelfreien Hintergrundinformationen ausstatten möchte. Schließlich bieten sie eine Orientierung für die Erschaffung eines Charakters, und auf der anderen Seite ist es auch einfach eine uralte Mainstream-Tradition, Klassen, Professionen, Klans etc. mit entsprechenden Texten vollzustopfen, von Kultur und Sprache über die bevorzugten Urlaubsorte bis hin zur Farbe des ashurmazaanischen Klopapiers. Okay, die letzten zwei sind vielleicht erlogen, aber mir persönlich ist es trotzdem ein bisschen zu viel geworden. Rassen und Kulturen, na gut, das ist irgendwo ja auch allgemeingültiger Settingkram, aber gerade die Ausbildungen sind per Definition so ein bisschen austauschbar und wären in meinen Augen auch mit jeweils einer halben Seite ausgekommen. Als Lego-Freak stört es einfach, wenn irgendwelche überdimensionierten Duplo-Blöcke ein Viertel der Spielzeugkiste einnehmen. Auf der anderen Seite ist die Auswahl der Module schon ziemlich interessant geworden. Die Ausbildungen möchte man dafür küssen, wie sie so zwischen Fantasy-Standard (Waldläufer) und Splittermond-Spezialität (Magischer Unterhändler) umherspringen. Die Kulturen sind praktikablerweise aus der Umgebung des inneren Meeres zusammengeklaubt, was zwei lustige Konsequenzen hat: Einmal haben wir die Andarai dabei, die im Gegensatz zu den fehlenden Immersommeralben ja mal definitiv die Exotenrolle ausfüllen (ich meine … Godzilla?!), und zum anderen gibt es stumpf gesagt ganze drei „arabische“ Kulturen, aber keine einzige „asiatische“. Ein Schelm, wer jetzt an die gestörte Beziehung der deutschen Rollenspiellandschaft mit asiatischen Einflüssen denken muss.
Mein zweites Problemkind sind die Archetypen. Es ist einwandfrei klar, warum ein Spiel mit der Komplexität einer deutschen Steuererklärung Beispielcharaktere braucht, aber hier fallen sie nicht nur wie ein Wespenschwarm über den Leser her, sondern bringen durch den Charakterbogen auch immer gleich zweieinhalb Seiten mit. Das finde ich persönlich etwas übertrieben, zumal ich später im Buch ein paar andere Sachen schmerzlich vermisst habe.
Oh, aber es sieht besser aus! Besser als der Weltenband, meine ich, und der hat mir optisch auch schon sehr gut gefallen. An das tolle Mondtor-Cover kommt der exotische Feendrache zwar nicht ganz ran, aber im Inneren dreht das Regelbuch ordentlich auf. Bedanken sollte man sich wohl bei den dutzenden Charakterbildern, deren unterschiedliche Stile erheblich harmonischer wirken. Ironischerweise ist selbst der Settingteil etwas konsistenter illustriert als der Weltenband, was zwar nahliegt (weniger Bilder, duh!), mir aber doch ein melancholisches „hach“ entweichen lässt. Das Layout wirkt wieder extrem routiniert, und sogar die Illus scheinen mir konsistenter eingebunden zu sein (was mich im Weltenband ja noch ein bisschen gestört hat). Instant Crush: Das Bild der Verwandlerin auf Seite 69. <3 Und dabei gefallen mir die Bilder im Querschnitt wirklich gut. Wenn irgendwo ein Mäkeln angebracht wäre, dann vielleicht bei den Monstern. Dass manche so unerwartet … cartoony wirken, ist sicherlich Ansichtssache (Ich persönlich finde es schon irgendwie geil, dass mich ein Fantasybuch zu einer Runde „Wo die wilden Kerle wohnen“ inspiriert!), aber die Mischung der Stile fällt abermals negativ auf, obwohl natürlich viel netter Kram dabei ist. Im Großen und Ganzen trotzdem eine extrem gute Note für die Optik!
