Wie ist das Material denn in den gut 10 Jahren gealtert?
In alten Rezensionen lese ich etwas von Gnomen als Platzhalter für Juden? Wie verhält es sich mit der Darstellung?
Wenn ich hier etwas von gelben Orks als Darstellung von Chinesen lese, hebe ich doch etwas die Augenbrauen?
Was ich sonst so lese erinnert mich stark an eine Nordisch benannte Version von "Victoriana". Täuscht der Eindruck vielleicht?
Das sind zwei Punkte, bei denen ich auch erst einmal reflexartig Schnappatmung bekommen habe. Doch sollte man sich auch die Zeit nehmen hier genauer einzutauchen.
Erst einmal muss gesagt werden, dass in diesem Regelwerk kein Volk despektierlich oder verballhornend vorgestellt wird. Aber jedes Volk wird auch mit Klischees belegt und ein wenig durch den Kakau gezogen.
Das Regelwerk benennt ziemlich klar den Ursprungsgedanken zu den einzelnen Völkern und ihren Bezug zur Realwelt.
Es werden ziemlich alle Völker, die im damaligen Europa lebten verändert und fantastisch angehaucht vorgestellt. Ich käme mir jedenfalls komisch vor, wenn ich Jude wäre und mein Volk aus "wohlmeinenden" Gründen unerwähnt bliebe.
Die Gnome werden mitnichten verschrumpelt, mit Hakennasen und langen Fingern, geldgierig uvm dargestellt - was vielleicht hier beim bloßen erwähnen des Judentums als Karikatur aus alten Zeiten in den Kopf kommt.
Sie werden eher als "Nation ohne Land, Hochbegildet, in abgeschiedenen Gemeinden lebend" durch ihre Abgeschiedenheit durchaus aber auch aneckend mit den umgebenen Völkern, beschrieben.
Die Gnome sind aber ebenso nordisch angelehnt und wirken Magie mit ihren Runen. Sie treten oft als Ingenieure, spezialisiert auf die Erschaffung von Golems, aber auch für das Theater und Bühnen, sind als avantgarde-Künstler unterwegs, tollküne Piloten uvm. (regelteschnisch steht einem aber alles offen. Dies sind eben die genannten Klischees)
Und man bezieht sich durchaus auf die schwierige Vergangenheiten, die man anspielen kann - oder auch nicht. Das Spiel ist sich also der Problematik der damaligen Zeit durchaus bewusst, streicht aber dennoch nicht alles heraus, nur um am Ende gestreamlined zu erscheinen. Es weist mehrmals im Buch darauf hin, dass diese Zeit voll war mit Themen, die man mit dem heutigen Blickwinkel auf diese Zeit entsprechend sinnvoll und würdig behandeln sollte.
Und das mit den Orks. Naja, das finde ich tatsächlich etwas unglücklich, wobei auch hier ganz eindrücklich darauf hingewiesen wird, dass Orks kein schräges Abziehbild von Chinesen sein sollen. Es geht bei den Orks um Völker, die Schamanistisch leben, mit der Natur und ihren Ahnen im Einklang leben und dem Vanadier (Europäer) fremd/faszinierend wirken. Ich selbst spiele Orks in meiner derzeitigen D&D-Kampagne als ein mystisches/wildes/schamanistisches Volk mit einer wilden Tiefe, daher kann ich diesen Gedankengang schon nachvollziehen. Auch hier liegt eigentlich eine Wertschätzung mit eigenen Fähigkeiten, eigener Magie und Kultur zugrunde. Aber bei den meisten wird wohl eher der Herr-Der-Ringe-Ork im Kopf sein und dieses Bild wäre dann wirklich unglücklich.
Ich fände es schade, wenn dieses Rollenspiel unreflektiert in eine bestimmte Ecke geschoben wird, wo es nicht hingehört.
Ja - es arbeitet mit Klischees
Aber - Jedes Volk bekommt sein Fett weg und man soll ausdrücklich nichts davon wirklich ernst nehmen.
Ja - es werden Völker/Gruppen usw. in die phantastische Welt übertragen, die in der realwelt leider mehr als nur Probleme hatten
Aber - es wird kein Volk depektierlich und herabwürdigend behandelt. Immer wohlgesonnen und mit einem frechen Augenzwinkern.
So ist jedenfalls mein Eindruck beim Lesen. Andere mögen das bestimmt anders sehen, was aber genauso ok ist.
Aber eins möchte dieses Rollenspiel auf keinen Fall:
Sich ernst nehmen!