Die Monster allerdings sind nicht nur optisch ein wenig curious. Man fragt sich, ob dieses kleine Bestiarium von Anfang an so geplant war, und man spürt definitiv den Monsterband, wie er aggressiv am Horizont lauert. Durch das großzügige Monstergrad-System findet man zwar genügend Gegner für vielerlei Situationen, aber ein paar „Archetypen“ mehr (es gibt bspw. den „Söldner“), eine Schablone für stärkere Versionen oder eine Seite mit illustrationsfreien Standardmonstern im Schnellformat hätten den Praxisnutzen des Kapitels auf jeden Fall erheblich verbessert, ohne dass die Teaser-Natur verloren gegangen wäre. So drängt sich doch der Gedanke auf, dass D&D seine „Standardbelegung“ immer ein gutes Stück besser hingekriegt hat, auch wenn das vielleicht nur mein persönlicher Eindruck ist. Oh, und der Feendrache vom Cover fehlt übrigens auch. *Darth Vader Stimme* NOOOOOO…!
Coole Hotzenplotz-Mid-Fantasy-Anime-Märchenmagie*hinzufügen zum Wörterbuch*
Hier wird es interessant. Die SpliMo-Magie wurde viel beworben, unter anderem als alltäglich, High Fantasy etc, und ja, es gibt wirklich viel dazu zu sagen. Dann wiederum ist es gar nicht mal so einfach, das Gesamtbild in Worte, oder überhaupt erstmal
irgendwie zu fassen. Ich musste ordentlich blättern, Beispielcharaktere und Zauber studieren, bis ich das Konzept einigermaßen „gecheckt“ habe. Ich werde die Überschrift aus bloßer Faulheit nicht noch mal abtippen, aber sie dürfte das Genre einigermaßen ausschöpfend beschreiben.
1. Der Powerlevel ist wirklich eigen. Es gibt eine Menge „Utility-Spells“ für Alltagsangelegenheiten (wie man im D&D-Min/Maxer-Slang sagen würde), und zwar durchgängig von Grad 1 bis 5, Statuszauber für jeden ansatzweise denkbaren Spielwert (die sich durch die Kanalisierung glücklicherweise auch nicht grenzenlos stapeln lassen) und dazu auch noch eine gute Menge an üblichem Kampfkram. Der beschränkt sich nicht zwangsweise auf die obligatorische magische Pew-Pew-Gun zweimal pro Tag, sondern lässt die Startcharaktere auch schon mal mit Feuerstrahlen um sich schießen und Mini-Elementare beschwören. Viele Zauber findet man in ungewohnter Gesellschaft, etwa Unsichtbarkeit und die Verwandlung in andere Menschen auf dem Maximallevel 5. Hui. Das unterstreicht den Nicht-Kampf-Fokus sehr aggressiv und deutet auch schon mal an, dass man relativ früh mit dem Zaubererkopf an die Decke stößt. Einen Wunsch, eine Zeitschleife, einen Schrei der Todesfee und ähnlich radikale Game Changer sucht man hier vergeblich. Wetterkontrolle, Feuerball und derartige Kaliber sind das Höchste der Gefühle, und ein Ritual zum Beschwören eines Erdbebens dürfte der mit Abstand brachialste Zauber sein, der sich im Buch finden lässt. Letztendlich kann man also als fähiger Magier starten und am Ende ziemlich mächtig werden, aber eben auch nicht der verdammte Genie aus Aladdin. Zumindest im Grundbuch nicht; wer an der Lampe reiben will, muss wohl auf das Magiebuch warten.
2. Die Zauber SIND ein Werkzeug im Kasten des Charakters. Das Fokussystem und die feste Auswahl verhindern ziemlich effektiv, dass man praktisch alles kann und ein Abenteuer im Alleingang bewältigt. Gerade auf höheren Graden fressen kanalisierte Zauber auch reichlich Fokus. Man kann sich zwar durchaus einen fähigen Utility-Magier machen, aber das ist dann eben auch wieder eine Spezialisierung und sorgt dementsprechend dafür, dass man in anderen Bereichen abkackt, spätestens, wenn einem der Fokus ausgeht. Disclaimer: Dieser Absatz war speziell an die Generation gerichtet, der die Zähne schlottern, sobald auch nur ansatzweise abzusehen ist, dass die Zauberwirker alles mit einem Fingerschnipsen in den Schatten stellen könnten. Scary shit, I know. Bei SpliMo könnt ihr die Rollenspielinquisition beruhigt im Folterkeller lassen.
3. Interessant sind die 19 Magieschulen, teilweise mit großen Überschneidungen. Manche davon sind auch hierzulande Genre-üblich (Erkenntnismagie, Kampfmagie), andere lassen meine Anime-Glocken klingeln. Die verkappten Elementarbändiger unter uns freuen sich über die wirklich charakteristischen Elementarschulen, die noch stärker pubertierende Generation wird sich wohl augenblicklich mit einem breiten Grinsen auf die Schattenmagie stürzen. Und das ist auch gut so. Man kann also durchaus einen Elminster basteln, aber auch ebenso gut einen handfesten Avatar, ohne dass es nach einem Stilbruch riecht.
4. Es gibt einen Dornröschenzauber, so richtig Hardcore mit 100 Jahren Wirkungsdauer. Jap. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man sich damit auch selbst praktisch unsterblich machen kann, aber schon der reine Fakt macht mich ein kleines bisschen glücklich. Apropos: Die Zauberbeschreibungen fallen recht knapp aus. Es wird also zu gelegentlichen „Äh, darf ich das?“ Momenten kommen, aber gut, dafür passen auch mindestens zehn Zauber auf einer Seite und nicht nur zwei. Das Spiel ist ja sonst schon regeltastisch genug.
Letztendlich ist die Magie wirklich charakteristisch geworden. Mehr als erwartet! Gerade auch die Kanalisation (Oh Gott, das klingt jetzt total nach Abwasser. Ich meine aber die „belegten“ Fokuspunkte, nicht das Abwasser.) bringt eine Menge cooler Zahlenspielerei an den Tisch. Mein persönlicher kleiner Höhepunkt war allerdings der Fakt, dass ganz im Sinne der allgemeinen Zugänglichkeit wirklich JEDER, der die Fertigkeit Arkane Kunde beherrscht, versuchen kann, Schriftrollen zu benutzen. Das passt nicht nur klasse ins Magiekonzept, sondern eröffnet auch eine ganz neue Dimension für die Charaktererstellung. Nice.
Noch mehr Regeln?Ja, verdammt. Deal with it.
Wenn die Grundregeln eines Mainstream-Spiels durch sind, erwartet man üblicherweise ein paar dahingeklatschte Subsysteme, unausbalancierte Artefakterschaffung für die kleinen Powergamer unter uns und einen ganzen Batzen an ähnlichen Zweifelhaftigkeiten, damit das Buch am Ende bloß nicht unter 350 Seiten rauskommt. Man erwartet den STANDARD™, sozusagen. SpliMo liefert den Standard, weiß aber zu überraschen. Man kennt das ja: Der Schnellimbiss an der Ecke sieht jetzt nicht unbedingt nach einem 5-Sterne-Restaurant mit Spitzenköchen aus Frankreich aus, und man kennt ja auch diese Berichte, mit denen RTL2 sein Nachmittagsprogramm bestreitet … aber hey, es schmeckt verdammt gut. Wer hätte das gedacht?
Verfolgungsjagden und soziale Konflikte: Only praise. Wirklich. Alles spielt sich im klassischen Rahmen ab, aber genau an dieser Stelle profitiert Splittermond von seiner Komplexität. Letztendlich sind es nämlich nur Fertigkeitsproben, die man in ein durchdachtes Gerüst aus „Wann genau nutze ich welche Probe wie genau?“ eingeflochten hat. Und das passt perfekt. Die Optionalregel zu „MEIN CHARAKTER WILL DAS ABER NICHT TUN!?“ tut ihr Übriges dazu, einen ziemlich goldenen Mittelweg freizuschaufeln.
Leichte Bauchschmerzen verursacht die aktive Abwehr außerhalb des Kampfs. Man kann hier zwar einiges hausregeln (in einem Dialog braucht es ein gutes Argument etc), aber prinzipiell gibt es keinen vernünftigen Grund, nicht jede einzelne Probe um einen weiteren Würfelwurf zu ergänzen. Da hätte ich mir etwas klarere Regeln gewünscht.
Etwas Beef hab ich auch (wie so oft) mit Gift und Krankheit. Da kommt nämlich genau diese zweifelhafte Schnellimbiss-Atmosphäre durch: Es funktioniert natürlich, irgendwie, aber es wirkt ein bisschen gelangweilt, um nicht zu sagen enttäuschend. Zwar zweifle ich nicht daran, dass auch im Playtest noch mal einige Gedanken in den Komplex geflossen sind, aber hnnngh. Geht das nicht irgendwie chilliger? Immerhin wird erwähnt, dass Krankheiten lieber richtige Plotpunkte sein sollten, keine Abenteureralltäglichkeiten. Generell sind die Zustände und ihre Organisation so ein kleiner Splitter (haha, Wortspiel) im Zeh meines persönlichen Tick-Systems. Aber vielleicht sollte ich an dieser Stelle auch noch mal daran erinnern, dass ich Ganze nie gespielt habe. Wenn es in der Praxis flüssiger läuft als in meinem Kopf, nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil.
So, zurück zum allgemein Splitterpersern! Die Ausrüstung geht standard-klar, mit nützlichen Illustrationen, die eigentlich ebenfalls Standard sein sollten, aber das Handwerk … Wow! Das ist a) simpel, b) scheint zu funktionieren und sorgt c) augenblicklich dafür, dass mein Charakter mit seinem Schweißgerät an der Werkbank stehen möchte. Ich meine, man kann sich nen fancy Hut machen, der wirklich was bringt. In welchem Regelsystem gibt es bitte simple, handfeste Regeln für die Herstellung eines fancy Huts? Awesome. Dasselbe gilt für Alchemie und Kräuterkunde. Ich habe zu viele schmerzhafte Erinnerungen an die Fertigkeit Beruf (Kräuterkundler) in D&D 3e, an „mach halt mal ne Probe“ und „kk, +2 auf Heilkunde“, als dass ich über solche Regeln nicht ein bisschen ausflippen dürfte. Und trotz scheint sich der ganze Kram im Rahmen der Spielbalance zu bewegen. Die magischen Items werden zwar ähnlich simpel abgehandelt, was einigen Leuten definitiv zu oberflächlich sein dürfte, aber hey: Ihr seid die Zielgruppe für die Ergänzungsbände mit dem ganzen Harry-Potter-Scheiß, nicht ich. Der Mainstream mag sich mal bitte von SpliMo belehren oder die Kräuterkunde lieber gleich in der Fluff-Schublade liegen lassen.
Die Reiseregeln sind nicht ganz so spektakulär, gefallen mir aber auch recht gut, nicht zuletzt, weil sie völlig optional sind. Und wenn wir einmal dabei sind: Generell gibt es da eine kleine, unscheinbare Seite mit kleinen, optionalen Regeln. Sie machen Lorakis wahlweise hardcore-tödlich, lassen die Spieler Nicht-Splitterträger spielen (hätte ich gern als Standard) oder tauchen die Welt in einen Magie-Power-Level, den man nur noch als OVERKILL bezeichnen kann. Oh, und sie scheinen nicht mal dutzende nervige Konsequenzen im ganzen System hinter sich herzuzerren. Und das ist geil. Ich meine, PENNER MIT MAGIE. Was will man mehr?
Die kleine Aufzählung hier war übrigens auch der zweite Grund, aus dem ich Splittermond abnehme, den Kampf nicht als totalen Mittelpunkt des Spiels zu betrachten: Die zahlreichen Subsystem passen sich wunderbar in die Legokiste ein. Sie haben zwar nicht unbedingt ureigene, innovative Regeln, aber trotzdem eine sehr durchdachte Tiefe, im Durchschnitt. Nicht so viel, dass es die Zielgruppe ankotzen oder Uninteressierte nerven würde, aber auch nicht so wenig, dass man sich unwillkürlich fragt, ob der Koch irgendetwas Zwielichtiges mit der Knoblauchsoße angestellt hat. Und damit lässt sich dann schon was anfangen, was über brutalen Körperkontakt hinausgeht. Also, mit der Tiefe, nicht mit der Knoblauchsoße.
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